Sprache im Raum Schule heute - Fabienne Most - E-Book

Sprache im Raum Schule heute E-Book

Fabienne Most

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Beschreibung

Sprache ist in den Schulen eines der wichtigsten und häufigsten genutzten Medien. Sie dient zur Verständigung, ist ein Instrument der Teilhabe und Ausdrucksmittel vieler Individuen, gleichzeitig aber auch ein Instrument der Gewalt. Die linguistische Disziplin Pragmalinguistik untersucht die menschliche Sprache als Form menschlichen Handelns und analysiert, wie ein Sprechakt vollzogen wird. Mittels der von Brown und Levinson aufgestellten Höflichkeitstheorie kann die gesprochene Sprache in ihrer Wirkung auf die sprechende und hörende Person untersucht werden. Innerhalb dieser Studie wird die Forschungsfrage "Wie gestaltet sich die Sprache der Schüler*innen im Raum Klassenraum und Raum Pausenhof hinsichtlich der pragmalinguistischen Theorie des Gesichtsbedrohenden Aktes?" untersucht. Hierfür wird eine qualitative Beobachtung durchgeführt um folglich die gesprochene Sprache der Schüler*innen in den unterschiedlich sozialen Räumen zu analysieren. Mittels einer vorangehenden pragmalinguistischen Analyse wird der Untersuchungsgegenstand auf Basis der Höflichkeitstheorie kategorisiert und unter Verwendung der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet. Hierbei werden die Strategien der Gesichtsbedrohung aufgezeigt, analysiert und in einer quantitativen Häufigkeitsanalyse zusammengeführt. Dabei wird herausgefunden, dass sich die gesprochene Sprache innerhalb der Räume Klassenraum und Pausenhof hinsichtlich der Strategien der Gesichtsbedrohenden Akte unterscheiden. Grundsätzlich werden auf dem Pausenhof deutlich mehr Gesichtsbedrohende Akte ausgedrückt, als im Klassenraum. Als weiteres wichtiges Ergebnis wird festgestellt, das im Pausenhof häufiger das negative Gesicht und im Klassenraum häufiger das positive Gesicht bedroht wird. Dabei wird auf dem Pausenhof mittels gesprochener Sprache die Handlungsfreiheit der Schüler*innen eingeschränkt, während im Klassenraum häufiger die Bedürfnisse der Schüler*innen übergangen werden. Zum Schluss kann also festgestellt werden, dass die verwendete Sprache deutlich mit dem sozialen Raum zusammenhängt und sich die Regeln dessen auf das sprachliche Mittel signifikant auswirken.

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Seitenzahl: 161

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Vorwort zur Reihe

Impulse sind Antriebe, Anstöße und Anregungen. Als Denkanstöße sind sie im hochschulischen (Arbeits)Alltag auf vielfältige Weise Ausgangspunkt und zugleich Gegenstand von Wissenschaft. Daraus resultierende Forschungsvorhaben sind zumeist vorerst exklusiv Wissenschaftler*innen vorbehalten.

Leider viel zu selten – hier sei aus der Perspektive der Erziehungswissenschaft gesprochen – wird die Lehre als Forschungsraum verstanden. Gemeint ist damit keineswegs, dass die Studierenden in den Lehrveranstaltungen zu Probanden von Studien werden oder diese evaluieren. Intendiert sind ebenfalls keine Praxisseminare, die z. B. im Rahmen von Lehr-Lern-Laboren den Professionalisierungsprozess von Lehramtsstudierenden forcieren und deren Selbstwirksamkeitsüberzeugungen steigern wollen. Ohne Zweifel haben die skizzierten Settings alle ihre Berechtigung, verbinden die für die Hochschulen elementaren Sphären der Forschung und Lehre jedoch nicht ganzheitlich, weil die Forschung als Prozess nicht im Seminarkonzept inhärent ist, sondern zum spezifischen Inhalt (z. B. Publikationen) wird oder als Additum angesehen werden muss.

Dazu konträr stehen jene Lehrformate, in denen Forschung und Lehre verschmelzen und die Studierenden zu Forschenden werden. Ohne Frage muss der Gehalt studentischer Forschung anders bewertet werden als wissenschaftliche Forschung. Studierende sind Forschungsnovizen, die das Forschen erlernen müssen. Dennoch können aus studentischer Forschung Impulse hervorgehen. Für Dozierende ist die hochschuldidaktische Gestaltung von „Forschungsseminaren“ eine polyvalente Herausforderung, gilt es doch eine wissenschafts-theoretische und methodologische Basis zu schaffen und die (Forschungs)Interessen aller Teilnehmenden zu berücksichtigen. Das Anliegen stößt zudem nicht selten auf administrative Hürden, da solche Formate nicht immer mit Studienordnungen kompatibel sind. Studentische Abschlussarbeiten – in Zeiten der Internationalisierung des Studiums vor allem Bachelor- und Masterarbeiten – haben das Potential, ausgehend von den Interessen der Studierenden zu kleinen Forschungsvorhaben zu werden. Die Studierenden bearbeiten über einen Zeitraum von mehreren Monaten selbstständig eine Fragestellung und erschließen sich Forschungsmethoden und Diskurse mit dem Ziel, ihre Ergebnisse in einen Kontext zu stellen. Dabei behandeln sie Themen, die für wissenschaftliche Forschung zu partikular sind. Nicht selten wird mit ihnen neues Wissen generiert, aus dem sich wiederum Möglichkeiten für sich anschließende wissenschaftliche Forschung ergeben können oder die Abschlussarbeiten sind bereits die Weiterentwicklung eines vorausgegangenen Studienprojektes aus dem Praxissemester.

Die Reihe Erziehungswissenschaftliche Impulse setzt es sich zum Ziel, exzeptioneller studentischer Forschung ein Forum zu bieten. Anker sind neben der Bedeutung des Gegenstandes und der gewählten Herangehensweise auch Anerkennung und Wertschätzung der Leistung. Dabei sollen die veröffentlichten Arbeiten auch als Impuls, das heißt als Anregung verstanden werden, die erwähnten partikularen Themen aufzugreifen und weitere Forschung (vor-)an-zutreiben.

Münster, Frühjahr 2025

Patrick Gollub

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretische Grundlagen

2.1 Gewalt - eine Begriffsbestimmung2.2 Pragmalinguistik
2.2.1 Das bilaterale Zeichen2.2.2 Langage, langue und parole2.2.3 Systemlinguistik2.2.4 Pragmalinguistik
2.2.1 Sprechakttheorien
2.2.2 How to do things with words - performative und konstatierende Äußerungen2.2.3 How to do things with words - Lokution, Illokution und Perlokution2.2.4 Höflichkeitstheorie2.2.5 Sprachliche Aggression
2.3 Sprache im Raum Schule
2.3.1 Institution Schule2.3.2 Raum2.3.3 Sprache in der Institution Schule - Exkurs Bourdieu2.3.4 Aktueller Forschungsstand

3. Forschungsmethodik

3.1 Beobachtung3.2 Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring

4. Qualitative Inhaltsanalyse

4.1 Gegenstand und Fragestellung4.2 Vorgehensweise4.3 Kategorien

5. Ergebnisse

5.1 Quantitative Analyse5.2 Ergebnisbezogene Diskussion5.3 Überprüfung der Gütekriterien5.4 Methodenbezogene Diskussion

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Das bilaterale Zeichen - signifié und signifiant

Abbildung 2: Das bilaterale Zeichen - signifié und signifiant

Abbildung 3: Das semiotische Dreieck der Stoa

Abbildung 4: Das semiotische Dreieck: Katze

Abbildung 5: Übersetzung langage nach Kaudé

Abbildung 6: Ablaufmodell deduktiver Kategorienanwendung (Strukturierung)

Abbildung 11: Prozentuale Aufteilung der Kategorie Gesichtsbedrohende Akte

Abbildung 12: Prozentuale Aufteilung der Kategorie Stratgien der Gesichtsbedrohende Akte

1. Einleitung

„Hänseleien, Gerüchte, Ausgrenzung, körperliche Gewalt – wegen vieler Mobbing-Fälle wird Schule in einem neuen PISA-Report auch als ‚Ort der Qual‘ beschrieben.“ (Merkur.de 2017) Das Thema Gewalt an Schulen rückt immer mehr ins öffentliche Interesse. So wird über unzählige Medien von Gewalt an Schulen berichtet. Auch die Polizei informiert mittlerweile über das Ausmaß von Gewalt an Schulen und wie dem präventiv und akut entgegengewirkt werden kann (vgl. Polizeiliche Kriminalprävention 2022).

Der Begriff Gewalt führt dem Menschen zunächst „Bilder vor Augen, in denen geschlagen, getreten und auf andere Weise körperlich verletzt wird.“ (Polizei für dich o.J.). Aber ist nur physische Gewalt ein Akt der Verletzung? „Grundlage der Gewalt als einem erfolgsversprechendem strategischem Handlungsmuster ist die prinzipielle Verletzbarkeit von Menschen und die Verletzungsmächtigkeit von Individuen.“ (Imbusch 2018, S. 151).

Folglich stellt nicht nur körperliche Gewalt ein Akt der Verletzung dar, sondern jedes ausgenutzte Machtverhältnis, welches die Ermächtigung zu Verletzten verleiht. So zeigt sich vor allem die psychische Gewalt insgesamt nicht weniger grausam als die physische Gewalt, da diese in ihrer „Wirkung weniger berechenbar [ist]“, indem sie eine Vielzahl von Mechanismen unterlaufen kann (ebd., hinzufüg. F.M.). Nach Aussagen der polizeilichen Kriminalprävention stellt die psychische Gewalt eine häufige Form von Gewalt unter Schülern und Schülerinnen dar (vgl. Polizeiliche Kriminalprävention 2022, S. 9). So können Worte oder Handlungen verletzend, bloßstellend oder demütigend ausgedrückt werden und so die weitere persönliche Entwicklung der Schüler*innen beeinflussen oder stören (vgl. ebd.).

Sprache ist in den Schulen eines der wichtigsten und häufigsten genutzten Medien. Sie dient zur Verständigung, ist ein Instrument der Teilhabe und Ausdrucksmittel vieler Individuen, gleichzeitig aber auch ein Instrument der Gewalt.

Die britischen Sozialwissenschaftler*in Penelope Brown und Stephen C. Levinson untersuchen Sprache hinsichtlich ihrer pragmatischen Wirkung auf Gewalt. Innerhalb der aufgestellten Höflichkeitstheorie besprechen

Brown und Levinson die Strategien zur Bedrohung durch diese. So kann mittels dieses theoretischen Fundaments die gesprochene Sprache der Institution Schule untersucht und erforscht werden. Dabei stellt sich die Frage, ob gesprochene Sprache immer gleich verläuft oder diese abhängig von äußeren Einflüssen ist und sich somit in den verschiedenen Räumen der Institution different verhält.

Hinsichtlich dieser Überlegungen ergibt sich die Forschungsfrage dieser Forschung: „Wie gestaltet sich die Sprache der Schüler*innen im Raum Klassenraum und Raum Pausenhof hinsichtlich der pragmalinguistischen Theorie des Gesichtsbedrohenden Aktes?“.

Um die Forschungsfrage beantworten zu können soll eine Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring angewandt werden und die Forschung methodisch begleiten.

Innerhalb der Arbeit werden zunächst die theoretischen Grundlagen definiert und dargestellt. Um einen ersten Zugang zu diesem Thema zu gewinnen wird zu Beginn der Gewaltbegriff genauer bestimmt. Weiter wird die Pragmalinguistik beschrieben und Bezug auf die Sprechakttheorie genommen, welche einen essentiellen Teil der Forschung ausmacht. Um die Merkmale gesprochener Sprache in der Institution Schule genauer einordnen und verstehen zu können, wird im Unterkapitel Sprache im Raum Schule zunächst die Institution Schule und der Raumbegriff detailliert aufgeschlüsselt und beschrieben. Weiter werden Aspekte, welche sich auf die Sprache auswirken aufgegriffen sowie ein aktueller Forschungsstand bezüglich der Forschungsfrage beschrieben. Im dritten Kapitel Forschungsmethodik wird die Forschungsmethode sowie die Theorie der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring genauer erläutert. Im vierten Kapitel folgt die Ausführung der Qualitativen Inhaltsanalyse. Folglich werden Gegenstand und Fragestellung der Forschung beschrieben, sowie die genaue Vorgehensweise. Des Weiteren soll Bezug auf die Kategorien genommen werden, welche die Untersuchung zentral begleiten. Im fünften Kapitel erfolgt die Ergebnisdarstellung. Innerhalb dieser wird eine quantitative Analyse aufgestellt, welche mit einer ergebnisbezogenen Diskussion vertieft wird. Darauf folgt eine Überprüfung der Gütekriterien sowie eine methodenbezogene Diskussion. Im Fazit soll erneut auf die Forschungsfrage eingegangen und diese hinsichtlich der Ergebnisse beantwortet werden. Weiter bietet eine Darstellung des Ausblicks Möglichkeiten zur Weiterführung der Forschung.

2. Theoretische Grundlagen

Innerhalb des Kapitels Theoretische Grundlagen werden die für die Forschungsfrage essentiellen theoretischen Fundamente beschrieben, definiert und erläutert.

Um das Thema der Forschung genauer zu verstehen, wird zu Beginn der Gewaltbegriff bestimmt und deutlich abgegrenzt. Weiter beschreiben die Unterkapitel Pragmalinguistik und Sprachakttheorien die linguistischen Aspekte der Forschung. Innerhalb des Unterkapitels Sprache im Raum Schule wird auf die äußeren Einwirkungen der gesprochen Sprache eingegangen, sodass Vermutungen bezüglich der Forschungsergebnisse aufgestellt werden können.

2.1 Gewalt - eine Begriffsbestimmung

Da die Gewaltforschung in nahezu allen Disziplinen ein stetig wachsendes und sich wandelndes Feld wissenschaftlicher Auseinandersetzungen darstellt, (vgl. Christ & Gudehus 2013, S. 1) erweist sich die Definition eines allgemeinen Gewaltbegriffs als illusorisch. So zeigt sich, dass der Gewaltbegriff in Abhängigkeit zum Forschungskonzept und der Fragestellung steht. Gewalt, so beschreibt es Imbusch treffend, ist einer der „schillerndsten und zugleich schwierigsten Begriffe der Sozialwissenschaften“ (Imbusch 2002, S. 26). Während der Recherche nach einer Definition stößt der*die Suchende in der Literatur auf „zahlreiche Begriffe - physische, psychische, strukturelle und symbolische, kulturelle, politische Gewalt, direkte, personale, individuelle und kollektive Gewalt“ (Christ & Gudehus 2013, S. 1).

Um Gewalt erforschen zu können, ist es wichtig zu verstehen, dass nicht nur eine begriffliche Herausforderung besteht, sondern auch Grenzen des intersubjektiven Verstehens aufgeführt werden (vgl. ebd.). So müssen für eine vollständige Definition die Folgen des Gewaltakts, folglich der ausgelöste Schmerz, betrachtet werden, welcher jedoch nicht in Sprache übersetzt werden kann (vgl. ebd.). So wird behauptet, dass die „Weltwahrnehmung derjenigen, die Schmerzen haben, […] sich fundamental von der Welt derjenigen [unterscheidet], die keine Schmerzen empfinden.“ (ebd., hinzufüg. F.M.).

Um für die folgende Forschung jedoch einen Gewaltbegriff zu definieren, sollen verschiedene Konzepte betrachtet und eruiert werden.

Gewaltforscher*innen beschäftigen sich überwiegend mit Ereignissen physischer Gewalt (vgl. ebd. S. 2). So auch das Strafrecht, welches Gewalt „als die physische Einwirkung, die zu einem die Freiheit der Willensentschließung oder -betätigung beeinträchtigenden körperlich wirkenden Zwang zur Überwindung eines geleisteten oder erwarteten Widerstands führt.“, definiert (Polizeiliche Kriminalprävention 2022, S. 9).

Weiter definiert der Gewaltsoziologe Trutz von Trotha Gewalt wie folgt: „Gewalt ist körperlicher Einsatz, ist physisches Verletzen und körperliches Leid“ (Trotha 1997, S. 26). So steht im Mittelpunkt des Begriffsverständnisses von Gewalt „der machtvolle Zusammenprall zweier Körper, oftmals vermittelt durch körperliche Gegenstände.“ (Herrmann & Kuch 2007, S. 179). Folglich beschreibt Trotha Gewalt als eine Verletzung, welche durch ein körperliches Mittel hinzugefügt wird, dementsprechend durch einen Teil eines menschlichen Körpers oder eines körperlichen Gegenstandes. Des Weiteren wird Gewalt nach dieser Definition spezifisch und ausschließlich als Verletzung des menschlichen Körpers verstanden. (vgl. ebd.)1.

Jedoch fallen unter diese Definitionen weder psychische noch verbale Gewalt. Dabei zeigt sich, dass gerade diese „eine häufige Form von Gewalt unter Schülerinnen und Schülern [ist]“ (Polizeiliche Kriminalprävention 2022, S. 9., hinzufüg. F.M.).

Dieses zuvor erläuterte Verständnis von Gewalt würde bedeuten, dass „Sprache keine Gewalt hinzufügen kann, weil sie lediglich symbolisch sei.“ (Herrmann & Kuch 2007, S. 179.). Sprache jedoch kann verletzen „und das nicht obwohl, sondern gerade weil sie symbolisch ist.“ (ebd.). Der Begriff der symbolischen Gewallt wurde geprägt durch den Soziologen Pierre Bourdieu und bezeichnet einen Prozess des Sprechens und Handelns, welcher „bestehende Machtverhältnisse bestätigt, immer wieder neu hervorbringt und damit naturalisiert […] [und folglich so] für Kritik unzugänglich macht.“ (Christ & Gudehus 2013, S. 4, hinzufüg. F.M.). Folglich trägt der Prozess der symbolischen Gewalt mittelbar zur Entstehung physischer Gewalt bei (vgl. ebd.). Wie aber kann Sprache als symbolische Gewalt gleich der physischen Gewalt gesetzt werden, wenn diese Art der Gewalt auf verbaler und somit symbolischer Ebene vollzogen wird und nicht auf der Ebene des Körperlichen? Dies soll anhand eines Beispiels näher erläutert werden.

Als Paradigma absoluter physischer Gewalt wird innerhalb des Beispiels der Akt der Folter näher betrachtet. Interessant parallel zu betrachten ist, dass eine performative Äußerung nach Austin oder auch ein performativer Sprechakt nach Butler eine Handlung darstellt, welche vollzogen oder getan wird und welche weiter folglich glücken oder missglücken kann (vgl. Butler 2022, S. 22ff.; Austin 1975 a, S. 29; Kapitel 2.3.1). Aber nicht nur performative Aussagen, sondern auch Sprache allein kann verletzend wirken. Eine Beleidigung zum Beispiel enthüllt ihr wahres Ausmaß ihrer innenliegenden Macht erst mit der Zeit (vgl. Butler 2022, S. 9). Jedoch kann Sprache nur dann verletzend wirken, wenn der Täter*die Täterin und das Opfer des Gewaltakts ebenfalls sprachlich geprägt sind. Dies lässt sich dadurch erklären, dass dem verbalen Gewaltakt eine vorhergehende Kraft und Willensentscheidung vorausgeht, welche der Sprache eine prägende Macht der Verletzung verleiht (vgl. ebd.).

So kann auch das Folterinstrument betrachtet werden, welches durch seine bloße Präsenz den bevorstehenden Schmerz symbolisiert. Folglich ist hier die physische Gewalt mit der symbolischen Gewalt verbunden. Dabei zielt die ausgeführte Gewalt auf die Demonstration von Macht und Überlegenheit (vgl. Herrmann & Kuch 2007, S. 179). Dies spiegelt sich in der Definition symbolischer Gewalt nach Bourdieu wider, innerhalb dessen Sprache Machtverhältnisse und Machtbeziehungen aufdeckt und ausübt (vgl. Christ & Gudehus 2013, S. 4). Auch während des Akts der Folterung soll das soziale Verhältnis zwischen der folternden Person und dem Opfer dargestellt werden (vgl. Herrmann & Kuch 2007, S. 180). Während also der Folterakt als Paradigma absoluter physischer Gewalt gelten kann, soll vergleichsweise der Gewaltakt einer Ohrfeige betrachtet werden. Dieser Akt, bei welchem der Referenzpunkt der menschliche Körper ist, stellt ebenfalls einen Akt physischer Gewalt dar (vgl. ebd.). Jedoch liegt auch hier die verletzende Kraft nicht ausschließlich auf der körperlichen Dimension, sondern vielmehr auf der symbolischen (vgl. ebd.). Dies kann dadurch erklärt werden, dass eine Ohrfeige so geringfügig ausfallen kann, dass sie geringen bis keinen physischen Schmerz hervorbringen kann. Stattdessen demonstriert sie „symbolische Verachtung und Geringschätzung […] gegenüber der […] [betroffenen Person].“ (ebd., hinzufüg. F.M.). So verletzt der eigentliche physische Akt nicht nur den Körper selbst, sondern „das soziale Sein“ (ebd.). Weiterführend kann also das „verletzende Sprechen die Verkörperung symbolischer Gewalt [darstellen].“ (ebd., S. 181, hinzufüg. F.M.). So wird sprachliche Gewalt auf symbolischer Ebene ausgeführt und wirkt ebenfalls auf der „symbolischen Ebene der menschlichen Existenz" (ebd.) und steht dementsprechend dem Gewaltverständnis, welches ausschließlich Gewalt als physische Gewalt versteht, konträr gegenüber (vgl. ebd.). Um zu erklären, warum die symbolische Gewalt gleich der physischen Gewalt gewertet werden kann, müssen die Folgen des Akts betrachtet werden. Diese müssen, wie zu Beginn schon beschrieben, für eine vollständige Definition des Gewaltbegriffes in jedem Fall mitbetrachtet werden.

Nach Aristoteles ist der Mensch ein sprachliches Wesen (vgl. ebd., S. 181.). Demzufolge ist Sprache ein Mittel des Diskurses, welcher Austausch, Übermittlung von Informationen und Verständigung ermöglicht (vgl. ebd.)2. Dabei bietet aber nicht die Möglichkeit zur Verständigung durch Sprache eine Dimension symbolischer Verletzbarkeit, sondern die Instanz, welche das Ich und Du zu allererst ins Leben ruft (vgl. ebd.). Dies bedeutet, dass die Existenz menschlich sprachlicher Wesen aus Sprache besteht (vgl. ebd.). Demnach kann behauptet werden, dass die Dimension der Symbolik den Menschen selbst und sein soziales Sein ausmacht. Jedoch bedeutet das soziale Sein des einzelnen Menschen auch und das ist der Punkt, welcher die symbolische Gewalt der physischen Gewalt gleichstellt, dass der Mensch immer anderen Menschen gegenüber verletzungsoffen für sprachliche Gewalt ist. (vgl. ebd.) So erschließt sich aus der sprachlichen Existenz des Menschen ein soziales Sein, welches sich auf der Dimension der Symbolik durch symbolische Gewalt und symbolische Verletzbarkeit beschreibt.

Auch in Schulen ist neben der physischen Gewalt, den Raufereien auf dem Schulhof, dem Schubsen auf dem Gang die verbale bzw. symbolische Gewalt ein gängiges Mittel gewalttätiger Akte (vgl. Markert 2007, S. 295ff.). So zeigt sich auch in der schulbezogenen Gewaltforschung die Definition eines Gewaltbegriffes als kompliziert (vgl. ebd., S. 296). Gewalt wird hier „als eine zielgerichtete direkte Schädigung begriffen […], die unter körperlichem Einsatz und/oder mit psychischen und verbalen Mitteln erfolgt und sich gegen Personen und Sachen richten kann.“ (Melzer 2000, S. 9). Interessant ist, dass in der schulbezogenen Gewaltforschung hinsichtlich physischer Gewalt zwischen Akten aus Spaß und ernsthaften Akten differenziert wird (vgl. Markert 2007, S. 296). Diese Unterscheidung findet jedoch bezüglich sprachlicher Gewalt nicht statt.

Innerhalb dieser Forschung wird die Sprache als ein symbolisches Instrument der Gewalt verstanden. Gewalt kann sich sowohl auf physischer als auch auf verbaler und psychischer Ebene ereignen und hat eine Schädigung des Körpers und/oder Geistes3 als Folge.

Verbale Gewalt kann in verschiedenen Formen auftreten und Anwendung finden. Innerhalb dieser Forschung sollen zwei Konzepte genauer betrachtet werden. Zum einen soll das Konzept des Gesichtsbedrohenden Akts nach Brown & Levinson untersucht und beschrieben werden. Zum anderen soll erweiternd das Konzept der Verbalen Aggression nach Bonacchi betrachtet werden.

2.2 Pragmalinguistik

Um in die Theorie der Pragmalinguistik näher einzusteigen und eine Begriffsdefinition erstellen zu können, muss zunächst die Pragmalinguistik von der Systemlinguistik unterschieden werden. Diese beiden Theorien lassen Rückschlüsse auf den Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure zu, welcher grundlegende Fundamente zur Analyse der Sprache legte.

Folglich sollen innerhalb dieses Kapitels verschiedene Begriffe, geprägt durch Saussure, ausgeführt werden, um somit eine intensivere Befassung mit der Theorie der System- und der Pragmalinguistik zu ermöglichen.

Auf die Frage ‚Was ist Sprache?‘, lautet die Antwort des französischen Sprachwissenschaftlers: „Die Sprache bildet ein System von Zeichen.“ (Saussure 1967, S. 18). Den Gedanken jedoch, Sprache sei von Natur aus ein Zeichen, prägte schon Aristoteles (vgl. Krämer 2017, S. 20f.). „Das Ingenium Saussures“, so schreibt Sybille Krämer, Professorin für Philosophie, „liegt nicht einfach darin, Sprache als ein Zeichensystem zu bestimmen, sondern dies auf eine Weise zu tun, bei der er von den üblichen zeichentheoretischen Termini der Repräsentation keinen Gebrauch macht.“ (Krämer 2017, S. 21). Des Weiteren und wichtig für die nähere Beschäftigung der Theorie, differenziert Saussure zwischen den Gegenständen Sprache und Sprechen (vgl. ebd.).

2.2.1 Das bilaterale Zeichen

In seinem Werk „Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft“ (1967) definiert der Begründer der allgemeinen Sprachwissenschaft Ferdinand de Saussure den Begriff Sprache als ein Zeichensystem, „in dem einzig die Verbindung von Sinn und Lautzeichen wesentlich ist […]“ (Saussure 1967, S. 18). Dabei wird der Begriff System als eine Menge sprachlicher Einheiten, die in einer geordneten Beziehung zueinanderstehen, verstanden. Die Verbindung von Sinn und Lautzeichen bezeichnet Saussure als „articulus“ (ebd., S. 134). Er beschreibt dies als einen Gedanken, welcher sich in einem Laut festsetzt und „ein Laut das Zeichen des Gedankens wird.“ (ebd.). So lassen sich alle linguistischen Zeichendefinitionen von dem Zeichenmodell Saussures ableiten (vgl. Linke, Nussbaumer & Portmann 2004, S. 30f.). Saussure bestimmt die Zeichenform als signifiant und die Bedeutung des Zeichens als signifié, aber erst die Größen beider Aspekte und die Beziehung zueinander ergeben das sprachliche Zeichen (vgl. Linke, Nussbaumer & Portmann 2004, S. 30f.). So zeigt sich, dass das „signifiant (die Zeichenform) […] ohne das signifié (den Zeicheninhalt, die Bedeutung) eine leere Form [ist].“ (ebd., hinzufüg. F.M.). Statt Zeichenform wird auch häufig der durch Saussure geprägte Terminus Zeichenausdruck verwendet. Saussure beschreibt demnach die Systematik eines bilateralen Zeichens. „Das sprachliche Zeichen ist also etwas im Geist tatsächlich Vorhandenes, das zwei Seiten hat […]“ (Saussure 1967, S. 78). Saussure stellt dies wie folgt dar:

Abbildung 1: Das bilaterale Zeichen - signifié und signifiant

Interessant bezüglich der Forschung dieser Arbeit ist es, eine zweite Darstellung Saussures zu betrachten, welche die psychologischen Eigenschaften der zwei Seiten des Zeichens darstellt:

Abbildung 2: Das bilaterale Zeichen - signifié und signifiant

Die Begriffe concept und image acoustique charakterisieren die psychologischen Eigenschaften der zwei Seiten des Zeichens (vgl. Linke, Nussbaumer & Portmann 2004, S. 31). Während also die Darstellung von signifié und signifiant (Abbildung 1) die Beziehung der Zeichen zueinander abbildet, betont die Darstellung von concept und image acoustique (Abbildung 2) den Sachverhalt, wie das Zeichen im Geiste des Menschen repräsentiert wird. Das signifié (die Bedeutung, der Zeicheninhalt) ist in erster Linie nicht greifbar und schwierig beschreibbar, während das signifiant (der Zeichenausdruck) einfach zu fassen, beliebig realisierbar und in diesen Realisierungen einfach zu beschreiben ist (vgl. Linke, Nussbaumer & Portmann 2004, S. 31). Jedoch ist das signifié Voraussetzung dafür, dass Zeichen ihre Stellvertreterfunktion bezüglich bestimmter Referenzobjekte erfüllen können (vgl. ebd.). Deutlich wird dies anhand des folgenden Beispiels.