Sprachbildung und sprachsensibler Fachunterricht in den Naturwissenschaften - Josef Leisen - E-Book

Sprachbildung und sprachsensibler Fachunterricht in den Naturwissenschaften E-Book

Josef Leisen

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Beschreibung

Sprachbildung bedeutet das Lernen der Bildungssprache. Diese umfasst nicht nur die Fachsprache, sondern alle nonverbalen, bildlichen, verbal-sprachlichen, symbolischen und formalen Darstellungen naturwissenschaftlicher Sachverhalte. Das Verstehen in den Naturwissenschaften ist bei vielen Lernenden durch Sprachhürden gefährdet. Sprachsensibler Unterricht stärkt die sprachlichen Kompetenzen und schafft so gute Lernbedingungen für das fachliche Verstehen. Das Buch zeigt Merkmale und Hürden der Sprache in den MINT-Fächern und den Umgang damit. Es erläutert praxisnah die Planung und Gestaltung eines sprachsensiblen Unterrichts unter Einbezug von analogen und digitalen Methoden-Werkzeugen im Sinne des Scaffoldings sowie das analoge und digitale Lesen und Schreiben von Sachtexten im naturwissenschaftlichen Unterricht.

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Lehren und Lernen

Herausgegeben von Andreas Gold, Uta Klusmann, Cornelia Rosebrock und Rose Vogel

Begründet von Andreas Gold, Cornelia Rosebrock, Renate Valtin und Rose Vogel

Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:

https://shop.kohlhammer.de/lehren+lernen

Der Autor

Prof. Josef Leisen, OStD a.D. ist ehemaliger Leiter des Studienseminars für das Lehramt an Gymnasien in Koblenz und Professor für Didaktik der Physik an der Universität Mainz. Zu seinen Arbeitsgebieten zählen u. a. Sprache und Sprachbildung im Unterricht, Lese- und Schreibdidaktik von Sachtexten, kompetenzorientierter Unterricht und Konzepte des Lehrens und Lernens. Er hält regelmäßig Vorträge und Fortbildungen sowie Online-Seminare.

Josef Leisen

Sprachbildung und sprachsensibler Fachunterricht in den Naturwissenschaften

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2022

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-040712-1

E-Book-Formate:

pdf:        ISBN 978-3-17-040713-8

epub:     ISBN 978-3-17-040714-5

 

Geleitwort

 

 

 

Die nationalen und internationalen Schulleistungsstudien haben die unterrichtsbezogene Lehr-Lern-Forschung in hohem Maße stimuliert und spürbare Innovationen im gesamten Bildungssystem bis hinein in die konkreten unterrichtlichen Praktiken mit sich gebracht. Rund um das Lehren und Lernen hat sich eine interdisziplinär verstandene Empirische Bildungsforschung etabliert, die zu einem besseren Verständnis der Lehr-Lern-Prozesse und zu einer nachhaltigen Förderung individueller Lernpotenziale beizutragen vermag. Die Erziehungswissenschaft, die Fachdidaktiken und die Pädagogische Psychologie sind daran beteiligt. Nun geht es darum, die wissenschaftlichen Erkenntnisse empirischer Forschung für die pädagogische Praxis nutzbar zu machen.

Lehren und Lernen, wissenschaftlich basiert betrieben, kann nur durch das Zusammenspiel pädagogischer, psychologischer, fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Theorien und Befunde befriedigend erklärt, gesteuert und optimiert werden. In der pädagogischen Praxis kann keine Lerntheorie ohne Bezug auf eine konkrete Inhaltsdomäne und keine Lehrmethode ohne Bezug auf ein Curriculum und jeweils individuelle Lernvoraussetzungen erfolgreich sein.

Die je eigenen Perspektiven und Erkenntnisse der Psychologie, der Pädagogik und der beiden schulisch zentralen Fachdidaktiken Mathematik und Deutsch sollen in den einzelnen Bänden dieser Reihe verständlich und kompakt zu einem kohärenten Gesamtbild zusammengeführt werden. Neben der Interdisziplinarität liegt ein besonderer Wert auf einer empirischen Fundierung: Erfahrungswissenschaftlich gewonnene Erkenntnisse zum Lehren und Lernen liegen den jeweiligen Darstellungen zugrunde. Schließlich fokussieren alle Bände der Reihe den Anwendungsbezug: Die entfalteten Themen, Diskurse und Fachgebiete sind jeweils unmittelbar bedeutend für Kindergarten, Schule und Unterricht.

Die vorliegende Reihe adressiert das Lehren und Lernen vom Vorschul- bis zum jungen Erwachsenenalter. Konzipiert ist sie für (zukünftige) Lehrende, aber auch für Pädagoginnen und Pädagogen sowie Psychologinnen und Psychologen in weiteren Anwendungsfeldern im Bildungssystem. Auch für die Fort- und Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern sind die Bände gedacht.

Nach mehr als zehn Jahren Mitherausgeberschaft ist Renate Valtin (Berlin) im Dezember 2021 ausgeschieden. Die Herausgeber bedanken sich bei ihr und begrüßen Uta Klusmann (Kiel), die ihren Platz eingenommen hat.

Andreas Gold, Uta Klusmann, Cornelia Rosebrock & Rose Vogel

 

Inhalt

 

 

 

Geleitwort

1 Sprachbildung in den Naturwissenschaften

1.1 Sprachbildung und sprachliche Bildung

1.2 Der Begriff der Bildungssprache

1.3 Register der Mündlichkeit und der Schriftlichkeit

1.4 Sprachbezogener Fachunterricht oder fachbezogener Sprachunterricht

1.5 Sprachsensibler Fachunterricht und CLILiG

1.6 Denken und Sprache

1.7 Sprachbildung und Darstellungsformen (Symbolisierungsformen, Repräsentationsformen)

1.8 Merkmale besonderer Darstellungsformen im naturwissenschaftlichen Unterricht

2 Sprache und Sprachhürden in den Naturwissenschaften

2.1 Fachsprache und Bildungssprache

2.2 Sprachhürden im naturwissenschaftlichen Unterricht

2.3 Konkrete und abstrakte Begriffe – einfache und komplexe Sachverhalte

2.4 Die Sprachhürden der DaZ-Lernenden

3 Drei Wege im Umgang mit den Sprachhürden

3.1. Ein Beispiel zum defensiven Vorgehen

3.2 Ein Beispiel zum offensiven Vorgehen

3.3 Das stärkende Vorgehen – Die Sprachschatzerweiterung

4 Bildungssprache lehren und lernen

4.1 Lernen der Fachsprache und Sprachlernen im Fach

4.2 Klassifizierung von Sprachhandlungen im Fach

4.3 Die Relevanz von Sprachhandlungen beim Lernen der Bildungssprache

4.4 Spracherwerb und Sprachlernen im Licht der Langzeitgedächtnissysteme

4.5 Sprechen im Zusammenwirken von Arbeitsgedächtnis und Langzeitgedächtnis

4.6 Sprachrichtigkeit, Sprachflüssigkeit und Sprachkomplexität

4.7 Sprachliche Fehlerkorrektur im Licht der Langzeitgedächtnissysteme

4.8 Schriftliche Fehlerkorrektur

4.9 Sprachhandlungen in der Bildungssprache automatisieren

4.10 Wie viel Grammatik braucht der sprachsensible Fachunterricht?

5 Sprachbildenden Unterricht planen und gestalten

5.1 Ein Lehr-Lern-Modell zur Gestaltung von sprachbildenden Lernumgebungen

5.2 Analoge Methoden-Werkzeuge

5.3 Digitale Methoden-Werkzeuge

5.4 Empfehlungen zur Unterrichtsplanung

5.5 Exkurs: Umgang mit Subjektiven Theorien im sprachsensiblen Unterricht

5.6 Wirksamkeit eines sprachsensiblen Unterrichts

6 Lesen analoger und digitaler Sachtexte im naturwissenschaftlichen Unterricht

6.1 Lesen analoger Sachtexte

6.2 Lesen digitaler Sachtexte

7 Schreiben im naturwissenschaftlichen Fachunterricht

7.1 Was ist das Besondere am Schreiben?

7.2 Wie gelingt das materialgestützte Schreiben?

7.3 Warum fällt das Schreiben so schwer?

7.4 Warum im naturwissenschaftlichen Unterricht schreiben?

7.5 Wann im naturwissenschaftlichen Unterricht schreiben?

7.6 Was im naturwissenschaftlichen Unterricht schreiben?

7.7 Wie lernt man das Schreiben im naturwissenschaftlichen Unterricht?

7.8 Wie lehrt man das Schreiben im naturwissenschaftlichen Unterricht?

7.9 Beispiele zu Methoden-Werkzeugen als Schreibhilfen

7.10 Schreibhilfen für DaZ-Lernende

8 Literatur

 

1          Sprachbildung in den Naturwissenschaften

 

 

 

1.1       Sprachbildung und sprachliche Bildung

Warum rücken Sprachbildung, Bildungssprache, sprachsensibler Unterricht zunehmend in den Fokus der Bildungspolitik, der Bildungssysteme, der Schulen, der Aus- und Fortbildung? Sprache ist kein Phänomen, das plötzlich und unerwartet in der schulischen Bildung und Ausbildung auftaucht und dem sich Schule neuerdings annehmen müsste. Unterricht war schon immer an Sprache jedweder Form gebunden. Ist es ein altes Thema, dem aus welchen Gründen auch immer, mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird? Untersuchungen belegen die Relevanz von Sprache beim Lernen, zeigen die Abhängigkeit des Schulerfolgs von den sprachlichen Kompetenzen der Lernenden.1 Die Sensibilität dafür, dass sich Fachlernen und Sprachlernen im Fach gegenseitig bedingen, ist bei den Lehrpersonen vor Ort und bei den für Bildungspolitik, Bildungssysteme, Aus- und Fortbildung verantwortlichen Personen gewachsen. Die Dringlichkeit zeigt sich den Lehrkräften in der Tatsache, dass die sprachliche Heterogenität in den Lerngruppen durch die Mehrsprachigkeit der Zuwanderungsgesellschaft größer ist als früher, sodass diese nicht mehr unreflektiert davon ausgehen können, dass alle Lernenden gut »Deutsch können«. Über die Themen Deutsch als Zweitsprache (= DaZ) und Sprachförderung wuchs die Erkenntnis, dass sprachliche Bildung ein Thema für alle Lernenden ist, dass der Unterricht per se sprachsensibel sein muss und bereits immer hätte sein müssen.

Bildungssprachliche Kompetenzen in der deutschen Sprache sind für alle Schülerinnen und Schüler die wesentliche Voraussetzung zum Lernen und für den Schulerfolg. Sie haben daher herausragende Bedeutung bei der Verbesserung der Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit. (Kultusministerkonferenz, 2019, S. 2)

Dieses Zitat der Kultusministerkonferenz aus dem Beschluss »Bildungssprachliche Kompetenzen in der deutschen Sprache stärken« vom 9.12.2019 ist bildungspolitisch wegweisend. Demzufolge hat die Kultusministerkonferenz zehn Grundsätze (ebd., S. 4-5) für die Stärkung bildungssprachlicher Kompetenzen in der deutschen Sprache formuliert, die als Orientierung für die Arbeit und Bilanzierung der Maßnahmen der Länder dienen.

Mit dieser Beschlussfassung ist ein Bedeutungsrahmen gleichermaßen für den vorschulischen Bereich, den schulischen Bereich über alle Schulformen und Schulstufen hinweg, für die Lehreraus- und -weiterbildung und für die Schulentwicklung gegeben. Die Begriffe ›Sprachbildung‹ und ›sprachliche Bildung‹ werden im Folgenden synonym verwendet.

Sprachliche Bildung […] erfolgt alltagsintegriert, aber nicht beiläufig, sondern gezielt. Sprachliche Bildung bezeichnet alle durch das Bildungssystem systematisch angeregten Sprachentwicklungsprozesse und ist allgemeine Aufgabe im Elementarbereich und des Unterrichts in allen Fächern. Die Erzieherin [bzw. der Erzieher] oder [die] Lehrperson greift geeignete Situationen auf, plant und gestaltet sprachlich bildende Kontexte und integriert sprachliche Förderstrategien in das Sprachangebot für alle Kinder und Jugendlichen. (ebd., S. 3)

Sprachbildung ist an Unterweisung und Unterricht gekoppelt, also an systematisch geplante und gesteuerte Bildungsveranstaltungen, die im Wesentlichen als Unterricht vorkommen. Sprachbildung ist nicht auf den Sprachunterricht, also den Deutschunterricht, den Deutsch-als-Fremdsprachen-Unterricht (= DaF-Unterricht) und den Deutsch-als-Zweitsprachen-Unterricht (= DaZ-Unterricht) beschränkt, sondern ist Aufgabe aller Fächer und aller an der Bildung beteiligten Institutionen und Personen. Damit ist es eine Querschnittsaufgabe der Institutionen und läuft somit Gefahr, dass die beauftragte und die persönlich empfundene Zuständigkeit divergieren und die Querschnittsaufgabe im »Schwarzen Loch der Nichtzuständigkeit« versinkt. Sprachliche Bildung wird dieses Schicksal anderer Querschnittsaufgaben jedoch nicht erleiden, geht es hier doch um eine Herausforderung, die von fast allen Lehrkräften wahrgenommen wird und diese in einen täglich akuten Handlungsnotstand bringt. Sprachliche Bildung ist in der Wahrnehmung der Lehrkräfte ein dringliches Desiderat der Unterrichts- und Schulentwicklung mit großen Erwartungen an Unterstützung und Hilfe. Denn die Zuständigkeit der Fachlehrkraft für diese Querschnittsaufgabe in den eigenen Lerngruppen ist immanent und kann nicht delegiert werden.

Die Antwort auf die Herausforderungen der sprachlichen Heterogenität ist der sprachsensible Unterricht. Der Begriff »Sprachsensibler Fachunterricht« geht auf das Handbuch »Sprachförderung im Fach - Sprachsensibler Fachunterricht in der Praxis« (Leisen, 2010) zurück und hat sich in fast allen Bundesländern flächendeckend durchgesetzt (Röttger, 2019). Das Thema des sprachsensiblen Fachunterrichts ist die Sprachbildung in allen Fächern und der Erwerb der Bildungssprache (Kap. 2.1). In der Bildungssprache treffen Fachlernen und Sprachlernen zusammen und bedingen einander.

Neben dem Begriff der Sprachsensibilität sind weitere Begriffe in Verwendung: Sprachförderung, Sprachunterstützung, Sprachbegleitung, Sprachaktivierung, Sprachaufmerksamkeit, Sprachbildung:

•  Der Begriff »Sprachförderung« war lange Zeit vorherrschend und resultierte aus den Beobachtungen und Erfahrungen mit Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund und wurde auf sprachschwache Lernende erweitert. Dem Fördergedanke liegt die Auffassung zugrunde, dass die festgestellten Defizite durch Fördermaßnahmen ausgeglichen werden können und müssen. Das Sprachförderkonzept resultiert aus der Defizitsicht und verfolgt die Idee des Defizitausgleichs durch Förderung und Unterstützung durch Zusatzunterricht und spezifische Fördermaßnahmen.

Sprachförderung bezeichnet in Abgrenzung zur sprachlichen Bildung gezielte Fördermaßnahmen, die sich insbesondere an Kinder und Jugendliche mit besonderen Schwierigkeiten oder Entwicklungsverzögerungen richten, die diagnostisch ermittelt wurden. Die Maßnahmen können in der Schule unterrichtsintegriert oder additiv erfolgen. Sprachförderung ist häufig ausgerichtet auf bestimmte Adressatengruppen und basiert auf spezifischen sprachdidaktischen Konzepten und Ansätzen, die den besonderen Förderbedarf berücksichtigen […]. Sprachförderung erfolgt oftmals in der Kleingruppe, aber nicht zwingend, und hat kompensatorische Ziele. (Kultusministerkonferenz, 2019, S. 4)

•  Die Begriffe »Sprachunterstützung« und »Sprachbegleitung« sind weniger von den Sprachdefiziten geprägt als mehr von der Auffassung, dass das Lernen der Sprache im Fach begleitet und unterstützt werden muss, sie sind also dem Prinzip des Scaffoldings verschrieben.

•  Der Begriff »Sprachaktivierung« suggeriert eine stärker unterrichtsmethodische Sicht. Die Lerner sollen im Unterricht - wie auch immer das methodisch angegangen wird - sprachlich aktiviert werden. Der Auffassung ist insofern zutreffend, da Sprache durch sprachliches Handeln in einem bildungssprachlichen »Sprachbad« gelernt wird. Die Lernenden werden im sprachaktivierenden Unterricht in sprachwirksame Sprachhandlungen gebracht.

•  Der Begriff »sprachintensiver Unterricht« verweist ebenfalls auf die methodische Seite des Unterrichts und setzt auf einen intensiven Gebrauch der Sprache mit dem Ziel eines intensiven Sprachlernens.

•  Die Begriffe »Sprachaufmerksamkeit« und »Sprachbewusstheit« haben Ähnlichkeit zum Begriff »Sprachsensibilität« und fokussieren stark auf die Wahrnehmung der Lehrkraft im sprachlichen Handeln. Auf die Lernenden bezogen verweisen die Begriffe darauf, dass sie sprachlichen Phänomenen gegenüber aufmerksam sind und Sprachbewusstheit entwickeln. In der Fremdsprachenforschung ist die sprachförderliche Relevanz der Sprachbewusstheit belegt.

•  Der Begriff »Sprachsensibilität« umfasst die Wahrnehmung, die Diagnose und das sprachliche Handeln aller Akteure im Unterricht, verbunden mit der Maßgabe eines sensiblen, d. h. genau passenden und herausfordernden Sprachhandelns, das sprachbildend wirkt.

•  Der Begriff »Sprachbildung« ist auf das Ziel hin ausgerichtet, nämlich in der »(Bildungs)Sprache zu bilden«, also Bildungssprache zu lernen und bildungssprachliche Kompetenzen zu erwerben. Dieser Begriff lässt den Weg im Unterricht offen und ist frei von Aussagen über das Sprachlernen im Fach.

Für jeden Begriff gibt es gute Argumente und jede Sicht ist legitim und vernünftig. Fasst man die Überlegungen zusammen, dann wird das Thema des vorliegenden Bandes am besten ausgedrückt durch folgende Formulierungen:

•  Sprachbildung im sprachsensiblen Fachunterricht

•  Sprachlernen und Fachlernen im sprachsensiblen Fachunterricht.

Im sprachsensiblen Unterricht geht es um das untrennbar miteinander verbundene, integrierte Fachlernen und Sprachlernen. Fachlernen und Sprachlernen bedingen einander. Daraus folgt, dass es kein Sprachlernen auf Vorrat geben kann, sondern die Sprache zusammen mit dem Fach gelernt wird. »Sprache ist wie ein Werkzeug, das man benutzt, während man es noch schmiedet« (Butzkamm, 1989, S. 110). Den Zusammenhang von Sprache und Lernen formuliert Ahrenholz treffend: »Lernen heißt – in welchem Fach auch immer – Aneignung von Sprache. Gleichzeitig ist sie aber auch immer Voraussetzung für Lernen« (Ahrenholz, 2010, S. 17).

Im sprachsensiblen Fachunterricht treffen somit drei didaktische Bereiche zusammen:

•  Fachdidaktik: Lehren und Lernen des Faches

•  Bildungssprachendidaktik: Lehren und Lernen der Bildungssprache im Fach (Kap. 1.2 und Kap. 2.1).

•  Fremdsprachendidaktik: Lehren und Lernen der Fremdsprache Deutsch

Lehrkräfte, die über Expertise in allen drei didaktischen Bereichen verfügen, sind prädestiniert für den sprachsensiblen Unterricht. Mit Fug und Recht darf behauptet werden: Sprachsensibel werden heißt von der Fremdsprachendidaktik lernen. Die Fremdsprachendidaktik kennt Prinzipien, die in jedem Fachunterricht lernwirksam sind. Der Unterricht gemäß den oben aufgeführten Begrifflichkeiten findet ausschließlich in der Sprache Deutsch statt, die sowohl Zielsprache im Sinne von Bildungssprache als auch Vermittlungssprache ist. Das Ziel der Sprachbildung ist die Vermittlung der Bildungssprache in und mit der Sprache Deutsch.

1.2       Der Begriff der Bildungssprache

In der Sprachbildung erwerben die Lernenden Kompetenzen in der Bildungssprache. Im letzten Jahrzehnt wurde von verschiedenen Seiten (Leseman, Scheele, Mayo & Messer, 2007; Gogolin, 2009; Vollmer & Thürmann, 2010; Leisen, 2010; Gogolin & Lange, 2011; Morek & Heller, 2012; Tajmel, 2013; Kempert, Schalk & Saalbach, 2018) um eine Definition des Begriffs Bildungssprache gerungen, »allerdings steht eine eindeutige und operationalisierbare Definition von Bildungssprache noch aus; eine klare Abgrenzung zur sogenannten Alltagssprache ist nach wie vor schwierig« (Kempert, Schalk & Saalbach, 2018, S. 11). Das in der Diskussion befindliche Spektrum der Definitionen wird in diesem Kapitel gezeichnet. Zuvor wird die Bildungssprache von anderen sprachlichen Registern abgegrenzt.

Die »Standardsprache« ist durch die Allgemeinverbindlichkeit einer sprachlichen Norm vom Rat für deutsche Rechtschreibung definiert, die in Grammatiken und Wörterbüchern (z. B. Duden) für alle wichtigen Lebensbereiche festgeschrieben ist. Als Hochsprache bezeichnet erhält sie eine soziale Wertung und ist der gebildeten Ober- und Mittelschicht zugeordnet. Das damit einhergehende soziale Prestige ist für bestimmte gesellschaftliche Schichten ein kulturelles Kapital und gleichzeitig ein Instrument der Diskriminierung und sozialen Abgrenzung, was gleichermaßen für die Bildungssprache gilt. Darüber hinaus lässt sich Deutsch in nationale Standards (Deutschland, Österreich, Schweiz etc.) und Dialekte ausdifferenzieren.

Die »Umgangs- oder Alltagssprache« umfasst die Sprachmuster, die Kommunikation in Alltagssituationen ausmachen. Es handelt sich um wiederkehrende und meist triviale Themen, Inhalte und Handlungen, meist mit redundanten, oft auch grammatisch unvollständigen Formulierungen, die mit Gestik und Mimik begleitet wird. Die Alltagssprache wird als »Sprache der Nähe« (Koch & Oesterreicher, 1986, S. 22) bezeichnet, worin sich das Ziel ausdrückt, nämlich die gelingende alltägliche Kommunikation in Alltagssituationen: »Alltagssprache ist die Sprache, die in Diskursen der alltäglichen Lebenspraxis gesprochen und zur unproblematischen Verständigung bei geteiltem Hintergrundwissen jederzeit verwendet werden kann« (Hoffmann 2019, S. 1).

Feilke verweist darauf, dass der Begriff »Schulsprache« in drei unterschiedlichen Begriffsbedeutungen verwendet wird. Im Kontext der Mehrsprachigkeit der Lernenden wird unter Schulsprache die Sprache verstanden, in der der Unterricht gesetzlich geregelt stattfindet (hier die Amtssprache Deutsch). Im englischen Sprachraum wird der Begriff »language of schooling« (Schleppegrell, 2004) verwendet, der allerdings das umschreibt, was im deutschen Sprachraum unter Bildungssprache verstanden wird. Schulsprache im dritten engeren Sinn wird definiert »als die Gesamtheit der sprachbezogenen Praktiken, Maximen, Erwartungen, Inhalte und Formen, die für Zwecke des sprachbezogenen Fachlernens und der unterrichtlichen Kompetenzentwicklung didaktisch konstruiert und großenteils curricular verbindlich gemacht werden« (Feilke, 2012, 2019, S. 1). Im folgenden Zitat ist der Begriff »Schulsprache« weit gefasst und bezieht sich auf das gesamte sprachliche Handeln im Bildungsraum Schule.

Die »Unterrichtssprache« als Teil der Schulsprache umfasst die sprachlichen Muster, die im Unterricht zum Zwecke des Lehrens und Lernens in Verwendung sind. Die Unterrichtssprache besteht aus viel Alltagssprache versetzt mit Versatzstücken aus der Fach- und Bildungssprache. Die Unterrichtssprache ist Sprache des Verstehens, während die Fachsprache die Sprache des Verstandenen ist. Der Unterrichtssprache kommt eine zentrale Zwischenfunktion in der Sprachbildung zu, auf dem Weg von der Alltagssprache zur Fachsprache. Im Sinne Wittgensteins, ist sie »die Leiter, die man verbrennen kann, wenn man oben angekommen ist« (Wittgenstein, 1998, 6.54).

Die »Fachsprache« und »Wissenschaftssprache« umfassen die Gesamtheit aller sprachlichen Mittel, die von Expertinnen und Experten in einem fachlich oder beruflich begrenzbaren Kommunikationsbereich verwendet werden, um die schriftliche und mündliche Verständigung zwischen den in diesem Bereich tätigen Personen zu gewährleisten (Hoffmann, 1985, S. 53). Die Begrifflichkeit ist über einen Zeitraum hinweg von der Kommunität der Disziplin ausgehandelt und definiert festgelegt. Dasselbe gilt für spezifische Textsorten (Genres) und ihre Konventionen (Hoffmann, Kalverkämper & Wiegand, 1989; Feilke, 2019).

Die »Bildungssprache« umfasst die Gesamtheit aller »Sprachen« und sprachlichen Mittel im Kontext des Lehrens und Lernens, des Erkennens und Verstehens. Es ist die Sprache in Bildungssituationen, solche des Kompetenzerwerbens wie des Kompetenznutzens. Bildungssprache betrifft das Erkenntnis-herstellende, -austauschende und -nachweisende Sprachhandeln in formalen Situationen des unterrichtlichen Lehrens und Lernens über alle Fächer und Lernbereiche hinweg. Sie ist gleichsam das sprachliche Werkzeug für kognitive Prozesse in allen Fächern und Lernbereichen. In der Literatur findet sich ein ganzes Spektrum an Definitionen.

Fürstenau bindet den Begriff an die Registermerkmale:

Das bildungssprachliche Register zeichnet sich durch sprachliche Mittel und Strukturen aus, mit denen komplexe und abstrakte Inhalte unabhängig von der konkreten Interaktionssituation ausgedrückt werden können. Es besitzt Merkmale konzeptioneller Schriftlichkeit [nach Koch & Oesterreicher, 1985, vgl. auch Kap. 1.3] und dient der sprachlichen Konstruktion universaler Bedeutungen. Das bildungssprachliche Register kommt v. a. in schulspezifischen Sprachhandlungen zur Anwendung. (Fürstenau, 2011, S. 42)

Die Kultusministerkonferenz definiert den Begriff durch Abgrenzung und Registermerkmale: »Bildungssprache unterscheidet sich von der sogenannten Umgangs- oder Alltagssprache durch ein hohes Maß an konzeptioneller Schriftlichkeit und zeichnet sich durch ein spezifisches Inventar an lexikalischen, morphosyntaktischen und textlichen Mitteln aus« (Kultusministerkonferenz, 2019, S. 3).

Die Definition von Gogolin & Lange zielt auf die erwarteten Kompetenzen: »Auf der normativen Ebene ist mit Bildungssprache dasjenige Register bezeichnet, dessen Beherrschung von ›erfolgreichen Schülerinnen und Schülern‹ erwartet wird« (Gogolin & Lange, 2011, S. 111).

Tajmel bindet den Begriff an das Anforderungsprofil: »Bildungssprache bedeutet, dass sowohl fachliche als auch alltägliche Themen unabhängig von der Situation in eindeutiger Art und Weise, vollständig und in angemessener Form ausgedrückt werden. Dazu sind ein entsprechender Wortschatz (Eindeutigkeit, Situationsunabhängigkeit) und entsprechende grammatische Strukturen (angemessene Form) notwendig« (Tajmel, 2012, S. 9).

Feilke verweist darauf, dass sich der Diskurs zur Bildungssprache von den linguistischen Registermerkmalen auf die Einbettung von Wortschatz und Grammatik und auf die Textpragmatik verlagert hat. Der Blick richtet sich somit auf die bildungssprachlichen Funktionen. Nach Feilke »bezieht sich das Konzept der Bildungssprache auf die sprachlichen Formate und Prozeduren, die für Texthandlungen wie Beschreiben, Vergleichen, Erklären, Analysieren, Erörtern usw. gebraucht werden. Dies sind Handlungen, die in Lernzusammenhängen, gleich ob mündlich oder schriftlich, eine zentrale Rolle spielen« (Feilke, 2019, S. 1).

Ortner hebt Bildungssprache als Performanzphänomen in Bildungssituationen heraus:

Bildungssprache unter dem Gesichtspunkt der Performanz umfasst die ganze Sprache und die damit und dabei konstituierten Situationen sowie die Sprecher(innen)-/Schreiber(innen)persönlichkeit. Alle Merkmale der Bildungssprache resultieren aus den normativen Ansprüchen an die Art der Themenbehandlung, also an das, was die Disziplin des schriftlichen Ausdrucks/der konzeptionellen Schriftlichkeit verlangt: Breite, Differenzierung, Dichte, Tiefe. (Ortner, 2019, S. 1)

Nach Vollmer und Thürmann ist Bildungssprache »Ausdruck jener sprachlichen bzw. kommunikativen Anforderungen in fachlichen Lernkontexten, hinter denen sich komplexe Herausforderungen in der Verwendung von Sprache als kognitivem Werkzeug verbergen« (Vollmer & Thürmann, 2010, S. 110).

Bickes schlägt vor

auf den Begriff der Bildungssprache ganz zu verzichten, stattdessen aber die flexible Förderung und den Ausbau sprachlicher Basisqualifikationen auf allen Ebenen und für unterschiedlichste Verwendungszusammenhänge zu unterstützen. Denn so könnten auch sprachliche Fertigkeiten ausgebaut und entwickelt werden, die nicht auf institutionell gebundene, eingeschränkte fachliche Domänen und dort geltende funktionale Anforderungen begrenzt sind, sondern generell zu kommunikativer und reflexiver Kompetenz beitragen. (Bickes, 2019, S. 501)

Kempert, Schalk & Saalbach verweisen auf die gemeinsamen Merkmale der verschiedenen Definitionen:

Bildungssprache gilt als eigenes, insbesondere schulisch relevantes, sprachliches Register, das eine Reihe idiosynkratrischer schwierigkeitsgenerierender Merkmale aufweist. Dabei wird in der Regel auf einen reduzierten Kontext sowie auf komplexe lexikalische, grammatische und diskursive Merkmale verwiesen (z. B. Gogolin, 2009; Leseman, Scheele, Mayo & Messer, 2007; Morek & Heller, 2012). […]. Häufig wird bei der Beschreibung von Bildungssprache wenig darauf eingegangen, dass die Komplexität nicht zwingend exklusiver Teil der Sprache ist, sondern dass die Vermittlung zunehmend komplexer Konzepte (z. B. Kraft, Vektor, Evolution) im Unterricht die Verwendung anspruchsvoller oder sehr spezifischer Sprachstrukturen notwendig macht. (Kempert, Schalk & Saalbach, 2018, S. 11)

Den verschiedenen Definitionen ist gemeinsam, dass sie die besonderen Merkmale der Bildungssprache im Register der konzeptionellen Schriftlichkeit hervorheben und auf den Verwendungskontext in fachlichen und beruflichen Lehr-Lern-Situationen mit spezifischen Denkoperationen und Verwendungssituationen hinweisen. Darin sind auch die Formulierungs- und Verstehensschwierigkeiten von Lernenden in der Bildungssprache begründet (Kap. 2.4). Nachfolgend wird der Begriff »Bildungssprache« folgendermaßen verwendet: Bildungssprache als Werkzeug des Denkens und als Kommunikationsmittel umfasst die Gesamtheit der mit den Darstellungsformen (Kap. 1.6) verbundenen »Sprachen«, die in fachlichen und beruflichen Lehr-Lern-Situationen verwendet werden.

Es sei darauf hingewiesen, dass in anderen als schulischen Kontexten Bildungssprache oft auch mit abweichender Bedeutung verwendet wird, nämlich als Gelehrtensprache, im Sinne alltäglicher Wissenschaftssprache (Ehlich, 1999) oder als Bildungsergebnis und Voraussetzung für gesellschaftliche Partizipationsfähigkeit (Habermas, 1977, 1981), als »Verkehrssprache der Öffentlichkeit [und dient dazu,] sich mit den Mitteln der allgemeinen Schulbildung ein Orientierungswissen verschaffen [zu] können« (Habermas, 1981, S. 345).

1.3       Register der Mündlichkeit und der Schriftlichkeit

Bildungssprache ist ein sprachpädagogisches Konstrukt, das die Sprachverwendungsmuster umfasst, die für schulische Lehr- und Lernsituationen typisch sind. Bildungssprache ist das Werkzeug für kognitive Prozesse in allen Fächern und Lernbereichen. Die Unterschiede der Sprachhandlungen im Alltag und in der Bildungssprachwelt sind offensichtlich:

•  Die Sprachhandlungen im Alltag umfassen: reden, erzählen, schimpfen, meckern, twittern, chatten, telefonieren, unterhalten, lesen, schreiben, …

•  Die Sprachhandlungen in der Bildungssprachwelt umfassen: berichten, beschreiben, begründen, argumentieren, verbalisieren, modellieren, diskutieren, erläutern, protokollieren, fachsprachlich lesen, fachsprachlich schreiben, …

Die letzteren sind an die kognitiven Anforderungen in den entsprechenden fachlichen Aufgabenstellungen geknüpft und sind regelgebunden, standardisiert und ggf. normiert. Die Sprachkompetenz in der deutschen Alltagssprache allein reicht zur Bewältigung der Aufgaben nicht aus; die sprachliche Bewältigung ist verknüpft mit einer Sach- und Methodenkompetenz, die es im Unterricht zu erwerben gilt.

Tab. 1.1: Merkmale der Kommunikation im Alltag und im Bildungsbereich

Kommunikation im AlltagKommunikation im Bildungsbereich

Beim Wechsel der Sprachhandlungen von der linken zur rechten Tabellenspalte tun sich alle Schülerinnen und Schüler schwer, da sie das Sprachregister von der sogenannten konzeptionellen Mündlichkeit in die konzeptionelle Schriftlichkeit, von der Alltagssprache in die Bildungssprache wechseln. Die Merkmale der beiden Register zeigt folgende Tabelle 1.2.

Das auf Koch und Oesterreicher zurückgehende Konzept der konzeptionellen Mündlichkeit und konzeptionellen Schriftlichkeit (Koch & Oesterreicher, 1985) beschreibt die hohen Anforderungen an die Lernenden beim Wechsel der Register.

Tab. 1.2: Merkmale der Alltags- und Bildungssprache

Das Begriffspaar »Sprache der Nähe« – »Sprache der Distanz« (ebd., S. 22) unterstreicht die räumliche und zeitliche Nähe bzw. Distanz des Sprechenden oder Schreibenden zur Sache aber auch der Kommunikationspartner untereinander, sowie ihre Vertrautheit zueinander. Ulrich & Michalak (2019) verweisen darauf, dass die Register keine Dichotomie, sondern ein Kontinuum mit vielen graduellen Abstufungen darstellen. Die Bildungssprache ist durch spezifische morphologische und syntaktische Merkmale gekennzeichnet, die in der Literatur hinreichend detailliert beschreiben sind (vgl. z. B. Leisen, 2013b, Bd. 1, S. 52). Lehrkräfte müssen sich vergegenwärtigen, dass die Verstehens- und Formulierungsschwierigkeiten weniger in den Fachbegriffen, sondern mehr in der mangelnden Vertrautheit mit grammatischen Konstrukten liegen,

•  die Begriffe und Aussagen präzisieren (z. B. Adverbiale, Ergänzungen, Phrasen, …),

•  die den logischen Zusammenhang der Aussagen herstellen (z. B. Pronomen, Präpositionen, Konjunktionen, Modalverben),

•  die auf Textstellen verweisen und sie miteinander verknüpfen, die lokale Kohärenz erzeugen (z. B. Rückwärtsbezüge, Vorwärtsbezüge, …).

Die Sinnkonstruktion, die mentale Rekonstruktion (Repräsentation) von sprachlichen Verknüpfungen, fällt den Lernenden schwer (Kap. 2.4, Beispiele). Das ist im Zusammenhang von Denken und Sprache (Kap. 1.6) begründet.

1.4       Sprachbezogener Fachunterricht oder fachbezogener Sprachunterricht

Der sprachbildende Unterricht im Sinne des sprachsensiblen Unterrichts wird nachfolgend vom bilingualen Unterricht und CLIL-Unterricht (= Content and Language Integrated Learning) abgegrenzt. Die Abgrenzung gründet auf der Frage, ob es sich um einen ›sprachbezogenen Fachunterricht‹ oder einen ›fachbezogenen Sprachunterricht‹ handelt. Was wie ein Sprachspiel daherkommt, ist bildungspolitisch von großer Tragweite. Darin verbirgt sich die entscheidende Frage, wem der Primat zukommt, dem Fach oder der Sprache. Die Antwort entscheidet darüber, ob die Fachlehrkraft oder die Sprachlehrkraft unterrichtet.

Die nachfolgende Tabelle stellt die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede synoptisch vergleichend dar.

Tab. 1.3: Sprachbezogener Fachunterricht versus fachbezogenen Sprachunterricht

Sprachbezogener Fachunterricht (harter-CLILiG)Fachbezogener Sprachunterricht (weicher-CLILiG)

Der sprachsensible Fachunterricht ist damit per definitionem ein sprachbezogener Fachunterricht. Ein fachbezogener Sprachunterricht liegt vor, wenn beispielsweise der DaZ- bzw. DaF- (Deutsch als Fremdsprache) Unterricht in Exkursen oder dosiert durchgängig Sprachhandlungen in der Bildungssprache evoziert und fördert, wie der CLILiG (Content and Language Integrated Learning in German, vgl. dazu Goethe-Institut, 2011, 2018).

Wie die berufliche Identität der Lehrperson CLIL-BILI-Unterricht beeinflusst, zeigt eine Studie aus Hongkong (Kong, 2009):

•  Wenn Sprachlehrkräfte CLIL/BILI unterrichten, zeigt sich eine deutliche Tendenz zur Trivialisierung der Fachinhalte.

•  Lehrpersonen mit einer Qualifikation im Sachfach reagieren gewöhnlich unsensibel auf sprachliche Bedürfnisse der Lernenden.

Daraus muss geschlussfolgert werden, dass für den sprachbezogenen Fachunterricht die doppelte Qualifikation der Lehrperson, nämlich sowohl im Fach als auch in der Fremdsprache unverzichtbar ist. Bezogen auf den sprachsensiblen Fachunterricht in deutscher Sprache heißt das, dass die Lehrperson über die erforderliche Fachkompetenz verfügen muss und die Sprach- und Verstehenshürden (Kap. 2.4) kennen muss, die sich allen Lernenden auftun und im Besonderen den DaZ-Lernenden.

1.5       Sprachsensibler Fachunterricht und CLILiG

»CLILiG« ist die Abkürzung von Content and Language Integrated Learning in German. Dabei handelt es sich um einen pädagogischen Ansatz, in dem die Erstsprache (L1) und eine zweite Sprache (L2, hier Deutsch) für die Vermittlung und das Lernen von Inhalten und von Sprache mit dem Ziel eingesetzt werden, sowohl die Beherrschung des Sachfachs als auch der Sprache im Hinblick auf vorab festgelegte Ziele zu fördern. Im Eurydice Bericht der Europäischen Union wird CLIL definiert als:

The acronym CLIL is used as a generic term to describe all types of provision in which a second language (a foreign, regional or minority language and/or another official state language) is used to teach certain subjects in the curriculum other than the language lessons themselves. (European Commission Eurydice, 2006, S. 8)

Im Unterschied zum sprachbildenden, z. B. sprachsensiblen Fachunterricht werden nicht alle Fächer, sondern einige ausgewählte in der Fremdsprache durchgeführt. Dies kann in diesen Fächern durchgängig mit einem Abschlussziel, z. B. ABI-BAC geschehen oder temporär und sporadisch an geeigneten Themen. Die Dauer eines CLIL-Unterrichts ist verschieden und die Programme variieren von nur wenigen Wochen bis zu mehrjährigen Angeboten.

Für den CLIL-Unterricht finden sich verschiedene Bezeichnungen: »bilingualer Unterricht« (Bili), »bilingualer Sachfachunterricht«, »integriertes Sprachen- und Fachlernen«, »Sprach- und Sachfachlernen«, »Integriertes Fremdsprachen- und Sachfachlernen«. Im deutschen Auslandsschulwesen wird er »Deutschsprachiger Fachunterricht« (DFU) genannt.

CLIL-Unterricht tritt in verschiedensten Organisationsformen auf, die regional- und sprachenpolitisch, bildungspolitisch, sprachdidaktisch oder interessensgeleitet begründet sind. An Schulen von deutschen Minderheiten (z. B. Sorben) ist CLIL-Unterricht in einer Minderheitssprache ein sprachenpolitisches Instrument, um die Sprache zu fördern, die nur von wenigen Menschen der Region gesprochen wird. CLIL-Unterricht wird auch in Regionalsprachen (Französisch im Aosta-Tal oder Deutsch in Elsass-Lothringen) oder andere offizielle Landesprachen (Luxemburgisch, Französisch in Luxemburg) durchgeführt. CLIL-Unterricht kann eine bildungspolitische Reaktion auf die Viel- oder Mehrsprachigkeit der Bewohner in einem Land sein. Dieser Anstoß kann aus dem Inland kommen, z. B. Unterricht in türkischer Sprache in Deutschland oder aus dem Ausland, z. B. im Bestreben der Türkei in Deutschland Türkische Schulen analog zu den Deutschen Schulen in der Türkei zu gründen.