Soulhorse 1: Mein Traumpferd und andere Katastrophen - Ruth Rahlff - E-Book

Soulhorse 1: Mein Traumpferd und andere Katastrophen E-Book

Ruth Rahlff

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Beschreibung

SOULHORSE – Willow und Ich Plötzlich schneit Ylvis Traumpferd Willow in ihr Leben – und wirbelt alles durcheinander. Eigentlich reitet Ylvi seit sieben Jahren auf Gut Birkenmoor, wo sie gemeinsam mit ihren Freunden eine erstklassige Ausbildung bekommt. Doch Willow lockt sie in eine neue Welt: den verwunschenen Hollerhof. Dort läuft alles anders und doch fühlt sich Ylvi auf dem kleinen Reiterhof so viel wohler. Muss sie sich entscheiden? Wird sie dadurch alles verlieren, was ihr bisher wichtig war? Ein spannender Schmöker für Mädchen ab 11 Jahren mit einer sympathischen Heldin, großen Gefühlen und ganz viel Pferdeglück! Das perfekte Geschenk für Mädchen, die Pferde lieben.

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Ruth Rahlff: Soulhorse - Mein Traumpferd und andere Katastrophen

Plötzlich schneit Ylvis Traumpferd Willow in ihr Leben – und wirbelt alles durcheinander.

Eigentlich reitet Ylvi seit sieben Jahren auf Gut Birkenmoor, wo sie gemeinsam mit ihren Freunden eine erstklassige Ausbildung bekommt. Doch Willow lockt sie in eine neue Welt: den verwunschenen Hollerhof. Dort läuft alles anders und doch fühlt sich Ylvi auf dem kleinen Reiterhof so viel wohler.

Muss sie sich entscheiden? Wird sie dadurch alles verlieren, was ihr bisher wichtig war?

Der erste Band der „Soulhorse“-Reihe: Der perfekte Stoff für Pferdemädchen!

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Für H. & M. & H.

Prolog

Ich legte den Kopf in den Nacken und atmete tief ein. Roch irgendetwas besser als frisch gefallener Schnee? Abgesehen von Pferdefell natürlich.

»Nehmen wir die lange Strecke um den See?« Lukas drehte sich im Sattel um und sah mich fragend an.

»Klar, darauf freue ich mich schon die ganze Zeit!« Ich streichelte Lunas Hals, doch sie nahm den Kopf zur Seite und lauschte. Ihre Nüstern blähten sich und sie blieb stehen.

Ein paar Meter weiter bildeten mehrere Tannen einen Halbkreis, so dicht beieinander, dass ich dahinter kaum etwas erkennen konnte. Ich strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn. Plötzlich fühlte ich mich merkwürdig.

Ich sah hinüber zum See. Zwischen dem Schilf hatte sich Eis gebildet und durch das leuchtende Weiß ringsum kam mir das Wasser heute viel schwärzer vor als sonst.

Ein Windstoß fuhr durch die Baumwipfel und ich fröstelte. Aus dem Augenwinkel nahm ich eine Bewegung wahr. Etwas huschte hinter den Tannen entlang. Mein Magen zog sich zusammen, als sich die Tannenzweige auseinanderbogen. Etwas Großes, Weißes kam hindurch – und dann stand auf einmal ein Pferd vor mir. Ein Pferd!

Meine Finger umklammerten die Zügel. Ich schluckte.

Es war eine Stute, ihr Fell fast so weiß wie der Schnee.

Jetzt schaute sie mich an. Ganz aufmerksam! Ihre Augen waren groß und klar und so schwarz wie der See. Ich konnte nicht wegsehen, es war, als hielte sie mich mit ihren Augen fest. Sie schnaubte leise und ein Kribbeln durchfuhr mich.

Wie wunderschön sie war!

Kapitel 1

»Wo willst du denn hin?« Maries blasses Gesicht tauchte wie ein Gespenst hinter Lunas Widerrist auf.

Ich fuhr zurück und ließ vor Schreck die Putzbürste fallen. Luna schnaubte und schlug mit dem Schweif, wobei sie haarscharf meine Wange verfehlte.

»Oh, tut mir leid«, sagte Marie und ging in einem Bogen um Lunas Hinterhand herum. »Gehst du ausreiten?«

»Klar, bei dem tollen Wetter! Sag doch Sophia Bescheid und kommt auch mit. Lukas macht gerade schon Peanut fertig.«

Marie schüttelte den Kopf. »Wir wollen gleich noch für die Quadrille üben, willst du nicht mitmachen?«

Ich zögerte. Natürlich, die Quadrille war toll, und Lukas wäre sicher auch dabei, wenn ich ihn fragen würde. Nur wartete ich seit einer Ewigkeit auf die Gelegenheit für einen Ausritt.

Im nächsten Moment blitzte ein Bild vor mir auf. Die weiße Stute inmitten von Tannengrün.

Vor acht Wochen und drei Tagen war ich ihr begegnet. Und seitdem musste ich ständig an sie denken. Ich hatte überall herumgefragt, ob jemandem ein Pferd ausgebüxt war, aber nirgends gab es auch nur eine Spur von ihr. Wäre Lukas nicht dabei gewesen, hätte ich das alles wahrscheinlich für einen Traum gehalten, aber so hatte ich ja immerhin einen Zeugen. Heute wollte ich jedenfalls unbedingt zu der Stelle im Wald reiten. Vielleicht kam mir ja so noch eine Eingebung, wie ich sie wiederfinden könnte.

Marie stupste mich an. »Träumst du?«

Ich fuhr zusammen. »Sorry, ich war gerade total woanders. Sag mal, können wir das mit der Quadrille lieber demnächst machen? Bis zur Aufführung dauert es ja noch.«

Ich angelte den Sattelgurt unter Lunas Bauch hervor. Die richtigen Löcher für die Riemen fand ich blind, also blickte ich zu Marie hinüber.

»Schade, ich hatte mich schon so gefreut.« Sie seufzte. »Na schön, wir üben einfach ein paar Figuren und bringen sie euch dann bei. Wir wollen uns ja nicht vor Hanno blamieren. Apropos Hanno – weiß der, dass du dir Luna nimmst?«

»Nein, ich bin ihm seit gestern nicht mehr über den Weg gelaufen. Aber ich denke mal, das geht klar, es ist ja Sonntag.« Ich nahm das Zaumzeug von der Boxentür und legte Luna die Zügel über den Hals, dann streifte ich das Halfter ab.

»Okay, dann viel Spaß.«

»Bis denn.« Ich lächelte sie an und winkte Sophia, die gerade aus der Sattelkammer kam.

Die Zwillinge öffneten die Boxentüren von Caruso und Delilah. Absolut synchron, dabei waren sie noch nicht mal eineiig. Ob sie das heimlich geübt hatten? Ich schmunzelte in mich hinein, während ich Luna nach draußen führte.

Wie immer war hier alles top gepflegt. Kein Grashalm wagte sich zwischen den sorgfältig verlegten Pflastersteinen hervor. Während ich nachgurtete, ließ ich den Blick über die Anlage schweifen.

Die Einfahrt mit den vielen Bäumen mündete in einen rechteckigen Hofplatz. Zwischen den beiden lang gestreckten Stallgebäuden lag die riesige Reithalle, neben dem linken Stall waren vier exakt gleich große Reitplätze angelegt. Die Scheune, in der Futter und Arbeitsgeräte aufbewahrt wurden, befand sich neben dem rechten Stall.

Alles in allem war Birkenmoor die Traumvorstellung eines Reiterhofs. Halle, Scheune, Reiterstübchen – alles war total in Schuss. Und sogar die Weidezäune waren im Stil der übrigen Gebäude gestrichen, weiß und dunkelblau. Birkenmoor war wirklich wie aus einem Hochglanzprospekt.

Wahrscheinlich fragten deshalb auch regelmäßig Filmteams an und wollten hier drehen, was Hanno meistens ablehnte. Ich hätte es ja lustig gefunden, aber Hanno wollte »keinen Zirkus« auf dem Hof haben.

Luna spitzte die Ohren, als ein dunkelgrünes Auto vor der Halle hielt. So riesig, wie es war, hätte eine halbe Fußballmannschaft hineingepasst, doch es stiegen nur eine Frau und ein Mädchen aus. Das Mädchen war ungefähr so alt wie ich, es trug eine Reithose und hatte einen Helm dabei.

»Wo finden wir Hanno Berger?«, rief die Frau mir zu.

»Ich habe ihn heute noch gar nicht gesehen«, antwortete ich, doch im nächsten Augenblick hörte ich im Stall jemanden sprechen.

»Wo steckt denn Ylvi?«, dröhnte Hannos tiefe Stimme durch die Stallgasse.

»Sie ist eben erst raus.« Das war Sophia. »Mit Luna.«

Er brummelte etwas Unverständliches.

»Sie wollte ausreiten«, schob Marie hinterher.

Super, dann wusste er ja jetzt auch Bescheid. Nun fehlte nur noch Lukas, dann konnten wir los.

Ich wandte mich an die Frau und wies auf das Stalltor hinter mir. »Hanno ist drinnen, Sie können ihn gar nicht verfehlen.«

»Fein, danke.«

Ich zog mir die Jacke aus und warf sie über einen der Anbindebalken. Die Frühlingssonne war warm genug, da reichte mir das T-Shirt.

Die beiden machten einen Schritt auf die Tür zu, doch da stand Hanno schon auf der Schwelle.

»Ah, Ylvi, da bist du ja. Und Luna ist auch schon parat, wunderbar.«

Er nickte dem Mädchen zu. »Silvana, du kannst dich gleich ein bisschen mit ihr vertraut machen, geh ruhig näher heran.«

Die Augen des Mädchens leuchteten auf. Silvana strahlte mich kurz an, dann hielt sie Luna vorsichtig eine Hand hin.

Ich stöhnte innerlich. Noch eine Reitschülerin, dabei wurde Luna doch in letzter Zeit sowieso schon ständig im Unterricht eingesetzt.

»Ähm, ich wollte eigentlich gerade los.«

»Da hätten wir uns vorher absprechen müssen.« Hanno runzelte die Stirn. »Ich brauche Luna jetzt. Silvana bekommt Unterricht, das wird ein bisschen dauern.«

Was? Das durfte doch nicht wahr sein! Ich hatte mich schon so auf den Ausritt gefreut! Meine Wangen brannten und ich suchte nach den richtigen Worten.

»Wollen wir im Büro die Formalitäten erledigen?«, fragte Hanno die Frau. »Silvana geht einfach schon mal mit Luna in die Halle. Keine Sorge, wir haben die beiden dort die ganze Zeit über im Blick.«

Silvana guckte etwas verlegen, als ich ihr stumm die Zügel übergab, und murmelte ein kurzes »Danke«. Dann zogen die vier nach drinnen ab. Keiner von ihnen schaute zu mir zurück, noch nicht mal Luna.

Und was nun? Jetzt war meine ganze Planung im Eimer. Es war nicht zu fassen!

Hinter mir klapperten Hufe auf dem Pflaster. Lukas führte Peanut aus dem anderen Stall.

»Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, aber Peanut hat sich in Pferdeäpfeln gewälzt. Ich habe ewig gebraucht, um die Mistflecken zu entfernen«, keuchte er und stülpte im Gehen seine Reitkappe auf die dunkelbraunen Locken. »Wollen wir?«

Jetzt erst bemerkte er, dass mir etwas Entscheidendes fehlte. »Bist du mit Luna noch nicht fertig?«

»Nee, das hat sich gerade erledigt. Wir müssen den Ausritt verschieben, auf den Sankt-Nimmerleins-Tag oder so. Mal sehen, wann Hanno mir Luna dafür das nächste Mal überlässt.« Ich schluckte. Mist, hätte ich ihn doch bloß vorher wegen Luna gefragt!

»Was?« Lukas fiel die Kinnlade herunter, im nächsten Moment entdeckte er Luna und Silvana in der Halle.

»Tja, da kann man nichts machen. Wenn Luna meine Reitbeteiligung wäre, dann würde so was nicht passieren.«

»Und wenn dir jemand sein Pferd leiht? Wir können doch Sophia oder Marie fragen. Oder du nimmst ein anderes Schulpferd.«

Ich schüttelte den Kopf. »Die Zwillinge üben gleich Quadrille. Und ich habe keine Lust, Hanno jetzt nach einem Pferd zu fragen.«

Bevor er noch etwas sagen konnte, marschierte ich zu den Fahrradständern. Es war aussichtslos. Ohne eigenes Pferd zog man einfach immer den Kürzeren.

»Warte, Ylvi!« Lukas lief mir hinterher. Peanuts Hufe klapperten auf dem Pflaster. »Wollen wir dann nicht etwas mit Peanut machen?«

»Was denn?«

»Keine Ahnung, uns fällt schon etwas ein.«

»Und die Quadrille?«

»Ach, die ist nächste Woche immer noch da.«

»Du willst wirklich nicht reiten?«, fragte ich ungläubig.

»Nö, das wird ihm schon nicht schaden.« Lukas zeigte auf den Grünstreifen am Parkplatz. »Lassen wir ihn ein bisschen grasen.«

»Okay. Aber nicht dort.« Ich änderte die Richtung. »Dafür weiß ich eine bessere Stelle.«

Wir umrundeten die Scheune und folgten einem Trampelpfad entlang der Koppeln.

»Hier war ich schon ewig nicht mehr«, sagte Lukas erstaunt.

»Wie auch, du bist ja immer nur in der Halle«, zog ich ihn auf.

»Hey, jetzt übertreib mal nicht!«

Hinter der letzten Koppel lag ein kleines Stückchen Wiese, wo in den geschützten Ecken die ersten zarten Grashalme wuchsen. Hierher verirrte sich fast nie jemand. Peanut verlängerte seine Schritte und rupfte voller Begeisterung ein ganzes Büschel Gras ab. Nach dem vielen Heu im Winter schmeckte das jetzt bestimmt besonders gut!

Während Lukas neben ihm stehen blieb, setzte ich mich auf einen großen Stein in die Sonne.

»Wo geht es da denn hin?« Lukas deutete auf einen schmalen Durchgang zwischen den Büschen.

»Auf den Feldweg«, erklärte ich, »von da aus ist es nur ein Katzensprung bis zum Wald.«

Ich umfasste meine Knie und lehnte mich ein wenig zurück. Ein Marienkäfer landete auf meinem Unterarm und blieb ein Weilchen dort sitzen. Ob er die Sonne auch so mochte?

Er flog erst auf, als Lukas mit Peanut herüberkam und sich neben mich hockte. Ich schloss die Augen und genoss die Wärme auf meinem Gesicht. Jetzt ging es mir schon besser. Nächstes Mal würde ich mich einfach früher darum kümmern, dass Luna frei war.

Später stieg ich aufs Rad und fuhr die Allee hinunter, von dort aus gondelte ich ziellos durch die Gegend.

Klar, zu Hause würden sie sich bestimmt freuen, wenn sie mich mal vor Sonnenuntergang zu Gesicht bekämen. Die meiste Zeit außerhalb der Schule verbrachte ich ja im Stall. Aber dann würde ich Großtante Elvi über den Weg laufen – das war keine besonders verlockende Aussicht. Da ließ ich mir lieber noch ein bisschen Zeit. Tante Elvi redete ohne Punkt und Komma und nach jedem Besuch waren alle völlig erledigt.

Kreuz und quer zuckelte ich durchs Viertel, sauste einen Hügel hinunter, dann den nächsten wieder hinauf.

Auf dem Weg ins Zentrum bemerkte ich eine Abzweigung. Die kannte ich ja noch gar nicht! In der Richtung musste irgendwo der Fluss liegen, dort war ich ewig nicht gewesen. Ob ich den kleinen Holzsteg wiederfinden würde, an dem Papa mal versucht hatte, mir das Angeln beizubringen? Am Ende waren wir beide im Wasser gelandet, denn anstelle eines fetten Fisches hatte ich einen superschweren Metallkanister am Haken gehabt. Seitdem fuhr Papa lieber allein zum Angeln.

Ich radelte durch ein Wohnviertel, dann durch eine Kleingartenkolonie. Überall in den Hecken zwitscherten die Vögel lautstark um die Wette, so als wollten sie mich noch einmal daran erinnern, dass nun wirklich Frühling war. Nach den Schrebergärten kamen wieder einige Wohnhäuser, diesmal aber weit verstreut. Dazwischen lagen Brachland und einzelne Wiesen.

Als ich eine Koppel entdeckte, hielt ich wie immer in den letzten Wochen an. Die Pferde hoben die Köpfe, blieben aber auf Abstand. Schon aus Gewohnheit suchte ich die Weide ab, doch es stand kein einziger Schimmel auf der Wiese. Mal wieder Fehlanzeige! Wahrscheinlich wurde es höchste Zeit, dass ich mir die weiße Stute aus dem Kopf schlug.

Ich lehnte mich gegen den Zaun und versuchte, die Pferde anzulocken. Doch die wandten sich gelangweilt ab und grasten in aller Ruhe weiter. Also fuhr ich wieder los, folgte den schmaler werdenden Straßen, bis ich zu einer Kreuzung kam.

Hier war ich definitiv noch nie gewesen. Merkwürdig, schließlich hatte ich immer geglaubt, die Stadt und die Umgebung fast so gut zu kennen wie unseren Garten zu Hause.

Als ich einen Umgebungsplan entdeckte, der in einem Schaukasten hinter einer Bank hing, warf ich einen Blick darauf. Rechts ging es zur Stadt, geradeaus tatsächlich zum Fluss und links führte der Weg in einem Bogen bis zu unserem Wohnviertel. Wenn ich mich nicht irrte, müsste die Fahrt dorthin von hier aus nur etwa eine Viertelstunde dauern.

Doch bevor ich umkehrte, wollte ich noch eben zum Fluss. Die Füße kurz ins kalte Wasser tauchen und zusehen, wie die Boote langsam vorbeizogen … das wäre bestimmt schön!

Ich fuhr langsam weiter und betrachtete die einspurige Straße vor mir. Kopfsteinpflaster, garniert mit Schlaglöchern.

Mit einem Mal durchfuhr mich ein Schauer – als würde mich etwas Besonderes erwarten. Wie am Tag, bevor man Geburtstag hatte. Oder vor einer langen Reise. Alles war möglich. Jetzt!

Motorbrummen kündigte ein Auto an. Ich drückte mich dicht an die Holunderbüsche, als ein alter, schlammbespritzter Wagen langsam an mir vorbeiknatterte. Hinter dem Steuer saß eine Frau, das Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie nickte mir zu und lächelte. Ich hob die Hand und grüßte zurück, wartete, bis der klapprige Kombi durch das Schlagloch neben mir gefahren und um die nächste Kurve verschwunden war. Dann radelte ich weiter.

Nach jeder Kurve folgte eine neue. Links und rechts der Straße wuchsen unzählige Holunderbüsche, dazwischen verschiedenes Grünzeug und schmale Bäume. Wenn alles so richtig grün geworden war, sah das bestimmt toll aus.

Mittlerweile kam es mir vor, als radelte ich seit Stunden die Straße entlang, aber als ich aufs Handy guckte, waren gerade mal ein paar Minuten vergangen.

Ich hob den Kopf. Hatte ich das eben wirklich gehört? Ein Wiehern? Wahrscheinlich eine abgelegene Weide. Ob das Pferd darauf wohl der blonden Frau im Kombi gehörte?

In diesem Moment kam die letzte Kurve. Die Straße endete hier, direkt vor einem Hof aus roten Backsteinen mit windschiefen kleinen Nebengebäuden. Dazu ein Reitplatz hinter einem Holzzaun, ein kleiner Parkplatz, mehrere Paddocks und Koppeln, so weit ich blicken konnte.

Ich las das frisch gestrichene Holzschild: »Willkommen auf dem Hollerhof!« Es war weit und breit der einzige Gegenstand, der neu aussah.

Und dann stockte mir der Atem. Ich rieb mir die Augen. Warum hatte ich sie nicht gleich bemerkt?

Vorsichtig, ganz vorsichtig stieg ich vom Rad und lehnte es gegen den Weidezaun. Auf der Koppel grasten ein kräftiges Fjordpferd, das winzigste Shetlandpony, das ich je gesehen hatte, zwei Tinker sowie ein großer Rappe und eine sehr schlanke Palominostute. Einige Meter weiter rechts knabberte ein Pferd an der Rinde eines knubbeligen Baums mit niedrigen Zweigen. Sein Fell war weiß wie frisch gefallener Schnee, hier und da durchsetzt mit grauen Flecken.

Wie angewurzelt stand ich da und starrte hinüber.

Es war die Schimmelstute aus dem Wald, das Pferd, das mir seit unserer ersten Begegnung durch den Kopf spukte. Als sich unsere Blicke begegnet waren, hatte ich das Gefühl gehabt, sie würde zu mir gehören. Ich hätte sie unter tausend Pferden wiedererkannt. Ob es ihr genauso ging?

Langsam lief ich am Zaun entlang, bis ich auf ihrer Höhe war. Ich wartete, lockte sie leise, doch sie beachtete mich nicht.

Ohne nachzudenken, bückte ich mich unter dem Zaun durch. Das Fjordpferd sah kurz zu mir herüber, dann rupfte es das nächste Büschel Gras aus. Auch die anderen Pferde kümmerten sich nicht weiter um mich.

Ich hielt inne. Was nun?

Da hob die Stute den Kopf und sah mich an.

Als hinge ich an einem Angelhaken, bewegte ich mich langsam auf sie zu. Schritt für Schritt tastete ich mich voran, dabei schaute ich angestrengt den Baum an, denn ich wollte sie nicht verschrecken, indem ich sie anstarrte.

Als ich nur noch wenige Meter von ihr entfernt war, spitzte sie die Ohren. Sofort blieb ich stehen. Am liebsten hätte ich sie berührt, über die seidige Mähne gestreichelt, doch sie hielt den Kopf jetzt weit nach oben gestreckt. Eine falsche Bewegung und sie würde ganz sicher fliehen.

Also wartete ich. So lange, bis eines der Pferde hinter mir laut schnaubte. Die Stute zuckte kurz, dann schüttelte sie den Kopf. Die helle Mähne stand in alle Richtungen ab wie unzählige feine Antennen.

Nun wirkte ihr Hals schon etwas entspannter.

Ich wartete weiter und betrachtete sie dabei genauer. Sie war ein gutes Stück kleiner als Luna und Peanut und auch viel zierlicher, doch zugleich wirkte sie stark und robust. Und wie stolz sie aussah! So, als kümmere sie kein bisschen, was irgendwer von ihr dachte oder wollte.

Das Gras reichte ihr fast bis zu den Fesseln und jetzt erst fiel mir auf, dass um sie herum alles voller Löwenzahn war. Die knallgelben Blüten leuchteten wie kleine Sonnen auf der Wiese.

Einmal hob sie ein Vorderbein und stampfte mit dem schmalen schwarzen Huf auf, doch gleich darauf brummelte eines der Pferde hinter mir leise und sie blieb wieder still stehen.

Irgendwann traute ich mich endlich.

Ich streckte die Hand aus. Zentimeter um Zentimeter bewegte ich mich auf die Stute zu. Sie atmete tief und beobachtete mich aufmerksam mit ihren schönen schwarzen Augen. Ein paar helle Pünktchen darin erinnerten an Sterne, die am Nachthimmel funkelten.

Gleich würde ich nah genug sein. Gleich würde ich ihr über den Hals streichen können.

Mein ganzer Körper kribbelte.

Und dann war es so weit.

Meine Fingerspitzen berührten ihre langen Tasthaare, dann streiften sie für einige Sekunden ihre dunklen Nüstern. Wie weich sie waren!

Die Stute hielt ganz still, ihr Atem wärmte meinen Handrücken. Sie roch so gut, nach Pferd natürlich, aber auch nach etwas anderem, fast ein wenig zitronig. Auf ihrer Stirn hatte sie einen dunklen Fleck, er lag genau zwischen den schwarzen Augen mit den langen Wimpern.

Im selben Moment rief jemand hinter mir: »Hey, was tust du denn da?«

Ich fuhr zusammen. Die Stute riss den Kopf herum und machte eine abrupte Wendung, haarscharf an dem Baum vorbei. Im nächsten Augenblick preschte sie los. Sie galoppierte bis ans andere Ende der Weide, dabei pflügte sie quer durch den Rest der Herde. Die anderen Pferde wichen aus, nur der Rappe und das Fjordpferd rührten sich kaum von der Stelle.

»Nein!«

Der Aufschrei klang mir in den Ohren und erst da begriff ich, dass er von mir gekommen war. Peinlich!

Ich wandte mich um. Zwei Mädchen kamen auf mich zu, beide hielten ein Halfter in der Hand. Im Gegensatz zu mir gehörten sie also hierher.

Die eine war schlank und hatte lange dunkle Haare. Sie war ungefähr so alt wie ich, aber das war auch schon das Einzige, was wir gemeinsam hatten. Sie sah aus wie ein Model. Ihre Haare glänzten im Sonnenschein, dazu war sie einen Kopf größer als ich. Das Mädchen neben ihr hatte etwas kürzere blonde Haaren. Sie war dünn, fast schon mager, und ihr ganzes Gesicht war übersät mit Sommersprossen.

Sie wirkte richtig nett.

Na ja, bis sie den Mund aufmachte. »Was willst du auf unserer Weide? Bei Willow?«

Das klang überhaupt nicht freundlich, aber ich hatte es auch nicht anders verdient.

Als ob ich es nicht besser wüsste! Nie, niemals eine fremde Weide betreten! Nicht nur gegen diesen Grundsatz hatte ich verstoßen, nein, ich hatte dazu auch noch ein völlig fremdes Pferd angefasst – das ging gar nicht.

Ich spürte, wie ich rot wurde. Meine Wangen brannten! Hätte ich den Kopf jetzt in einen Eimer Wasser getaucht, es wäre wahrscheinlich zischend verdampft.

»’tschuldigung«, stotterte ich. »Das war keine Absicht.«

»Ach wirklich?« Die Dunkelhaarige zog eine Augenbraue hoch. »Also hat dich eine fremde Macht über den Zaun katapultiert und direkt vor Willow abgestellt und du konntest absolut nichts dagegen tun?«

Ich stiefelte, so schnell ich konnte, zum Zaun, dabei achtete ich darauf, nur ja nicht den anderen Pferden zu nahe zu kommen. Noch ein paar Meter, dann hatte ich mein Fahrrad erreicht. Und dann nichts wie weg hier!

»Hey, du!«

Oh nein, was wollten sie denn nun noch von mir?

Widerstrebend drehte ich mich um. Die Dunkelhaarige war inzwischen zu dem Rappen gegangen und streifte ihm das Halfter über. Die Blonde dagegen hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und starrte mich einen Moment lang einfach nur an. Dann zeigte sie auf das Gatter.

»Nimm diesmal den richtigen Weg.«

Ich nickte und schlich am Zaun entlang bis zum Weidetor, dabei fühlte ich die ganze Zeit die Blicke der Mädchen auf mir.

Meine Hände zitterten ein bisschen, als ich den Riegel hochzog. Sorgfältig schloss ich das Tor hinter mir, dann stolperte ich auf mein Fahrrad zu. Ein letztes Mal sah ich zu der weißen Stute hinüber. Sie stand immer noch ganz hinten auf der Weide. Nun wandte sie den Kopf und schaute in meine Richtung.

Wir sehen uns wieder, versprach ich ihr stumm. Auch wenn ich keine Ahnung hatte, wie ich dieses Versprechen halten sollte. Schließlich hatte ich gerade alles dafür getan, die Chance auf ein Wiedersehen zu vermasseln.

Kapitel 2

Nach dem sonnigen Tag gestern zeigte sich der Frühling nun von seiner ungemütlichen Seite. Über Nacht war die Temperatur um ein paar Grad gefallen und während des Unterrichts heute Vormittag hatte es auch noch angefangen zu regnen. Erst mit Schulschluss war der Dauerregen in ein leichtes Nieseln übergegangen.

»Du siehst ein bisschen blass um die Nase aus«, sagte Papa, als ich nach dem Mittagessen wieder in die Schuhe schlüpfte. »Willst du heute wirklich zum Reiten?«

Ich nickte tapfer und versuchte dabei, die Nase möglichst geräuschlos hochzuziehen, was nur so halb klappte. Vielleicht war es keine gute Idee gewesen, heute Nacht bei offenem Fenster zu schlafen. Unter Papas Blick fühlte ich mich bis auf die Knochen durchleuchtet – es hätte mich nicht gewundert, wenn gleich ein Röntgenbild von meinem Skelett an der Flurwand erschienen wäre.

»Klar, alles gut.« Ich zog mir den Anorak über, dabei hatte ich den eigentlich schon bis zum Herbst in den Schrank verbannt! »Ich muss los, Lukas wartet.«

Überzeugt sah Papa ja nicht gerade aus, doch bevor er etwas sagen konnte, drückte ich ihm einen Kuss auf die Wange und schlüpfte nach draußen.

Es war immer noch feucht und kühl, Marlenes neuer Kaschmirschal wäre jetzt perfekt gewesen. Doch erstens war ich nicht lebensmüde – meine große Schwester würde mich in der Luft zerreißen, wenn ich mich an ihrem Zeug vergriff – und zweitens stand Papa immer noch im Flur und guckte so, als würde er mich in der nächsten Sekunde doch noch mit Wärmflasche ins Bett stecken wollen.

Also verzichtete ich auf Klamotten-Upgrades und radelte los. Wenigstens konnte ich jetzt so laut schniefen, wie ich wollte.

Zumindest in dem Punkt hatte ich Papa die volle Wahrheit gesagt: Am Ende der Straße stand Lukas schon in der Einfahrt und wartete, dabei hüpfte er fröstelnd von einem Bein aufs andere. Zwischen den Gitterstäben des Tors sah die Villa hinter ihm dunkel und verlassen aus.

»Sind deine Eltern gar nicht da?«, fragte ich überrascht.

Sie arbeiteten fast rund um die Uhr in ihrem Architekturbüro, allerdings legten sie großen Wert auf gemeinsame Mahlzeiten mit Lukas. Deshalb waren sie mittags eigentlich immer zu Hause.

Er schüttelte den Kopf. »Sie sind im Büro und haben Bewerbungsgespräche. Sie schauen sich ein paar Studentinnen und Studenten an, die sie künftig unterstützen sollen.« Er grinste. »Das sind gleich erste Auswahlkriterien: Wer schafft es, pünktlich um ein Uhr mittags zu erscheinen und sich dann bei einem gemütlichen Mittagessen Löcher in den Bauch fragen zu lassen, ohne dabei das Essen aufs Tischtuch zu kleckern oder blöd zu seinen Mitbewerbern zu sein?«

Ich lachte und es ging mir gleich ein bisschen besser. So doof das gestern auch gelaufen war, ein Gutes hatte die Sache trotzdem gehabt: Jetzt kannte ich immerhin den Namen der Stute.

Willow.

Er passte genau zu ihr.

Sophia war mit Delilah schon auf dem Weg in die Halle und auch Marie zäumte Caruso bereits auf.

Ich schlüpfte in Lunas Box und kuschelte mich einen Augenblick an sie. Dann holte ich sie in die Stallgasse, band sie am Putzplatz an und legte eilig los. Das hatte gleich zwei Vorteile: Ich kam pünktlich zum Unterricht und mir wurde schnell wieder richtig warm.

Kurz darauf betrat ich mit Luna die Halle, ein paar Augenblicke nach Lukas, der noch einen Tick schneller gewesen war.

Ich war gerade aufgestiegen, da kam Hanno herein.

Verstohlen warf ich ihm einen Blick zu. Er verlor kein Wort mehr über gestern, sondern gab uns gleich ein paar Anweisungen, wie wir unsere Pferde heute aufwärmen sollten.

»Ylvi, zuerst Schritt am langen Zügel, dann beginnst du mit den Hufschlagfiguren und übst zuerst das Reiten von Schlangenlinien durch die Bahn in drei Bogen. Marie, nachdem du zehn Minuten Schritt geritten bist, kannst du Caruso schon mal antraben. Sophia und Lukas reiten bitte ein paar Minuten auf dem Zirkel.«

Wir waren gut aufeinander eingespielt, keiner kam dem anderen in die Quere. Fast wie ein reibungsloses Uhrwerk glitten wir aneinander vorbei, und auch als die Übungen schwieriger wurden, klappte alles wie am Schnürchen. Ich lächelte Marie zu, als wir aneinander vorbeiritten, und sie zwinkerte zurück.

Stolz kraulte ich Lunas Hals, die heute auch beim Rückwärtsrichten willig mitmachte.

»Sehr gut, ihr beiden«, lobte Hanno uns. »Jetzt reitest du ein paar Trab-Galopp-Trab-Übergänge.«

Auch das lief gut. Luna verstand selbst kleinste Hilfen, kein Wunder, wir waren ja seit Jahren ein festes Team.

»Auch gut, Ylvi, aber versuche, deine Übergänge noch etwas besser vorzubereiten. Du verlässt dich ein bisschen zu sehr darauf, dass Luna die Übungen sowieso schon kennt. Nimm dir vor, die Übergänge genau an einem der Bahnpunkte zu reiten. Denk daran, sie über deine Hilfengebung rechtzeitig vorzubereiten.«

Ich nickte und probierte es noch einmal, doch auch diesmal war Luna einen Tick schneller als ich.

»Ich glaube, es wird mal Zeit, dass du auf einem anderen Pferd reitest, Ylvi«, sagte Hanno nach der Stunde.

Wie bitte? Ein anderes Pferd?

»Aber ich mag Luna total gern«, protestierte ich. »Ich reite doch immer auf ihr.«

»Eben«, entgegnete Hanno trocken. »Das hat ja auch nichts mit mögen zu tun. Wenn du dich reiterlich weiterentwickeln willst, brauchst du Pferde, die dich herausfordern. Durch neue Herausforderungen lernst du dich auf unterschiedliche Pferde einzustellen.«

Ich runzelte die Stirn. Vielleicht hatte er ja recht, aber mir genügte Luna vollauf. Wir kamen doch immer richtig gut miteinander klar.

Nach der Reitstunde mussten sich alle außer mir beeilen. Sophia und Marie hatten noch Nachhilfe, Lukas wollte mit seinen Eltern ins Kino gehen.

Während ich Luna absattelte und anschließend eine Abschwitzdecke über sie legte, kam Hanno in den Stall und blieb bei uns stehen.

»Hör mal, Ylvi, Luna ist perfekt für Reiterinnen, die noch nicht so weit sind wie du«, sagte er. »Wie für Silvana zum Beispiel.«

Ich schnitt eine kleine Grimasse. An die musste er mich jetzt nicht unbedingt erinnern!

Er legte mir kurz die Hand auf die Schulter. »Wie lange reitest du jetzt bei mir? Sechs Jahre?«

»Fast sieben.«

»Eben. In der Zeit hast du eine Menge gelernt. Und so soll es doch weitergehen, oder?«

Verlegen streichelte ich Lunas Hals. Mann, was war denn da los? Lob von Hanno war ungefähr so selten wie Schnee im Sommer und so große Portionen davon verteilte er normalerweise überhaupt nicht. Das war ja fast schon wie Weihnachten und Geburtstag zusammen.

Stolz ging ich mit Luna auf den Hofplatz, um sie noch ein bisschen trockenzuführen. Das war ja richtig gut gelaufen heute.

Den ganzen Heimweg freute ich mich über die gelungene Reitstunde. Nur eins lag mir im Magen: Willow. Oder besser gesagt, der verpatzte Besuch auf der Weide. Wieder spielte sich die Situation von gestern vor meinem inneren Auge ab. Den ganzen Tag schon hatte ich mich deshalb vor lauter Peinlichkeit gewunden. Zum hunderttausendsten Mal ärgerte ich mich, dass die beiden Mädchen mich dabei erwischt hatten. Allein bei dem Gedanken daran fingen meine Ohren wieder an zu glühen.

Das war ja wohl ein Witz! Jetzt hatte ich endlich dieses tolle Pferd wiedergefunden – und mich gleich komplett unmöglich gemacht. Wie sollte ich mich da je wieder blicken lassen?

Ich war so in Gedanken versunken, dass mir erst vor der Haustür auffiel, dass ich komplett nassgeregnet war. Schlotternd zog ich den Schlüssel aus der Hosentasche, doch die Tür stand einen Spalt offen. Weiter ging es allerdings nicht. Verdammt, was klemmte denn da? Ich biss die Zähne zusammen und presste mich gegen die Haustür. Die bewegte sich keinen Millimeter. Mit aller Kraft warf ich mich gegen die Tür. Immer noch nichts!

Ich seufzte und drückte auf den Klingelknopf. Einmal, zweimal … Sturm!

Das Haus war hell erleuchtet. Drinnen hörte ich Mama Klavier spielen. Aus Marlenes Zimmer flackerte hysterisch rot-violett-grünes Licht. Das konnte alles bedeuten: von einer UFO-Landung bis zur Probe für ihren ersten Auftritt auf der Paris Fashion Week. Die konnte ich also auch abschreiben.

Bibbernd stiefelte ich die Treppenstufen wieder hinunter und stapfte ums Haus. Durch das Panoramafenster im Wohnzimmer sah ich Mama am Klavier sitzen, mit geschlossenen Augen und Kopfhörern, mit denen sie aussah wie Minnie Maus und die absolut schalldicht waren.

Von Flavia gab es keine Spur, ebenso wenig von Bella – so viel zum Thema Wachhund.

In diesem Augenblick hörte ich vorn ein Auto halten. Als ich um die Hausecke bog, warf sich Papa gerade gegen die Tür.

»Vergiss es. Ich hab’s auch schon versucht«, rief ich ihm zu.

Papa stöhnte – oje, das war wohl kein guter Nachmittag im Büro gewesen.

»Ein Mal«, presste er hervor. »Ich möchte nur ein einziges Mal nach Hause kommen und alles ist so wie bei anderen Familien.«

Erfreulicherweise fiel mir in dem Moment Plan B ein.

Mama war stolz darauf, sofort vorbildlich das Fenster aufzureißen, sobald einer von uns geduscht oder gebadet hatte. Sie hielt endlose Vorträge darüber, wie wichtig es war, Schimmel vorzubeugen und ein gutes Raumklima zu schaffen. Allerdings vergaß sie regelmäßig, das Fenster wieder zu schließen. Das war jetzt unser Glück.

Gemeinsam wuchteten wir die Leiter aus dem Schuppen an das Fenster im ersten Stock. Papa begann daran hochzuklettern, doch nachdem er zweimal auf derselben Sprosse abgerutscht war, zog ich ihn herunter. Das konnte ich nicht mitansehen. »Lass mich mal.«

Sekunden später zwängte ich mich durchs Badezimmerfenster, dann rannte ich die Treppe hinunter. Durch die Glasscheibe in der Haustür zeichnete sich Papas Silhouette ab.

»Ich mache auf«, brüllte ich ihm zu und zog den umgekippten Kinderwagen weg, der von innen die Tür versperrte. Wie hatte der sich bloß hinter dem Wandvorsprung verkeilt?

Ich öffnete Papa die Tür, befreite mich in der Waschküche von den nassen Klamotten und lief – nach einem winzigen Umweg zur Küche, wo ich eine Packung Kekse abstaubte – hinauf in mein Zimmer.

Gerade als ich die Türklinke hinunterdrückte, hörte ich Mama rufen: »Schon so spät! Himmel, ich habe völlig die Zeit vergessen. Was gibt’s denn heute zu essen?«

Ich kicherte. Jedes Instrument beherrschte Mama virtuos. Bis auf den Kochlöffel. In der Regel war Papa bei uns für die Mahlzeiten zuständig. Zum Glück!

Papa knurrte »Chinesisch« und suchte geräuschvoll das Telefon, um Essen für alle zu bestellen.

Ich warf mich aufs Bett und schloss die Augen.

Willow. Das schönste Pferd der Welt befand sich ganz in meiner Nähe.

Es war nicht zu fassen! Da hatte ich über zwei Monate nach ihr gesucht und dann stand sie direkt vor meiner Nase. Ich konnte jederzeit vorbeigehen.

Tja, wenn ich mich dorthintraute. Aber dann hielten die mich dort vielleicht für eine verrückte Pferde-Stalkerin und warfen mich noch mal hochkant hinaus. Oder vielleicht konnte ich ihnen die Sache auch einfach erklären, so schwer war das ja nicht.

So leicht allerdings auch nicht.

Ich seufzte, dann fasste ich einen Entschluss. Wozu hatte man schließlich Freunde? Bei nächster Gelegenheit würde ich Lukas und den Zwillingen alles erzählen. Was die wohl zu meiner Entdeckung sagen würden?

Kapitel 3

»Ach, du hast die Stute also wiedergefunden?«, fragte Marie am nächsten Nachmittag, dabei schaute sie ununterbrochen auf ihr Smartphone.

Hm, Begeisterung sah definitiv anders aus. Auch Sophia wirkte nicht sonderlich beeindruckt von meinem Bericht. Sie verschwand in der Sattelkammer und kam kurz darauf mit Delilahs und Carusos Putzkästen wieder. Lukas saß auf einem Hocker und kaute abwesend auf einem Strohhalm herum. Hatte er mir eben überhaupt zugehört?

Na, wenigstens steckte Marie nun endlich ihr Telefon weg, doch anstatt zu antworten, holte sie Carusos Zaumzeug und Sattel.

»Wollten wir nicht die Pferde grasen lassen?«, fragte Lukas verblüfft, als sie vollbeladen von ihrem Spind zurückkam.

»Ja, eigentlich schon, aber Hanno nimmt uns noch in seine Gruppe heute rein«, erklärte sie.

Sophia grinste. »Die Nachhilfe bringt wirklich was. Wir haben uns in Mathe von einer Fünf zu einer Drei hochgearbeitet.«

»Und dafür haben unsere Eltern uns eine Extrastunde Reitunterricht spendiert«, ergänzte Marie.

»Glückwunsch.« Ich nahm Lunas Halfter vom Haken und öffnete die Boxentür. »Aber was sagt ihr denn jetzt zu dem Ganzen?«

Sophia zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich meine, was willst du denn jetzt damit anfangen? Du kennst das Pferd ja gar nicht und den Besitzer auch nicht.«

»Also, mir wäre das alles echt zu peinlich«, sagte Marie und holte den Hufkratzer aus der Kiste. »Ich würde da nicht noch mal hingehen.«

Na toll. Irgendwie hatte ich mir unser Gespräch ein bisschen anders ausgemalt.

Lukas stand auf und streckte sich. »Treffen wir uns gleich hinten auf der Weide? Ich hole eben Peanut, dann bekommen eben nur unsere beiden ihren Vitaminschub.«

Zum Glück war es heute wieder viel wärmer und vor allem trockener. Doch der Regen gestern hatte auch sein Gutes gehabt. Das Gras glänzte knallgrün und sah wieder richtig saftig aus. Kein Wunder, dass Luna es so appetitlich fand! Gierig rupfte sie ein Büschel nach dem anderen aus und auch Peanut sog die Halme fast wie ein Staubsauger auf.

Lukas hatte uns eingeholt und schlenderte nun ein paar Meter vor mir.

War er eigentlich auch über Nacht größer geworden? In dem Sweatshirt wirkten seine Schultern breiter als sonst und jetzt fiel mir auf, dass seine dunklen Haare den Winter über gewachsen waren und sich nun im Nacken kräuselten.

»Also, ich finde es überhaupt nicht peinlich, wenn du da noch mal hinfährst«, sagte er plötzlich und drehte sich kurz zu mir um. »Ich meine, du hast ja nichts angestellt. Klar, es war nicht so schlau, dass du auf die Weide gegangen bist, aber es ist ja nichts passiert.«

»Hm, meinst du?« Ganz sicher war ich mir immer noch nicht. »Und was soll ich sagen, wenn wieder jemand kommt?«

Er lachte. »Die Wahrheit natürlich. Dass dir das Pferd seit Wochen nicht aus dem Kopf geht und du es nur besuchen willst. Dann kannst du gleich fragen, warum es neulich ausgebüxt ist. Das würde mich auch mal interessieren.« Er zwinkerte mir zu. »Das wäre doch verrückt, wenn du es nicht tust. Nach allem, was du in den letzten Wochen gemacht hast, um sie zu finden! Die ganzen Aushänge und Suchaufrufe im Netz und dazu hast du noch sämtliche Höfe in der Gegend abtelefoniert! Sogar die Gnadenhöfe hast du angerufen, dabei sah sie doch topfit aus!«

Ich lächelte. Er hatte recht. Was hatte ich schon groß zu verlieren?

Diesmal blieb ich brav auf der richtigen Zaunseite. Willow graste dicht neben dem Fjordpferd und blickte nicht ein Mal zu mir herüber. Das machte aber nichts! Ich lehnte mich gegen das Holz und verschränkte die Arme. Es war schon gigantisch, ihr einfach nur zuzusehen. Endlich hatte ich sie wiedergefunden – so ganz konnte ich das immer noch nicht fassen!

Ich ließ Willow nicht aus den Augen, dabei vergaß ich alles um mich herum. Bis plötzlich jemand sagte: »Hey, du bist neu hier.«

Ich drehte mich um. Neben mir war ein Mädchen aufgetaucht, vielleicht ein bisschen älter als ich.

»Die sehen ja toll aus«, sagte ich spontan und deutete auf die kleinen Perlen, die am Ende der unzähligen dünnen schwarzen Zöpfe steckten.

Das Mädchen lachte. »Mir gefallen sie auch. Wenn du willst, gebe ich dir welche. Ich hab noch eine ganze Kiste voll. Mein Vater schickt sie mir immer aus Ghana.«

»Lebt er dort? Das ist aber ganz schön weit weg.«

»Er verbringt dort nur ein paar Monate im Jahr. Die meiste Zeit reist er um die Welt und gibt Trommelkurse. Djembe. Schon mal gehört?«

Ich überlegte. »Sind das diese runden Holztrommeln, die man sich zwischen die Knie klemmt?«

»So ähnlich.« Das Mädchen lachte. »Eine Djembe kann ich dir später auch zeigen. Aber zuerst willst du bestimmt den Hof sehen. Ich bin übrigens Mila.«

»Und ich Ylvi.«

Mensch, war ich ein Glückspilz! Zu der Einladung konnte ich ja wohl nicht Nein sagen. Neugierig lief ich neben ihr über den staubigen Parkplatz.

»Woher kommt der Name ›Hollerhof‹?«

»Von den vielen Holunderbüschen in der Einfahrt«, sagte sie.

»Stimmt, die sind mir ja auch schon aufgefallen. Der Name ist echt schön!« Ich ließ den Blick umherschweifen. »Wohnst du hier etwa?«

»Ja, seit fast einem Jahr.« Sie schaute sich um, als sähe sie den Hof wie ich zum ersten Mal. »Meine Mutter hat den Hollerhof gekauft, nachdem sie aufgehört hatte, als Profidressurreiterin zu arbeiten. Jetzt reitet sie keine Turniere mehr, sondern unterrichtet nur noch.«

Seite an Seite schlenderten wir über den Hofplatz und plauderten. Die Sonne schien, Amseln und Blaumeisen zwitscherten um die Wette und wieder fühlte sich das Leben so richtig nach Frühling an.

»Das ist unser Reitplatz. Da vorn ist der Pferdestall, die Sattelkammer ist gleich daneben.« Dann wies sie auf ein Häuschen mit spitzem Dach, das ein wenig abseits auf einem Hügel stand. Es wirkte ein bisschen wie ein Hexenhaus. »Und dort wohnen wir. Das ist privat. Na ja, theoretisch. Irgendwie stapelt sich in der Küche immer ein Haufen Leute, Reitschüler und so.«

»Wie bei uns. Meine Mutter gibt zu Hause Musikunterricht. Da treiben sich dann auch alle möglichen Schüler rum.« Ich zeigte auf eine rot gestrichene Scheune. »Und da lagert ihr Stroh und Heu?«

Sie nickte. »Und die Futtervorräte für die anderen Tiere.«

»Habt ihr denn nicht nur Pferde?«

»Zurzeit haben wir noch ein paar Hühner, dazu unseren Kater Mr Mouse«, zählte sie auf. »Und zwei Ziegen. Zeus und Hades. Die nerven Mama allerdings ziemlich, weil sie alles anfressen. Aber ich finde die beiden süß.«

Ein Auto rumpelte auf den Hof, ohne dass die Fahrerin sich die Mühe machte, die Schlaglöcher zu umkreisen. Wahrscheinlich war das sowieso unmöglich. Es war der alte Kombi von vorgestern. Die blonde Frau stieg aus und hetzte hoch ins Haus.

»Meine Mutter.« Mila verdrehte die Augen. »Was hat sie denn diesmal vergessen?«

Auf dem Rückweg blieb die Frau bei uns stehen.

»Ich habe das Portemonnaie auf dem Küchentisch liegen lassen, das ist mir natürlich erst im Supermarkt aufgefallen«, sagte sie, noch etwas außer Atem. Sie streckte mir eine braun gebrannte, schmale Hand hin. »Hallo. Ich bin Corinna.«

Bevor ich antworten konnte, sagte Mila: »Das ist Ylvi. Ich zeige ihr den Hollerhof.«

»Prima.« Corinna drückte sie kurz an sich. »Dann bis später, Kleines.« Sie wollte gerade ins Auto steigen, da schaute sie mich noch einmal an. »Reitest du denn auch?«

Mila schlug sich gegen die Stirn. »Stimmt, das hatte ich gar nicht gefragt. Ich bin einfach davon ausgegangen.«

»Ja, schon ziemlich lange sogar«, beantwortete ich Corinnas Frage.

Corinna lächelte. »Das musst du mal in Ruhe erzählen, aber jetzt muss ich leider los. Bis dann, ciao!«

Schon knatterte der Kombi wieder vom Hof.

Mila deutete auf einen Pfad, kaum breiter als ein Pferd. »Dort geht’s hinunter zum Fluss. Ganz in der Nähe ist eine prima Badestelle. Auch für Pferde. Warst du schon mal mit einem Pferd baden?«

»Nein. Aber das wollte ich immer mal machen.«

Sie klatschte in die Hände. »Dann sind wir verabredet! Für den ersten heißen Tag im Jahr.«

Wie bitte? Konnte das wirklich wahr sein? Jetzt musste ich mich aber langsam kneifen, für alle Fälle. Vielleicht steckte ich gerade mitten in einem dicken, fetten Wunschtraum.

»Autsch!« Ich war über eine Wurzel gestolpert, die aus dem Boden ragte.

Nein, der Schmerz war echt – der Beweis, dass ich mir nicht alles einbildete!

Als wir dem Pfad ein Stück folgten, sah ich erst, dass der Hollerhof von einem Ring aus Hecken und Sträuchern umgeben war. Ab und zu durchbrachen ein paar Buchen sowie Eichen mit knorrigen Zweigen das Gebüsch. Um den Hof lagen Wiesen und Felder verstreut.

Es war einfach nur traumhaft!

Mila drehte sich um und wir spazierten wieder zurück zum Hof. Es war alles so anders als auf Birkenmoor. Unkraut zwischen dem Kopfsteinpflaster, staubige Stallfenster, verwitterte Holzbalken … das gab es bei Hanno nicht. Hier dagegen sah alles so verwildert aus. Fast schon verwunschen. Mir kam es vor, als ob die alten roten Backsteine der Gebäude ebenso lebendig wären wie die Bäume drumherum.

Als hätte Mila meine Gedanken gelesen, sagte sie: »Ist ganz schön viel Arbeit, den Hof instand zu halten. Und es kostet natürlich auch Geld.« Sie seufzte. »Das bei uns leider meistens knapp ist.«

»Bei uns auch. Aber ich finde es wunderschön hier.« Ich berührte sie an der Schulter. »Du hast echt Glück, dass du hier zu Hause bist.«

»Ja, tausendmal besser als im Internat, wo ich vorher war.« Sie lehnte sich über den Weidezaun. Willow stand inzwischen ein bisschen abseits, wieder unter dem knorrigen Baum. Ob das ihr Lieblingsplatz war?

Das Fjordpferd trabte zum Zaun und prustete Mila ins Gesicht.

»Das ist Gonzo. Er stand in einem Reitstall in der Nähe des Internats. Stell dir vor, die wollten ihn zum Abdecker geben, weil er schon so alt ist«, sagte sie empört. »Na ja, und weil er keine Lust auf Unterricht hatte.« Sie grinste. »Gonzo hat zum Schluss immer alle Reitschüler abgeworfen. Doch seit er bei mir ist, hat er das nie wieder gemacht. Komm, ich zeig dir jetzt noch den Stall.«

Gonzo schnaubte friedlich und beschnupperte mich eingehend. Während wir weiterschlenderten, folgte er uns auf der anderen Zaunseite. Ich wäre gern noch bei Willow und den anderen Pferden geblieben, aber auf das Stallinnere war ich auch schon gespannt.

An der Tür, die ein wenig schief in den Angeln hing, blieb ich abrupt stehen. »Was ist denn das?«

Gegenüber vom Eingang führte eine breite Steinrampe mit einem Geländer an jeder Seite nach oben in den ersten Stock. Ein zweites Stockwerk in einem Pferdestall? Wo gab es denn so was? Ich musterte die Hufspuren auf der breiten Rampe, die sich auf dem Boden abzeichneten. Einige führten nach oben, andere wieder nach unten. Da würden doch nicht wirklich …?

»Oben ist einer meiner Lieblingsplätze.« Mila nahm meine Hand und zog mich die Steinrampe hinauf.

Es war unglaublich! Unter dem Stalldach öffnete sich ein weiter Raum. Große Fenster ließen viel Licht und frische Luft herein. Links war ein großer Laufstall abgetrennt, der üppig mit Stroh ausgelegt war. Hatte ich also richtig vermutet! Es liefen tatsächlich Pferde die Rampe hinauf und wieder hinunter. Verrückt!

»Hier schlafen die Ponys. Denen macht es nichts aus, abends in den ersten Stock zu marschieren«, erläuterte Mila. »Für die Großpferde haben wir unten die alten Boxenwände abgerissen und neue Wände eingezogen. So teilen sich immer mehrere Pferde eine große Box. Mit direktem Zugang zum Paddock. Und dann gibt es noch ein paar große Boxen, in denen einige Pferde nachts einzeln stehen.«

Rechts gab es eine kleine Nische mit großen Dachfenstern, die fast bis auf den Boden reichten. Von hier aus hatte man einen gigantischen Blick auf das Hofgelände, sogar bis hinunter zum Fluss.

Mila warf mir einen gespannten Blick zu. »Und, wie gefällt’s dir?«

»Fantastisch!«

Im Erdgeschoss waren die Boxen hell und geräumig, wie im Bilderbuch. Die auf Birkenmoor waren ja schon nicht schlecht, aber hier hatten die Pferde noch mal mehr Platz! Wie dort gab es für jeden Bewohner ein Schild, auf dem Name, Alter, Besitzerin, Tierarzt und Pferderasse vermerkt waren, aber hier waren die Schilder per Hand geschrieben und liebevoll bemalt.

Hinter uns ertönte ein Wiehern, dann hörte ich Stimmen. Ich sah durch eines der Stallfenster und fuhr zusammen. Oh nein! Ausgerechnet die beiden Mädchen von neulich! Die hatte ich bei der ausgiebigen Hofbesichtigung total vergessen.

Nach oben über die Rampe verschwinden oder mich anderweitig unsichtbar machen konnte ich nicht mehr, die beiden banden ihre Pferde fast direkt vor der Tür an. Und nun?

Doch da zog Mila mich schon nach draußen und sagte fröhlich: »Hey, wir haben Besuch.« Sie zeigte auf den Rappen und sagte: »Der Große da ist Mortimer, er gehört Kay.«

Die Dunkelhaarige hatte sich gerade nach einem Hufkratzer aus dem Putzkasten gebückt, jetzt richtete sie sich langsam auf und sah mich verblüfft an, was Mila aber gar nicht bemerkte. Sie wies auf das blonde Mädchen.

»Sunny gehört Mieke.«

Der Palomino schnaubte und stupste mich freundlich mit der Nase an, doch das blonde Mädchen zupfte am Halfterstrick und ließ ihn einen Schritt zur Seite machen, sodass er mich nicht mehr berühren konnte. Sie zog die Augenbrauen zusammen. »Dich kennen wir doch.«

»Wie, du warst schon mal hier?«, fragte Mila überrascht.

Ich nickte. Jetzt half nur noch die Flucht nach vorn.

»Stimmt. Es tut mir echt leid, dass ich neulich einfach so auf die Weide gegangen bin, das mache ich sonst nie. Ich war nur so überrascht, Willow dort zu sehen.«

»Wieso? Wo sollte sie denn sonst sein?«, fragte Kay.

»Ich habe sie vor ein paar Wochen im Wald getroffen«, fuhr ich rasch fort und erzählte ihnen von meiner unerwarteten Begegnung mit Willow und was ich seither alles unternommen hatte, um sie aufzuspüren. Nachdem ich fertig war, sagte einen Augenblick lang niemand etwas. Ich holte tief Luft und sah von einer zur anderen. Würden sie mir glauben? Oder fanden sie die ganze Geschichte doch zu komisch?

Kay hatte keine Miene verzogen, sie neigte nur leicht den Kopf, als würde sie alles, was ich gesagt hatte, noch einmal in Ruhe überdenken.

Mieke dagegen verzog den Mund zu einem Grinsen. »Warum hast du uns das nicht gleich erzählt? Wir haben gedacht, du wärst eine dieser Verrückten, die keine Ahnung von Pferden haben.«

Mila lächelte mich an. »Und jetzt hast du sie wiedergefunden, wie toll!« Sie schaute auf ihr Handy. »Ich muss leider los, ich habe gleich Karatetraining. Aber hast du nicht Lust, morgen wiederzukommen? Dann holen wir Willow von der Weide und du kannst sie richtig kennenlernen.«

Ob ich Lust hatte? Was für eine Frage! Ich konnte mir nichts Schöneres vorstellen.

»Wirklich? Supergern! Dann sehen wir uns morgen«, verabschiedete ich mich.

»Bis denn.« Mieke winkte und Kay zwinkerte mir zu.

»Diesmal ganz offiziell«, sagte sie verschmitzt.