Zärtliche Mutter gesucht - Gert Rothberg - E-Book

Zärtliche Mutter gesucht E-Book

Gert Rothberg

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. Andrea von Lehn bummelte durch den Kurpark von Wiesbaden. Es war ein schöner sonniger Tag, aber Andrea sah abgespannt und ein wenig verdrossen aus – etwas, was gar nicht zu ihr passte. Jetzt ging sie auf eine Bank zu, sah sich etwas verloren um und setzte sich dann mit einem abgrundtiefen Seufzer. War das ein fades Leben, den ganzen Tag spazieren gehen zu müssen. Nicht einmal eine Beschäftigung konnte man sich in diesem Park suchen. Und mit wem sollte sie sich unterhalten? Mit wildfremden Menschen? Vielleicht mit der alten Dame, die jetzt auf sie zukam, als wollte sie sich auf der Bank niederlassen? Plötzlich leuchteten Andreas Augen auf. Die alte Dame führte einen Dackel an der Leine. Er sieht aus wie unser Waldi, dachte Andrea. Am liebsten hätte sie die Hand ausgestreckt und den Dackel gestreichelt. Aber die alte Dame nahm ihn jetzt kürzer an die Leine und ging an der Bank vorbei. Schade! Das wäre endlich etwas Abwechslung gewesen, dachte Andrea. Ich sehne mich doch so nach meinen Tieren. Und am meisten nach Waldi, dem kleinen, aber so verantwortungsbewussten Chef des Tierheims Waldi & Co. Ich hätte ihn doch mit auf die Reise nehmen sollen. Aber das wollte ja Hans-Joachim nicht. Andrea lehnte sich zurück und blinzelte in die Sonne.

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Sophienlust Extra – 31 –

Zärtliche Mutter gesucht

Ivo und Sylveli wünschen sie sich so sehr!

Gert Rothberg

Andrea von Lehn bummelte durch den Kurpark von Wiesbaden. Es war ein schöner sonniger Tag, aber Andrea sah abgespannt und ein wenig verdrossen aus – etwas, was gar nicht zu ihr passte. Jetzt ging sie auf eine Bank zu, sah sich etwas verloren um und setzte sich dann mit einem abgrundtiefen Seufzer. War das ein fades Leben, den ganzen Tag spazieren gehen zu müssen. Nicht einmal eine Beschäftigung konnte man sich in diesem Park suchen. Und mit wem sollte sie sich unterhalten? Mit wildfremden Menschen? Vielleicht mit der alten Dame, die jetzt auf sie zukam, als wollte sie sich auf der Bank niederlassen? Plötzlich leuchteten Andreas Augen auf. Die alte Dame führte einen Dackel an der Leine. Er sieht aus wie unser Waldi, dachte Andrea. Am liebsten hätte sie die Hand ausgestreckt und den Dackel gestreichelt. Aber die alte Dame nahm ihn jetzt kürzer an die Leine und ging an der Bank vorbei. Schade! Das wäre endlich etwas Abwechslung gewesen, dachte Andrea. Ich sehne mich doch so nach meinen Tieren. Und am meisten nach Waldi, dem kleinen, aber so verantwortungsbewussten Chef des Tierheims Waldi & Co. Ich hätte ihn doch mit auf die Reise nehmen sollen. Aber das wollte ja Hans-Joachim nicht.

Andrea lehnte sich zurück und blinzelte in die Sonne. Bei dem Gedanken an ihren Mann stieg Ärger in ihr auf. Er hatte darauf bestanden, dass sie ihn zu dem Veterinär-Kongress nach Wiesbaden begleitete. Damit sie einmal ausspannen und sich erholen konnte. Gerade jetzt, da sie ein Kind erwartete, sei das ganz besonders nötig, hatte Hans-Joachim behauptet. Allem Anschein nach nahm er an, dass eine werdende Mutter sich vollkommen verändere. Würde er nicht so denken, hätte er voraussehen müssen, wie sehr sie sich hier in Wiesbaden langweilen würde. Zu Hause hatte sie immer Arbeit und Ablenkung. Es gab in ihrem Tierheim genug Dinge zu tun, bei denen sie sich nicht überanstrengte. Hier aber war sie dem Müßiggang und auch der Denkfaulheit ausgesetzt. Den ganzen Tag darauf warten zu müssen, dass Hans-Joachim von den Vorträgen ins Hotel zurückkam, machte sie ganz kribbelig. Meistens wurde es später, als er angenom­men hatte. Sie konnte ihm daraus nicht einmal einen Vorwurf machen, weil sie verstand, dass er gern noch mit den Kollegen fachsimpelte. Zu Hause musste er das ja missen.

Andrea sah auf die Uhr an ihrem Handgelenk. Schon vor einer halben Stunde hatte sie sich hier am Weiher mit ihrem Mann treffen wollen. An Hans-Joachims Verspätung würde sicher das Abschiednehmen schuld sein. Denn an diesem Tag ging der Kongress ja zu Ende.

»Hallo, Andrea!«, erklang da eine Männerstimme.

Die junge Frau sah den Parkweg entlang, an dem die Bank stand. Sie konnte ihren Mann nicht entdecken. Aber das war doch seine Stimme gewesen … Doch jetzt hellte sich Andreas Gesicht auf. Sie sah ihren Mann. Er kam quer über den Rasen gelaufen.

Andrea sah sich erschrocken um. Als Hans-Joachim vor ihr stand und sie küssen wollte, sagte sie: »Du hast ein Glück, dass dich kein Flurwärter erwischt hat. Wie kannst du über den heiligen Rasen laufen, wenn es hier so herrlich angelegte Wege gibt?«

»Dreimal darfst du raten, Andrea, warum ich mich für die riskante Abkürzung entschlossen habe.« Hans-Joachim drückte ihr einen zärtlichen Kuss auf die Wange.

In Andreas Augen blitzte der Schalk auf. Vergessen waren Langeweile und Missmut. »Sicher, weil du dich wieder einmal wie ein kleiner Junge fühlen und etwas Verbotenes tun wolltest, Hans-Joachim.«

Der große schlanke Mann lachte. Er sah jetzt wirklich aus wie ein übermütiger Junge. »Schade, dass es nicht auch verboten ist, dich zu küssen, Andrea. Dann wäre unsere Liebe doppelt so reizvoll.«

»Ach so, ist dir die Ehe schon langweilig geworden?« Als Andrea das fragte, stieg leichte Röte in ihr Gesicht. Sie hatte einen Herrn entdeckt, der zwei Meter vor der Bank stehen geblieben war. In so auffallend abwartender Haltung, als höre er ihrem Geplänkel zu.

Hans-Joachims Blick folgte dem von Andrea. Und jetzt machte er ein verblüfftes Gesicht. »Du bist auch schon hier, Peter? Entschuldige, ich hatte damit gerechnet, dass du auf dem Weg etwas länger brauchen würdest als ich über den Rasen.«

Der große stattliche Mann kam einen Schritt näher. Er lachte und meinte: »Es ist eine alte Tatsache, dass man die durch Abkürzung gewonnene Zeit bald wieder vertrödelt.«

Dr. Hans-Joachim von Lehn sah ihn entrüstet an. »Nennst du das Zeit vertrödeln, wenn ich meine Frau küsse? Ich bin noch nicht einmal dazu gekommen, ihr zu gestehen, wie sehr ich mich den ganzen Tag nach ihr gesehnt habe.« Hans-Joachim legte den Arm um Andreas Schultern. »Darf ich dir meinen Kommilitonen Dr. Peter Renzi vorstellen, Andrea? Wir haben beschlossen, den Abend miteinander zu verbringen.«

Dr. Renzi neigte sich über Andreas Hand. »Ich freue mich sehr, Sie endlich kennenzulernen, gnädige Frau. Zwischen den Vorträgen hat mir Ihr Mann schon sehr viel von Ihnen erzählt. Ich muss ihm nun wegen einer gewissen Verdächtigung Abbitte leisten.« Die grauen Augen Dr. Renzis sahen Andrea bewundernd an.

»Verdächtigung?«, fragte Hans-Joachim. »Was heißt das?«

Dr. Renzi schlug ihm auf die Schulter. »Ich dachte, dieser Hans-Joachim von Lehn war doch zu unserer Studienzeit kein Angeber. Wie kann sich ein Mensch in wenigen Jahren so verändern? Aber das hast du gar nicht getan. Ich glaube dir jetzt, dass du die beste, die schönste und die liebenswerteste Frau der ganzen Welt hast.«

Andrea wurde ein wenig verlegen. Sie stieß ihren Mann in die Seite. »Was du immer für Unsinn erzählst, Hans-Joachim.«

Die beiden Männer setzten sich neben Andrea. Hans-Joachims Gesicht war ernst geworden. »Es war wirklich Unsinn, Andrea. Ich hätte mich nämlich besser im Zaum halten müssen. Erst nach einigen Tagen merkte ich, dass ich gerade Peter nicht so viel von dir hätte erzählen dürfen. Er hat nämlich vor einem Jahr seine junge Frau verloren.«

Andrea sah Dr. Renzi erschrocken an. Sie wusste nicht, was sie jetzt sagen sollte. Phrasen lagen ihr nicht.

Dr. Renzi nahm ihr den Druck von der Seele. »Ich gehöre nicht zu den Menschen, die anderen ihr Glück nicht gönnen, weil sie das eigene verloren haben.« Er holte tief Luft. »Ich hoffe, Sie sind mir nicht böse, gnädige Frau, dass Sie nun auch am letzten Abend in Wiesbaden nicht mit ihrem Mann allein sein können. Ich habe mich ihm nicht aufgedrängt. Er wollte unbedingt, dass ich mitkomme.«

»Ja, das ist richtig, Andrea. Und zwar aus einem ganz bestimmten Grund. Natürlich wollte ich auch, dass du Peter kennenlernst. Aber das andere ist noch wichtiger. Peter hat zwei Kinder, die ihm viele Sorgen machen.«

Dr. Renzi wehrte ab. »Bitte, verstehen Sie das nicht falsch. Es ist keineswegs so, dass meine Kinder ungezogen wären. Nicht sie machen mir Sorgen, sondern ich mache mir große Sorgen um sie. Meine Frau ist bei der Geburt unseres dritten Kindes gestorben. Auch das Kind konnte nicht weiterleben. Mein siebenjähriger Ivo und meine fünfjährige Sylveli sind auf die Hilfe fremder Menschen angewiesen. Ich habe in Hamburg eine Praxis und kann mich wenig um die Kinder kümmern. Wenn wir wenigstens auf dem Land wohnen würden, dann hätten die Kinder etwas mehr Freiheit. So aber müssen sie warten, bis jemand bis zu einem Spielplatz mit ihnen geht. Ich lasse die beiden nur ungern allein auf die Straße. Der Großstadtverkehr ist beängstigend und zu gefährlich.«

Hans-Joachim hatte seine Hand auf Andreas Arm gelegt. »Du wirst schon ahnen, was ich Peter vorgeschlagen habe. Heute kam mir dieser Gedanke.«

Andrea lächelte. »Du denkst an unser Sophienlust?«

Dr. Renzi nickte. »Ja, Ihr Mann hat mir von dem Kinderheim erzählt, das Ihre Mutter leitet. Ich habe zuerst nicht für möglich gehalten, dass es so etwas auf privater Basis gibt. Bisher habe ich mich dagegen gesträubt, die Kinder in ein Heim zu geben, obwohl mir das von Bekannten schon unmittelbar nach dem Tod meiner Frau geraten wurde.« Dr. Renzi strich sich das dunkelbraune Haar aus der Stirn. »Ich musste Hans-Joachim heute mein Herz ausschütten, weil es gerade besonders voll war. Ich hatte nämlich zuvor zu Hause angerufen. Ivo war am Apparat. Er sagte mir, dass die Erzieherin heute das Haus verlässt. Das erleben wir nun schon zum dritten Mal im Laufe eines Jahres.« Dr. Renzi biss sich auf die Unterlippe. Er brauchte einige Sekunden, ehe er weitersprechen konnte. »Ich kenne auch den Grund, warum es niemand bei meinen Kindern aushält. Wir hängen alle noch zu sehr an meiner Frau. Ich hatte gehofft, dass wenigstens die Kinder leichter vergessen würden, aber gerade sie halten die Erinnerung an ihre Mutter am meisten wach. Vielleicht werden Ivo und Sylveli gelegentlich sogar ungerecht gegenüber ihren Erzieherinnen. Die Kinder verlangen Zärtlichkeit und Liebe wie von einer Mutter. Oft habe ich die beiden schon überrascht, als sie davon sprachen, wie ganz anders ihre Mutti in dieser oder jener Situation zu ihnen gewesen wäre.«

»Ich verstehe die Kinder«, sagte Andrea leise. »Ich habe meine leibliche Mutter auch als Kind verloren. Mein Bruder und ich hungerten damals nach Mutterliebe. Sie haben recht, solche Kinder werden oft ungerecht gegenüber Menschen, die sich um sie bemühen. Ich hatte das große Glück, wieder eine Mutter zu bekommen. Eine zärtliche, liebevolle und besorgte Mutter. Es ist also meine Stiefmutter, die das Kinderheim Sophienlust leitet. Aber niemand hört bei uns das Wort Stiefmutter gern.«

»In wie vielen Fällen hat ein Mann wohl das Glück, eine solche zweite Frau zu finden?«, fragte Dr. Renzi mit verbitterter Stimme. »Eine Mutter, bei der die Kinder nichts vermissen?«

Hans-Joachim von Lehn konnte das bedrückte Gesicht seines Freundes nicht länger sehen. »Darüber wollen wir jetzt nicht rätseln. Ich verstehe, dass du nicht daran denkst, dich wieder zu verheiraten. Wir wollen dich ja auch gar nicht umstimmen. Ich mache dir einen Vorschlag: Komm mit uns und sieh dir Sophienlust an. Dort wären deine Kinder bei meiner Schwiegermutter und ihren Helfern gut aufgehoben. Außerdem würden Andrea und ich uns ebenfalls um sie kümmern. Unser Haus und das Kinderheim Sophienlust liegen so nahe beisammen, dass kaum ein Tag vergeht, an dem Andrea nicht nach Wildmoos geht oder fährt. Sophienlust gehört zu dem kleinen Ort Wildmoos. Es ist eine beinahe romantische Gegend. Für Kinder wie geschaffen, sich zu erholen und Freiheit zu genießen. Wenn sie gar noch tierlieb sind, kommen sie in unserem Tierheim Waldi & Co. voll auf ihre Kosten. Also, was hältst du davon, Peter, uns zu begleiten?«

Dr. Renzi machte ein sehr bedrücktes Gesicht, als er antwortete: »Das kann ich mir leider nicht leisten. Ich muss nach Hamburg zurück. Die Kinder sind ab heute allein. Das heißt, ohne Erzieherin. Ich habe eine Bekannte meiner verstorbenen Frau angerufen. Sie wird bei Ivo und Sylveli heute Nacht schlafen. Aber morgen muss sie wieder nach Hause zurück. Meiner Praxis kann ich auch nicht länger fernbleiben. Es war schon ein Opfer für mich, diesen Kongress zu besuchen. Ich habe mir das bisher noch nicht geleistet. Weißt du, eine Tierarztpraxis in der Großstadt ist nicht mit einer auf dem Land zu vergleichen. Du findest bei deinen Bauern sicher Verständnis, wenn du mal einige Tage wegfährst …«

Hans-Joachim unterbrach seinen Freund. »Ich habe eine Vertretung. Die Frau unseres jungen Försters ist Tierärztin. Sie hat bei mir praktiziert und bei uns ihren Mann kennengelernt. Aus Dankbarkeit hilft sie aus, wenn ich eine Vertretung brauche. Aber es stimmt, meine Bauern in der Umgebung sind sehr anhänglich.«

»In der Großstadt ist das alles anders. Oft kommt es mehr darauf an, einem Herrchen oder Frauchen zu schmeicheln, als ihren Liebling zu verarzten. Oder die Leute schikanieren einen in ihrer übertriebenen Tierliebe, wenn man den Kult nicht mitmachen will. Meine Frau und ich hatten vor, aufs Land zu gehen. Die Kinder freuten sich schon darauf. Aber nach einem so furchtbaren Schicksalsschlag, wie er mich getroffen hat, reicht die Kraft kaum zum Weitermachen, geschweige denn zu Umstellungen. Vielleicht würde ich darangehen, mir eine Praxis auf dem Land zu suchen, wenn ich nicht mehr die große Sorge um die Kinder hätte.«

»Bringen Sie Ivo und Sylveli nach Sophienlust, Herr Doktor«, sagte Andrea in ihrer spontanen Art. »Wenn Sie mit uns fahren würden, könnten Sie kaum mehr sehen, als Sie von uns zu hören kriegen.«

Hans-Joachim zog seine Frau an sich und erklärte danach lachend: »Ich warne dich, Peter. Wenn du Andrea dazu verleitest, dir die Vorzüge von Sophienlust zu erklären, dann sitzen wir noch im Winter auf dieser Bank und gefrieren zu Eismännern.«

»Du sollst nicht immer so schrecklich übertreiben, Hans-Joachim«, regte sich Andrea auf. »Dr. Renzi hat ein Recht darauf, alle Fragen beantwortet zu bekommen und zu wissen, wohin er seine Kinder gibt.«

Dr. Renzi lächelte. »Ich vertraue Ihnen. Ich habe mit Ihrem Mann zwar nur zwei Semester studiert, weil ich ein bisschen älter bin als er, aber wir haben einander doch gut kennengelernt. Ich bin überzeugt, dass er mir helfen will. Auch bin ich sicher, dass Sie meinen Kindern ebenfalls beistehen werden, gnädige Frau. Das einzige, das mich bedrückt, ist die große Entfernung zwischen Hamburg und Wildmoos. Um die Kinder in Süddeutschland besuchen und wenigstens einige Stunden bei ihnen bleiben zu können, wird ein Wochenende zu kurz sein. Und noch etwas. Könnte Ivo in Sophienlust auch die Schule besuchen? Er ist in diesem Jahr eingetreten.«

»Aber selbstverständlich kann er in Wildmoos zur Schule gehen«, erwiderte Andrea. »In Sophienlust sind mehrere schulpflichtige Kinder. Sie werden mit einem VW-Bus zur Schule gebracht und auch wieder abgeholt. Wir haben sogar einen Musik- und Zeichenlehrer im Haus, der auch die Schulaufgaben der Kinder überwacht. In Sophienlust ist wirklich für alles gesorgt.«

Hans-Joachim erhob sich. »Dann sollten wir Peter noch einige Stunden Bedenkzeit geben. Ich schlage vor, wir gehen jetzt in unsere Hotels zurück und treffen uns zum Abendessen an irgendeinem Platz, wo wir gemütlich beisammensitzen können.«

Andrea und Dr. Renzi waren mit diesem Vorschlag einverstanden.

*

Schon eine Woche später brachte Dr. Renzi seine Kinder nach Sophienlust. Er hatte seine Ankunft telefonisch angekündigt. Andrea wusste auch, wie schwer es ihm geworden war, seine Kinder zu dieser Trennung zu überreden.

Nun stiegen die beiden mit sehr skeptischen und beinahe eigensinnigen Gesichtern aus dem Wagen.

Andrea stand mit ihrer Mutter zum Empfang auf der Freitreppe.

»Sind die lieb«, meinte Andrea. »Noch hübscher als auf den Fotos, die mir Dr. Renzi gezeigt hat.«

»Ich gehe ihnen entgegen, Andrea«, sagte Denise. »Kommst du mit?« Sie zeigte auf die Treppe. »Aber sei nicht zu hastig, damit du nicht stolperst.«

»Oh, Mutti«, entgegnete Andrea lachend, »inzwischen habe ich doch gelernt, dass ich in Sophienlust nicht mehr mit den Kindern um die Wette laufen darf, sondern meinem Status als werdende Mutter gerecht werden muss.« Während sie das sagte, hingen ihre Blicke an Dr. Renzi und seinen Kindern.

Der Junge war für seine sieben Jahre recht groß. Er hatte so dunkelbraunes Haar wie sein Vater und sah ihm überhaupt sehr ähnlich. Das fünfjährige Mädchen reichte dem Bruder nur bis zu den Schultern. Es war ein zartes Geschöpf mit einem ganz lieben Gesicht, das von langem mittelblondem Haar eingerahmt wurde. An den Ohren wurde das Haar von Spangen zusammengehalten.

Andrea gab es einen Stich im Herzen. Warum konnte sich die Mutter an diesen beiden gesunden und schönen Kindern nicht mehr erfreuen? Sie war bei ihrem Tod erst dreißig Jahre alt gewesen.

Glücklicherweise konnte Andrea nicht länger diesen traurigen Gedanken nachhängen. Sie musste ihre Mutter und Dr. Renzi miteinander bekannt machen.

Im Stillen dachte Andrea: Er hat wirklich gute Manieren und ist sehr selbstbewusst. Er bedankt sich zwar für das Entgegenkommen, die Kinder bringen zu dürfen, doch das geschieht ohne Aufdringlichkeit. Aber dass er erstaunt ist, wie jung und schön Mutti noch ist, das kann er doch nicht ganz verbergen.

Die Kinder gaben artig die Hand, aber sie sahen sich scheu um. Erst als sie die Dogge Severin auf dem Rasen sitzen sahen, lachten sie. »Vati, guck, das ist ein schöner Hund«, sagte Sylveli.

»Von der Güte haben wir noch mehrere«, erwiderte Andrea lächelnd und legte den Arm um die Schultern des kleinen Mädchens. »Dackel, einen Bernhardiner und gelegentlich auch noch andere Rassen.«

Sylveli sah schüchtern zu ihr auf. »Bären auch? Ist das wahr?« Sie machte den Eindruck, als liefen ihr Schauer der Furcht über den Rücken.

»Ja, auch Bären«, versicherte Denise von Schoenecker. »Tante Andrea wird euch bald mal in ihr Tierheim einladen. Unsere Kinder sind oft dort.«

Ivo machte jetzt ein verstocktes Gesicht. »In einem Tierheim gibt es keine Bären«, behauptete er. »Du glaubst auch einfach alles, Sylveli. Das hat Vati uns doch nur erzählt, damit wir neugierig werden und lieber mit ihm fahren.«

Dr. Renzi sah betroffen aus. Er legte die Hand auf den Kopf seines Sohnes. »Ivo, das solltest du nicht sagen und auch nicht denken. Wir haben oft genug darüber gesprochen, wie gut es für euch sein wird, dass ihr auf dem Land leben und bei anderen Kindern sein könnt. Du solltest mir jetzt nicht noch immer solche Vorwürfe machen.«

Die kleine Gruppe war während dieses Gespräches bis in die Halle von Sophienlust gekommen. Sylveli schmeichelte ih­re Hand in die des Vaters. Mit traurigen Augen sah sie zu ihm auf. »Wir wollten dich doch nur nicht allein lassen, Vati«, sagte sie mit dünner Stimme.

»Das weiß ich, Sylveli.« Die Stimme Dr. Renzis konnte nicht verhehlen, dass er erschüttert war.

Denise von Schoenecker bemühte sich, dieses Thema zu beenden. »Kommt, Ivo und Sylveli, wir gehen in den Wintergarten. Dort sind fast alle unsere Kinder. Ich mache euch mit ihnen bekannt. Sie sind schon schrecklich neugierig auf euch. Eigentlich wollten sie vor das Haus laufen und euch dort begrüßen, aber das wollte ich nicht. Vielleicht wärt ihr erschrocken, wenn euch gleich so viele Kinder überfallen hätten. Manchmal sind sie nämlich recht übermütig.«

»Komm mit, Vati«, bat Sylveli.

»Natürlich gehe ich mit. Ich will doch eure zukünftigen Spielgefährten ebenfalls kennenlernen.« Dr. Renzi schob Ivo durch die geöffnete Tür des Wintergartens.

Andrea blieb in der Halle. Sie wollte hier abwarten, mit welchen Gesichtern die beiden Neuen zurückkommen würden.

Pünktchen kam jetzt die Treppe heruntergelaufen. Erstaunt sah sie Andrea an, dann meinte sie verschmitzt lachend: »Dass du mal still in einem Sessel sitzt, Andrea, das wundert mich aber.«

»Ich fühle mich etwas angegriffen.« Andrea strich sich über die Stirn.

Pünktchen riss die Augen auf.

»Kommt vielleicht dein Baby schon, Andrea?«

Jetzt lachte die junge Frau hell auf. Dann schüttelte sie den Kopf. »Aber Pünktchen, mit bald zwölf Jahren und bei dem Aufklärungsunterricht, den ihr jetzt in der Schule habt, müsstest du doch wissen, dass die Lieferzeit für ein Baby noch immer neun Monate beträgt. Und die sind leider noch nicht um.«

Pünktchen, die schon in Sophienlust gelebt hatte, als Andrea noch nicht verheiratet gewesen war, und die sie deshalb auch so vertraut anreden durfte, wurde verlegen. »Na ja, so genau kann ich das doch nicht wissen. Schließlich hast du uns ja dein Geheimnis auch nicht gleich verraten. Aber warum sagtest du, dass du dich angegriffen fühlst? Das kennen wir alle nicht an dir.«

»Doch, diesen Zustand kennt ihr an mir, an Mutti und auch an euch, Pünktchen. Jedes Mal, wenn neue Kinder kommen, fragen wir uns, ob sie sich auch eingewöhnen werden. Diese Zweifel bleiben auch dann bestehen, wenn wir wissen, dass jedes Kind bei uns in Sophienlust geborgen ist. Ich habe das Gefühl, dass immer am meisten die Kinder zu bemitleiden sind, die erst vor Kurzem ihre Mutter verloren haben.«

»Sprichst du von Ivo und Sylveli, Andrea?«

»Ja, sie sind eben angekommen.«