Soulhorse 2: Mein Traumpferd, der Ausritt und jede Menge Wolfsgeheul - Ruth Rahlff - E-Book

Soulhorse 2: Mein Traumpferd, der Ausritt und jede Menge Wolfsgeheul E-Book

Ruth Rahlff

0,0
8,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Endlich Ferien! Ylvi kann es gar nicht erwarten von morgens bis abends bei Willow zu sein. Die Schimmelstute ist ihr Ein und Alles. Und so geht sie auch ihrer stressigen Schwester Marlene aus dem Weg, die zu Hause nur für Ärger sorgt. Als sie beginnt, mit ihren Freunden, einen Wanderritt zu planen, scheint ihr Glück perfekt. Doch dann ist Ylvis Schwester plötzlich verschwunden und auch ihre Teilnahme am Wanderritt ist in Gefahr ... Ein spannendes Pferdebuch für Mädchen ab 11 Jahren mit einer sympathischen Heldin, großen Gefühlen und ganz viel Pferdeglück!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Ruth Rahlff: Soulhorse - Mein Traumpferd, der Ausritt und jede Menge Wolfsgeheul

Endlich Ferien! Ylvi kann es gar nicht erwarten von morgens bis abends bei Willow zu sein. Die Schimmelstute ist ihr Ein und Alles. Und so geht sie auch ihrer stressigen Schwester Marlene aus dem Weg, die zu Hause nur für Ärger sorgt. Als sie beginnt, mit ihren Freunden, einen Wanderritt zu planen, scheint ihr Glück perfekt. Doch dann ist Ylvis Schwester plötzlich verschwunden und auch ihre Teilnahme am Wanderritt ist in Gefahr ...

Ein spannendes Pferdebuch für Mädchen ab 11 Jahren mit einer sympathischen Heldin, großen Gefühlen und ganz viel Pferdeglück!

Wohin soll es gehen?

  Buch lesen

  Viten

  Leseprobe

 

Für Bianca,eine wahre Pferde-Freundin

Kapitel 1

Orangerote Lichtpünktchen tanzten vor meinen geschlossenen Augen. Ich zog die Beine an, rollte mich auf die Seite und genoss die Wärme der Sonnenstrahlen. Und dazu dieser Duft! Nach Gänseblümchen und Löwenzahn, nach frischer Erde, Stroh und Pferd. Und – na ja – auch nach muffigem Schlafsack, der viel zu lange im Keller gelegen hatte.

Neben mir murmelte Kay etwas im Schlaf, was mich dazu brachte, die Augen zu öffnen. Zu meiner Überraschung lag ich direkt neben dem Weidezaun. Anscheinend hatte ich heute Nacht ordentlich Strecke gemacht.

Auch die anderen waren kreuz und quer auf unserem Strohlager verteilt. Mila lag auf dem Bauch und schnarchte leise. Arme und Beine hatte sie weit von sich gestreckt, als wollte sie die ganze Welt umarmen oder wenigstens den Hollerhof. Ihre vielen schwarzen Zöpfe waren gespickt mit Strohteilchen. Es würde nachher bestimmt ein Weilchen dauern, alles wieder aus den Haaren zu pulen, aber natürlich würde ich ihr wie immer dabei helfen.

Josse konnte ich nur anhand ein paar Strähnen seines blonden Schopfes identifizieren, die wie Antennen in die Luft ragten. Der Rest von ihm war komplett im Schlafsack eingemummelt. Dagegen erinnerte Kay an Schneewittchen in ihrem Glassarg, die langen dunklen Haare ordentlich um sich herum ausgebreitet, die Decke ohne eine einzige Falte. Makellos wie immer.

Ich schälte mich aus meinem Schlafsack, ganz vorsichtig, damit ich niemanden weckte. Dieser allererste Moment heute früh auf der Koppel sollte allein mir gehören. Willow graste in einigen Metern Entfernung und schaute kurz zu mir herüber, als hätte sie meine Gedanken gelesen. In meinem Bauch kribbelte es, wie fast immer bei ihrem Anblick.

Wie elegant sie sich bewegte. Wie seidig ihr Fell schimmerte. Der schöne Kopf mit den großen, klaren Augen … Ich hätte den ganzen Tag hier sitzen und einfach nur mein Pferd anschauen können.

Na ja, sie gehörte ja leider nicht mir, noch nicht einmal Corinna, der Inhaberin des Hollerhofs. Willows eigentliche Besitzer lebten weit weg, in Florida. Solange Willow bei Corinna und Mila auf dem Hollerhof in Beritt war, durfte ich mich jeden Tag um sie kümmern.

Klar, auf dem Papier war Willow Eigentum der Familie Isherwood, doch wie könnte ich mich einem anderen Pferd auf der Welt jemals näher fühlen? Willow und ich waren ein Team, auch ohne Eigentumsurkunde.

Ich kletterte über den Zaun und schlüpfte zwischen Mortimer, Gonzo, Lucifer und den anderen Pferden hindurch, die mich allesamt neugierig musterten. Willow dagegen wanderte über die Weide und zupfte dabei eifrig die Grasbüschel aus dem Boden. Endlich sah auch sie mir entgegen, allerdings ohne einen einzigen Schritt in meine Richtung zu tun.

Ob sie wohl irgendwann einmal ans Gatter kommen und mir erwartungsvoll entgegenwiehern würde?

Ich streckte die Hand aus und strich über ihren Hals und Rücken, bevor ich das Gesicht in ihrer Mähne vergrub. Atmen, einfach nur atmen. Manchmal kam sie mir vor wie eines dieser Zauberpferde in einem Fantasybuch.

Besser konnte ein Tag nicht beginnen, vor allem wenn es der erste Ferientag war. Sechs lange Wochen Sommerferien lagen vor uns. Ein Traum!

»Brööötchen!«

Willow riss den Kopf hoch und ich brachte mich mit einem Satz in Sicherheit.

»Bröötchen!«

Ich grinste, als ich Lukas erkannte. Wie schade, dass er gestern Abend keine Zeit gehabt hatte, aber immerhin kam er jetzt zum Frühstück vorbei. Er radelte in Rekordgeschwindigkeit den Weg entlang und brüllte dabei immerzu »Brötchen«.

Ich blieb noch einen Moment bei Willow und kraulte sie hinter den Ohren, was sie mit einem lustigen Brummgeräusch quittierte. Ihre Unterlippe zitterte behaglich und der Kopf senkte sich immer weiter Richtung Boden.

»Bis nachher«, verabschiedete ich mich von Willow und ging über die Weide zurück zum Strohlager.

Dort war das Gelage bereits in vollem Gange. Mila hatte aus dem Backsteinhaus, das sie mit ihrer Mutter bewohnte und das wir alle immer nur »Hexenhäuschen« nannten, Geschirr und Butter geholt. Kay zauberte aus ihrem Rucksack Käse, Brotaufstriche und eine Thermoskanne Holunderblütentee, den sie in Milas Küche gekocht hatte. Sie war immer noch in ihrer Kräutertee-Experimentierphase. Holunder war mir auf jeden Fall lieber als der Fenchel-Anis-Kümmel-Tee von letzter Woche.

Josse überraschte uns alle mit frischer Erdbeermarmelade – selbst gekocht!

»Und?«, fragte Lukas mit vollem Mund, während er versuchte, sich noch einen Bissen Marmeladenbrötchen hineinzustopfen. »Wie sieht’s aus?«

»Wie sieht was aus?« Kay zog die Augenbrauen hoch. »Willst du wissen, wie wir geschlafen haben? Fantastisch. Du hast echt was verpasst. Ich habe gestern fünf Sternschnupp…«

»Nein«, unterbrach Lukas sie, woraufhin Kays Augenbrauen gleich noch ein paar Millimeter höher wanderten. »Ich meine, ja, natürlich, das denke ich mir.«

Ratlose Gesichter, wohin ich auch blickte.

»Es spricht wirr«, bemerkte Kay und erlöste endlich ihre Augenbrauen.

Lukas schluckte die letzten Brötchenreste hinunter. »Ich wollte eigentlich wissen, was ihr für die Ferien geplant habt.«

Josse packte eine Handvoll Stroh und schmiss es ihm an den Kopf. »Alter, es sind Ferien. Das bedeutet, endlich mal keine Pläne.«

»Hast du denn welche?«, fragte Mila und zupfte ein paar Strohhalme von ihrem Käsebrot.

Lukas schüttelte den Kopf. »Nicht so richtig. Abgesehen davon, dass ich mit Peanut trainieren will, natürlich.«

Ach ja, das Springturnier. Obwohl ich streng genommen erst vor ein paar Wochen von Birkenmoor auf den Hollerhof gewechselt war, kam mir alles von dort schon unendlich weit weg vor.

Ich warf Lukas einen verstohlenen Blick zu. Er rutschte unbehaglich auf dem Strohballen hin und her und sah alles andere als entspannt aus. Oh Mann! War es jetzt schräg, dass er angesichts unverplanter Ferienzeit so kribbelig war, oder eigentlich ganz niedlich? Schwer zu entscheiden, aber zum Glück musste ich das auch nicht.

»Irgendetwas wird sich schon ergeben«, tröstete ich ihn und fand, dass es nun Zeit für meinen Beitrag zum Frühstück war. Ich klopfte mir die Brötchenkrümel vom T-Shirt und zog eine XXL-Tafel Vollmilch-Nuss-Schokolade aus der Tasche.

»Schon mal was von Vitaminen gehört?«, fragte Kay und musterte die Schokolade kritisch. »Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen, das den Namen Gemüse wirklich verdient hat?«

»Wieso? Gestern Abend natürlich. In dem Tsatsiki war doch eine halbe Gurke.«

Zufrieden brach ich einen Riegel ab und reichte die Tafel an Josse weiter, während Kay schon wieder Augenbrauengymnastik machte.

»Wie wäre es mit einem Ausritt zum Ferienstart?«, fragte ich, bevor sie weiter darauf herumhackte, wie ich mich ernährte.

Begeisterte Zustimmung auf allen Seiten, nur Lukas sagte: »Ich würde ja gerne mitkommen, aber ich habe Peanut heute ausnahmsweise verliehen. Hanno wollte ihn für eine spezielle Kundin im Unterricht einsetzen.«

»Du kriegst natürlich ein Pferd von uns«, beruhigte Mila ihn, großzügig wie immer. »Willst du wieder Tammo nehmen? Mit dem bist du doch neulich schon gut zurechtgekommen.«

»Ja, gern.« Lukas nickte.

Tammo war erst seit ein paar Wochen auf dem Hof, ein ziemlich eigensinniger Fuchswallach, den Corinna aus dem Tierschutz übernommen hatte. Für die kleinen Reitschülerinnen oder Anfänger wie Josse war er nicht geeignet, aber Lukas ließ sich von ihm nicht aus der Ruhe bringen.

Ich widerstand der Versuchung, Lukas zu fragen, warum er Peanut nicht endlich zu uns auf den Hof brachte. Hollerhof gegen Birkenmoor war immer noch ein sensibles Thema zwischen uns. Das wollte ich ausgerechnet am ersten Ferientag lieber nicht anschneiden.

Stattdessen legte ich mich auf den Bauch, stützte den Kopf in die Hände und ließ den Blick über die Weide schweifen.

Verheißungsvolles Wort mit zwölf Buchstaben? Sommerferien!

Kapitel 2

Zweieinhalb Stunden später zuckelten wir zurück zum Hollerhof. In Gedanken war ich noch bei unserem Abstecher eben zum Fluss.

»Nächstes Mal müssen wir unbedingt die Badesachen mitnehmen!« Ich drehte mich im Sattel um und lächelte Mila an.

Ihre Antwort ging in einem Krachen unter. Das Geräusch schien aus dem Stall zu kommen, aber was war das? Im nächsten Moment rumste es wieder, noch lauter als zuvor. Ich zuckte zusammen und Willow sprang vor Schreck zur Seite, was mich wiederum eiskalt erwischte. Ich verlor das Gleichgewicht und fiel nach vorn. Wie ein nasser Mehlsack hing ich über ihrem Hals.

Instantkarma! Da war ich einmal ein paar Sekunden abgelenkt und schon folgte die Strafe wie ein Donnerschlag. Peinlich!

Noch bevor ich mich aus meiner Verlegenheit herausgearbeitet hatte, kam Corinna aus dem Stall gelaufen.

»Alles in Ordnung?«, rief sie.

Während die anderen ihre Pferde längst im Griff hatten, trippelte Willow immer noch aufgeregt auf der Stelle.

Ich hatte mittlerweile wieder eine Position eingenommen, die entfernt an Sitzen erinnerte, und krächzte: »Alles gut.«

Alles gut, abgesehen davon, dass ich mich gerade vor aller Augen und vor allem vor meiner Reitlehrerin blamiert hatte. Aber das war ja nichts, was mir vollkommen fremd war. Eher im Gegenteil. Zur Abwechslung wäre es trotzdem nett gewesen, wenn jemand anders das mal übernommen hätte.

»Was war das denn für ein Krach?«, fragte Mila.

»Tut mir leid, ich wollte Tammos Boxentür reparieren. Dabei ist sie mir aus den Scharnieren gebrochen und auf den Boden geknallt.« Corinna seufzte. »Ein einziger Flickenteppich ist das hier.«

»Ist die Tür kaputt?«, erkundigte sich Kay.

Corinna nickte. »Das Holz war schon morsch.«

»Wir bringen die Pferde zur Weide und helfen dir dann mit der Tür.« Mila glitt von Gonzos Rücken, auf dem wie immer kein Sattel lag. Selbst im Galopp fiel sie nie hinunter. Neid … Aber nur eine hauchdünne Schnitte! Schließlich war Mila meine beste Freundin.

Corinna lachte auf. »Helfen? Gern. Aber wenn wir nicht mit Lottospielen anfangen und ein bisschen Geld gewinnen, sieht es allmählich düster aus.«

Als ich im Frühjahr den verwunschenen Hollerhof zum ersten Mal erkundet hatte, war ich sofort verliebt gewesen. Sicher, chic war die Anlage nicht gerade, eher etwas heruntergekommen. Doch alles strahlte eine heimelige Atmosphäre aus, was bestimmt auch daran lag, dass nichts hier so richtig perfekt war.

Die vielen üppigen Holunderbüsche hatten dem Hof seinen Namen verliehen. Er lag am Stadtrand, hinter einem Wohngebiet und einer Kleingartenkolonie. Ringsum gab es Wiesen und Wälder und bis zum Fluss war es nur ein Katzensprung.

Am allerbesten gefiel mir der Stall. Im Gegensatz zu allen anderen Ställen, die ich kannte, waren auf dem Hollerhof die Pferde auf zwei Stockwerken untergebracht.

Im Erdgeschoss gab es große Boxen für die Pferde. Aber der Clou war die breite Steinrampe gegenüber vom Eingang! Über sie gelangte man in den ersten Stock. Dort beherbergte ein riesiger Laufstall die Ponys, denen es nichts ausmachte, eine Etage höher als üblich zu wohnen. In einer Nische am Fenster stand ein Plüschsofa. Das war seit einigen Wochen unser Lieblingsplatz. Der perfekte Rückzugsort! Von hier aus hatten wir einen herrlichen Blick auf das gesamte Gelände bis hinunter zum Fluss.

Zum Faulenzen blieb uns heute aber keine Zeit.

»So viel zum Thema Ferienpläne«, ächzte Josse wenig später, während er mit Lukas ein paar Holzbretter anschleppte, die Mila und ich für die neue Boxentür zurechtsägen wollten. »Du brauchst nur jeden Tag hierherzukommen, dann finden dich die Aufgaben von selbst.«

»Ihr müsst das wirklich nicht tun«, sagte Corinna schuldbewusst.

»Quatsch, das machen wir doch gern!«, beruhigte ich sie.

Zu fünft wuchteten wir die gebrochene Boxentür aus dem Stall. Bis wir die kaputten Bretter ersetzt hatten und die Tür wieder ordnungsgemäß vor Tammos Box hing, war der Nachmittag vorüber. Aber immerhin hatten wir alles selbst reparieren können. Und als Extrabonus war beim Sägen kein Tropfen Blut geflossen.

Ich plumpste auf die Bank vor dem Stall und legte den Kopf in den Nacken. Ein paar weiße Schäfchenwolken huschten über den knallblauen Sommerhimmel, dazu schwirrten die Schwalben im Zickzackkurs über den Hof und jagten halsbrecherisch nach Insekten.

Corinna wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Für heute haben wir genug geschuftet. Danke noch mal für eure Hilfe. Ich weiß gar nicht, wie Mila und ich ohne euch zurechtkommen würden.«

»Gar nicht«, entgegnete Kay. »Und das ist auch gut so.«

Corinna lächelte. »Wie wäre es mit einem Lagerfeuer, um den ersten Ferientag gebührend abzuschließen?«

Ein Lagerfeuer? »Unbedingt!«

»Ich glaube, es sind noch ein paar Würstchen und Salat im Kühlschrank«, sagte Mila. »Ich bringe Gonzo zurück zu den anderen und gucke mal, was wir zu bieten haben.«

Gonzo hatte draußen vor dem Stall in der Sonne gedöst und ab und zu zufrieden vor sich hin geprustet. Er folgte Mila wie ein Hund und musste nie angebunden werden. Seufz. Bei Willow war so etwas undenkbar, zumindest zurzeit noch.

Apropos Willow. Ich rappelte mich von der Bank auf. »Warte, ich komme mit.« Das war eine gute Gelegenheit, noch eine Runde Kraulen einzulegen.

Wir schlenderten zur Weide, wo Willow, Sally, Mortimer und die anderen schon am Zaun standen, als hätten sie uns erwartet.

Willow schien sich über Gonzos Rückkehr und unseren Besuch zu freuen. Sie schnupperte erst an meiner, dann an Milas Hand auf der Suche nach einer Möhre.

»Nee, heute hattest du genug.« Mila schmunzelte. Willow ignorierte den Einwand und nahm Kurs auf ihre Hosentasche. »Hey, lass das.«

Mila packte das Gatter und schwang sich mit einem Satz hinüber. Supersportlich, nur leider ratschte es dabei bedenklich.

»Ach du Schande!« Sie hielt sich den Hosenboden, während ich loskicherte. »Meine Hose ist gerissen. Das war meine beste Reithose!«

Vorsichtshalber öffnete ich das Gatter und ging brav hindurch, denn es war nicht ausgeschlossen, dass mir bei einem Sprung das Gleiche wie Mila passiert wäre.

»Gib mir die Hose mit. Meine Oma repariert sie bestimmt gern für dich.«

»Wirklich?« Mila sah mich hoffnungsvoll an. »Eine neue kann ich mir gerade echt nicht leisten.« Sie seufzte. »Eigentlich ist noch nicht mal das Geld für ein Nähstudio drin.«

»Ach, das brauchst du doch nicht. Oma macht das nichts aus. Versprochen!«

Mila schnaufte beruhigt. »Super! Bis Mama dazu kommt, die Hose zu flicken, bin ich längst rausgewachsen.« Sie schnitt eine Grimasse.

Wir vergewisserten uns, dass das Gatter ausbruchsicher verschlossen war, und schlenderten dann zum Hexenhäuschen, um den ohnehin ziemlich leeren Kühlschrank komplett auszuräumen. Auf der Treppe vor der Haustür saß Mr Mouse und schleckte sich in der Abendsonne die Pfoten. Nur widerwillig ließ er uns durch, als würde er ahnen, was wir vorhatten.

»Dein Katzenfutter rühren wir nicht an«, versprach ich ihm und stieg vorsichtig über ihn hinweg. Die Mühe hätte ich mir sparen können, denn im selben Moment gab mein Handy ein kreischendes Geräusch von sich, das wie eine Kreissäge klang. Mit gesträubtem Fell brachte sich Mr Mouse im Blumenbeet in Sicherheit.

Schon praktisch, diese unterschiedlichen Klingeltöne. So blieb mir wenigstens eine Schrecksekunde, um mich auf Marlene vorzubereiten.

»Wo bleibst du denn?«, rief Marlene empört.

Ich hielt das Handy auf Abstand. »Sag mal, geht’s noch? Warum schreist du mich so an?«

»Vielleicht weil wir alle hier schon ewig warten? Ich zumindest habe schon Schimmel angesetzt«, schnauzte sie mich an.

»Hä? Wieso?«

»Wieso wieso? Schwing deine Beine von deinem Gaul und komm gefälligst sofort her. Hast du vergessen, dass Mama und Papa heute mit uns zu Oma wollen?«

»Heute? Das ist doch morgen.«

»Nein, heute.« Marlene klang übertrieben geduldig. Als würde sie mit Flavia sprechen. Die wurde demnächst drei. »Und danach habe ich übrigens noch etwas vor.«

»Du hast mir gestern gesagt, dass wir Oma erst morgen besuchen.«

Ich fasste es nicht. Lagerfeuer am ersten Ferientag – und ich war nicht dabei. Und dazu hatte mir Marlene noch den falschen Tag gesagt und jetzt mussten alle auf mich warten. Die blöde Nuss! Genervt drückte ich sie weg.

In der letzten Zeit war Marlene echt anstrengend. Von mir aus konnte sie lieber heute als morgen ausziehen. Aber mich fragte ja keiner. Zumindest nicht bei diesem Thema.

Ständig stritt sie mit Mama und Papa. Und zwischen uns flogen auch die Fetzen. Dabei war es zu Hause immer so schön gewesen. Lustig, verlässlich, krisensicher. Ganz anders als bei den meisten meiner Freunde, wo sich die Eltern von jetzt auf gleich scheiden ließen oder große Brüder plötzlich zu Zombies mutierten. Doch mit dem Frieden war es anscheinend auch bei uns erst mal vorbei.

»Musst du nach Hause?« Mila berührte meinen Arm.

Ich nickte. »Wir sind bei meiner Oma zum Essen eingeladen. Also zieh deine Hose aus, dann nehme ich sie gleich mit.«

Zum Glück kam Mila mit meinen Gedankensprüngen super klar.

»Danke, aber ich stecke sie vorher noch in die Waschmaschine«, sagte sie nur. »Sonst riecht es in der ganzen Wohnung nach Pferd.«

»Oma liebt Pferde«, versicherte ich ihr. »Sie ist früher sogar selbst geritten. Demnächst will sie sich auch mal den Hollerhof anschauen.«

»Klingt nach einer tollen Oma«, meinte Mila.

»Ich teile sie mit dir.« Als Einzelkind hatte Mila außer ihrer Mutter kaum Verwandte um sich. Ihr Vater war Musiker und immerzu auf Reisen. Seine Familie war zwar riesig, lebte jedoch größtenteils in Ghana, was ja nicht gerade um die Ecke war. Bisher hatte Mila mir immer ein bisschen leidgetan, dass sie die meiste Zeit allein mit ihrer Mutter war. Aber momentan wäre ein Tausch wirklich keine schlechte Option gewesen!

»Dann sehen wir uns morgen.« Mila umarmte mich zum Abschied.

»Viel Spaß beim Lagerfeuer.« Jetzt musste ich mich meiner genervten großen Schwester stellen, was keine besonders tolle Aussicht war.

Tja, leider endete mein erster Ferientag nicht ganz so perfekt, wie ich es mir vorgestellt hatte.

Kapitel 3

Ich holte tief Luft, vergewisserte mich noch einmal, dass ich wirklich allein war, und knallte dann die Tür meines Spinds zu. Und gleich noch mal, weil’s so schön war.

Gut so!

Minimal erleichtert wühlte ich im Schrank nach meiner ausnahmsweise frisch gewaschenen Reithose. Bis mir einfiel, dass die ja noch zu Hause lag. Ausgerechnet heute! Jetzt konnte ich die Reitstunde bei Corinna in Shorts absolvieren.

»Na, du hast ja eine Laune.« Mila quetschte sich zwischen den aufgebockten Sätteln durch und wich dabei einem Zaumzeug aus, das von einem Balken baumelte wie ein Strick vom Galgen. In der Sattelkammer herrschte Überfüllung. »Was ist denn los?«

»Ach, nichts.«

Mila brach in Gelächter aus. »Entschuldige, aber wenn ich das jemandem nicht glaube, dann dir! Man sieht dir aus zehn Kilometern Entfernung an, wenn dir eine Laus über die Leber gelaufen ist.«

Tja. Da war schon etwas dran.

Was Gefühle anging, war ich das allseits bekannte offene Buch. An meinem Gesicht konnten alle immer alles ablesen. Und damit meine ich wirklich alles. Anscheinend hatte ich tief und fest geschlafen, als die Götter das Pokerface verteilten.

Mila lehnte sich gegen eine Tonne, die bis obenhin voll war mit Möhren, und verschränkte die Arme. »Erzähl mir alles über die fiese kleine Laus.«

»Wenn sie das hören würde …« Ich kicherte. »Die Laus ist Marlene. Sie ist total unmöglich. Alles muss immer nach ihrer Nase gehen. Und sie ist so launisch! Dabei wäre das doch meine Sache, schließlich bin ich in der Pubertät. Sie ist schon längst draußen.«

Mila verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Ausnahmsweise war es kinderleicht, ihre Gedanken zu lesen: Einzelkind – und heilfroh darüber!

»Jedenfalls war Marlene bei dem Essen gestern Abend wieder ein richtiges Stinktier. Zuerst ist sie Mama über den Mund gefahren, als sie das Weihnachtsessen planen wollte.«

»Wie bitte? Das Weihnachtsessen?« Mila starrte mich ungläubig an, und mir ging wieder auf, dass es sich zwar so anfühlte, als wären wir schon ewig befreundet, wir uns aber in Wirklichkeit erst seit dem Frühjahr kannten.

Ich grinste. »Na ja, da ist meine Mutter ein bisschen schrullig. Spätestens nach Ostern fängt sie an, sich Gedanken über die Weihnachtstage zu machen, vor allem übers Essen.«

»Echt?« Mila fielen fast die Augen aus dem Kopf. Ich konnte es ihr nicht verdenken.

»Ja, man kann es nicht beschönigen, aber sie tut ja keinem damit weh.« Genauso sollte Marlene das eigentlich auch sehen, doch die war richtig auf Mama losgegangen. Ich holte tief Luft. »Und danach hat Marlene einen Riesenaufstand gemacht, weil in Papas Suppe ein paar Würstchen schwammen. Dabei waren es Bio-Würstchen. Marlene ist seit drei Wochen Vegetarierin. Jetzt erwartet sie, dass wir uns genauso ernähren.«

Bei der Erinnerung daran kochte ich schon wieder vor Wut. Ein Stück Schokolade zur Beruhigung wäre jetzt ziemlich gut gewesen.

»Na ja, eigentlich war sie sauer, dass Mama und Papa ihr eine Party verboten haben. Weil sie keine Lust haben, nachts um vier Uhr noch zwanzig Kilometer zu fahren und sie dort abzuholen. Für den Rest des Abends war die Stimmung jedenfalls total im Keller. Und heute Morgen hat Marlene sich noch aufgeregt, dass Papa mich auf dem Weg zur Arbeit hier abgesetzt hat und nicht den Umweg für sie gefahren ist. Dabei ist sie mit dem Rad in null Komma nichts bei Jule.«

Ich nahm Willows Zaumzeug vom Haken, aber anstatt aus der Sattelkammer zu gehen, rutschte ich mit dem Rücken langsam am Spind hinunter. Irgendwie fühlte ich mich auf einmal ganz schön müde.

Mila runzelte die Stirn. »Okay. Marlene hat euch gehörig den Abend vermiest und den Morgen heute gleich dazu.«

Korrekt. Besser hätte ich es auch nicht ausdrücken können.

»Was ich aber nicht kapiere …« Mila fixierte mich aus halb geschlossenen Augen. »Warum ziehst du dir das so rein? Es sind Sommerferien! Vor uns liegen sechs super Wochen. Und du meckerst die ganze Zeit über Marlene.«

Oh.

Spontan fiel mir da jetzt keine Antwort ein. Ich spielte mit den Riemen des Zaumzeugs herum. Interessant, diese feinen Risse im schwarzen Leder. Würde nicht schaden, das mal wieder einzufetten.

»Hallo? Ylvi? Bist du noch da?«

Stumm nickte ich. Ganz ehrlich: Wenn ich mit etwas danebenliege, kann ich das normalerweise ganz gut zugeben. Ich meine, ich habe echt viele Fehler. Und Macken. Aber wenn ich was verbocke, habe ich genug Mumm, auch dazu zu stehen.

Normalerweise.

Aus irgendeinem Grund fiel mir das in diesem Moment jedoch ziemlich schwer. Mila hatte recht. Es war total bescheuert, sich wegen Marlene so zu ärgern. Warum also brachte meine große Schwester mich so auf die Palme? Die wahrhaftige Antwort lautete: keine Ahnung.

»Keine Ahnung«, sagte ich und grinste schief.

Mila streckte die Hand aus und half mir hoch. »Ist auch schnurz. Jetzt bist du hier und gleich hast du Unterricht. Vergiss deine blöde Schwester.«

Ich fiel ihr um den Hals, bevor sie noch Weisheiten aus ihrer Esoterikbuch-Sammlung vom Stapel ließ wie »Lebe den Moment!« oder »Genieße ganz den Augenblick!«.

Aber wo sie recht hatte, hatte sie recht: Ich schob Marlene und ihre Launen beiseite und freute mich endlich auf die bevorstehende Reitstunde bei Corinna.

Kapitel 4

Die Morgensonne beleuchtete den Pfad, der hinunter zum Fluss führte. Willow schritt aufgekratzt neben mir her, hob den Kopf und blähte die Nüstern, sobald es im Gebüsch raschelte.

Mittlerweile waren die Holunderbüsche zu beiden Seiten des Weges so hoch gewachsen, dass sie weit über unsere Köpfe hinausragten. Deshalb wäre ich auch beinahe an dem schmalen Durchgang in der Hecke vorbeigelaufen, hinter dem sich unser zweiter Reitplatz verbarg.

Der offizielle Platz direkt vor dem Stallgebäude war groß und gut gepflegt. Dagegen war der kleine, versteckte Reitplatz bloß von einem windschiefen Zaun umgeben. Der Boden war ein bisschen uneben und an verschiedenen Stellen wucherte Unkraut in Büscheln. Trotzdem trainierte ich mit Willow am liebsten hier, wo uns nie jemand störte und es schön ruhig war.

Ich stellte Willow neben die Aufsteighilfe. Das war eigentlich Routine, doch heute benahm sie sich, als wollte ich sie neben einem Feuer speienden Drachen platzieren. Immer wieder schob sie ihr Hinterteil Richtung Platzmitte oder trippelte nervös auf der Stelle. Von den vielen kleinen Runden, die wir drehten, um wieder beim Tritt anzukommen, wurde mir fast schwindelig.

Endlich blieb Willow für wenige Sekunden stehen. Das war die Gelegenheit! Ich ließ mich in den Sattel sinken, ganz sachte natürlich, um ihren Rücken zu schonen. Trotzdem schlug sie unwillig mit dem Schweif, als ich die Zügel aufnahm.

Hatte sich meine schlechte Laune von vorhin auf magische Weise auf Willow übertragen? Oje.

Während ich Willow am langen Zügel im Schritt warmritt, betrat Corinna das Dressurviereck. Kay, Mila und Josse ließen sich im Gras außerhalb des Platzes nieder. Sie waren die einzigen Zuschauer.

Da wir so gut wie jedes Problem in der Gruppe besprachen, hatten wir ohnehin kaum Geheimnisse voreinander. Und falls doch, kamen sie sowieso früher oder später ans Tageslicht.

Corinna lächelte mir zu. »Seid ihr so weit?«

»Jipp.«

Mal abgesehen davon, dass Willow gerade den Kopf furchtbar hoch trug, was bestimmt kein schönes Bild abgab und leider auch Corinna nicht verborgen blieb. Ihr Rezept dagegen: selber gut atmen, den eigenen Sitz korrigieren und eine feine Verbindung zum Pferdemaul aufnehmen. Das klang logisch, war aber keine unkomplizierte Medizin, jedenfalls für mich. Immer wieder zackelte Willow kurz an oder wurde langsamer, wenn ich nicht korrekt im Sattel saß. Endlich hatte ich etwas erreicht, was einem raumgreifenden Schritt halbwegs nahekam.

»Dann fangen wir mal an«, sagte Corinna munter.

Anfangen? Ich fühlte mich eher wie am Ende der Reitstunde, so verschwitzt und fertig war ich.

»Reite Schlangenlinien durch die Bahn in drei Bogen, zuerst im Schritt, dann gehst du in den Trab über.«

So oft, wie wir das in letzter Zeit geübt hatten, sollte das ein Kinderspiel sein. Beim letzten Mal war ich die Schlangenlinien richtig sauber geritten. Doch diesmal klappte es nicht so, wie ich es mir vorstellte.

Wir eierten durch die Bahn. Mal waren die Wendungen viel zu eng, mal klebte Willow an der Bande.

»Du verspannst dich so im Rücken«, befand Corinna. »Versuch dir vorzustellen, dass durch deinen Körper ein Fluss fließt.«

Ein Fluss? Seltsam, aber einen Versuch war es vielleicht wert. Ich stellte mir vor, wie klares Wasser durch mich hindurchströmte. Doch so richtig half das auch nicht, denn schon wieder riss Willow den Kopf nach oben, was alles noch schwieriger machte. Ich probierte es wieder und wieder. Als es mir endlich gelang, halbwegs locker im Sattel zu sitzen, hatte ich in der Zwischenzeit die Bahnfigur aus den Augen verloren. Im letzten Moment wechselte ich die Richtung, um Corinna nicht über den Haufen zu reiten.

Nächster Versuch. Mittlerweile langweilte sich Willow sichtlich und wollte schneller laufen. Aber unser Arbeitsauftrag war immer noch Schritt.

»Lass uns etwas anderes probieren«, sagte Corinna. »Trab ein paar Runden auf dem Zirkel. Erst Leichttraben, dann Aussitzen.«

Na klasse, jetzt fühlte es sich an, als wäre es wieder wie ganz am Anfang. Als hätten wir seit unseren ersten Reitstunden gar keine Fortschritte gemacht! Ruhiges Traben – das hatten wir in den ersten Wochen immerzu gemacht. Aber es nützte ja nichts, vielleicht konnten wir uns im Trab wirklich mehr entspannen.

Beim Leichttraben ging es ganz gut, doch als ich mit dem Aussitzen begann, legte Willow die Ohren an. Was hatte ich denn jetzt wieder angerichtet? Ich war doch ganz vorsichtig!

Es war wie verhext. Je mehr ich mich anstrengte, umso mehr geriet ich aus der Balance. Was Willow wiederum überhaupt nicht gefiel. Sie trabte abwechselnd schnell und langsam und schlug dabei mit dem Schweif.

Mist! Dabei waren wir doch schon so viel weiter gewesen! Eine mächtige Woge Frust rollte auf mich zu, doch bevor sie mich unter sich begraben konnte, riss Corinna mich aus meinen Gedanken.

»Und angaloppieren!«

Noch bevor ich die Galopphilfe gegeben hatte, schoss Willow bereits vor. Wenn das kein Beweis war! Mir brauchte jedenfalls keiner zu erzählen, dass Pferde die Menschensprache nicht verstanden. Ich schob alle Enttäuschung beiseite und versuchte, mich auf Willows Bewegungen zu konzentrieren.

Nachdem ich endlich mein Gleichgewicht gefunden hatte – von »wieder« konnte heute ja leider keine Rede sein –, genoss ich den Galopp in vollen Zügen.

Willow holte kraftvoll aus, und es fühlte sich an, als schwebten wir durch die Bahn. Wie schön! Und wie schnell sie war!

»Nimm die Zügel etwas mehr auf«, rief Corinna. »Und immer beim Pferd bleiben, Ylvi, nicht davonträumen.«

Ich nahm die Zügel noch mehr auf und konzentrierte mich wieder auf meinen Sitz. Doch aus irgendeinem Grund brachte uns das aus dem Takt.

Wie konnte das sein? Die paar Momente eben im Galopp waren richtig entspannt gewesen. War es nicht genau das, worauf es beim Reiten ankam? Es musste sich einfach richtig anfühlen, ohne dass ich die ganze Zeit darüber nachdenken musste, wie ich nun auf dem Pferd saß. Aber warum erreichte ich das in letzter Zeit kaum noch?

Willow legte noch einen Zahn zu.

»Reguliere das Tempo durch halbe Paraden«, wies Corinna mich an. »Du bestimmst, wie schnell ihr seid. Im Arbeitstempo, ihr seid hier nicht auf der Rennbahn.«

Statt Willow gefühlvolle Paraden zu geben, schloss ich meine Hände viel zu fest. Prompt fiel sie in einen ruckeligen Trab und blieb dann unvermittelt stehen. Ich wurde im Sattel nach vorn geworfen, dann nach hinten. Denn jetzt lief Willow stur rückwärts, direkt auf den Zaunabschnitt zu, hinter dem Mila, Kay und Josse saßen.

»Entspann deine Hände«, verlangte Corinna mit strenger Stimme. »Atme tief durch und lege deine Waden vorsichtig an Willows Bauch an, damit sie wieder im Schritt angeht.«

Wieder dachte ich an fließendes Wasser und gleichzeitig achtete ich darauf, dass sich meine Beine entspannt an Willows Seiten anschmiegten, wie ich es bei Corinna gelernt hatte. Nun in die Richtung schauen, in die ich reiten wollte. Und anreiten. Das war eigentlich nicht schwer. Doch Willow spielte nicht mit. Schnaubend zuckelte sie zwar an, lief dann aber eierig hin und her.

»Geht noch mal auf den Zirkel«, sagte Corinna und stellte sich in die Mitte des Platzes. »Und nun reitet ihr im Schritt um mich herum. Ganz entspannt.«

Glückwunsch, jetzt war ich, was das Niveau anging, beim Ponyreiten auf dem Jahrmarkt angelangt.

»Beine etwas länger, die Zügel hingeben, Hände weicher aufstellen …« Wie in Trance hörte ich Corinnas Anweisungen, während in meinem Kopf eine Stimme unaufhörlich mit mir und meinen miserablen Reitleistungen zeterte.

Nach und nach kam trotzdem Ruhe in die Sache. Am Schluss lief Willow sogar lammfromm und mit gewölbten Hals, ohne weitere Zicken zu machen. Immerhin eine komplette Runde lang!

»Prima, jetzt hören wir auf«, sagte Corinna. »Bedanke dich bei Willow, sie hat dir heute wieder viel beigebracht.«

Beigebracht? Na, das konnte man so oder so sehen. Jedenfalls hatte ich nicht das Gefühl, dass ich besonders viel gelernt hatte. Eher im Gegenteil. Ich wollte doch einfach nur sanft reiten und Willow dabei so wenig wie möglich stören. Stattdessen war es ein ganz schöner Kampf gewesen.

Kapitel 5

Nach der missglückten Reitstunde war ich so schnell wie möglich nach Hause geradelt. Ich hatte noch nicht einmal Lust gehabt, mich zu den Pferden auf die Weide zu setzen, wie ich es sonst oft machte. Nein, ich wollte mich einfach nur verkrümeln und ein bisschen selbst bemitleiden.

Eine halbe Stunde später lag ich im Wohnzimmer auf dem Bauch und schob meinen Arm weiter nach vorn. Nur noch wenige Zentimeter. Blöd, dass der Besen nicht unters Sofa passte. Damit wäre alles so viel einfacher gewesen. Ächzend streckte ich mich noch ein Stück weiter, bis ich es endlich zufassen bekam.

Oder auch nicht, denn als ich meine Hand unter dem Sofa hervorzog, baumelte zwischen meinen Fingern nur eine total verdreckte Wollsocke, die sicher schon einige Jahre unter der Couch verbracht hatte.

Etwas kitzelte an meiner Hinterseite.

»Bella, lass das!«

Das Kitzeln wurde zu einem Bohren.

»Hey, Nase aus meinem Po!«

Ein Bellen, dann ein Kichern. Und dann plumpste etwas schwer auf meinen Rücken.

»Uff!«

Flavia. »Ylvi, machst du sauber?«

Ich krabbelte unter dem Sofa hervor. Wo war eigentlich die Taschenlampe, wenn man sie brauchte?

»Sauber macht Ylvi nur im Stall.« Marlenes Füße tauchten neben mir auf, dann ließ sie sich aufs Sofa fallen.

»Danke, Marlene. Ich hab dich auch lieb.«

Ich klopfte mir Flusen, Staub, Hundehaare, Kuchenkrümel und einige undefinierbare grüne Minibrocken von Shorts und T-Shirt. Mehr Licht wäre jetzt definitiv gut! Also schnappte ich mir die Lampe vom Beistelltischchen und brachte sie in die Waagerechte.

»Dir ist schon klar, dass das Omas gutes Meissener Porzellan ist, oder?«

Täuschte ich mich oder klang Marlene tatsächlich etwas besorgt?

»Ich stelle sie gleich zurück.« Mit dem dünnen Lichtstrahl machte ich die halbe Tafel Schokolade ausfindig, die gestern Abend beim Toben mit Flavia unters Sofa geraten war.

»Ich will auch was!«, schrie Flavia.

»Wuff!«

»Für Hunde ist Schokolade streng verboten. Und für kleine Kinder ist sie auch total ungesund.« Ich versuchte, die Tafel hinter meinem Rücken verschwinden zu lassen.

Flavias Stirn kräuselte sich. Sie stemmte die Hände in die Hüften. Für einen Augenblick verdunkelte sich das Wohnzimmer, so böse guckte Flavia. Was mich daran erinnerte, die teure Lampe wieder auf das Tischchen zu stellen.

Als ich mich umwandte, hatten sich Flavia und Bella nicht vom Fleck gerührt.

»Na schön.« Ich brach ein winziges Stück Schokolade ab. »Das ist eigentlich die Tafel, die Oma mir geschenkt hat. Du hast deine längst aufgefuttert, und zwar ganz allein.«

Wieder dieser unverwandte Blick. Flavia wich keinen Zentimeter von der Stelle. Woher hatte sie nur diese Durchsetzungskraft? Davon hätte ich auch gern mehr!

Ich drückte ihr einen ganzen Riegel Schokolade in die klebrige kleine Hand. »Unterm Waschbecken in der Küche sind noch Leckerlis für Bella.«

Flavia und Bella rasten erst in die Küche, dann zu ihrem Lieblingsplatz unter Mamas Klavier. Sekunden später hörten wir leises (Bella) und lautes (Flavia) Schmatzen.

Marlene baute sich vor mir auf. »Du bist unmöglich!«

»Wieso das denn?« Ich genehmigte mir jetzt endlich auch einen Riegel. Nach der Reitstunde vorhin hatte ich mir das echt verdient. Grässlich, wie das gelaufen war.

»Wir essen gleich«, schimpfte Marlene. »Und du stopfst das Kind vorher mit Süßigkeiten voll.«

»Und warum hast du eben nichts dazu gesagt? Weil du genauso wenig Lust auf Flavias Gequengel hast wie ich.«

»Wenn Flavia nachher Bauchschmerzen bekommt, ist das allein deine Schuld.«

Hätte ich bloß Milas Angebot angenommen, bei ihr zu Abend zu essen.

»Gestern hat sich Flavia ein halbes Kilo Kakaopulver über ihr Müsli geschüttet«, erklärte ich. »Und alles aufgegessen. Glaub mir, die hat einen Magen aus Stahl.«

»Mal sehen, wie es ihr nachher geht. Außerdem ist der ganze Zucker total schlecht für die Zähne.«

»Mmh«, murmelte ich zustimmend. Am nächsten Riegel klebten ein paar Wollflusen, was das Vergnügen ein klein wenig minderte. Am besten spülte ich die übrige Schokolade kurz unterm Wasserhahn ab. Wäre da warmes oder kaltes Wasser geeigneter?

»Hallo, Erde an Ylvi! Stell mal auf Empfang!«, rief Marlene, als ich schon auf halbem Weg ins Bad war. »Warte mal, ich will noch etwas mit dir besprechen.«

Widerwillig drehte ich mich um und ging ein paar Schritte zurück. Sie setzte sich auf den Esstisch und baumelte mit den Beinen. Seufzend plumpste ich aufs Sofa. Was war denn jetzt noch?

»Ich will in den Herbstferien mit Jule nach Griechenland fliegen«, verkündete sie.

»Schön.« Von mir aus konnte sie in Griechenland gleich ein ganzes Austauschjahr einschieben. Wenn sie sie dort so lange behalten wollten.

»Mama und Papa ist der Flug zu teuer. Und im Tierheim verdiene ich nicht genug.«

Vor einigen Monaten hatte Marlene ihre soziale Ader entdeckt. Seitdem half sie regelmäßig im Tierheim aus und kümmerte sich um Hunde, Katzen, Kaninchen und Schildkröten.

»Für einen zweiten Job fehlt mir aber die Zeit.«

Sie starrte mich an. Langsam wurde mir unbehaglich zumute. Worauf wollte sie hinaus?

»Ich möchte, dass du einen Monat auf den Hollerhof verzichtest, damit wir den Flug bezahlen können.«

Vor Schreck verschluckte ich mich an meinem letzten fusseligen Schokoladenstück. Wie bitte? Das war doch wohl ein Scherz!

»Mama und Papa stecken sauviel Geld in dein Hobby.« Marlene fuchtelte mit dem Zeigefinger in der Luft herum. »Ich finde, jetzt bin ich mal dran.«

Waas? In den letzten fünf Minuten musste etwas mit mir passiert sein. Wer hatte mich auf diesen fremden Planeten gebeamt? Klar, wir stritten die ganze Zeit. Aber dass sie so weit gehen würde, mir die Reitstunden zu klauen …

»Spinnst du? Mama und Papa bezahlen dir doch auch immer alles, was du willst. Klamotten, Schuhe, dein Netflix-Abo … Ich habe nur den Hollerhof.«

Marlene verdrehte die Augen. Okay, an ihren Gerechtigkeitssinn brauchte ich schon mal nicht zu appellieren.

»Na und? Dein Reitunterricht kostet tausendmal mehr.«

»Aber der Unterricht bei Corinna ist viel günstiger als früher bei Hanno auf Birkenmoor. Außerdem wolltest du doch nie reiten.«

Lahm, ganz lahm. Mehr Feuer! Und mehr Tränendrüse!

Leider war ich immer noch geplättet. Das konnte doch nicht ihr Ernst sein. Ich sollte auf meine Reitstunden verzichten, damit sie mit Jule in Griechenland herumgammeln konnte?

»Ist doch nur für einen Monat.« Marlene stieß sich vom Tisch ab und stolzierte in die Küche. »Ich finde die Idee super. Deswegen werde ich sie nachher mit Mama und Papa besprechen.«

»Vergiss es«, fauchte ich. »Nie im Leben gebe ich den Hollerhof für deine beknackte Reise auf. Nicht einen einzigen Tag lang.«

»Das werden wir ja sehen.«

So ein Biest!

Würde sie das wirklich wagen? Andererseits … irgendwie hatte sie schon recht. Niemand in der Familie hatte so ein teures Hobby wie ich. Aber dafür tat ich ja auch einiges. Sparte zum Beispiel mein ganzes Taschengeld, wenn ich eine neue Reithose oder Stiefel brauchte. Marlene dagegen gab ihr komplettes Geld jeden Monat aus. Und sie lieh sich am Ende immer noch etwas von Mama, Papa oder Oma.

Beklommen schlurfte ich in mein Zimmer. Mama und Papa wussten doch, wie wichtig mir der Hollerhof war. Aber wenn Marlene etwas wollte, war sie unheimlich überzeugend. Mir wurde ganz schlecht bei dem Gedanken, dass sie sich durchsetzen könnte. Ohne Reitunterricht wären meine Ferien jedenfalls komplett im Eimer!

Kapitel 6

Ben

Ein Zweig knackte unter seinen Schuhen und er fuhr zusammen.

»Idiot!«, schalt er sich selbst. Wenn er sich so dämlich anstellte, würde er nie einen zu Gesicht bekommen.

Nicht weit von ihm war eine Anhöhe. So leise wie möglich steuerte er die Felsformation darauf an. Dort, so hoffte er, hatte er die Umgebung im Blick, ohne selbst gesehen zu werden.

Er legte sich zwischen zwei großen Steinen flach auf den Boden und schaute nach vorn. Zunächst passierte gar nichts. Ein Rabe zog mit lautem Krächzen seine Kreise über dem Hügel. Sobald er verschwunden war, huschte ein Kaninchen über die Lichtung am Fuß der Anhöhe.

Er starrte ins Gebüsch, bis ihm die Augen tränten. Er war auf jeden Fall an der richtigen Stelle, er hatte sich ja genau an die Beschreibung des Einheimischen gehalten. Nur warum zeigte sich dann nichts?

Seine Gedanken wanderten weiter zu Louis. Er hatte ein Stück weit flussabwärts Ausschau halten und später nachkommen wollen, wenn sich dort nichts tat.

Eine plötzliche Bewegung riss ihn aus seinen Gedanken. Er holte tief Luft und presste sich noch flacher auf den Boden. Da waren sie! Zwei halbwüchsige Gestalten brachen durchs Unterholz. Sie kugelten über die Lichtung, knurrten und ließen dann im nächsten Moment voneinander ab. Stocksteif blieben sie voreinander stehen und stürzten sich wie auf ein geheimes Kommando von Neuem aufeinander. Er grinste. Sie waren so tollpatschig wie Hundewelpen, doch vor allem ihre riesigen Pfoten und die schlaksigen Körper erinnerten ihn daran, was er vor sich hatte: Wölfe.

Jetzt kam es drauf an! Er biss sich auf die Unterlippe. Langsam, ganz langsam, hob er die Kamera und drückte auf den Auslöser.

Die beiden Welpen schienen nichts zu bemerken, so vertieft waren sie in ihr Spiel. Sie balgten sich weiter. Immer wieder sprangen sie einander auf den Rücken und rauften sich, dass kleine Steinchen über den Boden spritzten. Er strahlte und hörte nicht auf zu fotografieren. Volltreffer! Und dieses Mal hatte er sie ganz allein aufgespürt.

Hinter ihm knackte es leise, es war kaum zu hören, doch die Welpen fuhren herum. Dann ging alles blitzschnell. Im Wald begann ein Wolf zu heulen und schon glitten die beiden Welpen auf das Gebüsch zu und verschwanden aus seinem Blickfeld.

Frustriert stöhnte er auf.

Louis ließ sich neben ihm auf den Boden sinken und grinste. »Na, das ist doch gut gelaufen.«

»Bis du aufgetaucht bist, ja.«

Louis schlug ihm kräftig auf den Rücken. »Mach dir nichts draus. Morgen kommen sie wieder.«

»Woher willst du das wissen? Könnte doch sein, dass sie weiterziehen.«

Louis’ Gesicht zuckte kurz, dann antwortete er. »Glaub mir, ich habe recht.«