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Die Kriegspropaganda war einer der wichtigsten Machtpfeiler des NS-Regimes. Sie entfaltete eine bis heute kaum erreichte suggestive Kraft. Hitler und seine Gefolgsleute bewegten die Massen mit ihrer nationalsozialistischen Rhetorik und bedienten sich dazu erfolgreich aller damaligen medialen Kanäle. Der vorliegende Band beschäftigt sich mit den Funktionsweisen des nationalsozialistischen Propagandaapparates, seinem Aufbau und der Wirkung, die er im Dritten Reich erzielte. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Kino- und Rundfunkpropaganda. Aus dem Inhalt: Aufbau des Propagandaapparates Funktionsweise des Propagandaapparats im Krieg Wirkung und Erfolg Rundfunkpropaganda Audiovisuelle Propaganda
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Seitenzahl: 384
Veröffentlichungsjahr: 2014
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Verführer des Volkes: Propaganda im 2. Weltkrieg
Aufbau, Funktion und Wirkung der NS-Propaganda während des 2. Weltkrieges von Nicole Nette
Einleitung
Aufbau des Propagandaapparats
Funktionsweise des Propagandaapparats im Krieg
Wirkungsweise und Erfolg des Propagandaapparats
Fazit – Einschätzung
Literatur
Der Tod im Krieg fürs Vaterland: Der Umgang der nationalsozialistischen Propaganda mit dem Soldatentod im 2. Weltkrieg von Daniel Heisig
Einleitung
Hinführung
Der Nationalsozialismus als politische Ersatzreligion
Der Tod als Gefahr für das politische Kollektiv des NS
Der Soldatentod in der Wehrmacht des Zweiten Weltkrieges
Kenntnisnahme und –stand über den Soldatentod bei der NS-Führung
Nationalsozialistische Propagandaformen
Stalingrad als Bruchstelle nationalsozialistischer Mythen
Fazit
Anhang: Todesanzeigen aus „Das schwarze Korps“ vom 19.10.1944
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Propaganda Audiovisuell. Nationalsozialistische Propaganda in Film- und Wochenschau von Karin Aldinger
Einleitung
Der Stand der Forschung und aktuelle Tendenzen
Quellenlage und Kritik
Organisation des Filmwesens im Dritten Reich
Das Kino
Die thematische Ausrichtung des Films
Dokumentar- und Kulturfilm
Die Wochenschau
Zusammenfassung
Literatur
Der Zweite Weltkrieg als Rundfunkkrieg von Johannes Kaufmann
Vorwort
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
Der Begriff der Propaganda
Krieg im Äther
Erwartete Ergebnisse
Die Organisation der Rundfunkpropaganda in Deutschland und Großbritannien
Neuausrichtung des deutschen Rundfunks im März 1937
Die Generalbevollmächtigten Hinkel und Fritzsche
Propagandastrategien im Kampf um deutsche Hörer
Glaubwürdigkeit als wichtigster Wirkungsfaktor – Die Maximen des Deutschen Dienstes der BBC
Einfach die Fakten sprechen lassen? – Chancen und Probleme des Deutschen Dienstes in einem erfolgreichen Krieg
Hypnotische Verführung oder Anpassung an den Volkswillen? – Die Rolle des Hörers zwischen ‚Reflexamöbe‘ und aktivem Mitgestalter des Rundfunks im Zweiten Weltkrieg
Vergleichende Zusammenfassung und Schlussbemerkung
Literaturverzeichnis
2006
Es ist unumstritten, dass die Propaganda, wegen ihrer ungeheuerlichen suggestiven Kraft, eine der wichtigsten Machtpfeiler des NS-Regimes darstellte. Etliche wissenschaftliche Arbeiten befassen sich mit dem Führerprinzip und -mythos, dessen Erhalt oberstes Ziel dieser Propaganda war. Denn ohne Hitler als personifizierte Staatsgewalt wäre die gesamte NS-Ideologie nicht haltbar gewesen. Allerdings liegt der Schwerpunkt dieser Arbeiten meistens auf der Machtergreifung sowie der Vorbereitung des Krieges. Zudem setzen sich die Arbeiten häufig mit einem konkreten Phänomen der Propaganda auseinander, wie beispielsweise dem Rundfunk oder Film als Mittel der Propaganda. Die Rolle der NS-Propaganda während des 2. Weltkrieges scheint mir dagegen eher stiefmütterlich behandelt worden zu sein. Ganz gleich, ob man nun nach allgemeinen Überblickswerken zu diesem Thema oder detaillierten Diskursen sucht.
Aus diesem Grund wird diese Arbeit einen knappen Überblick zur NS-Propaganda während des 2. Weltkrieges geben, d.h. sie informiert über den allgemeinen Aufbau des Propagandaapparates im nationalsozialistischen Deutschland, über dessen Funktionsweise und über dessen Wirkung und Erfolg bzw. Misserfolg. Dabei gilt das besondere Augemerk stets der Zeit von 1939 bis 1945, sodass Machtergreifung und Mobilmachung weitestgehend ausgeklammert werden.
Diesem Grundgedanken entsprechend gliedert sich die Arbeit in drei große Abschnitte. Erstens dem Aufbau, zweitens der Funktionsweise und drittens der Wirkung. Die Erläuterungen zum Aufbau stellen dabei den seitenmäßig umfangsreichsten Teil dar, weil sie die Grundlage für die darauf folgenden Schilderungen bilden. Aufgrund des vorgegebenen Rahmens dieser Arbeit, kann verständlicher Weise nicht auf jede propagandistische Einrichtung eingegangen werden. Als Auswahlkriterium dient daher wiederum die Relevanz der Abteilungen für die Propagandapolitik während des Krieges, also inwiefern gab es strukturelle Veränderung seit Beginn des Krieges oder kriegsbedingte Erweiterungen von Aufgabenbereichen. Im zweiten Teil werden dann die wesentlichen Bereiche der Kriegspropaganda aufgegriffen, jedoch – mit Blick auf den Umfang – ohne detaillierte Angaben zu Methoden und verwendeten Mittel. Und schließlich im dritten Abschnitt folgt ein knappes Resümee über den Erfolg der NS-Propaganda während des Krieges.
Demnach kann diese Arbeit letztlich nur als Schlaglicht zur Thematik dienen und zur vertiefenden Recherche anregen.
Am 13. März 1933[1] wurde das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda[2] gegründet, dessen zentrale Aufgaben in „der Aufklärung und Propaganda unter der Bevölkerung über die Politik der Reichsregierung und den nationalen Wiederaufbau des deutschen Vaterlandes“[3] bestanden. In der „Führer-Verordnung“ vom 30. Juni 1933[4] wurden die Zuständigkeiten des Propagandaministeriums – wenn auch gegenüber anderen Behörden unzureichend abgegrenzt[5] – festgelegt. Das Propagandaministerium sollte „alle Aufgaben der geistigen Einwirkung auf die Nation, der Werbung für den Staat, Kultur und Wirtschaft, der Unterrichtung der in- und ausländischen Öffentlichkeit über sie und der Verwaltung aller diesen Zwecken dienenden Einrichtungen“[6] übernehmen, um die Bevölkerung für die Kriegspläne Hitlers zu begeistern und zu mobilisieren. Aufgrund dessen wurden die gesamten Geschäftsbereiche der Reichsministerien umstrukturiert. Das Reichsinnenministerium gab beispielsweise die Sachgebiete für Innenpolitische Aufklärung, für Staatsfeiertage und alle Kunstangelegenheiten ab. Vom Reichswirtschafts- und Reichsernährungsministerium wurden Wirtschaftswerbung, Ausstellungs-, Messe- und Reklamewesen dem RMVP eingegliedert. Das Reichspost- und Reichsverkehrsministerium mussten sich von der Abteilung für Verkehrswerbung trennen. Aber die meisten Einschränkungen erfuhr das Auswärtige Amt, aus welchem das Nachrichtenwesen, die Auslandsinformationen sowie alle Kunst und Sport im Ausland betreffenden Sachgebiete herausgelöst wurden.[7] Zum Leiter all dieser Aufgabenbereiche machte Hitler Joseph Goebbels[8], nach dessen Plänen eben jener strukturelle Aufbau des RMVP vorgenommen wurde und unter dessen Regie die Propaganda zur tragenden Säule der NS-Herrschaft wurde. Goebbels kannte keine moralischen Tabus – es war alles erlaubt, was zum Erfolg führte, d.h. zur Illusionierung der Volksmassen, zur Werbung von Anhängern und zur Vernichtung wirklicher und potentieller Gegner diente.[9]
Bei seiner Gründung bestand das RMVP aus 6 großen Abteilungen: Rundfunk, Presse, Film, Propaganda, Theater und Verwaltung, „zu denen sich als siebte schließlich die … ‚Lügenabwehr‘ gesellte.“[10] Zum Zwecke der vollen Kontrolle des enormen Tätigkeitsbereiches musste das Ministerium mehrfach umstrukturiert werden, so dass 1935 bereits 9 Abteilungen erforderlich waren und 1941 mit 17 das größte Ausmaß annahm.[11] Für die Propaganda im Krieg waren folgende Bereiche ausschlaggebend: die Propagandaabteilung, die Auslandsabteilung, die Abteilung Deutsche Presse, die Abteilung Auslandspresse und die Rundfunkabteilung.
Propagandaabteilung
Die Propagandaabteilung deckte im RMVP den größten Aufgabenbereich ab, da sie „auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens“[12] tätig wurde. Sie war das Bindeglied zwischen den verschiedenen Aufgabenbereichen, denn ohne die Beteiligung dieser Abteilung konnte keinerlei propagandistische Aktion durchgeführt werden. Die Propagandaabteilung „plante die Durchführung, leitete diese in die Wege und lenkte beziehungsweise überwachte die … Propagandakampagnen“[13]. Darüber hinaus unterstand ihr das Referat für „Propagandaerkundung“, welches für die Beschaffung und Auswertung von Informationen zur Volksstimmung zuständig war, um mögliches Gefahrenpotential und Unruheherde in der Bevölkerung ausfindig zu machen und entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. In wöchentlichen Berichten wurde Goebbels über die Lage und Stimmung des Volkes informiert.[14]
Mit dem Kriegsbeginn wuchs die Bedeutung der „Volkstumspropaganda“ zusätzlich, da „die Zahl der im Reich beschäftigten Angehörigen fremder Nationalitäten ständig im Steigen begriffen war.“[15] Daher mussten Maßnahmen ergriffen werden, welche das Vermischen der „reichsdeutschen“ Bevölkerung mit den assimilierten Angehörigen des Reiches verhinderten. Eben ganz im Sinne der Rassentrennung.
Ebenso von besonderer Bedeutung für die Propaganda im Krieg wurde „das der Propagandaabteilung nachgeordnete Propaganda-Atelier“[16], da es u.a. für die Herstellung und Verbreitung von Flugblättern verantwortlich war, welche sich gegen den Kriegsfeind richteten.
Auslandsabteilung
Die Auslandabteilung übernahm „vor allem koordinierende Aufgaben“ und war „für die einheitliche Ausrichtung der gesamten auslandspropagandistischen Tätigkeit“ zuständig.[17] Konkret festgeschrieben wurden die Aufgaben im Erlass vom 4. Mai 1940, wonach die Abteilung an sämtlichen Angelegenheiten die Auslandspropaganda betreffend aktiv mitzuwirken hatte, wie beispielsweise an den Rundfunksendungen im und für das Ausland.[18] Dadurch wurde eine enge Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen des RMVPs und allen außerhalb des Ministeriums existierenden Propagandaeinrichtungen[19] notwendig.
Das vorrangige Ziel der Auslandspropaganda bestand darin „die eroberten Länder und das verbündete wie neutrale Ausland … von der deutschen Überlegenheit wie von der Genialität der deutschen Führung zu überzeugen.“[20] Gerade in Kriegszeiten, da das Ansehen des deutschen Reiches durch Euthanasie und Judenverfolgung zusehends sank, war die Auslandsabteilung zur Unterstützung und Verwirklichung der nationalsozialistischen Kriegsziele unentbehrlich.
Abteilung Deutsche Presse[21]
„Als wichtigste Bedingung für … [die] geistige Mobilmachung sah … Hitler ... die Erzeugung einer einheitlichen Grundhaltung der Bevölkerung an, die die Bereitschaft, sich jederzeit für die Ziele der Staatsführung einsetzen zu lassen, einschloß“[22], was über die staatliche Kontrolle und Lenkung aller Publikationsmedien gewährleistet werden sollte. Daher war die Abteilung Deutsche Presse für die einheitliche Ausrichtung und Überwachung des Pressewesens im Inland zuständig und somit oberste Instanz des Zensurwesens im Reich. Auf täglichen Pressekonferenzen[23] wurde den deutschen Zeitungen und Verlagen mitgeteilt, welche Informationen an das deutsche Volk herausgegeben werden durften und in welcher Weise dies zu geschehen hatte. Nicht allein das geschriebene Wort wurde vorgegeben, sondern genauso das zu veröffentlichende Bildmaterial.[24] Des Weiteren entwickelte die Abteilung Gegenmaßnahmen zur Feindpropaganda, welche beispielsweise in Form von Flugblättern oder Rundfunk nach Deutschland gelangt war.[25]
Zur Kontrolle wurden beispielsweise die Referate „Politische Zensur“ und „Pressebeobachtung“ eingerichtet, welche anhand von Zeitungsausschnitten prüften, ob „Aufmachung, Form und Inhalt der deutschen Presseberichterstattung“[26] den Vorgaben entsprachen. Darüber hinaus war der „Reichsverband der deutschen Presse“ unmittelbar der Abteilung Deutsche Presse unterstellt, wodurch auf alle Personalfragen im Bereich des Journalismus Einfluss genommen werden konnte.[27]
Im Krieg fiel der deutschen Presse die Aufgabe zu, „den Krieg jedem Volksgenossen zu seiner Sache [zu] machen und darüber hinaus in alle Welt aus[zu]strahlen“[28], um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken und eine Wiederholung der Dolchstoßlegende zu verhindern.
Abteilung Auslandspresse
Analog zur Abteilung Deutsche Presse bestanden die Aufgaben der Abteilung Auslandspresse in der Kontrolle und Lenkung der ausländischen Publikationen. Vorraussetzung hierfür war zum einen die Versorgung der Auslandskorrespondenten mit wesentlichen Informationen über die NS-Führung und zum anderen „die genaue Beobachtung und Analyse der Weltpublizistik und ihrer Tendenzen“[29]. Darüber hinaus war diese Abteilung für die Organisation der Reisen von deutschen Auslandsjournalisten an die Front zuständig.[30]
Während des Krieges erfuhr die „Verbreitung deutscher Nachrichten in der Welt“[31] eine besondere Förderung durch das RMVP. Schließlich galt es einerseits die Nachrichten- und Pressedienste der annektierten Gebiete gleichzuschalten und andererseits „den Gegner über [die] wahren Absichten zu täuschen“[32].
Rundfunkabteilung
„Die Rundfunkabteilung des Propagandaministeriums war als die Befehlszentrale des Deutschen Rundfunks für die langfristige Programmplanung, die Festlegung des Anteils politischer und kultureller, belehrender und unterhaltender Sendungen am Programm und die Koordination des Einsatzes der Sender bei politischen Veranstaltungen zuständig.“[33] Genauso wie die Presse erhielt auch der Rundfunk seine täglichen Direktiven vom RMVP.[34]
Während des Krieges gewann der Rundfunk in vielerlei Hinsicht an Bedeutung. Vor allem das Referat „Rundfunk-Erkundung“ wurde fortlaufend ausgebaut, um die ausländischen Sendungen genauestens registrieren und untersuchen zu können, wobei stets die neuesten Methoden und Entwicklungen der gegnerischen Propaganda sowie deren Auswirkungen auf das deutsche Volk im Mittelpunkt standen. Denn „die genaue Analyse der gegnerischen Rundfunksendungen sollte alsbald zur wichtigsten Grundlage für die gesamte deutsche Auslandspropaganda werden.“[35] Infolge dessen nahm auch das Referat für Auslandsrundfunk eine entscheidende Rolle ein, dessen vorrangige Aufgabe in der Sicherung des Rundfunkmonopols für Deutschland in ganz Europa bestand.[36] Darüber hinaus wurde der Rundfunk weiter zur Mobilisierung des eigenen Volkes eingesetzt, was über das sogenannte „Mobilmachungsreferat“ in enger Zusammenarbeit mit der Wehrmacht erfolgte. Ab Juni 1940 sendete der Rundfunk letztlich sogar ein kriegsbedingtes Einheitsprogramm.[37] Des Weiteren wurden „Geheim-Sender“ eingerichtet, die sich niemals als deutsche Sender outen durften, da ihre Aufgabe in der Demoralisierung des Feindes bestand.[38]
Propagandaämter
Die Reichspropagandaämter waren die Außenstellen des RMVP, d.h. in jedem Gau wurden Reichsbehörden errichtet, welche für die Verbreitung und Durchführung der im RMVP getroffenen politischen Entscheidung Vorort sorgte. Dementsprechend wurde der strukturelle Aufbau der Propagandaämter nach dem Vorbild des RMVP vorgenommen.[39]
Während des Krieges nahm die Zahl der Mitarbeiter gewaltig an, da der Verwaltungs- und Durchführungsaufwand zusehends anstieg. Zudem wurde das Reichspropagandaamt Ausland gegründet, welches für die Propaganda unter den im Ausland lebenden Reichsdeutschen verantwortlich war.[40]
Am 27. September 1938 wurde vom Oberkommando der Wehrmacht[41] eine Vereinbarung über die „Grundsätze für die Propaganda im Kriege“ herausgegeben, worin die Propaganda als politisches Kampfmittel im Krieg definiert wird.[42] „Im Dienst der Wehrmacht wird die Propaganda eingesetzt:
1. zur Erhaltung der Opferbereitschaft und der geschlossenen Wehrwilligkeit des eigenen Volkes
2. zur Aufklärung über die da Leben des eigenen Volkes beeinflussenden militärischen Maßnahmen
3. zur Überwindung von Unruhe und Erregungen im Volke, die durch feindliche Einwirkung auf das Heimatgebiet hervorgerufen werden
4. zur Tarnung, Verschleierung und Irreführung eigener militärischer Absichten dem Auslande gegenüber.“[43]
Demzufolge war die Zusammenarbeit zwischen Wehrmacht und RMVP für eine wirkungsvolle Propagandakriegsführung unerlässlich, wobei das OKW für „die Übereinstimmung des Propagandakrieges mit dem Waffenkrieg“[44] zuständig war, während das RMVP sicherzustellen hatte, dass die entsprechende propagandistische Wirkung auch erzielt wurde.[45] Aufgrund dessen wurde zur besseren Kommunikation zwischen beiden Behörden das Referat „Reichsverteidigung“ beim RMVP eingerichtet, über welches der Informations- und Weisungsaustausch erfolgte.[46] Im Mittelpunkt der Kooperation standen dabei die Bereiche der Kriegsberichterstattung und die Zensur, sowie die propagandistische Truppenbetreuung.
Truppenbetreuung
Bereits Ende 1939 wurde das Sonderreferat „Truppenbetreuung“ im RMVP eingerichtet, welches gemeinsam mit der Truppenführung des OKW für die geistige Betreuung der Truppen zuständig war. Dabei sorgte das RMVP für die Bereitstellung des „Betreuungsstoff“ wie Schriften, Ton- und Bildmaterial für Vorträge oder zur Durchführung von Veranstaltungen wie Theater, Film, Musik usw. Die Freizeitbewegung der Nationalsozialisten „Kraft durch Freude“[47] übernahm die Organisation und konkrete Umsetzung der Propagandaveranstaltungen, deren vorrangiges Ziel stets die „Aufrechterhaltung der seelischen Kampfbereitschaft und des Siegeswillen der Truppen“[48] war.
Eine Ausnahme stellte jedoch die Luftwaffe dar, da sich diese selbstständig um die Betreuung ihrer Truppen kümmerte und sich nicht der Vereinbarung zwischen OKW und RMVP anschloss.[49]
Zensurwesen
Für den ordnungsgemäßen Ablauf der Zensur war die Zusammenarbeit zwischen Wehrmacht und RMVP eine wesentliche Vorraussetzung, da die politische Zensur ins Aufgabengebiet des RMVP fiel und die militärische in jenes der Wehrmacht.[50] So hatte es für die Wehrmachtzensur oberste Priorität: „jede Bekanntgabe zu verhindern, aus der der Feind Nutzen oder Rückschlüsse auf die Durchführung, Vorbereitung oder Auswirkung militärischer Operationen ziehen“[51] könne. Für das RMVP war jedoch ausschlaggebend, dass die Zensur mit größtmöglicher Schnelligkeit durchgeführt wurde, damit die Veröffentlichungen ihren propagandistischen Zweck erreichen und die Glaubwürdigkeit in die eigene Nachrichtengebung gewahrt werden konnte, indem man der Feindpropaganda eben zuvorkam.[52] Allerdings ließen sich diese beiden Grundsätze nicht immer miteinander vereinbaren. Beispielsweise verzögerte sich die Veröffentlichung von Material häufig aufgrund der strengen militärischen Zensur, welche wiederum erforderlich war, da das RVMP – nach Ansicht der Wehrmacht – den Kriegsberichterstattern zu große Freiräume ließ.[53]
Kriegsberichterstatter
Die Idee der Kriegsberichterstatter-Einheiten entwickelte Goebbels bereits 1936, damals noch im Sinne von zivilen Berichterstattern. Seiner Meinung waren solche Trupps unter staatlicher Aufsicht erforderlich, um allzu grausame Aufnahmen wie sie im ersten Weltkrieg gezeigt wurden zu vermeiden. „Szenen, wie sich Massen von Infanteristen im Sturmangriff in das mörderische Trommelfeuer stürzen, wie die Artillerieeinschläge mitten in die Menschenmassen hineinhauen, wie … Tanks (Panzer) auf sie zurasen und sie überrollen, wie Flammenwerfer ihren tödlichen Feuerstrahl auf sie richten und sie in Sekunden zu unförmigen, verkohlten Klumpen zusammenschmelzen.“[54] Die Wehrmacht befürwortete zwar die Einrichtung solcher Trupps, bestand allerdings auf deren militärischen Eingliederung.[55] Am 3. Mai 1938 wurde mittels der „Richtlinien für die Zusammenarbeit zwischen Wehrmacht und RMVP in Fragen der Kriegspropaganda“[56] in Bezug auf die militärische Truppenform eine Entscheidung zugunsten der Wehrmacht getroffen. Fortan handelte es sich nicht mehr um zivile Journalisten, Fotografen, Kameramänner und Rundfunkreporter, sondern um Soldaten. Eine eigene Waffengattung mit eigener Waffenfarbe.[57] Dennoch besaß das RMVP immer noch grundlegenden Einfluss auf die personelle Besetzung[58], die technische Ausrüstung und die propagandistische Lenkung der Kriegsberichterstatter.[59] Als Armeetruppen – Angehörige aller Wehrmachtsgattungen – waren die Propaganda-Kompanien[60] unmittelbar den betreffenden Armee-Oberkommandos unterstellt, d.h. den Generalkommandos des Heeres.[61] Dabei kämpften die Kriegsberichterstatter stets in der ersten Reihe mit.[62] Dies belegt auch die Statistik eindeutig: „etwa 30 Prozent aller PK-Männer ... sind gefallen … was ungefähr den Verlusten der Infanterie entspricht.“[63]
Generell besaßen die Propaganda-Kompanien drei wesentliche Aufgabenfelder: erstens die „Heimatpropaganda“ zur Mobilmachung der eigenen Bevölkerung und deren Überzeugung von der Sache, zweitens die „Frontpropaganda“ zur Unterstützung der Truppenführer bei der „geistigen Betreuung“ der eigenen Truppe sowie der Bevölkerung im Kampfgebiet und drittens die „Feindpropaganda“ zur Demoralisierung des Feindes durch Flugblätter, Grabenlautsprecher und Rundfunk.[64]
Kriegsdarstellungen[65]
Die NS-Propaganda setzte bei den Darstellungen des Krieges hauptsächlich auf den Vergleich von deutschen und nicht-deutschen Soldaten, sowie deren Methoden. Folglich lassen sich die Kriegsschilderungen in zwei große Kategorien einteilen: 1. Darstellung der eigenen Seite und 2. die Seite des Gegners[66]. Innerhalb dieser Kategorien sind wiederum zwei Ebenen zu unterscheiden: a) das Bild des einzelnen Soldaten, b) das Bild der Armee in ihrer Gesamtheit und c) das Bild des Krieges.
Daraus ergibt sich folgende vereinfachte Übersicht:
„Als nicht bildwürdig galten … Szenen, die das Leiden und den Tod der eigenen Soldaten, das Elend, die Erschöpfung, die Angst, den Hunger und die Trostlosigkeit ablichteten.“[67] Diese Regelung diente logischerweise einzig der Vermeidung von Aufruhr im eigenen Volk und vor allem unter den Soldaten an der Front. Die Siegesgewissheit und der Kampfwillen mussten um jeden Preis aufrechterhalten werden.
Wie bereits erwähnt wuchs die Zahl der Abteilungen des RMVP im Verlauf des Krieges ständig an, ohne dass sich die Aufgabenbereiche wesentlich vergrößert hätten. „Sachgebiete wurden zu Referaten, aus diesen entstanden Hauptreferate, um sich schon nach wenigen Jahren als Abteilungen zu verselbständigen.“[68] Das hatte für die NS-Führung den Vorteil, dass die in den Abteilungen tätigen Personen nur einen geringen Einblick in die tatsächliche Propagandapolitik erhielten. So konnte Goebbels ungehindert seine Philosophie der Halbwahrheiten durchsetzen und ihnen die erforderliche Überzeugungskraft verleihen. Jedoch hatte es auch einen Nachteil: Durch die zunehmende Zerstückelung von Tätigkeitsfeldern kam es immer häufiger zu Kompetenzüberschneidungen, weshalb permanent neue Regelungen über die Zuständigkeiten erlassen werden mussten. Dies bewirkte allerdings nur eine formale Beruhigung der inneren Krisenherde, was vor allem die Auseinandersetzungen zwischen RMVP und Auswärtigen Amt belegen.[69] Zudem „machte die zunehmende Atomisierung der Verwaltungsgeschäfte ihre zweckvolle Koordinierung immer schwieriger“[70], so dass Deutschland im Propagandakrieg mit den anderen Kriegsmächten nicht auf Dauer bestehen konnte.
Hinzukamen weitere Unzulänglichkeiten in der Propagandamaschinerie der NS-Führung. Beispielsweise war der deutsche Rundfunk nicht einmal ansatzweise so effizient wie noch in der Vorkriegszeit von der NS-Führung behauptet wurde. Deutschland verfügte kaum über leistungsstarke Mittel- und Langwellensender, weshalb „man fast durchweg auf die Sendeeinrichtungen in den von Deutschland besetzten Gebieten angewiesen“[71] war. Die Kurzwellensender arbeiteten dagegen zwar effektiver, trotzdem stand deren Leistung in keiner Relation zum technischen Aufwand, ganz zu schweigen von den enorm hohen Sendekosten und der „propagandistischen Wirkung, die gewiss seit 1942 immer mehr im Schwinden begriffen war.“[72] Denn die deutsche Bevölkerung war längst dazu übergegangen den BBC einzuschalten, um sachliche Informationen zu erhalten und Unterhaltungsprogramme zu empfangen.[73] Außerdem steigerte sich unter der deutschen Bevölkerung mit jedem Erfolg, den die eigene Armee im Waffenkrieg erzielte, die Sehnsucht nach Frieden und nicht das Streben nach weiteren Eroberungen.[74] Dadurch wurde das NS-Regime in die Lage versetzt, sich „seine Akzeptanz in der Bevölkerung als auch seine daraus resultierenden Entscheidungsspielräume“[75] von neuem zu sichern. Folglich musste von den einzelnen Propagandaeinrichtungen zu viel Kraft darauf verwendet werden den Kampf- und Siegeswillen der eigenen Bevölkerung aufrechtzuerhalten, anstatt die Propaganda des Gegners zu erkunden und entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. Dies wurde zusätzlich noch durch die Tatsache erschwert, dass die NS-Führung versäumt hatte vor Kriegsbeginn genügend „Vertrauensleute“ – sog. V-Männer – ins Ausland zu schleusen, um über die Stimmung unter der gegnerischen Bevölkerung fortwährend auf dem aktuellsten Stand zu bleiben. Schließlich erfordert ein moderner Propagandakrieg, „daß man laufend über den Alltag des ausländischen Durchschnittsbürgers wie über sein Denken und Fühlen unterrichtet ist … um künftigen Aktionen die Resonanz zu erhalten.“[76]
Sicherlich stellte die Gründung von militärischen Propagandatruppen eine Neuerung dar und gewiss lieferten diese Kriegsberichterstatter eine Menge brauchbares Material für die Durchführung von Propagandaaktionen, allerdings mangelte es ihnen teilweise an der geeigneten technischen Ausstattung. Beispielsweise fehlte es „an technischem Gerät zur Verbreitung von Flugblättern über Feindesland, … der Einsatz von Rundfunk und Lautsprechern an der Front … stand nur auf dem Papier.“[77] So dass die NS-Führung letztlich nur auf Aktionen des Gegners reagierte und höchst selten agierte. Zu sehr war sie damit beschäftigt Schadensbegrenzung zu betreiben und Versäumnisse in der Kriegsvorbreitung auszubügeln.
Die Arbeit wollte einen knappen Überblick zur NS-Propaganda während des 2. Weltkrieges geben und hat gezeigt, mit welchem bürokratischen Aufwand die Propaganda betrieben wurde. Ebenso hat sie Anhaltspunkte gegeben, auf welch vielfältige Weise man versuchte die deutsche Bevölkerung zu beeinflussen. Selbst an der Front, mitten im Kriegsgeschehen, blieben die deutschen Truppen nicht verschont von den trügerischen Einwirkungen der Propagandaleitung. Goebbels schuf sogar eigens zum Zwecke der Materialbeschaffung für die Propagandamaschinerie eine neue Waffengattung, die der Propagandakompanien.
Doch so sehr Goebbels auch bemüht war, über alles die Kontrolle zu behalten, ist ihm dies nicht gelungen. Vielmehr ist er genau an diesen zahlreichen Kontrollinstanzen gescheitert, weil es die Vorgänge verlangsamte und die Propagandameldungen im Grunde schon wieder veraltet waren, noch bevor sie überhaupt erschienen. Das konnte logischerweise nicht ohne Folgen für die Glaubwürdigkeit bleiben. Schließlich war „der Erfolg der Propaganda stark abhängig … vom befriedigenden Ausgang politischer Vorgänge und von der glaubhaften Erfüllung jener Verheißungen, mit denen man zunächst in der Bevölkerung erwartungsvolle Zustimmung geschürt hatte.“[78] Spätestens mit der Niederlage von Stalingrad erreichte Goebbels eine unüberbrückbare Hürde seines Netzes aus Halbwahrheiten,
Verschleierungen und Verfremdungen. Wie sollte man diese enormen Verluste, welche aufgrund einer militärischen Fehlentscheidung und vor allem wegen Überschätzung der eigenen sowie Unterschätzung der gegnerischen Stärke zustande gekommen waren, gegenüber dem eigenen Volk rechtfertigen? Wie sollte man die Kampfbereitschaft und den Siegeswillen in dieser Situation noch aufrechterhalten? Goebbels wagte es trotzdem und versuchte die Toten als Märtyrer für die Sache zu verkaufen. Genau genommen ließ ihm die NS-Ideologie, welche das deutsche Volk als überlegene Rasse propagierte, keine andere Wahl. Es musste so handeln. Doch das deutsche Volk war kriegsmüde, da half auch alle Propaganda nicht weiter. Der feingliedrige Propagandaapparat wurde zum eigenen Verhängnis.
Das Fazit lautet demnach, dass mit Propaganda allein kein Krieg zu gewinnen ist. Zumal das deutsche Volk „in seiner großen Mehrzahl dem Kriege anfangs mit skeptischer Besorgtheit gegenüberstand“.[79] Unabhängig davon stellt der Aufbau dieses immensen Propaganda- und Verwaltungsapparates eine außergewöhnliche Leistung dar.
Monographien
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Bramsted, Ernest K.: Goebbels and National Socialist Propaganda 1925-1945. Michigan 1965.
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Boelcke, Willi A. (Hrsg.): Kriegspropaganda 1939 -1941. Geheime Ministerkonferenzen im Reichspropagandaministerium. Stuttgart 1966.
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Klaus Kirchner (Hrsg.): Joseph Goebbels Dreissig Kriegsartikel für das deutsche Volk. Erlangen 1974.
Paul, Gerhard: Bilder des Krieges. Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges. Paderborn, München u.a. 2004.
Schmidt-Scheeder, Georg: Reporter der Hölle. Die Propaganda-Kompanien im 2. Weltkrieg. Stuttgart 1990.
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Sywottek, Jutta: Mobilmachung für den totalen Krieg. Die propagandistische Vorbereitung der deutschen Bevölkerung auf den Zweiten Weltkrieg. (Studien zur modernen Geschichte, Bd. 18). Opladen 1976.
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Nachschlagewerke
Microsoft Encarta Enzyklopädie Professional 2005. (© 1993-2004) CD-Rom
2007
„Wenn das psychotische Individuum glaubt, es sei Napoleon, wird es in einer Anstalt behandelt, wenn eine Nation vermeint, ihre Kriegstoten lebten im Sieg weiter, versucht es zu siegen, auch wenn sie dabei alles – auch sich selbst – zerstört.“[80]
Eines der wichtigsten Untersuchungsgebiete der Neuesten Geschichte behandelt die Zeit des Dritten Reiches und die Frage nach der Möglichkeit der Nationalsozialisten trotz all der Verbrechen, Fehlplanungen und Kriegsniederlagen bis zum Mai 1945 eine totalitäre Herrschaft in Deutschland auszuüben. Dabei stellt insbesondere das Feld der Propaganda einen wichtigen Beobachtungspunkt dar, weil diese nach Goebbels dazu dienen sollte die nationalsozialistische Macht „geistig zu unterbauen, und nicht nur den Staatsapparat, sondern das Volk insgesamt zu erobern.“[81] Die Frage, inwieweit dieser Anspruch in der 12-jährigen Dauer der nationalsozialistischen Diktatur umgesetzt werden konnte, lässt sich nicht einfach beantworten, da zu viele Faktoren dabei zu berücksichtigen und zu viele Gebiete zu beobachten sind.
Der Ausbruch und Verlauf des Zweiten Weltkrieges erhöht aufgrund des psychologischen und physischen Zusammenwachsens von Front und Heimat die Komplexität der Untersuchung. Ein Krieg fordert jede beteiligte Gesellschaft mit seinen extremen logistischen, seelischen und körperlichen Ansprüchen heraus. Der Zweite Weltkrieg in Europa zeichnet sich insbesondere durch seine totale Kriegsführung und die demzufolge vollständige Vereinnahmung der Bevölkerung aus.
Diese Untersuchung beschäftigt sich in dem Zusammenhang mit der Frage, in welcher Form sich die nationalsozialistische Propaganda mit dem Tod deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg auseinandersetzte. Anhand des Todes und des Umganges mit ihm lassen sich – so die Annahme des Autors dieser Arbeit – aufgrund der besonderen Stellung des Lebensende eines Menschen in der Gesellschaft In- und Exklusionsformen erkennen, welche die Staatsführung ihren Bürgern anbot. Gleichzeitig werden Verarbeitungsmechanismen deutlich, denen sich Personen bedienen, die sich in Extremsituationen bedienen.
Den nachfolgenden Ausführungen liegen vier unterschiedliche Forschungsfragen implizit zugrunde. In einem ersten Schritt soll untersucht werden, welche Ausgangspunkte der nationalsozialistischen Propaganda über den Tod zugrunde lagen. Dabei wird auf Erklärungsansätze zurückgegriffen, welche die Ideologie der Nationalsozialisten unter dem Blickwinkel religiöser Funktion sehen. Diesem Zugriff liegt die Annahme zugrunde, dass sich damit besser die Kontingenzbewältigung der Bevölkerung erfassen lässt, da sich diese auf Traditionen und Riten wie beispielsweise in der Kirche verlassen hatte. Daran schließt sich die Frage nach der Legitimierungsfunktion der Propaganda an, die den Tod von Soldaten im Zweiten Weltkrieg zu begründen suchte. Es soll dabei herausgefunden werden, ob die Propaganda ihrem Legitimierungsanspruch gerecht werden konnte und welche Faktoren dabei die Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft beeinflussten. Aus diesem Vorhaben ergibt sich die letzte Forschungsfrage, welche sich mit der Reaktion der Führung des Dritten Reiches auf die sich verändernde Kriegslage auseinandersetzt.
Die nachfolgende Arbeit gliedert sich in vier unterschiedliche Abschnitte, die verschiedene Teilaspekte der Untersuchung zum Inhalt haben. Dabei bildet das nachfolgende zweite Kapitel die theoretische Grundlage für die Untersuchung ab und führt die Begründung der Relevanz des Themas fort. Die Konzentration auf den Nationalsozialismus mit dem Fokus auf Adolf Hitler als Erlöserfigur, hilft Verhaltensweisen und Einstellungen der Mitglieder der NSDAP und der Bevölkerung hinsichtlich des Todes zu verstehen. Die Darlegung der Gefahren, die vom Tod allgemein für eine Gesellschaft, insbesondere das Dritte Reich ausgehen, vertieft das Verständnis der Notwendigkeit für das Propagandaministerium sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen.
Diese Problematik lässt sich erst anhand des dritten Kapitels verstehen. In diesem werden die quantitativen und qualitativen Aspekte des Sterbens aus deutscher Sicht zwischen 1933 und 1945 verdeutlicht. Damit soll zum einen das maßlose Schlachten für eine Untersuchung strukturiert und somit zum anderen der Zugriff auf diese fremd erscheinende Thematik erleichtert werden.
Die daran anschließenden Kapitel stellen die eigentliche Untersuchung dar. Der erste dieser beiden Abschnitte versucht auf den generellen Umgang der Staatsführung und der Bevölkerung mit dem Thema Tod im Zweiten Weltkrieg einzugehen. Dazu werden in einem ersten Schritt die Begriffe, welche sinnstiftend durch das Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda verwendet wurden, dargelegt. Dem folgt eine Untersuchung des rituellen Umgangs innerhalb des Nationalsozialismus mit dem Tod. Als dritter Blickwinkel wird dabei der Fokus auf die Todesanzeigen für Gefallene gerichtet, weil damit die Rezeption und Verarbeitung durch die Bürger im Dritten Reich mit ins Blickfeld geraten. Die Auswahl der Untersuchungsfelder stellt Repräsentanten verschiedener Zeitdimensionen dar. Todesanzeigen und Gedenkveranstaltungen sind kurzfristige, jährlich wiederkehrende Feste mittelfristige und der Bau von Denkmälern und Monumenten langfristige Achsen der Totenverehrung im Dritten Reich.
Das fünfte Kapitel widmet sich dem Umgang des RMVP mit der Niederlage bei Stalingrad. Diese Schlacht soll exemplarisch die bis dahin erarbeiteten Feststellungen erhärten und gleichzeitig als Sonderfall, den Umschwung der Stimmungslage in der Bevölkerung verdeutlichen. Mit diesem ging eine unumkehrbare Veränderung der Akzeptanz der nationalsozialistischen Todespropaganda hin zur Abwendung einher. Das letzte Kapitel dient der Zusammenfassung und Zuspitzung der ergründeten Einstellungen, Wechselwirkungen und Einflussfaktoren.
Die Forschungsliteratur, welche für diese Arbeit herangezogen wurde, stammt aus unterschiedlichsten Bereichen. Die Betrachtungsweise, den Nationalsozialismus als politische Religion zu sehen, erlebt in den letzten 15 bis 20 Jahren eine Renaissance. Differenziert werden kann dabei zwischen der Untersuchung einzelner wichtiger Nationalsozialisten und ihrem Glauben (u. a. Bärsch 1987, 1998), sowie der Betrachtung der Tradition nationalsozialistischer Rituale und deren Funktion innerhalb des Dritten Reiches (bspw. Vondung 1971, 1992, Behrenbeck 1996). Die Forschung ist in diesem Bereich soweit fortgeschritten, dass schon einzelne Ereignisse unter spezifischen, religiös gefärbten Propagandabegriffen wie dem des Opfers untersucht werden (z. B. Karow 1997). Nichtsdestotrotz sind die Akzeptanz des Ansatzes und die Festlegung auf wenige operative Begriffe noch immer nicht endgültig geschehen (Maier, Schäfer 1997). Dahingegen hat die Untersuchung von Schlagwörtern im Nationalsozialismus, wie Held oder Opfer beispielsweise, eine längere Tradition. Durch René Schillings Untersuchungen werden dabei aktuell die Ursprünge und Veränderungen des Heldenbegriffes im 19. und 20. Jahrhundert diskutiert. Ergänzt werden diese Ansätze durch die immer weiter fortschreitende historische Geschlechterforschung wie sie beispielsweise bei Ute Frevert anzutreffen sind.
Im Zuge der Debatte um die religiösen Aspekte totalitärer Diktaturen gerieten die Feiertage, Feste und Beerdigungen stärker in das Blickfeld der Historiker. In diesem Zusammenhang wird dabei immer mehr der Aspekt der rituellen Handlungen und dem damit einhergehenden symbolischen Zusammenwachsen der Volksgemeinschaft hervorgehoben (Kratzer 1998, Schellack 1990, Thamer 1994, Tietz 1997).[82] Dieselbe Beobachtung lässt sich auch zur Entwicklung der Untersuchung der Denkmäler feststellen (Lurz 1986, Kosseleck 1979, 2001, kunsthistorisch: Mai 1994). Diese Arbeit soll dazu dienen die Komponenten der Totenverehrung und Kontingenzbewältigung im Dritten Reich mehr zu verknüpfen. Die umfangreichste Arbeit hinsichtlich des Totenkults im Dritten Reich, „Der Kult um tote Helden“ von Sabine Behrenbeck, beschränkt sich auf den Heldentopos. Die hier vorliegende Untersuchung versucht die tatsächliche Entwicklung des Sterbens der deutschen Soldaten mit den Propagandaformen in Beziehung zu setzen und die Interdependenzen aufzudecken. Dabei sollen verschiedenste Aspekte des Totengedenkens integriert werden, um ein möglichst breit gefächertes Bild der Aktivitäten im Dritten Reich den Tod betreffend zu erhalten.
Die Meldungen aus dem Reich, aber auch die nähere Betrachtung von Gefallenenanzeigen erfüllen als Hauptquellen zwei Funktionen: Einerseits lässt sich an diesen erkennen, wie der von dem NS-Regime gewünschte Umgang mit dem Tod war, andererseits ist gleichzeitig das reale Verhalten lokaler NSDAP-Führer sowie der gewöhnlichen Bevölkerung sichtbar. Bei beiden Quellen muss eine gewisse Vorsicht bei der Interpretation an den Tag gelegt werden, da es sich dabei um Texte handelt, die stark durch die Ideologie des Nationalsozialismus gefärbt sind bzw. sein können. Die Tagebücher von Joseph Goebbels fanden in dieser Arbeit keinen Eingang, da sie einerseits zu umfangreich für das begrenzte Zeitkontingent waren und andererseits ohne endgültiges Registerband nicht systematisch hinsichtlich des Todes erschlossen werden konnten.
Im Zuge der Überlegungen über die Todessymbolik der nationalsozialistischen Propaganda, sollte an erster Stelle die Frage der propagierten heilsgeschichtlichen Bedeutung des NS angesprochen werden. Denn nur mit einem Verständnis des Ursprungs des Allmachtsanspruchs der Nationalsozialisten, lassen sich Gründe für die Relevanz einer Untersuchung über den Umgang mit dem Tod und der Bedeutung von Toten für die Logik nationalsozialistischer Propaganda finden.
Wie sehr sich die nationalsozialistische Ideologie jeglicher relativierender Kritik entzog, lässt sich an der Gleichsetzung der arischen Rasse mit göttlichen Wesen erkennen. Hitler bezeichnet die Vermischung des arischen Volkes mit anderen Völkern als Sünde gegen göttliche Tat. Er schreibt in „Mein Kampf“: „Wer die Hand an das höchste Ebenbild des Herrn [dem Arier, D.H.] zu legen wagt, frevelt am gütigen Schöpfer dieses Wunders und hilft mit an der Vertreibung aus dem Paradies.“[83] Religiöse Begriffe, welche die Ideologie des NS Regimes oder Adolf Hitlers selbst bezeichnen, lassen sich sehr häufig in Äußerungen ranghoher Nationalsozialisten finden. So bezeichnet Goebbels in seinem Aufsatz „Die Führerfrage“ die Rede Hitlers während des Prozesses in München wegen des Novemberputsches vom 9.11.1923 als „den Katechismus neuen politischen Glaubens in der Verzweiflung einer zusammenbrechenden, entgötterten Welt.“[84] Heinrich Himmler sagte 1941: „Wenn du unseren Führer siehst, ist es wie ein Traum; du vergisst alles, um dich, es ist, als ob Gott zu dir kommt.“[85] Einer der wichtigsten religiösen Grundsätze der nationalsozialistischen Ideologie bestand in der Annahme der Identität von Volk und Führer sowie dem Aufblühen des deutschen Volkes aufgrund der besonderen Verbindung von Adolf Hitler zu Gott. Herrmann Göring hat dies beispielsweise 1938 wie folgt ausgedrückt: „In allen diesen Jahren hat der Allmächtige ihn [Adolf Hitler; D.H.] und das Volk wieder und immer wieder gesegnet. Er hat uns im Führer den Retter gesandt. Unbeirrbar ging der Führer seinen Weg. Unbeirrbar folgen wir ihm. […] Deutsches Volk, trage die stählerne Gewissheit in dir: Solange Volk und Führer eins sind, wird Deutschland unüberwindlich sein. Der Herr sandte uns den Führer, nicht damit wir untergehen, sondern damit Deutschland auferstehe.“[86]
Alfred Rosenberg, einer der wichtigsten Ideologen des Nationalsozialismus, schrieb schon 1934 in „Nationalsozialismus, Religion und Kultur“: „Der Nationalsozialismus ist nicht antireligiös, vielmehr ist sein Kampf und sein Opfern nur aus einem starken religiösen Impuls möglich gewesen.“[87]
Die Annahme der NS habe religiöse Wurzeln, wurde schon sehr früh durch akademische Zeitgenossen formuliert: Eric Voegelin, welcher 1938 von der Wiener Universität vertrieben wurde, legte in seinem Werk „Die politischen Religionen“ noch in demselben Jahr dar, dass der Nationalsozialismus wie andere Massenbewegungen auch ein politische Religion sei.[88] Nach Voegelin fanden die Nationalsozialisten das Göttliche nicht in einem transzendentalen Weltgrund, sondern in einem Teilinhalt der Welt selber. Dieser Teilinhalt, der von den Nationalsozialisten als Realissimum (etwas Seiendes) angenommen wurde, war die Volksgemeinschaft – verbunden durch ihr Blut. Somit träte an die Stelle der Legitimierungsquelle für die Gemeinschaft die Gemeinschaft selbst.[89]
Nach der kurzen Darlegung der religiösen Konnotationen in den Ideen der führenden Nationalsozialisten und dem frühen Ursprung der Vorstellung politischer Religion, bleibt die Frage nach der genauen Definition und Benennung dieses Ansatzes.
Zu diesem Zweck sei zuerst auf die drei religiösen Bezugsebenen in der Imagination des politischen Kollektivs nach Peter Berghoff verwiesen. Damit lassen sich die möglichen Entwicklungsschritte religiös gefärbter Ideologien bis hin zum 19. und 20. Jahrhundert in einer abstrakten Sichtweise nachvollziehen. Die erste Stufe nennt Berghoff die „explizit-traditionelle Bezugsebene“. In dieser ist die „Konstruktion des politischen Kollektivs ausdrücklich an eine bestehende religiöse Tradition verknüpft. […] D. h. es wird von allen Zugehörigen das Bekenntnis zu eine bestimmten Religion erwartet, während nicht alle Gläubigen dieser Religion zugleich auch Zugehörige des politischen Kollektivs sind oder sein sollen.“[90] Die zweite Stufe bezeichnet der Autor als komplementär-sakrale Kategorie. Auf dieser sei eine Akzentverschiebung festzustellen, bei der das irdische politische Kollektiv als heiliges Element den Vorzug vor einer spezifischen Religion erhalte.[91] „Auf dieser Ebene wird die religiöse Tradition zwar kritisiert, gebrochen oder ergänzt, bleibt aber explizit ein wichtiges Bezugsreservoir für die Konstruktion der Kollektivitätsreligion […].“[92] Auf der dritten Bezugsebene, der Ebene des impliziten Religionsbezugs, sei die Säkularisierung durchgeführt, gleichzeitig wird jedoch das verweltlichte Kollektiv durch Re-Sakralisierung als zentraler Punkt religiösen Begehrens betont. Der NS ist hier anzusiedeln und kann in Verbindung mit dem Konzept des Corpus Mysticum betrachtet werden. Diese ursprünglich kirchliche Fiktion, die von einer Identität von Kopf und Gliedern der christlichen Organisation Kirche ausgeht, lässt sich auf den Nationalsozialismus übertragen.[93] Wie in der von Herrmann Göring zitierten Rede erwähnt, war es eine der wesentlichen Annahmen der Nationalsozialisten, dass eine Wesensgleichheit zwischen dem Führer Adolf Hitler und dem deutschen Volk bestehe.
Hitler erfüllt für die nationalsozialistische Ideologie zwei wichtige religiöse Funktionen: Er ist zum einen Vermittler zwischen dem deutschen Volk und Gott und er ist der von Gott auserwählte Deutsche, der für diese stehend, ihren zukünftige Status repräsentiert.[94] In Verbindung mit der Frage nach dem Führerglauben, wird die Frage nach Art und Form der Herrschaft Adolf Hitlers häufig mit Verweis auf Max Webers Konzept der charismatischen Herrschaft beantwortet. Diese sei mit rechtlichen und institutionellen Einschränkungen nicht kompatibel gewesen und begründete sich auf dem Glauben der Bevölkerung, dass das als genial angesehene Urteilsvermögen Hitlers über banalem Parteiengezänk stehe. Jörge Echternkamp meint, dass Hitlers Image auf der Vorstellung basierte, der Führer würde den Volkswillen und somit die Vorsehung vollstrecken. Selbst nach Niederlagen habe Hitler nur langsam von seinem Mythos verloren, und erst die Niederlage bei Stalingrad wäre Hitler persönlich angerechnet worden.[95]
Der Glauben an diese Annahmen über Adolf Hitler und die Tatsache, dass dieser Glaube – das Führerprinzip – eine der Grundlagen des NS war, ist als ein maßgeblicher Grund anzuführen, weshalb die nationalsozialistische Ideologie überhaupt als eine politische Religion zu betrachten ist.[96] Hannah Arendt meint, dass die gesamte totalitäre Organisation auf der Annahme der Unfehlbarkeit des Führers aufgebaut sei, und dass das Eingeständnis eines Irrtums den Bann dieser Unfehlbarkeit brechen und so den Zusammenbruch ankündigen würde. „Nicht die Richtigkeit der Worte des Führers, sondern die Unfehlbarkeit seiner Handlungen bildet die Basis der Gesamtbewegung.“[97]
Die fachwissenschaftliche Literatur zu diesem Thema bietet verschiedene, genauere Bezeichnungen mit unterschiedlichen Intentionen an: politische Religion, Zivilreligion, Ersatzreligion, säkularisierte Religion oder gar Antireligionen. Hierbei ist vor allem auf die millenaristische Heilsversprechungen des „tausendjährigen Reiches“[98] zu verweisen und das Mittel mit dem dieses Ziel erreicht werden soll: „Dieses chiliastische Versprechen, die Welt zu reinigen, indem die Betreiber ihres Verderbens beseitigt werden, kann nur durch und am Ende eines erlösenden Kampfes gegen die Agenten des Bösen, vornehmlich das internationale Judentum, eingelöst werden.“[99] Auch wenn in dieser Arbeit nicht näher auf den Holocaust und seine ideologische Bedeutung für den Nationalsozialismus eingegangen werden soll, sei zumindest dies angedeutet: Der Antagonismus Deutschtum – Judentum war nicht nur durch die Vokabeln Gut – Böse sondern auch durch die Gegensatzpaare Licht – Finsternis, Gott – Satan und vor allem Christ – Antichrist im NS näher bestimmt worden.[100] Zu dem Führerkult und der apokalyptischen Vision der Judenvernichtung kam als drittes Element nationalsozialistischer Ideologie die Naturverehrung hinzu. Diese Verehrung speist sich aus der Vorstellung, dass die Germanen in vorchristlicher Zeit in den Urwäldern an der Ostsee, in Skandinavien und dem ursprünglichen Deutschland lebten.[101]
Die Nähe zwischen nationalen Feiern und christlicher Tradition besteht nicht erst seit dem Nationalsozialismus, sondern war schon im 19. Jahrhundert so ausgeprägt, dass in nationalen Feiern wirkliche Gebete und wirklicher Gottesdienst stattfanden.[102] Aus diesem Grund soll in dieser Arbeit der Begriff der politischen Ersatzreligion benutzt werden. Diesem Gebrauch liegt die Annahme zugrunde, dass der NS zum einen häufig auf religiöse, insbesondere christliche Vorgaben zurückgriff, aber auch, dass zum anderen der Nationalsozialismus als Ideologie keine Konkurrenz neben sich duldete.[103] „Auf lange Sicht, so erklärte Hitler im Juni 1941, werde es unmöglich sein, daß Nationalsozialismus und Religion koexistieren.“[104] In diesem Zusammenhang soll auf die Gegenposition verwiesen werden, die es ablehnt den NS als politische Religion zu sehen. Hans Mommsen nimmt dabei beispielsweise auf Äußerungen Hitlers Bezug, in denen es heißt, dass die NS-Bewegung sich nicht in metaphysische Abschweifungen begeben darf. Außerdem besäße die bloß simulative Bewegung des NS keine für den Begriff einer politischen Religion ausreichende ideologische Stringenz und Kohärenz.[105]
Zwei weitere Sachverhalte sollen den Religionsgehalt des NS hier verdeutlichen: Die Ähnlichkeit zwischen christlichen und nationalsozialistischen Vorstellungen beschränkt sich nicht nur darauf eine Person als Messias (Jesus, Hitler) und somit als Erlöser anzusehen, sondern damit einhergehend auch, dass eine Erlösung kommen werde. Wie diese Erlösung eintritt unterscheidet diese zwei Religionen jedoch wieder grundlegend: Den christliche Grundsatz, dass die Erlösung nicht das Werk der Menschen selbst sondern Aufgabe himmlischer Heerscharen sei, drehen die Nationalsozialisten um.[106] Die Johannes-Apokalypse[107], die vernichtende „Endlösung“ zum Abschluss des „Tausendjährigen Reiches“ durch Gott, wird von den Nationalsozialisten zu Beginn ihrer propagierten tausendjährigen Herrschaft durchgeführt.[108]
Abschließend bleibt festzuhalten, dass der Nationalsozialismus nicht ausschließlich unter dem Aspekt der politischen Religion betrachtet werden kann, dieser Ansatz ist für die hier aufgeworfenen Fragen jedoch am hilfreichsten. Gleichzeitig soll daran erinnert werden, dass die Instrumentalisierung des Glaubens durch die NS-Machthaber und die gleichzeitige Gläubigkeit sich nicht gegenseitig ausschließen. Im Gegenteil war der Glauben der NS-Führung sogar besonders hoch, auch wenn sie zugleich die Möglichkeiten dieser Gläubigkeit erkennen und politisch zu instrumentalisieren wussten.[109]
Klaus Vondung meint einen Unterschied in der Verwendung der Religiosität durch Hitler und Goebbels zu erkennen. Demnach gehöre bei Hitler die pervertierte Religiosität zur fanatisch geglaubten Ideologie, wohingegen Goebbels, der voller Bewunderung und Neid auf den einheitsstiftenden Kult der katholischen Kirche schaue, ein pragmatischeres Verhältnis zur Religion besitze.[110] Goebbels Blick auf die Politik wiederum definiert sich über kirchliche Begriffe: „Wir haben gelernt, daß Politik nicht mehr die Kunst des Möglichen ist. Was wir wollen ist nach dem Gesetz der Mechanik unerreichbar und unerfüllbar. Wir wissen das. Und dennoch handeln wir nach der Erkenntnis, weil wir an das Wunder, an das Unmögliche und Unerreichbare glauben. Für uns ist die Politik das Wunder des Unmöglichen.“[111]
Die Herangehensweise, den NS als eine politische Religion zu sehen, bietet mehrere Vorteile, denen sich diese Arbeit bedienen möchte: Dabei wird der Blick nicht nur auf die auf Fakten basierenden Realitätsebene gerichtet sondern auch der Ebene der symbolischen Realität zugewendet. Dort ist es möglich über eine rationale und instrumentale Politikauffassung hinaus, Gefühle, Symbole und die Auswirkungen von Gewalt als Faktoren zu sehen, die die Einstellung der Menschen beeinflusste. Dabei ist es möglich ein schärferes Bild zu zeichnen von der Art wie sich Gemeinschaften aufwerten und mit Hilfe von symbolischen Formen selbst darstellen.[112]
Nach Heinrich August Winkler ist die Hauptfunktion des Nationalismus die Integration.[113] Die Volksgemeinschaft des NS stellt eine besonders ausgeprägte Form der Integration dar, die, wie sich zeigen wird, nicht an den Grenzen von Leben und Nicht-Leben halt machte. Die politische Ersatzreligion Nationalsozialismus wollte der christlichen Religion die Deutungshoheit über den Tod im Allgemeinen und v. a. den Sinn des Todes nicht überlassen. Gerade mit dem Anspruch der Sonderstellung des NS, dem Wissen bzw. dem Glauben der führenden Mitglieder, dass das nationalsozialistische Konzept mehr sei, als ein Weltanschauung unter vielen, war es gerade zu zwingend, die Verarbeitung des Todes nicht dem einzelnen oder gar der Kirche zu überlassen.
Die Grundproblematik des Todes für den NS besteht in der Individualisierung durch das Sterben.[114] Dies kann sowohl beim eigenen Tod als auch beim Anblick des Todes eines Anderen geschehen. Das was die Lebenden zusammenhält, die geistigen wie gesellschaftliche Vorstellungen von Ordnung, Werte und Imperative, wird durch den Tod negiert, weil der Verstorbene in diesen Vorstellungen nicht vorkommt. Soziologisch gesehen ist der Tod die absolute, irreparable und beständige Beendigung der wechselseitigen Beziehungen zu einem Menschen.[115] „Die alle Bände lösende Vereinzelung im Tod erfahren wir in der Konfrontation mit der Leiche, als ein Sterben desjenigen, das die Lebenden verbindet.“[116]Die Desintegration durch den Tod kann also das Integrationsbestreben des NS aushöhlen.
Daraus ergibt sich eine wichtige Aufgabe für die Ideologen des NS, wenn sie dem Anspruch der totalen Weltanschauung gerecht werden wollen. Denn die Verbindung des Kollektivs kann die Vereinzelung im Tod nur dann imaginär bezwingen, wenn es als ein den Lebenden transzendentes vorgestellt wird und auf eine „heilige Wirklichkeit“ verweist. Diese Wirklichkeit wird bei den Nationalsozialisten aus der Zukunft antizipiert. Hierbei sei bereits auf eine Annahme Ackermanns verwiesen, welche später hinsichtlich des Soldatentodes genauer untersucht werden soll: Das Todes- und Geschichtsbild der Nationalsozialisten lässt sich in drei unterschiedliche Phasen einteilen. Die erste Phase, vor bis kurz nach der Machtergreifung, verweist im Todesbild auf ein zukünftiges Ziel indem die Nationalgeschichte noch zu verwirklichen gilt. Die zweite Phase von 1934 bis 1941 attestiert den zu dieser Zeit verstorbenen ein „erfülltes Leben“. Die dritte Phase bis 1945 kann zwar den Anspruch auf Erfüllung aufrechterhalten, beinhaltet aber gleichzeitig wieder ein noch zu erreichendes Ziel, den Gewinn des Krieges.[117] „Weil die Zukunft so und nicht anders sein wird, hat die Gegenwart diesen und jenen Charakter, kommt dem eigenen Kollektiv dieses und dem fremden jenes Prädikat zu.“[118] Das an der Leiche erfahrbare Sterben des Bandes das die Volksgemeinschaft zusammenhält ist durch die nationalsozialistische Deutung keine Trennung mehr, die zu einer absoluten Isolation führt, sondern eine „Geburt“ in eine andere Qualität des imaginierten kollektiven Lebens. „Die Transzendierung des Bandes kann somit als ein Produkt des Spannungsverhältnisses zwischen dem individuellen angstvollen Begehren hinsichtlich des Todes und den Anforderungen einer „dauerhaften“ Stabilisierung der kollektiven Ordnung betrachtet werden.“[119] Ob und in welcher Form die Propaganda des NS diesem Anspruch gerecht wurde, versucht diese Arbeit für den Soldatentod zu klären.
Zwei weitere Faktoren des Todes waren für die Ideologie des NS störend und mussten, wie sich noch zeigen wird, umgedeutet werden. Zum einen ist der Anspruch der nationalsozialistischen Propaganda ein ewig bestehendes Reich zu schaffen, durch den Tod einzelner und großer Massen an Menschen immer in Frage gestellt, weil diese nicht lebend am Reich teilnehmen können. Der Tod stellt nicht nur die Integration sondern auch immer die Kontinuität infrage, insbesondere der Tod derer die für etwas starben das ewige Kontinuität beansprucht. Zum zweiten wird durch das massenhafte Sterben auch immer eine Sinnfrage gestellt. Gerade die durch den Krieg zahlenmäßig hohen zufälligen Tode mussten gedeutet werden, sollte von diesen keine Gefahr für den Anspruch des NS ausgehen. Weil im Krieg immer ein Soldat an der Stelle eines anderen gestanden haben kann, oder ein Granate an einer bestimmten Stelle aber auch ganz woanders einschlagen konnte, stellt der Soldatentod zwar immer einen durch Menschen herbeigeführten, gewaltsamen, aber eben auch einen zufälligen, kontingenten und somit schwer deutbaren Tod dar.
Durch die Deutung des NS als politische Ersatzreligion, lassen sich Funktionen der Religion hinsichtlich des Todes auf diesen übertragen: Religionen haben, als symbolische Sinninstanzen, die Grundfunktion, den „Kommunikationsunterbrecher Tod“ kommunikabel und das Unverstehbare, noch nicht sinnhaft Antizipierbare verständlich zu machen. Sie haben die Aufgabe dem Tod Plausibilität und Dignität hinzufügen.[120]
Der historische Blick auf die Zahl der gefallenen Wehrmachtssoldaten im Zweiten Weltkrieg bildet ein schwieriges Unterfangen. Dies lässt sich durch die Tatsache belegen, dass zwischen verschiedenen Publikationen eine Differenz von über 4 Millionen Gefallenen deutschen Soldaten sichtbar wird.[121] Die Überprüfung der Ursprünge der meisten Daten führt zum Oberkommando der Wehrmacht, welches, wie dargestellt, Wehrmachtsverluststatistiken führte. Diese waren jedoch schon in relativ ruhigen Zeiten nicht zuverlässig, haben anscheinend schon im Westfeldzug mindestens 20.000 Tote weniger als tatsächlich ausgewiesen, wurden ab Mitte 1944 zunehmend lückenhaft und lieferten ab Ende Januar 1945 keine Daten mehr. Im Übrigen weist die Wehrmachtstatistik deutsche Soldaten, die in Kriegsgefangenschaft gingen als Verluste aus. Da diese Kriegsgefangenen mehrheitlich überlebten, lassen sich somit keine wirklichen Rückschlüsse auf die Anzahl der Toten der Wehrmacht ziehen.[122]
Die nachfolgenden quantitativen Angaben beruhen zum großen Teil auf den Berechnungen von Jürgen Overmans.[123] Zwei kurze methodische Vorbemerkungen: Overmans benutzt als Datengrundlage die „Kartei der Deutschen Dienststelle“ in Berlin. Diese könne für sich in Anspruch nehmen, „das individuelle Schicksal militärischer Kriegsteilnehmer so exakt und so umfassend nachweisen zu können, wie dies angesichts des Chaos bei und nach Kriegsende, sowie Zerstörung großer Aktenbestände überhaupt möglich war.“ Aufgrund zeitlicher und finanzieller Einschränkungen war für Overmans eine Vollerhebung nicht möglich. Aus diesem Grund wählte er eine Stichprobe mit so großem Umfang, dass die Ergebnisse ein hohes Maß an Zuverlässigkeit und Wahrscheinlichkeit besäßen.[124]
Die Hochrechnungen ergeben, dass von den insgesamt 18,2 Millionen Soldaten, welche für die unterschiedlichen Teile der deutschen Armee eingezogen worden sind, ca. 5,3 Millionen Soldaten ums Leben kamen.[125] Teilt man die Armeeangehörigen und die Gefallenen auf die Armeeteile auf, so lassen sich die Ergebnisse wie folgt differenzieren: Den größten Teil der Armeeangehörigen stellte erwartungsgemäß die Wehrmacht. Diese gliedert sich in das Heer mit 13,5 Millionen Soldaten, die Luftwaffe mit 2,5 Millionen Soldaten und die Marine mit 1,2 Millionen Soldaten.[126] Der Blick auf die Verluste spiegelt diese Größenverhältnisse in etwa wider. 4,2 Millionen deutsche Heeressoldaten fielen dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer, dies entspricht 79 % aller deutschen Militärverluste. Die Luftwaffe hatte insgesamt 433.000 Tote (8,1 % der Gesamtverluste) zu verzeichnen, die Marine 138.000 (2,6 %) und die Waffen-SS, der schätzungsweise 900.000 verschiedene Deutsche Soldaten im Verlauf des Zweiten Weltkrieges dienten, 314.000 (5,9 %).[127] Die durchschnittliche Todesquote, dem Anteil gefallener Soldaten im Verhältnis zur Gesamtzahl der Soldaten, lag bei 28 %.[128] Die sich aus dieser Anzahl von Gefallenen angedeuteten Legitimationsschwierigkeiten erscheinen umso drastischer bei der Vergegenwärtigung, dass 42,2 % der männlichen Bevölkerung des Großdeutschen Reiches in den Grenzen von 1938 zur Wehrmacht eingezogen wurden.[129] Die Quote, dass vier von fünf verstorbenen deutschen Soldaten dem Heer angehörten, hat für diese Arbeit zur Folge, dass, falls von gefallenen Soldaten gesprochen wird, dabei – auch ohne dass dies explizit angemerkt ist – in den allermeisten Fällen Heeressoldaten gemeint sind.
Die Zeiträume, in denen die deutschen Soldaten ums Leben kamen, sind in vier unterschiedliche Phasen einteilbar. Die erste Phase von September 1939 bis Juni 1941 beinhaltet den Angriff auf Polen, die Invasion in Norwegen und Dänemark und den Frankreich-Feldzug, bei den insgesamt 163.033 deutschen Soldaten ums Leben kamen, also pro Monat annähernd 7.400 Tote. Mit dem Angriff auf die Sowjetunion beginnt die Phase 2. Von Juli 1941 bis Juni 1943 starben insgesamt 1.259.577 Millionen deutsche Soldaten, dies entspricht einem Durchschnittswert von etwa 52.500 Gefallenen pro Monat. In diese Zeitspanne fällt auch die Niederlage bei Stalingrad. Die dritte Phase (Juli 1943 bis Mai 1944) ist von einem Anstieg der monatlich gefallenen Soldaten auf 79.400 gekennzeichnet. In dieser kurzen Periode von elf Monaten kann von einer Gesamttodeszahl von 873.442 ausgegangen werden.
Die vierte Phase, das letzte Kriegsjahr von Juni 1944 bis Mai 1945, stellt mit ihren häufig weit mehr als 100.000 toten deutschen Soldaten monatlich, die dramatische Entwicklung zu Ende des Zweiten Weltkrieges in all seiner Deutlichkeit dar. Insgesamt 2.752.476 gefallene deutsche Soldaten waren in dieser Phase zu beklagen, wovon allein der August 1944 mit seinen 348.960 und der Januar 1945 mit seinen 451.742 Gefallenen ein Drittel ausmachen. Durchschnittlich 230.000 tote deutsche Soldaten waren in dieser Phase pro Monat zu verzeichnen.[130] Hier zeigt sich, dass nicht eine Einzelkatastrophe wie Stalingrad die meisten Menschenleben forderte, sondern dass jeder Monat in der Endphase des Krieges blutiger war.[131]
Es erscheint nun als Aufgabe bei den Betrachtungen über die propagandistischen Veranstaltungen der Nationalsozialisten hinsichtlich der Gefallenen auf diese Daten und Phasen zu achten. Dabei soll gefragt werden, ob und in welcher Form durch den NS propagandistisch auf die Veränderung der Quantität der Gefallenen reagiert wurde oder ob das Regime nicht reagieren brauchten, weil das Ausmaß des Sterbens im Zweiten Weltkrieg nicht zur deutschen Bevölkerung durchdrang. Zu untersuchen gilt es auch, ob es beispielsweise zu verzögerten Reaktionen auf Häufungen des Soldatentodes kam und wie diese ausgestaltet waren. Daneben bleibt zu fragen, wie grade in der dritten und vierten Phase die nationalsozialistische Propaganda der immer stärker zunehmenden Quantität des Soldatentodes entgegentrat.