Soul and Ash – Liebe kennt keine Grenzen - Jennifer L. Armentrout - E-Book

Soul and Ash – Liebe kennt keine Grenzen E-Book

Jennifer L. Armentrout

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Beschreibung

Der Beginn von Poppys und Casteels großer Liebesgeschichte – erzählt aus Casteels Perspektive!

Der Kampf den Poppy, Casteel und ihre Getreuen ausfechten müssen, hat gerade erst begonnen. Überall – sowohl im Iliseeum als auch in der Welt der Sterblichen – erwachen die Götter und bereiten sich auf den Krieg vor. Als Poppy kurz davor steht, die Fülle ihrer Macht zu erlangen, fällt sie ins Koma, und Cas muss fürchten, sie für immer zu verlieren. Die einzige Chance auf Rettung liegt in ihrer gemeinsamen Vergangenheit, und so beginnt für die beiden Liebenden eine Reise zum Beginn ihrer Geschichte …

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Seitenzahl: 986

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DASBUCH

Ich drehte mich zu ihr um, wobei mir bei ihrem Anblick mal wieder der verdammte Atem stockte. Jedem Zentimeter ihres Körpers war anzusehen, dass sie gerade einen schrecklichen Kampf ausgefochten hatte. Ihre Wangen waren blut- und dreckverschmiert, genau wie ihre Hände und Kleider. Was an den nackten Füßen klebte, wollte ich lieber nicht so genau wissen. Der Zopf, zu dem sie ihre wilde Mähne gebändigt hatte, hatte sich zum Großteil aufgelöst, und ihre Locken ergossen sich über ihre Schultern und den Rücken wie Rotwein, der im schwachen Licht der Gaslampen verwegen schimmerte. Trotzdem war sie eine verdammte Schönheit. Meine Herzverwandte. Meine Königin. Keine Göttin, sondern eine Primarin – die Primarin des Blutes und der Knochen. Die Primarin des Lebens und des Todes.

Kurz bevor Poppy die Verwandlung zur Primarin abgeschlossen hat, fällt sie ins Koma und Cas muss fürchten, seine große Liebe zu verlieren. Währenddessen erwachen überall in der Welt der Sterblichen und im Iliseeum die Götter und bereiten sich auf den großen Krieg vor. In seiner Verzweiflung bleibt Cas an Poppys Seite und spricht mit ihr. Er erzählt ihr von ihrer ersten Begegnung, vom Anfang ihrer Liebe und offenbart ihr dabei Geheimnisse, die sie noch nicht kannte. Doch was wird Poppy erwarten, wenn sie erwacht? Wie sehr wird sich ihre Welt verändert haben? Und vor allem, wie sehr wird Poppy sich verändert haben? Cas bleibt nichts anderes übrig, als auf seine große Liebe zu vertrauen …

DIEAUTORIN

Jennifer L. Armentrout ist eine der erfolgreichsten Autorinnen der USA. Immer wieder stürmt sie mit ihren Romanen – fantastische, realistische und romantische Geschichten für Erwachsene und Jugendliche – die Bestsellerlisten. Ihre Zeit verbringt sie mit Schreiben, Sport und Zombie-Filmen. In Deutschland hat sie sich mit ihrer Obsidian-Reihe und der Wicked- Saga eine riesige Fangemeinde erobert. Crown and Bones, der dritte Band der Blood and Ash-Reihe, stand auf Platz 1 der SPIEGEL-Bestsellerliste. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und zwei Hunden in West Virginia.

Von Jennifer L. Armentrout sind im Heyne Verlag außerdem erschienen: Wicked, Torn, Brave, Kissed, Healed

JENNIFER L.

ARMENTROUT

SOUL

AND

ASH

LIEBE KENNT KEINE GRENZEN

ROMAN

Aus dem Amerikanischen übersetzt

von Sonja Rebernik-Heidegger

WILHELMHEYNEVERLAG

MÜNCHEN

Titel der amerikanischen Originalausgabe

A SOUL OF ASH AND BLOOD

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Dataminings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Redaktion: Catherine Beck

Copyright © 2023 by Jennifer L. Armentrout

Copyright © 2024 der deutschsprachigen Ausgabe und der Übersetzung

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Karte: Hang Le

Umschlaggestaltung: DAS ILLUSTRAT, München,

unter Verwendung des Originalentwurfs von Hang Le

Satz: KCFG – Medienagentur Neuss

ISBN 978-3-641-31519-1V001

www.heyne.de

Vorbemerkung der Autorin

Die Figuren auf diesen Seiten sind frei erfunden, was sie erleben und erfahren, existiert jedoch auch außerhalb dieser Geschichte – und betrifft mich ebenfalls. Seid euch daher bitte bewusst, dass dieses Buch unter anderem von selbstverletzendem Verhalten und Missbrauch handelt.

Lasst euch sagen, dass ihr diese Dinge nicht stumm ertragen müsst.

Es gibt Hilfsangebote, die ihr nutzen könnt.

Für meine Leser*innen

Gegenwart

EINSÜSSER, ABERSCHALERGERUCHdrang aus dem dunklen Korridor. Mein Kopf fuhr herum, als leise, schnelle Schritte erklangen, und ich griff nach dem Blutsteindolch an meiner Hüfte.

Ein Vampyr huschte zwischen den Sandsteinsäulen hindurch und in die vom Licht der Lampen erhellte Kammer, die zu dem scheinbar unendlichen Tunnelsystem unter Burg Wayfair gehörte. Ein Blitz aus fließenden schwarzen Haaren, alabasterweißer Haut und blutroter Seide.

Ich zögerte nicht. Kieran und ich hatten niemanden verschont, seit wir in den Untergrund hinabgestiegen waren.

Ich schleuderte den Dolch quer durch den Raum. Die Blutsteinklinge fand ihr Ziel, bohrte sich in die Brust des Vampyrs und setzte dem nervtötenden, grauenhaften Kreischen ein Ende. Der Aufgestiegene fiel nach hinten, und Risse breiteten sich über die Wangen und den Hals hinunter aus. Die Haut schälte sich von den Knochen, und sein Körper zerfiel zu Staub. Einen Augenblick später landete mein Dolch klirrend auf dem Steinboden. Ein Haufen Seide war alles, was übrig geblieben war.

»Cas.« Es war ein Seufzen, und meine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, obwohl eine unglaubliche Frustration in diesem einen gehauchten Wort lag.

Ich konnte nicht anders, wenn Poppy mich Cas nannte. Manchmal zog sich meine Brust zusammen, während ich mich gleichzeitig federleicht fühlte. Dann wieder wurde ich hart wie Stein. Aber es zauberte mir jedes Mal ein Lächeln aufs Gesicht.

»Der Aufgestiegene hat uns nicht angegriffen«, bemerkte Poppy.

»Er ist auf uns zugelaufen.« Ich trat zu meinem Dolch und hob ihn auf.

»Oder vor uns davon«, gab sie zu bedenken.

»Wie man’s nimmt.« Ich wischte den Dolch an meinem Hosenbein sauber, steckte ihn fort und drehte mich zu ihr um, wobei mir bei ihrem Anblick mal wieder der verdammte Atem stockte.

Jedem Zentimeter ihres Körpers war anzusehen, dass sie gerade einen schrecklichen Kampf ausgefochten hatte. Ihre Wangen waren blut- und dreckverschmiert, genau wie ihre Hände und Kleider. Was an den nackten Füßen klebte, wollte ich lieber nicht so genau wissen. Der Zopf, zu dem sie ihre wilde Mähne gebändigt hatte, hatte sich zum Großteil aufgelöst, und ihre Locken ergossen sich über ihre Schultern und den Rücken wie Rotwein, der im schwachen Licht der Gaslampen verwegen schimmerte.

Trotzdem war sie eine verdammte Schönheit.

Meine Herzverwandte.

Meine Königin.

Keine Göttin, sondern eine Primarin – die Primarin des Blutes und der Knochen. Die Primarin des Lebens und des Todes.

Die Erkenntnis traf mich erneut wie ein Schlag, und ich wäre beinahe ins Taumeln geraten. Das passierte alle paar Minuten, seit Poppy gegenüber der Blutkönigin die Primarin heraushängen hatte lassen. Und vermutlich würde es noch verdammt lange dauern, bis damit wieder Schluss war.

»Es sollte mittlerweile doch jedem klar sein, dass er keinesfalls in deine Richtung laufen sollte, wenn er am Ende nicht zu Staub zerfallen will.« Ich verbeugte mich vor ihr. »Meine Königin.«

Poppy blinzelte einige Male und blieb gänzlich unbeeindruckt von meinem galanten Auftreten. Mein Lächeln wurde breiter, und ihre vollen Lippen zuckten, als sie gegen das aufsteigende Grinsen ankämpfte. Die scharfen Spitzen ihrer Fangzähne blitzten hervor.

Als ich den Kopf senkte und sich unsere Blicke trafen, packte mich ein plötzliches Verlangen. Ich wollte diese Fangzähne in meinem Fleisch spüren. Nein, falsch. Ich wollte sie in meinem Fleisch spüren, während ich tief in ihr war.

Ein Räuspern erklang. »Können wir weiter?«, fragte eine rauchige, gleichmütige Stimme. »Oder sollen wir euch beide mal kurz allein lassen?«

Poppys Wangen begannen zu glühen, und zum ersten Mal seit der Ankunft in Burg Wayfair kehrte Farbe in ihr Gesicht zurück. Ich wandte mich an den Kerl, der gesprochen hatte.

Der gewaltige Koloss mit den von silbernen Strähnen durchzogenen schwarzen Haaren hob eine Augenbraue.

Nektas war der älteste und zweifellos der gefährlichste Draken, trotzdem ging er mir langsam verdammt auf die Nerven.

Ich hielt seinem Blick stand, während ich das Verlangen nach meiner Frau zurückdrängte. Nicht seinetwegen. Und auch nicht, weil wir hier waren, um nach Poppys Vater zu suchen, sondern wegen Poppy.

Irgendetwas stimmte nicht mit ihr.

Ich trat wieder neben sie und den stets wachsamen Delano, der in seiner wölfischen Form nicht von ihrer Seite wich. »Bist du bereit?«

Sie nickte und setzte sich wieder in Bewegung. Der Steinboden musste sich eiskalt unter ihren nackten Füßen anfühlen. Ich bot an, sie zu tragen.

Ein Blick reichte, und ich wusste, dass ich nicht noch einmal fragen würde. Allerdings hielt dieser Blick Kieran nicht davon ab, ihr dasselbe Angebot zu machen. Er wurde mit demselben warnenden Blick bedacht, bei dem sich wohl jeder Mann schützend die Hände vor den Schritt gehalten hätte. Wir hatten bloß Glück, dass Poppy es bevorzugte, wenn dieser Bereich unserer Körper unbeschadet blieb.

Ich ließ sie nicht aus den Augen, während wir weitergingen.

Ehe sie der Blutkönigin vorhin im Knochentempel die Hölle heißgemacht hatte, hatte ich von blankem Entsetzen erfüllt mitangesehen, wie gleißendes Licht ihre Rüstung gesprengt hatte, während ich unfähig gewesen war, etwas dagegen zu tun. Ich hatte bisher nur ein einziges Mal solche Angst gehabt, nämlich als sie damals im Ödland verletzt worden war und ich gespürt hatte, wie das Leben aus ihr wich. Dasselbe Gefühl hatte mich vorhin gepackt, als plötzlich Blut aus ihrem Mund gesickert war. Sie hatte sich verwandelt – wenn auch nur für ein paar Sekunden. Ihr Körper war zu einem Kaleidoskop aus Licht und Schatten geworden, und hinter ihr hatten sich die Umrisse zweier Flügel abgezeichnet. Es hatte mich an die geflügelten Statuen im Iliseeum erinnert, die die Stadt der Götter bewachten.

Im nächsten Moment hatte sie Isbeth den Garaus gemacht.

Natürlich würde niemand diese Frau vermissen, aber die Blutkönigin war trotz allem Poppys Mutter gewesen.

Irgendwann würde ihr bewusst werden, dass sie ihre Mutter getötet hatte, und sie würde von einer Flut an chaotischen und komplizierten Gefühlen überrollt werden.

Aber ich würde für sie da sein.

Genau wie Kieran.

Er ging auf der anderen Seite neben Poppy her und warf wie ich alle paar Sekunden einen Blick auf sie, wobei sich jedes Mal eine Mischung aus Sorge und Ehrfurcht auf seinem blutverschmierten Gesicht breitmachte.

Er sah beschissen aus.

Genau wie ich.

Unsere Klamotten und die Überreste unserer Rüstungen waren vom Kampf zerrissen und zerbeult. Eingetrocknetes Blut bedeckte meinen ganzen Körper. Einiges stammte von mir, einiges von den Dakkai. Und von jenen, die zwar zu Boden gegangen, aber nicht dortgeblieben waren.

Ich sah zu Delano, der schweigend hinter uns her trottete. Während die anderen Wölfe und unsere Mitstreiter auf der Suche nach weiteren Aufgestiegenen und meinem Bruder Carsodonien durchkämmten, hatte er sich entschieden, bei Poppy zu bleiben.

Ein seltsames, beunruhigendes Gefühl überkam mich, als Delano den Kopf hob und mich mit seinen blassen leuchtend blauen Augen ansah. War das Leben, das den im Kampf Gefallenen wiedergegeben worden war, ein Geschenk, das ihnen jederzeit wieder genommen werden konnte? Ich hatte keinen Grund, so zu denken. Nektas hatte uns erklärt, dass das Zurückholen so vieler Seelen den Primaren des Lebens und des Todes nicht nur bewusst war, sondern dass sie sogar ihre Finger im Spiel gehabt hatten.

Außerdem konnte das Unbehagen von einer verdammten Wagenladung anderer Umstände herrühren. Immerhin bewegten wir uns gerade durch ehemals feindliches Gebiet, und obwohl weder die sterbliche Dienerschaft noch die königlichen Wächter, die sich noch auf Burg Wayfair aufhielten, uns aufgehalten hatten und wir bisher unter der Erde nur drei Aufgestiegenen begegnet waren, fühlten wir uns hier nicht wohl. Burg Wayfair gehörte dem Feind. Das würde sich nie ändern.

Mein Bruder bereitete mir ebenfalls Sorgen, denn er war irgendwo dort draußen und jagte Millicent hinterher, die zufällig Poppys Schwester war. Niemand wusste, wie Millicent den Tod ihrer Mutter aufgenommen hatte.

Wobei ich nach meinen bisherigen Erfahrungen mit Millicent glaubte, dass sie die meiste Zeit selbst keine Ahnung hatte, was sie fühlte und auf wessen Seite sie stand.

Dazu kam noch die Tatsache, dass Poppys primare Großeltern nicht mehr schliefen, und soweit ich es verstanden hatte, konnten sie jederzeit in die sterbliche Welt übertreten, wenn sie das wünschten.

Ganz zu schweigen von Callum, diesem goldenen Wichser von Wiederkehrer, um den wir uns ebenfalls kümmern mussten, was mich zu dem beunruhigendsten Punkt auf meiner Liste brachte: Wir hatten die Blutkrone zwar besiegt, aber der richtige Kampf stand uns noch bevor. Wir hatten gerade noch verhindert, dass Kolis, der wahre Primar des Todes, wieder körperliche Gestalt annahm, aber er war wach und aus seinem Gefängnis befreit. Und er war nicht der Einzige.

All diese Dinge waren mehr als dringlich, allerdings …

Mein Blick fiel erneut auf Poppys Profil, und meine Brust zog sich zusammen. Die dünne, ausgefranste Narbe, die von ihrer Stirn durch eine Augenbraue bis auf ihre Wange reichte, stach deutlicher hervor als je zuvor. Poppy war blass – blasser als bei unserer Ankunft im Tempel. Und sollte nicht das Gegenteil der Fall sein? Hätte ihre Haut nicht rosig schimmern sollen? Abgesehen von dem kurzen Erröten vorhin war das nicht der Fall, und das bereitete mir am meisten Sorgen.

Poppy wandte den Kopf in meine Richtung. Unsere Blicke trafen sich. Ihre Augen schimmerten wie taubenetztes Gras und waren von leuchtendem Silber durchzogen. Dem Äther. Bildete ich es mir nur ein, oder war das Leuchten auf dem Weg zu Burg Wayfair intensiver geworden? Ihre vollen Lippen verzogen sich zu einem beruhigenden Lächeln, und mir war sofort klar, dass sie wusste, wie ich mich fühlte. Entweder, weil ich mein Unwohlsein auf sie projizierte, oder weil sie meinen Gefühlen nachspürte. Und nicht nur meinen, sondern auch den Gefühlen der anderen Anwesenden.

Ich griff nach ihrer Hand, und meine Brust zog sich noch enger zusammen. Ihre Hand, die so unendlich viel kleiner war als meine, war kalt. Zwar nicht eiskalt, aber kalt genug.

»Geht es dir gut?«, fragte ich mit leiser Stimme, die trotzdem durch die höhlenartige Kammer hallte.

Poppy nickte. »Ja.« Sie runzelte die Stirn und musterte mich. »Und dir?«

»Sicher«, murmelte ich und warf einen schnellen Blick auf Kieran.

Mittlerweile lag mehr Sorge als Ehrfurcht in seinem Blick. Er rückte näher an Poppy heran, ohne dass ich etwas sagen musste.

Irgendetwas stimmte nicht.

Das merkte man auch an Nektas, der schweigend neben Kieran herging. Poppy hatte ihn vorhin gefragt, ob die Tatsache, dass sie nun eine Primarin war, die es noch nie zuvor gegeben hatte, eine gute oder schlechte Sache war, woraufhin Nektas mit »Das wird sich noch herausstellen« geantwortet hatte.

Und das gefiel mir ganz und gar nicht.

Die Art, wie er Poppy ansah, erinnerte mich an unser Verhalten gegenüber Malik. So als wüssten wir nicht genau, ob wir ihm trauen können. Niemand wollte, dass ihn ein Draken so ansah.

Poppy hielt vor dem Durchgang in einen langen dunklen Korridor inne. Der feuchte, modrige Geruch drohte, mich an einen noch dunkleren, noch kühleren Ort zurückzubefördern. Ich setzte diesem Gedanken sofort ein Ende. Jetzt war keine Zeit für diesen Mist.

Poppy entzog mir ihre Hand, und ihr Blick wanderte von einem zum anderen. »Na gut. Warum starrt ihr mich alle so an?«, wollte sie wissen, wobei sie die Hände in die Hüften stemmte und trotzig das Kinn vorstreckte.

»Du meinst, abgesehen von deinen hinreißenden Fangzähnen?«

Ihre Augen wurden schmal, doch ich grinste, als sie die Zunge über die obere Zahnreihe gleiten ließ. Im nächsten Moment zuckte sie zusammen. Offenbar hatte sie sich mal wieder geschnitten. »Abgesehen davon.«

»Ich schätze, sie machen sich Sorgen um dich«, antwortete Nektas mit seiner rauen Stimme.

»Warum?« Poppys Blick sprang zwischen mir und Kieran hin und her. »Ich bin die Letzte, um die ihr euch Sorgen machen solltet.«

»Naaa jaaa«, meinte Nektas gedehnt.

Kierans Kopf fuhr zu dem Draken herum und seine Nasenflügel bebten, während ich an Nektas’ bedeutungsvollen Rat denken musste, dass wir besser sichergehen sollten, dass sich Poppy tatsächlich in etwas Gutes verwandelt hatte.

»Ich würde nicht unbedingt sagen, dass du die Letzte bist, um die man sich Sorgen machen sollte«, fuhr Nektas fort. »Du belegst vielmehr den zweiten Platz der Reihung.«

»Was soll denn das schon wieder heißen?«, wollte Kieran wissen.

Nektas warf dem Wolf einen kurzen Blick zu. »Kolis ist unsere Hauptsorge.« Er neigte den Kopf. Seine langen, von silbernen Strähnen durchzogenen Haare glitten über seine nackte Schulter, und man sah erneut die schwachen Umrisse seiner Schuppen. »Sie steht an zweiter Stelle.«

Poppy runzelte die Stirn. »Also, ich finde, mein Vater und deine Tochter sollten ganz oben stehen, danach kommt Kolis. Ich habe auf der Liste überhaupt nichts verloren.«

Nektas öffnete den Mund.

»Ich wäre vorsichtig mit dem, was ich jetzt sage«, warnte ich ihn.

Der uralte Draken wandte langsam den Kopf in meine Richtung. Unsere Blicke trafen sich und hielten einander fest. Seine vertikalen Pupillen zog sich zusammen, bis sie sich als schwarze Striche von dem leuchtenden Blau abhoben. »Interessant.«

Ich hob eine Augenbraue. »Was?«

»Du«, antwortete er. Es folgte eine spannungsgeladene Stille, und Delano legte die Ohren an. »Du stellst dich vor sie, als müsstest du sie beschützen.«

Das war mir gar nicht aufgefallen. Genauso wenig wie Kieran und Delano. »Und?«

Poppy stieß ein Seufzen aus.

»Das ist prinzipiell ganz klug. Selbst die mächtigsten Wesen brauchen ab und zu Schutz«, erklärte Nektas. »Aber in diesem Fall nicht.«

»Da wäre ich mir nicht so sicher.« Ich legte die Hand auf den Dolch an meiner Hüfte. Natürlich hätte ich niemals einen Draken getötet, aber ich konnte ihm zumindest angemessene Schmerzen bereiten.

»Das ist wirklich vollkommen unnötig«, begann Poppy.

»Auch da wäre ich mir nicht so sicher.« Nachdem ich spürte, wie sie an meine rechte Seite vorrückte, trat ich vor sie und hielt Nektas’ Blick weiterhin fest. »Mir ist scheißegal, wer du bist. Du musst dir jedenfalls keine Sorgen um sie machen.«

Ein Mundwinkel des Draken wanderte nach oben, während ein weiterer, viel zu langer Moment des Schweigens verging. »Du bist ihm viel zu ähnlich.«

»Wem?«, fragte Poppy.

Seine Pupillen weiteten sich. »Dem Vater seiner Blutlinie.«

»Was zum Henker soll das?«, murmelte Kieran leise und fragte dann lauter: »Wer soll das gewesen sein?«

Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Draken. »Du meinst wohl eher: Wer ist das?«

Ich runzelte die Stirn. »Ich muss …«

Ein leises Rumpeln unterbrach mich. Delano reckte den Kopf und sah sich um, während das Geräusch lauter und tiefer wurde. Mein Blick schoss zu Kieran. Er wandte sich um, als der Boden unter unseren Füßen zu beben begann. Ich fuhr zu Poppy herum.

Ihre grünen von Silber durchzogenen Augen weiteten sich. »Was denn?«

Staub rieselte von der Decke auf unsere Schultern und den Boden. Das Rumpeln wurde stärker, bis die gesamte Burg bebte.

»Ich habe damit nichts zu tun!«, rief Poppy über den Lärm hinweg und hob ergeben die Hände. »Echt nicht!«

Ich sah zur Decke, wo sich bereits dünne Risse durch den Stein zogen. »Scheiße!«

Ich sprang nach vorne, dicht gefolgt von Delano. Ich packte Poppy, während die Säulen erste Sprünge bekamen, die sich blitzschnell nach unten ausbreiteten. Gleich würde die Burg über unseren Köpfen einstürzen, und mein erster Gedanke galt Poppy. Ich schob sie zwischen Kieran und mich, während Delano sich an ihre Beine drückte. Sie stieß einen leisen Schrei aus, als wir sie umzingelten und versuchten, sie mit unseren Körpern vor der einstürzenden Decke zu schützen.

Delano winselte, als irgendwo im Tunnel etwas Schweres zu Boden krachte. Die aufsteigende Staubwolke war undurchdringlich. Das Rumpeln wurde lauter und lauter, bis sonst nichts mehr zu hören war. Das gesamte Reich bebte …

Und dann war es mit einem Mal vorbei.

Das Rumpeln verstummte. Die Risse breiteten sich nicht weiter aus. Es krachten keine wichtigen Dinge wie tragende Stützen zu Boden. Es war genauso schnell zu Ende, wie es angefangen hatte.

»Ähm«, erklang Poppys gedämpfte Stimme. »Ich bekomme kaum noch Luft.«

Ich sah bloß ihren Scheitel unter meinen und Kierans Armen. Ich war noch nicht bereit, sie herunterzunehmen.

»Das war sie nicht«, erklärte Nektas nachdenklich. »Sondern die.«

»Die?«, wiederholte Kieran und senkte langsam die Arme.

»Die Götter«, stellte der Draken klar. »Einer von ihnen muss ganz in der Nähe aufgewacht sein.«

Einer von ihnen musste …

Poppy schoss wie ein Pfeil unter meinen Armen hervor, die Augen immer noch geweitet, aber mittlerweile von Eifer erfüllt.

»Penellaphe«, keuchte sie, und ihr Blick sprang von mir zu Kieran. »Weißt du noch? Du hast gesagt, dass die Göttin Penellaphe unter dem Athenäum ruht!« Sie stieß Kieran gegen den Arm, der daraufhin einen Schritt zurücktaumelte. »Ups. Tut mir leid.«

»Schon gut.« Kieran richtete sich grinsend gerade. »Und ja, das habe ich gesagt.«

Sie fuhr zu Nektas herum. »Können wir zu ihr? Ich meine, nachdem wir meinen Vater befreit und Jadis aufgespürt haben? Weißt du, ich wurde nach ihr benannt und …«

»Nach der Göttin, die bereits lange Jahre vor deiner Geburt von dir sprach?«, unterbrach mich Nektas. »Die dich als Erste als Verschwörer bezeichnet hat? Als Überbringerin des Todes? Und deren Prophezeiung du erfüllt hast?«

Poppy ließ die Arme sinken. »Na ja, wenn man es so sieht …« Sie presste die Lippen aufeinander. »Ich glaube, ich habe es mir anders überlegt.«

Ich hätte dem Draken am liebsten eine verpasst, weil er Poppys aufflammender Begeisterung ein jähes Ende gesetzt hatte.

Nektas lachte leise. »Ich bin mir sicher, dass sie dich gern kennenlernen würde. Das würden sie zum richtigen Zeitpunkt alle«, sagte er, und sein Gesicht nahm sanftere Züge an, die ich noch nie an ihm gesehen hatte. »Aber jetzt sollten wir weiter, denn vielleicht ruhen noch mehr Götter unter der Hauptstadt, und ich möchte lieber nicht hier unten sein, wenn die Erde erneut bebt.«

Er hatte recht. Das wollte niemand.

»Übrigens«, sagte er, nachdem wir losgegangen waren, und warf einen Blick auf Kieran und mich. »Ihr beide seid … entzückend.«

Kieran runzelte die Stirn und wischte sich den Staub von den Schultern. »Ich glaube nicht, dass mich schon mal jemand entzückend genannt hat, aber danke.« Er hielt inne. »Glaube ich.«

Der Draken lachte erneut. »Ihr seid alle drei zu ihr gelaufen, um sie zu schützen.« Er deutete mit dem Kopf auf Delano, der neben Poppy her trottete, während sie uns einen weiteren noch schmaleren Gang entlangführte. Eine Säule war umgestürzt und lehnte an der nächsten. »Dabei ist sie die Einzige von uns, die den Einsturz eines Gebäudes überleben würde.«

Daran hatte ich gar nicht gedacht.

Poppy grinste. »Es war tatsächlich irgendwie entzückend.«

Kieran schnaubte, und ich hätte schwören können, dass seine hellbraunen Wangen zu glühen begannen.

»Und in mehr als einer Hinsicht unnötig«, fuhr Nektas fort. »Ihr drei habt die Zusammenfügung vollzogen, nicht wahr?«

Delano spitzte die Ohren, und Poppys Kopf fuhr zu ihm herum. Etwas Farbe kehrte in ihre Wangen zurück. Sein Schwanz schlug hin und her. Offenbar hatte er ihr etwas über das primare Notam mitgeteilt. Ich musste ihn später danach fragen.

»Ja«, antwortete sie Nektas. »Aber es dauert wohl noch eine Weile, bis wir verinnerlicht haben, dass niemandem etwas geschieht, solange es mir gut geht.«

»Das ist die Untertreibung des Jahrhunderts«, bemerkte Kieran, und ein Grinsen umspielte meine Lippen.

Doch es verschwand schnell. Denn sobald die Röte nachgelassen hatte, war Poppys Gesicht noch blasser als vorhin.

Irgendetwas stimmt nicht.

Das Gefühl wurde stärker, je weiter wir in das unterirdische Labyrinth aus Kammern und Korridoren vordrangen, in dem Poppy schon als kleines Mädchen unterwegs gewesen war. Ich wusste nicht, warum es mich nicht losließ. Da war ein Druck auf meiner Brust und im Rachen.

Klick. Klick. Klick.

Poppy hielt inne. Ihre herabhängenden Hände öffneten und schlossen sich. Ich riss den Blick von ihr los und ließ ihn den Korridor entlangwandern. Vor uns fiel ein sanfter Schimmer auf die Steine und drängte die Dunkelheit zurück.

Das Geräusch. Wir kannten es alle. Wir hatten es auch in Eichenhain gehört. Es waren Klauen, die über den Stein schrammten.

Nektas ging mit schnellen selbstbewussten Schritten voran, doch Poppy schien wie erstarrt. Ich berührte ihre Schulter, und sie sah mich an.

»Alles in Ordnung?«, fragte ich, und dieses Mal sprach ich nicht von ihrem körperlichen Zustand.

Sie nickte, schluckte und sah Nektas nach. Er hatte vor dem Licht innegehalten und blickte zu uns nach hinten.

»Bist du sicher?«, fragte Kieran und musterte Poppy eingehend.

»Ja. Klar.« Sie räusperte sich. »Es ist nur … das ist mein Vater, und ich weiß nicht, was ich denken oder sagen soll.«

Ich verstand, was sie meinte.

Poppy hatte einen Vater, an den sie sich erinnern konnte, und das war Leopold. Der Mann, den sie gleich befreien würde, war ein Fremder, auch wenn sie ihn als Kind einige Male gesehen hatte. Ein Mann, der seit viel zu langer Zeit gefangen gehalten wurde. Ich konnte mir vorstellen, dass sich die Vorfreude und die Schuldgefühle in ihr einen erbitterten Kampf lieferten. Sie befürchtete wohl, Leos Andenken nicht mehr genug in Ehren halten zu können. Und sie bedauerte, dass ihr nie in den Sinn gekommen war, wer hier unter Burg Wayfair und davor in Eichenhain gefangen gehalten wurde. Es gab viel nachzudenken. Und noch mehr zu tun.

Ich umfasste ihre Wange und drehte ihr Gesicht zu mir. Ich lächelte, auch wenn der Druck auf meiner Brust und in meiner Kehle immer stärker wurde. Ihre Haut war so verflucht kalt. »Im Moment musst du gar nichts fühlen oder denken. Du musst nur dafür sorgen, dass er freikommt.« Ich senkte die Stimme. »Du musst ihm nicht einmal gegenübertreten, wenn du noch nicht bereit bist. Es wird dich niemand dafür verurteilen.«

Kieran nickte. »Außerdem sind wir bei dir.«

Sie sah zwischen uns beiden hin und her, dann richtete sie den Blick erneut auf Nektas. Ich ließ den Daumen über ihr Kinn gleiten. Ein sanftes Schaudern durchlief sie, und sie holte tief Luft. Sie straffte die Schultern, und ich wusste, noch bevor sie etwas sagte, wie sie sich entschieden hatte. »Ich bin bereit.«

»Natürlich«, murmelte ich und beugte mich nach unten, um einen Kuss auf ihre kalte Schläfe zu drücken. »So mutig.«

»Da bin ich mir nicht so sicher«, meinte sie, doch dann nickte sie trotzdem. »Aber ich werde es sein.«

Kieran hob lächelnd die Hand. »Wie immer.« Er berührte ihre andere Wange, und seine Augen weiteten sich kaum merklich. Er sah mich über ihren Kopf hinweg an.

»Ich bin bereit«, wiederholte Poppy und löste sich von uns. Dann setzte sie sich mit Delano an ihrer Seite in Bewegung.

Wir hielten noch einen Augenblick inne, und als Kieran sprach, war seine Stimme so leise, dass Poppy sie nicht hören konnte. »Warum ist ihre Haut so verdammt kalt?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete ich. »Aber irgendetwas …«

»Stimmt nicht.«

Ich sah ihn an. »Du spürst es also auch?«

»Ja. In meiner Brust. Und hier.« Er deutete auf seinen Hals.

Verdammt.

Das war kein gutes Zeichen, aber es blieb keine Zeit, um darüber nachzudenken, was es bedeutete. Wir hatten Poppy versprochen, dass wir bei ihr bleiben würden, also setzten wir unsere Ärsche in Bewegung und gesellten uns zu ihr und Delano, als sie gerade neben Nektas traten.

Das Klicken war lauter geworden.

»Ich weiß, dass das hier nicht einfach für dich ist«, sagte Nektas und blickte auf Poppy hinab. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Für ihn wird es ebenfalls nicht einfach. Ires war immer …« Er schüttelte den Kopf. »Wir sollten uns beeilen.«

Ich wusste, dass Poppy ihn gern gefragt hätte, was er hatte sagen wollen, doch sie tat nichts dergleichen, sondern trat ins Licht. Das Kratzen der Krallen verstummte. Wir folgten ihr, und mein Herz schlug genauso schnell wie ihres. Ich hob den Blick von ihr und richtete ihn nach vorne.

Ein Käfig stand in einer von Kerzen erhellten Kammer. Hinter den schwarzen Gitterstäben, die vermutlich aus Schattenstein bestanden, befand sich eine große graue Katze, deren grüne Augen starr auf Poppy gerichtet waren – genauso wie vor einiger Zeit in Eichenhain. Es bestand kein Zweifel, dass er damals schon gewusst hatte, wer sie war. Vermutlich hatte er es sogar vor all den Jahren gewusst, als sie als Kind hier unten gewesen war.

»Bei allen Göttern«, keuchte Nektas, und seine Augen weiteten sich, als sein Blick auf Ires fiel. Die Haut um seinen Mund wurde hart.

Der Gott sah abgezehrter aus als beim letzten Mal. Die Rippen stachen unter seinem stumpfen grauen Fell hervor, der Bauch war eingesunken. Die Sehnen an seinem Hals traten hervor, als sein Kopf zu Nektas herumfuhr.

Ires zuckte zusammen, als er den Draken erkannte, und er sprang kraftlos an den Gitterstäben hoch, während sein Blick zwischen Nektas und Poppy hin und her schoss.

»Sind das Schutzzauber?«, fragte Kieran und deutete mit dem Kopf auf die Zeichen an der Schattensteindecke und auf dem Boden. Es waren Symbole und Buchstaben aus dem Altatlantianischem – der Sprache der Götter.

»Ja.« Nektas trat an den Käfig heran. »Niemand in der sterblichen Welt sollte über dieses Wissen verfügen.«

»Callum«, vermutete ich, während Poppy vor dem Käfig in die Knie ging.

Nektas nickte. »Aber das tut jetzt nichts zur Sache.« Er umfasste die Gitterstäbe und erregte damit einen flüchtigen Moment lang Ires’ Aufmerksamkeit. »Er ist vermutlich ein wenig labil, vor allem, wenn er schon so lange in diesem Zustand ist, wie ich befürchte. Er gleicht eher einem Tier als allem anderen. Wir müssen vorsichtig sein.«

Das war offensichtlich, denn Ires sprang weiter an den Stäben hoch, presste seine Flanken und den Kopf dagegen und stieß dabei Geräusche aus, die irgendwo zwischen einem Knurren und einem Wimmern lagen.

Ich ging neben Poppy in die Hocke und legte meine Hände bewusst auf meine Knie, um sie nicht zu packen und zurückzureißen.

»Kommst du an den Gitterstäben vorbei?«, fragte Poppy und knetete die Hände, was ein untrügliches Zeichen dafür war, wie nervös sie war. »Oder kann ich es auch?«

»Du wirst es irgendwann vermutlich schaffen«, meinte Nektas. »Ich kann es auf jeden Fall.« Er konzentrierte sich auf Ires. »Du bist jetzt in Sicherheit. Das verspreche ich dir«, sagte er zu dem Gott, und seine Stimme klang belegt. »Du musst nur Ruhe bewahren, in Ordnung?«

Ires sprang erneut gegen die Gitterstäbe.

»Das war wohl eher kein Ja«, bemerkte Kieran und ging neben mir in die Knie.

»Es ist alles gut«, erklärte Nektas Ires erneut, doch je mehr der Draken sagte, desto unkontrollierter wurde der Gott, wanderte hektisch auf und ab und sprang gegen die Gitterstäbe. »Verdammt, er wird sich noch selbst verletzen.«

»Ich spüre kaum etwas von ihm.« Poppy war die Sorge anzuhören, und ich bemerkte sie auch in meinem Hals, der sich noch weiter zusammenzog. »Beim letzten Mal war es noch nicht so.«

»Er ist schon zu lange in dieser Form«, meinte Nektas. »Es ist nicht wie bei uns«, fuhr er fort und deutete auf Kieran und Delano. »Wir gehören zwei Welten an. Bei ihm ist es nur eine, und selbst bei einem Gott oder einem Primar geschieht es nur allzu leicht, dass sie sich verlieren, wenn sie zu lange in ihrer Tierform leben.«

Scheiße.

Wie lange war zu lange bei einem Gott? Immerhin redeten wir hier von mehreren Hundert Jahren. Dann kam mir ein weiterer Gedanke: Nektas hatte gesagt, wenn ein Gott oder ein Primar zu lange in ihrer Tierform leben. Bedeutete das, dass auch Poppy …?

Ich schüttelte den Kopf. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um sich über solche Dinge den Kopf zu zerbrechen. Ich massierte Poppys Rücken und sah zu, wie Ires auf und ab streifte. Ich hasste, was sie hier durchmachen musste. Was sie beide durchmachen mussten.

»Das wusste ich nicht«, meinte Poppy zu Nektas.

»Ich auch nicht«, bemerkte Kieran.

»Außerdem hat er vermutlich gespürt, dass die anderen Götter erwachen«, fuhr Nektas fort. »Auf einen derartigen Energiestoß war er nicht vorbereitet.«

Kieran erhob sich, während Ires sich weiter an die Gitterstäbe drückte. »Ich kann versuchen, ihn abzulenken, während du … verdammt noch mal, Poppy!«

Ich erlebte ein grauenhaftes Déjà-vu, als Poppy nach vorne stürzte. Ich streckte die Hand nach ihr aus, doch sie war verdammt schnell, wenn sie wollte – und mittlerweile sogar noch schneller.

»Poppy«, rief ich, als sie die Hand durch die Gitterstäbe steckte. »Nicht!«

Doch es war zu spät.

Ihre Hand lag bereits seitlich an Ires’ Hals, als ich den Arm um ihre Mitte schlang. Ires fuhr herum und fletschte die verdammt scharfen Zähne. Ein dumpfes, warnendes Knurren stieg seine Kehle empor. Ich versuchte, Poppy zurückzuziehen. Natürlich würde sie wütend sein, aber das war mir lieber, als herauszufinden, was passierte, wenn eine Primarin ihre Hand verlor.

»Ist schon gut«, murmelte sie und atmete tief durch. »Gib mir nur einen Augenblick. Bitte.«

Ich wollte es nicht, aber sie hatte bitte gesagt.

Trotzdem kostete es mich sämtliche Willenskraft, sie nicht noch einmal zu packen. Ich schaffte es bloß, weil Poppys Handeln Erfolg hatte.

Ires erschauderte, das Knurren verstummte und schließlich stand er heftig atmend vor ihr. Ich wusste, was sie tat. Sie sendete ihm gute Gedanken und Gefühle, um ihn zu beruhigen.

Als sie es zum ersten Mal bei mir gemacht hatte, war mir nicht bewusst gewesen, wozu sie fähig war. Die Erleichterung und der Frieden, die sie mir geschenkt hatte, waren unmittelbar und atemberaubend gewesen. Ein Geschenk. Trotzdem wollte ich ihre hübsche Hand nicht in Ires’ Nähe wissen. Ich mochte ihre Hände und das, was sie mit ihnen anstellte.

Poppy hatte die Augen halb geschlossen, und Delano drückte sich an ihre Seite, den misstrauischen Blick aufmerksam auf Ires gerichtet. »Schon gut. Gib ihm einfach ein paar Sekunden.«

»Was auch immer du mit den Gitterstäben vorhast …«, sagte Kieran zu Nektas und umklammerte seinen Dolch, den er im Zweifelsfall sofort benutzt hätte, »… mach lieber schnell.«

»Bin schon dabei.« Nektas trat von den Gitterstäben zurück.

Ein Schaudern durchfuhr Ires. Seine Haare stellten sich auf, doch Poppy ließ die Hand auf seinem Hals liegen, während er sich auf den Bauch sinken ließ. Seine Ohren zuckten. Eine helle blaue Flamme schoss an uns vorbei und erhellte die Kammer.

Drakenfeuer.

Dabei hatte Nektas sich gar nicht verwandelt. Wir hätten es sicher bemerkt, wenn plötzlich ein riesiger Draken mit uns hier unten gewesen wäre. Ich war neugierig, wie er dennoch ein Feuer zustande brachte, aber ich wagte nicht, den Blick von Ires und Poppy abzuwenden.

Ires begann zu zittern, als sich der Geruch nach heißem Metall in der Kammer ausbreitete. Silbernes Licht sickerte in seine Augen und breitete sich aus. Das Fell zog sich zurück und verblasste, während Flecken goldener Haut darunter zum Vorschein kamen. Seine Muskeln zogen sich zusammen, Knochen knackten. Lange rostbraune Haare erschienen auf seinem Kopf, die beinahe so lange waren wie Nektas’. Ich legte den anderen Arm um Poppy und hielt sie fest, während ihr Vater darum kämpfte, sich zu verwandeln. Vielleicht kämpfte das Tier in ihm aber auch dagegen an. Es dauerte vermutlich nicht länger als eine Minute, aber es sah schmerzhaft und ganz anders aus, wie wenn Kieran und die anderen sich verwandelten. Es war, als spürte er jede Kralle, die sich in das Nagelbett zurückzog.

Sein Körper wurde in schimmerndes Licht gehüllt, und im nächsten Moment kniete ein Mann in dem Käfig, in dem gerade noch die Katze gewesen war. Er war in sich zusammengesunken, und seine Augen blickten durch die fettigen Haarsträhnen hindurch auf Poppys Hand, die nun nicht mehr an seinem Hals, sondern auf seiner Schulter lag.

Poppy hob die Hand und nahm sie langsam aus dem Käfig. Sie umklammerte meinen Arm, der um ihre Mitte geschlungen war. »Hi«, flüsterte sie.

Die leuchtend grünen Augen des Gottes drangen in Poppys. Sie sahen beinahe aus wie ihre. Das silberne Leuchten hinter den Pupillen war kaum noch zu erkennen. Obwohl der Großteil des Gesichts hinter den Haaren verborgen blieb, sah ich die spitzen Knochen und eingesunkenen Wangen. Sein ganzer Körper bebte.

»Ich weiß nicht, ob du dich an mich erinnerst«, begann Poppy.

Auch sie zitterte. Ich hielt sie fest.

»Aber mein Name ist Poppy … na ja, eigentlich Penellaphe, aber meine Freunde nennen mich Poppy. Ich bin deine …« Sie verstummte, und ihr Atem stockte. Ich ließ die Hand an ihrer Seite nach unten gleiten und drückte sie.

Ires sagte kein Wort, während er sie anstarrte, und schien weder mich noch Kieran oder Delano zu bemerken. Er atmete schwer und schnell, seine knochigen Schultern hoben sich mit jedem Atemzug.

»Ires«, sagte Nektas leise.

Der Kopf des Mannes fuhr herum. Nektas hatte nicht nur einen großen Teil der Gitterstäbe geschmolzen, er stand mittlerweile bei Ires in der Zelle.

»Ich bin jetzt hier«, fuhr der Draken so sanft fort, wie ich es ihm niemals zugetraut hätte, und hielt die Hände gesenkt. »Ich bin hier, um dich nach Hause zu bringen.«

Ein weiteres Schaudern durchfuhr Ires, und er schloss die Augen. Nektas rückte vorsichtig näher.

»Ich laufe los und sehe mal, ob ich etwas für ihn finde. Eine Decke oder so«, meinte Kieran mit rauer Stimme.

»Danke.« Poppy schmiegte ihre Wange an meine Brust. Ich spürte, dass ihre Augen feucht waren. Bei den Göttern, wenn sie spürte, was Ires in diesem Moment fühlte, konnte ich mir nicht vorstellen, was sie gerade ertragen musste.

Doch, eigentlich konnte ich das sehr wohl.

Er spürte alles auf einmal und gleichzeitig gar nichts. Erleichterung, aber auch Verwirrung, die vor allem auf den Hunger zurückzuführen war. Und auf alles, was sie ihm sonst noch angetan haben mochten. Er hatte sicher schreckliche Angst. Bei mir war es beide Male so gewesen. Ich hatte Angst gehabt, dass meine Rettung nur ein Traum war. Vermutlich fürchtete er, dass er aufwachen würde, und niemand war da. Dass es nur sie waren. Isbeth und ihr Gefolge. Das ihn verhöhnte. Ihn terrorisierte. Er hatte Angst, dass er sich alles nur einbildete, und gleichzeitig fürchtete er sich davor, die zu verletzen, die gekommen waren, um ihn zu retten.

»Das ist kein Traum«, sagte ich.

Ires’ Kopf fuhr zu mir herum, und er sah mich unter seinen verfilzten Haaren hervor an.

Ich nickte und wischte Poppy mit dem Finger die Tränen aus den Augen. »Es passiert wirklich. Es ist vorbei. Isbeth ist tot. Sie hat keine Macht mehr über dich. Du bist frei.«

Ein zitternder Atemzug drang aus Ires’ Brust. Er schluckte. Seine Lippen bewegten sich, doch es war nur ein krächzender Laut zu hören, als versuchte er mit aller Kraft, seinen Körper und seinen Geist miteinander in Einklang zu bringen, damit er etwas sagen konnte. Nur die Götter wussten, wann er zuletzt geredet hatte.

Kieran kam zurück und reichte Nektas eines der Stoffbanner in Schwarz und Blutrot.

Der Draken nickte dankbar und ging neben Ires in die Knie, um ihm behutsam das Tuch über die Schultern zu breiten. Einen Moment lang schien es, als würde der Gott unter dem Gewicht zusammenbrechen, doch dann erschien eine viel zu knochige Hand, und schwache Finger schlossen sich um das Banner. Er hielt den Stoff fest, und auch wenn es nur eine Kleinigkeit war, war es zumindest etwas.

»Ich weiß«, meinte Ires heiser flüsternd. Er hob die andere Hand und streckte sie durch die Gitterstäbe. »Ich weiß, wer du bist.«

Poppy fuhr zurück, und ihr Körper versteifte sich, doch dann beugte sie sich wieder nach vorne. »Gut«, flüsterte sie, und ihre Stimme brach. Sie streckte die Hand aus und legte sie auf Ires’. Ihre Finger verschränkten sich miteinander. Poppys Schultern entspannten sich. »Gut.«

Ich senkte den Kopf und drückte ihr einen Kuss auf den Hinterkopf, während Ires schwach ihre Hand drückte.

Vater und Tochter. Es spielte keine Rolle, dass sie Fremde waren.

»Wo ist sie?«, krächzte Ires und hielt Poppys Hand weiter fest. »Mein … anderes Mädchen.«

»Millicent?« Poppy schluckte schwer. »Sie ist nicht hier, aber …«

»Es geht ihr gut. Sie ist bei meinem Bruder.« Ich hatte keine Ahnung, ob Malik Millicent bereits gefunden hatte und ob es gut oder schlecht für die beiden war, wenn sie wieder vereint waren. Es war eine verworrene Geschichte, die Ires nicht zu wissen brauchte.

Der Gott stieß die Luft aus und wandte sich langsam an Nektas. »Es tut mir leid, dass ich …«

»Das ist jetzt nicht nötig«, unterbrach ihn Nektas. »Ich muss dich nach Hause bringen. Dir geht es überhaupt nicht gut.«

Kieran warf mir einen fragenden Blick zu, und ich schüttelte den Kopf.

»Doch, das ist es. Ich wusste nicht, dass das passieren würde. Ich … ich hätte sie niemals mitgenommen, wenn ich … gewusst hätte.« Er hustete, und sein Körper erschauderte. »Es tut mir leid.«

Jadis.

Sie sprachen von Nektas’ Tochter.

Verdammt.

»Sie ist …« Ires atmete keuchend ein und aus, und seine Hand glitt aus Poppys Hand und sackte nach unten. Sie beugte sich vor und umklammerte die Gitterstäbe. »Ich weiß, wo … sie ist … die Felber …« Er nahm einen flachen Atemzug.

»Die Felber?«, fragte Nektas angespannt.

»Die Felber Ebenen«, rief Poppy. »Meinst du die Stadt dort?«

»Ja. Sie ist … dort. Es tut mir leid. Ich bin so … müde. Ich weiß nicht …« Ires brach zusammen. Nektas konnte ihn gerade noch auffangen.

»Nein!« Poppy sprang auf. »Was ist mit ihm?«

»Es ist alles in Ordnung, denke ich.« Nektas legte eine Hand auf die Stirn des bewusstlosen Gottes.

»Ich kann ihm helfen«, sagte Poppy und streckte erneut die Hände durch die Gitterstäbe. »Ich muss ihn bloß berühren, dann kann ich …«

»Das hier kann niemand heilen. Aber es geht ihm gut«, fuhr Nektas eilig fort. »Er ist bloß in Ohnmacht gefallen.«

»Wie kann es jemandem gut gehen, der gerade in Ohnmacht gefallen ist?«, wollte Poppy wissen. »Das klingt meiner Meinung nach gar nicht gut.«

»Er konnte sich viel zu lange nicht nähren.« Nektas presste wütend die Lippen aufeinander, während er gleichzeitig versuchte, Poppy zu beruhigen. »Er ist schrecklich schwach.«

»Bist du sicher, dass das alles ist?« Poppys Angst raubte mir beinahe den Atem.

Nektas drückte den regungslosen Gott an seine Brust. »Er muss nach Hause zu den Wurzeln. Die können hier nicht durch«, erklärte er. »Der Boden ist aus Schattenstein.«

»Na gut. Alles klar.« Poppy atmete tief durch und ließ die Gitterstäbe los. »Ich glaube, er meinte die Felber Ebenen. Sie befinden sich östlich der Hauptstadt, ein Stück in Richtung Norden. Die Trainingslager der Soldaten befinden sich dort, und es gibt auch ein paar Tempel. Wenn sie annähernd so sind wie …« Sie taumelte einen Schritt zurück und hob die Hand an die Stirn. »Oh Götter!«

»Was ist denn los?« Ich trat blitzschnell zu ihr und legte die Hände auf ihre Arme.

»Ich weiß es nicht.« Sie runzelte die Stirn. »Mir war gerade etwas schwindelig.«

»Du bist blass.« Ich warf Kieran einen Blick zu. »Sie ist sogar noch blasser als vorhin, oder?«

Kieran nickte. »Ja.«

»Vermutlich, weil mein Kopf so schmerzt«, erklärte sie uns. »Es hat vor einiger Zeit angefangen.«

»Warum hast du nichts gesagt?«, fragte ich und bemühte mich, ruhig zu bleiben, auch wenn mir ganz und gar nicht danach zumute war.

»Weil es bloß Kopfschmerzen sind«, antwortete Poppy.

»Bloß Kopfschmerzen?«, wiederholte ich dümmlich. »Bekommen Primare überhaupt Kopfschmerzen?«, fragte ich an Nektas gewandt. »Denn wenn ja, ist das doch echt seltsam.«

»Ja«, antwortete der Draken. »Aber normalerweise nur aus gutem Grund.«

Gab es denn nicht immer einen guten Grund, warum jemand Kopfschmerzen hatte?

Kieran legte eine Hand auf Poppys Wange. »Deine Haut ist noch kälter als vorhin« Er biss die Zähne aufeinander. »Richtig kalt.«

Poppy sah zwischen uns hin und her. »Was ist denn? Mir ist nicht kalt.«

Ich berührte die andere Wange, während sie sich selbst ans Kinn fasste. Mein Magen zog sich zusammen. Das Wort kalt beschrieb ihre eisige Haut nicht annähernd. Dann kam mir ein Gedanke. »Musst du dich nähren?«

»Ich glaube nicht«, sagte sie und schüttelte unsere Hände ab. »Meine Haut fühlt sich bloß kalt an, weil wir uns unter der Erde befinden.«

»Das glaube ich nicht«, erwiderte Kieran.

Dem musste ich zustimmen. »Du hast dich auch schon kalt angefühlt, bevor wir nach unten gestiegen sind.«

Poppy warf uns einen entnervten Blick zu. »Leute, ich weiß eure Sorge zu schätzen, aber das ist unnötig. Es gibt wichtigere Dinge, um die wir uns kümmern sollten.«

»Einspruch«, meinte ich. »Nichts ist wichtiger als du.«

»Cas«, warnte sie, und ihre Augen wurden schmal. Tiefe Schatten lagen darunter, die sanft violett leuchteten.

»Hast du geschlafen?«, fragte Nektas wie aus dem Nichts heraus.

Poppy runzelte noch mehr die Stirn. »Ähm, ja. Letzte Nacht.«

»Ich rede nicht von dieser Art von Schlaf.« Nektas verlagerte den bewusstlosen Gott in seinen Armen. »Bist du am Ende des Aufstiegs in den erforderlichen tiefen Schlaf gefallen? In eine Stasis?«

»Nein.« Sie zog die Nase kraus.

»Sie war eine Zeit lang weggetreten, aber das war, weil …« Kieran warf einen Blick auf Ires und beschloss offenbar, lieber nicht zu sehr ins Detail zu gehen, auch wenn der Gott nicht bei Bewusstsein war. »Nein, sie hat nicht geschlafen.«

»Verdammt.« Nektas verzog grimmig das Gesicht. »Dann hast du die Auslese also beendet, ohne in eine Stasis zu verfallen? Willst du das damit sagen?«

»Ja. Ich meine, klar war ich ein paar Minuten bewusstlos«, sagte Poppy. »Aber das weißt du ja bereits.«

»Mir gefällt die Richtung, in die sich dieses Gespräch entwickelt, überhaupt nicht«, murmelte Kieran.

Mir gefiel sie genauso wenig.

»Das ist wirklich äußerst ungünstig«, knurrte Nektas.

Ich versteifte mich. »Warum?«

»Weil es im Prinzip jeden Moment passieren könnte«, antwortet er.

»Geht das auch noch ein bisschen genauer?«, erwiderte ich frustriert.

»Mir geht es gut«, verkündete Poppy und wandte sich an Nektas. »Können wir ihn jetzt bitte aus dem Käfig herausschaffen?«

Nektas nickte. »Genau das hatte ich vor. Aber du solltest dich besser hinsetzen.«

»Hör auf ihn«, drängte Kieran mit ernstem Blick. Die Schatten unter Poppys Augen waren noch dunkler geworden.

»Bitte macht euch keine Sorgen um mich«, sagte Poppy. »Ich fühle mich vollkommen …« Sie zog scharf die Luft ein und presste die Hand an die Schläfe.

»Ist es schon wieder der Kopf?« Ich packte ihre Schultern und drehte sie zu mir, während sich die Angst wie ein Messer in meine Brust bohrte.

Sie presste die Augen zu. »Ja, es sind bloß Kopfschmerzen. Ich bin …« Ihre Beine gaben unter ihr nach.

»Poppy!« Ich umfing ihre Hüfte, und Kieran sprang nach vorne und nahm ihren Kopf. »Mach die Augen auf.« Ich umfasste ihre Wange – bei den Göttern ihre Haut war wirklich viel zu kalt. Ich schob einen Arm unter ihre Beine und hob sie an meine Brust. »Komm schon. Bitte.«

»Sie wacht nicht auf, ganz egal, wie sehr du sie anflehst.«

»Was soll denn das schon wieder heißen, verdammt?« Kierans Kopf fuhr zu Nektas herum.

»Es heißt im Grunde, dass ich mich geirrt habe und sie die Auslese noch nicht beendet hat. Sie ist in eine Stasis verfallen, um den Vorgang abzuschließen«, erklärte Nektas. »Es überrascht mich, dass es so lange gedauert hat. Beziehungsweise, dass sie vorhin überhaupt noch einmal aufgewacht ist. Der Äther in ihr scheint sehr stark zu sein.«

»Der Äther in ihr ist mir scheißegal«, knurrte ich. »Was passiert gerade mit ihr?«

»Der Äther in ihr sollte dir aber nicht egal sein, vor allem, nachdem du die Zusammenfügung mit einer Primarin vollzogen hast. Aber das tut im Moment nichts zur Sache«, erwiderte Nektas viel zu ruhig. »Sie befindet sich in einer Stasis, genau wie ihr Vater. Das passiert, wenn Primare – und Götter – ihre Auslese beenden. Oder wenn sie so geschwächt sind, dass sie ihre Kraft nicht von selbst wiedererlangen können. Ihr würdet sofort merken, wenn sie ernsthaft verletzt wäre oder in Gefahr schweben würde.«

»Wie meinst du das?« Kieran hielt den Blick auf Poppy gerichtet, während Delano winselnd und ruhelos neben mir auf und ab ging. »Wie denn?«

»Die Erde würde sich erheben, um sie zu beschützen. In diesem Fall müsste sie …«

»Zu den Wurzeln«, murmelte ich und erinnerte mich an die Wurzeln, die im Ödland aus dem Boden gebrochen waren und versucht hatten, Poppy unter sich zu begraben, nachdem sie tödlich verwundet worden war. Wir hatten damals nicht verstanden, was vor sich ging.

»Sie schläft«, wiederholte Nektas. »Das ist alles.«

Das war alles? Ich sah auf Poppy hinunter. Ihre Wange ruhte an meiner Brust. Abgesehen von den dunklen Ringen unter den Augen und ihrer kalten Haut, hatte es den Anschein, als würde sie tatsächlich nur schlafen. »Wie …?« Ich räusperte mich. »Wie lange wird dieser Zustand andauern?«

»Diese Frage kann ich nicht beantworten. Und ja, es ist mir klar, dass ihr nicht glücklich darüber seid«, fügte er hinzu, als Kieran knurrte. »Vielleicht dauert es einen Tag oder mehrere. Eine Woche. Das ist bei jedem anders. Aber ihr Körper muss sich noch an den Prozess anpassen. Sie wird erwachen, sobald die Auslese abgeschlossen ist.«

Kieran fuhr sich fluchend über die Haare. Ich betrachtete Poppy, und der Druck auf meiner Brust wurde stärker. War es das, was Kieran und ich über das Band gespürt hatten, das wir während der Zusammenfügung geschmiedet hatten? Dass sie am Rande einer Stasis stand? Dass sie tagelang schlafen würde? Oder sogar eine Woche?

»Oh Götter.« Ich hasste es, wenn ich mich derart hilflos fühlte.

»Bringt sie an einen sicheren und angenehmen Ort, und dann könnt ihr bloß warten«, meinte Nektas. »Ich kümmere mich in der Zwischenzeit um Ires.«

An einen angenehmen Ort? Hier? Kieran und ich wechselten einen Blick. Einen solchen Ort gab es für Poppy auf Burg Wayfair definitiv nicht. Aber was blieb uns anderes übrig?

»Ich werde etwas finden«, versicherte mir Kieran und schlüpfte damit in die vertraute Rolle des logischen Denkers, der ruhig blieb und helfend zur Seite stand, wenn alles den Bach hinunterging. Was allerdings viel zu oft bloß Fassade war.

Ich wandte mich ab.

»Es gibt da noch eine Sache, die euch bewusst sein sollte«, sagte Nektas, und wir blieben wie angewurzelt stehen. »Die Stasis am Ende der Auslese kann unerwartete und anhaltende Auswirkungen auf die betroffene Person haben.«

Eine Faust schloss sich um mein Herz. Beklommenheit packte mich. »Wie zum Beispiel?«

»Gedächtnisverlust. Manche wissen nicht mehr, wer sie sind. Und wer bei ihnen ist.«

Die Faust zerquetschte mein Herz.

Kieran fuhr zurück. »Es wäre also möglich, dass Poppy …« Seine ruhige Fassade bekam Risse. »Dass sie nicht mehr weiß, wer sie ist? Und wer wir sind?«

»Ja. Aber das kommt sehr selten vor. Ich weiß nur von zwei Fällen«, antwortete Nektas und presste die Lippen aufeinander. »Ihr solltet euch allerdings im Klaren sein, dass die Möglichkeit besteht.«

Und wenn es tatsächlich so kommen würde? Kieran sah mich an. Ich schluckte. »Und was, wenn es wirklich passiert?«

Nektas schwieg eine gefühlte Ewigkeit lang, dann meinte er: »Dann wird sie sich selbst und euch als Fremde gegenüberstehen.«

Kieran schloss die Augen.

Ich konnte es nicht. Ich blickte auf Poppy hinab. Sie war mein Herz – mein Ein und Alles. Ich konnte mir nicht mal ansatzweise vorstellen, dass sie nicht mehr wusste, wer sie war – und wer wir waren.

»Rede mit ihr.« Nektas’ Stimme klang nun sanfter. »Das hat Nyktos getan, als die Gemahlin in der Stasis war. Ich weiß nicht, ob sie ihn gehört hat, aber ich glaube, es hat geholfen.« Er neigte den Kopf und sah auf Ires hinab. »Ihm war es auf jeden Fall eine Hilfe.«

Ich nickte und wandte mich von dem Draken ab. Ich hätte fragen sollen, wann und ob wir uns wiedersahen. Ich schätzte, dass es früher oder später so sein würde. Seine Tochter war in der sterblichen Welt, aber nachdem ich nun mal ein engstirniger Mistkerl war, ging es mir in diesem Moment nur darum, Poppy an einen sicheren, angenehmen Ort zu bringen. Ich verschwendete keinen Gedanken an Nektas und seine Tochter, an Poppys Vater oder die Krone, die wir gerade vernichtet hatten – an das Königreich, das wir erobert hatten, wenn auch nur im technischen Sinn. All das war unbedeutend. Es spielte keine Rolle.

Ich trug Poppy durch das unterirdische Labyrinth und in die Burg. Mein Herz schlug ruhig und beständig, denn es folgte dem Rhythmus ihres Herzens. Ich rief mir diese Tatsache immer wieder in Erinnerung, während ich mit Delano an meiner Seite hinter Kieran herstapfte. Die Umgebung verschwamm. Ich bemerkte lediglich, dass Kieran eine gehetzte Unterhaltung mit einem Dienstboten führte, und ich glaubte, Emils Stimme zu hören, als wir ein schmales Treppenhaus nach oben stiegen. Ich wusste nicht, wie viele Stockwerke wir hinter uns brachten. Ich sah nur weiß gekalkte Wände und Fenster, bis wir schließlich in einen leeren Raum mit schweren, schwarzen Vorhängen traten. Eine Tür ging auf, und ich folgte Kieran in eine abgedunkelte Kammer. Er trat nacheinander auf die beiden großen Fenster zu, die sich rechts und links neben dem Bett befanden, packte die Brokatvorhänge und riss sie herunter.

»Das ist eines der Gästezimmer«, erklärte er und warf die Vorhänge beiseite. »Es wurde schon länger nicht benutzt, aber erst vor Kurzem gereinigt.«

Eine sanfte Brise zog zum Fenster herein, während ich mich umsah. Es gab mehrere Sofas und Lehnstühle und offenbar einen Zugang zu einer Badekammer. Das würde reichen.

Ich trug Poppy zum Bett, und Kieran folgte mir. Er zog die cremefarbene Decke zurück, doch ich wollte sie noch nicht loslassen. Es war mir körperlich beinahe unmöglich. Meine Arme zitterten, als ich sie ablegte.

»Sie hat sich kein einziges Mal gerührt«, sagte ich und zwang mich, die Arme unter ihr herauszuziehen. Ich setzte mich kopfschüttelnd neben sie. »Nicht einmal die Augenlider flattern.«

»Sie wird es schaffen«, sagte Kieran. Delano sprang auf das Bett, legte sich an Poppys andere Seite und platzierte den Kopf zwischen den Vorderbeinen, bevor er den Blick auf die Tür richtete. »Ich glaube nicht, dass Nektas uns belügen würde.«

»Macht es das irgendwie besser?«

»Verdammt, nein.«

Ich zog die Unterlippe zwischen die Zähne und schüttelte weiter den Kopf. Die beschissenen Gedanken wollten nicht verstummen. »Ich will nicht hier an diesem von allen Göttern verlassenen Ort sein, während sie so wehrlos ist.«

»Ich sorge persönlich dafür, dass niemand dieses Stockwerk betritt«, meinte Emil von der Tür aus.

Ich sah zu dem Atlantianer hinüber. Dann hatte ich vorhin also tatsächlich seine Stimme gehört. Mir war nicht aufgefallen, dass er uns gefolgt war. Ich musste mich zusammenreißen. »Ich danke dir.«

Emils goldene Augen huschten zu Delano. »Und er auch nicht.«

Ich nickte.

Poppy wirkte so verdammt … leblos. Ich schloss einen Moment die Augen und befahl mir, mich endlich zu beruhigen. Sie konnte sich doch so nicht wohlfühlen, mit den Waffen am Körper und den von Blut und Schmutz bedeckten Füßen. Ich blickte zu der Tür, die in die Badekammer führte. »Ist Hisa in der Nähe?«, fragte ich und meinte damit die Kommandantin der königlichen Wächter.

Kieran nickte. »Soll ich sie fragen, ob sie etwas zum Anziehen für Poppy besorgen kann?«

»Ja.« Ich räusperte mich und öffnete die Schnallen ihres Waffengurtes, den sie über der Brust trug. Es lag etwas seltsam Beruhigendes in dieser einfachen Tätigkeit. Es drosselte die brüllenden Gedanken in meinem Kopf genug, um mich darauf zu besinnen, wer ich war – wer wir waren. »Emil?«

»Ja?«, antwortete er sofort.

»Wir werden uns eine Zeit lang zurückziehen und für niemanden erreichbar sein, aber außer unseren Leuten braucht keiner den Grund zu erfahren«, begann ich und löste den Gurt und den Dolch von Poppys Bein. »Zuallererst müssen wir sichergehen, dass Burg Wayfair ein sicherer Ort ist.«

»Wir sind schon dabei«, antwortete Emil. »Die Wölfe haben mit den Patrouillen am Gelände begonnen, als ihr nach unten gegangen seid. Hisa und die königlichen Wächter unterstützen sie.«

»Perfekt.« Kieran nahm mir den Gurt ab und legte alles auf den Nachttisch. »Außerdem müssen wir meinen Bruder finden. Und Millicent.«

»Naill ist ihnen hinterher«, berichtete Emil.

Ich fing Kierans Blick auf. »Ich will keinen der beiden hier auf diesem Stockwerk sehen.«

»Alles klar«, erwiderte Emil. Er gab keine seiner üblichen Witzchen oder blöden Bemerkungen von sich. Dafür war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. »Und was sollen wir mit den Aufgestiegenen machen? Wir haben in der Burg selbst zwar keine mehr gefunden, aber den Berichten nach haben sie sich in den Häusern an der goldenen Brücke und im Gartenviertel zusammengerottet.«

Tötet sie alle. Das war mein erster Gedanke. Schnell und ohne großes Aufheben. Doch als ich einen Klecks Erde von Poppys Hand wischte, wurde mir klar, dass sie das nicht gewollt hätte. Vor allem, nachdem niemand behaupten konnte, die überlebenden Aufgestiegenen hätten uns angegriffen. »Seht zu, dass sie in ihren Häusern bleiben.« Die Worte schmeckten wie Asche. »Gebt den Befehl aus, dass den Aufgestiegenen nichts zustoßen darf, bis wir entschieden haben, was mit ihnen passieren soll.«

»In Ordnung.« Emil schwieg einen Moment. »Was ist mit deinem Vater?«

Scheiße.

Ich hatte weder an ihn noch an die anderen in Padonien gedacht.

»Wir müssen ihn benachrichtigen.« Kieran kniete neben dem Bett. »Ihn wissen lassen, was Sache ist. Von Poppy sollten wir ihm allerdings nichts erzählen.«

»Einverstanden.« Ich stieß die Luft aus. Mein Vater würde sich auf den Weg machen, sobald er von unserem Sieg hörte. Nur die Götter wussten, ob Poppy bis dahin wieder wach sein würde. Ich dachte an ihre Freundin. »Sorgt dafür, dass Tawny ebenfalls herkommt.«

»Und was ist mit den Bewohnern von Carsodonien?«, fragte Emil nach einem Moment des Schweigens. »Im Moment sperren sie sich noch in ihren Häusern ein. Freiwillig. Aber ich glaube nicht, dass das noch lange der Fall sein wird.«

Ich auch nicht.

Es war eine verdammt gute Frage, was mit ihnen geschehen sollte. »Viele von ihnen haben ihr ganzes bisheriges Leben in dem Glauben verbracht, wir wären Ungeheuer. Sie werden Angst haben. Wir müssen mit ihnen reden.«

Kieran nickte. »Ich glaube aber, dass wir noch etwas Zeit haben.«

»Gut, dann kümmern wir uns um die Einzelheiten, wenn es so weit ist«, sagte ich und fuhr mir mit meinem Handrücken übers Kinn. »Es wäre wichtig, Malik so schnell wie möglich zu finden. Er kennt viele der Anhänger Atlantias in der Stadt.«

»Die könnten tatsächlich eine große Hilfe sein.« Kieran wandte sich an Emil. »Noch etwas?«

»Im Moment fällt mir nichts ein, aber das wird in fünf Minuten sicher anders sein.« Er trat einen Schritt zurück, dann hielt er inne. »Tatsächlich hat es nur eine Sekunde gedauert.«

Ein leises Lächeln umspielte meine Lippen.

»Habt ihr Poppys Vater gefunden?«, fragte Emil.

»Ja.« Das Lächeln wurde breiter und hielt länger an. »Nektas bringt ihn nach Hause.«

»Nektas«, wiederholte Emil und stieß einen leisen Pfiff aus. »Er ist wirklich ein verdammt großer Draken.«

Ich stieß ein raues Lachen aus. Ja, das konnte man wohl so sagen.

»Und da wäre noch etwas …«, fuhr Emil fort, woraufhin auch Kieran zu grinsen begann. »Es gab da einen Vorfall in der Nähe des Athenäums. Eine Art Explosion. Wir haben bereits Leute hingeschickt.«

»Das war nicht der Rede wert«, sagte ich und zählte Poppys Atemzüge. »Das war die Göttin Penellaphe.«

»Wie bitte?«, krächzte Emil.

»Du hast richtig gehört«, sagte Kieran. »Die Götter erwachen. Penellaphe hat unter dem Athenäum geruht.« Er hielt kurz inne. »Vermutlich werden noch mehr erwachen. Hier und in ganz Solis. Falls sie es nicht schon getan haben.«

»Oh. Alles klar. Ist ja auch ganz normal und war durchaus vorauszusehen«, erwiderte Emil langsam. »Ich informiere die anderen. Und sie haben sicher absolut keine Fragen dazu und reagieren auch nicht über.« Er wandte sich zur Tür.

»Emil?« Ich drehte mich zu ihm und musterte ihn eingehend. Ich sah ihn vor mir stehen, aber gleichzeitig war da das Bild in meinem Kopf, wie sich das Schwert in seine Brust gebohrt hatte. »Wie fühlst du dich?«

Emil senkte den Blick auf die ausgefransten Risse in seiner Rüstung. Er schluckte und sah an mir vorbei zu Poppy. »Ich bin froh, noch am Leben zu sein. Wenn sie aufwacht, richte ihr doch bitte aus, dass sie sich meiner immerwährenden Hingabe und meiner vollkommenen, kniefälligen Verehrung sicher sein kann.«

Meine Augen wurden schmal.

Emil zwinkerte mir zu und verschwand.

»Arschloch«, murmelte ich und wandte mich an Poppy. Ich würde ihr überhaupt nichts ausrichten.

Kieran lachte leise, doch es verklang sofort wieder. Bei den Göttern, Poppy hätte es gehasst, dass wir hier saßen und sie beim Schlafen beobachteten. Vermutlich würde sie uns sofort ihren Dolch in die Brust rammen, wenn sie davon erfuhr. Ich hätte gern gelacht, aber es kam kein Laut über meine Lippen.

»Er wird alles gut. Sie wird aufwachen und wissen, wer sie ist. Wer wir sind.« Kieran legte eine Hand auf meine Schulter. »Wir müssen nur warten.«

»Schon klar.« Meine Kehle war wie zugeschnürt, genau wie meine Brust.

Kieran drückte meine Schulter und ließ die Hand sinken. Dann räusperte er sich. »Was hat Nektas gemeint, als er vorhin vom Äther und der Tatsache gesprochen hat, dass wir die Zusammenfügung mit einer Primarin vollzogen haben?«

Ich rieb mein Kinn und brauchte einen Augenblick, um mich zu erinnern. »Mann, das habe ich vollkommen vergessen. Ich habe nicht die geringste Ahnung. Und natürlich hat er es auch nicht weiter ausgeführt.«

»Langsam glaube ich, dass derartig vage Hinweise ein Markenzeichen der Draken sind.«

Ich stieß ein raues Lachen aus. »Ja. Andererseits hatten wir alle in diesem Moment wichtigere Dinge im Kopf.«

Das hatten wir immer noch.

»Nektas hat auch gesagt, dass ich mit Poppy reden soll.« Ich sah Kieran an.

»Ja, hat er.«

Aber worüber sollte ich reden? Ich betrachtete kopfschüttelnd ihr Gesicht. Sie wirkte so verdammt friedlich, während mein Inneres in tausend Stücke zerbrochen war. Ich ließ die Fingerspitzen über ihre kalte Wange gleiten.

Rede mit ihr.

Ich strich über die Narbe, die auf der Stirn begann, und dachte an das erste Mal, als ich sie ohne Schleier gesehen hatte.

Dann erinnerte ich mich an das erste Mal, als ich sie wirklich gesehen und erkannt hatte.