Spielerischer Kampf - Silvia Linder - E-Book

Spielerischer Kampf E-Book

Silvia Linder

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Beschreibung

Die wunderschöne Athina wurde nicht Polizistin, weil sie sich so gerne mit Verbrechern rumschlägt, sondern weil sie die Welt nach den Gaunereien ihres Vaters wieder gerechter machen wollte. Doch ihr letzter Einsatz zeigt ihr auf, dass sie am Ende des Tages wohl doch nicht das Gemüt einer knallharten Ermittlerin hat. So macht sie sich auf die Reise. Weg von der Schweiz und weg von irgendwelchen durchgeknallten Mördern, die sich an ihr rächen wollen! Und es könnte so schön sein, wo sie landet. In einem der schönsten Luxushotels Spaniens. Doch was will dieser gut aussehende Lyam Alexander von ihr? Und was ist mit den ganzen Leichen, die in ihrer Umgebung auftauchen? Kann sie denn nicht einfach mal ihre Ruhe haben?

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Seitenzahl: 463

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2023Vindobona Verlag

ISBN Printausgabe: 978-3-949263-84-2

ISBN e-book: 978-3-949263-85-9

Lektorat: Laura Oberdorfer

Umschlagfoto: Stelya | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: Vindobona Verlag

www.vindobonaverlag.com

1

„Bist du so weit?“

„Alles klar, es kann losgehen!“ Athina berührte mit ihrem Zeigefinger den Knopf in ihrem Ohr, durch den sie mit ihren Kollegen in Verbindung stand.

„Die Verbindung steht, wir verstehen dich klar und deutlich“, versicherte ihr Mattheo, „Hals- und Beinbruch!“

Das war vor zwanzig Minuten gewesen, bevor Athina den prächtigen Ballsaal des Grandhotels Baur au Lac in Zürich betrat. Nun kämpfte sie mit Problemen, seit längerer Zeit herrschte zur Zentrale Funkstille.

„Hallo? Mat? Hallohoo!“

Athina ärgerte sich über die miserable Verbindung, die nicht zu funktionieren schien.Unauffällig griff sie sich an ihr Ohr, wartetegenervt eine Antwort ab. DieSchar von Gästen um sie herumbemerkte nicht, was auf der piekfeinenParty los war, die standen mit Champagnergläsern schwatzend in Grüppchen zusammen, beachteten sie kaum.Das aufgesetzte Lachenwar bei manchen so scheinheilig wie ihreigenes. Um den Anschein eines entspannten Gastes zu geben, spielte Athina gelassen mit dem Zeigefinger an ihrer geerbten goldenen Halskette herum. Dass sie diese einmal gebrauchen konnte? Schließlich war hier das erste Mal, dermaßen protzig war das alte gute Stück! Nochmals versuchte sie den Funkkontakt durch ihr Ohr aufzunehmen.

„Hallo! Seid ihr taub? Was ist denn los? Hat gerade Miss Playboy des Jahres den Raum betreten?“

Leicht tippelte sie mit ihrem Zeigefingeran den Knopf in ihrem Ohr, derfür niemanden sichtbar war. Nichts. Es herrschte Funkstille. Um nicht unangemessen aufzufallen, schlenderte sie entspannt umher, gaukelte einen hochvergnügten Gast vor und lächelte locker, als sie aneiner Gruppe gut gelaunter Gäste vorbeikam, die über den aktuellen politischen Stand derWelt diskutierten. Männer in schwarzen Smokings und unanständig teuren Uhren an den Handgelenken sorgten sich um die aktuelle Weltlage oder eher um ihre eigenen Bankkonten. Die Börseverlautete nichts Gutes. All das bekam Athina mit, während sie im Ballsaal herumspazierte und jeden männlichenGast in mittlerem Alter in Augenschein nahm. Bisher aber leider ergebnislos, sie versuchte ihr Bestes, umRado zu entdecken und nun war auch noch der Funkkontakt zurZentrale unterbrochen. Sie ging weiter. Ihre Lippenglänzten perfekt in einem warmen Bronze-Ton, ebenso ihre langen, wundervollen, schokoladenbraunen Haare. Beim Stylen hatte sie alles gegeben,eine Kollegin half ihr liebend gerne beim Aufbrezeln, nur bei den falschen Wimpern hatte sie sich durchgesetzt und quer gestellt, die erschienen ihr zu künstlich. Die Musik des hervorragendenOrchesters war mit erstklassigen Musikern besetzt, es herrschte angenehmeStimmung, man unterhieltsich leise und jeder legte seine besten Manieren an den Tag bzw. Abend. Diskret musterte sie die männlichen Gäste, das war ihre Aufgabe, sie musste herausfinden, wo Rado steckte. Nicht einfach bei dieser Horde an Menschenden Überblick zu kriegen. Zu ihrer Linken unterhielt sich eineDame mit Lippen wie Gummibooten mit einer Gruppe russischer Oligarchen. Es ging um Jachten und wie man am einfachsten eine Anlegestelle in Monaco ergatterte.Mit viel zu hoher Stimme, die beinahe in den Ohren schmerzte, erklärte die Dame den Jungs, dass sie Monate brauchte, um ihre Siebzig-Meter-Jacht im heiß begehrten Jachthafen unterzubringen. Zu ihrer Rechten bekam Athina die Unterhaltung eines Schweizers mit einem Asiaten mit, die sich über den ausgetrockneten Schweizer Immobilienmarkt unterhielten, danach folgte Hongkong, die Pleite des chinesischen Immobilienkonzerns Evergrande die von der Presse lang wie breit ausgeschlachtet wurde, spendete genügend Gesprächsstoff. Am Ende meinte der Asiatemit Kahlkopf und schwarzer Brille liefe ohne Bestechung sowieso nichts. Athina schenkte solchen Insiderinfos keine Beachtung, sonst wäre sie den ganzen Abend über damit beschäftigt, Verhaftungen durchzuführen, überzeugt davon bei diversen Befragungen das eine oder andere aufzudecken. Vermutlich gäbe es eine Never-Ending-Story und so einiges würde ans Tageslicht kommen. Sie traute dem Haufen nicht über den Weg! Während Gesprächsfetzen von da und dort an ihr Ohr drangen, stellte sie sich taub. Ebenso drückte sie ein Auge zu, wenn sie mitbekam, wie kleine weiße Plastiksäckchen die Runde machten. Nur ihr fiel es auf, als Profi dafür geschult. Aber sie war nicht da, um es mit der ganzen Meute aufzunehmen, sie war schon froh, wennsie es schaffen würde, Rado aufzuspüren.Lächelnd spazierte Athinaweiter, rollte ihre schwereHalskette um ihre blassrosa lackierten Finger, um Gelassenheitzu demonstrieren. Hoffentlich würde sie halten, bei dem antiken Glanzstück konnteman nicht zu viel erwarten! An ihrer rechten Hand strotzte ein Stein, der herrlicher nicht schimmern könnte. Bei zwei Franken fünfzig ein halbesWunder, den hatte sie im Internet gefunden. Mit ihrem falschen Protz zwang sie sich ohne Neid durch Ladys, die bestimmt nicht online bestellten, bis sie von einem hübschen Mann angesprochen wurde. Er kam direkt auf sie zu gesteuert und hielt ihrcharmant ein langstieligesGlas mit einem wundervoll prickelnden Partygetränk entgegen. Sein Charme schien echt, ebensoseine Rolex.

Seine Visage lächelte freundlich, als er sie ansprach: „Darf ich Sie zu Champagner verführen?“ Dabei schenkte er ihr einen tiefenBlick.

Sie lächelte höflichzurück. „Vielen Dank. Das ist sehrnett von Ihnen“, antwortetesie dem geschniegelten Gentleman.

Sie gab den Schein, als ob sie davontrinken würde, in Wahrheit benetzte sie nur ihre vollen Lippen daran. Aufmerksam lächeltesie den jungen Verehrer an.

Der neigteseinen Kopf zu ihr runterund meinte mit sympathischerStimme: „Was glauben Sie,wie viele Millionen hier versammeltsind. Ach, was sag ich, Milliarden!“

„Ich würde sagen einige. Die gesamte Hütte ist voll mit reichen –“

„Knackern?“

„Geschäftsleuten.“ Sie schenkteihm einen netten Blick undmeinte zu ihrem Bedauern: „Entschuldigen Sie mich bitte.“

Leider war sie bei der Arbeit, sonst hätte sie sich über seine Bekanntschaft gefreut. Sie lächelte kurz und ging einfach weiter. Überraschend meldetesich endlich Mattheo durch ihrenKnopf im Ohr.

„Hallöchen im Öhrchen.“

Sie griffsich ans Ohr und hielt sich ihr Glas zur Tarnung vor den Mund, als sie den Kontakt aufnahm.

„Sorry, aber du warst noch nie witzig!“

„Und du bist nicht hier zum Flirten! Darf ich dich daran erinnern, dass du im Dienst bist.“

„Darfst du. Endlich hältst du es für nötig, dich zu melden!“, sagte sie leise und mit zuckersüßer Stimme. Erheblich barscher war ihr Ton, alssie weiterfragte, „Was treibt ihr denn bloß? Ihr lasst mich einfach hängen?“

Mattheos Stimmein Athinas Ohr war klarund deutlich zu hören.

„Sorry, wir bekamen soeben News rein, deswegenhab ich kurz unseren Funkkontakt unterbrochen. Tu nicht so, als ob du dich langweilst, der Typ eben sah ganz nett aus. Du denkst wohl wir pennen!“

„Durchdeine Anspielung weiß ich wenigstens, dass meine Brille funktioniert.“

„Positiv. Wir sehen alles glasklar.“

Athina richtete sich ihre schicke, halbverdunkelte Brillemit der montierten Kamera daran. Sie achtete darauf,dass sie den Männern in der Dienststelle, so gut es ging, alle Gäste übermitteln konnte. Sie sah in jede Richtung. Für die herumstehenden Gäste machte sie den Eindruck eines neugierigen Gastes, in Wahrheit konnte sie damit ihren Kollegen einen Überblick vom Saal verschaffen. „Alles klar“, hörte sie Mattheoaufs Neue. „Geh weiter. Die Zielperson muss irgendwo in demreichen Haufen sein.“

Athinaging weiter. Noch mehr elegante Damen und gepflegte Männer standen zum Plaudern herum. Erneut nippte sie an ihrem Glas, sie drängte sichweiter unauffällig durch die internationale hochkarätige Gesellschaft. Unternehmer, Konzernchefs, alle waren sie hier an diesem Abend versammelt. Sie hörtevor allem Russisch und Englisch, Schweizerdeutsch nur selten. In Anbetracht dessen,dass sie sich im wundervollenBallsaal des Fünfsternehotels Baur au Lacan der Zürcher Bahnhofstraße befand, nicht weiter verwunderlich. Athina lächelte unschuldig in die Runde. Es war nicht ihr erster Einsatz dieser Art. Wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, dass es ihr gefiel, in einem bodenlangen, schwarzen Armani-Kleid durch die Gegend zu scharwenzeln, aberals Polizistin war esein gewohnter Einsatz, ebennur alles etwas pompöser. Ihrletzter Fall spielte sich ander Langstraße ab! Wasfür ein Kontrast! Hier gefiel es ihr eindeutig besser. Leider war es nur selten der Fall, dass sie auf solchen Partys die reiche Lady geben durfte. Meist sah es anders aus, deshalb war dies vermutlich ihr letzter Einsatz, aber definitiv waren die Würfel noch nicht gefallen. Hier und jetzt war auch nicht der richtige Ort, um darüber nachzudenken. Ob und wann sie aussteigen wollte, war ein Geheimnis, das sie still und heimlich mit sich herumtrug. Sieverdrängte ihre privaten Gedanken, die gehörten nicht hierher und konzentrierte sich auf ihre Arbeit. Während sie sich so umsah, fragte sie sich, wie viele Prostituierte sich hier rumtrieben. Das war in den Designerlumpen nicht einfach auszumachen! Aber auch daraus wollte sie sich raushalten, nicht ihr Problem. Der Ballsaal war traumhaft, kostbare Leuchter hingen von den Stuckdecken, Bilderschmückten die hohen Saalwände, Kerzenleuchter zierten die Tische. Irgendwann kam sie bei einem mit Gold gerahmten Spiegelvorbei, davon gab es zahlreiche in diesem exquisiten Ambiente. Sie musterte ihr Spiegelbild und gab den Anschein, als ob sie ihre Haarerichten würde.

Mattheo konntesich seine Bemerkung nicht verkneifen. „Du siehst mega aus. Ich habe dich selten so aufgetakelterlebt! Finde, es steht dir ausgezeichnet, nehmedir jeden theatralischen Augenaufschlag ab! Tia, entwederman hat es oder man hat es nicht!“

Sie schmiss ihre wundervollen Haare über die Schultern zurück und meinteleise: „Dann kann ich mich ja alsModel versuchen!“

„Natürlich. Obwohl, bei der Polizeireicht es immerhin zu einer eigenen Bude! Entschuldige, aber in einer Model WGmit sechs anderen Mädelssehe ich dich wirklich nicht!“, warsein sarkastischer Kommentar dazu.

Die Männer in der Zentralelachten amüsiert. Eine Handvoll erfahrener Beamten gab ihr Bestes, um Athina Sander bei diesem Sondereinsatz zu unterstützen. Es war kein Zufall, dass sie diejenige war, die an der Front eingesetzt wurde, ihre Erfolgsquote war hervorragend, alle wussten, dass sie es drauf hatte, deshalb gaben sie alles, um sie zu unterstützen.Sie war eindeutig die Beste beim Jagen von Kriminellen. An ihren Hightech-Apparaten scannten sie an Gesichter heran, vergrößerten die Bilder so gut es ging. Noch herrschte lockere Stimmung im Team, billige Witze lockerten die angespannte Atmosphäre, durch ihre aufgesetzten Kopfhörer waren sie alle miteinander verbunden, verfolgten Athinas Schritte aufs Genauste. Für die Elite war es ein routinierter Einsatz. Mattheo,der die ganze Verantwortung für die Operation trug, stand hinter seinem besten Mann und stützte sich mit beiden Händen auf dessen Stuhllehne. Es war unnötig, irgendwelche Anweisungen zu geben, also gab er sich entspannt. Noch! Es konnte jederzeit losgehen. Die Zürcher Polizei konnte durchaus mitden europäischen Kollegen mithalten, die eindrucksvolle Statistik sprach für sich. Mit hochgekrempelten Hemdärmeln verfolgte Mattheo das Videomaterial bis aufs kleinste Detail, das sie durch Athinas Brille rein bekamen.

Mit aufgesetztenKopfhörern sprach er zu ihr. „Du machst das gut. Geh weiter.“

Mehrere Bildschirme standen herum, jede Einstellung zeigte das Gleichean. Sie sahen nur das, was durch Athinas Brille gesendet wurde. Aufallen Monitoren sahen sie exakteins zu eins, was sie sah und tat.Der Verdächtige, den sie suchten,hielt sich hundertproin diesem Luxuskasten auf, das war jedenfalls sicher.Alle waren genauestens über denEinsatz aufgeklärt.

„Geh weiter“, hörte sie seine Stimme.

Das tatsie. Die Damen trugen überdimensionale Schmuckstücke, Diamanten hingen an ihnen, als ob diesgottgegeben wäre. Die reiche Gesellschaftlebte in ihrer eigenen Blase, war ja nichts Neues. Das Musikorchester setzte zu einem nächsten wundervollen Stück an, himmlische Klänge, Violinen noch und nöcher. Athina genoss das elegante Brimborium, bei den Violinen hob siebeinahe ab, so sehr verzückten sie die Streichinstrumente. Gegen Wagner oder Brahms hatte sie nichts einzuwenden, nur gegen Mord. Dieser Gedanke holte sie auf den Boden der Tatsachen zurück, deswegen waren sie hier. Sie waren einem skrupellosen Mörder aufder Spur. Sie stellte ihrnoch volles Glas einem vorüberkommenden Kellner aufs Tablett und spazierte durch die Menge weiter. Esgalt einen klaren Kopfzu behalten und ohne Champagnerwürde ihr dies besser gelingen. Mit leichtem Hüftschwungauf hohen Absätzen betrat sie den nächsten Saal, trat unter der gebogenen Stuckdecke hindurch und befand sich wie auf Knopfdruck inmitten wirklicher Partystimmung! Die Ladys tanzten aufder Tanzfläche oder schmiegten sich an ihre viel älterenEhemänner. Hier gab Technoden Ton an.

„Ab heute bin ich schwerhörig!“, klagte sie.

Athina sprach leise in ihr Mikrofon, sodass es niemandemauffiel. Das Durchschnittsalter sank hier um Jahre. Töchter und Söhne schwerreicher Milliardäre vergnügten sich hemmungslos. In weißen Philipp PleinSneakers lümmelten sie in gemütlichen Sitznischen herum, den Armüber die Schulter eines willigen Mädchens gelegt. Die lachten viel zu laut und viel zu übertrieben. Manch eine vollführte eine sexy Soloeinlage zu immens lautem Sound, direkt vor den gierigen Blicken der Jungs. Die hatten gewiss nichts gegen die gewagten Tanzeinlagen der hübschenMädels einzuwenden, im Gegenteil, mit motivierenden Zurufen heizten sie den Mädels noch mehr ein. Die hatten es drauf! Athina ignorierte die Jugend undmischte sich unter dieMehrheit der Gäste, die einfachnur herumstand und sich leicht zur Musik bewegte.Ein Ellbogen traf sie in ihrem Kreuz.

„Verzeihung, daswar keine Absicht.“ Der süße Typ wollte seine Chance nutzen und blieb an ihr dran.

„Ganz allein schöne Frau?“

Sie lächelte. „Mein Mann holt mir gerade Champagner.“

Der Schönlingzwinkerte ihr keck zu und zog weiter, weil er den Winkverstand.

Mattheo grinste. „Du kommst ja richtig gut an. Ich an deinerStelle würde die Gelegenheit nutzen, das ist deine Chance, einen stinkreichenKerl abzukriegen,“. zog er sie auf.

„Seit wann suche ich danach?“

„Seitdu dieses umwerfende Hotelbetreten hast und dich fragst, weswegen deine Probleme nicht darin bestehen, wannder angesagteste Schönheitschirurg endlich ausseinem Karibikurlaub zurückkehrt!“

Sie unterdrückte ihr Lachen. „Du hast mich erwischt. Auf eine Schönheits-OP zu warten, macht definitiv mehr Spaß, als aufdie Mahnung der ausstehenden Steuerrechnung!“

EineWeile stellten sie ihre Unterhaltung ein. Wie aufNadeln drängte Athina sich durch die Menschenscharund stellte sich an einen Hochtisch. Ihre rechte Fußspitze wippte nicht des Rhythmus wegen zur Musik, sondern wegen ihrer Anspannung. Mit Partymiene schaute sie sich um. Die Ladys auf der Tanzfläche ließen es so richtig, richtig krachen. In ihren Designerkleidern, die sehr knapp ausfielen, sahen sie ziemlich heiß aus. Athina konnte durchaus mithalten, ihr Dekolleté war nicht von schlechten Eltern, der hohe Beinschlitz war auch nicht ohne. Inihren High Heels fühlte sie sich okay, es waren nicht ihre Lieblingsschuhe, aber mit ihrereher kleineren Größe schadeten sie ihr nicht, damit kriegte sie besseren Überblick. An der Bar gab sich so manch einer die Kante, die dort Ansässigen sahen zum Teil nicht mehr sehr nüchtern drein, wie sie von ihrer Position aus gut beobachten konnte.

Ein Kellner räumte die schmutzigen Gläser weg. „Vielleicht einen Tequila, um inSchwung zu kommen?“ Der Mann nickte zur Tanzfläche rüber. „Ich wette, Sie würden allen die Show stehlen.“ Er nickte ihr überzeugtdavon zu.

„Vielleicht“, lächelte sie,„Wer weiß? Ich bleibe aber lieber bei Champagner, sonst kommt es eher zu einem Fiasko“,entgegnete sie und kehrte sich wieder der tanzenden Mengezu.

Der Angestellte lud alles auf sein Tablett und wandtesich grinsend seinem nächsten Gast zu. Sie setzte sich auf einen der hohen Hockerund legte ihr Pochette aus tiefschwarzem Samt,dass ein Vermögen kostete, weil darauf glanzvoll die Buchstaben YSL standen auf die schwarze Marmortheke. Mit überkreuztenBeinen saß sie da und sah sich um, nickte Männernzu, wenn sie sie interessiert anstarrten. Zum Rumschäkern hatte sie aber keine Zeit,irgendwo musste Rado stecken.Aus sicherer Quelle wusstensie, dass er heute Abend auf derParty auftauchen würde. Gegen die lauten Technotakte hatte sie nichts, sie hätte tatsächlich gernemitgetanzt, der Rhythmusjuckte durch ihre Knochen.Sie hielt sich ihre Hand vor denMund und gab vor, sich an der Nase zu kratzen.

„Was gibt es denn für News?“, wollte sie von Mattheo wissen.

SeineStimme war klar und deutlich in ihrem Ohr zu hören. „Rado nächstes Reiseziel. Es scheint, dass er noch heute Abend nach Italien weiter will. Wir müssen ihn unbedingt kriegen. Wer weiß, wann wir das nächste Mal so nahe an ihn ran kommen. Stell dir vor, wenn wir diesen Hanswurst zu fassen bekämen!Ha! Das wäre ein Coup!“

Athina stützte ihren Kieferauf eine Hand, damit siesprechen konnte, mit ihren Fingern deckte sie ihren Mund ab.

„Übrigens,hat nicht deine Frau gemeint, dass duder Einzige wärst, der dazu fähig wäre? Du bist einGlückspilz. Eine Frau zu haben, die nach jahrelanger Ehe noch an dich glaubt! Damit gehörst du zu den Ausnahmen!“

„Was willst dumir erzählen? Du warstdoch diejenige, die mich zur Hochzeit drängte. Schon vergessen?“, konterte er.

„Nachdem du mich ihretwegen fallen gelassen hast! Ich denke, du hast diese Kleinigkeit vergessen! ImÜbrigen sei froh, deine Frau kocht besser als ich.“

„Du kochst überhaupt nicht!“

„Siehst du, ich hab dir einen Gefallen getan!“

„Könntenwir vielleicht unsere Vergangenheit durchkauen, wenn nichtalle zuhören?“

In der Zentrale waren alle Köpfe aufdie Bildschirme gerichtetund so mancher schmunzelte über ihre private Unterhaltung.Geduld war gefragt, gespannt verfolgte man Athinas nächsten Schritt. Keiner wagte eine Bemerkungzum Beziehungsstatus der beiden zu machen, dieser war einoffenes Geheimnis.

Mattheo massiertesich am Nacken. Verdammt, wo steckt derIdiot bloß?, fragte er sich.Seit Wochen waren sie an Rado dran, der sich als seriöser Businessman verkaufte. Ha! Business! Der regelte seine Bankangelegenheiten bei der Credit Suisse und haute danach wieder ins Ausland ab. Daswar alles. Er als Schweizerbünzli raffte nicht, was in den Köpfen der Rados dieser Welt vorging. Ein spannendes Fußballspiel nach dem Feierabend konnte genauso befriedigend sein wie ein volles Bankkonto. Aber eben nicht jeder war so einfach gestrickt wie er, es wurde gelogen, beschissen und gemordet, was das Zeug hielt! Und er hatte die Ehre, diesen Schwachköpfen hinterherzujagen. Leider fühlte er sich dabei nicht selten selbst gejagt, aber das verbuchte er unter Berufsrisiko. Er griff zu seinem Kaffeebecher und schüttete die inzwischen kalte Brühe runter, rückte seine Krawatte zurecht und übte sich in Geduld, das Koffein half ihm dabei.

Athina rutschte unruhig auf ihrem Hocker umher, reckte ihrenHals, um Rado aufzuspüren.Leider ohne Erfolg, sie konnte ihn nirgends entdecken.Wo hält sich diese Flaschebloß auf?, fragte sie sich und sah sich weiter um. Bislangkannte sie ihn nur durch Fotos. Eine Witzfigur! Es schauderte sie jetzt noch, als sie sich daran erinnerte, wiesie ihn das erste Mal sah. Irgendwie verständlich, dass man bei diesem lächerlichen Äußeren den starken Mann markierte! So ihr erster Eindruck, doch deswegen gleich zum Massenmörder werden? Konnte er seine Komplexe nicht durch Intelligenz kompensieren? Doch ihre Meinungwar nicht gefragt. Sie sah nach rechts, von wo lautesGelächter an ihr Ohr drang. Die zwei Mädchen neben ihr setzten einem Jungen die Bacardi-Flaschean. Der lechzte danach wie ein Verdurstender in der Wüste, weil er das Bild vor sich hatte, wie der Abend für ihn bestenfalls enden konnte, den seiner Meinung nach war die eine Frau nicht das dritte Rad am Wagen, im Gegenteil, zu dritt würde es erst recht Spaß machen, so sein insgeheimer Plan.

„Ich bin zu alt für diesen Schwachsinn!“, murmelte Athina vor sich hin und rutschte vomBarstuhl runter, um nicht unter die Alkoholdusche zugeraten.

Mattheo grinste ihrins Ohr. „Komm schon.Locker dich ein wenig, so alt bist du schließlich auch noch nicht. Nur …“

„Nur überdreißig. In unseren Zeiten also einGreis! Übrigens, als Chef müsstest du meine Seriosität eigentlich hochpreisen, anstatt sie mir unter die Nase reiben!“

„Können wir die Schmeicheleinheiten vielleicht auf später verschieben? Nicht gerade der günstigste Zeitpunkt dafür, wenn du mich fragst!“

Ihre negative Einstellung verriet ihr, dass es Zeit für einen Tapetenwechsel war. Morgen. Schonwieder verdrängte sie ihreEmotionen, aber morgen würde sie ernsthaft darüber nachdenken, ob sie so weitermachen wollte. Sie mischte sich erneut unter die Gästeschar. Die Kleider von Versaceund Co fand sie jedenfalls mega. DieMenschen um sie herum feierten, wasdas Zeug hielt. Nur wenigegaben sich als Partymuffel, überwiegend ältereFrauen, also die gelifteten! Sie hörte gerade eine Frau schwärmen, dass ihrLiebling die Musik liebe,sie gehe regelrecht darin auf!Damit meinte sie die Eule an ihrer Leine. Die Leine selbst war mit Strass-Steinen übersäht und kostete vermutlich mehr, als ein Durchschnittsbürger im Monat verdiente. Schleichend bewegte Athina sich weiter durch den Saal, blickte sich vorsichtig um, damit die Männer alle Gesichter checken konnten. Die Zentrale scannte mit hochtechnischen Apparaten die Gesichter und zoomten nahe an sie heran, doch keiner warals Rado zu identifizieren.Eigentlich erledigten sie die Arbeit der italienischenPolizei. Von dieser wurden sie informiert, dass Marvin Rado, wie er mit vollem Namen hieß, bei einerFestnahme entkommen konnte. Es wurde intensiv nach demDeutschamerikaner gefahndet. Die Schweizer Polizei tat natürlich, was sie konnte, um ihr Nachbarlandzu unterstützen. Man hattegenügend Beweismaterial zusammen, um ihn bis an sein Lebensendehinter Gitter zu bringen. Etliche Strafanzeigen warennoch pendent, nur eben Rado selbst war ihnen entkommen, so der Bericht der Italiener. Mattheo blickte zu seinen Kollegenrüber, die ihm mit Kopfschütteln signalisierten, dass der Verdächtige nirgendszu sehen war. Athina hörte seine Stimme und beantwortete seine letzte Frage, obsie Rado sehen könne.

„Negativ.“

Entschlossen ging sie weiter,sie ließ sich nicht entmutigen, früher oder später würde sie ihn aufstöbern. Langsam kam sieauf den Ausgang zu.

„Was jetzt? Was soll ich tun?Irgendwo muss er doch sein?“

„Geduld. Weiter“, lautete die Anweisung, also ging sie weiter.

Vielleicht hält sich die Zielperson in der Galerie auf, dachtesie sich und hielt auf die geschwungene Treppe zu, die hinauf führte. Einen Versuch war es Wert. Der Gang durch die Lobby verzauberte sie aufs Neue, die Glaskuppel über ihr war beeindruckend,in diesem unglaublichen Hotel stimmte einfach alles, befand sie begeistert. Ihr Gesicht reckte sich zur Decke hoch. Lassdir nur nicht den Kopf verdrehen, dachte sie sich im Stillen. Als sie bei der zweiten Stufe mit ihren Schuhen haderte, wurde ihr elegant eine Hand gereicht.

„Darf ich?“

„Sehr nett von Ihnen. Vielen Dank, meine Schuhe sind mörderisch.“

Der höfliche Mann der Security begleitete sie elegant die steilen Stufen hoch. Mit einem höflichen Nicken ließ sie seine Hand los und stellte sich an die Balustrade, das hätte sie gleich tun sollen, von da oben bot sich die ideale Übersicht. Hier dominierte gedämpftes Licht, der monotone Technobeat rückte in den Hintergrund. Hinter ihr saßen vereinzelte Hotelgäste auf wundervoll ausgesuchten Sofas und Stühlen herum. Scheinbar gelangweilt sah sie sich um, vermutlich kriegte man nur als VIP eine der heiß begehrten Sitzecken. Friedlich wurde geschmaust und getrunken. Klirrende Gläser waren zu hören, nochmehr gepflegte Menschen, die beisammen hockten. Nichts schien ihr außergewöhnlich, die Kellner füllten die auf Hochglanz polierten Weingläser, kleine Häppchen wurden dazu serviert.

„Möchte wissen, wie viel man hier füreine Flasche Rothschild hinblättern muss!“

Mattheo wusste genau, worauf sie anspielte. „Zu viel. Komm bloß nicht aufdumme Ideen.“

Eine nette Lady, die neben ihr stand, sprach sie spontan an.

„Die Musik ist nichts für meinen Jahrgang, mit meinem Hörgerät sowieso nicht. Das Gepolter ist kaum zu ertragen. Die meisten da unten halten Beethoven vermutlich für ein Gebäck! Was denken Sie, kennt unsere Gesellschaft keinen Stil mehr oder bin ich zu alt für diese Welt?“

Athina lächelte die Dame an und meinte freundlich, dass sie bestimmt nicht zu alt wäre. Weiter im Text wollte sie den Jungs gutes Material liefern und schweifte mir ihrer genialen Brille einmal über den vollen Saal.

„Treffer, da ist ja unser Liebling!“, meldete sich prompt einer der Männer. „Hinterer Teil zwischen Tanzfläche und Bar!“

„Scheiße ja!Wir sehen ihn! Es kann losgehen.“ Mattheo gab den Kollegen mitDaumen nach oben, das Zeichen, dass es Ernst wurde.

Es konnte beginnen, die eigentliche Arbeit startete genau jetzt! Das Adrenalin stieg an und ihr Puls beschleunigte sich um ein Vielfaches.Mattheo wollte ihr Mut machen.Er hielt sie für eine tolle Frau, die erfolgreichste in seinem Team, zuverlässig, intelligent, aber vor allem vif.Das war es, worauf esschlussendlich bei der Polizei ankam. Schnelles Handeln war unabdingbar, der Instinkt musste angeboren sein, wasbei ihr hundertprozentigzutraf. Die Männer in der Zentrale verhielten sich still, es wurde nicht mehrgesprochen. Jeder einzelne konzentrierte sich auf das Bild, das sich ihnen bot. Die Zentrale war stockdunkel, nur kleine Lämpchen dertechnischen Apparateleuchteten neon-rot, gelb undgrün auf. Mattheo stützte seine Hände auf den Schreibtisch undstarrte auf den Monitor,er blieb still, um Athinanicht abzulenken. In seinem Kopf rotierte es gewaltig. Komm schon Mädchen, lass diesen Scheißkerl verdammt noch mal nicht entkommen!

„Er erhält einen Anruf, wie es scheint“, sprach Athina, ohne Rado aus den Augen zu lassen. „Wäre nett mitzuhören.“

„Bleib auf deiner Position, die gibt uns direkte Sicht.“

„Was tut er jetzt? Es scheint, dass er den Saal verlassen will, er verstaut sein Handy in der Smoking-Innentasche und dreht ab, drängt sich durch den Rummel, wie es aussieht, direkt auf den Ausgang zu. Der verlässt den Saal! Der haut ab!“

Mattheo feuerte sie mit angespannter Stimme an. „Du darfst ihn nicht verlieren. Hol ihn dir! Los! Go, go, go!“

In angebrachtem Tempo, um nicht negativ aufzufallen, setzte sie sich in Bewegung. „Entschuldigung, lassen Sie mich bitte durch.“ Leider gab es ein Gedränge vor ihr.

„Verdammt, beeil dich! Sonst ist er weg!“, setzte er sie unter Druck. Bei dem Personalmangel, der leider herrschte, musste sie sich auf sich selbst verlassen. Wie so oft war das Team unterbesetzt.

„Bitte lassen Sie mich durch.“ Zum schlechtmöglichsten Zeitpunkt stieg eine Gruppe hochvergnügt die Treppe hoch, verstellten ihr den Weg. Sie schienen es nicht eilig zu haben, laberten herum und versperrten den anderen Gästen den Zugang zur Treppe. „Ich fasse es nicht, ausgerechnet!“

„Beeil dich, beeil dich.“

„Herrgott, die schlagen Wurzeln, ich dreh gleich durch, dem Mental Training sei Dank.“ Sie quetschte sich an der Wand die Stufen runter, als sie in die Empfangshalle taumelte, weil sie die letzte Stufe beinahe übersah, verschwand Rado gerade im Aufzug.

„Er fährt nach oben.“

Entschlossen hing sie sich an Rados Fersen. Ab nun galt ihre Aufmerksamkeit nur noch dem Schwerverbrecher, ihre Selbstzweifel, die sie ab und an überkamen,schob sie bei Seite. Sie hob ihren Saum an und bewegte sichschneller. Wenn sie ihn nicht verlieren wollte, musste sie sich beeilen, gleichzeitig wollte sie kein Aufsehenerregen. Sie nahm die Treppe nach oben.

„Keine Ahnung, wo er aussteigt!“

Die mächtigeTreppe mit dunkelrotem Teppich schluckten ihreTritte, als sie die Stufen hinaufstieg. Ihre Bewegungen waren bedacht und elegant, niemand hätte vermutet, was loswar. Glück gehörte auch dazu, gerade als sie oben ankam, schlossen sich die Aufzugtüren und sie sah auf den Rücken von Rado, der hinter einer Ecke verschwand.

„Seht ihr ihn?“ Sie schob ihre Hightech-Brille zurecht.

„Positiv. Bleib dran, wir können alles mitverfolgen.“

Sie richtete ihrKleid und öffnete ihre Pochette, um die schmale Goldkette herausfallen zu lassen. Vorsichtshalber zog sie sich die feminine Abendhandtasche quer über, damit sie ihre Händefreibekam. Vorsichtig trat sie um dieEcke, hinter der Rado verschwunden war. Hier bot sich ihr ein lang gezogener Flur, alles wirkte sehr edel. Weißer, blitzblanker Marmorboden dominierte hierdas Ambiente, antike Sideboards mit wundervollen Blumenarrangements standen anden hohen Wänden.

„Hier würde ich am liebsten einchecken.“

Mattheo meinte trocken: „Wenn du diese Kröte fasst, werde ich es arrangieren.“

„Oh, na dann!“

Leise schlich sie den Flur entlang. Ein älteres Ehepaarkam ihr entgegen, sonst warhier oben keine Menschenseele.

„Mist! Ich hab keine Ahnung, welches Zimmer er genommen hat“, sie konnteihn nicht mehr entdecken, sahden Flur zurück und wieder nach vorne. „Das darf doch nichtwahr sein!“

„Geh einfachweiter“, hörte sie seine Anweisung.

Sie sah sich vorsichtig um, keiner folgte ihr. Etwas mulmig wurde ihr schon, furchtlos zu sein wäre reine Dummheit, eine gesunde Portion Vorsicht konnteihr das Leben retten, schließlich hatten sie es mit einem Mörder zu tun. Mit einem Massenmörder! Sie bewegte sich locker und entspannt, als sie um die nächsteEcke bog. Verdutzt sah sie inden nächsten Flur, dennam anderen Ende standen zwei Männer, die sich unterhielten. Ein Stein fiel ihrvom Herzen, als sie den einen als Rado identifizierte.

„Hab ihn.“

Ihre Blässe warihr durch das Make-up nicht anzusehen, doch sie wurde kreidebleich! Jetzt hieß es abliefern, mehr oder weniger war sie auf sich selbst gestellt. Sie atmete einmal tief durch und setzte sich in Gang, gab vor, denFlur entlang zu spazieren, ihre Absätze klacktendabei laut. Die Stimme in ihremOhr machte ihr Mut.

„Gut so. Geh weiter, ganz langsam.“

Mattheo und das gesamte Teamverfolgten ihr Vorgehen aufs Genaueste, sie hielten genauso denAtem an wie Athina. Sie machte, was ihr gesagt wurde. Mit der Hand strich siesich unbekümmert durchs Haar, während sie den Flur entlang stöckelte. Die Männerin der Ferne kommuniziertenendlos, deswegen musste sie Zeit schinden. Sie kam immer näher an Rado heran, der sie nichtbemerkte. Auf halber Höhe stoppte sie deswegen und holte ihr Handy aus ihrer Tasche, gaukelte ein Telefonat vor, tippte darauf rum, als hätte sie Wichtiges zu erledigen. Mit einemAuge behielt sie Rado im Blick, der gab dem anderen irgendwelche Anweisungen, so schätzte sie die Situation jedenfalls ein. Er hatte sie immer noch nicht entdeckt. Ihre langen Haare fielen ihr übers Gesicht, sodass sie sprechen konnte.

„Würde mich interessieren, um was es geht?“

„Bestimmt nicht um die Prognosen des Wetters!“

„Ganz deinerMeinung. Ich versuchenäher ranzukommen. Kannst schon mal Blumen fürmein Grab bestellen!“

„Sei vorsichtig.“

Sie ging weiter. Tat so, als ob sie ihr Hotelzimmer suchen würde, verkaufte sich als eines der Girls, die unten ihre Hüften schwangen. Als sie immer näher an die Männer herankam, hörten sie nun ihre Absätze und kehrten ihre Gesichter zu ihr. Rado blickte ihr direkt in die Augen. Ein Gänsehautmoment. Leider nicht positiver Art. Ein kalter Schauer lief ihr überden Rücken. In ihrem Gesicht warnichts davon zu erkennen, sie ließ sich nichts anmerken,während ihre Handflächenschweißnass wurden.

„Du machst dasgut, weiter.“ Mattheo, der alles haargenau mitkriegte, war angespannt wie nie.

Er liebte seinen aufregenden Job, aber Athinas Leben Gefahr auszusetzen, lag nicht in seinem Sinn, darauf hätteer gerne verzichtet, abergefährliche Einsätze gehörten eben dazu. Sie blieb kontrolliert, verlangsamte ihre Schritte und gab vor, ihre Zimmerkarte in ihrem kleinen Täschchen zu suchen, die in Wahrheit irgendeine Visitenkarte war.

Sie näherte sich den beiden Männern, die unverändert weiter miteinander diskutierten. Alssie ganz nah bei ihnen war, kehrte sie sich zu einem Hotelzimmer. Sie blieb stehen und drehtesich zur hohen Tür. Es war ein prickelndes Gefühl, dem Feind so nahe zu sein. Tatsächlich war sie so nahe an Rado dran, dass sie seine Stimmehören konnte, den genauen Wortlaut verstand sie aberleider nicht. Was sollte sie tun, fragte sie sich mit Nerven angespannt wie Drahtseile.Sie drehte Rado den Rücken zu. Der Kellner, der mit einem Wägelchen überraschend aus einem Zimmer trat, kam ihr wie gerufen, sie bat ihn darum, eine Flasche Wein auf ihr Zimmer zu bringen. Um Zeit zu gewinnen, erkundigte sie sich nach der Auswahl, nachdem der Kellner sie fragte, ob weiß oder rot. Freundlich erklärte er ihr das Angebot der Getränkekarte, zuerst ging es um die Namen, danach um die Jahrgänge, dies verschaffte ihr wertvolle Zeit. Aus ihremAugenwinkel nahm sie weiterhin den Verdächtigenwahr, die Männer sprachen leise, weswegen sie vom Inhalt nicht dasGeringste verstehen konnte. Von unten war leise Musik zu hören, ein dumpfer Technobeat. Geistig wappnete siesich, einfach würde es bestimmt nicht werden, davonwar sie überzeugt. Das wares nie. Die Männer beendetenihre Unterhaltung und trennten sich. Rado drückte eine Hoteltür auf, doch bevor er darin verschwand, blickte er nochmals zu ihr, sie konnte es spüren. Als sie es wagte, ihn anzusehen und ihren Kopf in seineRichtung drehte, war seineMimik steintrocken, verrietnichts über den Mann, der hochgefährlich war. Die Polizeifotos der Opfer, die allesamt auf seine Rechnung gingen, standen ihr vor Augen. Ihre Entschlossenheit steigerte sich, sie musstenihn einfach kriegen! Sie ließ sich nichts anmerken, brachte sogar ein natürliches Lächeln zustande. Rado sah weg und verschwand im Zimmer. Sie bedankte sich bei dem armen Kellner und meinte, dass es schon spät wäre und sie sich besser gleich schlafen legen sollte.

„Du hättest Schauspielerin werden sollen!“

Mattheo wusste, dass seineStimme ihr half, sich unterstützt zu fühlen, auch wenn diese Hilfe nicht sehr großwar. Er schwitzte genauso wie sie. Der andere Mann kam nun bei ihr vorbei, er nickte ihr sogar höflich zu und ging den langen Flur weiter. Das war einer der Handlanger, die für Rado arbeiteten, so viel war klar. Sie wartete ab, bisder Mann hinter einer Ecke abbog. Von Rado war nichtsmehr zu sehen.

„Hast du einen gutenVorschlag für mich?“, fragte sie leise, „Ich bin offen für alles.“ Ihre Hände zitterten leicht. Er überlegte den nächsten Schritt. „Du hast zwei Möglichkeiten, entweder dugehst in ein Zimmer undbestellst Kaviar!“

„Oder zweitens?“

„Oder zweitens, du gehstda rein und sagst dem Scheißkerl, was uns an ihm nicht gefällt.“

„Dann entscheideich mich für die erste Möglichkeit.“

Athinas Mund war ausgetrocknet. Sie stand noch immer vordem Hotelzimmer und überlegte,was zu tun war.

Mattheo feuerte sie an. „Du kriegst das hin. Los,du bist die Beste.“

„Ich fürchte, du kannst in einer Minute in der Vergangenheitsform von mir sprechen! Wasmeinst du, soll ich ihm gestehen, dass sein Anzug an den Schultern nicht richtig sitzt?“

„Ich an deiner Stelle würde es lassen. Versuch es doch auf die nette Tour! Niemand soll uns Eitelkeit vorwerfen.“

„Schon! Nur bei ihm fällt es mir schwer, den Mund zu halten!“

Sie hob ihr Kinn und ging zur Tür, durch die Rado verschwunden war. Sie stand nun direkt davor. Auf was sollte sie noch warten? Nun wäre einePutzfrau mit einem Generalschlüssel ihr herzlich willkommen, so war es doch immerin den Filmen! Sie legte ein Ohr an die Tür, durch die er verschwunden war. Es waren keine Stimmen zu hören. Ob er allein war? Es gab nur eine Möglichkeit, um es herauszufinden. Dereigentliche Plan war,ihn bei zwielichtigen Geschäften zu überraschen. In flagranti sozusagen. Einfach drauflos zu ballern, war der Schweizer Polizeigenauso untersagt wie der italienischen. Also drückte sie die Türklinke vorsichtig runter. Wie sie weiter vorgehen würde, davon hatte sie keinenblassen Schimmer, es würde sich zeigen, deswegen wollte sie es wagen, einfach das Zimmer zu betreten. Bestimmt würde Rado durch irgendwas abgelenkt sein und geschickt wie sie war, sie nicht hören. Mit einer illegalen Methode bekam sie die Tür leicht auf, einTrick, den sie oft anwendete, mit einem speziellen Draht, den sie bei sich in der Tasche mitführte, war es für sie ein Kinderspiel, das Schloss zu knacken. Falsch gedacht! Als sie die Tür aufschob, stand Rado direkt vor ihr! Mitten im Raum. Gott im Himmel! Sie war erledigt! Rado telefonierte am Handy, als er sie entdeckte, drückte er den anderen in der Leitung einfach weg. Mit einer Hand in der Hosentasche stand er relativ gelassen vor ihr, doch der Schein trog, seine Augen sahen sie alles andere als gelassen an, so sah sie früher ihre Mutter an, wenn sie etwas Falsches gemacht hatte.

„Entschuldigen Sie vielmals,ich hab mich anscheinend imZimmer geirrt.“ Sie lächelte und drehte sich zur Tür, kam zum Entschluss, dass es ratsam wäre, abzuhauen.

Rado ließ sich natürlich nicht für dumm verkaufen, musterte sie kritisch und ließ sie nicht gehen.

Er sagte: „Wirklich?“

Es fühlte sich eigenartig an, seine Stimme zuhören, dadurch wurde allesreal. Nun ging es nicht mehr um Theorie, handeln war angesagt. Natürlich erkannteRado sie wieder. Der Smoking steht ihm wirklich überhauptnicht, nicht einmal die elegante Kleidung kann ihn aufmotzen!, dachte sich Athina unsicher und stellte sich ihm mutig. Wasblieb ihr den anderes übrig, ihre Hände zitterten noch mehr.

„Tja, das kommt davon, wenn alle Flure gleich aussehen. Ich glaube, ich bin zu früh ausgestiegen, bin eine Etage zu tief! Ihres sieht genauso aus wie meins.“ Sie schluckte hörbar. „Zimmer, meine ich.“

„Und das soll ich Ihnen glauben!“ Es war keine laute, aggressive Antwort von ihm,was sie als noch bedrohlicher empfand, er sagte es ganz normal. Sein Blick sprach aber Bände, er kapierte ganz genau, was im Gange war. „Ich kaufe Ihnen kein Wort ab.“

Rado fixierte sie emotionslos, seine Augen formten sich zuschmalen Schlitzen. Athina war davon überzeugt, dass Gefühle für ihn eine selteneKrankheit sein mussten, jedenfalls etwas, mit dem er noch nie in Berührung gekommen war.

Mattheos Stimme beruhigte sie. „Bleib cool.“

Normalerweise stünden fünf Mann vor der Tür, aber da sie den Tipp, dass Rado sich im Hotel aufhielt, so kurzfristig rein bekamen, blieb keine Zeit, um die italienischen Kollegen um Mithilfe zu bitten. Überhaupt stand die ganze Operation auf wackeligen Beinen. Mit einem üblichen gut organisierten Sondereinsatz hatte diese Aktion nicht viel zu tun, aber Athina davon abzubringen, den Einsatz durchzuziehen, endete für Mattheo erfolglos.

Sie stellte sich Rado. Entschlossen trat sievom Eingang weg und machte sogar wenige Schritte auf ihn zu.

Mattheo unterstützesie: „Sehr gut, weiter so.“

Rado stand einfach nur da. SeinHemdkragen war geöffnet,auf eine Fliege hatteer verzichtet. Er war eherklein, zu dünn. Einfach nur widerlich, fand sie. Seine spitze Nase gefiel ihr überhaupt nicht. Sie sprach leise zu dem Mann, der keine Skrupel kannte. Mindestens vierundzwanzig Tote hatte der Gangsterauf dem Gewissen und wahrscheinlich gab es eine erhebliche Dunkelziffer, von der diePolizei gar nichts ahnte.

Athina gab Gas. „Ich muss Ihnen leider gestehen, dass ihr Anzug aus der Mode gekommen ist. Wissen Sie, diese Saison trägt man die Hosenbeine wieder etwas schmäler und Ihre Ärmellänge stimmt auch nicht, die ist mindestens einen halben Zentimeter zu lan–“Mit ihrem Gerede wollte sie Zeit schinden, um zu überlegen, wie sie weiter vorgehen sollte.

Rados Blickwar nicht nett. „Sagt wer?“

Seine Stimme war überraschend tief. Die Augen zu fein für einen Mann mit seinemHintergrund. Sein magerer Hals zu lang im Verhältnis zu seinem restlichen Körperbau. Eine Lachfigur,hätte Athina ihren Gedanken beinahe freien Lauf gelassen, siekonnte sich ihre Bemerkung in letzter Sekunde verkneifen. Mit dem war nicht zu spaßen, das war ihr klar.

„Oh. Verzeihung, wie unhöflich von mir. Ich hab mich ja gar nicht vorgestellt.“

„Nein, haben Sie nicht.“

„Ich bin die Frau, die Ihnen das Leben schwer macht!“

„Verzeihung?“

„Sind Sie schwer von Begriff?’’

„Ich muss sagen,Sie sind ganz schön frech.“

„Och, finden Sie? Ich fand imme–“

Ihr verschlug es die Sprache, als er die Beretta zückte und damit direkt auf ihre Stirn zielte. Das Klickender Sicherung gefiel ihr ebenso wenig, ein kalter Schauer der Angst durchfuhr sie von obenbis unten. Die Männer an denMonitoren fingen tatsächlich an zu beten. Inder Zentrale herrschte Totenstille, keiner wagte etwas zu sagenaußer Mattheo.

Sie hörte ihn.

„Zeig demScheißkerl, wo er sich seine Wasserpistolehinstecken kann.“

Stocksteif stand sie vor ihm und fragte sich, ob sie diesen Einsatzüberleben würde. In diesem Momententschied sie sich für Angriff. Sie beantwortete Mattheos Frage laut, damit Rado sie hören konnte.

„Ich mag zwar Wasserspiele, doch du hast recht, ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt, um zu spielen!“

Ihre Absicht war, Rado zu irritieren und eswirkte. Rado sah blöd drein,er verstand nicht, mit wem sie sprach. Die eine Sekunde, inder er sich abgelenkt gab und sieverdutzt anblickte, nutze sie zu ihrem Vorteil. IhrBein flog wie der Blitzin die Höhe und mit dem Fuß versetzte sie ihm einen kräftigen Tritt auf seineBrust. Rado fiel die Waffe aus der Hand und er taumelte zurück. Um ein Haar wäreer zu Boden gegangen. Nun hatte sie ihn wütend gemacht, in seinem Gesicht funkelte purer Zorn. Nun konnte man ihm ansehen, zu was er fähig war. Seine Maske fiel. Athina war überzeugt davon, dass jedes Gerücht über ihn der Wahrheitentsprach, das konnte sie ihm an der Nase ablesen. Umihre Angst zu überspielen,wollte sie weiter auf Angriff gehen.

„EntschuldigenSie vielmals, aber ich mag es nicht, wenn mit einer Waffe auf mich gezielt wird. Ichbin da etwas eigen“, sprach sie selbstbewusster, als sie sich tatsächlich fühlte.

Sie konnte froh sein, wenn er sie nicht mit einem Messer aufschlitzte. Nun war sie schweißnass. Rado kriegte sich wieder in den Griff,fixierte sie mit kaltenAugen von oben bis unten, seine Augen töteten sie gerade. Zugegeben, er machte keine gute Figur, sie ließ ihn wieeinen Trottel aussehen. Mutig holte sie zu einem neuen Schlag aus. Denlangen Schlitz in ihremAbendkleid und die schmal gekreuzten Träger im Rücken hatte sie mit kluger Voraussicht gewählt, ihr Kleid sollte nicht nur atemberaubend aussehen, sondern musste auch praktisch sein. Nochmals schwang sie ihr Bein. Diesmal traf sie auf seinen Bauch. Unglücklich fiel er über einen Tisch. Die Deko darauf flog in hohem Bogen zu Boden, die Glas Vase verschepperte laut in tausend Scherben. Der Abstand zwischen ihnen gab ihr die Möglichkeit, an ihre Waffe zu kommen, sie zog sich ihr Täschchen heran um ihre Dienstwaffe daraus herauszuholen. Rado entpuppte sich aber leider als sehr flink, überraschte sie aus dem nichts. Als ob nichts gewesen wäre, hievte er sich auf die Beine, kam auf sie zu und seine Faust traf exakt ihr Kinn, ihre Tasche flog irgendwo hin, sie selbst kippte über ein Sofa und landete flach auf dem Boden. Sie sah Sternchen. Er stand da und fixierte sie durch schmale Schlitzaugen, fragte sich, ob sie weiter machen würde. Natürlich tat sie das. Sie brachte sich auf die Füße und blieb hinter dem Sofa in Deckung. Nun ging er wie ein Raubtier um das Sofa, sie bewegten sich wie zwei angriffslustige Katzen, als ob sie mit einem Satz auf den anderen losgehen wollten. Sie fixierten einander und drehten sich langsam im Kreis. Sein nächster Angriff misslang, sein Schlag ging daneben, blitzschnell traf sie ihn mit ihrem Fuß an seinem Brustkorb, er taumelte. Inzwischen begriff er, dass er es mit einem Profi zu tun hatte. Hochkonzentriert musterte sie ihn. Er überlegte, was er tun konnte, sie nutzte ihre Chance, das Messer auf einem Sideboard kam ihr gerade recht. Das lag bei der Fruchtschale, die als Präsent des Hotels schön angerichtet da stand. Er kam entschlossen auf sie zu, nun kam er mit Judo, bevor sie checkte, was Sache war, schlug er ihr mit seinem Fuß das Messer aus der Hand. Innert Sekunden schaffte er es, den Spieß umzudrehen, mit dem Messer in der Hand stand er vor ihr.

„Haben Sie genug?“

„Träum weiter!“

Mit langsamen Schritten ging sie rückwärts, bis sie an eine Wand stieß. Er holte aus und warf! Das Messer landete nur in der Wand, weil sie flink auswich und ihren Kopf wegdrehte. Sie griff an, wollte sich auf ihn stürzen. Eins, zwei und sie saß rittlings auf seinem Hals. Leider nur kurz. Seine Beine schwangen sich um ihren Körper und zogen sie rückwärts zu Boden. Ihr Puls raste. Seiner aber auch. Erschöpft atmete er durch und warf ihr einen eisigen Blick zu. Sie hielt ihm stand, zeigte keine Schwäche, ihre Wimpern zuckten keine Sekunde. Mit einem Satz war er wie aus dem nichts auf den Füßen und packte sie, bevor sie begriff, was los war. Erst als sie über einen Esstisch flog, wurde ihr klar, dass es nicht gut für sie aussah! Kerzenständer flogen durch die Luft. Einen kriegte sie gerade noch zu fassen und warf ihn ihm an den Kopf, bevor sie hart auf dem Marmorboden landete. Sie traf ihn genau an der Schläfe. Mit einem Finger tupfte er an das Blut, das ihm über das Gesicht lief, während sie ihre pochende Lippe untersuchte. Nun war er auf hundertachtzig! Sein weißes Smoking-Hemdwarf hässliche Falten,es hing ihm aus dem Hosenbund.Weil er so mager war, brauchte es nicht viel, um ihn angeschlagen aussehen zu lassen. Nun folgte seine nächste Attacke, sein Schlag passte. Sie flog regelrecht durch den Raum, bis sie grob gegen ein Tischbein knallte. Sie kriegte fast keine Luft. Mit großen Schmerzen lag sie flach auf dem Boden. Gott! Warum hatte sie nicht gekündigt? Schwerfällig kehrte sie sich unter Schmerzen auf den Bauch,um sich auf die Beine zu stellen. Mattheo glaubte an sie, er wusste, dass sie nicht aufgeben würde. Ihr Puls pochte durchihren gesamten Körper. Sie taumelte leicht. Bei einem Stuhlbein bekam sie Halt, um sich hochzuziehen. Natürlich gab sie nicht auf. Ihr Kinn schmerzte, sie konnte froh sein, dass sie nicht schwarz sah. Sie war eben auch gut in Schuss! Wenn sie sich nicht beeilen würde, würde ergleich nochmals angreifen. Rado stand kampfbereit vor ihr. Seine Fäuste zogen sich angriffslustig zusammen. Sie hätte nicht gedacht, dass ernoch hässlicher aussehen könnte, doch als er zu ihr runter glotzte, kam es ihr genauso vor. Sie atmetekräftig durch und riss sich zusammen.

„Sie haben mirmein Kleid ruiniert und das nehme ich sehr persönlich, dafür werden sie bezahlen. Bitte in Cash!“, sagte sie, als sie auf allen vieren noch auf dem Boden herum taumelte.Immerhin schaffte sie esschon auf die Knie.

„Na klardoch! Wie viel Euro dürfen es denn sein?“, spielte er mit und kam näher.

„Hier gibt es Schweizer Franken!Sie Idiot! Sie sehen nicht nur dämlich aus, Sie sind es anscheinend auch!“

Nun war erstinkwütend. Sie konntenicht schnell genug reagieren. Er riss sie am Oberarm auf dieFüße. Ihren Ekel davor, von diesem Schwachkopf berührt zu werden, musste sie herunterschlucken. Seinen Geruch wollte sie so gut es gingignorieren, gar nicht so einfach, sein Aftershave traf nicht ihren Geschmack. Alssie auf den Beinen war, verlor sie keine Zeit. Er fixierteihr Gesicht, wollteetwas sagen, doch der Schlag ihrer rechten Faust mittenauf seinen Bauch verschlug ihm die Sprache. Er krümmte sich kaum, aber ließ sie vor Schmerz los. Flink setzte sie erneut an undwollte zu einem neuen Schlag ausholen. Er war schneller, packte ihr Handgelenk so fest,dass sie ein großer Schmerz durchfuhr. Gleichzeitig reagierte sie blitzschnell, kehrte sichum seinen Arm und kroch darunter durch, brachte sich hinter einer Glasvitrine mit Porzellan Figuren darin in Deckung. Außer sich vor Wut packte er das Glasmöbel und stieß es zu Boden. Die Scherben klirrten laut, als die Glasplatten zu Boden scherbelten. Seine Händefingen an zu bluten, vermutlich steckten etliche Glasscherben in seiner Haut. Die schöne Statue einer Ballerina war leider hinüberund der Teppich darunter auch. DieserUmstand tat Athina mehr weh!

„Aufmachen, hier ist die Hoteldirektion. Was ist hier los?“ Ein lautes Poltern an der Tür hielt Rado von einem neuen Angriff ab. „Öffnen Sie sofort die Tür“, hörten sie erneut die verärgerte Stimme.

Etliche Beschwerden wegen des Krachs waren eingegangen. Rado überlegte, was er tun sollte, siesah es ihm deutlich an. Der Lärm war vermutlich durch das gesamte Hotelzu hören, überhaupt mussteder wilde Kampf die gesamteEtage aus dem Schlaf gerissen haben. Zeit,um an seine Waffe zu kommen,blieb ihm nicht, die Pistole war unter ein Sofa gerutscht. Er musste abhauen. Arrogant zog er sich die Smokingjacke zurecht, als ob er dadurch besser aussehen würde. Sein Blick sagte alles.

„Das wird ein Nachspiel geben“, sprach er ruhig undgelassen. Anscheinend war soein Kampf nichts Ungewöhnliches fürihn. Wen wunderte es! Ertrat zur Tür und legte seine Hand auf den Türknauf, standkurz still und drehtesich zu ihr. Sein Atem ging vor Anstrengung genauso stark wie ihrer. Mit derHand schob er sich einefadendünne Haarsträhneaus der Stirn. „Wir sehen uns wieder.“

Es klang wie ein Versprechen. Dann zog er die Türauf und haute ab, den Hoteldirektor ignorierte er, der sah mit offenem Mund Rado hinterher, als er den Flurentlang davonrannte. Athina standkampfbereit und zog ihre kleine Pistole aus ihrerTasche, diese entdeckte sie unter einem umgekippten Stuhl.

„Polizei, stehen bleiben!“, schrie sie endlich laut.

Über diesen dämlichen Satz ärgerte sie sich, aberVorschrift war Vorschrift. Als ob sich jemand daraufhin ergeben würdeVielleicht ein Kleinkrimineller, der eine Brieftasche klaute,aber ganz bestimmt kein Rado, dessen Kaliber ließ sich durch nichts aufhalten, deswegen zögerte sie bisher damit. Die Tasche mit der Waffe lag sowieso unter dem Sofa und somit außerhalb ihrer Reichweite. Rado lief einfach davon. Athina hängte sich dran! Ohne zu zögern,verfolgte sie ihn, rannte an dem verblüfften Direktor vorbeiund drückte ab. Dieser Arschwar schnell und schon um die Ecke verschwunden, wiesie feststellen musste. Die Kugel landete in der Wand. In ihremAbendkleid rannte sie hinterher.

„Er haut ab!“, sprach sie zuMattheo.

Der hielt sich absichtlichzurück, um sie nicht zu stören. Alle Männer in der Zentrale hielten den Atem an, sehr vielkonnten sie nicht tun. Es waren Kollegen, die längst aus dem aktiven Berufsleben ausgestiegen waren und nur noch in der Zentrale eingesetzt wurden.

„Bleib dran,wir können alles sehen. Unser Mann wird ihn amAusgang herzlich mitBlumen empfangen!“ Immerhinstand ein Kollege am Eingang unten. Leider war dieser noch zu unerfahren, um ihn an Athinas Seite zu stellen, der junge Mann sammelte seine ersten Erfahrungen.

Athina hetzteden langen Flur entlang, mit ihren hohen Absätzen war siezwar nicht ganz so schnellwie Rado, aber gar nicht mal so schlecht. Die Knöchelriemenrieben über ihre Haut, egal, da musste sie durch. Flink flog sie um dieEcke, wollte die Treppe nehmen, sehenkonnte sie ihn nicht mehr. Daänderte sie ihren Plan.Halt! Nein! Sie blockte ab.Sie blieb auf den mittleren Stufen stehen und schaute zurück nach oben. Ihr Atem raste. Sie überlegte, wie sie weiter vorgehen sollte. Der wird nicht den offiziellen Ausgang nehmen! Ganz sicher nicht!, überlegte sie sachlich. DieHotelgäste, die durch denlauten Knall aufgeschreckt waren, starrten entsetzt von der Lobby zu ihr rauf. Menschen standen verwirrt herum und plapperten wild durcheinander. Darunter auch die Lady mit dem Hörgerät. Kurzentschlossen schoss Athina unbeirrt die Treppe hoch. Vorsichtig schlich sie sichvoran. Rado musste nochirgendwo hier oben sein, davon war sie überzeugt. Diesmal bog sie am Treppenabsatz nachlinks und schlich vorsichtig den Flur entlang. Mit beiden Händen umklammerte sie ihre Waffe, stets schussbereit. Ihre Schläfen pochten. Ein Schweißtropfen rollte ihr runter.

„Habt ihr ihn?“, forderte sie die Information ein. Leider musste Mattheo sie enttäuschen. „Negativ.“

Dies verriet ihr, dass sie auf der richtigen Spur war. Ihre Schritte waren auf dem dicken, weichen Läufer lautlos, ideal, um unauffällig zu bleiben. Wo bist du? Um sich selbst zu beruhigen, vollzog sie Selbstgespräche. Mattheo kannte sie, deswegen unterließ er es,sie abzulenken. Er wusste, wozu sie fähig war, wenn sie erstmal in Fahrt kam. Um ihre Rückendeckung zu sichern, sah sich Athina immer wieder um, machte einen Schritt vor den andern und kam langsam voran. Die Technomusik war hier lauter zu hören,die Party unten war voll im Gange. Nun war lautes Klagen zu hören. Eine Schar Gäste kam ihr entgegen, eine Fraubeklagte sich über einen ungehobelten Kerl, der sie fast umgerannt hatte. Sie zog sich peinlich berührt ihr Bustier hoch, das bei ihrem Ausweichen unvorteilhaft verrutscht war. Bei Athina schrillten die Alarmglocken.Rado! Sie ging in die Richtung, aus der die Gruppe herankam. Die Menschen bemerkten ihre Waffe nicht, weil sie leise wie eine Katze herumschlich, und gingen einfach an ihr vorbei.

„Er muss noch auf dieser Etage sein“, sprach sie überzeugt.

Mattheos Anweisung klang bestimmt: „Ganzdeiner Meinung. Trotzdem, wir behalten den Hotelausgang im Auge.“

Athina verfolgte unbeirrt ihren Plan, sie ließsich nicht ablenken, gingweiter vorsichtig den Flur entlang. Eine Tür, an der sie vorbeikam, schien nurangelehnt, ein Luftzug verriet ihr, dass sie leicht offenstand. Ein Hinweis, dem sie nachgehen musste. Sie stieß den Türflügelmit der Fußspitze an, gab ihr nur einen leichten Tritt, um nicht laut aufzufliegen. Das Zimmer lag leer vorihr, niemand hielt sich darin auf. Sie wagte sich hinein, natürlich jede Sekundeschussbereit. Mattheo atmetekaum, er machte sich ernsthaft Sorgen um sie. Mit ausgestreckten Armen checkteAthina die Lage, da war niemand. Sie schaute hinter jede Tür, checkte das Bad.

„Fehlalarm.“

„Wir müssen uns beeilen,sonst ist er weg“, knurrte er.Das Ganze gefiel ihmnicht.

Sie verließ das Zimmerund schlich weiter denFlur entlang. Hier oben schien es ruhig, ein Mann in Begleitung einer Dame kamihr entgegen, schwatzendzogen sie an ihr vorbei. Ihre Waffe hielt sie, um nicht unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, hinter ihrem Rücken versteckt. Mist,sie sollte sich beeilen, sonst wäre er auf und davon. Wohin ist er geflüchtet?, fragte sie sich. Bald wäre sie amEnde des Flurs ohne irgendeinen Hinweis. Hier gab es nur Hotelzimmer.

„Er muss irgendwo hier oben stecken!“

„Wir können unmöglich alle Zimmer durchsuchen!“

Am Ende des Flurs schaute sie sich ratlos um. „Mist! Was jetzt?“