Ein treues Hundeherz - Gert Rothberg - E-Book

Ein treues Hundeherz E-Book

Gert Rothberg

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. Der Schulbus von Sophienlust verließ den Gutshof und fuhr durch das große Tor. Die Kinder winkten lachend zurück. Die kleine Heidi, die auf der Freitreppe stand, schmiegte ihre Hand in die Hand Schwester Regines. »Wir fahren doch auch gleich weg, Schwester Regine?« Heidis Augen strahlten und baten um Bestätigung. »Ja, du darfst mit mir nach Maibach fahren, Heidi.« Schwester Regine strich dem Mädchen den Pony über der Stirn zurecht und zupfte an dessen Rattenschwänzchen hinter den Ohren. »Die werden wohl bald aufgehen, Heidi. Sie sind zu locker geflochten, deine tollen Zöpfe.« »Das hat Irmela gemacht, Schwester Regine. Sie kann es noch nicht so gut wie Pünktchen. Aber Irmela ist immer sehr lieb zu mir.« »Alle sind lieb zu dir, Heidi. Warum wohl?« Die Kinderschwester neigte sich zu dem kleinen Mädchen hinab und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Weil du auch zu allen lieb bist. Komm, ich hole mir die Handtasche und die Wagenschlüssel. Ich darf Tante Isis Auto nehmen.« Heidi klatschte begeistert in die Hände und lief schon zu Denise von Schoen­eckers Wagen, der vor der Freitreppe stand. Stolz thronte sie dann auf dem Beifahrersitz.

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Sophienlust Extra – 52 –

Ein treues Hundeherz

... und große Aufregung in Sophienlust!

Gert Rothberg

Der Schulbus von Sophienlust verließ den Gutshof und fuhr durch das große Tor. Die Kinder winkten lachend zurück. Die kleine Heidi, die auf der Freitreppe stand, schmiegte ihre Hand in die Hand Schwester Regines. »Wir fahren doch auch gleich weg, Schwester Regine?« Heidis Augen strahlten und baten um Bestätigung.

»Ja, du darfst mit mir nach Maibach fahren, Heidi.« Schwester Regine strich dem Mädchen den Pony über der Stirn zurecht und zupfte an dessen Rattenschwänzchen hinter den Ohren.

»Die werden wohl bald aufgehen, Heidi. Sie sind zu locker geflochten, deine tollen Zöpfe.«

»Das hat Irmela gemacht, Schwester Regine. Sie kann es noch nicht so gut wie Pünktchen. Aber Irmela ist immer sehr lieb zu mir.«

»Alle sind lieb zu dir, Heidi. Warum wohl?« Die Kinderschwester neigte sich zu dem kleinen Mädchen hinab und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Weil du auch zu allen lieb bist. Komm, ich hole mir die Handtasche und die Wagenschlüssel. Ich darf Tante Isis Auto nehmen.«

Heidi klatschte begeistert in die Hände und lief schon zu Denise von Schoen­eckers Wagen, der vor der Freitreppe stand. Stolz thronte sie dann auf dem Beifahrersitz. In einem leichten bunten Sommerkleidchen und in Sandalen.

In Maibach gingen Schwester Regine und Heidi in verschiedene Geschäfte. In jedem fand Heidi etwas zu bewundern, und meistens fragte sie: »Können wir das nicht kaufen, Schwester Regine? Ist es zu teuer?« Das hatte zur Folge, dass Schwester Regine schließlich doch noch in ihr Portemonnaie griff und Heidi einen kleinen Plüschelefanten kaufte.

Glücklich drückte Heidi das Stofftier an sich.

»Ich weiß auch einen ganz schönen Namen für meinen Elefanten: Timbo. Findest du den auch schön, Schwester Regine?«

»Ja, Timbo finde ich gut, Heidi.« Plötzlich machte Heidi ein bedenkliches Gesicht.

»Meinst du, dass Timbo sich mit Schneeweißchen und Rosenrot gut vertragen wird, Schwester Regine?«

»Du hast doch nicht etwa vor, den kleinen Elefanten zu deinen Kaninchen in den Stall zu stecken, Heidi? Ich fürchte, sie würden ihn anknabbern. Schau, die Kaninchen sind lebende Tiere, dein Timbo aber ist ein Plüschelefant.«

Heidi sah die Schwester entrüstet an … Aber er ist nicht tot, Schwester Regine. Das darfst du nicht sagen.« Schwester Regine erschrak. Jetzt war sie eben etwas gedankenlos gewesen. Wie hatte sie vergessen können, dass für kleine Kinder auch die Puppen und Stofftiere lebten? Sie nahm Heidi an die Hand und korrigierte sich: »Natürlich ist dein Timbo nicht tot, Heidi.«

»Er kann mir zuhören, wenn ich ihm etwas erzähle. Und er würde es auch spüren, wenn ich nicht lieb zu ihm wäre.« Heidis Gesichtchen glühte vor Eifer. »Ich glaube, ich hatte schon einmal einen Elefanten. Ich habe überhaupt viele Tiere. Und die bei Tante Andrea auch noch. Schwester Regine, alle Tiere bei Tante Andrea gehören doch auch uns Kindern von Sophienlust. Wir dürfen sie immer besuchen, und sie mögen uns.«

»Ja, das stimmt.« Etwas gerührt dachte Schwester Regine daran, dass sich bei diesem elternlosen kleinen Mädchen meistens alles darum drehte, ob die anderen es mochten und gern hatten. Nur wenige Kinder waren für Liebe so unendlich dankbar wie die kleine Heidi. »So, Heidi, jetzt gehen wir noch zur Bank, und dann fahren wir nach Sophienlust zurück.«

»Ja, wir müssen uns beeilen, Schwester Regine. Tante Isi wartet auf ihr Auto. Sie will zu Tante Andrea und Peterle fahren. Sie hat auch versprochen, dass sie mich mitnimmt.« Während Heidi neben Schwester Regine über den Bürgersteig trippelte, plapperte sie immerzu. »Peterle wird sicher heute in seinem Wagen im Garten stehen. Wenn er schläft, setze ich mich ganz still neben ihn. Wenn er aber wach ist, darf ich ihn vielleicht wieder auf den Arm nehmen. Ich bin ja schon stark und lasse ihn nicht fallen. Nur Henrik sagt, dass ich Peterle noch nicht festhalten kann. Aber ich weiß auch, warum er das sagt. Er ist nur neidisch. Er denkt immer, Peterle gehöre ihm mehr als mir, weil er sein … Was ist Henrik zu Peterle, Schwester Regine?«

»Henrik ist Peterles Onkel, Heidi.« Schwester Regine öffnete die Tür der Bank.

Jetzt kicherte Heidi. »Ist das nicht ulkig, Schwester Regine? Onkels müssen doch große Männer sein, Henrik aber geht gerade erst zur Schule.«

Schwester Regine gab keine Antwort mehr. Sie hatte es nun eilig, zu einem der Schalter zu kommen. Dort stand nur eine junge Frau.

»Warte auf mich, Heidi.« Schwester Regine ließ die Hand des kleinen Mädchens los und stellte sich hinter der jungen Frau an.

Heidi sah sich in der Schalterhalle um. Sie hatte ja nie Langeweile. Etwas entdeckte sie immer, was sie interessierte. Diesmal war es ein kleiner Junge. Er saß gegenüber den Schaltern auf einer Bank.

Heidi schielte zu ihm hin und überlegte, ob sie sich zu ihm setzen sollte. Ob sie vielleicht zu klein für ihn war? Heidi streckte sich auf die Zehenspitzen. Vielleicht ließ sie das etwas größer aussehen? Sie wurde erst vier, aber der Junge war sicher so alt wie Henrik. Oder doch noch nicht?

Zögernd ging Heidi durch die Schalterhalle. Dabei dachte sie, der Junge ist hübsch angezogen. Er hat ein gelbes Hemd und gelbe Kniestrümpfe an und eine Lederhose. Das Schönste an der Lederhose ist das große Edelweiß auf den Hosenträgern.

Jetzt sah der Junge Heidi an. Er hatte mittelblondes Haar und große blaue Augen. Aber sah er nicht traurig aus? Diese Vermutung ließ Heidi die letzten Schritte ganz schnell tun. Mit einem kühnen Schwung ließ sie sich auf die lederbezogene Bank plumpsen. Und schon fragte sie: »Musst du auch warten?«

Der Junge nickte zuerst nur, dann sagte er: »Auf meine Mutti.« Er zeigte zu dem Schalter, an dem auch Schwester Regine stand.

»Das ist deine Mutti?« fragte Heidi und betrachtete neugierig die dunkelhaarige junge Frau. »Du hast aber eine schöne Mutti. Und sie hat ein so lustiges Kleid an, mit lauter kleinen bunten Blumen.«

Der Junge sah Heidi erstaunt an, als sage sie ihm etwas ganz Neues. »Meine Mutti ist sehr lieb«, versicherte er. Aus seiner Stimme war dabei herauszuhören, dass ihm das am wichtigsten war.

»Muttis sind immer lieb«, erklärte Heidi sehr bestimmt. »Aber ich habe keine.« Ihre Stimme war leise geworden.

»Du hast keine Mutti?« fragte der Junge erschrocken. »Aber du bist doch mit einer Frau gekommen. Das habe ich gesehen. Sie steht hinter meiner Mutti.«

Heidis Hand wischte durch die Luft. Sie begriff nicht, dass jemand nicht wusste, wer das war, mit dem sie gekommen war. »Aber das ist doch Schwester Regine.« Jetzt wurde Heidi nachdenklich. »Aber sie ist beinah meine Mutti. Ich habe überhaupt viele, die wie meine Mutti sind. Tante Isi, Tante Andrea und Frau Rennert.«

Der Junge sah die Kleine fassungslos an. Dann fragte er: »Und Vati hast du auch keinen?«

Heidi schüttelte den Kopf. »Nein«, antwortete sie traurig.

»Vati habe ich jetzt auch keinen mehr.« Der Junge sah nun genauso traurig aus wie Heidi.

»Ist er auch gestorben?«

»Nein.« Mehr sagte der Junge nicht.

»Das ist aber komisch.« Heidi blickte den Jungen forschend an. Weil sie sah, dass er jetzt ein sehr verschlossenes Gesicht machte, gab sie die Hoffnung auf, von ihm mehr über seinen Vater zu erfahren. Jetzt war ihr auch etwas anderes wichtiger. »Ich heiße Heidi. Und wie heißt du?«

»Michael Danin.«

»Bist du aus Maibach?«

»Nein, aus Heidelberg. Ich wohne nur gerade mit meiner Mutti im Gasthof ›Zum Bären‹ in Maibach.«

»Oh, dort habe ich auch einmal mit meiner Mutti gewohnt. Ich kann mich aber nicht mehr so gut daran erinnern. Du, Michael, gefällt dir mein Elefant? Er heißt Timbo. Ich habe ihn eben von Schwester Regine geschenkt bekommen.«

»Ja, er ist schön und …«

Der Junge brach ab und sprang auf.

Die Tür zur Schalterhalle war eben aufgerissen worden. Zwei Männer mit schwarzen Masken vor den Gesichtern stürzten in den Raum. Sie hielten Maschinenpistolen in den Händen und schrien: »Das ist ein Überfall, Hände hoch!«

Heidi rutschte von der Bank und hielt sich an Michael fest. Der kleine Elefant war auf den Boden gefallen. »Sind das Räuber?« fragte sie mit weit aufgerissenen Augen.

»Mutti!« schrie Michael und rannte auf den Schalter zu. Heidi folgte ihm. Was sollte sie denn allein vor der Sitzbank? Sie hatte doch genauso große Angst wie Michael.

Zwei Kunden, die eben die Bank betreten hatten, liefen wieder ins Freie. Schwester Regine und Michaels Mutter aber konnten nicht flüchten. Die beiden Gangster standen bei ihnen.

Einer schleuderte Michaels Mutter zur Seite. »Platz da!« Er drängte sich an den Schalter. »Alles Geld her!« schrie er das Mädchen an der Kasse an. »Alles, auch das Kleingeld.«

In diesem Augenblick ertönte die Alarmglocke. Ein Angestellter hatte sie noch auslösen können.

Wild fluchend raffte der Gangster am Schalter das Geld, das ihm das Mädchen zitternd vor Angst von ihrem Schreibtisch aus zugeworfen hatte, zusammen.

Der andere Gangster hielt Schwester Regine und die beiden Kinder in Schach. Michaels Mutter, die gestürzt war und jetzt aufstand, packte er an den Schultern. »Schau, dass du hinauskommst. So viele Geiseln brauchen wir nicht.«

Evelyn Danin schrie laut auf. Sie wehrte sich gegen den Gangster, sie wollte zu ihrem Jungen. »Michael, komm schnell, komm!«

»Nichts da, der Junge bleibt hier!« schrie der Gangster und schob Evelyn Danin durch die Schalterhalle. Sie konnte sich nicht wehren.

Schon erklang draußen der Heulton des Polizeiwagens.

Der Gangster an dem Schalter hatte die Geldscheine in einen Beutel gestopft. »Vorwärts!« schrie er mit sich überschlagender Stimme, die Maschinenpistole zur Decke gerichtet. Schüsse peitschten durch die Schalterhalle.

Heidi drückte ihr Gesicht an Schwester Regine. Und da Michael niemanden mehr hatte und seine Mutter nicht mehr sehen konnte, drückte auch er sich an die Kinderschwester.

Beide Gangster postierten sich jetzt am Eingang. »Hier kommt keiner lebend herein und keiner lebend hinaus«, schrie der eine. Er zeigte auf einen der Angestellten. »Gehen Sie bis an die Tür, und sagen Sie das der Polizei. Wir verlangen freies Geleit mit den Geiseln, mit der Frau und den beiden Kindern.«

Schwester Regine legte die Arme um Heidi und Michael. »Seid ruhig, bitte. Sie werden uns wieder freilassen.« Ihre Stimme zitterte.

»Ich will zu meiner Mutti«, flehte Michael weinend. »Wo ist meine Mutti?«

»Sie ist draußen, ganz sicher. Wie heißt du?«

»Er heißt Michael, Schwester Regine«, antwortete Heidi. »Schicke ihn nicht fort. Er hat doch auch so große Angst wie wir.«

Könnte ich ihn nur fortschicken, dachte Schwester Regine.

Laut sagte sie: »Er bleibt bei uns, Heidi. Du brauchst keine Angst um deine Mutti zu haben, Michael. Ihr tut niemand etwas. Sie ist gewiss in Sicherheit.«

»Aber sie wollte nicht ohne mich hinausgehen.«

»Haltet endlich den Schnabel, sonst stopfen wir ihn euch«, schrie einer der Gangster von der Tür her.

»Ja, seid still, Kinder«, bat Schwester Regine. Zaghaft machte sie zwei Schritte vorwärts. »Dürfen wir uns setzen?« fragte sie.

Beide Gangster zeigten auf die Bank.

»Kommt!« Schwester Regine führte die Kinder zu der Bank und zog sie eng an sich.

Heidi hob ihren Elefanten auf und drückte ihn an sich.

*

Die Heimleiterin, Frau Rennert, kam mit todblassem Gesicht in Denise von Schoeneckers Zimmer. »Es ist etwas Furchtbares passiert«, sagte sie mit kaum verständlicher Stimme und sank in einen Sessel.

Denise von Schoenecker war aufgesprungen. Sie lief zu Frau Rennert und beugte sich zu ihr. »Fühlen Sie sich nicht wohl?« Jetzt war nur diese Angst in ihr.

»Es geht nicht um mich. In Maibach ist eine Bank überfallen worden.«

Denise atmete auf. Was Frau Rennert so aufregte, hatte also weder mit ihr noch mit Sophienlust etwas zu tun. »Ja, solche Dinge passieren leider immer öfter. Ich wusste früher nicht, dass es so viele Banditen gibt.«

»Wir sind von dem Banküberfall betroffen«, entgegnete Frau Rennert. Sie schlug die Hände vor das Gesicht. »Schwester Regine und Heidi«, kam es dumpf unter ihren Händen hervor.

»Was ist mit Schwester Regine und Heidi, Frau Rennert?« Denise war zutiefst erschrocken. Sie zog der Heimleiterin die Hände vom Gesicht.

»Die Banditen halten sie als Geiseln fest.«

Denise von Schoenecker sah aus, als habe sie das nicht verstanden. Sie strich sich über die Stirn. »Sagen Sie das noch einmal, Frau Rennert.«

»Es stimmt. Ein Polizist hat eben angerufen. Schwester Regine, Heidi und ein fremder kleiner Junge sind in der Gewalt der Banditen.«

Denise ging zu einem Tisch und stützte sich darauf. Ihre Brust hob und senkte sich vor Erregung.

»Das kann ich nicht glauben.« Sie strich sich über die Stirn. »Mein Gott, was sollen wir tun?«

»Der Polizist sagte, wir könnten gar nichts tun. Die Banditen sind schwer bewaffnet. Die Polizei verhandelt mit ihnen. Über einen Angestellten der Bank. Man wird den Banditen freies Geleit zusichern müssen.«

»Mit den Geiseln?« fragte Denise entsetzt.

»Anders machen es wohl solche Verbrecher nicht.«

»Ich rufe meinen Mann an. Er muss mit mir nach Maibach fahren. Ich ertrage es nicht, hier zu sitzen, während Schwester Regine und Heidi in so großer Gefahr sind. Ich bitte Sie, Frau Rennert, wir können doch nicht zulassen, dass …«

Frau Rennert war aufgestanden. Jetzt, da Denise von Schoenecker so erregt war, versuchte sie sich zusammenzunehmen. »Ja, fahren Sie nach Maibach, Frau von Schoenecker. Vielleicht sieht an Ort und Stelle manches etwas hoffnungsvoller aus.«

Denise stand schon beim Telefonapparat. Sie hatte Glück. Ihr Mann war gerade vom Feld zurückgekommen. Er versprach, sofort mit seinem Wagen nach Sophienlust zu kommen.

»Niemand darf in Sophienlust von dem Unglück erfahren, Frau Rennert. Wer weiß bis jetzt davon?«

»Nur Magda. Ich bin vor Aufregung zuerst in die Küche gelaufen. Ich wusste gar nicht, wie ich Ihnen etwas so Furchtbares mitteilen sollte. Magda wird schweigen. Sie ist ja immer darauf bedacht, dass keine Unruhe nach Sophienlust kommt. Aber sicher werden die Kinder die Nachricht aus der Schule mitbringen. Besonders die Großen aus Maibach.«

Denise nahm ihre Handtasche und lief schon in die Halle hinunter. Sie brauchte nicht lange zu warten, bis ihr Mann vorfuhr. Sofort lief sie zu seinem Wagen.

Auch Alexander von Schoenecker war sehr bestürzt, als er hörte, was passiert war. Trotzdem versuchte er seine Frau zu beruhigen.

Schon ein gutes Stück vor der betroffenen Bank mussten Alexander und Denise von Schoenecker den Wagen abstellen. Neugierige versperrten die Straße.

Als sich Denise bei ihnen erkundigte, was bis jetzt geschehen sei, um die Geiseln zu befreien, zuckte ein Mann die Schultern.

»Da ist die Polizei doch machtlos. Eben haben die Angestellten der Bank auch noch den Tresor leeren müssen. Was die Gangster bis jetzt erbeutet hatten, war ihnen zu wenig. Ja, diese Burschen sind unverschämt. Bei ihnen zählen bald nur mehr Millionen. Und dafür riskieren sie auch etwas.«

Denise drängte sich zwischen den Neugierigen durch. Alexander von Schoenecker musste ihr folgen, obwohl er es nicht gern sah, dass seine Frau so nahe an den Schauplatz des Überfalls heranging.

Polizei sperrte den Vorplatz vor der Bank ab. Viele Polizeiwagen standen rundum bereit. Jetzt wurde ein dunkelgrüner Personenwagen vorgefahren. Ein Polizist stieg aus, ließ den Motor laufen und die Tür offen stehen. Jetzt öffnete er auch noch die Tür zum Fond des Wagens.

»Das wird wohl das Fluchtauto sein«, sagte jemand neben Denise. »Die Banditen haben es verlangt. Dort drüben das muss der Wagen sein, mit dem sie gekommen sind. Aber er ist ihnen wohl jetzt nicht schnell genug.«

Denise lehnte sich an ihren Mann. »Alexander!«, stöhnte sie und starrte auf den Eingang zur Bank.

Dort stand jetzt ein maskierter Mann mit einer Maschinenpistole. Hinter ihm tauchte Schwester Regine auf. Sie hielt an jeder Hand ein Kind fest– die kleine Heidi und einen fremden Jungen.

Nun erklang ein markerschütternder Schrei aus der Menge: »Michael!«

Der Junge wollte sich von der Hand Schwester Regines losreißen. Er hatte seine Mutter gehört.

Der zweite Gangster stand hinter dem Jungen und stieß ihn grob in den Rücken. Schwester Regine redete auf Michael ein.

Nicht weit von dem Fluchtwagen entfernt hielten zwei Polizisten währenddessen eine junge Frau fest. Michaels Mutter.

Denise drängte sich noch weiter vor. Vergeblich versuchte ihr Mann sie festzuhalten. Sie starrte mit todbleichem Gesicht zu den Geiseln. Und nun schrie sie: »Schwester Regine, Heidi!«

Der Fuß der Kinderschwester stockte auf dem Weg zum Fluchtwagen. Sie erkannte Denise. Und nun wuchs Schwester Regine über sich selbst hinaus. Sie rief: »Wir kommen bald zurück.«

Über Denises Gesicht stürzten Tränen. »Ja, ja«, weinte sie und drückte ihr Gesicht an die Brust ihres Mannes. Sie konnte nicht mit ansehen, wie Schwester Regine mit den Kindern in den Fond des Fluchtwagens stieg. Erst als der Motor aufheulte, sah sie wieder zu dem Schauplatz des entsetzlichen Geschehens.

Die Polizei hatte den Gangstern den Weg freigeben müssen. Diese hatten versprochen, die Geiseln irgendwo abzusetzen, wenn ihnen selbst keine Gefahr mehr drohen würde. Aber alle fürchteten um das Leben der Geiseln.

Vor dem Eingang der Bank lag ein großer, prall gefüllter Beutel. Mit sehr viel Geldscheinen. Die Gangster schienen aufgeregter gewesen zu sein, als sie hatten merken lassen. Sie hatten einen Teil ihrer Beute vergessen. Aber das beunruhigte die Polizei und die Zuschauer nur von Neuem. Sie fürchteten, die Gangster würden zurückkommen oder eine neue Erpressung versuchen.

*

Denise von Schoenecker hatte nicht verhindern können, dass in Sophienlust alle erfahren hatten, was geschehen war. Nick und die großen Mädchen waren aufgeregt von Maibach zurückgekommen. Sie hatten in der Schule von dem Überfall erfahren und später gehört, dass Schwester Regine und die kleine Heidi als Geiseln gefangengehalten wurden.

Wie ein Lauffeuer hatte sich diese Nachricht auch in Wildmoos verbreitet. Selbst die Kinder in der Volksschule hatten sie gehört. Und nun kamen sie zitternd vor Angst nach Sophienlust zurück. Alle Gespräche drehten sich nur um Schwester Regine und um die kleine Heidi. Frau Rennert und Denise von Schoenecker konnten ihre Schützlinge nicht beruhigen. Dabei waren auch die Erwachsenen so angeschlagen, dass sie ihre Angst nicht verbergen konnten.