Dem Vater zugesprochen - Aliza Korten - E-Book

Dem Vater zugesprochen E-Book

Aliza Korten

5,0

Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie wird die von allen bewunderte Denise Schoenecker als Leiterin des Kinderheims noch weiter in den Mittelpunkt gerückt. Neben den alltäglichen Sorgen nimmt sie sich etwa des Schicksals eines blinden Pianisten an, dem geholfen werden muss. Sie hilft in unermüdlichem Einsatz Scheidungskindern, die sich nach Liebe sehnen und selbst fatale Fehler begangen haben. Dann wieder benötigen junge Mütter, die den Kontakt zu ihren Kindern verloren haben, dringend Unterstützung. Denise ist überall im Einsatz, wobei die Fälle langsam die Kräfte dieser großartigen Frau übersteigen. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. Der Sophienlust Bestseller darf als ein Höhepunkt dieser Erfolgsserie angesehen werden. Denise von Schoenecker ist eine Heldinnenfigur, die in diesen schönen Romanen so richtig zum Leben erwacht. Eintönig ratterte der Zug durch die Nacht. Im Schlafwagenabteil war die Luft stickig. Dr. Tobias Wolter lag hellwach auf dem schmalen Bett und ließ sich durchrütteln. Nicht nur die Unbequemlichkeiten dieser endlosen Fahrt nach Rom hielten ihn wach. Er dachte an Mark. Würde sein elfjähriger Sohn sich mit Irma Hollweg während seiner Abwesenheit vertragen? Dr. Wolter hatte Irma das Versprechen abgenommen, daß sie sich bemühen wolle, Mark eine gute Mutter zu sein. Leider hatte der Junge sich bis jetzt ziemlich reserviert Gegenüber Irma verhalten. Ach, sie werden sich schon zusammenraufen, wenn ich nicht da bin, tröstete er sich. Mark ist noch ein Kind und wird sich mit der neuen Lage bald abfinden. Schließlich kann ich es nicht ändern. Es ist nun einmal so. Dr. Tobias Wolter war vor wenigen Wochen von Marks Mutter, Christiane Wolter, geschieden worden. Er, Jurist und Spezialist für internationales Recht, hatte Wert darauf gelegt, daß die Scheidung ohne Komplikationen über die Bühne ging. Christiane wollte unbedingt in ihren früheren Beruf als Schauspielerin zurückkehren. Sie hatte schon früher oft davon gesprochen und nun Ernst gemacht. Die Begegnung mit dem amerikanischen Regisseur Jim George gab den Ausschlag.

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Leseprobe: Bill Regan in Not!

Brenda Duffy stand auf. Sie warf ihrem Mann einen vernichtenden Blick zu und schüttelte den Kopf. »Mein lieber Pat, ich dachte, du wolltest reden? Hat dich der Mut verlassen?« »Nein, mich hat keineswegs der Mut verlassen. Mich zerreißt es innerlich. Ich habe Bill geschworen, niemandem etwas zu erzählen. Er hat Angst. Ja, ich gestehe, mir ist es auch nicht wohl dabei. Zu viele Cottages in Culraid sind abgebrannt. Alle sagen, es kann nur Brandstiftung gewesen sein.« »Unser Haus mit dem Pub ist eines der ältesten Häuser im Dorf. Es war immer im Besitz der Duffys. Ich habe meinem Großvater und meinem Vater vor ihrem Tod geschworen, dass ich alles tun werde, es für künftige Generationen zu erhalten.« Brenda rollte die Augen. »Pat Duffy, höre mit der alten Geschichte auf! Wenn es so weitergeht mit Culraid, dann steht viel mehr auf dem Spiel. Dann wird es nichts Altes und Schönes mehr geben. Dem Himmel sei Dank, dass Cameron aus Schottland herübergekommen ist. Er ist der Einzige, der hier wieder Ordnung schaffen kann.

Sophienlust (ab 351) – 405 –

Dem Vater zugesprochen

Aber mein treuer Freund muss mit!

Aliza Korten

Eintönig ratterte der Zug durch die Nacht. Im Schlafwagenabteil war die Luft stickig. Dr. Tobias Wolter lag hellwach auf dem schmalen Bett und ließ sich durchrütteln. Nicht nur die Unbequemlichkeiten dieser endlosen Fahrt nach Rom hielten ihn wach. Er dachte an Mark.

Würde sein elfjähriger Sohn sich mit Irma Hollweg während seiner Abwesenheit vertragen? Dr. Wolter hatte Irma das Versprechen abgenommen, daß sie sich bemühen wolle, Mark eine gute Mutter zu sein. Leider hatte der Junge sich bis jetzt ziemlich reserviert Gegenüber Irma verhalten.

Ach, sie werden sich schon zusammenraufen, wenn ich nicht da bin, tröstete er sich. Mark ist noch ein Kind und wird sich mit der neuen Lage bald abfinden. Schließlich kann ich es nicht ändern. Es ist nun einmal so.

Dr. Tobias Wolter war vor wenigen Wochen von Marks Mutter, Christiane Wolter, geschieden worden. Er, Jurist und Spezialist für internationales Recht, hatte Wert darauf gelegt, daß die Scheidung ohne Komplikationen über die Bühne ging. Christiane wollte unbedingt in ihren früheren Beruf als Schauspielerin zurückkehren. Sie hatte schon früher oft davon gesprochen und nun Ernst gemacht. Die Begegnung mit dem amerikanischen Regisseur Jim George gab den Ausschlag. Mit ihm wollte Christiane in eine neue Zukunft blicken, sich künstlerisch verwirklichen, wie sie das gern nannte. –

Der Reisende stand seufzend auf und schob den Vorhang am Fenster ein Stück zur Seite. Draußen war kaum etwas zu erkennen, doch der Himmel wurde bereits heller. Der Morgen kündigte sich an. Gegen zehn Uhr würden sie Rom erreichen. Hier sollte Dr. Wolter an einer Konferenz für internationales Recht teilnehmen. Eine anstrengende Arbeitswoche lag vor ihm.

Trotzdem mußte er jetzt wieder an Mark denken, an seinen kleinen Jungen, den er von Herzen liebte. Würde Irma am Abend in sein Zimmer gehen und mit ihm beten? Ob Mark das überhaupt wünschte? Hätte er als Vater diese Einzelheiten vorher klären sollen?

Zu spät fielen ihm diese Dinge ein.

Ich werde anrufen und mich erkundigen, wie sie miteinander auskommen, nahm er sich vor.

Schließlich legte er sich wieder hin, um bis zur Ankunft in Rom wenigstens noch eine Weile zu ruhen.

*

Während Tobias Wolter im Expreßzug gen Süden rollte, stand Christiane übermüdet und nervös im Studio vor der Fernsehkamera. Es roch nach kaltem Zigarettenrauch und frischem Kaffee. Jim George war dafür bekannt, daß er am liebsten nachts drehte. Dann werde man nicht gestört, behauptete er. Es ging um die Schlüsselszene des neuen Stückes, in dem Christiane ihre erste Hauptrolle spielte. Schon elfmal war die Klappe zusammengeschlagen worden. Nie war Jim George zufrieden gewesen.

»Auf ein Neues, Freunde!« knurrte er und drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. »Die Beleuchtung bitte etwas weiter nach oben. Das Licht ist zu hart. Und du, Christiane, mußt dich ein bißchen zusammenreißen, damit du dich nicht versprichst. Ist doch kein Kunststück, die wenigen Sätze fehlerfrei zu sagen. Vergiß nicht, daß du den Hauptmann leidenschaftlich geliebt hast und ihn jetzt umbringen willst. Es muß dem Publikum kalt den Rücken herunterrieseln, wenn sie dich sehen und hören, kapiert?«

»Natürlich, Jim.« Christiane gähnte verstohlen, während die Maskenbildnerin ein paar Korrekturen an der Schminke in ihrem Gesicht vornahm.

Auch der zwölfte Versuch schlug fehl. Christiane war mit den Nerven am Ende. Sie begann hysterisch zu weinen.

»Ich habe genug«, schrie sie zornig. »Was ist das für eine Art, stundenlang in der Nacht zu drehen? Wir sind allesamt erschöpft. Willst du nicht endlich aufhören, damit wir ins Bett gehen können? Wir sind schließlich nicht deine Sklaven, Jim.«

Der schlanke Amerikaner lächelte, dabei kamen eine Reihe tadellos weißer Zähne zum Vorschein. »Darling, reiß dich zusammen. Jetzt bist du genau in der richtigen Verfassung für die große Szene. Dreizehn war schon immer meine Glückszahl. Wir sind hier nicht zu unserem Vergnügen versammelt, sondern um einen erstklassigen Film zu machen.«

Der Regisseur ließ sich grundsätzlich von keinem Menschen in seine Arbeit hineinreden. Die dreizehnte Klappe fiel – und tatsächlich war er diesmal mit dem Resultat einverstanden.

»Schluß für heute, Kinderchen«, verkündete er, mit sich und seiner

Arbeit zufrieden. »Legt euch aufs

Ohr und ruht euch aus. Wir fangen Punkt dreizehn Uhr wieder an. Ihr wißt ja, ich hab’s nun mal mit der Dreizehn.«

Christiane schminkte sich kurze Zeit später ab und zog ihr Kostüm aus, das die Garderobiere sorgsam aufhängte. Jetzt klopfte es an ihrer Tür, und Jim trat ein, bereits im Trenchcoat, die Wagenschlüssel in der Hand.

»Fertig, Darling? Ich fahre dich ins Hotel.«

»War ich wenigstens gut?« fragte sie noch ganz außer Atem und ließ sich von ihm küssen.

Er hob die Schultern. »Ich denke schon, Christiane. Aber man sieht erst zum Schloß, wenn alles zusammengeschnitten ist, wie es geworden ist. Deine wütende Verzweiflung war echt und nicht gespielt. Das ist immer von Vorteil.«

»Du bist ein Ekel und Tyrann«, beklagte sie sich.

»Das wird von den meisten guten Regisseuren behauptet«, erwiderte er selbstgefällig. »Kommst du?«

Er brachte die Frau auf dem kürzesten Wege in das bescheidene Hotel, in dem sie sich eingemietet hatte. »Soll ich dir oben noch einen Kaffee kochen?« bot sie ihm an und lächelte.

»Danke, nein. Ich bin sehr müde, Darling. Halb eins hole ich dich wieder ab. Dann bleibt uns eine halbe Stunde, um die nächsten beiden Szenen durchzusprechen. So lange wie bei der heutigen Szene dürfen wir uns nicht wieder aufhalten. Das wird zu teuer, außerdem kommen wir in Zeitdruck.«

Er küßte sie auf die Wange. »Schlaf gut, damit du wieder fit bist vor der Kamera. Die Nerven kannst du morgen zu Hause lassen. Ehrlich gesagt, ich mag keine hysterischen Weiber.«

»Du vergißt, daß ich einiges hinter mir habe, Jim. Es geht nicht so spurlos an einem vorbei, wenn man Mann und Kind verläßt…«

Er hob abwehrend die Hände. »Schon gut – ich weiß, daß es dir manchmal zu schaffen macht. Eine Karriere fordert immer Opfer. So long, Darling.«

Jim legte den Gang ein, gab Gas und brauste davon. Er bewohnte ein Appartement, und Christiane war nicht einmal sicher, ob er allein dort lebte oder mit einer Freundin, über die im Studio hin und wieder gemunkelt wurde. Sie wollte es gar nicht wissen, sondern glaubte Jim, wenn er ihr versicherte, er liebe sie. Das tat er allerdings grundsätzlich nur, wenn sie allein waren und er nicht gerade an seine Arbeit dachte. Dann schwärmte er von einer grandiosen Zukunft, die nur ihm und Christiane gehören sollte.

Die Schauspielerin war eine schöne, faszinierende Frau. Die ersten Probeaufnahmen hatten ergeben, daß sie außerordentlich telegen ist. Wenn sie nun auch noch schauspielerisch beim Publikum ankäme, wäre »alles gelaufen«, wie Jim sich auszudrücken pflegte. Er setzte große Hoffnungen in Christiane Wolter und war bereit, sein Schicksal mit dem ihrigen zu verbinden. Mißerfolge waren dabei nicht einkalkuliert.

Die Frau bewunderte ihn und war wie Wachs in seinen Händen. Sie schuftete und plagte sich, um so zu spielen, wie er es wünschte. Das Ziel, dem sie zustrebte, lag lockend vor ihr – künstlerischer Ruhm und Jims Liebe! So hatte sie sich ihr Leben als junge angehende Schauspielerin immer vorgestellt und erträumt. Endlich hatte sie die lästige Fessel von Ehe und Familie abgestreift. Der Weg war frei – der Weg zur Selbstverwirklichung, zur vollen Entfaltung ihrer darstellerischen Fä­hig­keiten. Niemand hinderte sie mehr daran das zu tun, was ihr – ihrer Meinung nach – vom Schicksal bestimmt war.

Sie betrat ganz in Gedanken die schmale Eingangshalle des Hotels. Der Nachtpförtner, der geschlafen hatte, fuhr auf und reichte ihr den Schlüssel. In nicht zu ferner Zeit würde sie im teuersten Hotel Hamburgs wohnen. Aber noch mußte sie bescheiden sein und mit ihren Mitteln sparsam umgehen. Lange würde das große Geld gewiß nicht mehr auf sich warten lassen.

Nachdem sie geduscht hatte, legte sie sich erschöpft ins Bett und streckte ihre schmerzenden Glieder unter der Decke aus. Plötzlich mußte sie an Mark denken, verrückterweise auch an Bimbo, den treuen Terrier, den ihr Ex-Mann ihr vor zwei Jahren als Hundebaby geschenkt hatte. Mark betrachtete allerdings den Hund als seinen persönlichen Freund und Beschützer. Nun, sie hätte Bimbo ohnehin nicht mitnehmen können.

Ob Mark jetzt schon schlief? – Ob Tobias gut für ihn sorgte? – Ob seine Freundin Irma inzwischen bereits in die Villa in Frankfurt eingezogen war? – Es gab viele Fragen, deren Antworten sie nicht kannte.

Sie spürte, wie Tränen über ihre Wangen liefen und wischte sie eilig fort, als könne jemand sehen, daß sie weinte.

Christiane schluchzte auf. Habe ich einen Fehler gemacht? Wäre es nicht sehr viel einfacher für mich gewesen, bei Tobias und Mark zu bleiben? Die Beziehung zwischen Tobias und Irma war im Grunde für sie nur ein Vorwand gewesen, die eigenen Pläne zu verwirklichen.

»Nein«, sagte sie mit fester Stimme in die Dunkelheit hinein, als könne sie jemand hören, »ich muß meinen eigenen Weg gehen. Jeder Mensch besitzt ein Recht darauf…«

Doch sie weinte immer noch, weinte sich in den Schlaf und sehnte sich nach Mark, der gewiß fest schlummerte und irgend etwas träumte.

*

So dachten beide Elternteile an ihren Jungen, und zugleich hatten sie keine Ahnung, was er tatsächlich zu dieser nächtlichen Stunde trieb.

Mark war darüber, daß Irma Hollweg von einem Tag zum anderen in sein Elternhaus einzog, absolut nicht entzückt. Sein Vater hatte ihm etwas umständlich auseinandergesetzt, daß es so am besten sei. In seiner beruflichen Eigenschaft als Mitglied verschiedener internationaler Gremien müsse er häufig verreisen. Dann könne Mark unmöglich allein in der großen Villa bleiben. Deshalb sei es besser, wenn Irma schon jetzt bei ihm wohne. Später wolle er Irma heiraten, damit er wieder eine Mutter habe!

Der Bub fand eine neue Mutter völlig überflüssig. Vor allem aber konnte er Irma Hollweg nicht leiden.

Drei Tage nach Irmas Einzug reiste der Vater ab. Nach Rom müsse er, hatte er erklärt, und es werde ungefähr eine Woche dauern. Es folgten langatmige Ermahnungen, Mark solle höflich und rücksichtsvoll gegenüber Irma sein, sein Zimmer aufräumen und ihr Bescheid sagen, wenn sie sich nicht auskenne.

Nach seiner Meinung wurde der Junge nicht gefragt. Niemand schien sich dafür zu interessieren, ob er mit der Regelung einverstanden war, die sich die Erwachsenen so superklug ausgedacht hatten. Mutti war als Schauspielerin weit weg, irgendwo. Sie bewohnte zuletzt ein kleines Appartement in Stuttgart. Doch augenblicklich drehte sie fürs Fernsehen im Hamburger Studio. Von dort hatte sie Mark einmal eine Karte geschickt und ihn auch angerufen.

Im Hause war eigentlich kaum etwas verändert worden seit der Scheidung. Sein Vati hatte ihm sehr freundlich erklärt, daß er sich von Mutti gütlich getrennt habe. So etwas passiere manchmal im Leben; es sei die natürlichste Sache der Welt. Mutti werde bald eine berühmte Schauspielerin sein, und Irma solle ihren Platz in der Familie einnehmen.

Mark gefiel das Ganze überhaupt nicht. Er war unglücklich und erhielt keine Chance, sich auch nur einmal zu Wort zu melden. Sie hatten ihn regelrecht überrumpelt – die Erwachsenen. Plötzlich hatte die Mutti ihre Koffer gepackt, ihn leidenschaftlich an sich gedrückt und war abgereist.

In dieser kalten Herbstnacht, in der sein Vater sich auf dem Weg nach Rom befand und seine Mutter in einem ziemlich mittelmäßigen Hotel in Hamburg schlief, befand sich Mark auf einsamer Wanderschaft.

Am Abend hatte er sich mit Irma gestritten. Er konnte sich gar nicht mehr genau erinnern, worum es ging. Doch Irma wollte sich nichts gefallen lassen und ein Exempel statuieren. So holte sie weit aus und verpaßte dem schockierten Jungen eine wohlgezielte Ohrfeige.

Die folgende Szene war turbulent. Jim George hätte als Regisseur seine Freude daran gehabt. Bimbo, der seinen jungen Herrn verteidigen wollte, sprang Irma knurrend an und wurde im letzten Augenblick durch Mark daran gehindert, Irma zu verletzen. Gekränkt zogen sich Mark und sein Terrier in das Zimmer des Jungen zurück. Der Elfjährige verschloß hinter sich die Tür und ließ sich weder durch Bitten noch durch Drohungen dazu bewegen, das Zimmer aufzusperren.

Irma verlor rasch die Geduld. »Auch gut, dann bekommst du kein Abendessen. Bis morgen früh wirst du wohl Vernunft angenommen haben, du Lausebengel.«

Mark verhielt sich mucksmäuschenstill. Auch Bimbo gab keinen Laut von sich. Er wußte meistens, was Mark von ihm erwartete.

Der Junge hörte bis spät in die Nacht hinein die Geräusche des Fernsehgerätes. Endlich stieg Irma die Treppe hinauf und suchte das Gästezimmer auf, das sie bei ihrem Einzug bezogen hatte. Mit angehaltenem Atem lauschte Mark. Irma ging ins Bad und ließ ausgiebig das Wasser laufen. Er atmete auf, als sie endgültig in ihrem Zimmer war und ihrerseits die Tür absperrte.

Ob sie sich vor dem Hund fürchtete? Mark lachte schadenfroh. Sie hatte wirklich Glück gehabt, wenn er den Hund nicht zurückgehalten hätte… Eigentlich hätte er Bimbo wenigstens einmal fest zuschnappen lassen sollen!

Die Leuchtziffern auf seiner Uhr zeigten elf Uhr. Er wartete noch bis zwei Uhr morgens, dann machte er sich auf den Weg. Irma schlief und hörte weder den Jungen noch den Hund. Die Gefährten verließen leise das Haus.

Mark erwischte noch einen Nachtbus, der ihn zur Innenstadt brachte und bestieg auf dem Hauptbahnhof aufs Geratewohl einen Zug, der eben abfahren sollte. Geld hatte er bei sich. Nicht gerade viel, aber für eine Fahrkarte würde es reichen, falls der Schaffner käme. Über das Ziel der Reise machte Mark sich keine Gedanken.

Weder der Bub noch sein Hund wurden bemerkt. Kein Kontrolleur störte die beiden, die im warmen Abteil ein wenig eingeschlummert waren und dann erschrocken ausstiegen, als der Zug an einer Station hielt.

In der Morgendämmerung wanderten sie zu Fuß weiter. Es war empfindlich kühl, doch Mark nahm die Kälte bewußt gar nicht wahr.

»Wenn Irma aufwacht, kriegt sie bestimmt einen Mordsschrecken, Bimbo«, frohlockte er. »Geschieht ihr ganz recht. So eine Gemeinheit, mich zu schlagen. Wenn Vati davon etwas erfährt, schmeißt er sie raus. Das ist sonnenklar.«

Mark zählte seine Barschaft. Er beschloß, sich bei der nächstbietenden Gelegenheit Milch und Brötchen zu kaufen, außerdem etwas Fleisch für Bimbo, der nicht hungern sollte. Die beiden Ausreißer waren in Maibach ausgestiegen. Doch für Mark war unwichtig, wo er sich befand. Für ihn stand nur fest, daß er nicht bei Irma bleiben wollte. Falls sein Vater sie tatsächlich heiraten wollte, würde er zu seiner Mutti gehen. Wenn sie sich erst eine Weile richtig um ihn geängstigt hatten, würden sie es ihm bestimmt erlauben. Ein paar Tage hielt er es hier in der Gegend schon aus. Er hatte ja Bimbo bei sich und brauchte sich vor nichts und niemandem zu fürchten.

Mark war in bester Stimmung, gewissermaßen von süßen Rachegefühlen erfüllt. Immer wieder malte er sich aus, wie Irma erschrecken würde, wenn sie feststellte, daß er nicht mehr in seinem Zimmer war.

Der Junge und sein Hund erreichten nach längerem Marsch den Ort Bachenau. Er kaufte sich sogleich in einem Bäckerladen duftend frische Brötchen. Gleich nebenan im Supermarkt besorgte er eine Tüte Milch und auch Fleisch für Bimbo. Die freundliche Kassiererin gab ihm sogar eine flache Schale mit Wasser für den Hund.

»Ich hab’ auch so einen großen Terrier. Bimbo heißt deiner? Wirklich, ein schönes Tier«, meinte sie anerkennend und streichelte den Kopf des Tieres.

Mark bedankte sich und marschierte mit dem Hund durch den Ort. Sie machten bald darauf Halt und verzehrten gierig ihr Mahl. Daheim gab es heißen Kakao, Butter, Honig, Schinken oder ein Ei zum Frühstück. Aber heute schmeckte Mark das trockene frische Brötchen mit der kalten Milch köstlich. Die herbstliche Sonne wärmte ihn ein bißchen. Daß er ungewaschen war, störte ihn nicht im geringsten.

Ist doch richtig blöd, dachte er. Als ob es einen Unterschied macht, bei wem ich nun bleibe. Keiner hat mich gefragt. Ich will lieber bei Mutti wohnen. Ein Kind sollte immer bei seiner Mutti sein, finde ich. Vati hat ja seine Irma. Aber Mutti ist ganz allein. Bestimmt freut sie sich, wenn ich bei ihr bin. –

Er liebte seine Mutter leidenschaftlich und sehnte sich seit der Trennung ständig nach ihr. Sein Vater hatte kein abfälliges oder auch nur kritisches Wort über Christianes Entscheidung geäußert. Er wollte, daß Mark ein gutes Verhältnis zu seiner Mutter behielt. Immer wieder hatte er betont, daß dies alles nichts Außergewöhnliches sei und man niemandem auch nur den geringsten Vorwurf machen dürfe.

Mark war nie nach seiner Meinung gefragt worden. Und jetzt tat er, was er für richtig hielt – genau, wie es zuvor die Erwachsenen getan hatten.

Der Junge kam an einen kleinen See, der von Bäumen mit herrlich bunt gefärbten Blättern umstanden war. Bimbo raste zum Wasser, denn er war schon wieder durstig geworden.

Mark vergaß alle Sorgen, während er mit Bimbo spielte. Er warf mehrmals einen Stock weit ins Wasser, den der Hund mit einer sichtlichen Begeisterung wieder aus dem See zurückholte. Es war sein Lieblingsspiel, und er konnte nie genug davon bekommen.

Endlich waren sie restlos erschöpft und ruhten sich am Rande des Wassers ein Weilchen aus. Plötzlich standen zwei Jungen vor ihnen. Sie waren auf ihren Rädern gekommen und begrüßten Mark freundlich.

»Grüß Gott, wie geht’s? Willst du nach Sophienlust?«

Bimbo knurrte nicht, als der jüngere Bub ihn streichelte. Mark blickte die beiden mißtrauisch an.

»Wieso nach Sophienlust?« murmelte er verständnislos. »Das kenne ich überhaupt nicht.«

Nick betrachtete den fremden Jungen genauer. Er wirkte ein bißchen ungepflegt.

»Du bist schon ziemlich lange unterwegs, nicht wahr?« erkundigte er sich kameradschaftlich.

»Hm, kann sein.«

»Du brauchst keine Angst zu haben«, mischte sich Henrik von Schoenecker ein. »Wir helfen dir. Schau mal, da drüben liegt Sophienlust, das ist ein Kinderheim. Und dort ist Schoeneich, – da wohnen wir mit unseren Eltern. Sophienlust gehört meinem Bruder Nick.«

Nick hielt Mark geistesgegenwärtig am Handgelenk fest, denn dieser war im Begriff, sich rasch aus dem Staube zu machen. Das Wort Kinderheim hatte sogleich Fluchtinstinkte in ihm wachgerufen. Nein, einsperren lassen wollte er sich gewiß nicht!