Spielarten und Spielregeln der Liebe - Dr. med. Eric Berne - E-Book

Spielarten und Spielregeln der Liebe E-Book

Dr. med. Eric Berne

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Beschreibung

Mit den Bestsellern «Spiele der Erwachsenen» und «Sprechstunden für die Seele» hat der amerikanische Psychiater Eric Berne seine glanzvolle Begabung bewiesen, mit Witz und Fachkompetenz das komplizierte Geflecht zwischenmenschlicher Beziehungen zu entwirren und anschaulich zu machen. Hier nun durchleuchtet er den intimsten Bereich menschlicher Begegnung. Berne führt uns über das notwendige Verständnis der Psychologie und Physiologie der Liebe zum Selbstverständnis. Er erklärt uns • wie wir über Sexualität sprechen sollten und daß wir darüber sprechen sollten • wie wir uns von sexuellen Zwängen und Tabus der Gesellschaft befreien können • wie und wozu wir unsere Sexualorgane gebrauchen können • welche Spiele wir mit Liebe und Sexualität spielen • warum Sexualität unser seelisches und körperliches Wohlbefinden steigert. Doch liefert Berne weder eine sterile Analyse des Sexualverhaltens noch eine nüchterne Unterweisung in Sexualtechniken. Sein Buch ist eine therapeutische Befreiungstat: Er lehrt uns, Liebe und Sexualität als substantielles Spiel des Menschen zu begreifen, in dem der einzelne bewußt seine Isolierung überwindet und sich im anderen erkennt.

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Dr. med. Eric Berne

Spielarten und Spielregeln der Liebe

Psychologische Analyse der Partnerbeziehung

Aus dem Englischen von Edelgard Stöhr und Gerd Stöhr

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Mit den Bestsellern «Spiele der Erwachsenen» und «Sprechstunden für die Seele» hat der amerikanische Psychiater Eric Berne seine glanzvolle Begabung bewiesen, mit Witz und Fachkompetenz das komplizierte Geflecht zwischenmenschlicher Beziehungen zu entwirren und anschaulich zu machen. Hier nun durchleuchtet er den intimsten Bereich menschlicher Begegnung. Berne führt uns über das notwendige Verständnis der Psychologie und Physiologie der Liebe zum Selbstverständnis. Er erklärt uns

• wie wir über Sexualität sprechen sollten und daß wir darüber sprechen sollten

• wie wir uns von sexuellen Zwängen und Tabus der Gesellschaft befreien können

• wie und wozu wir unsere Sexualorgane gebrauchen können

• welche Spiele wir mit Liebe und Sexualität spielen

• warum Sexualität unser seelisches und körperliches Wohlbefinden steigert.

Doch liefert Berne weder eine sterile Analyse des Sexualverhaltens noch eine nüchterne Unterweisung in Sexualtechniken. Sein Buch ist eine therapeutische Befreiungstat: Er lehrt uns, Liebe und Sexualität als substantielles Spiel des Menschen zu begreifen, in dem der einzelne bewußt seine Isolierung überwindet und sich im anderen erkennt.

Über Dr. med. Eric Berne

Eric Berne wurde 1910 in Montreal/Kanada geboren; studierte an der McGill University/Montreal Medizin und promovierte 1935 mit einer Arbeit über Psychiatrie; von 1941 bis 1943 Psychiater im New Yorker Psychoanalytic Institute; Fachberater für Psychiatrie beim Generalarzt der US-Armee; von 1947 bis 1956 im San Francisco Psychoanalytic Institute (Arbeitsgebiet: Gruppentherapie); korrespondierendes Mitglied der Indian Psychiatric Society; danach Dozent an der University of California Medical School und Direktor des San Francisco Social Psychiatry Seminar. Eric Berne starb 1970.

Inhaltsübersicht

VorwortEinleitung: Das Thema SexualitätSexualität – ein anrüchiges ThemaEinige trockene Ausdrücke ohne GefühlsinhaltEinige Ausdrücke voller Wärme und HerzlichkeitEinige obszöne WörterDas Wesen der ObszönitätDie MülltonneDer ‹Scheißkerl›Obszönität zum VergnügenObszönität und LiebeSexualerziehung der KinderSexualerziehung für JugendlicheSexualerziehung für FortgeschritteneSexualerziehung für Erwachsene in AmerikaEin Standardvokabular der SexualitätErster Teil: Sexualität und Sexualorgane1. Kapitel Warum ist Sexualität notwendig?2. Kapitel Der Sexualakt3. Kapitel Was man mit den Geschlechtsorganen alles machen kannZweiter Teil: Die Sexualität und der Mensch4. Kapitel Formen zwischenmenschlicher Beziehungen5. Kapitel Sexspiele6. Kapitel Sexualität und Wohlbefinden oder Intimität als VorbeugungsmittelDritter Teil: Nachspiel7. Kapitel Fragen und Antworten8. Kapitel Ein Mann von WeltAnhang: Die Klassifizierung zwischenmenschlicher BeziehungenEinleitungArten von BeziehungenDiskussionZwanzig ausgewählte Bücher zum Thema Sexualität Zusammengestellt von Gerd StöhrRegister

Vorwort

Dieses Buch entstand aus Vorlesungen, die ich im April und Mai des Jahres 1966 im Rahmen der Jake Gimbel Sex Psychology-Stiftung zu halten die Ehre hatte. Dr. Salvatore P. Lucia, Professor der Medizin und der Vorbeugenden Medizin am San Francisco Medical Center, befand sich in dem für die Berufung zuständigen Ausschuß, und ich glaube, ich habe es seinem Einfluß zu verdanken, daß ich für diese ehrenvolle Aufgabe ausgewählt wurde. Ihm und den anderen Mitgliedern des Ausschusses bin ich zu Dank verpflichtet, daß sie mir die Möglichkeit gaben, diese Vorlesungsreihe zu halten. Ungefähr sechshundert Zuhörer kamen und mußten sich teilweise mit Stehplätzen begnügen. Sie brachten unterschiedliche Kenntnisse über dieses Gebiet mit und hatten auch eine unterschiedliche Einstellung dazu. Das Programm der Vorlesungen sah folgendermaßen aus:

 

Vorlesungsreihe im Rahmen der Jake Gimbel Sex Psychology-Stiftung 1966 unter der Schirmherrschaft des Ausschusses für wissenschaftliche Vorlesungen der University of California, San Francisco Medical Center.

Die Sexualität im Leben des Menschen

 6. April

Das Thema Sexualität

13. April

Formen zwischenmenschlicher Beziehungen

20. April

Sexualität und Wohlbefinden

27. April

Sexspiele

Die oben genannten vier Vorlesungen beginnen jeweils um 20 Uhr 30 im Auditorium des Medical Center, San Francisco.

23. Mai

Sprache und Liebe

Diese Vorlesung wird im Field House der University of California in Santa Cruz gehalten.

Alle an dieser Vortragsreihe Interessierten sind herzlich eingeladen.

 

Obwohl ‹alle Interessierten› eingeladen waren, bestand die Zuhörerschaft größtenteils aus Studenten, Akademikern und den Wissenschaftlern der Universität. Dr. Lucia war ein sehr sympathischer und diplomatischer Vorsitzender, und meine Assistentin Fräulein Pamela Blum leistete mir während meiner Vorträge wertvolle Hilfe, während Dr. Lucias Sekretärin Marjorie Hunt sich um die Aufnahme der Vorträge auf Band kümmerte und Fräulein Olga Aiello sie dann für mich abschrieb. Ohne diese Dienste wären diese Vorlesungen für immer verloren gewesen, denn meine Notizen bestanden nur aus Stichwörtern. Aber den größten Dank schulde ich dem verstorbenen Jake Gimbel, weil er diese Vortragsreihe ermöglichte. Als er 1943 starb, stiftete er für diese Zwecke eine beträchtliche Summe und bestimmte, daß die Stanford University und die University of California abwechselnd darüber verfügen sollten. Seitdem wurden die Vorträge von einer Reihe hervorragender Wissenschaftler gehalten. Sie gaben dieser Dozentur ein derart hohes Niveau, daß ich mich zuvor vier Jahre lang bemühte, meine Gedanken in Schriftform der Öffentlichkeit vorzutragen, um diesen hohen Anforderungen zu genügen, und selbst jetzt noch fehlt mir im Grunde das Selbstvertrauen dazu.

Seit ich diese Vorträge gehalten habe, hat eine Flut von wissenschaftlichen Beiträgen zum Thema Sexualität die Öffentlichkeit überschwemmt. Seit 1967 wird die Monatsschrift Medical Aspects of Human Sexuality[1] herausgegeben, das vernünftigste, zuverlässigste und angesehenste Organ dieser Art. Sie ist viel weniger auf Sensationen bedacht und erregt darum auch weniger Mißfallen als ihre berühmte Vorgängerin, die Zeitschrift für Sexualwissenschaft. In ihr hatten die Pioniere der Psychoanalyse einige ihrer frühen Schriften veröffentlicht; so stellte sie in jener Zeit für Havelock Ellis und Studenten die wichtigste Quelle zum Studium der Psychopathologie der Sexualität dar. In den letzten vier Jahren machte auch das Sex Information and Education Council of the United States[2] unter der Führung von Dr. Mary Calderone von sich reden. Zweifellos haben die hohe Qualifikation von Frau Dr. Calderone und ihre gewinnende Art zu einer weitreichenden Anerkennung ihrer Arbeit beigetragen, besonders was ihre Förderung der Sexual-Erziehung in der Schule anbelangt. Die dritte Kraft bei der Verbreitung von Sexualwissen bilden die Anzeigenspalten der Berkeley Barb oder der Tribe und anderer Underground-Zeitschriften, die das Ausmaß und die Verschiedenartigkeit der Abweichungen von der offiziellen Vis-à-vis-Position offenbaren, viel schärfer als Kinsey und seine Mitarbeiter, und auch unromantischer als Havelock Ellis in seinen Werken. Der vierte Faktor, der in den letzten zwei oder drei Jahren einen spürbaren Einfluß ausgeübt hat, ist die Lockerung im Recht: so die Billigung homosexueller Verbindungen in England und die Freigabe der Pornographie in Dänemark. Am wirksamsten aber ist die neue Verbindung von Sexualität und gesundem Witz und Humor (im Gegensatz zu den morbiden, abstoßenden oder abfälligen Witzen), wie dies in der satirischen Zeitschrift Official Sex Manual[3] und in den Bilderparodien des Evergreen Magazine geschieht, die immer ausgesprochen ‹sexy› sind. Gegenwärtig herrscht allgemein die fortschrittliche Auffassung, Sexualität sei im Grunde etwas Anständiges und gehöre zum menschlichen Leben, so daß man ihr am besten offen den ihr gebührenden Platz einräumt. Im Gegensatz dazu behaupten die Konservativen, es gäbe nichts Schmutzigeres als die Sexualität, während die Radikalen der Ansicht sind, nichts sei schmutzig, also könne es auch der Sexualität nicht schaden, wenn sie mit Gewalttätigkeit und Schmutz in einem Atemzug genannt werde.

Alle diese Einflüsse, die Underground-Zeitschriften (die sonst von jedermann aus Gründen der Respektabilität abgelehnt werden) eingeschlossen, kommen voll zum Tragen in den Aufsätzen des Dr. Eugene Schoenfeld, der seine Leser allwöchentlich in einer Zeitschrift unter dem Pseudonym Dr. Hip Pocrates[4] erfreut.

Ich bin jedoch überzeugt, daß die größte Veränderung nicht durch die Erziehung, sondern durch die Praxis bewirkt worden ist. Der starke Einfluß der ‹Pille› im amerikanischen Leben wird begleitet vom Auftauchen und Wiederauftreten ‹emanzipierter Frauen›, die die Forderung nach voller Gleichberechtigung in der Sexualität stellen. Das Manuskript dieses Buches wurde von einigen von ihnen auf Anzeichen für ‹männlichen Chauvinismus› sorgfältig untersucht. Einiges von dem, was sie fanden, war recht eindeutig, so daß ich in der endgültigen Fassung die mir notwendig erscheinenden Änderungen vornahm. Wo ich aber erkannte, daß ein ‹weiblicher Chauvinismus› das Haupt hob, blieb ich bei meiner Auffassung.

Ich habe in diesem Buch versucht, die Sexualität so zu schildern, wie sie wirklich ist, was den Gebrauch von bildhaften Ausdrücken und Wörtern aus der Umgangssprache sowie Fallberichte mit sich brachte. Es steht jedem frei, dieses Buch seinen Kindern unter sechzehn oder auch unter achtzehn oder auch unter einundzwanzig oder sogar unter vierzig vorzuenthalten, wenn er meint, das sei seine Pflicht. Ich werde gern jeden anhören, der eine faktische Unrichtigkeit entdeckt und richtigstellt. Wo es aber um die persönliche Einstellung geht, kann ich mich keinem mit gutem Gewissen beugen, der nicht genauso viele und genauso überzeugende Sexualberichte gehört hat, wie ich während der letzten dreißig Jahre. Ich kann mir vorstellen, daß einige Zuhälter und Prostituierte mehr über die Sexualität im allgemeinen wissen und daß einige Wissenschaftler mehr über Sondergebiete wissen als ein erfahrener und interessierter Psychiater. Insgesamt enthalten meine Ausführungen, glaube ich, ebensoviel Künstlerisches wie Wissenschaftliches, und jede Diskussion über sie sollte sich auf angemessene und klare Argumente stützen.

Vieles von dem, was ich in diesem Buch bringe, habe ich in den Vorlesungen entweder gar nicht oder anders gesagt. Denn einmal habe ich seit 1966 noch vieles gelernt und zum anderen kennt das gesprochene Wort andere Regeln als das geschriebene. Deshalb war es nötig, Änderungen vorzunehmen, einiges ganz wegzulassen und Neues hinzuzufügen. Es war auch nötig, im Stoff der Vorlesungen Umstellungen vorzunehmen, das ganze auf den neuesten Stand zu bringen und stilistische Veränderungen einzuführen. Deshalb habe ich das Buch so geschrieben, als wendete ich mich an einen einzelnen Menschen. An manchen Stellen habe ich mich auf einen anderen Schriftsteller bezogen, auf Cyprian St. Cyr, den mutmaßlichen Verfasser des Buches ‹Letters to My Wife’s Maid›. Diese Briefe wurden wahrscheinlich von Cyprian St. Cyr geschrieben, als er sich mit seiner Frau auf einer Weltreise befand, und sie sollen die junge Dame, an die sie gerichtet sind, auf den ‹Eintritt in die Welt› vorbereiten, wenn sie ihre derzeitige Stellung aufgibt. Diese Briefe stehen in geistigem Zusammenhang mit dem vorliegenden Werk, deshalb schrieb ich mein Buch im Geiste von St. Cyrs ‹Letters›, versuchte aber gleichwohl, den in den Vorlesungen angeschlagenen Ton beizubehalten. Aus diesen Gründen gab ich den ursprünglichen Titel der Vortragsreihe und auch die inhaltliche Reihenfolge auf. (Der ‹offizielle› Titel dieses Buches ist – für die, die an die Sexualität lieber auf eine mehr akademische Weise denken – «Zerebrale und behavioristische Korrelate der Kopulation in Gesellschaften höherer Primaten».)

Wegen der vielen Veränderungen, die ich vorgenommen habe, gebietet mir die Fairness, nochmals zu betonen, daß weder der Jake Gimbel-Ausschuß noch die University of California für die geäußerten Meinungen und Ansichten verantwortlich sind. Die Verantwortlichkeit liegt ganz bei mir.

Ich möchte auch noch den Mitgliedern des Seminars für Transaktionsanalyse in San Francisco meinen Dank aussprechen. Sie verbrachten einige Abende damit, mir zuzuhören, während ich ihnen mein Manuskript vorlas, und machten viele wertvolle Abänderungsvorschläge und übten sowohl positive wie negative Kritik. Ich möchte auch denen danken, die das Manuskript zu ihrem Vergnügen lasen und ebenfalls für mich wertvolle Anmerkungen dazu machten, besonders Bertha Joung, Al und Pam Levin, Arden Rose, Valerie Venger, Nadja und Valerio Giusi und Rick Berne.

Carmel, California

April 1970

Einleitung Das Thema Sexualität

Sexualität – ein anrüchiges Thema

Es ist nicht leicht, über die Sexualität zu schreiben. Der Grund ist, daß sie allgemein als anrüchig, ja sogar schmutzig angesehen wird. Jeder, der das übersieht, wird sich sehr bald unwohl fühlen, wenn er sich diesem Thema zuwendet. Ich hatte einmal Gelegenheit, mich mit einer Schriftstellerin zu unterhalten, die in wohlgesetzten, aber letztlich nichtssagenden Worten über Sex schrieb. Ich sagte ihr, daß ich es für falsch hielte, ein durch und durch heikles Thema in die Zwangsjacke trockener, fast wissenschaftlicher Ausdrücke zu pressen. Da ging sie zum Gebrauch anstößiger Wörter über. Und wieder mußte ich ihr sagen, daß ich auch das für falsch hielte. Denn man muß Ausdrücke wählen, gegen die im Leser keine gefühlsmäßige Abwehr besteht. Sie stimmte mir zu und erzählte mir daraufhin von einer schwangeren Frau, die am Fenster saß und an eine schwarze Schlange dachte. Ich verstand das zwar nicht so ganz, wohl schon deshalb nicht, weil ich keine Frau bin, aber es klang doch irgendwie aufrichtig. Es war auf jeden Fall aufrichtiger als das, was jene schwangere Frau sagte, die sich strikt an das Schickliche hielt. So konnte man von ihr nur hören, wie sehr sie hoffe, genug Milch zu haben, um ihr Baby damit aufziehen zu können. In ihrer Art erinnerte sie mich an eine Dame aus Boston, die sich jedesmal entschuldigte, wenn sie von den ‹Akten› eines Theaterstücks sprach oder von ‹Krebsschwanzsuppe›, und dann berichtete, ein Bekannter von ihr sei eine Klippipi hinabgestürzt.

Ich meine also, als erstes sollten wir unseren Wortschatz unter die Lupe nehmen und die Wörter heraussuchen, die am klarsten auszudrücken vermögen, was wir sagen wollen, aber dennoch nicht anstößig sind.

Einige trockene Ausdrücke ohne Gefühlsinhalt

Wir kennen verschiedene Wörter für die sexuelle Betätigung: niedere Organismen konjugieren, höhere kopulieren, die Menschen haben Geschlechtsverkehr. Wissenschaftler bedienen sich dafür auch gern des Wortes Koitus. Die Bezeichnung ‹geschlechtliche Vereinigung› ist allenfalls im Vortrag eines Sonntagsredners am Platz. Man kann über alle diese Dinge reden. Nur eines kann man nicht, sich über den sexuellen Verkehr unterhalten. Das wird auch gar nicht erwartet – man soll sich nur mitteilen. Dieses Sich-nur-Mitteilen führt aber so manches Mal zu Schwierigkeiten, sogar zu körperlichen Beeinträchtigungen wie Kopf-und Magenschmerzen. Deshalb müssen Menschen, die miteinander auskommen wollen, früher oder später dazu übergehen, ein echtes Gespräch zu führen. Ein etwas zynischer Freund von mir, Dr. Horseley, empfiehlt überkultivierten Paaren, die miteinander Schwierigkeiten haben, nicht immer nur von sich selbst zu reden, sondern sich einmal ganz einfach zu unterhalten.

Schauen wir uns die oben erwähnten Ausdrücke etwas genauer an, so stellen wir fest, daß sie nur scheinbar nüchtern und sachlich sind. Konjugieren hört sich an, als wolle jemand Feuer machen, indem er zwei Eier aneinanderreibt. Kopulieren klingt anstößig, aber schon leicht ablehnend, während man von dem Wort Koitus schlicht angewidert ist, geradeso, als ob man in Turnschuhen durch eine klebrige, schmierige Masse geht. Von Sexualverkehr kann man in der Öffentlichkeit sprechen, auch schreiben, aber dieser Ausdruck ist insgesamt zu unpersönlich, um allgemeine Beliebtheit zu erlangen. Das gängige Synonym dafür ist der Geschlechtsakt.

Die Bezeichnungen für das, was wir dabei erleben, sind nicht viel besser. Von sexueller Befriedigung redet man so, wie etwa jemand darüber reden würde, wenn er ein gutes Steak zu Mittag gegessen hat. Den Begriff Klimax konnte man anfangs durchaus benutzen, leider wurde er in den Zeitungen und Zeitschriften derart zerredet, daß er heute abgeschmackt ist wie ein alter Kaugummi. Am neutralsten und am passendsten ist meiner Meinung nach die Bezeichnung Orgasmus.

Eine eigene Sprache für dieses Gebiet haben die Rechtsgelehrten entwickelt, aber sie können uns auch nicht weiterhelfen. Ihre Lieblingsausdrücke sind Beischlaf, Beiwohnung, sexuelle Beziehungen und Ehebruch. Und alle sind sie irgendwie mit einer Strafe oder einer Forderung verknüpft. Die Juristen interessieren sich überhaupt nicht dafür, ob Sex Freude bereitet. Sie bemühen sich nur eifrig, etwas zu begründen oder zu beweisen, so daß irgend jemand zahlen muß. Bei der Festsetzung der Summe spielt es überhaupt keine Rolle, ob es das erregendste Erlebnis war, das man je gehabt hatte, oder ob man dabei kaum etwas empfunden hatte. Abzüge für Langweiligkeit oder Zuschläge für Ekstase sind unbekannt. Rechtsgelehrte sprechen in diesem Zusammenhang auch gerne von ‹Verbrechen wider die Natur›, obwohl bislang noch kein einziger Fall bekanntgeworden ist, in dem die Natur eine Klage eingereicht hätte. Man sucht auch vergeblich nach einem Begriff wie ‹schicklicher› Nacktheit. Jede Art von Nacktheit wird als anstößig angesehen, solange nicht das Gegenteil bewiesen wurde. Diese Auffassung aber steht in direktem Widerspruch zu der in der Verfassung verankerten Bestimmung, in der es heißt, daß ein Mensch so lange als unschuldig anzusehen sei, bis seine Schuld erwiesen ist, er also auch so lange als anständiger Mensch angesehen werden muß, bis das Gegenteil bewiesen wurde. Das Wort ‹Obszönität› ist der Gegenstand heftigster Kämpfe zwischen Juristen; wir werden noch darauf zurückkommen.

Die Schwierigkeit bei all diesen Redewendungen und Bezeichnungen liegt darin, daß sie das, was die Sexualität eigentlich ausmacht, nicht mit einschließen, nämlich Genuß, Freude und Rausch, und deshalb klingen sie so nüchtern und irgendwie steril.

Einige Ausdrücke voller Wärme und Herzlichkeit

Der Ausdruck ‹verliebt sein› klingt warm und vertraulich. Leider verwenden nicht mehr viele Menschen diese Redewendung. Am passendsten und am wenigsten vulgär ist zur Zeit wohl der Ausdruck ‹miteinander gehen›. Ihm sind nicht nur Wärme und Herzlichkeit zuzuordnen, er enthält auch noch ein Versprechen, daß da noch etwas anderes ist, das über den Geschlechtsakt hinaus andauert. Menschen, die kopulieren, koitieren oder sexuellen Verkehr pflegen, wissen in der Regel nicht, was nach Sonnenaufgang mit ihrer Liebe sein wird. Aber wenn zwei ‹miteinander gehen› werden sie sehr wahrscheinlich auch zusammen frühstücken, und das ist wohl der Grund, weshalb junge Frauen diese Bezeichnung allen anderen vorziehen. Bei Männern allerdings scheint dieses Wort nicht so beliebt zu sein, nicht einmal bei denen, die gern mit ihrer Frau am Frühstückstisch sitzen.

Hier in dieser Aufzählung hat auch die Bezeichnung ‹beiwohnen› ihren Platz. Was ihr an Spannung fehlt, macht sie durch Behaglichkeit wett. Das gleiche gilt für das Wort ‹beischlafen›.

Einige obszöne Wörter

Es ist wünschenswert und ich glaube, auch durchaus möglich, über Obszönitäten zu sprechen, ohne selbst obszön zu werden. Man kann ohne weiteres solche Wörter wie ‹ficken›, ‹vögeln›, ‹Schwanz› oder ‹Fotze› verwenden, ohne jemanden verführen oder beleidigen zu wollen.

‹Ficken› ist das einzige Wort, das in aller Fülle das wiedergibt, was den Sexualakt ausmacht, nämlich das Gefühl, die Schlüpfrigkeit und das Aroma. Das leicht wollüstige ‹f› am Anfang macht dieses Wort noch verlockender. Alle weiter oben erwähnten Synonyme vermeiden sorgfältig jeden Hinweis auf Erregung und Sinnlichkeit und meiden noch sorgfältiger das primitivste und zugleich stärkste Element in der Sexualität, den Geruch. In dem einen Wort ‹ficken› kommen alle diese Elemente zum Ausdruck. Ähnlich ist es mit Wörtern in der Kindersprache. Sie umfassen auch viele verschiedene Aspekte einer Sache. Und ‹ficken› könnte durchaus aus der Kindersprache stammen.

Das Wort ‹ficken› stammt aus dem Altholländischen oder Altdeutschen. ‹Ficken› heißt da so viel wie ‹hin und her stoßen›, vergleichbar dem arabischen dok, womit ein Stampfen bezeichnet wird, ähnlich der Bewegung eines Kolbens in einem Zylinder. Nun ist Stampfen oder Stoßen ein sehr wichtiger Bestandteil des sexuellen Verkehrs, wie wir noch sehen werden. Von gleicher Bedeutung ist das, was die arabischen Sexologen mit hez bezeichnen. Sie meinen damit die anregende, wollüstige, freischwingende Bewegung des weiblichen Beckens. Ficken ist sowohl dok wie hez, ist sowohl ‹stoßen› wie ‹schwingen›.

Beim Ficken sind immer beide Partner gleichermaßen aktiv. Das Bimsen hingegen ist mehr eine einseitige Angelegenheit. Eine kluge junge Dame, Amaryllis ist ihr Name, sagte einmal zu mir, daß sie am Ficken großes Gefallen habe. Aber Jungen, die sie bimsen wollten, nur um hinterher damit prahlen zu können, die könnten ihr gestohlen bleiben. Ebenso wie das Ficken erfordert das ‹es miteinander treiben› immer das Zusammenwirken zweier Menschen.

Ich halte es für unnötig, hier über ‹Schwanz› und ‹Fotze› und deren zahlreiche Synonyme zu sprechen, denn diese Wörter sind alle im Bereich des Vulgären zu Hause. Auch tragen sie wenig zum allgemeinen Verständnis der Sexualität bei. Bei dem Wort ‹Penis› stellen sich die meisten Leute etwas vor, das aus viel Haut besteht und nicht sehr beeindruckend wirkt, zuweilen auch etwas Niedliches, wenn sich Knaben in der Familie befinden. Diese Vorstellung mag wohl richtig sein für das schlaffe Glied. Für den eindrucksvolleren Zustand der Erektion ist das Wort Phallus schon zutreffender, wenngleich es künstlich klingt und ihm Saft und Kraft fehlen. Für die weiblichen Geschlechtsteile wollen wir das Wort Scheide verwenden. Es drückt zwar nicht ganz dasselbe aus wie das Wort Fotze, vermittelt aber ebenfalls ein Gefühl von Wärme. Die Hauptschwierigkeit entsteht bei den äußeren Geschlechtsteilen der Frau, von den Anatomen Vulva genannt. Für den täglichen Gebrauch ist dieser Ausdruck zu medizinisch, und da es keine anständige Bezeichnung für diesen Teil gibt, müssen wir wohl oder übel das Wort Fotze dafür verwenden.

In Wörterbüchern, vor allem in Wörterbüchern der Umgangssprache, kann man noch viele Wörter aus diesem Bereich finden, aber ich glaube, man kommt schon mit den Ausdrücken, die ich aufgezählt habe, ganz gut zu Rande.

Das Wesen der Obszönität

An dieser Stelle möchte ich darlegen, warum ich obszöne Wörter vermeide, wann immer ich kann. Mit ‹obszön› bezeichnet man immer etwas Widerwärtiges, Abstoßendes. Vom Inhalt her kann man das Obszöne in zwei Bereiche aufteilen: in Pornographie und in Skatologie. Pornographie handelt vornehmlich von Huren. Das Wort ist im Schlafzimmer heimisch, während ‹Skatologie› in der Toilette beheimatet ist und die Unanständigkeiten dort bezeichnet. Manche Leute empfinden sowohl Pornographie als auch Skatologie als beleidigend, während andere nur eines von beiden als widerwärtig ansehen. Das alles hört sich so an, als sei Obszönität die Folge künstlich aufgestellter Regeln. Das aber ist ein Trugschluß. Sie ist vielmehr in viel tieferen psychologischen Schichten verankert.

Jedes Wort von Bedeutung erweckt sowohl im Sprecher als auch im Hörer eine bestimmte Vorstellung, ein Bild. Diese Bilder sind einem nicht immer sofort klar, aber mit einiger Anstrengung kann man sie aus den Tiefen des Bewußtseins an die Oberfläche holen. Die Bilder für die meisten Wörter sind farblos, kaum geformt und schattengleich und verschmelzen mit einem unbekannten Hintergrund (es sei denn, es handelte sich um sehr vertraute Bilder). Wegen dieser Schattenhaftigkeit werden sie auch so selten bewußt, wenn sie erwähnt werden. Man könnte sie ‹Erwachsenen›- oder auch ‹Schattenbilder› nennen. Andere Wörter wieder werden von Bildern begleitet, die viel lebendiger und kraftvoller sind. Sie sind Überbleibsel aus der Kindheit und werden deshalb ‹kindliche› oder ‹ursprüngliche Bilder›[1] genannt. Da sie bis in alle Einzelheiten ausgeprägt und sehr farbenprächtig sind, erzeugen sie einen Widerhall im Gefühlsbereich. Einige von ihnen sind sogar außergewöhnlich schön, ähnlich den Bildern, die Menschen sehen, wenn sie Marihuana oder LSD eingenommen haben. Andere Vorstellungsbilder wieder rufen Ablehnung hervor, und mit diesen wollen wir uns hier beschäftigen, da sie den Schlüssel zur Erklärung der Obszönität enthalten. Ein Wort wird obszön, wenn das begleitende Bild ein ursprüngliches Bild ist – und zudem abstoßend. Das ist deshalb so, weil das Bild und die Wirklichkeit, für die es stand, in der Kindheit lebendig und abstoßend waren. So geschieht es etwa bei unseren Exkrementen während der Reinlichkeitserziehung. Diese Bilder behalten ihre Kraft auch in späteren Jahren.[2] Die Definition des Obszönen basiert also nicht auf künstlichen Gesetzen, von tyrannischen und niederträchtigen Menschen erfunden, die die anderen nur ihrer Freiheit berauben wollen, sie findet vielmehr ihre Erklärung im menschlichen Nervensystem und in der Tiefenpsychologie.

Wurzelt die Obszönität also in allgemeinen und tiefenpsychologischen Faktoren, die aus der Kindheit stammen, dann können auch nur Wörter aus der Kindheit eine derartige Macht entfalten. Wenn man erst später eine Sprache erlernt, etwa mit sechs Jahren oder später, dann kann sie für den Lernenden keine Obszönitäten enthalten. Dazu müßte er diese Wörter in den ersten Jahren seines Lebens gehört haben. So kann ein wohlerzogener Deutscher durchaus ohne jede Verlegenheit oder Scheu Wörter wie ‹merde›, ‹shit›, ‹fourrer›, ‹screw›, ‹cul› oder ‹prick› lesen und auch aussprechen, denn diese Ausdrücke erregen in ihm, auch wenn er ihre genaue Bedeutung kennt, keine ursprünglichen Bilder. Sie behalten für ihn eine mehr abstrakte Bedeutung. Wird aber jemand mit der neuen Sprache sehr vertraut und beginnt sogar in ihr zu denken, können einige Wörter allmählich doch in die ursprünglichen Schichten eindringen und dadurch zu Obszönitäten werden.

Diese Beobachtungen zeigen uns, daß das Obszöne als solches nicht auszulöschen sein wird, aber es ist eine Frage der Auswahl und auch des Zufalls, welche Wörter ein obszönes Bild hervorrufen. Grundsätzlich hat das Obszöne etwas mit Geruch und Geschmack zu tun, auch mit dem Berühren glitschiger Dinge. Mit anderen Worten: Obszöne Wörter sind solche, die in den ursprünglichen Bildern mit schlüpfrigen Empfindungen verbunden werden. Schlüpfrig hat hier noch seinen ursprünglichen Sinn von glitschig, rutschig. In Einzelfällen werden sogar ganz neutrale Wörter zu Obszönitäten, einfach als Folge bestimmter Erfahrungen in der Kindheit, in der Zeit, in der die Bilder geformt wurden.

So kann eine neue Generation zwar die bestehenden Obszönitäten ausmerzen, aber ihre Nachkommen werden neue schaffen, vielleicht, indem sie ein alltägliches Wort in ein obszönes verwandeln (Schwein), vielleicht auch, indem sie einen zunächst selten gebrauchten Ausdruck in die Alltagssprache überführen (Schlappschwanz). Zwar ist es denkbar, daß man Kinder so erziehen kann, daß sie auf Obszönitäten keinerlei Reaktion zeigen, aber das ist nicht sehr wahrscheinlich, wenn man den Bau des menschlichen Nervensystems mit in Betracht zieht. Ich halte es zum Beispiel für äußerst schwierig, durch Erziehung jene Erleichterung abschaffen zu können, die die meisten Menschen empfinden, wenn sie die Tür einer öffentlichen Bedürfnisanstalt hinter sich schließen.

Die Ursachen für die Schockwirkung, die Erleichterungswirkung, auch die erotische Wirkung obszöner Wörter sind sowohl in ihrer Unanständigkeit als auch in ihrer engen Verbindung mit Geruch zu suchen. Die stärksten Obszönitäten haben gleichzeitig auch die stärkste Beziehung zum Geruch – so ‹Ficken›, ‹Fotze›, ‹Scheiße›. Die schwächsten kommen aus dem wissenschaftlichen und literarischen Bereich, ohne jeden Bezug zu ursprünglichen Bildern und vollkommen geruchlos. Für den Neurologen und Psychologen ist dies eine faszinierende Erscheinung, die mit dem gesamten Aufbau des Gehirns und mit unserem Denken zu tun hat: die Verbindung von Geruch und visuellem Bild, von Wörtern und sozialen Handlungen, mit Anregungen, Erleichterungen und Erschütterungen unserer Gefühle.

In Anbetracht dieser Tatsachen ist der Respekt vor der Macht obszöner Wörter keineswegs ein seltsames Überbleibsel einer überholten Denkweise. Er ist vielmehr als eine Erscheinung einer ganz bestimmten Lebenseinstellung zu werten, die Anstand als das wichtigste im Leben ansieht. Anstand, das heißt kraftvolle Bewegungen und erhabene Augenblicke der Einsamkeit oder auch der Vereinigung. Tänzer, Redner, Anhänger der Zen-Philosophie und anderer Philosophien aus dem Orient, sie alle kennen seinen Wert. Er hält die Menschen dazu an, mit Würde zu sprechen und jede Stunde ihres Lebens zu einem Kunstwerk zu gestalten. Er fordert eine äußere Erscheinung und ein Betragen, das uns von Jahr zu Jahr besser macht. Und schließlich besagt er, daß ein ganzes Leben, erfüllt mit Freundschaften und Feindseligkeiten, Zärtlichkeiten und Gegnerschaften, Komödien und Tragödien, letzthin doch die Möglichkeit haben soll, in einen Strom der Ganzheit und der Würde zu münden. Für mich ist gesellschaftlicher Rang gleich Anstand gleich Zurückhaltung, das Vermeiden von Übertreibung und Unstimmigkeiten, in der Rede ebenso wie in Ballett und Malerei.

Der Häßlichkeit begegnen und ihr ins Gesicht schauen, ist etwas anderes als sie umarmen. Jeder Mensch hat wohl seine eigene Vorstellung von Schönheit, deshalb ist es auch sinnlos, sie definieren zu wollen, indem ein einzelner angibt, was er für schön hält. Aber vielleicht kommen wir doch zu einer Übereinstimmung, wenn wir feststellen, was nicht schön ist. Es gibt eine, und nur eine allgemeine Regel der Ästhetik, allgemein deshalb, weil sie im Laufe der Evolution der Menschen biologisches Erbgut wurde. Etwas, das stinkt, kann dennoch schön sein. Aber niemals ist etwas schön, nur weil es schlecht riecht. Jedermann weiß, was ein unangenehmer Geruch ist. Es ist der Gestank von der Scheiße eines Fremden, den wir mit jedem Atemzug einatmen und den wir nicht abwehren können. Bei einem Freund verhält es sich ganz anders. Bei Amaryllis – ich habe sie schon vorgestellt – hört sich das so an: «Ein Freund ist jemand, dessen Scheißhaufen für uns nicht stinkt und dessen Pinkeln für unsere Ohren wie Musik klingt. Würde ein Fremder wagen, uns so etwas zuzumuten, würden wir ihm wohl ein paar Zähne einschlagen.» (Amaryllis drückt sich nicht sehr gewählt aus.)

Aus alldem kann man den Schluß ziehen, daß man Obszönitäten nicht ohne die Zuneigung aller, die davon betroffen werden, benutzen sollte. Für einige sind Obszönitäten ein Teil ihres Lebens, sie machen ihnen Freude. Anderen stockt der Atem, wenn sie nur daran denken, daß jemand in Anwesenheit kleiner Kinder vulgäre Ausdrücke benutzen könnte.

Wie immer, ist es die Poesie, die alle Dinge noch gefälliger macht. Die Menstruation ist als ‹Periode› nicht sehr attraktiv. Sie wird aber geradezu bezaubernd (wenigstens für Männer) als ‹Blut auf dem Antlitz des Mondes› oder durch den französischen Ausdruck ‹ich habe meine Blumen›.

Man kann alles sagen, vorausgesetzt, man bleibt anständig – gemessen an seinen eigenen Maßstäben. In einer Zeit, in der so vieles beschmutzt wird, ist es äußerst wichtig, anständig zu bleiben.

Die Mülltonne

Es ist richtig, man kann eine Menge über seine Nachbarn erfahren, wenn man in ihre Mülltonnen schaut. Ein philosophierender Straßenkehrer könnte aus den Abfällen eine umfassende Philosophie des Lebens entwickeln. Er sieht, was die Leute wegwerfen, wie sparsam oder verschwenderisch sie sind, womit sie ihre Kinder ernähren. Und es gibt eine ganze Menge Leute auf der Erde, die in ihm den Verkünder letzter Wahrheiten sehen. ‹Schaut in die Mülltonnen, und ihr werdet die Wahrheit über unser Leben finden!› – Blödsinn! In Wirklichkeit findet man nur Abfall, nichts als Abfall. Archäologen stoßen häufig auf Gruben mit Küchenabfällen. Sie haben zur Rekonstruktion einer Gesellschaftsform meist nur wenig anderes Material zur Verfügung. Auch einige moderne Schriftsteller gehen so vor und versuchen, aus den Abfällen unsere heutige Lebensweise zu rekonstruieren und zu beurteilen. Doch die Ausgrabung einer Stadt wie Pompeji hilft den Archäologen viel weiter als ein ganzes Dutzend Abfallhaufen. Sie können dadurch viel besser beurteilen, wie die Menschen damals lebten, die Adligen und die einfachen Leute. Das Büro und die Bibliothek, das Kinderzimmer und der Hobbyraum, sie alle erzählen uns mehr von den Menschen als die Rumpelkammer. Es lohnt sich eher, über den Schweiß und die Menschlichkeit eines Nonnenklosters nachzudenken als über den Schweiß und die Menschlichkeit eines Bordells, denn das Kloster spricht, wenn auch in eingeschränktem Sinn, das Streben des Menschen nach Höherem an, während das Bordell, zumindest für Pornoliebhaber und Schwanzanbeter, keine Bewegung zeigt, höchstens eine seitwärts oder ganz abwärts gerichtete.

Mit alldem will ich sagen, daß obszöne Bücher nicht mehr Freude bereiten und den Kern des Lebens auch nicht näher erfassen als sauber geschriebene. Nur Tolstoj war es gegeben, ‹Krieg und Frieden› zu schreiben, aber jeder intelligente Oberschüler, der sich über seine Mutter geärgert hat, könnte de Sades ‹Die Philosophie im Boudoir› verfaßt haben, und zwar sowohl die Bettszenen als auch die philosophischen Betrachtungen.

Der ‹Scheißkerl›

Im Extremfall kann das Obszöne sogar zum Lebensinhalt werden. Der Pornograph, verdammt zu einem Leben im Schlafzimmer und ständig auf der Jagd nach dem alles erfüllenden Orgasmus, wird nie die Wälder, die Meere, den Sonnenschein sehen. Der Skatologe, eingeschlossen in sein duftendes Kämmerlein, sucht in allem, was er erlebt, nur den Unrat, ohne den er nicht auskommen kann. Wenn er eine Verpflichtung fühlt, so die, alles in Dreck zu verwandeln. Beide sind die Verlierer, denn der Pornograph wird niemals die zauberische, vollkommen befriedigende Vagina finden, mag er auch noch so lange nach ihr suchen. Und der Skatologe wird es nie schaffen, seine Fäkalienhaufen, die er so fleißig gesammelt hat, in Gold zu verwandeln. Dabei wird dem Pornographen noch das bessere Los zuteil, genießt er doch wenigstens vorübergehend einige Freuden, während die Toilette nur einen Gewinn zu bieten hat, einen Topf voll Dreck. Zugegeben, es erleichtert so manche Menschen, wenn sie mit obszönen Wörtern um sich werfen, aber das zeigt nur, daß sie in der Jugend bestimmte Erlebnisse hatten, die ihre Einstellung zu Obszönitäten prägte.

Die kindliche Annahme, man müsse schmutzige Wörter nur oft genug sagen, dann werde schon alles in Ordnung kommen, erweist sich als falsch, auch wenn man diese Methode fünf oder zehn Jahre lang durchhält. Man steht von Anfang an auf verlorenem Posten. Wenn jemand im Laufe von zehn Jahren hunderttausendmal ‹Scheiße› oder ‹verdammter Hurenbock› gesagt hat – das ist nicht einmal dreißigmal am Tag –, so wird er nahezu immer feststellen, daß alles schlimmer statt besser geworden ist, und er kann nur noch seinem Psychiater vorstöhnen: ‹Sie sehen doch, wie sehr ich mich bemüht habe! Warum hat es nichts eingebracht?› Eines läßt sich mit Sicherheit sagen: Der Mißerfolg war nicht darauf zurückzuführen, daß er nicht genug geübt hätte. Er hätte ein obszönes Wort auch dreihundertmal am Tag sagen können, ohne Erfolg. Doch nicht die Theorie ist faul, man muß sie nur richtig anwenden. Vielleicht sollte man eher so vorgehen: Man nimmt sich zwei Tage Urlaub und absolviert in dieser Zeit das ganze Programm, also 50000 Kraftausdrücke pro Tag. Anschließend untersucht man, ob man das gewünschte Ergebnis erzielt hat. Wenn nicht, so wird man eine neue Theorie ausprobieren. Man spart jedenfalls zehn Jahre. Das ist der maßgebliche Unterschied zwischen einem Versager und einem Erfolgreichen im Leben. Es ist von großer Bedeutung für das Schicksal eines Menschen, ob er ein Versager ist oder nicht, denn davon hängt es ab, ob andere Menschen ihm vertrauen.

Obszönität zum Vergnügen

Es gibt wohl kaum Meinungsverschiedenheiten darüber, daß unerbetene Obszönitäten meistens eine Beleidigung darstellen und daher verwerflich sind.[1] In zwei Situationen jedoch können Obszönitäten gerade wegen ihrer Unanständigkeit wirkungsvoll sein, und zwar bei der Verführung und beim Witz.

Wenn ein Mann ein Mädchen verführen will, kann er Obszönitäten dazu einsetzen, es herumzukriegen. Amaryllis erzählte mir von einem jungen Mann, der diese Methode mit Erfolg anwendet. Wenn er eine junge Dame kennengelernt hat, die ihm einigermaßen zusagt, macht er ihr so bald als möglich in reichlich unverschämten Worten den Vorschlag, mit ihm ins Bett zu gehen. Auf diese Weise verliert er die Achtung vieler Frauen, aber bei einigen hat er Erfolg. So zeigt sein Verhalten einmal die negative Wirkung der Obszönität, aber auch ihre positive. Dieser junge Mann beherrscht die Kunst des leichten Erfolgs, er zwingt sich den Schönheiten der Natur sozusagen auf.

Obszönität in Witzen ist nichts anderes als eine Satire auf die Korruption, und Satire ist das ‹chirurgische› Lachen, das die Geschwüre am ‹Körper› des Staates und der Gesellschaft öffnet. Deshalb macht Obszönität im Scherz das Leben weniger obszön. Rabelais ist mehr Skatologe als viele andere Schriftsteller, denn er versuchte an all dem Gefallen zu finden. Die Widmung in meiner Lieblingsausgabe lautet so:

Ein wenig Freud’ ist mehr als Kummers Übermacht,

Zum Menschen wird der Mensch, der lacht.

Streng zu trennen jedoch ist die Satire von der Obszönität als Auflehnung: ‹Ich sage alle diese schmutzigen Wörter nur, um zu sehen, wie du reagierst, ob du ein anständiger Mensch bist oder ob du aufhörst, mich zu lieben, du Schwein.›

Ebenso sind die humorvollen Gedichte der Lebemänner der Restaurationszeit auf den Tripper und die Syphilis – Krankheiten, die für einen Lebemann jener Tage tatsächlich unvermeidbar und unheilbar waren – ganz anders einzustufen als die Selbstbemitleidung, die so manche moderne Schriftsteller bei diesem Thema erfaßt. Obszönitäten sind meistens anstößig, wenn sie von dem, der sie ausspricht, oder von dem, der sie hört, ernst genommen werden. Werden sie im Scherz ausgesprochen und einem nicht wie alte Apfelsinenschalen ins Gesicht geworfen, dann kann der Leser bzw. der Hörer entweder an der Freude teilnehmen oder aber sich zurückziehen und sagen: ‹Das finde ich nicht witzig.›

Obszönitäten zum Vergnügen treten üblicherweise in Form von Wortspielen, Witzen oder Limericks auf. Leider ist die Anzahl der Wortspiele, die man für die gebräuchlichsten obszönen Wörter empfinden kann, sehr begrenzt, sie sind alle schon uralt. Mehr Möglichkeiten bietet der obszöne Witz, doch die guten haben meist schon einen ‹Bart›. Denn in den letzten hundert Jahren haben hundert Millionen Studenten hundert Milliarden Stunden in hunderttausend Kneipen damit verbracht, sich solche Witze auszudenken und zu erzählen. Wer heute auf diesem Gebiet originell sein will, muß sich an Limericks versuchen.[2]

Eine der reizvollsten Methoden, mit der Obszönität und ihren Zensoren Scherz zu treiben, besteht darin, sich für die echten Wörter ähnlich klingende auszudenken. Etwa so: Wenn ein Mann mit einer Frau ‹kollaborieren› will, so suche er erst ihre ‹Eroberungszonen›. Gleichgültig, wo er beginnt, irgendwann stößt er unweigerlich auf die ‹Mami Hill› und landet schließlich auf dem ‹Genußberg›. Jetzt liegt der ganze Bereich der weiblichen ‹Charme› offen vor ihm. Ist sein ‹Senilis› schon ‹delektiert›, so kann er ihn jetzt ‹heimführen›. Der ‹Cosinus› endet mit der ‹Emanation›. Der Mann, der keine Frau zur ‹Kollaboration› gefunden hat, kann auch eine ‹Mastoperation› machen. Einige sagen dazu (mit Entrüstung!): ‹Oh, naa –– nie!!!›

Obszönität und Liebe

Vielleicht ist die Obszönität am besten im Bereich der Liebe aufgehoben.[1] Hier entstand sie, hier werden die ursprünglichen Bilder, wenigstens die mit sexuellem Inhalt, voll gewürdigt. Verführung und Ausbeutung gehören jedoch nicht dazu. Gemeint ist nur das Liebesspiel, das beide Partner bejahen und bei dem beide darüber hinaus bestrebt sind, die Lust des anderen zu erhöhen. Die ursprünglichen Bilder brauchen in solchen Fällen nicht zurückgedrängt zu werden, im Gegenteil, sie können zu höchster Entfaltung gelangen. Sie verstärken die vielfältigen Empfindungen, von denen sie ausgelöst wurden – und werden ihrerseits wieder verstärkt durch den Anblick, den Klang, die Berührung, den Duft, den Geschmack und die Wärme, die die erhitzten Körper einander geben. Hier ist Obszönität weder beleidigend noch lästerlich, sondern genau das Gegenteil. So etwa in den folgenden Versen:

Der Unterschied

Sie schrie ihn an: «Ich leg dich um!»

Er aber türmte, traf beim Rum

Ein Mädchen, das ihn zärtlich bat:

«Komm, leg mich um!» – Was er auch tat.

Sexualerziehung der Kinder

Als nächstes befassen wir uns mit einem sehr ernsten Thema, der Sexualerziehung. Wir haben uns darauf geeinigt, bestimmte Wörter zu verwenden, aber Obszönitäten nach Möglichkeit zu vermeiden. Wenn wir uns nun noch darüber einig werden, daß es eigentlich keinen Grund gibt, Vergnügen zu meiden, können wir dazu übergehen, verschiedene Aspekte der Sexualerziehung unter die Lupe zu nehmen.

Wieso auf die Seite nehmen?

Die erste Frage, die Kinder gewöhnlich in bezug auf die Sexualität stellen, ist die: «Wo kommen die kleinen Kinder her?» Da niemand so recht eine Antwort geben kann, fühlen sich die meisten Eltern veranlaßt, ihren Kindern etwas über den Geschlechtsverkehr zu erzählen. Die einen drücken sich dabei und bitten einen freundlichen Nachbarn, die Sache an den Bienen zu erklären. Die anderen packen den Stier mutig bei den Hörnern und sagen: «Der Mann steckt sein Dings in das Dings der Frau, gibt dort seinen Samen ab usw. usw. Und so entsteht ein Kind.» Bei diesen Worten sieht der Vater entweder leutselig aus oder wie jemand, der etwas Unangenehmes durchzustehen hat. Das liegt nicht zuletzt daran, daß er sehr wohl weiß, wie wenig zutreffend seine Antwort ist. Aber niemand kommt und hilft ihm in seiner Bedrängnis. Das Kind hört seinem Vater dabei gar nicht zu, sondern stellt sich statt dessen die einzig wichtige Frage: «Warum nur macht Vater so ein Gesicht?»

Die Kinder auf der Straße behandeln dieses Thema viel natürlicher und erklären die Sache wirklich. Auch wenn sie sie falsch erklären, auch wenn einige der Neulinge behaupten, ihre Eltern würden so etwas niemals tun – alle haben das Gefühl, etwas Neues gelernt zu haben, das zudem unheimlich spannend ist. Die Kinder sind bei diesen Gesprächen ernsthaft, nachdenklich oder auch streitsüchtig, auf keinen Fall aber leutselig oder verbissen.

So viel über die Sexualerziehung für Kinder von drei bis elf. Die Sexualerziehung für die folgenden Jahre, von zwölf bis zwanzig, ist auch nicht besser.

Sexualerziehung für Jugendliche

Bei Jugendlichen erfolgt die Sexualerziehung häufig mit Hilfe von Büchern und Vorträgen.

Ich glaube, daß man jeden Menschen unter drei verschiedenen Gesichtspunkten sehen kann. Einmal ist er ‹Vater› oder ‹Mutter› – somit kritisch, gefühlvoll, besorgt um seine Familie. Zweitens ist er ‹Erwachsener› – vernünftig und sachlich. Drittens ist er ‹Kind› – dabei entweder fügsam oder rebellisch oder impulsiv.[1] Die Bücher über Sexualität lassen sich danach unterteilen, ob sie von dem Elternteil in uns (dabei spielt es auch noch eine Rolle, von welchem Elternteil), von dem Erwachsenen oder dem Kind in uns stammen. Jedes Buch, jeder Vortrag über Sexualität offenbart eine grundlegende Einstellung zum Thema. Diese Einstellung läßt sich in den allermeisten Fällen einer der folgenden fünf Kategorien zuordnen.

1. Sex ist ein Riesenkrake. Sein Platz ist im elterlichen Schlafzimmer, wo er unter dem Bett angekettet liegt. Solange er dort ist, ist alles in bester Ordnung. Doch wenn man ihm sonstwo über den Weg läuft, dann heißt es auf der Hut sein, sonst ist man verloren. Man muß sich vorsehen vor den Vertretern des anderen Geschlechts, denen man auch nicht den kleinen Finger reichen darf, weil sie sonst gleich die ganze Hand nehmen. Diese Gefahren werden sehr anschaulich in dem Limerick vom Fräulein Dietlind geschildert, und wer dieses Limerick kennt, weiß alles über das Ungeheuer Sex.

War einst ein Mädchen namens Dietlind.

Das hielt sich rein wie Engel sind.

Dachte an Jesus Christ,

Wie schlimm ein Tripper ist

Und gar ein unerwünschtes Kind!

Es ist der ‹Vater›, der die Sexualität als riesiges und gefährliches Ungeheuer ansieht, doch der ‹Mutter› ist diese Betrachtungsweise auch nicht unbekannt.

2. Die Sexualität ist ein Geschenk des Himmels. Sie ist etwas Wunderbares und Ehrwürdiges. Man darf sie nicht entweihen, indem man sie als etwas Irdisches ansieht. Wollüstige Gedanken würden sie in den Dreck ziehen. Die ‹Mutter› vertritt diese Auffassung, dem ‹Vater› ist sie nicht fremd, doch wahrt er ihr gegenüber eine gewisse Skepsis.[2]

3. Sexualität ist eine automatische Maschine in höchster Vollendung. Sie arbeitet wie ein Fließband. An einem Ende steckt man ein natürliches Produkt hinein, am anderen Ende kommen kleine Kinder heraus. Dieser Vorgang läßt sich auch in kleinerem Maßstab beschreiben, etwa: «Bringen Sie den Hebel A in die Stellung 1. Lösen Sie die Zahnradsperre B und drücken Sie den Knopf C. Und sieh da! Nach neun Monaten wird das fertige Baby geboren.» Eine derart nüchterne Betrachtungsweise gibt wohl einige Tatsachen richtig wieder, wirkt aber nicht sonderlich anregend. Sie bringt uns ganz sicher nicht die Art der Wahrheit, die unser Leben lebenswerter macht.[3]

4. Sexualität ist unanständig. Wenn ein Mensch eine solche Einstellung vertritt, dann hat das Kind, und zwar das rebellische Kind, in ihm die Oberhand gewonnen. Dies kann immer geschehen, meist aber kommt es im Jugendalter oder nach dem vierzigsten Lebensjahr vor. Es heißt dann: «Für mich gelten ja diese Regeln und Verbote überhaupt nicht. Ich spreche so, wie mir der Schnabel gewachsen ist, und zwar auf gut deutsch. Das beweist doch eindeutig meine Freiheit.» An dieser Behauptung sind mindestens drei Dinge faul. Erstens beweist dies keineswegs seine Freiheit. Zweitens ist es kein gutes Deutsch, und drittens klappt das Ganze nicht. Ich will sagen, daß diese Leute – auch wenn sie ihr System zehn Jahre lang durchgehalten haben – nicht glücklicher sind als andere. Der Marquis de Sade ist ein schlagender Beweis dafür.[4]

5. Sex ist ein Vergnügen. Die Menschen, für die Sex ein Vergnügen ist, sprechen gewöhnlich nicht viel darüber. Nun, darüber gibt es auch nicht viel zu reden, vielleicht: «Das war ein Spaß!» oder «Prima!» Dies ist wie die vorhergehende die Betrachtungsweise des Kindes in uns, aber in diesem Fall die Betrachtungsweise eines liebenswerteren und impulsiveren Kindes.

Sexualerziehung für Fortgeschrittene

Sexualerziehung für Fortgeschrittene ist vornehmlich auf den Geschmack von humorlosen Akademikern, von Mädchenhändlern, indischen Maharadschas und arabischen Sklavenhaltern zugeschnitten. Dennoch können auch viele gewöhnliche Leute davon profitieren. Das hängt ganz davon ab, ob man seine Bilder lieber nach eigenem Geschmack malt oder lieber nach einer Vorlage.

Das bekannteste Buch zur Sexualerziehung für Fortgeschrittene ist das ‹Kamasutra› des Vatsyayana[1], dem Begründer der hinduistischen ‹Schule der Sexualität›. Es entstand entweder um 677 v. Chr. oder um 350 n. Chr. Das Gegenstück dazu ist das ‹Ananga Ranga› des Kalyanamalla. Es entstand um 1500. In beiden Büchern finden sich eingehende Anweisungen über das Küssen, das Streicheln, über gefühlvollen Geschlechtsverkehr und darüber, wo Bißwunden und Nägelmale zu sehen sein sollen. Sie enthalten weiterhin Ratschläge, wie man die Frau seines Nachbarn erobert und wie man ein schlechtes Gewissen beschwichtigt. Diese Bücher sind ohne Frage sehr lehrreich, können aber auch Schaden anrichten. Denn sie verdrängen Leidenschaft und Erfindungsreichtum und ersetzen sie durch technische Perfektion und manchmal auch durch Verderbtheit. Mein Freund Dr. Horseley hat darüber folgende Meinung: «Es ist natürlich von besonderem Reiz, die letzten Feinheiten des Liebeskusses kennenzulernen. Aber ich halte es für viel reizvoller, so etwas selbst auszuknobeln als es einem Buch zu entnehmen. Es ist so, wie wenn man sich eine Frau sucht. Natürlich kann ich einen Computer die ideale Frau für mich suchen lassen, aber es ist doch viel aufregender, sie selbst ausfindig zu machen.» Wenn er dann fortfährt, klingt seine Stimme etwas bitter: «Wer aber etwas über die Methoden erfahren will, mit denen eine Nutte oder ein Flittchen einem Mann das Geld aus der Tasche zieht, dem kann ich nur empfehlen, eines dieser Bücher zu Rate zu ziehen. Die Methoden sind seit damals dieselben geblieben, und so sinnvoll es auf anderen Gebieten sein mag, eigene Erfahrungen zu sammeln, hier kann es einem teuer zu stehen kommen.»

Amaryllis stimmt ihm zu: «Na klar», sagt sie, «sonst geht es einem wie dem Seemann mit den falschen Zähnen. Er fand ein Mädchen, das gab ihm viel Freude, nur klaute es sein Gebiß.»

Diese Bücher haben allerdings auch ihre guten Seiten. So empfehlen sie zum Beispiel Geduld und Rücksichtnahme, vor allen Dingen bei jüngeren Frauen.

Ein Buch, das dem ‹Kamasutra› in nichts nachsteht, ist der ‹Duftende Garten› des Scheich Nefzaui[2]. Dieser Scheich war der Wortführer der arabischen Schule im 15. Jahrhundert. Der ‹Duftende Garten› ist ein Handbuch mit vielen praktischen Anweisungen. Es enthält zum Beispiel Warnungen vor der Falschheit der Frauen und ihren Tricks, Heilvorschläge für verschiedene sexuelle Leiden und Unzulänglichkeiten (etwa wie man kleine Schwänze zu prachtvoller Größe bringen kann) und in vernünftigen Grenzen Beschreibungen von Stellungen für den Liebesakt. Scheich Nefzaui vergißt nicht, einige besondere Stellungen anzuführen, die sich etwa besonders für Dicke eignen. Auch für Paare, bei denen der Mann klein und die Frau groß ist, und für Menschen mit irgendwelchen körperlichen Gebrechen weiß er einige gute Ratschläge. Der überdurchschnittlichen Sachkenntnis und den wahrlich akrobatischen Fähigkeiten der Inder zollt er gebührende Achtung. Für besonders begabt hält er die indische Frau. Sie bringt seiner Meinung nach das Kunststück fertig, den ganzen Liebesakt hindurch eine brennende Öllampe auf ihrer Fußsohle zu balancieren. Man kann sich hier des Gefühls nicht erwehren, daß dabei manches mehr Schmerz als Freude bereitet.

Das Kapitel in Nefzauis Buch, das die Päderastie behandelt, ist bislang noch nicht übersetzt worden. Leider, denn es könnte ohne Frage dazu beitragen, das Schicksal der Kinder aufzuhellen, die auch heute noch im Alter zwischen vier und zehn Jahren auf die Arabische Halbinsel gebracht und dort als Sklaven verkauft werden.[3] (Ich selbst habe in der spanischen Sahara einen zweijährigen Jungen gesehen, der in einigen Kunstfertigkeiten geübt wurde, wie sie von Sklaven beherrscht werden sollen.)

Ein weiteres Buch verdient hier Erwähnung. Es ist dies ‹Das Goldene Buch der Liebe›