Sommernerdstraum - Cornelia Franke - E-Book
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Sommernerdstraum E-Book

Cornelia Franke

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Beschreibung

Ein Nerdsommer mit Herzklopfen

Rubys Sommer ist etwas ganz Besonderes: Eine Woche zelten mit ihren Freunden im Nirgendwo, sich in fantastische Abenteuer stürzen und einmal jemand anderes sein – oder in ihrem Fall ganz sie selbst. Lady Ruby, die starke, beliebte Anführerin ihres Rollenspiel-Teams. Aus Not an Mitspielern lädt sie den Gamer Ben ein, der Gefallen an ihrem bisher geheim gehaltenen Hobby findet. Oder doch an Ruby selbst? Und dann taucht auch noch ihr Ex Henrik auf, mit dem Ruby noch eine Rechnung offen hat.

Ein Sommer, ein schräges Mittelalter-Kostüm-Event und eine überraschende Liebe.

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Cornelia Franke

Sommernerds-traum

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Originalausgabe Mai 2021

© 2021 cbj Kinder- und Jugendbuch Verlag in der

Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Kathrin Schüler

Umschlagmotive: Shutterstock.com (guteksk7, vlad09, Olga Danylenko)

MK · Herstellung: ik

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-19999-9V001

www.cbj-verlag.de

Für all diejenigen, die für ihr kreatives Schaffen belächelt werden.Schreibt. Malt. Singt. Näht. Spielt. Erschafft!

1. Kapitel

»Du bist ein Mädchen, verhalte dich wie eines.« Lady Ruby konnte diesen Satz noch nie leiden. Als Mädchen war ihr alles verboten, was Spaß machte. Doch als die Nachricht vom Tod des Königs verbreitet wurde, packte Lady Ruby ihre Taschen, legte ihr Schwert um und ritt mitten in der Nacht in ihr größtes Abenteuer. Sie würde allen beweisen, wozu sie fähig war.

Die Abenteuer von Lady Ruby und Prinz Xenio, Kapitel 1

»Gleich sind wir da«, versprach Ruby und prüfte erneut ihr Smartphone. Dank GPS-Navigation sollten sie ihr Ziel nicht verfehlen, allerdings kroch der Pfeil auf ihrer Karte vorwärts.

»Das hast du schon vor einer halben Stunde gesagt«, murrte Merlin, der die Nachhut ihrer Gruppe bildete.

Zu viert wanderten sie über einen Pfad, der sie tiefer und tiefer in den Wald führte. Zweige knackten unter ihren Schritten und altes Laub raschelte, während Ruby es genoss, die frische, erdige Luft einzuatmen. In den Baumkronen zwitscherten Vögel und die hochstehende Julisonne warf goldene Lichtflecken auf den Waldboden. Für Ruby war es der Weg in eine Welt voller Wunder, wie der Einstieg in die fantastischen Welten, von denen sie so gerne las.

Fröhlich breitete Ruby die Arme aus und strahlte ihre Mitstreiter an. »Seid ihr auch so aufgeregt wie ich?«, lachte sie und ging ein Stück rückwärts. Heute Morgen waren sie in der Betonwüste ihrer Heimatstadt gestartet, nun wandelte Ruby bereits durch einen magischen Wald. Da schlug ihr Herz, das sich vor allem für Abenteuergeschichten begeisterte, gleich schneller.

»Also ich bin hauptsächlich froh, wenn ich meine Sachen abwerfen kann«, schnaufte Merlin, der seinen großen Koffer hinter sich herzog. Die Rollen blockierten andauernd auf dem unebenen Boden und Merlin versank unter den beiden Reisetaschen, die er über den Schultern trug. Er war nicht nur der jüngste der Gruppe, sondern auch viel zu klein für seine dreizehn Jahre. Der geborene Zwerg, wie Ruby und Isabel gern scherzten, etwas dicklich und ständig am Schimpfen.

Er selbst sah sich wie der unbesiegbare, herausragendste Zauberer aller Zeiten. Ruby stimmte bei herausragend zu, Merlin hatte sogar seine eigene Runenschrift entwickelt. Unbesiegbar war jedoch nur seine Streitlust. Obwohl sie selbst eher ruhig und ein wenig introvertiert war, mochte sie es, mit Merlin stundenlang über Strategien oder Neuigkeiten aus der Pen-&-Paper-Gruppe zu diskutieren. Bei P&P-Spielen schlüpfte man in eine Rolle, und bis auf den Charakterbogen und das Spielfeld aus Papier lief dabei alles in der Fantasie des Spielers ab. Die Gruppe erzählte gemeinsam das Abenteuer und würfelte die einzelnen Aktionen aus. Und Ruby und Merlin liebten solche Rollenspiele!

»Du hättest nicht so viel einpacken müssen«, mischte sich Isabel ein, die ihr Gepäck in eine einzelne Sporttasche gequetscht hatte. Zusätzlich trug sie ihr Kostüm in einem Kleidersack über der Schulter.

Ruby selbst war in Jeans und Turnschuhen angereist – Hauptsache gemütlich –, während Isabel elegant wie eine Prinzessin durch den Wald schritt. In ihrem mit Blumen bedruckten Sommerkleid war sie bereit für eine Party, stattdessen erwartete sie eine Woche Zelten.

»Du weißt, dass ich auf alles vorbereitet sein möchte«, giftete Merlin zurück.

»Genau. Auf Regen, auf Schnee, auf zu wenig Proviant«, stichelte Isabel, »und vermutlich auch auf Drachen.«

»Vergiss nicht die Mücken, die mich jedes Jahr fast auffressen.«

»Die sind eindeutig schlimmer. Einen Drachen könntest du wenigstens mit deinem Stab erschlagen«, erwiderte Isabel. Vor ein paar Wochen hatte Ruby noch befürchtet, dass ihre Freundin die gemeinsame Zeit ausfallen lassen würde. Immerhin war sie gerade achtzehn geworden und verfolgte bestimmt andere Pläne. Doch dann hatte Isabel sich mit Feuereifer in die Vorbereitungen und das Training gestürzt.

Eine Woche zusammen mit ihren beiden Freunden zu verbringen, die sie im Alltag viel zu wenig sah, war für Ruby die schönste Zeit des Jahres.

»Vielleicht gibt es dieses Jahr ja Drachen?«, warf sie ein, um die Zankerei zu unterbinden. »Wer weiß, was sich hinter diesem Wald verbirgt. Spürt ihr nicht die Spannung, die in der Luft liegt? Ein Abenteuer wartet auf uns!«

Immer noch rückwärtsgehend fühlte Ruby sich auf einmal wie der Erzähler, der eine spannende Geschichte einleitete. »Jeden Moment könnte etwas aus dem Dickicht springen … vielleicht Banditen?« Sie zeigte auf den nächstbesten Busch. »Oder ein magisches Wesen, das Hilfe braucht und uns zum Dank einen Wunsch erfüllt. Was würdet ihr euch wünschen?«

»Einen Schwebezauber für meine Sachen«, murrte Merlin.

»Den neusten Band von unserem Lieblingsautor«, seufzte Isabel.

»Der kommt bestimmt demnächst«, warf Ruby ein, während sie das alte Laub vor sich herschob. Dennoch konnte sie Isabels Sehnsucht voll und ganz nachvollziehen.

»Demnächst reicht mir nicht. Ich will ihn jetzt.«

Darauf antworte Ruby mit einem Lächeln. »Ich würde mir wünschen, dass der LARP häufiger im Jahr stattfindet.«

Ein LARP – kurz für Live Action Role Playing – war ein Rollenspiel, das nicht wie bei Pen-&-Paper nur in der Fantasie, sondern im realen Leben abgehalten wurde. Die Figur, die es sonst nur auf einem Bogen Papier gab, wurde vom Spieler selbst verkörpert.

Zu spät kam ihr der Gedanke, was Ben – das letzte Mitglied ihrer Gruppe – von ihrer Leidenschaft für LARPs hielt, und sogleich stolperte Ruby über ihre Füße. Ihr Reiserucksack prallte schmerzhaft gegen ihren Rücken, aber sie schämte sich mehr für ihre Ungeschicklichkeit. Eine tolle Anführerin war sie …

»Alles okay?« Ben zog sie an der Hand hoch. Er war schon so nett und trug den Koffer mit ihrer Ausrüstung, zusätzlich zu seinem Gepäck, jetzt musste er ihr auch noch aufhelfen. Dabei wollte sie Ben von Anfang an beeindrucken.

»Jedenfalls bist du voll und ganz in deinem Element«, scherzte Isabel und setzte sich an die Spitze. Ben blickte ihr kurz nach, bevor er Rubys Cap zurechtrückte, die bei ihrem Sturz verrutscht war.

»Natürlich ist sie das.« Merlin rumpelte an ihnen vorbei. »Das ist unser dritter gemeinsamer LARP und trotzdem ist sie so hibbelig wie beim ersten Mal.«

»Ich bin einfach neugierig, was sich die Organisatoren haben einfallen lassen«, schwärmte Ruby, während Isabel mit den Schultern zuckte.

»Bin ich eigentlich der Einzige, der sich die Internetseite des Veranstalters durchgelesen hat?«, fragte Ben.

»Ja«, antworteten Isabel und Ruby in Chor. Nach der Anmeldung waren sie allen Spoilern ausgewichen. Dafür hatten sie wochenlang spekuliert und über die Möglichkeiten geschwärmt. Zwar war das Hauptthema, die Suche nach den Insignien des Königs, jedes Jahr das gleiche, aber die Veranstalter gaben sich viel Mühe, diese abwechslungsreich und spannend zu gestalten.

»Ich hab sie gelesen.« Merlin reckte die Hand in die Höhe, wie zur Bestätigung. »Gut organisiert ist halb gewonnen.«

Abseits des LARP stach Merlin nie aus der Menge heraus, seine Kleidung wirkte meist zusammengewürfelt, so, als hätte er die erstbesten Sachen von der Wäscheleine gegriffen. Bis auf seine megateuren Sneaker deutete nichts darauf hin, dass seine Eltern erstaunlich reich waren.

Vor Vorfreude konnte Ruby kaum stillstehen. »Sag du mir wenigstens, dass du total aufgeregt bist. Immerhin ist es dein erster LARP.«

Breit grinsend erwiderte Ruby Bens Blick. Doch seine grünen Augen teilten ihre Freude nicht ansatzweise. Seit sie den Waldweg betreten hatten, war Ben seltsam still geblieben.

»Im Moment frage ich mich, wohin die Reise überhaupt geht«, gestand er langsam. »Und wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann wäre ein Tutorial nicht schlecht.«

»Das bringen wir dir schon bei«, munterte Ruby ihn sofort auf.

Kurz vor Beginn des LARP war ihnen das vierte Mitglied abgesprungen, daher hatte Ruby Ben als Ersatz eingeladen. Sie hoffte, dass er nicht nur gerne an Konsolen Rollenspiele zockte, sondern auch ihrem liebsten Hobby etwas abgewinnen konnte.

Ben und Ruby gingen zwar schon seit einer gefühlten Ewigkeit in die gleiche Klasse, doch sie hatte ihn erst im letzten Jahr richtig kennengelernt. Der kommende LARP musste deswegen ein voller Erfolg werden, damit ihre Freundschaft nicht auf eine harte Probe gestellt wurde.

Ohne zu zögern griff Ruby nach Bens Hand und wies damit ins Gebüsch. »Du musst dich nur umschauen, dann hast du die Antwort. Sieht es nicht aus wie in einem Zauberwald?« Die Julisonne drang durch das Blätterdach der Birken und tauchte die Umgebung in einen goldenen Schein. Abseits des Pfades wuchs das satte Gras knöchelhoch und in der Ferne jagten zwei Eichhörnchen über die tiefer gelegenen Äste.

»Wir sind fernab jeglicher Zivilisation«, spottete Merlin.

»Genau.« Jetzt klang Ruby erst recht überdreht. »Fernab von allem, was stört oder ablenkt, können wir unser Abenteuer erleben!«

»Aber dafür gute vier Stunden mit dem Auto brauchen?«, gähnte Ben. Merlins Vater hatte sie in aller Frühe abgeholt und quer durch das Land kutschiert. Viel Neues hatten sie jedoch nicht gesehen. Abgesehen von Wolkenbrüchen und dichtem Nebel.

»Was ist denn mit euch los? Laut Wetterbericht soll es die nächsten Tage nicht mehr regnen!«, versicherte sie. »Das wird lustig, Leute.« Mit Absicht stampfte Ruby auf und erwischte dabei eine Pfütze. Bis zu den Waden mit Schlamm bespritzt, zog Ben skeptisch die Augenbrauen hoch.

»So… sorry«, stammelte Ruby und riss sich mit einem Satz los. Hatte sie etwa die ganze Zeit seine Hand gehalten? Verlegenheit färbte Rubys Wangen rot, als sie sich rasch umdrehte und weitereilte.

»Mit euch habe ich noch ein Hühnchen zu rupfen«, rief sie aus, als sie Merlin und Isabel einholte. »Traut ihr meiner Kunst der Führung etwa nicht?« Sie stemmte die Hände in die Hüften wie ein General. Hauptsache, sie lenkte sich ab, bevor ihre Gedanken zurück zu Ben schweiften und dazu, wie warm sich seine Finger angefühlt hatten.

»Verzeihung, Lady Ruby.« Merlin senkte demütig den Kopf. »Ich könnte Euch jederzeit mit einem Zauber die Richtung weisen.«

»Ihr beide habt die Anreise geplant, also folge ich meiner Lady wie ein Schatten«, antwortete Isabel. Seit jeher teilte sich ihr Teamwork klar auf: Isabel kümmerte sich um die Kostüme, Merlin um die Anreise und alles, was für den LARP angeschafft werden sollte, während Ruby als Anführerin die Organisation übernahm. Sie füllte die Anmeldungen aus, erstellte Trainingspläne und kümmerte sich um das Finanzielle.

Und Ben … der würde sich bestimmt in die Gruppe einfügen.

»Wie steht’s mit dir, Noob?«, wandte Merlin sich an Ben.

»Nenn mich nicht Noob, Zwerg.«

»Doch. Du bist ein totaler Anfänger.«

»Sei ein bisschen nachsichtiger, immerhin hilft er uns«, mischte Ruby sich ein. Zwar schlüpfte sie in ihre Figur wie in eine zweite Haut, aber wenn Ben sie als seine Lady ansprechen würde, wäre ihr das unendlich peinlich.

Schnell marschierte Ruby weiter, damit Ben nicht ihre Unruhe bemerkte. Seit ihrem Aufbruch dachte sie eindeutig zu häufig darüber nach, was er von ihr halten würde.

Allmählich lichtete sich der Wald, sodass sie wenig später die dahinter liegende Wiese erreichten. Zum Glück hatten weder Isabel noch Merlin ein Wort darüber verloren, dass Ruby absichtlich den längeren Weg gewählt hatte. Denn so konnten sie das Spielterrain auskundschaften und Ben sich in Ruhe umsehen. Außerdem wollte Ruby dafür sorgen, dass er sich mit Isabel und Merlin anfreundete.

»Sekunde mal.« Merlin blieb abrupt stehen und warf sein Gepäck ab. »Wieso folgst du nur Lady Ruby? Was ist mit mir?«

»Wenn ich einen kleinen Schutzschild brauche, dann auch dir«, scherzte Isabel. »Wobei ich dir bloß halb folge. Immerhin kann ich über deinen Kopf hinweg alles überblicken.« Sie drehte sich kurz um und sah zum Horizont, als würde kein Hindernis ihre Aussicht trüben.

»Toll!«, schnaufte Merlin und spießte Isabel mit einem bösen Blick auf. »Jetzt fangen die Größen-Witze schon vor der Veranstaltung an.«

Das erneute Wortgefecht ihrer besten Freunde dämpfte Rubys Übermut ein wenig, dennoch war sie froh, die beiden an ihrer Seite zu wissen. Nur durch Zufall waren sich die drei im Alltag über den Weg gelaufen, hier teilten sie jedoch eine Leidenschaft, die sie mit jedem Jahr enger zusammenschweißte.

»Ach.« Isabel winkte ab. »Eine Kleinigkeit kann ich immer dazwischenschieben.«

»Kleinigkeit! Du könntest dich mir sehr wohl unterordnen. Ich bin der große Zauberer von …«

»Ja ja, schon klar. Obwohl niemand außer dir den Namen aussprechen kann.« Isabel wuschelte Merlin durchs Haar, um ihn zu necken. »Außerdem ist es keine Frage, ob ich mich unterordnen kann, sondern ob ich das möchte.«

»Wer ist denn die Sprachbegabte, wenn du nicht mal meinen Namen hinkriegst?« Merlin streckte ihr die Zunge heraus, ehe er wieder seine Taschen wuchtete.

Plötzlich legte Ben Ruby eine Hand auf die Schulter. »Sind die beiden immer so?«

»Die wärmen sich erst auf.« Mit einem warmen Lächeln sah sie zu ihm hoch.

Ben überragte sie locker um einen Kopf. Anders als in der Schule sah Ruby ihn zum ersten Mal mit total zerzausten Haaren, zerknittertem T-Shirt und völlig übermüdet. Immerhin hatten sie und Isabel die ganze Autofahrt über ihr aktuelles Fantasy-Buch gefachsimpelt und den anderen den Schlaf geraubt.

Ruby konnte immer noch nicht glauben, dass Ben auf ihre Einladung direkt eingegangen war. Sie war davon ausgegangen, dass seine Pläne für die Sommerferien dem Spruch auf seinem heutigen T-Shirt glichen: Essen, schlafen, zocken, wiederholen.

»Die beiden sind echt nett«, fuhr Ruby fort. »Sogar Merlin, solange du keine Witze über seine Größe reißt.«

»Über seinen Namen schon?«, fragte er skeptisch.

»Daran ist er gewöhnt.«

»Ist vermutlich nicht gerade einfach«, merkte Ben an, bevor sie ebenfalls die letzte Strecke zurücklegten. Der Wind frischte auf, ließ die Wildblumen tanzen und wirbelte Staub sowie Pollen auf. Die Wiese stieg leicht zu einem Hügel an, von dessen Kamm aus Ruby das tiefer gelegene Spielgelände gut überblicken konnte. So stellte sie sich die Landschaft aus einem Fantasy-Roman vor. Zu beiden Seiten von einem Wald flankiert breitete sich eine grasgrüne Ebene unter ihr aus, an deren Rand eine mittelalterliche Burg erbaut worden war. Für einen Hofstaat bot sie nicht genug Platz, jedoch war sie groß genug, um im Innenhof Feste zu veranstalten. Fast malerisch schlängelte sich auf der Burgrückseite ein Fluss entlang.

Die anderen Spieler des LARP bauten vor dem Burgtor bereits das Lager auf. Rubys Blick schweifte über die Fahnen und Banner der einzelnen Teams, die überall an den Zelten gehisst wurden.

»Was hast du nach dem Frosch-Desaster dieses Jahr mitgebracht? Eine Katze?«, hörte sie Isabel spotten, die sich weiterhin mit Merlin stritt.

»Frösche sind als magische Begleiter genauso gut wie jedes andere Tier.« An die Geschichte, wie Merlin versucht hatte, seine Angst zu überwinden und der Frosch dann zufällig davongehüpft war, würde Ruby sich ewig erinnern. »Aber nein, du und Ruby seid mir Begleitung genug.«

»Moment mal … Ich stehe also auf der gleichen Stufe wie ein kleines, glitschiges, grünes Ding?«, hakte Isabel nach, die Stimme auf einmal eisig.

»Was? Ne… nein!«, widersprach Merlin verlegen. »Warum bist immer so bockig, Isabel? Und wenn überhaupt würde ich den Noob als meinen Schützling auswählen.«

»Jetzt bin ich also der Frosch«, seufzte Ben, blies dennoch die Wangen auf, als würde er quaken. Lachend kletterte Ruby die leichte Steigung hinab.

»Für einen Frosch bist du zu süß«, flirtete Isabel auf einmal mit Ben. »Da will man gleich testen, ob sich ein Prinz dahinter versteckt.« Auch Isabel steckte bereits halb in ihrer Spielfigur.

Doch Ben verharrte mitten in der Bewegung und ging dann weiter, ohne etwas zu erwidern. Brachte Isabel ihn etwa so sehr durcheinander?

Plötzlich geknickt ließ Ruby die Schultern hängen und zog die Cap tiefer ins Gesicht. Isabel besaß einfach diese Wirkung. Ein strahlendes Lächeln genügte und selbst Ben vergaß zu funktionieren. Ob Isabel und Ben …? Nein. Irgendwie wäre das komisch, bisher hatte Ben sich nie für Mädchen interessiert.

Bisher hatte er nie so auf Ruby reagiert.

Die beiden gehörten zu einer Gruppe von Gamern in ihrer Schule, die sich regelmäßig zum Spielen traf. Bis auf Laura, die Freundin von Kris, war Ruby das einzige Mädchen. Und die zählte nicht, da sie nur auftauchte, um an Kris festzukleben. Ruby hatte sich längst an die Sticheleien gewöhnt, dass Mädchen nicht richtig zocken konnten, obwohl keiner der Jungs den Fehler wiederholte, sie bei Autorennen zu unterschätzten. Lediglich Ben hatte sich nie mitreißen lassen, Ruby zu ärgern.

»Jetzt sind wir definitiv mitten im Nichts«, stellte Ben fest, als er zu den anderen aufschloss.

»Um genau zu sein, sind das die Sommerlande«, erzählte Merlin, doch Ruby unterbrach ihn sofort.

»Das erfahren wir früh genug.« Sie zückte ihr Smartphone aus ihrer Jeanstasche, aber das Netz blieb eingeschränkt. Kurzerhand schrieb sie eine Nachricht nach Hause, dass sie angekommen waren, und schaltete das Handy aus, ohne eine Antwort abzuwarten.

»Folgen wir also den Rauchzeichen.« Isabel wies auf die Burg, aus deren Mitte eine Rauchsäule emporstieg.

»Es gibt auch Indianer?«, scherzte Ben auf den letzten Metern bis zum Zeltplatz.

»Sehr lustig.« Merlin konnte es nicht lassen, Ben zu belehren: »Wie willst du als Indianer gegen einen Drachen kämpfen?«

»Die haben genauso Pfeile und Bogen wie andere Kämpfer.«

»Klugscheißer. Deren Rüstungswerte sind eine Katastrophe.«

»Gegen einen Drachen hilft die beste Ritterrüstung nichts«, warf Ben ein.

»Ist nur ein Unterschied, ob du mit oder ohne Dose gegrillt wirst«, beendete Ruby seinen Satz kichernd.

Kurz trafen sich ihre Blicke, worauf Ben breit grinste. Solche Diskussionen führten sie beim Zocken ständig, daher sollte Ben sich gut mit ihren Freunden verstehen.

Merlin antwortete mit einem gemurmelten Fluch, bevor er sie daran erinnerte, dass sie endlich einen Platz für die Zelte suchen sollten.

»Das erledige ich«, meinte Isabel verschwörerisch und zog Merlin mit sich, ehe dieser protestieren konnte.

Ben deutete auf die Freifläche vor ihnen. »Warum nicht einfach hier?«

Ruby erklärte ihm schnell, dass sie die kommende Woche zwar in freier Wildbahn übernachteten, der LARP jedoch halbwegs geordnet zuging. Damit die Kulissen funktionierten, wurden die Zelte in der Nähe der Burg aufgebaut. Nicht, dass jemand eine Aufgabe im Dunkelwald der ruhelosen Toten erfüllen musste und plötzlich über ein Lagerfeuer stolperte. Das würde die Illusion zerstören, die alle aufrechterhalten wollten.

Im Zeltlager angekommen geriet Ben endlich ins Staunen.

Dieses Jahr waren gut zweihundert Teilnehmer für den LARP angereist, die bereits ihre Zelte für das Spektakel dekorierten. Felle und gegerbtes Leder zierten die Unterkünfte, mehrere Gruppen hatten Rundzelte angefertigt, wie Ruby sie aus Rittergeschichten kannte. Dazwischen breiteten die letzten Teilnehmer in Alltagskleidung ihr Equipment aus. Handverzierte und oft aufwendig gestaltete Schwerter, Speere, Bögen, Schilde und Rüstungen wurden bestaunt und ebenso weiterverkauft.

Ruby winkte hier und da einem bekannten Gesicht zu, während sie die Zelte hinter sich ließ, und schwärmte erneut: »Bei einem LARP treffen nicht nur Verrückte aufeinander und spielen Ritter im Wald. Es ist wie ein riesiges Theaterstück. Jeder kann das sein, was er ausprobieren möchte, solange es zum Thema passt.«

Der Vorstellungskraft waren kaum Grenzen gesetzt und Ruby hatte sich sogleich in die Möglichkeiten verliebt: Ein zweites Ich zu erschaffen, das seine eigenen Abenteuer bestritt, war wie ihre Lieblingsbücher auszuleben. Nur viel, viel realer dank Sonnenbrand, Lagerfeuergeschichten und der bunten Truppe, die sich hier versammelte.

»Mist, dabei wollte ich so gerne ein Roboterkrieger sein«, warf Ben ein.

Ruby lachte laut auf, bevor die Worte nur so aus ihr herausflossen. »Das Schöne ist, niemand verurteilt einen für seine Träume, es ist mehr wie eine große Familie, die sich zu einem ganz besonderen Sommerfest trifft. Nur, dass wir in eine völlig andere Welt eintauchen.«

Erneut ließ Ben den Blick über die Ausrüstung der LARPler schweifen. »Bei all den Waffen, die hier rumliegen, gibt es also auch Kämpfe?«

»Im Endeffekt funktioniert es wie bei den Videospielen, die wir zocken.« Ben und Ruby waren eingefleischte Fans von Final Fantasy und der Tales-Reihe. »Spieler können sich herausfordern und gegeneinander antreten. Nur, dass du hier deine Schläge kurz vorher abbremst, niemand soll sich unnötig verletzen. Dafür musst du allerdings so tun, als hätte man dich getroffen.«

»Also jammernd am Boden liegen und sich den Arm halten?«

»Genau.« Ruby zeigte den Daumen hoch. Sie war sich sicher, dass Ben die Regeln schnell verinnerlichen würde. Wie man kämpfte, würde sie ihm noch zeigen. »Das wird lustig, glaub mir.«

Zwar nickte Ben, ein wenig Skepsis blieb jedoch. »Ich halte mich einfach an dich und lasse mich überraschen.«

»Lady Ruby achtet jederzeit auf ihre Mitstreiter.« Sie ballte die Hand zur Faust. »Du kannst unbesorgt sein.«

»Dann werde ich Eurer Führung vertrauen«, meinte Ben gespielt ernst und sah sich weiter um, als versuche er, so viele Details wie möglich zu erfassen.

Ruby bog scharf zwischen den Zelten ab, um den Kampfplatz in der Mitte zu kreuzen.

»He, Ruby!«, rief eine Männerstimme, und ein Hüne in einem Kettenhemd schritt auf sie zu, die Arme zur Begrüßung ausgebreitet.

»Hallo, Johann«, winkte Ruby.

»Wer ist das?«, fragte Ben leise, ohne dass Johann ihn hören konnte.

»Er hat uns in den letzten Jahren oft geholfen. Ein Freund von Merlins Onkel.«

Da hatte Johann sie bereits erreicht und zog Ruby in eine Umarmung. Ben war ihm völlig fremd, dennoch erhielt er einen kräftigen Schulterklopfer. »Wer ist dein neuer Freund, Lady Ruby?«

»Das ist Ben, wir gehen in die gleiche Klasse.«

Ben grüßte mit einem Nicken. »Nur Klassenkameraden? Ich dachte, wir sind das Powerhouse-Duo aus Albion Online?«, scherzte er und spielte dabei auf ihre Figuren in dem Game an, das sie zurzeit spielten.

Johann bemerkte sofort, dass Ben Rubys Koffer zog, und grinste schief. »Seid ihr zusammen?«

»Johann!«, rief sie laut aus. »So … so ist das nicht! Wir sind nur Freunde.«

Dennoch traute Ruby sich nicht, einen Seitenblick auf Ben zu werfen. Warum stritt er diese Annahme nicht genauso heftig ab wie sie?

Manchmal verglich sie ihre Freundschaft mit Ben mit einem Videospiel, dessen Cover sie schon seit einer Ewigkeit im Laden umkreist hatte, unsicher, ob es wirklich zu ihr passte. Doch gleich nach der Installation packte sie es so sehr, dass sie nicht mehr aufhören konnte.

Wenn Ben ihr die Möglichkeit bot, würde sie noch viel mehr über ihn erfahren wollen. Aber deswegen musste man sie nicht gleich für ein Paar halten, oder?

»Wie geht’s dir und Thea?«, wechselte Ruby abrupt das Thema.

»Gut!«, freute sich Johann. »Ich werde bald Stammesoberhaupt und gründe meinen eigenen Clan, wobei ich viel aufgeregter bin als mein Weib«, schmunzelte er. Ruby übersetzte für Ben, dass Johann heiraten und dazu Vater werden würde.

»Glückwunsch! Wisst ihr schon, was es wird?« Sie klatschte vor Freude in die Hände.

»Du wirst dich überraschen lassen, Ruby, ob es ein Cousin oder eine Cousine wird.«

»Schickst du mir eine Nachricht, wenn es so weit ist?«, bat sie.

Wie die meisten anderen LARPler stand Ruby mit vielen über das eigens eingerichtete Forum in Kontakt. Dort hatte sie auch die Fotos von Johanns und Theas Verlobung gesehen.

»Natürlich! Jetzt muss ich allerdings den Rest meiner Bande suchen, bevor sie ohne mich zum Burgfest aufbrechen. Ihr seid dieses Jahr spät dran, geht euch lieber gleich anmelden. Grüß Kaliandra und den großen Zauberer von …« Er stutzte kurz. »Ach du weißt, wen ich meine.« Damit stapfte er fort und verschwand bei der nächsten Gabelung hinter den Zelten.

»Cousine? Bist du mit ihm irgendwie verwandt? Und Kaliandra?«, fragte Ben verwirrt.

»Nein, nein.« Ruby schüttelte den Kopf. »Ich nicht, doch Lady Ruby ist mit seiner Figur, Johann Bärenbeißer, über drei Ecken verwandt.« Für sie klang das absolut verständlich, dennoch fürchtete sie, Ben zu verschrecken. »Kaliandra ist natürlich Isabel.«

»Also bist du mit Johann in einer Gilde?«

Ruby schüttelte den Kopf. »Die Weißen Raben sind meine Gilde«, verkündete sie stolz. »Wir haben eine Zeit lang mit Johann als Team gespielt, um als Neulinge nicht gleich angegriffen zu werden.«

»Macht Sinn«, kommentierte Ben. Er gehörte zu den wenigen, die sie immer verstanden, selbst wenn sie in Gamersprache verfiel.

Je weiter sie ins Zentrum vordrangen, desto öfter hielt Ruby an, um sich mit den anderen Spielern auszutauschen. Manche LARPler sahen sich nur einmal im Jahr, daher schwirrten überall Neuigkeiten herum. Vermutlich war Ben davon ausgegangen, dass sich bloß Teenager und Geeks versammelten, stattdessen waren da Studenten, Anwälte, Krankenschwestern und sogar ein Rentnerpaar. Umso mehr genoss Ruby diese Führung durch die bunte Meute.

»Du kennst wirklich jeden«, merkte Ben an und rieb sich die von jedem geschüttelte, gedrückte oder gar gequetschte Hand.

»Wie gesagt, meine Zweitfamilie. Meine echte würde nicht mal mitmachen, wenn ihr Leben davon abhinge.« Ruby rollte kurz mit den Augen, bevor sie sich besann, wie wenig Ben von ihren langweiligen Eltern wusste. »Auch hier gibt es mal Streit oder einen seltsamen Onkel, dem man lieber aus dem Weg geht. Trotzdem würde ich die kommenden Tage für nichts verpassen wollen.«

Außen, um das Zeltlager herum, wäre der schnellere Weg gewesen, denn nachdem sie alle Reihen abgesucht hatten, fanden sie den Rest ihrer Gruppe am Waldrand.

»Da seid ihr ja«, meinte Ruby, als sie ihre Freunde entdeckte.

Ben lud sogleich ihre Taschen neben Merlins gewaltigem Koffer ab.

»Das könnte ich so zurückgeben. Was hat euch aufgehalten?«, erwiderte Merlin, der gerade die Einzelteile seines Zelts am Boden ausbreitete.

»Willkommensrituale«, fasste Ruby zusammen, als sie ihr Gepäck abstellte.

Merlins dunkle, fast schwarze Haare waren seit ihrem letzten Treffen ein weiteres Stück gewachsen. Damit sie ihm beim Aufbau nicht ins Gesicht fielen, hatte er sie zu einem Mini-Zopf nach hinten gebunden. Ruby würde ihn wohl beiseitenehmen und erklären müssen, dass dies sogar bei Fußballstars eigenartig aussah.

»War sonst nichts mehr frei?«, fragte sie an Merlin gewandt.

»Nur direkt an der Burg, doch ich habe darauf bestanden, dass wir Schlaf brauchen. Die werden wieder bis zum Morgengrauen feiern. Ein kleiner Kreis rund um Peter wäre die andere Alternative gewesen.« Merlin hockte im Gras und hantierte mit den Querstangen herum, die nicht in die Bahnen und Schlaufen passen wollten.

»Der etwas seltsame Onkel«, erklärte Ruby, als Ben nur fragend dreinblickte.

Merlin schnaubte. »Seltsam ist noch gnädig.«

»Das möchte ich jetzt genauer wissen«, hakte Ben nach und ließ sich ins Gras fallen.

Merlin hielt kurz inne, da seine Versuche eh nichts brachten. »Peter geht in seiner Figur völlig auf. Dabei hat der LARP feste Zeiten, in denen das Spiel stattfindet, also wir uns mit den Rollennamen ansprechen und nichts Modernes erwähnen. Genauso gibt es Situationen, in denen wir das nicht beachten müssen. Peter sieht das allerdings anders. Wenn er nachts verdächtige Geräusche hört, stürmt er laut brüllend aus seinem Zelt, weil er glaubt, er wird von Wegelagerern überfallen. Letztes Jahr ist er nackt durch das Zeltlager gerannt und schrie: ›Zu den Waffen!‹«

»Diese Erinnerung hat sich tief in mein Gedächtnis gebrannt«, merkte nun auch Isabel an, die aus ihrem komplett fertig aufgebauten Zelt herausstieg. Dieses Jahr hatten sich die Mädchen für ein Tarnnetz aus Blättern und Gras entschieden, damit ihr Lager für die nächste Woche einer Hobbithöhle ähnelte.

»Wer könnte Peter vergessen?«, lachte Ruby. Sie würde sich später bei Isabel für den Aufbau ihres gemeinsamen Schlafplatzes bedanken.

Anstatt eine Lösung für seinen Stangenhaufen zu finden, sah Merlin auf. »Wie hast du das wieder hinbekommen? Ich wollte das beste Kostüm haben!«

»Was denn?« Isabel zupfte ihre blonde Pixiefrisur zurecht, sodass ihre Haare wie windgepeitscht abstanden. »Eifersüchtig?«

Für ihre Figur Kaliandra entwarf Isabel regelmäßig neue Kostüme. Diesen Sommer hatte sie einen knielangen Rock aus mehreren Lagen grüner und schwarzer Spitze angefertigt, der so gefasst war, dass der Mittelschlitz überraschend hoch endete. Unter der bauchfreien Minikorsage aus weichem Leder trug sie ein dunkles schulterfreies Rüschenoberteil. Passende braune Schnürstiefel und Handschuhe, die aus Lederstücken gewickelt waren, rundeten ihr Outfit ab.

Wie immer würden alle männlichen Spieler Isabel hinterhersehen, dennoch sollte niemand sie unterschätzen. Denn an ihrem Rücken versteckte sie einen Waffengürtel für mindestens vier Wurfmesser.

»Sorry, Zwerg, dagegen kommst du nicht an«, staunte Ben und betrachtete Isabel ausgiebig.

Solche Blicke wünschte Ruby sich ebenfalls. Nicht von allen anwesenden Kerlen hier, aber wenigstens von einigen. Oder zumindest von einem bestimmten.

»Ach, halt die Klappe, Noob.«

Noch schienen die Wortgefechte friedlich abzulaufen, umso mehr hoffte Ruby, dass Isabel und Merlin sich mit Ben anfreunden würden.

Mit einer eleganten Bewegung ging ihre Freundin vor Merlin in die Hocke und deutete auf sein Debakel. »Langsam solltest du Übung haben, großer Zauberer.«

»Du hast deine Einzelteile nummeriert, niemand ist so schnell.«

Isabel hatte keine halbe Stunde gebraucht, um das Zelt aufzubauen, alles zu verstauen und sich komplett umzuziehen. Das war eindeutig ein neuer Rekord.

»Und?«, spottete Isabel. »Warum kam der große Taktiker nicht auf diese Idee?«

Merlin schob eine andere Zeltstange in die Bahn, doch die war viel zu kurz und verschwand im Stoff.

»Punkt geht an Isabel«, verkündete Ben, der sich unbeschäftigt am Rand aufhielt. Die Hände in die Taschen vergraben, wirkte er ein wenig verloren.

»Seit wann werden jetzt schon Punkte gezählt?«, beschwerte sich Merlin. Mit einem Klappern feuerte er das Gestänge zu Boden.

Ruby machte sich daran, Koffer und Rucksack in ihr Zelt zu stopfen. Das Futteral mit ihrem LARP-Schwert legte sie dagegen so zärtlich ab, als bestände es aus Glas.

Zum Schluss feuerte sie ihre Cap auf den Haufen und wuschelte sich durch die langen braunen Locken. Warum ärgerte sie es nur so sehr, dass Ben Isabels Kostüm bewundert hatte? Er war gewiss nicht der Einzige, der dies an diesem Wochenende machen würde.

»Ich kann dir helfen«, bot Ben derweil Merlin an.

»Mach das mal.« Isabel erwartete Ruby mit einem breiten Grinsen und zog sie sofort mit sich, als sie aus dem Zelt kletterte. »Wir zwei Hübschen gehen unser Team anmelden. Krempel die Ärmel hoch und bau dein Zelt mit einer Beschwörung zusammen, Zauberer, sonst schläfst du im Freien.«

Merlins zorniges Fluchen verfolgte sie noch eine Weile lang.

»Ich bin nicht hübsch«, protestierte Ruby, als sie außer Hörweite waren.

»Blödsinn.« Isabel knuffte sie in die Seite. »Ben werden die Augen ausfallen, wenn er erst dein anderes Ich sieht.«

»Sicher nicht!«

Statt einer Erwiderung lachte Isabel nur. »Wenn du meinst. Ob Merlin unter den Sternen schlafen muss, oder kriegt dein Ben das hin?«

»Er ist nicht mein Ben«, wehrte Ruby ab. »Außerdem ist es fies, was du abziehst. Deine Eltern haben dich von klein auf zum Zelten mitgenommen, du würdest das sogar mitten in der Nacht, ohne Taschenlampe und mit zusammengebundenen Händen schaffen.«

»Das werde ich Merlin nicht unter die Nase reiben. Er kann auch mal die niederen Tätigkeiten verrichten.«

»Auch wieder wahr.«

Ruby entgingen die Blicke nicht, die Isabel auf sich zog, während sie durch das Zeltlager auf die Burg zumarschierten. Noch pfiff keiner der Männer ihr hinterher, lange konnte es allerdings nicht mehr dauern. Ruby hätte nie gedacht, dass auch Ben in diese Kategorie fiel, aber Isabels Verwandlung war regelrecht magisch.

»Meinst du nicht, dein Outfit ist zu gewagt?« Ruby wollte nicht wie eine besorgte Erwachsene klingen, nur überwogen bei ihr die schlechten Erfahrungen mit Jungs.

»Das ist ein Test, falls ich ein paar Abänderungen nähen muss.« Isabel blickte prüfend an sich herunter und strich erneut die Spitze glatt. »Kann ich damit laufen, kämpfen, tanzen …?«

Rubys Frage hatte sie damit nicht beantwortet. Doch Isabels Selbstsicherheit gründete darauf, dass sie sich ihrer Wirkung bewusst war.

»Du willst nur herausfinden, wie viel Aufmerksamkeit du bekommst«, meinte Ruby und stieß sie in die Seite.

»Vielleicht auch das.«

»Soll ich aufpassen, dass dir keiner dumm kommt?«, hakte Ruby nach. Immerhin gab ihre Freundin immer auf sie acht.

Isabel winkte sogleich ab. »Ach, ich flirte nur ein bisschen. Alles ganz harmlos.«

Durch einen Torbogen im Burgwehr gelangten sie in den Innenhof. Die Flagge der Organisatoren flatterte am höchsten Turm, und an den Mauern waren überall die Banner der einzelnen LARP-Gruppen befestigt. Das Banner der Weißen Raben steckte zusammengerollt an Isabels Gürtel, bereit zur Ablieferung. Merlin hatte ihr Logo entworfen und die beiden Mädchen hatten es zusammengenäht. Sie mochten die Symbolik dahinter, weiße Raben repräsentierten diejenigen, die ein bisschen anders waren.

Mit dem nächsten Schritt betrat Ruby das Schloss eines fantastischen Königreichs. Wimpelgirlanden spannten sich zwischen Fachwerkhauswänden, die langen Tische für die kommende Eröffnungsvorstellung waren bereits aufgebaut und die Bühne am anderen Ende wurde mit Schilden, ausgestopften Drachenköpfen und Sommerblumen verziert.

Zwar handelte es sich nur um Dekoration, doch Ruby geriet ins Staunen. An keinem anderen Ort fiel es ihr so leicht, sich an den Schauplatz ihres Lieblingsbuchs zu träumen wie hier. Obwohl es letzten Endes nur ein Spiel war, fühlte es sich fast real an. Als wäre sie für die nächsten Tage wirklich Bewohnerin der Sommerlande.

Ruby und Isabel hielten sich rechts und stiegen über eine knarrende Holztreppe hinauf in den Raum für die Anmeldung. Im Verlauf des LARP saßen dort immer Ansprechpartner und halfen bei Unstimmigkeiten aus. Vorbei an den Aushängen mit Angeboten für allerlei Rüstungsteile und Gewänder sowie Werbeflyern für Pen-&-Paper-Treffen stellten die beiden sich vor einem mit Zetteln überfüllten Tisch auf.

»Hallo, ihr zwei«, grüßte der Helfer hinter seinem Laptop und betrachtete sofort Isabel genauer. »Geniales Kostüm, Kaliandra!«

Isabel antwortete mit einem verschmitzten Grinsen und händigte ihm die Teamflagge aus.

»Hey.« Ruby reichte dem Helfer ihre Anmeldebestätigung und die Charakterbögen mit den Statuswerten. »Ich bin die Sprecherin der Weißen Raben. Dieses Jahr mit dabei sind Lady Ruby als Teamführerin, Kaliandra und der große Zauberer von …«

Bevor sie einen Knoten in der Zunge riskierte, um Merlins Figurennamen auszusprechen, wurde Ruby unterbrochen.

»Hängst ja immer noch mit den gleichen Leuten rum«, spottete plötzlich eine Stimme dicht hinter ihr.

Ruby ballte die Hände zu Fäusten und stierte stur an die nächste Wand. Natürlich musste sie auf Henrik treffen. Natürlich direkt am ersten Tag.

Oft genug hatte sie sich in den letzten Wochen ausgemalt, wie dieses Wiedersehen ablaufen würde. In den guten Vorstellungen hatte sie ihn vor sich im Staub kriechen lassen. In den schlechten fühlte sie sich genauso verletzt, klein und erniedrigt wie in diesem Moment. Allein der Klang seiner Stimme ließ die Erinnerungen und all ihre Fragen erneut aufleben. Wie hatte er letztes Jahr nur diese Seite an ihr herausgekitzelt?

»Anders als du weiß Lady Ruby, was sie an ihren Mitstreitern hat«, feuerte Isabel zurück und stellte sich vor ihre Freundin. Sie bildete für Ruby einen Schutzwall, hinter dem sie sich halbwegs sicher fühlte.

Henrik war ein bisschen größer als Ben, doch im Gegensatz zu dessen Wuschellook trug er seine dunklen Haare kurz geschnitten. Wie sehr war sie damals seinen hohen Wangenknochen und dem stechenden Blick seiner eisblauen Augen verfallen … Obwohl sie sich ein Jahr lang weder gesehen noch gesprochen hatten, ließ das Wiedersehen ihr Herz schneller schlagen.

Jedoch bereitete es ihr genauso Magenschmerzen.

»Das zeigt nur, dass deine teure Lady Ruby genauso dumm ist wie letztes Jahr.« Henrik feixte selbstgefällig, der Handlanger in seinem Schatten imitierte ihn sogleich. »Sonst hätte sie sich längst ein besseres Team zusammengestellt.«

Ruby knirschte mit den Zähnen und schwieg beharrlich, bevor das Gespräch hässlich endete. Schließlich war ihre Gruppe angereist, um eine Woche lang Spaß zu haben.

»Wer das bessere Team ist, könnt ihr gerne während des LARP feststellen«, ging der Helfer dazwischen. »Fair und ehrlich.«

»Falls du die Wörter überhaupt kennst«, zischte Isabel.

Darauf schritt Henrik lieber ins Freie. Sein piratenähnlicher Kapitänsmantel wehte hinter ihm her – Henrik brauchte stets einen großen Auftritt. Sein Handlanger hingegen durfte sich allein um den Papierkram für die Anmeldung kümmern.

»Idiot«, murmelte Isabel, bevor sie tröstend nach Rubys Hand griff. »Alles in Ordnung?«

»Ja, glaub schon.«

Sie würde Henrik irgendwie aus dem Weg gehen müssen. Dieses Jahr würde er ihr nicht den LARP vermiesen. Auf gar keinen Fall.

Anstatt zurück ins Lager zu gehen, zog Isabel Ruby mit sich. Schwerfällig trottete sie ihrer Freundin hinterher, die an den Türen der Galerie rüttelte, bis sie eine unverschlossene fand. Mit einem Schubs fand Ruby sich im Halbdunklen wieder, eingequetscht von Kisten, Erste-Hilfe-Koffern und einem Arsenal Funkgeräte der Organisation.

»Alles okay?«, fragte Isabel erneut.

»Nein.«

Ruby schlang die Arme um ihre Mitte, als würde ihr dies mehr Halt geben.

Ein Jahr war vergangen, seitdem sie Henrik das letzte Mal gesehen hatte, und doch tat es immer noch weh. Ruby hätte nicht gedacht, nie geglaubt, dass er sie weiterhin so aufwühlen konnte.

»Du hattest recht und ich lag falsch«, seufzte Ruby. »Er wird mich nicht einfach in Ruhe lassen.«

Isabels Seufzer war Antwort genug. Die zwei Jahre, die sie voneinander trennten, hatten bereits einige Ecken und Kanten bei ihrer Freundin hinterlassen. Wenn Isabel aus Erfahrung sprach, hoffte Ruby naiverweise auf einen glücklicheren Ausgang.

»Tut mir leid.« Sanft manövrierte Isabel Ruby in Richtung Tische, bis sie beide auf der Kante Platz nahmen, und legte ihr einen Arm um die Schultern. Ruby, die sich so gerne stark und wie eine Anführerin gab, lehnte den Kopf an die Schulter ihrer Freundin. Sogleich zogen Isabels Finger federleichte, beruhigende Kreise über Rubys Oberarm.

Die ersten Wochen nach dem letzten LARP hatte Ruby um das Aufrechterhalten ihrer Fassade gekämpft. Abgesehen von den Spielern vor Ort ahnten die wenigsten, wie die Veranstaltung zwischen Henrik und ihr ausgegangen war, und daran wollte Ruby nichts ändern. Es war hart gewesen, sich fröhlich und unbeschwert zu geben, während sie sich gleichzeitig fragte, wen die Schuld traf und welche Fehler sie hätte vermeiden können.

Oder war es von vorneherein Henriks Plan gewesen, sie erst auf seine Seite zu ziehen, um sie dann fallen zu lassen? Eine Antwort hatte sie nie erhalten, nur Beleidigungen und Vorwürfe.

Der Abstand und der fehlende Kontakt hatten jedenfalls geholfen, die Erfahrung mit Henrik beiseitezuschieben. Vergessen würde sie es nie, doch spätestens mit dem Beginn des neuen Schuljahres hatte sie genug Ablenkung gehabt.

Isabel hatte ihr stets zugehört und beigestanden und letzten Endes hatte Ruby den vergangenen Sommer so weit wie möglich aus ihrem Bewusstsein verbannt.

Sie hatte sich immer wieder gesagt, gar geschworen, dass sie über Henrik hinweg sein würde, wenn der nächste LARP startete. Es hatte Wichtigeres, Schöneres, Lustigeres in ihrem Leben gegeben als diesen einen Tag, an dem Ruby sprichwörtlich explodiert war, Henrik ihr das heimgezahlt und Ruby mit doppelter Münze abgerechnet hatte. Es erschreckte Ruby immer noch, wie dieser eine Streit zwischen ihnen eskaliert war. Als hätte jemand anderes, Zorniges von ihr in diesem Moment Besitz ergriffen.

»Henrik ist der dickköpfigste Mensch, den ich kenne«, versuchte Isabel zu scherzen. »Dabei zähle ich Merlin zu meinen besten Freunden und kenne seine Sturheit nur zu gut.«

Ruby schaffte zumindest ein schwaches Lächeln.

Sie hatte seinen blinden Ehrgeiz unterschätzt und sich blenden lassen.

Ehrgeiz bestimmte und definierte Henrik.

Im Nachhinein hatte Ruby sich oft gefragt, wie viele von Henriks Geschichten der Wahrheit entsprachen. Demnach war er der mittlere von drei Brüdern: noch nicht alt genug, um an die Auszeichnungen des Älteren heranzureichen, doch zu alt, um die gleiche Aufmerksamkeit wie das Nesthäkchen zu erhalten. Wie hatte Henrik es ihr einst erzählt? All das Talent in seiner Familie schien an seine Brüder gegangen zu sein. Während der ältere dabei war, der erste Violinist eines berühmten Orchesters zu werden, gewann sein kleinerer Bruder einen Kampfsportwettkampf nach dem anderen.

Weniger Beachtung zu erhalten, hatte stets an seinem Ego gekratzt, in ihm einen Zorn anwachsen lassen, mit dem Ruby nie gerechnet hätte. Bis er den LARP entdeckte und die Möglichkeit, sich über alle zu erheben. Hier konnte er glänzen, hier konnte er bestimmen, ohne sich seinen begabteren Brüdern unterordnen zu müssen.

»Wie wir alle kompensiert er nur etwas damit«, schloss Ruby. »Auch wenn sein Ehrgeiz, unbedingt gewinnen zu wollen, ihm mehr Feinde einbringt als Freunde.«

Ruby legte beim LARP ihre Unsicherheit ab, Isabel sprengte die Ketten all der Verpflichtungen, die sie sonst bewältigte, und Merlin machte keinen Hehl daraus, einfach nur er selbst zu sein, ohne deswegen gemobbt zu werden.

»Richtig«, erwiderte Isabel und es klang ein wenig wie Lob. Selbst Ruby, ihre Freundin und auch Merlin hatten mit Schüben von Ehrgeiz und Erfolgsdrang zu kämpfen, aber jeder von ihnen besaß einen Vertrauten, der ihn sofort wachrüttelte. Hör auf, Ruby, das ist es nicht wert, war Isabels Antwort gewesen, nachdem Henrik ihnen Rache geschworen hatte.

»Dennoch«, fuhr Isabel fort, »sollte dies keine Ausrede für sein Verhalten sein. Wie lange wart ihr eben im gleichen Raum? Zwei Minuten?«

Ruby fühlte sich furchtbar, bereits jetzt emotional ausgelastet, dabei hatten sie den Stress und die langen, anstrengenden Stunden des LARP noch vor sich.

Ohne Vorwarnung piekte Isabel sie in den Oberarm. »Du kannst ruhig zugeben, dass du noch verletzt bist.«

Ihre Freundin kannte sie zu gut.

»Ich bin nur nicht so eiskalt, ihm ins Gesicht zu lächeln und so zu tun, als wäre nie was passiert. Ich hab mich so mies und furchtbar verhalten …«

»Und er auch«, erinnerte Isabel prompt. »Wobei Henrik weniger Gewissensbisse hegt.«

»Das weiß ich doch. Es ist so schrecklich kompliziert.« Ruby setzte sich auf und suchte den Blick ihrer Freundin. »Aber da ist nichts mehr zwischen uns. Selbst wenn er sich komplett geändert hätte und sich ehrlich und anständig bei mir entschuldigen würde, wäre da nichts mehr.«

Isabel ließ ihre Feststellung unkommentiert. Stattdessen glitten ihre Finger durch Rubys Haar, um es dann zu einem französischen Zopf zu flechten.

Dieses kleine, eingespielte Ritual beruhigte Ruby mehr, als sie es sich hätte vorstellen können.

Wäre ihre Freundin ein Buch, dann mit Sicherheit der nächste Fantasy-Bestseller, der mittig im Schaufenster präsentiert wurde. Niemand würde daran vorbeigehen können, ohne die schön verzierte Aufmachung zu bestaunen, und auch der Inhalt überzeugte. Bei Isabel war Ruby nie sicher, was sie auf der nächsten Seite erwartete.

Doch ihre Freundin war für sie noch viel mehr. Selbst wenn sie einen langweiligen, einfarbigen Einband tragen würde, wenn Ruby sie bräuchte, würde Isabel sie nie enttäuschen. Isabel würde bereitwillig mit ihr die Geheimnisse zwischen den Zeilen teilen und mit Rat und Unterstützung aufwarten.

»So, fertig.« Isabel beäugte ihr Werk skeptisch, ehe sie eine wilde Strähne mit einer Haarnadel befestigte. »Genug über den dunklen Schatten des letzten Sommers geredet. Sprechen wir über deinen Neuen.«

»Neuen?«, echote Ruby verwirrt.

»Na, Ben!«, freute Isabel sich und steckte ihre Styling-Utensilien in ein Geheimfach ihres Kostüms.

»Aber er …« Ruby stutzte und setzte neu an. »Er ist nicht mein Neuer. Er ist … da ist nichts zwischen uns!« Wieso dachten das alle? Selbst Isabel.

»Ach.« Sie stupste Ruby auf die Nase. »Das wird keine neue Tradition, dass deine Lady Ruby jedes Jahr einen neuen Ritter mitbringt?«

Ruby runzelte die Stirn. »Ich kann mich sehr gut selbst verteidigen und brauche keinen Beschützer.«

»Was nicht heißt«, lachte Isabel, »dass ein Mädchen sich nicht ab und zu von einem starken, gut aussehenden Beschützer aushelfen lassen kann.«

»Kaliandra!« Das sagte Isabel nur, um sie zu ärgern. Einen anderen Grund konnte sie nicht hegen, oder doch? »Wenn Ben das hört, versteht er das nur falsch.«

»Dann hast du nichts dagegen, wenn ich dieses Jahr einen Beschützer habe?«, hakte Isabel nach.

»Das hab ich nicht gesagt!«

Daraufhin sprang Isabel vom Tisch auf. »Also hegst du sehr wohl Besitzansprüche.«

»Ich … also … ich … Nein, das tue ich nicht.« Eigentlich machte es keinen Unterschied, was sie sagte. Isabel hatte sich ihre Meinung gebildet und damit würde sie sie necken. Besonders, da Ruby in Isabels Nähe selten vorsichtig war. Sie sprach einfach aus, was sie dachte, selbst wenn dies nicht überdacht war. Wieso sollte sie Besitzansprüche auf Ben hegen? Das war absurd.

»Ich beurteile nur, was ich sehe, Ruby.«

Sofort ging Ruby in die Defensive und schritt zügig auf die Tür zu. Vielleicht würde Isabel draußen das Thema fallen lassen. »Ich hab Ben gefragt, damit er das Team verstärkt. Mehr ist da nicht.«

Isabel stellte sich ihr jedoch in den Weg und schüttelte gespielt tadelnd einen Finger. »Du hast einen Jungen aus deiner Klasse gefragt, von dem ich zuvor noch nie ein Wort gehört habe, mit dem du dich aber so mühelos verstehst, als würdet ihr euch jahrelang kennen.«

Ihr selbstzufriedenes Grinsen sprach Bände.

»Er ist bloß ein Freund«, beharrte Ruby. Dennoch wich sie Isabels Blick aus, während sie an ihr vorbeieilte.

»Bloß ein Freund«, echote Isabel direkt hinter ihr. »Soso.«

2. Kapitel

»Fertig sieht definitiv anders aus«, stellte Ruby fest, als sie mit Isabel zu ihrem Zeltplatz zurückkehrte. Immerhin besaß Merlins Zelt nun die richtige Grundform, selbst wenn eine Stange quer nach oben herausragte. Merlin betrachtete sein Werk so konzentriert, als müsste er dafür Planetenumlaufbahnen berechnen.

»Ihr habt eine Ewigkeit gebraucht«, murrte er.

»Ach, es gab eine Schlange bei der Anmeldung«, meinte Isabel schnell, bevor Ruby antworten konnte. Daher gab sie sich Mühe, kein betroffenes Gesicht zu zeigen.

»Jemand Bekanntes getroffen?«, hakte Merlin trotzdem nach.

»Nur die üblichen Verdächtigen.«

Merlin verengte die Augen einen Moment zu Schlitzen, als er den Hinweis verstand. »Muss echt langweilig gewesen sein, wenn Isabel Zeit hatte, dir eine andere Frisur zu verpassen.«

Schnell suchte Ruby eine Ablenkung, ihr Blick fiel auf das ordentlich aufgebaute Zelt neben Merlins Chaosprojekt. »Aber Ben hat es geschafft.«

Tatsächlich saß er vorm Eingang seines Zeltes und tippte auf seinem Tablet herum. Nur kurz blickte er auf und meinte: »Der große Zauberer hat meine Unterstützung verschmäht.«

Ruby schenkte ihm ein Lächeln und beugte sich über ihn, um zu sehen, was er spielte. Zu ihrer Überraschung las Ben ein Buch, doch er drehte rasch das Display von ihr weg.