Du kannst dich auf mich verlassen, Vati - Gert Rothberg - E-Book

Du kannst dich auf mich verlassen, Vati E-Book

Gert Rothberg

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. Der kleine Henrik von Schoenecker sah seinen Vater triumphierend an. »Was habe ich gesagt, Vati? Mutti überringelt uns beide doch.« »Na, na, Henrik, was ist denn das wieder für ein Ausdruck?« Alexander von Schoenecker gab seinem Sohn einen Klaps. »Ein solcher Ausdruck mag angebracht sein, wenn Heidi oder einer deiner Freunde dich wieder einmal hereingelegt hat, aber …« »Mutti hat uns auch hereingelegt, Vati.« Henrik machte ein trotziges Gesicht. »Wenn wir nach Sophienlust zurückkommen, werde ich Frau Dr. Frey sagen, wie Mutti das macht. Frau Dr. Frey wollte, dass Mutti sich eine ganze Woche lang erholt. Jetzt sind wir zwei Tage in Blankenberghe, und schon will sie nach England fahren. Und du machst immer alles mit, Vati.« Alexander von Schoenecker lachte amüsiert. »So weit kommt es noch, dass du mir vorwirfst, ich sei ein Pantoffelheld.« »Manchmal schon, Vati. Wenn ich etwas von dir will, tust du es nicht so schnell. Aber wenn Mutti etwas will, tust du es sofort.« »Ja, deiner Mutti kann man eben so leicht keinen Wunsch abschlagen.«

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Sophienlust Extra – 47 –

Du kannst dich auf mich verlassen, Vati

Ein großes Abenteuer für Henrik!

Gert Rothberg

Der kleine Henrik von Schoenecker sah seinen Vater triumphierend an.

»Was habe ich gesagt, Vati? Mutti überringelt uns beide doch.«

»Na, na, Henrik, was ist denn das wieder für ein Ausdruck?« Alexander von Schoenecker gab seinem Sohn einen Klaps. »Ein solcher Ausdruck mag angebracht sein, wenn Heidi oder einer deiner Freunde dich wieder einmal hereingelegt hat, aber …«

»Mutti hat uns auch hereingelegt, Vati.« Henrik machte ein trotziges Gesicht. »Wenn wir nach Sophienlust zurückkommen, werde ich Frau Dr. Frey sagen, wie Mutti das macht. Frau Dr. Frey wollte, dass Mutti sich eine ganze Woche lang erholt. Jetzt sind wir zwei Tage in Blankenberghe, und schon will sie nach England fahren. Und du machst immer alles mit, Vati.«

Alexander von Schoenecker lachte amüsiert. »So weit kommt es noch, dass du mir vorwirfst, ich sei ein Pantoffelheld.«

»Manchmal schon, Vati. Wenn ich etwas von dir will, tust du es nicht so schnell. Aber wenn Mutti etwas will, tust du es sofort.«

»Ja, deiner Mutti kann man eben so leicht keinen Wunsch abschlagen.« Alexander von Schoenecker legte den Arm um die Schultern seiner Frau. »Und manchmal sind ihre Wünsche vernünftiger als deine, Henrik. Ich glaube, es wird ihr viel Auftrieb geben, mal zwei Tage durch London zu bummeln und alte Erinnerungen aufzufrischen. Sie kommt so selten von Sophienlust weg.«

Henrik sah nicht so aus, als würde er sich von seinem Vater umstimmen lassen. »Frau Dr. Frey hat aber gesagt, Mutti braucht Seeluft. Drei Wochen lang. Aus den drei Wochen habt ihr nur eine Woche gemacht, und jetzt wollt ihr nur zwei Tage in Blankenberghe bleiben. Wozu sind wir dann hierher in dieses belgische Seebad geflogen?«

»Damit wir näher bei Ostende sind. Von dort fährt nämlich das Fährschiff nach England.« Denise von Schoenecker lachte und drückte ihren Jüngsten an sich. »Ich glaube, Henrik, du hast doch recht. Ich habe dich überringelt.«

»Ist das wahr, Mutti?« Henrik sah sie beleidigt an.

»Nein, Henrik. Der Gedanke, nach England zu fahren, ist mir erst hier gekommen. Nun sei nicht mehr so unleidlich. Freust du dich denn nicht, London kennenzulernen?«

»Nein.« Henrik verzog das Gesicht. »Ich werde doch wieder seekrank, Mutti. Ich mag nicht auf das Schiff. Ich will hierbleiben.« Er bückte sich und streichelte einen Bernhardiner, der auf dem Teppich lag. »Gustav möchte auch, dass ich nicht schon wieder fortgehe. Wir sind so gute Freunde geworden.«

»Obwohl du dich zuerst über seinen Namen so entrüstet hast, Henrik?« Alexander von Schoenecker sah auf die Uhr. »Wenn wir noch einen Spaziergang machen wollen, müssen wir aufbrechen.«

Henrik hob sich plötzlich auf die Zehenspitzen, schielte zur Tür und tuschelte dann: »Mutti, ich weiß jetzt, wieso der Bernhardiner Gustav heißt. Yvonne hat es mir verraten. Sie sagt, Madame Laurent hat einmal einen Mann gehabt, der sie heiraten wollte. Aber dann ist er einfach nicht wiedergekommen. Und da hat sie eben ihren Bernhardiner Gustav genannt. So hieß nämlich der Mann.«

Denise seufzte. »Du hast dich also schon wieder mit dem Hausmädchen angefreundet und fragst es aus. Manchmal bist du eine richtige Klatschtante, Henrik.«

Henriks Augen blitzten. »O Mutti, Hausmädchen wissen immer interessante Dinge. Und alle mögen mich. Yvonne ist sehr lieb. Sie sagt, sie würde auch auf mich aufpassen, wenn ich nicht mit nach England fahre.«

Alexander von Schoenecker blieb an der Tür stehen. »Ach so, du hast schon vorgebaut?«

Henrik warf die Lippen auf. »Ich wusste doch, dass ihr euch von mir nichts ausreden lassen würdet.« Jetzt streckte er die Arme aus und legte sie um den Hals seiner Mutter. »Bitte, Mutti, lass mich hier in der Pension. Ich habe ja auch gar nichts dagegen, dass du mit Vati nach London fährst. Schau, für dich ist es sicher schöner, wenn nur Vati bei dir ist. Er bleibt in London ganz bestimmt vor allen Modegeschäften mit dir stehen. Ich würde dich dann doch nur ärgern, weil mich nur die Spielzeugläden interessieren.«

Denise brach in helles Lachen aus. »Von wem hast du nur diese Diplomatie gelernt, Henrik? Du bist einfach nicht zu schlagen. Aber sag mal, würdest du wirklich diese drei Tage hier in der Pension Albertine bleiben, während Vati und ich den Abstecher nach London machen?«

»Klar, Mutti, ich bin doch schon alt genug und kenne mich hier bereits aus. Es sind ja auch noch einige nette Kinder in der Pension, und Yvonne und Madame Laurent passen bestimmt auf mich auf, damit du dir keine Sorgen um mich zu machen brauchst. Außerdem habe ich ja auch noch Gustav. Du siehst doch, dass er nur bei mir sein will.« Henrik hatte immer schneller und immer eifriger gesprochen.

Denise sah ihren Mann fragend an. Er wich ihr aus und sagte: »Gehen wir erst ans Meer. Diese Entscheidung hat ja noch Zeit.«

»Kommst du mit, Henrik?« fragte Denise.

»Nein. Ich gehe mit Yvonne einkaufen. Ich habe ihr versprochen, ihr beim Tragen zu helfen. Gustav kommt auch mit. Er hat ja seinen Korb für das Waschpulver. Den muss er tragen.«

Alexander von Schoenecker rief zurück: »Das ist sehr vorsorglich. Wenn er den Korb mit der Wurst bekäme, könnte das gefährlich werden.«

Obwohl Henrik jetzt lieber seinen geliebten Gustav verteidigt hätte, hielt er Denise noch fest. »Mutti, rede Vati zu, damit ich hierbleiben darf. Er macht doch immer, was du willst.«

»Mal sehen, ob das auch heute so ist. Also, bis später, Henrik.« Denise folgte ihrem Mann.

Henrik hockte sich zu dem Bernhardiner. »Ich glaube, das wird klappen, Gustav. Komm jetzt, wir müssen einkaufen gehen.«

Der Bernhardiner erhob sich. Er war ein besonders großes und schönes Tier. Sein rotweißes dickhaariges Fell war sehr gepflegt und glänzte wie Seide.

Henrik streichelte ihn. »Dich möchte ich mit nach Sophienlust nehmen dürfen. Oder zu Andrea ins Tierheim. Aber wir haben ja schon einen Bernhardiner, und Madame Laurent gäbe dich auch nicht her. Dafür wollen wir hier ganz dicke Freunde sein, Gustav.«

Der Bernhardiner bellte laut und übermütig. Diese Zustimmung machte den kleinen Henrik glücklich.

*

Am nächsten Morgen stand Henrik zusammen mit Gustav vor einem Taxi am Eingang der Pension Albertine. Der Junge verabschiedete sich von seinen Eltern. Sie hatten seinen Wunsch, ihn in der Pension zu lassen, während sie für drei Tage nach London fuhren, erfüllt.

Denise kurbelte das Fenster des Taxis herunter und beugte sich heraus. Doch noch ehe sie etwas sagen konnte, ergriff Henrik das Wort. »Du brauchst mir nicht noch einmal zu sagen, was ich nicht machen darf, Mutti. Ich weiß doch schon alles.«

»Wenn du es weißt, heißt das bei dir noch lange nicht, dass du dich auch danach richten wirst. Bitte, Henrik, geh nicht allein ins Meer baden und …«

Alexander von Schoenecker legte die Hand beschwichtigend auf den Arm seiner Frau. »Also, Henrik ist wirklich kein Baby mehr, Denise. Du bist doch immer so stolz darauf, dass wir unsere Kinder zur Selbstständigkeit erzogen haben. Natürlich wird Henrik alles befolgen, was wir ihm ans Herz gelegt haben.«

Henriks Augen glänzten, so sehr freute ihn das Vertrauen seines Vaters. »Ja, Vati, ihr könnt euch auf mich verlassen.« Noch ehe sich das Taxi in Bewegung setzte, winkte Henrik schon. Dabei flüsterte er dem Bernhardiner zu: »Mensch, sind die langweilig.« Er trat von einem Fuß auf den anderen. »Wir wollen doch an den Fischweiher.«

Wenige Minuten später war das Taxi verschwunden. Henrik rief in den Flur der Pension: »Yvonne, ich laufe mit Gustav zum Fischweiher.«

»Haben das deine Eltern auch erlaubt?« fragte ein hübsches dunkelhaariges Mädchen im reinsten Flämisch. Aber Henrik verstand das schon recht gut. Und was er nicht verstand, erriet er. In diesem Fall war das nicht schwer. In den nächsten drei Tagen würde er sicher häufig gefragt werden: »Haben das deine Eltern auch erlaubt?«

»Ja, Yvonne.«

»Sei aber zum Mittagessen bestimmt hier, Henrik.«

Der Junge hob stolz seine Hand. »Ich habe ja eine Armbanduhr, Yvonne.«

»Dann ist es gut, Henrik.«

Das fand der Junge auch. Er lief mit Gustav hinaus ins Grüne. Der Fischweiher war ziemlich weit von dem Seebad Blankenberghe entfernt, aber dort gefiel es ihm am besten. Es gab viele Verstecke zwischen Gestrüpp und hinter Steinhaufen. Das war wichtig, denn ihm und Gustav machte es besonderen Spaß, Verstecken zu spielen. Vor lauter Eifer war Gustav dabei am Tag zuvor in den Fischweiher geplumpst und hatte dann fürchterlich gebellt über dieses Missgeschick.

»Schade, dass wir nicht angeln dürfen, Gustav«, redete Henrik jetzt auf den Bernhardiner ein. »Ich kann das nämlich. Ich habe es von meinem Bruder Nick gelernt. Früher durfte ich immer nur den Köder auf den Angelhaken stecken, aber das war mir zu dumm. So klein bin ich ja nun auch nicht mehr, dass ich nicht schon selbst angeln könnte.«

Gustav wurde das Zuhören zu langweilig. Er rannte jetzt voraus und bellte ermunternd. Als Henrik ihm aber nachrannte, schien Gustavs Interesse an dem übermütigen Spiel plötzlich erloschen zu sein. Er stand still wie eine Statue und hob schnuppernd den Kopf. Dann knurrte er. Gleich darauf wurde er etwas sanfter und jaulte verhalten.

»Du bist vielleicht ein komischer Vogel, äh – Hund«, maulte Henrik. »Was hast du denn? Weit und breit ist niemand zu sehen.«

Jetzt schnupperte Gustav auf dem Boden entlang, ohne sich um den Jungen zu kümmern.

Henrik schimpfte: »Meinst du, ich mache immer das, was du gerade willst? Fällt mir nicht ein. Geh ruhig weiter, ich bleibe hier sitzen.« Er ließ sich auf einen niedrigen Sandhügel fallen.

Aber das störte den Bernhardiner nicht. Er hatte sich jetzt schon ein großes Stück von Henrik entfernt und blieb vor einer verfallenen Holzhütte stehen.

»Gustav, komm zurück!« rief Henrik. Ihm wurde mulmig zumute. Der Bernhardiner musste doch irgendeine Spur entdeckt haben, die zu der Hütte führte. Am Ende hielten sich dort Verbrecher versteckt? Henriks blühende Fantasie begann schon zu arbeiten. Vorsichtshalber rutschte er den Sandhügel hinunter und ging in Deckung.

Aber gerade jetzt kam Gustav zurück. Er bellte laut und zerrte Henrik an der Hose.

»Du Dummkopf, ich spiele doch nicht Verstecken.« Das sagte der Junge zornig, aber sehr leise. »Lass mich in Ruhe!«

Gustav sah ihn sehr missbilligend an, sprang dann in weiten Sätzen zu der Hütte zurück und kratzte dort an der Tür. Als das nichts half, kam er wieder zu Henrik zurück und wiederholte dieses Spiel mehrere Male. Sein Bellen wurde dabei immer vorwurfsvoller.

Henrik hatte längst verstanden, was Gustav von ihm wollte. Er sollte mit ihm zu der Hütte gehen. Aber gerade das war ihm nicht ganz geheuer. Schließlich hatte er seinen Eltern versprochen, sich auf keinerlei Abenteuer einzulassen.

Als Gustav sich aber wütend neben ihm in den Sand warf und ihn mit seinen tränenden Bernhardineraugen vorwurfsvoll ansah, biss Henrik sich auf die Unterlippe. Dann sagte er laut: »Mensch, ich bin doch nicht feige.« Noch einmal musste er sich einen Ruck geben, dann stand er auf. »Komm, Gustav!«

Darauf hatte der Bernhardiner nur gewartet. Laut kläffend vor Freude rannte er zu der Hütte voraus. Wieder kratzte er an der Tür. Sie hatte einen verrosteten Riegel, in dem ein Pflock steckte.

Henrik holte tief Luft. Jetzt wurde ihm etwas leichter zumute. Es konnte ja gar niemand in der Hütte sein, wenn sie von außen verriegelt war. Vielleicht roch Gustav nur eine Katze? Ja, das würde es sein. Eine Katze fand sicher irgendwo einen Durchschlupf, um in die alte Hütte zu kommen.

Nun, diesen Spaß, die Katze aufzuscheuchen, konnte er Gustav machen. Der Bernhardiner würde ihr ja nichts tun. Er versuchte auch in der Nähe der Pension immerzu mit ihnen zu spielen. Dabei schien er jedoch noch nicht schlauer geworden zu sein. Erst vor zwei Tagen war ihm eine Katze auf den dicken Hals gestiegen und hatte ihn mit ihren Krallen bearbeitet.

»Aber ich kann nichts dafür, wenn du wieder Hiebe bekommst, Gustav«, redete Henrik auf den Bernhardiner ein und zog den Pflock aus der Öse.

Die Tür quietschte in den Angeln, als Henrik sie aufzog. Das Tageslicht fiel auf Gerümpel und auf einen großen Haufen Heu.

Gustav drängte sich schon an dem Jungen vorbei und lief schnurstracks zu einem Heuhaufen. Dort wühlte er seine Nase so tief in das Heu ein, dass sein dicker Kopf gleich verschwunden war.

Henrik erschrak. Eben war es ihm vorgekommen, als habe er einen unterdrückten Schrei gehört. Schnell sprang er zur Tür zurück.

»Lass mich, geh weg!« erklang jetzt eine leise Stimme.

Henriks Herz begann laut zu klopfen. Katzen konnten doch nicht reden. Und ein Gangster hätte keine so zaghafte Stimme gehabt.

Gustav jaulte jetzt laut. Zögernd ging Henrik zu ihm. Dabei musste er in den Heuhaufen hineinsteigen. Und nun sah er, wen Gustav entdeckt hatte. Es war ein kleines Mädchen. Es hockte im Heu und sah ihn mit ängstlichen Augen an. Es waren große blaue Augen, die dicke rote Ränder hatten, als habe das Mädchen viel geweint. Blondes strubbeliges Haar hing dem Kind ins Gesicht.

»Wer bist du? Was machst du da?« fragte Henrik. Dabei dachte er: Sicher versteht mich das Mädchen nicht. Es wird wohl Französisch oder Flämisch sprechen.

Aber das Mädchen antwortete auf Deutsch. »Wer bist du?«

»Och, ich heiße Henrik. Und das hier ist Gustav. Warum versteckst du dich hier in der Hütte, und warum warst du eingeschlossen?«

»Verrätst du mich auch nicht?« Das Mädchen zupfte Heuhalme von seinem rotweiß karierten Pulli.

»Natürlich verrate ich dich nicht.« Henrik warf sich in die Brust. Er witterte eine ganz große Sensation.

»Ich heiße Uschi. Du, Henrik, ich habe so viel Hunger und Durst.« Das Mädchen lehnte sich an Gustav. »Hast du nicht ein Stück Brot in der Hosentasche?«

Henrik zuckte bedauernd die Schultern. »Nein. Aber ich kann etwas zu ­essen für dich holen. Besser ist, du kommst mit mir mit.«

»Nein.« Uschis Augen wurden wieder ängstlicher. »Ich darf mich draußen nicht sehen lassen. Deshalb hat mich Gunda doch hier versteckt.«

»Wer ist denn das wieder?« fragte Henrik.

»Gunda ist eben Gunda.« Uschi zuckte die Schultern. »Sie hat mich von meinem Onkel und von meiner Tante fortgebracht, weil die mich so krank gemacht haben.« Uschis Stimme war jetzt kaum zu verstehen. »Weißt du, die wollen, dass ich sterbe.«

Henrik blieb der Mund vor Staunen offen stehen. Erst nach einer Weile erkundigte er sich skeptisch: »Wie alt bist du?« Aus seiner Frage war herauszuhören, dass er Uschis Reden misstraute.

»Fünf Jahre.«

»Und da redest du noch so dummes Zeug? Aber ich glaube, es ist besser, ich hole dir jetzt etwas zu essen. Ich bringe dir auch eine Limonade mit.«

»Wirst du auch gewiss wiederkommen, Henrik?« In Uschis Augen standen Tränen.

Henrik wurde es sehr ungemütlich zumute. Dass kleine Mädchen immer gleich weinen mussten. Damit kriegte die kleine Heidi in Sophienlust ihn auch meistens herum. »Natürlich komme ich wieder. Wenn ich etwas verspreche, dann halte ich es auch. Hoffentlich bist du noch da, wenn ich zurückkomme.«

»Ich muss doch auf Gunda warten.«

»Wie lange tust du das schon?«

»Ich weiß es nicht. Es war schon ein paarmal Nacht, seitdem Gunda weggegangen ist.«

»Was? So lange steckst du schon in der Hütte? Schwindelst du auch nicht, Uschi?«

»Nein, ganz gewiss nicht. Gunda wollte in einer Stunde zurück sein.«

»Na, die ist vielleicht eine«, meinte Henrik geringschätzig. »Sperrt dich ein und kommt nicht zurück.«

»Vielleicht wurde sie von jemandem eingefangen.« Jetzt kullerten Tränen über Uschis Wangen.

»Menschen fängt man nicht ein«, tat Henrik sehr überlegen. Doch dann schien er es für ratsamer zu halten, endlich zur Pension zurückzugehen. Diese Uschi gab ihm doch nur immer neue Rätsel auf. Vielleicht würde sie etwas vernünftiger sein, wenn sie ihren Hunger und Durst gestillt hatte. »Ich lasse dir Gustav da, Uschi. Der passt bestimmt gut auf dich auf.«

Jetzt lächelte Uschi. »Ist das wahr? Darf der Hund bei mir bleiben? Heißt er wirklich Gustav?«

Der Einfachheit halber sagte Henrik auf beide Fragen nur: »Ja.« Er ging vor die Hütte. »Soll ich den Pflock wieder einschieben, Uschi?«

»Ja, bitte. Dann denkt jeder, es sei niemand in der Hütte. Das hat Gunda gesagt.«

Henrik war nicht ganz wohl, als er Uschi und Gustav einsperrte. Aber der Bernhardiner hatte gar keine Versuche unternommen, ihn zu begleiten. Henrik wurde beinah etwas eifersüchtig. Er rannte, solange ihm der Atem reichte. Wenn er noch vor dem Mittagessen wieder zu Uschi laufen und abermals in die Pension zurückkehren sollte, dann würde die Zeit sehr knapp werden.

Erst vor der Pension Albertine fiel Henrik ein, dass er außer ein paar Äpfeln nichts Essbares im Zimmer hatte. Aber vielleicht würde Yvonne ihm etwas geben. Oder sollte er sein Taschengeld angreifen und zum Krämer gehen? Das würde zu viel Zeit kosten. Also versuchte er es besser bei Yvonne. Sie mochte ihn ja gern.

Henrik fand das Hausmädchen in einem der Fremdenzimmer beim Bettenmachen.

»Bist du schon zurück, Henrik?« fragte Yvonne. »Da hat es dir wohl heute beim Fischweiher nicht gefallen?«

»Schon, aber ich habe solchen Hunger und Durst, Yvonne.« Henrik presste gleich beide Hände auf den Magen. »Ganz schlecht ist mir.«

»Aber hast du denn nicht gefrühstückt?«

»Nein«, mogelte Henrik, »ich war ja so aufgeregt, weil meine Eltern wegfuhren.«

Yvonne lachte. »Und jetzt soll ich dir etwas verschaffen, ja? So knapp vor dem Mittagessen. Damit wird Madame Laurent kaum einverstanden sein.«

»Aber sie muss das doch nicht wissen.« Henrik schlich sich ganz nahe an Yvonne heran. »Ich würde Ihnen auch etwas geben, Yvonne. Etwas, was Sie sich wünschen. Vielleicht meinen silbernen Drehbleistift. Der hat Ihnen ja so gut gefallen.«

»Willst du mich beleidigen, Henrik? Ich schwatze dir doch nicht ein so schönes Stück dafür ab, dass ich dir etwas zu essen besorge. Also, komm mit, ich gehe in die Küche. Was willst du denn? Ein Wurstbrot?«

Henriks Augen strahlten angesichts seines schnellen Erfolgs. »Ja, Yvonne, vielleicht zwei, drei Wurstbrote. Oder bekämen Sie auch vier?«

Jetzt wurde Yvonne stutzig. »Sag einmal, willst du auch Gustav füttern?«