Sprachförderung von Kindern und Jugendlichen  mit Migrationshintergrund im Deutschunterricht - Nicole Nette - E-Book

Sprachförderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund im Deutschunterricht E-Book

Nicole Nette

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Beschreibung

Examensarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Didaktik für das Fach Deutsch - Deutsch als Fremdsprache, DaF, Note: 2,5, Universität Leipzig (Institut für Germanistik), Sprache: Deutsch, Abstract: Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Problem der Mehrsprachigkeit im Unterricht, wobei der Schwerpunkt auf der Deutschförderung von Migranten liegt. In diesem Zusammenhang werden Erkenntnisse aus verschiedenen wissenschaftlichen Teildisziplinen aufgegriffen: zum Einen aus der Erst- und Zweitsprachenerwerbsforschung, zum Anderen aus der Allgemeinen Pädagogik und den Fachdidaktiken Deutsch und Deutsch als Zweitsprache. Ziel dieser Arbeit ist es, diese Forschungszweige miteinander in Beziehung zu setzen. Die Arbeit gliedert sich wie folgt: Im ersten Kapitel geht es im Wesentlichen um einen Problemaufriss. Es werden die unterschiedlichen Prozesse des Erst- und Zweitsprachenerwerbs gegenüber gestellt, um daraus allgemeine Konsequenzen und Prinzipien für den Unterricht mit ausländischen Schülern abzuleiten. Anschließend wird aufgezeigt, welche Maßnahmen auf Seiten der Bildungspolitik im schulischen und außerschulischen Bereich zur Sprachförderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund gegenwärtig unternommen wird. Diese allgemeinen Richtlinien werden im dritten Kapitel auf die spezielle Ebene des Deutschunterrichtes angewandt und konkretisiert. Die in diesem Zusammenhang angegebenen Übungsbeispiele dienen lediglich als Anregungen für Deutschlehrer und erheben keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit oder Vollständigkeit. Weitere Übungen finden sich unter den zitierten Literaturangaben.

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Veröffentlichungsjahr: 2007

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Inhaltsangabe

 

Inhaltsangabe

1. Einleitung

2. Entwicklung der deutschen Sprache

2.1. bei deutschen  Schülern

2.1.1. Theorien der Erstsprachenerwerbsforschung

2.1.2. Erwerb der mündlichen Sprache

2.1.3. Erwerb der schriftlichen Sprache

2.2. bei Schülern mit Migrationshintergrund

2.2.1. Theorien der Zweitsprachenerwerbsforschung

2.2.2. Entwicklungsverlauf und Störungen des Zweitsprachenerwerbs

2.2.3. besondere Schwierigkeiten beim Erlernen der deutschen Sprache

2.3. allgemeine Konsequenzen für den Unterricht

3 Schulpolitik in Sachsen

3.1. Gesetzliche Rahmenbedingungen für die Sprachförderung von Migranten

3.2. Lehrplan

3.2.1. Deutsch als Zweitsprache

3.2.2. Eckwertepapier „Sprachliche Bildung für Migranten“

3.3. Außerschulische Förderung

4. Arbeitsvorschläge für den Deutschunterricht

4.1. Förderung der mündlichen Sprachfähigkeit

4.1.1. Aussprache

4.1.2. Sprechanlässe schaffen

4.2. Förderung der Wortschatzentwicklung

4.3.  Förderung des Textverstehens

4.3.1. Erstlesen mit Migrationskindern und -jugendlichen

4.3.2. Lesemotivation

4.3.3. Bewältigungs- und Verstehensstrategien

4.4. Förderung der Schreibkompetenz

4.4.1. Textproduktion

4.4.2. Schreibmotivation

5.  Fazit

6. Literaturliste

Monographien:

Sammelbände:

Zeitschriften:

Internet:

1. Einleitung

 

„Sprache ist eine ausschließlich dem Menschen  eigene, nicht im Instinkt wurzelnde Methode zur Übermittlung von Gedanken, Gefühlen und Wünschen mittels eines Systems von frei geschaffenen Symbolen.“[1]

 

 Als Folge der zunehmenden Globalisierung, dem kontinuierlichen Zusammenwachsen der Märkte, der erleichterten Mobilität über kontinentale Grenzen hinweg, steigt die Zahl der Immigrationen nach Deutschland unaufhörlich. Aufgrund der räumlichen Verlagerung des sozialen Aktionsraumes der Migranten verändern sich jedoch deren Interaktionspartner, welche gegenüber den eigenen Rollenerwartungen und sozialen Umgangsformen meistens völlig konträre Ansichten haben, so dass bekannte Verhaltensmuster an Effizienz einbüßen. Zudem verfügen die wenigsten Ausländer bzw. Aussiedler, die nach Deutschland kommen, über ausreichende Sprachkenntnisse, um sich verständlich zu machen. Infolgedessen ergibt sich für Deutschland ein gesellschaftlicher Integrationsauftrag. Denn damit die sozialen Systeme funktionsfähig bleiben, „muss jedes Mitglied der Gesellschaft ‚Anpassungsleistungen‘ erbringen, sich durch Übernahme institutionalisierter Rollen dem gesellschaftlich gültigen Wertesystem unterordnen“[2]. Im Rahmen des neuen Zuwanderungsgesetzes vom 5. August2004 wurde dieser Anspruch allerdings zu Lasten der pädagogischen Institutionen zu einem Bildungsauftrag umgeformt. D.h. die Schulen müssen den Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund vermitteln, was die Gesellschaft von ihnen erwartet. Eine wesentliche Voraussetzung hierfür ist die Fähigkeit in der Verkehrssprache der neuen Heimat kommunizieren zu können. Damit Integration also überhaupt erst möglich wird, müssen die Zugewanderten zu allererst die deutsche Sprache erwerben.

 

Aus diesem Grund befasst sich die vorliegende Arbeit mit dem Problem der Mehrsprachigkeit im Unterricht, wobei der Schwerpunkt auf der Deutschförderung der Migranten liegt. In diesem Zusammenhang werden Erkenntnisse aus verschiedenen wissenschaftlichen Teildisziplinen aufgegriffen: zum Einen aus der Erst- und Zweitsprachenerwerbsforschung, zum Anderen aus der Allgemeinen Pädagogik und den Fachdidaktiken Deutsch und Deutsch als Zweitsprache. Ziel dieser Arbeit ist es, diese Forschungszweige miteinander in Beziehung zu setzen. Konkret bedeutet das: aus den Ergebnissen der Spracherwerbsforschung sollen Konsequenzen für die Unterrichtspraxis abgeleitet werden, unter fachdidaktischen Gesichtspunkten beleuchtet und mit konkreten methodischen Beispielen untermauert werden.

 

Die Motivation für diese Arbeit ergab sich aus meiner zweijährigen Tätigkeit als Förderlehrerin für Migrationskinder im Rahmen des Projektes „Zur Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund“, welches von der Mercator-Stiftung finanziell unterstützt und in Kooperation des Regionalschulamtes Leipzig und der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig durchgeführt wurde. Ebenso beeinflusst haben mich meine Erfahrungen aus den Schulpraktischen Übungen sowie aus den verschiedenen Unterrichtspraktika. Denn bei meinen Hospitationen musste ich leider oft feststellen, dass die bilingualen Schüler in die letzten Bankreihen „verbannt“ und nur selten aktiv in das Unterrichtsgeschehen eingebunden wurden. Viele Lehrer fühlen sich von der Aufgabe der individuellen Sprachförderung und der stärkeren Differenzierung überfordert. Einige vertreten auch die Meinung, dass es sinnlos wäre sich um die Zweitsprachenlerner zu kümmern, da sie die Arbeitsanweisung sowieso nicht verstünden. Diesem Vorurteil werden die in dieser Arbeit aufgeführten Praxisbeispiele entgegengehalten. Bereits kleine Übungen am Stundenanfang, an denen alle Schüler der Klasse teilnehmen können, ermöglichen es, die Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund einzubeziehen und zu fördern. 

 

Die Arbeit gliedert sich wie folgt: Im ersten Kapitel geht es im Wesentlichen um einen Problemaufriss. Es werden die unterschiedlichen Prozesse des Erst- und Zweitsprachenerwerbs gegenüber gestellt, um daraus allgemeine Konsequenzen und Prinzipien für den Unterricht mit ausländischen Schülern abzuleiten. Anschließend wird aufgezeigt, welche Maßnahmen auf Seiten der Bildungspolitik im schulischen und außerschulischen Bereich zur Sprachförderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund gegenwärtig unternommen wird. Da ich mein Studium im Freistaat Sachsen absolviert habe, soll dieses Bundesland dafür exemplarisch herangezogen werden.

 

 Diese allgemeinen Richtlinien werden im dritten Kapitel auf die spezielle Ebene des Deutschunterrichtes angewandt und konkretisiert. Die in diesem Zusammenhang angegebenen Übungsbeispiele dienen lediglich als Anregungen für Deutschlehrer und erheben keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit oder Vollständigkeit. Weitere Übungen finden sich unter den zitierten Literaturangaben.

 

2. Entwicklung der deutschen Sprache

 

Es ist eine Tatsache, dass ein „Kind, das unter normalen Bedingungen aufwächst, […] sich im Verlaufe weniger Jahre die Sprache seiner Umgebung"[3] aneignet. Voraussetzung dafür ist eine gewisse kognitive Entwicklung, damit das Kind die erforderlichen Konzentrations- und Lernleistungen überhaupt erbringen kann. Ebenso steht die Bedeutung der anatomischen Entwicklung von Hörorgan, Kehlkopf, Atmungs- und Sprechorganen außer Frage.[4] Aber wie läuft die Sprachentwicklung bei Kindern konkret ab? Diese Frage konnte die Forschung, obwohl die Palette der Erklärungsversuche groß ist, bis heute nicht zufrieden stellend klären. Denn die verschiedenen Theorien greifen meist einen speziellen Aspekt der Sprachentwicklung heraus und beleuchten diesen näher. Aufgrund dessen kann das folgende Kapitel lediglich den Versuch unternehmen die stark fokussierenden Ansätze im Sinne eines integrativen Gesamtkonzeptes[5] miteinander zu verknüpfen.

 

Zu differenzieren ist jedoch zwischen den Entwicklungsprozessen der Erstsprache und der Zweitsprache.[6] Die Erstsprache bezeichnet die erstmalige, unbewusste und beiläufige Aneignung sprachlicher Fertigkeiten eines Kindes. In der Literatur wird hierfür auch der Begriff des Spracherwerbs verwendet. Der Terminus Erstsprache bezieht sich folglich im Rahmen der Betrachtungen für die deutsche Sprache auf den Entwicklungsprozess bei deutsch-stämmigen Kindern. Der Terminus Zweitsprache dagegen fasst sämtliche sprachlichen Aneignungsprozesse, die parallel oder im Anschluss an den Erstspracherwerb erfolgen, zusammen. Demzufolge handelt es sich hierbei um das Lernen von Sprache, also im Sinne eines bewussten, systematischen, zielorientierten und gesteuerten Prozesses. Für deutsche Kinder wäre das beispielsweise das Erlernen einer fremden Sprache wie Englisch, Französisch, Russisch oder Latein im Unterricht. Da in dieser Arbeit ausschließlich die Aneignung der deutschen Sprache betrachtet wird, bezieht sich der Begriff Zweitsprache auf die Sprachentwicklung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, welche in ihrer Heimat bereits eine Erstsprache erworben haben und infolge einer „räumliche[n] Verlagerung des Lebensschwerpunktes“[7] nach Deutschland eine neue Sprache für die alltägliche, öffentliche Kommunikation erlernen müssen, um sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden und mitteilen zu können.

 

2.1. bei deutschen  Schülern

 

2.1.1. Theorien der Erstsprachenerwerbsforschung

 

Zur Erklärung des Erstspracherwerbs stehen gegenwärtig vier theoretische Ansätze zur Verfügung: die behavioristische, die nativistische, die kognitivistische und die interaktionistische Perspektive.

 

Behaviorismus: Beim behavioristischen Ansatz handelt es sich um eine wissenschaftstheoretische Richtung, die davon ausgeht, dass Sprache auf die gleiche Weise wie Verhalten angeeignet wird. Dabei wird das Gehirn als „Black Box“ bezeichnet, da die innerpsychischen Vorgänge nicht beobachtbar sind und somit keinerlei naturwissenschaftliche Methoden zur Beschreibung herangezogen werden können. Entscheidend für dieses Erklärungsmodell ist einzig der Zusammenhang zwischen Input (einwirkendem Reiz) und Output (Reaktion, Verhaltensweise), d.h. aufgrund der Darbietung eines bestimmten Reizes wird ein bestimmtes Verhalten gezeigt.[8] Sprachentwicklung erfolgt demzufolge durch die „Nachahmung sprachlicher Vorbilder und der selektiven Verstärkung der richtigen Sprachformen“[9].

 

Problematisch an diesem Ansatz ist, dass er den Eindruck erweckt, das Kind sei ein passives Wesen, welches keinen Einfluss auf den Entwicklungsprozess hat. Die Reaktionen des Kindes werden als automatisiert dargestellt und die kognitiven Leistungen[10] des Kindes, wie Aufmerksamkeits- und Konzentrationsleistungen, bleiben völlig unberücksichtigt. Darüber hinaus werden die Kodierungs- und Enkodierungsleistungen, die das Kind zur Verarbeitung von auditiven Informationen erbringen muss, komplett vernachlässigt, ebenso wie die Leistung des Abrufens verbaler Informationen, um sich überhaupt artikulieren zu können. Deshalb stößt das Modell unweigerlich an seine Grenzen, wenn es beispielsweise darum geht zu erklären, weshalb Kinder in der Lage sind, Sätze zu bilden, für die sie keine Vorbilder besitzen. Sätze, die sie in der Form, nie zuvor gehört haben.  

 

Nativismus: Die nativistische Auffassung bildet gewissermaßen das Gegenstück zum Behaviorismus. Sie versteht die Sprachentwicklung nicht als Lern-, sondern als Reifeprozess auf der Grundlage angeborener Fähigkeiten und Wissensbestände. Demnach kommt der Mensch bereits mit bestimmten kognitiven Modellen zur Struktur der Sprache und zum Spracherwerb auf die Welt, so genannten sprachlichen Universalien.[11] Das Kind wird daher nicht als passives, sondern als spezialisiertes Wesen verstanden.[12]

 

Das Hauptargument der Nativisten beruht auf der Behauptung von Noam Chomsky, dass es ohne die Kenntnis derartiger Modelle schlichtweg unmöglich wäre die Sprache mit all ihrer Formenvielfalt zu erlernen.[13] Wie alles Lernen benötigt auch die Sprachentwicklung eine Grundlage, auf der sie neue Konzepte ausbilden und weiterentwickeln kann. So lassen sich beispielsweise auch oben beschriebene Phänomene erklären, bei denen der behavioristische Ansatz versagt:  Die sprachlichen Informationen, die Kinder aus ihrer Umwelt aufnehmen, können aufgrund der Komplexität von Sprache lediglich exemplarischen Charakter besitzen. Aufgrund der angeborenen Kenntnisse jedoch gelingt es Kindern sich aus diesen Beispieläußerungen die Grammatik ihrer Erstsprache abzuleiten. Folglich ist „jedes sprechende Individuum fähig […], eine unendliche Anzahl von Sätzen zu produzieren und zu verstehen.“[14]  

 

Allerdings nutzt jedes Kind dieses Potential auf unterschiedliche Weise. Denn jedes Kind entwickelt einen eigenen Sinn für das Machbare und die Relation zwischen sprachlichem Ausdruck und semantischem Inhalt. Daher realisiert kein Kind die gleiche sprachliche Variante, wie es ein anderes Kind in der gleichen kommunikativen Situation machen würde. Diese interindividuellen Unterschiede, welche sich durch die Anpassung an die jeweils spezifischen Erfahrungskontexte der Kinder ergeben, lassen sich jedoch mithilfe des nativistischen Ansatzes nicht erklären.[15] Ebenso wenig liefert dieser Ansatz eine akzeptable Erklärung für den funktionellen Aspekt des Entwicklungsprozesses. Wie läuft die Herleitung der Grammatik ab? Welche Mechanismen und Strategien kommen dabei zur Anwendung?

 

Kognitivismus: Der kognitivistische Ansatz geht auf die entwicklungspsychologische Theorie von Jean Piaget zurück, nach welcher „die Sprachentwicklung als ein Teil der allgemeinen kognitiven Entwicklung“[16] angesehen wird. Sämtliche kognitiven Entwicklungen werden dabei als kontinuierliche, phasisch verlaufende Vorgänge verstanden, welche durch angeborene Strukturen gelenkt werden. Auf jeder Entwicklungsstufe erwirbt das Kind neue Erkenntnisse über sich und die Welt. Den Ausgangspunkt bildet der Erwerb von allgemeinen Konzepten und elementaren Formen von Begriffen mittels der sensorischen und motorischen Interaktion mit der Umwelt. Demzufolge sind Wahrnehmung und Bewegung die wesentlichen Voraussetzungen für einen erfolgreichen Spracherwerb, wobei die wechselseitigen Beziehungen zwischen Sprache und Denken nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Denn der Aufbau und die Modifikation von Wissensstrukturen werden durch Sprache gefördert und reguliert. Umgekehrt ist ohne ein differenziertes Wissen kein Ausbau sprachlicher Fähigkeiten möglich, weshalb der Spracherwerb die höchste Stufe der kognitiven Entwicklung darstellt. Folglich „ist das Kind ein konstruktiv vorgehendes, intelligentes Wesen“[17], das aufgrund eigener Erfahrungen selbstständig Zusammenhänge herstellt.

 

Trotzdem ist diese Stufenkonzeption äußerst umstritten, da sie plötzliche Übergänge zwischen den einzelnen Phasen und eine invariante Reihenfolge der Entwicklungsstufen impliziert, was keinesfalls der realen Situation entspricht. Meistens ist ein Schwanken zwischen zwei Phasen zu beobachten. Zudem existieren beträchtliche interindividuelle und interkulturelle Unterschiede, die in diesem Ansatz keine Berücksichtigung finden.[18] 

 

Interaktionismus: Der Interaktionismus basiert auf der Handlungstheorie[19] und der Sprechakttheorie[20], wonach Sprache als eine Form des Handels in kommunikativen Kontexten verstanden wird. Das bedeutet, dass Spracherwerb sich stets in situativen und kommunikativen Handlungszusammenhängen vollzieht. Den Ausgangspunkt bildet bei diesem Ansatz die nonverbale Interaktion zwischen Mutter und Säugling. Durch die Interpretation der Schreie und Lautäußerungen ihres Kindes werden Mütter zu bestimmten Handlungen veranlasst. „Die Mutter handelt dabei von Anfang an sprachlich und wird so zur Sprachlehrerin ihres Kindes“[21]. Das Kind wiederum reagiert mittels Mimik und Gestik auf das Verhalten der Mutter. Mit zunehmender, kognitiver Entwicklung auch mittels verbaler Äußerungen. So werden die Regeln der Kommunikation und Sprache schrittweise zwischen den interagierenden Personen ausgetauscht und soziale Beziehungen zwischen ihnen aufgebaut.

 

Zu kritisieren an diesem Erklärungsversuch ist, dass er Sprache hauptsächlich als Instrument zur Herstellung sozialer Beziehungen versteht und somit vor allem die Motive beschreibt, welche dem Spracherwerb zugrunde liegen, nicht aber den inneren Aufbau des Spracherwerbs.

 

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass jede Theorie zwar einerseits einen wichtigen Aspekt des Spracherwerbs beleuchtet, andererseits aber auch wesentliche Punkte unberücksichtigt lässt. Wie die verschiedenen Ansätze und Kritikpunkte zeigen, ist Spracherwerb ein vielschichtiger Prozess, der durch biologische, kognitive, emotionale, individuelle, kontextuelle und kulturelle Faktoren gleichermaßen beeinflusst wird. Um den Entwicklungsprozess folglich umfassend beschreiben und erklären zu können, müssen alle Theorien in die Betrachtungen einfließen.

 

2.1.2. Erwerb der mündlichen Sprache