Spirit Lake - Christopher Ross - E-Book

Spirit Lake E-Book

Christopher Ross

3,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Spirit Lake ist der Name des Indianerortes, in dem Allie McCormick nach einem Flugzeugabsturz strandet. Schnell merkt sie, dass es dort nicht mit rechten Dingen zugeht: Leute verschwinden, die Bewohner benehmen sich seltsam und im Internet existiert der Ort nicht.

Als Allie durch den Indianerjungen Chris von der Legende des Wendigo erfährt, wird klar, dass sie es mit einem übermächtigen Gegner zu tun haben. Denn dieses Wesen hat ein Herz aus Eis, das nichts als Feuer fürchtet ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 372

Bewertungen
3,0 (16 Bewertungen)
1
3
8
3
1
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Sammlungen



Inhalt

Über das BuchÜber den AutorTitelImpressum12345678910111213141516171819202122232425262728

Über das Buch

Nachdem ihr Vater gegen einen Mafiaboss ausgesagt hat, werden Allie und er unter Zeugenschutz gestellt. Doch in ihrer neuen Heimat, dem verlassenen Städtchen Spirit Lake, ist nichts wie Zuhause. Überhaupt scheint die Stadt von einem unsichtbaren Schleier überzogen, nicht mal im Internet kann Allie etwas darüber finden. Und die Bewohner verhalten sich mehr als seltsam. Warum sprechen sie ständig über diesen Wendigo? Was hat es mit diesem mysteriösen Wesen auf sich, vor dem sich alle so fürchten?

Als Allie den Indianderjungen Chris kennenlernt, erfährt sie mehr über die Legende des Wendigo und begreift, dass sie es mit einem übermächtigen Gegner zu tun haben …

Über den Autor

Christopher Ross wuchs in Frankfurt/Main auf und lebt heute bei München und »on the road« in den USA und Kanada. Seit seiner Jugend zieht es ihn nach Nordamerika, immer auf der Suche nach interessanten Begegnungen und neuen Abenteuern. Für seine Bücher wurde er u. a. mit dem Friedrich-Gerstäcker-Preis ausgezeichnet. Seine Bücher wurden in zwanzig Sprachen übersetzt, etliche davon sind Bestseller.

Christopher Ross

SPIRIT LAKE

Die Legende des Wendigo

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Originalausgabe

Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Silvia Bartholl

Umschlaggestaltung: Johannes Wiebel, punchdesign, München

Umschlagmotiv: © Johannes Wiebel | punchdesign, München, unter Verwendung von Motiven von shutterstock/arturasker; shutterstock/Transia Design; shutterstock/Bildagentur Zoonar GmbH

E-Book-Produktion: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-7325-2383-2

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

1

Allie lief über das Flugfeld, den Kragen ihres Anoraks gegen den kühlen Wind hochgeschlagen, und hatte schon beinahe die einmotorige Maschine erreicht, als sich eine unsichtbare Hand auf ihre Wange legte. Eisige Kälte durchströmte ihren Körper, als wäre sie von einem Toten berührt worden. Sie blieb wie angewurzelt stehen, war sekundenlang zu keiner Bewegung fähig, brachte nicht einmal einen Schrei über ihre Lippen. Doch schon im nächsten Augenblick ließ die schmerzhafte Berührung nach, und das Blut kehrte in ihre Wangen zurück.

»Was ist denn?«, rief ihr Vater. »Hast du plötzlich Angst vorm Fliegen?«

»Ich komme!« Allie folgte ihm zögernd, immer noch benommen und ein wenig atemlos, und holte tief Luft, bevor sie in die Maschine kletterte. Erschöpft ließ sie sich neben ihren Vater auf einen der hinteren Sitze fallen. Sie schüttelte sich, als könnte sie die unheimliche Berührung damit vergessen machen, und lehnte sich in dem etwas ramponierten Ledersitz zurück. »Alles okay«, erwiderte sie. Ihre Stimme zitterte. »Ich hab keine Angst, weißt du doch.«

»Bist du sicher? Du siehst blass aus.«

»Nein, nein … alles okay.« Sie legte ihrem Vater eine Hand auf die Schultern und bemühte sich um ein Lächeln. »Ich hab mich nur erschreckt.«

Allie war gerade achtzehn geworden. Sie galt als hübsch, vor allem wegen ihrer strahlenden Augen, und war eher der sportliche Typ. Sie war eine gute Läuferin und bei den Leichtathletikmeisterschaften ihrer Highschool auf einem der vorderen Plätze gelandet. Umso erstaunlicher, dass sie sich geweigert hatte, bei den Cheerleadern mitzumachen. »Ich hab keine Lust, mich jede Woche wie ein Clown zurechtzumachen!«, hatte sie erklärt. Sie ging lieber joggen oder segeln.

Allie hatte die dunkelblonden Haare zu einem lockeren Knoten gebunden. Sie trug verwaschene Jeans, ein dunkelblaues Sweatshirt, weiße Laufschuhe und einen weinroten Anorak, nicht gerade die neueste Mode, aber locker und bequem genug für die lange Reise in eine neue Zukunft.

Ihr Vater schloss den Sicherheitsgurt und blickte auf den Piloten, der sich bereits die Kopfhörer aufgesetzt hatte und seine Checkliste durchging. »Mir geht’s auch nicht besonders«, erwiderte er. Er hatte die gleichen blauen Augen wie seine Tochter und wirkte ein wenig blass nach der aufregenden Gerichtsverhandlung vor wenigen Tagen. »Ich komm mir vor wie in einem Film. Oder wie jemand, der neu geboren wird … oder aus dem Koma erwacht. Irgendwie erschreckend, der Gedanke.«

US-Marshal Alexis Blair kletterte auf den Kopiloten-Sitz. Sie war eine sportliche Lady um die dreißig mit markanten Wangenknochen und dunklen Augen. Ihre schwarzen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Indianisches Blut, vermutete Allie. Der Tarnung wegen war sie in Zivil und trug Jeans und einen dunkelblauen Anorak ohne Aufschrift und ohne Abzeichen.

Während der Pilot, ein junger Bursche namens Randy, den Anweisungen des Towers folgte und zur Startbahn rollte, dachte Allie an die Worte von Alexis Blair. »Denken Sie immer daran«, hatte sie ihnen eingeschärft. »Sie sind Alison McCormick, genannt Allie, und Robert McCormick aus Philadelphia. Benutzen Sie Ihre alten Namen nicht mehr, auch nicht, wenn Sie allein sind. Sie kommen aus Philadelphia und haben dort einen Drugstore in der Fairmount Avenue geführt. Das Haus wurde abgerissen. Sie haben das College abgebrochen, Allie, und Ihrem Vater im Laden geholfen.« Alle Unterlagen, Zeugnisse und Dokumente waren entsprechend geändert worden. Auf dem neuen Konto lagen sowohl das Startkapital für den neuen Drugstore als auch die Gebühren für das College, das sie an ihrem neuen Wohnort besuchen würde.

Alexis Blair drehte sich zu ihnen um: »Ich hoffe, Sie haben Ihre neuen Biografien genau studiert. Bitte rufen Sie keine Verwandten, Freunde und Bekannten aus Ihrem früheren Leben an, und benutzen Sie keine früheren Internetaccounts und Passwörter mehr. Jeder Versprecher oder Anruf könnte Sie verraten, und ich habe keine Lust, dann noch einmal kreuz und quer mit Ihnen durch die Vereinigten Staaten zu fliegen.« Sie rang sich ein Lächeln ab. »Ich weiß, das alles ist nicht einfach für Sie, aber Sie werden sich rasch an Ihr neues Leben gewöhnen, davon bin ich überzeugt.«

Sie blickte nach vorn und nickte dem Piloten zu, der gerade sein Okay vom Tower bekam. Er steuerte die Cessna auf die Startbahn und ließ den Motor aufheulen. Heftiges Zittern lief durch die Maschine. Allie hielt sich mit den Händen am Sitz fest, als das Flugzeug über die Startbahn rollte und nach oben stieg.

In einer steilen Kurve lenkte der Pilot die Maschine nach Norden. Er sprach in sein Funkmikrofon und sagte etwas zu Alexis Blair, die sich ebenfalls einen Kopfhörer aufgesetzt hatte und über Funk mit ihm sprechen konnte. Allie und ihr Vater blickten aus den Fenstern. Unter ihnen zogen die Vororte der Zwillingsstädte Minneapolis und St. Paul hinweg. Dort waren sie zum sage und schreibe zehnten Mal umgestiegen. Kreuz und quer durch die Vereinigten Staaten hatte Blair sie geführt. Eine Sicherheitsmaßnahme, wie sie öfter betont hatte.

Allie lehnte ihren Kopf gegen das Fenster und erschrak, als sie den kalten Kunststoff an ihrer Stirn spürte. Die ersten Wolkenfetzen flogen um die Maschine. Unter ihnen gingen die Vororte in scheinbar endlose Wälder über, die sich wie ein dunkler Teppich bis zum Horizont erstreckten, aufgelockert durch zahlreiche Flüsse und Seen. Ihr Wasser glänzte wie Silber in der blassen Sonne. Land der zehntausend Seen nannte man Minnesota auch; eine urwüchsige Wildnis, die sich an der kanadischen Grenze noch genauso wild und ungestüm wie vor mehreren hundert Jahren zeigte. Damals waren Indianer und weiße Fallensteller mit ihren Kanus durch die Flüsse und Seen gepaddelt.

Ihre Heimat in Maine war dieser Wildnis ganz ähnlich, auch dort gab es endlose Wälder und zahlreiche Seen, und doch hatte Allie Tränen in den Augen, als sie sich immer weiter von der Ostküste entfernten. Der Gedanke, dass man einen Teil ihres Lebens durch ein paar Federstriche und Computerklicks gelöscht und durch eine erfundene Biografie ersetzt hatte, machte ihr schwer zu schaffen. Dies war mehr als ein unfreiwilliger Umzug, es war ein schmerzhafter Abschied von ihrem bisherigen Leben. Man hatte ihr alles genommen und durch eine ungewisse Zukunft ersetzt, über tausend Meilen von ihrem Heimatort und ihren Freundinnen an der Camden-Rockport Highschool entfernt. Verloren für immer der vertraute Anblick des Hafens, verstummt das Donnern des Atlantiks gegen die felsige Küste. Nie mehr würde sie die freundliche Lady in der Bücherei begrüßen und den Hummerfischern beim Leeren ihrer Fallen helfen. Verkauft ihr Haus am Stadtrand, das seit dem plötzlichen Tod ihrer Mutter vor zwei Jahren so seltsam leer gewesen war. Nicht einmal ihr Grab würden sie jetzt noch besuchen können, vielleicht das größte Opfer, das Allie und ihr Vater bringen mussten.

Wie die meisten Männer in Camden hatte Robert McCormick jahrelang als Fischer gearbeitet, bevor die gesetzlichen Auflagen strenger geworden waren und sich die Fischerei immer weniger gelohnt hatte. Der Souvenirladen, den er zusammen mit seiner Frau eröffnet hatte, war wesentlich ertragreicher gewesen, doch nach ihrem Tod war der Umsatz zurückgegangen, und Allie musste nach der Highschool den Laden schmeißen. So würde sie es auch in dem Drugstore halten, den ihnen das FBI eingerichtet hatte. Zumindest in der ersten Zeit. Danach wollte Allie Betriebswirtschaft studieren. Sie konnte schon jetzt besser mit Zahlen umgehen als ihr Vater. Mit dem Grundkapital, das ihnen die Regierung überwiesen hatte, ließ sich einiges bewerkstelligen.

Ihr Vater hatte lange überlegt, ob er seiner Tochter und sich selbst diesen Neuanfang zumuten sollte. Auch für ihn war es nicht einfach, die Heimat im Stich zu lassen und von der Küste wegzuziehen. Kein Mensch hätte es ihm übel genommen, wenn er vor den Mafiabossen in die Knie gegangen wäre und die Aussage verweigert hätte. Es war reiner Zufall gewesen, dass er sie bei der Übernahme der Drogenlieferung in der Penobscot Bay überrascht hatte. Er war mit seinem Boot unterwegs gewesen, und niemand hatte ihn kommen sehen. Mit der Taschenlampe hatte er dem berüchtigten Tony Gattuzzo direkt ins Gesicht geleuchtet. Dessen Männer hatten sofort das Feuer eröffnet und das Boot ihres Vaters versenkt, aber er war rechtzeitig über Bord gesprungen und wenig später von einem Hummerfischer aus dem Wasser gezogen worden. Ein Wunder, dass er überlebt hatte. Eine »neue Identität« für ihn und seine Tochter hatte ihm das FBI versprochen, wenn er gegen den Gangsterboss aussagte, und er hatte sich auf den Deal eingelassen.

Die Cessna flog durch dichte Wolken und geriet in leichte Turbulenzen. Allie hatte keine Flugangst, sie war oft genug bei rauem Seegang auf dem Meer gewesen und nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen. Aus unerklärlichen Gründen wurde sie dennoch nervös. Von den Wolkenfetzen, die vor den Fenstern der Cessna vorbeiflogen, ging etwas Bedrohliches aus – als gehörten sie zu einem lebendigen Wesen, das in der Lage war, die kleine Maschine zu umklammern und in die Tiefe zu reißen. Einen Augenblick hatte sie das Gefühl, die unsichtbare Hand würde erneut nach ihrer Wange greifen und eisige Kälte durch ihren Körper jagen.

Unwillkürlich wich sie vor dem vermeintlichen Ungeheuer zurück und wurde nur durch den Sicherheitsgurt daran gehindert, auf den Sitz ihres Vaters zu rutschen. Was war bloß mit ihr los? Sie stellte sich doch sonst nicht so an. Ohne den Vater anzublicken, rückte sie ans Fenster zurück. Draußen türmten sich die Wolken wie schmutzige Watteberge, dunkel und bedrohlich, als wären sie kurz davor, die Maschine in einen tödlichen Strudel zu ziehen. Es sind doch nur Wolken, versuchte Allie sich zu beruhigen, selbst Regen oder Schnee machen der Cessna nichts aus! Doch die Wolken rückten immer näher heran und pressten sich wie das verzerrte Gesicht eines tobenden Ungeheuers gegen das Fenster: die blassen Augen leer und bedrohlich, der Mund weit aufgerissen.

Ihr Schrei ging in einem heftigen Rütteln unter, das die Maschine plötzlich erfasste. Der Motor heulte auf, als wehrte er sich gegen das blasse Ungeheuer, das Allie vor dem Fenster gesehen hatte. »Verdammt!«, fluchte der Pilot so laut, dass man es selbst in dem Motorenlärm verstand. Alexis Blair blickte nervös zu ihm hinüber. Viel zu mühsam kämpfte sich die Cessna durch die Wolkenberge nach oben. In einer besonders dunklen Wolke sackte sie plötzlich ab, fing sich aber wieder und stieg erneut nach oben.

Ihrem Vater schien die Rüttelei nichts auszumachen. »Nur ein Luftloch. Du bist doch sonst nicht so ängstlich, Allie. Siehst du … schon vorbei.«

»Da … da war …« Allie merkte, wie lächerlich ihre Angst vor einem Ungeheuer in seinen Ohren klingen musste, und verschluckte den Rest. Alles nur Einbildung, sagte sie sich, du siehst schon Gespenster. Kein Wunder nach den Ereignissen der letzten Wochen und der schier endlosen Odyssee durch zwölf oder dreizehn Bundesstaaten. »Schon gut, Dad. Ich bin nur nervös.«

»Das verstehe ich.« Ihr Vater griff nach der Hand seiner Tochter und drückte sie. »Mir geht die Fliegerei auch auf die Nerven.« Er beugte sich nach vorn und tippte Blair auf die Schulter. »Wie lange brauchen wir noch, Marshal?«, fragte er, nachdem sie den Kopfhörer von ihren Ohren geschoben hatte.

»Eine halbe Stunde«, erwiderte sie und beugte sich über die Rückenlehne. »Jetzt darf ich Ihnen auch sagen, wie Ihr neuer Wohnort heißt. Spirit Lake … etwas kleiner als Camden. Der schönste Fleck auf Erden, sagt einer meiner Kollegen, der mal in der Gegend seinen Urlaub verbracht hat. Liegt ungefähr zwanzig Meilen vom Indianerreservat entfernt an der kanadischen Grenze.«

»Spirit Lake?«, wunderte sich Allies Vater. »Nie gehört. Wahrscheinlich eines dieser Nester. Gibt’s eine größere Stadt in der Nähe? So wie Portland oder Boston?«

»Leider nein, aber Sie haben dort alles, was Sie brauchen. Einkaufszentrum, College, Krankenhaus … alles da. Ihr Drugstore liegt an der Hauptstraße.«

Er lehnte sich seufzend zurück. »Nun ja, Camden war auch keine Großstadt«, tröstete er sich. »Aber so schön wie dort hätten wir es sowieso nicht mehr treffen können. Nur gut, dass Claire das nicht mehr erleben muss.«

»Der Ort wird Ihnen gefallen, Robert, glauben Sie mir. Viele Leute würden Sie um Ihren neuen Wohnsitz beneiden. Wer bekommt heute schon die Chance zu einem völligen Neuanfang, und das in einer Gegend, in der andere Leute Urlaub machen?«

»Vielleicht haben Sie recht, Marshal. Es fällt mir …« Er sah Allie an. »Es fällt uns nur etwas schwer, uns daran zu gewöhnen. Eine Pflanze lässt auch erst mal den Kopf hängen, wenn man sie umtopft … hab ich mir sagen lassen.«

Ein Lächeln huschte über das Gesicht der Sicherheitsbeamtin. »Und manche blühen danach umso schöner. Sie werden sehen, in ein paar Wochen wollen Sie aus Spirit Lake gar nicht mehr weg.«

Das bezweifelte Allie. Sie fuhren nicht in die Ferien, und der Bruch mit ihrer Vergangenheit war so endgültig, als würden sie auf einen weit entfernten Planeten umziehen. Daran konnten auch die Vorteile, die ihnen das Zeugenschutzprogramm brachte, nichts ändern: die neue Identität, das Haus, das Geld auf ihrem neuen Konto, das Stipendium fürs College. Sie wäre lieber zu Hause geblieben. Warum musste ihr Vater diesem Mafiaboss begegnen? Warum gab es solche Zufälle?

Sie holperten über die Wolken hinweg, und Allie schaffte es sogar, sich für eine Weile von ihren quälenden Gedanken zu lösen und zu schlafen. Doch bald riss sie heftiges Schütteln aus dem Schlaf, und sie beobachtete entsetzt, wie dichter Schnee gegen die Scheiben klatschte. Das Ungeheuer war zurück, nur spuckte es diesmal Schnee und Eis und ließ den Wind so stark wirbeln, als wäre es fest entschlossen, sie alle in den Tod zu reißen.

Wie aus dem Nichts fegte ein Blizzard heran und tauchte den Innenraum der Cessna in tiefe Dunkelheit. Der Sturm zerrte an der Maschine und ließ sie in allen Fugen erbeben, drängte sie zur Seite, ließ sie fallen und zog sie wieder nach oben. Das alles geschah so plötzlich und in so ruckhaften Bewegungen, dass Allie keine Zeit mehr fand, sich festzuhalten. Sie wurde aus ihrem Sitz gehoben, und der Sicherheitsgurt grub sich schmerzhaft in ihren Körper. Ihrem Vater und der Gesetzesbeamtin ging es nicht anders. Der Pilot umklammerte den Steuerknüppel mit beiden Händen und versuchte vergeblich, dem Blizzard zu entkommen und die schweren Turbulenzen auszugleichen.

Für einen kurzen Augenblick fühlte Allie sich schwerelos, wie in dieser wilden Achterbahn, mit der sie in einem Vergnügungspark in Florida gefahren war. Wie in einem Jet, der von einem Flugzeugträger abhebt! hatte in der Broschüre des Parks gestanden. Aber dieser Flug hier war noch wilder und vor allem gefährlicher, und es gab keine stählernen Schienen, die ihre Maschine auf sicherem Kurs hielten. Hilflos wie ein Spielball holperte die Cessna durch die Wolken, getrieben von heftigen Winden und eingehüllt in ein tobendes Meer aus blütenweißem Schnee, der dunkler wurde, je näher er dem Flugzeug kam, und ihnen vollkommen die Orientierung nahm. Allie drehte es den Magen um. Sie bekämpfte den Brechreiz, suchte nach den Sitzlehnen, bekam sie endlich zu fassen und klammerte sich verzweifelt daran fest, als könnte sie dadurch einem drohenden Absturz entkommen. Leise wimmernd verkrampfte sie sich in ihrem Sitz, kaum noch zu einem klaren Gedanken fähig. Ihr Gesicht war blass wie ein Totenlaken.

Die Maschine sackte ab, fing sich wieder und schaukelte weiter durch die Wolken. Die Notbeleuchtung in der Kabine brannte und verbreitete unheimliches Licht, die Positionslichter an den Tragflächen waren nicht zu erkennen. Zu dicht waren die Wolkenmassen und der Schnee. Hinter den Fenstern war tiefe Nacht.

Durch das Rumpeln und Rattern drang auf einmal ein heiseres Flüstern. Wie aus weiter Ferne hörte Allie ihren Namen rufen, ein heiseres »Alison! Alison!«

Sie schüttelte den Kopf, begann zu schreien und gleichzeitig zu weinen, umklammerte die Sitzlehnen so fest, bis die Knöchel ihrer Hände weiß hervortraten, doch die unheimliche Stimme blieb und hallte wie ein höhnisches Echo in ihren Gedanken nach. Gegen ihren Willen blickte sie nach draußen. Die Tragflächen der kleinen Maschine schaukelten, als würde ein unsichtbarer Riese an ihnen zerren, wütend darüber, dass fremde Wesen in sein Reich drangen und die Kühnheit besaßen, in den endlosen Wäldern landen zu wollen.

Sie verdrängte die verrückten Gedanken und blickte nach vorn. Der Pilot rief irgendwas in sein Funkmikrofon, wiederholte es mehrmals und fluchte wütend. Er versuchte, den Steuerknüppel mit einer Hand zu halten, drehte und zog an einigen Knöpfen und klopfte gegen die Anzeigen, schaffte es jedoch nicht, die Maschine zu stabilisieren. Die beiden Monitore flackerten nervös. Ein heftiger Schlag, der alle außer dem Piloten aufschreien ließ, riss die Cessna nach links, schleuderte sie aus den schwarzen Wolken und drückte sie der Erde entgegen. Die Monitore erloschen. Der Motor verstummte ächzend, und sie trieben im Gleitflug auf den Boden zu, immer noch geschüttelt von heftigen Böen und kräftigen Fallwinden, die sich in die Maschine verkrallt hatten und sie mit aller Macht nach unten drückten.

Ohne das Brummen des Motors wirkten alle anderen Geräusche noch bedrohlicher – die dumpfen Schläge, wenn eine Böe den Rumpf oder die Fenster traf, das Rauschen und Heulen des Sturmes, der sie von allen Seiten angriff, das Rattern und Klappern im Innenraum. Die Cessna sauste steil nach unten. »Wir müssen notlanden!«, rief der Pilot. Ohne das Motorengeräusch war er deutlich zu verstehen. »Ich kann die Maschine nicht mehr halten! Wir müssen runter!«

»Dad!«, sagte Allie leise. Sie jammerte nicht. »Dad! Ich hab dich lieb!«

»Ich dich auch.« Er nannte sie bei ihrem richtigen Namen.

Allie griff nach seiner Hand und spürte plötzlich eine unerschütterliche Ruhe, als könnte ihr der Sturm nichts mehr anhaben. Für ein paar Sekunden glaubte sie sich mit ihrem Vater allein auf einer einsamen Insel, es gab nur ihn und sie und ihre Mutter, die aus dem Himmel zusah. Erst als sie wieder aus dem Fenster blickte, kehrte die Nervosität zurück. Unter ihr war nichts als Wald zu sehen, endloser Wald. Mächtige Schwarzfichten, die sich als dunkle Masse gegen den Schnee und die einsetzende Dämmerung abhoben und ihr das Gefühl gaben, sie hätten längst den Polarkreis überflogen und wären über die einsamen Regionen der Tundra zum Nordpol unterwegs. Selbst Seen und Flüsse gab es plötzlich nicht mehr, nur diesen endlosen Wald und verschneite Lichtungen, die als leuchtend weiße Flecken aus dem dunklen Wald hervortraten.

Sie stürzten mit rasender Geschwindigkeit auf den Boden zu. Je tiefer sie gingen, desto schneller wurde das Flugzeug. »Was ist bloß mit der verdammten Kiste los?«, fluchte der Pilot. Mit einem gewagten Manöver, bei dem er die Maschine beinahe auf den Kopf stellte, gelang es ihm, etwas von dem irrwitzigen Tempo rauszunehmen, er zog die Nase hoch und musste sich gleichzeitig der wütenden Böen erwehren, die auf die Cessna einwirkten. Die Papiere, die auf der Ablage über den Monitoren lagen, rutschten von links nach rechts und auf den Boden. »Die Instrumente sind ausgefallen«, schimpfte er. »Keine Ahnung, was los ist. Der Blizzard war nicht auf dem Radar. Wir sind nur ein paar Meilen südlich von Spirit Lake.«

Unter ihnen tauchte ein schmales, weißes Band auf. Eine einsame Straße mitten in der Wildnis, kein Auto weit und breit, nicht mal ein Holztruck. »Die Straße nach Spirit Lake!«, rief der Pilot erleichtert. Viel zu schnell steuerten sie darauf zu. Begleitet vom Sturm, der immer noch versuchte, die Maschine wegzudrücken und zerschellen zu lassen, rasten sie der Straße entgegen.

»Festhalten! Kopf zwischen die Knie!«, rief der Pilot.

Allie konnte nur ahnen, dass der Pilot mit letzter Kraft versuchte, die Cessna waagerecht zu halten und die Straße zu treffen, um dann viel zu linkslastig auf dem verschneiten Boden aufzusetzen. Das Fahrgestell knickte weg, die linke Tragfläche bohrte sich in den Schnee und brach, die Maschine überschlug sich und blieb im Tiefschnee neben der Straße liegen, wenige Schritte vom Waldrand entfernt.

Dann wurde es still um sie herum.

2

Allie öffnete die Augen und stellte verwundert fest, dass sie noch lebte. Als sie vorsichtig ihren Körper abtastete, fand sie keine offenen Wunden, lediglich ihre Rippen und das Becken schmerzten vom Sicherheitsgurt. Kein Bruch, soweit sie feststellen konnte, nur geprellte Rippen und einige Schrammen, sehr schmerzhaft zwar und unangenehm, aber vermutlich nicht lebensgefährlich.

Was nicht hieß, dass sie aus dem Schneider war. Das Adrenalin, das auch nach dem Crash durch ihren Körper strömte, konnte selbst starke Schmerzen unterdrücken, und es war nicht ausgeschlossen, dass sie innere Verletzungen hatte. Doch sie war am Leben und konnte klar denken, wenn sie auch einige Zeit brauchte, um sich über das wahre Ausmaß ihrer Lage im Klaren zu sein.

Sie bewegte sich stöhnend und stellte fest, dass sie kopfüber in der Maschine saß. »Dad!«, rief sie. Ihre Stimme klang belegt. »Bist du okay?« Sie drehte den Kopf und sah ihn mit blutüberströmtem Gesicht in seinem Sicherheitsgurt hängen. »Dad! Um Gottes willen! Sag doch was, Dad!«

Er öffnete die Augen und blickte sie seufzend an. »Gott sei Dank, du lebst! Ich dachte schon …« Er bewegte sich und stöhnte dabei. »Ich bin okay.« Wieder nannte er sie bei ihrem richtigen Namen. »Ich bin mit der Nase …« Er schaffte es nicht, den Satz zu vollenden. »Ich bin …« Er öffnete den Sicherheitsgurt, sackte nach unten und schrie vor Schmerz. »Mein Bein! Ich glaube, … es … es ist gebrochen!«

Allie öffnete vorsichtig ihren Gurt und kroch aus der Maschine. Die Angst um ihren Vater ließ sie kaum einen klaren Gedanken fassen. »Nicht bewegen, Dad!« Ihre Stimme überschlug sich fast. »Bleib, wie du bist!« Sie stemmte sich vom Boden hoch und kämpfte ächzend gegen die Schmerzen an, die von ihren geprellten Rippen ausgingen und sich allmählich in ihrem ganzen Körper ausbreiteten. Sie musste sich mit beiden Händen am Wrack der Cessna festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. In ihren Augen standen Tränen. Erst nachdem sie die Augen geschlossen und ein paarmal tief durchgeatmet hatte, ging es ihr besser. Ihr fiel auf, dass sich weder der Pilot noch Alexis Blair rührten.

»Halt durch, Dad! Ich bin gleich bei dir!«, rief sie ihrem Vater zu. Sie stapfte um das Wrack herum, ohne den eisigen Wind zu spüren, und beugte sich zu ihm hinunter. Zum Glück lag das Flugzeug so, dass sie die Tür öffnen konnte. Die Sicherheitsbeamtin kippte ihr entgegen.

Allie wich zurück, überwand dann ihr Entsetzen und legte zwei Finger auf Alexis Blairs Halsschlagader, wie sie es im Erste-Hilfe-Kurs gelernt hatte. Ihr Puls war nicht zu spüren. Allie öffnete den Sicherheitsgurt, zog die junge Frau an den Armen aus dem Flugzeug und schleifte sie unter die Bäume. Ob sie tot war? Allie hatte keine Zeit, lange darüber nachzudenken. Der Benzingestank trieb sie an. In den meisten Actionfilmen schafften es die Überlebenden eines Absturzes im letzten Augenblick, sich in Sicherheit zu bringen, bevor sich der Treibstoff entzündete und das Flugzeug explodierte, aber dies war die Wirklichkeit, und niemand garantierte ihr ein Happy End.

Sie stapfte zurück und zog ihren Vater aus dem Wrack. Er schrie vor Schmerz, als er mit dem linken Bein im Schnee aufkam. Es musste gebrochen sein. »Hilf mir, Dad!«, flehte sie ihn an. »Wir müssen so weit wie möglich von dem Wrack weg. Es kann jeden Moment explodieren!« Er biss auf die Zähne und stieß sich mit dem gesunden Fuß ab, sackte jedoch erschöpft zusammen, als sie die Bäume erreicht hatten.

»Der Pilot«, rief sie ihm zu, »der Pilot ist noch drin!«

Ihr Vater wollte sie zurückhalten, war aber zu schwach dazu. Mit aufgerissenen Augen beobachtete er, wie sie zu dem Wrack zurücklief, den leblosen Körper des Piloten von seinem Sitz zog und ebenfalls unter die Bäume schleifte. Sie hockte sich in den Schnee, viel zu erschöpft und von Schmerzen geplagt, um sich auf den Beinen zu halten. Beinahe teilnahmslos erlebte sie, wie sich das Wrack entzündete und wenige Sekunden später explodierte, allerdings wesentlich unspektakulärer als in den Actionfilmen. Sie starrte lange in die Flammen, fand dann endlich die Kraft, aufzustehen und zu ihrem Vater zu gehen.

Benommen von der Anstrengung sank sie neben ihm auf die Knie. Sein blutverschmiertes Gesicht wirkte im flackernden Schein der Flammen noch blasser. Sie weinte leise, rang immer wieder nach Luft und begann zu zittern. Verzweifelt krallte sie ihre Hände in den Schnee, als könnte sie den Schmerz in den gefrorenen Boden leiten. Erst allmählich beruhigte sie sich. Sie wandte sich von ihrem Vater ab, schniefte ein paarmal und blickte ihn dann lächelnd an.

Mit einem Papiertaschentuch tupfte sie das Blut von seinem Gesicht. Einige ihrer Tränen tropften auf seine Haut und vermischten sich mit seinem Blut. Eine aufgeplatzte Augenbraue und starkes Nasenbluten, aber keine ernsthaften Wunden, stellte sie erleichtert fest. Das Bein sah schlimmer aus, es lag leicht abgewinkelt im Schnee. Sie versuchte, ihren Vater aufzuheitern: »Es kommt sicher gleich Hilfe, Dad. Spirit Lake soll ganz in der Nähe liegen, da haben sie den Absturz bestimmt mitbekommen. So ein Flugzeug hat doch einen Notsender, oder? Ein Signal, das die Polizei alarmiert. Und auf dem Radar müssen sie uns auch gesehen haben. Ich hoffe doch, sie haben Radar auf diesen kleinen Flughäfen.« Sie bemerkte, wie er das Gesicht verzog, und berührte ihn liebevoll. »Hast du große Schmerzen, Dad?«

Leise stöhnend stützte er sich auf die Ellbogen und blickte an seinem gebrochenen Bein hinunter. »Wenn ich stillhalte, ist es gar nicht so schlimm.« Er versuchte ein Lächeln, das aber gründlich misslang. Die Schmerzen waren wohl stärker, als er zugeben wollte. »Wenn es … nur nicht so kalt wäre … und dieser eisige Wind …« Er blickte auf die leblosen Körper von Blair und dem Piloten. Die Flammen warfen zuckende Schatten auf sie. »Sind … die beiden tot?«

Allie nickte. »Ich glaube, ja. Sie sehen schlimm aus.« Dann stand sie auf und kramte ihr Handy aus der Anoraktasche. Mit klammen Fingern wählte sie die Notrufnummer. Kein Tuten, keine Durchsage. Sie blickte auf das Display und fluchte leise. »Kein Netz … hätte ich mir ja denken können. In den hintersten Winkel haben sie uns gebracht. Woanders wäre längst die Polizei hier.«

Sie steckte das Handy weg und blickte ihren Vater besorgt an. In sein blasses Gesicht war etwas Farbe zurückgekehrt. »Sieht ganz so aus, als müsste ich dich für eine Weile allein lassen«, sagte sie. Dann ging sie wieder in die Knie und strich ihm über die Stirn. »Keine Angst, ich komme so schnell wie möglich zurück. Spirit Lake muss da hinten liegen.« Allie deutete die schmale Straße hinauf.

»Dass … dass die auf … auf dem Flughafen nichts gesehen haben …«

»Wer weiß, wie groß der ist. Vielleicht gibt’s da nur eine Landebahn.« Allie sammelte einige Fichtenzweige und legte sie auf den Bauch und die Beine ihres Vaters. Zwischen den Bäumen war er einigermaßen gegen den eisigen Wind geschützt. »Ich hab leider keine Wolldecke, Dad, aber Fichtenzweige sind der beste Ersatz für ein Daunenbett. Hab ich aus einem Pfadfinderbuch.« Diesmal war ihr Lächeln ehrlich. »Du wirst mir doch nicht schlappmachen?«, fragte sie besorgt. »Halt durch, ja? Lange kann es nicht mehr dauern, bis der Krankenwagen hier ist. Zur Not fahre ich selbst.«

Er lächelte schwach. »Das würdest du tun, da bin ich sicher.«

Von dem Blizzard, der die Cessna zum Absturz gebracht hatte, war auf der Straße so gut wie nichts zu spüren. Nur gelegentlich peitschten heftige Böen aus dem Norden heran und wirbelten den Schnee auf. Der Wind machte eher durch seine Lieder auf sich aufmerksam: ein klagender Singsang wie beim Begräbnisritual eines geheimnisvollen Indianervolkes. Kein Fauchen und keine Stimmen mehr, und dennoch fühlte sich Allie wie von einem Heer bedrohlicher Geisterwesen umzingelt, die nur darauf warteten, sie verschlingen zu können.

Die Straße schien ins Nichts zu führen. Zu beiden Seiten von dunklem Wald begrenzt, ging sie in leichten Windungen nach Norden und verlor sich irgendwo in der Ferne im nebligen Dunst zwischen den Bäumen. Dicht an dicht ragten die Schwarzfichten aus dem Schnee, wie Soldaten einer stummen Armee, die unter dem Befehl einer höheren Macht standen und nur darauf warteten, endlich zuschlagen zu können. Seltsamerweise war die Straße gespurt, ein Schneeräumer musste kurz zuvor durchgekommen sein, obwohl es keine Reifenspuren auf der festen Schneedecke gab.

Nur vereinzelt wirbelten Flocken herab. Die Nacht hatte sich über das Land gesenkt, eine tiefe Dunkelheit, wie man sie nur in der Wildnis fern jeder menschlichen Siedlung erlebte. Mond und Sterne waren von einer dichten Wolkendecke verdeckt. Das einzige Licht kam vom hellen Schnee. Eisige Kälte kroch unter Allies Anorak und ließ ihre Wangen und Nase brennen. Ihr Atem gefror in der kalten Luft. Selbst in dem dicken Anorak und den gefütterten Stiefeln war sie nur unzureichend gegen die eisigen Temperaturen hier draußen geschützt.

Lange würde ihr Vater in dieser Kälte nicht durchhalten. Ein Verletzter, der sich nicht bewegen konnte, würde die Nacht niemals überleben. Zumindest würde er schwere Verletzungen davontragen, wenn der Krankenwagen nicht bald kam. Wo blieb er nur? Wo war der Sheriff? Irgendjemand musste doch gemerkt haben, was passiert war. Sie waren bereits im Anflug auf Spirit Lake gewesen, und sie hatte gehört, wie der Pilot mit jemandem über Funk gesprochen hatte. Auch auf kleinen Flughäfen und selbst in winzigen Siedlungen, die nur einen Landestreifen besaßen, gab es einen Verantwortlichen, der den Flugverkehr überwachte. Er musste doch die Polizei alarmiert haben.

Ein paar Meilen, hatte der Pilot gesagt, aber von Spirit Lake war weit und breit nichts zu sehen. Keine Häuser, keine Lichter, keine Streifen- oder Krankenwagen, die ihr mit heulender Sirene entgegenkamen. Als wäre sie mitten in der Wildnis gelandet, viele hundert Meilen von der Zivilisation entfernt. Die Straße konnte genauso gut eine Schneise für Holztrucks sein, die Baumstämme aus den abgelegenen Holzfällercamps zu den Sägewerken transportierten. Hatte der Pilot sich geirrt? War er den falschen Angaben eines betrunkenen Funkers auf den Leim gegangen? So was hatte es schon gegeben. Oder hatte die Elektronik aus irgendeinem Grund verrücktgespielt? War sie schon vor dem Verlöschen der Monitore ausgefallen? Der Gedanke, sie könnte einer Straße folgen, die sich irgendwann in der Wildnis verlor, und vergeblich nach Hilfe für ihren Vater suchen, machte Allie Angst.

Ein langgezogenes Heulen ließ sie innehalten. Ein unheimlicher Laut, der als vielfaches Echo zwischen den Bäumen verhallte und von allen Seiten zu kommen schien. Sie blickte sich erschrocken um, ließ ihren Blick über den dunklen Waldrand gleiten. Jeden Augenblick erwartete sie, das gelbe Augenpaar eines Wolfs zu entdecken, doch sie sah weder die Augen einer Bestie, noch hörte sie ein verdächtiges Geräusch. Zögernd ging sie weiter. Alles nur Einbildung, beruhigte sie sich, du bist die Wildnis nicht gewohnt und machst dir beim kleinsten Laut in die Hose. Doch ihre Wachsamkeit blieb, und nur die Angst um ihren Vater ließ sie weiterhin einen Fuß vor den anderen setzen.

Allie hatte das Gefühl, bereits stundenlang nach Norden gelaufen zu sein, als sie eine Hügelkuppe erreichte und die Lichter einer kleinen Stadt vor sich liegen sah. Erleichtert blickte sie ins Tal hinab. Ihre Armbanduhr verriet ihr, dass seit dem Absturz nicht viel mehr als eine Stunde vergangen war. In der Hoffnung, dass ihr Handy so nahe bei einer Siedlung funktionieren würde, wählte sie erneut die Notrufnummer 911. »Kein Netz«, teilte ihr das Display mit.

Fast hatte sie eine solche Meldung erwartet. Sie steckte das Handy weg und lief die abschüssige Straße zu den ersten Häusern hinab, zuerst schnell und voller Hoffnung, dann zögernd und enttäuscht, als sie erkannte, was für ein langweiliges Provinznest sie mit Spirit Lake erwartete.

Die Stadt war wesentlich kleiner als Camden, eine abgelegene Siedlung, einige hundert Meilen von der Küste entfernt, umgeben von dichten Wäldern und quälender Einsamkeit. Die Straße, über die sie gekommen war, ging in die Hauptstraße über und führte im Norden wieder aus der Stadt hinaus. Auf einem Hügel im Nordwesten lag ein zweistöckiger Bau, das modernste Gebäude der Stadt, wahrscheinlich ein Krankenhaus oder eine Schule. Der Rest war eine Ansammlung von schmucklosen Holzhäusern.

Vor der Reklametafel mit der Aufschrift Welcome to Spirit Lake, die einen Goldsucher mit einem schwer beladenen Maultier zeigte, blieb sie stehen. Was sie zögern ließ, so schnell wie möglich das nächste Telefon anzusteuern und die Polizei anzurufen, wusste sie selbst nicht. Etwas Unheimliches ging von der Stadt aus. Als wäre sie von einem unsichtbaren Schutzschild umgeben, so wie in Star Trek oder anderen Science-Fiction-Filmen, und würde jeden in ihren Klauen behalten, der diesen Schild durchbrach. Vielleicht lag es an dem Schnee, der selbst auf der Hauptstraße kaum Spuren aufwies, oder an der ungewohnten Stille. Bis auf die Häuser und die wenigen Lichter, die in den Häusern brannten, unterschied sich Spirit Lake kaum von der Wildnis, die es umgab. Wie eine Geisterstadt kam es ihr vor, als hätte irgendeine Katastrophe die meisten Bewohner vertrieben. Nur im Gebäude auf dem Hügel waren alle Fenster hell erleuchtet. Bei genauerem Hinsehen erkannte sie ein rotes Kreuz … also doch das Krankenhaus.

Was für ein trostloses Nest, dachte Allie, während sie ihr Unbehagen abschüttelte und weiterlief. Noch keine zwanzig Uhr, und schon lagen die meisten Bewohner in ihren Betten. Sie stapfte durch den Neuschnee auf der menschenleeren Hauptstraße und lief auf die trüben Lichter einer Tankstelle zu. Daneben war ein Motel. Das O und das E der Leuchtschrift flackerten nervös. Dort musste es ein Telefon geben, wenigstens ein Münztelefon, über das sie endlich Hilfe holen konnte. Den weiten Weg zum Krankenhaus hinaufzulaufen, würde viel zu lange dauern.

Doch als sie die Tankstelle erreichte, war niemand mehr da, und an dem benachbarten Motel hing ein Schild mit der Aufschrift Wegen Renovierung vorübergehend geschlossen. Das Motel wirkte so schäbig, als hätte man mit der Renovierung noch gar nicht begonnen. Aber Allie fand ein Münztelefon, nahm den Hörer ab und warf eine Münze ein. Sie erntete nicht mal ein Freizeichen. Wütend hängte sie den Hörer zurück.

Sie suchte nach einem weiteren Licht und entdeckte ein erleuchtetes Fenster im ersten Stock eines Wohnhauses. Oder war es nur das Flackern des Fernsehers? Ein Wunder, dass es in diesem Kaff so was wie Fernsehen gab. Ob man hier einen Internetanschluss bekam? Unsinn, sagte sie sich, der Ort kommt dir nur verlassen vor. Du hast einen Flugzeugabsturz überlebt und bist eine Stunde durch den verschneiten Wald gelaufen. Warum sollten die Leute bei diesem Wetter auf die Straße gehen? Auch in Camden waren die Straßen an manchen Wintertagen menschenleer. Und dafür, dass offenbar niemand etwas von dem Absturz gemerkt hatte, gab es sicher auch eine einleuchtende Erklärung. Sie würde die Leute bitten, die Polizei zu alarmieren, dann würde es keine zwanzig Minuten dauern, bis ein Krankenwagen bei ihrem Vater war.

Der Schnee auf einer nahen Kreuzung begann zu glitzern, und Scheinwerfer spiegelten sich in den Schaufenstern eines Ladens. Das dumpfe Blubbern eines schweren Dieselmotors durchbrach die Stille. Allie blieb überrascht stehen und sah einen weißen Ford Explorer in die Hauptstraße einbiegen. Sheriff River County stand in großen Goldbuchstaben auf den Türen. Allie winkte aufgeregt und wartete am Straßenrand auf den Wagen, der mit flackerndem Rot- und Blaulicht, aber ohne Sirene auf sie zukam.

Das Beifahrerfenster senkte sich, und ein übergewichtiger Mann in Khaki-Uniform beugte sich zu ihr herüber. Der breitkrempige Hut ließ sie nur seine Augen und einen schmalen Mund erkennen. Er trug ein silbernes Abzeichen. »Was tun Sie denn um diese Zeit auf der Straße, Miss?« Er musterte sie neugierig. »Ich hab Sie hier noch nie gesehen. Kann ich Ihnen helfen?«

»Gut, dass ich Sie treffe, Sheriff«, sagte sie und ließ ihn kaum ausreden. »Ich hab schon versucht, die 911 anzurufen, aber mein Handy funktioniert nicht, und das Telefon an der Tankstelle geht auch nicht. Ich brauche dringend Hilfe!« Sie erzählte ihm von der missglückten Notlandung und ihrem verletzten Vater. »Er liegt schon über eine Stunde da draußen. Wenn er nicht bald Hilfe bekommt …«

»Steigen Sie ein!« Entweder war er ein nüchterner Mann, den kaum etwas aus der Ruhe brachte, oder ein erfahrener Polizist, der gelernt hatte, in Krisensituationen die Nerven zu behalten. Oder beides. »Wo genau?«

»Zwei, drei Meilen die Straße runter … südlich von hier.« Sie stieg ein und setzte sich auf den Beifahrersitz. Es roch nach frischem Kaffee. Der verschlossene Becher steckte in der Halterung, daneben lag eine angebrochene Tüte mit Schokolinsen. Der Monitor des Bordcomputers zeigte ein Sheriff-Abzeichen. »Das Wrack liegt direkt an der Straße. Gibt’s hier einen Hubschrauber? Mein Vater ist schwer verletzt. Er braucht dringend Hilfe!«

Der Sheriff betätigte das Funkgerät. »Hörst du mich, Molly?«

»Laut und deutlich, Sheriff. Was gibt’s?«

Anscheinend legte man in Spirit Lake keinen Wert auf verschlüsselte Meldungen und die üblichen Kürzel beim Funkverkehr. »Das Wrack einer Cessna, zwei oder drei Meilen südlich der Stadt. Direkt an der Straße. Männlicher Verletzter …« Er wandte sich an Allie. »Wie schwer ist Ihr Vater verletzt?«

»Sein linkes Bein ist gebrochen, aber vielleicht hat er auch innere Verletzungen … ich weiß es nicht. Der Pilot und die …« Wenn nicht mal die Polizei wissen durfte, dass ihr Vater und sie im Zeugenschutzprogramm waren, durfte sie auf keinen Fall verraten, dass Alexis Blair ein US Marshal war. »Der Pilot und eine Passagierin sind tot. Wir müssen uns beeilen!«

Der Sheriff sprach wieder in sein Funkmikrofon. »Hast du gehört, Molly? Alarmiere das Krankenhaus! Der Krankenwagen soll sich ranhalten!«

»Zehn-vier, Sheriff.« Also doch Kürzel. »Roger und out.«

Nun schaltete der Sheriff die Sirene ein und fuhr nach Süden. Er hieß Ronald DeGraff, so stand es auf seinem Namensschild unter dem Abzeichen. Im schwachen Licht der Armaturenbeleuchtung erkannte Allie, dass seine Haut unnatürlich gerötet war, wahrscheinlich zu hoher Blutdruck, und Haare aus seinen Ohren und seiner Nase wuchsen. Er musste um die sechzig sein. Alle paar Minuten steckte er sich eine Schokolinse in den Mund. »Wie heißen Sie, Miss?«, fragte er. Er blickte zu ihr herüber. »Hey … Sie und Ihr Vater haben den Drugstore an der Hauptstraße gemietet, hab ich recht? Höchste Zeit, dass jemand den Laden übernimmt, der steht schon seit ein paar Wochen leer.«

»Allie McCormick«, stellte sie sich vor. »Mein Vater heißt Robert.«

»Aus Philadelphia, stimmt’s? South Philly?«

Sie fragte sich, ob er ihr misstraute.

»Zu gefährlich, da würde ich mich allein gar nicht auf die Straße trauen.«

Sie schüttelte den Kopf. »Fairmount.«

»Im Norden?«

»Innenstadt … in der Nähe vom Kunstmuseum.« Jetzt zahlte sich aus, dass Blair tagelang mit ihnen gepaukt hatte. Inzwischen kannte sie Philadelphia fast besser als ihre Heimatstadt. »Waren Sie mal in Philly?«

»Vor zehn Jahren … bei meiner Tante. Sie ist vor fünf Jahren gestorben.«

Kein Smalltalk, eher ein Verhör, dachte Allie. Ein typischer Kleinstadt-Sheriff, der alles wissen wollte, was in seiner Stadt passierte. Kein unangenehmer Typ, wenn man davon absah, dass er sie manchmal wie eine Verdächtige musterte.

»Zwei Meilen?«

»Ungefähr«, erwiderte sie. Aus dem beheizten Wagen heraus kam ihr die Straße wesentlich ungefährlicher als während ihres Marsches vor. Ein verschneiter Highway, wie es ihn tausend Mal in den USA gab, auch in Maine. Im hellen Licht der starken Scheinwerfer gab es keine Geheimnisse, sie leuchteten bis in den Wald hinein. Die Dunstschleier, die zuvor über der Straße und in den Bäumen gehangen hatten, waren verschwunden, und es schneite nicht mehr. Die Räder des Geländewagens mahlten sich durch die dichte Schneedecke und hielten sicher die Spur. Der Sheriff war ein guter Fahrer, er wirkte selbst bei diesem schnellen Tempo bedächtig.

Der Schnee kam so plötzlich wie während des Flugs. Er schlug gegen die Windschutzscheibe und hüllte das Innere des Wagens für mehrere Sekunden in tiefe Dunkelheit. Alle Lichter erloschen, auch die Armaturenbeleuchtung und der Monitor, und aus dem Funkgerät drang ein heiseres Fauchen, wie von einem aufgebrachten Wolf. Allie glaubte ihren Namen zu vernehmen, hörte das Flüstern so nahe, als säße die geheimnisvolle Gestalt, die ihn ausstieß, auf dem Rücksitz hinter ihr.

Der Sheriff trat so fest auf die Bremse, dass sich der Ford drehte, gewann aber sofort wieder die Kontrolle über den Wagen und brachte ihn zum Stehen. Der Schneesturm verschwand so schnell, wie er gekommen war. Als hätte es ihn gar nicht gegeben. Nur die Schneereste auf der Windschutzscheibe und der Kühlerhaube erinnerten noch daran. Die Armaturenbeleuchtung und der Monitor flammten auf. DeGraff schaltete den Scheibenwischer ein, wartete einen Augenblick, bis die Scheibe wieder sauber war, und fuhr weiter. Er wirkte verstört. »Sorry, so was kann hier schon mal passieren«, entschuldigte er sich.

3

Wenige Minuten später erreichten sie die Unfallstelle. DeGraff stellte den Wagen quer und ließ die Warnlichter an, damit er von niemandem gerammt würde. Hinter ihnen rauschte der Krankenwagen mit heulender Sirene heran. Wie frische Blutflecken spiegelten sich die rotierenden Rotlichter im Schnee.

Allie war als Erste draußen und rannte zu ihrem Vater. Sie kniete sich neben ihn hin und sah, dass er die Augen geöffnet hatte. »Hey, Dad! Es ging leider nicht schneller! Die wussten gar nicht, dass wir einen Crash hatten.« Sie berührte seine Stirn und strich ihm zärtlich über die Haare. »Wie geht es dir?«

Er blickte in die Richtung, in der das Wrack lag. Nur noch vereinzelte Flammen zeigten sich zwischen den Trümmern. »Das … das Feuer …« Das Warten im Schnee hatte ihm anscheinend mehr zugesetzt, als er zugeben wollte. Seine Stimme war heiser und brüchig. »Das Feuer hat mich warm gehalten.«

»Der Notarzt ist auch schon da«, sagte sie, »du wirst wieder gesund!«

Er wandte den Kopf. »Der … der Pilot und … schwarze Männer …«

»Dr. Sheila Griffin … ich bin die Notärztin«, meldete sich eine helle Stimme. Die Frau war noch jung, höchstens Mitte dreißig, trug einen orangefarbenen Anorak über den grünen Arzthosen und eine schwarze Wollmütze. Ihre Haare waren zu einem schulterlangen Zopf gebunden. »Sie sind mit dem Verletzten verwandt?«

»Allie McCormick … ich bin seine Tochter.« Sie berichtete der Ärztin, was passiert war. »Sein linkes Bein ist gebrochen.«

Die Ärztin ging in die Hocke und öffnete den Notfallkoffer. Mit wenigen Handgriffen legte sie einen Zugang und schloss Allies Vater an einen Tropf an. Das gebrochene Bein stabilisierte sie notdürftig, bevor die Sanitäter den Verletzten auf eine Trage legten und in den Krankenwagen schoben. »Sie kommen besser auch mit«, sagte sie. »Ich untersuche Sie unterwegs. Sieht so aus, als hätten Sie großes Glück gehabt und nur ein paar Prellungen abbekommen.« Die Ärztin blickte auf die ausgebrannte Maschine. »Aber bei so einem Crash weiß man nie.«

»Wo ist der Pilot?«, fragte der Sheriff. Er wandte sich an Allie, nicht ohne Dr. Griffin einen gönnerhaften Blick zuzuwerfen. »Sagten Sie nicht, dass der Pilot und eine Passagierin bei dem Crash ums Leben gekommen wären?«

»Dort drüben … unter den Bäumen.«

»Da liegt niemand.«

»Wie bitte?« Sie lief an dem Wrack vorbei zum Waldrand und blieb verwundert stehen. Die Leichen waren verschwunden. Verschmorte Gegenstände aus der Cessna, darunter die Überreste einer Wolldecke und einer Armlehne, lagen im schmutzigen Schnee – sie waren wohl während der Explosion herübergeschleudert worden.

»Aber ich hab die beiden hierhingelegt … hier in den Schnee!«

»Sind Sie sicher, Miss?«, hakte der Sheriff nach.

»Ganz sicher«, beteuerte Allie. »Ich wollte nicht, dass sie verbrennen.«

DeGraff nickte. »Sie haben recht, im Flugzeug sind sie nicht. Ich habe die ganze Absturzstelle nach ihnen abgesucht. Sie sind verschwunden.« Er blickte Allie an. »Können Sie beschwören, dass Sie zu viert in der Maschine saßen?«

»Natürlich!« Allie wurde ärgerlich. »Was soll das, Sheriff? Wollen Sie etwa behaupten, dass ich lüge? Warum sollte ich? Ich habe nichts zu verbergen. Der Pilot und …« Sie überlegte angestrengt. »… und eine Bekannte waren dabei. Sie hieß Alexandra oder Alexis. Ihren Nachnamen hab ich vergessen.«

»Ich beschuldige Sie nicht, Miss.« Der Sheriff bewahrte seine Ruhe. »Aber so ein Crash ist kein Kinderspiel. Sie könnten sich eine Gehirnerschütterung oder so was zugezogen haben und nicht mehr genau wissen, was passiert ist.«

»Ich weiß genau, was geschehen ist, Sheriff!«

DeGraff zeigte sich unbeeindruckt. Er ging zum Krankenwagen, nickte den beiden Sanitätern zu und fragte Allies Vater: »Wissen Sie, wohin die Leichen des Piloten und der Passagierin verschwunden sind, Mr. McCormick?«

Allie und die Ärztin waren neben den Sheriff getreten.

»Ich … ich weiß nicht … zwei … schwarz gekleidete Männer …«, lallte er benommen, »… dachte, nur geträumt, aber … die Leichen … verschwunden …«