Spring! Vor allem über deinen Schatten - Mina Teichert - E-Book

Spring! Vor allem über deinen Schatten E-Book

Mina Teichert

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Beschreibung

Turbulente und warmherzige Mädchenfreundschaftsgeschichte von Bestseller-Autorin Mina Teichert.

Pebbels redet leise und höflich. Coco flucht am liebsten laut und wild.
Pebbels ist sehr schüchtern. Coco liebt die Aufmerksamkeit.
Pebbels hat keine Freunde. Coco beschließt, dass Pebbels ihre neue beste Freundin ist.

Sie nimmt Pebbels mit in ihre bunte Welt, denn das ehemalige Zirkusmädchen weiß, wie man für sich einsteht. Und bevor Pebbels sich umsehen kann, hat sie eine echte Freundin, mit der es ihr gelingt, über ihren eigenen Schatten zu springen!

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Das Buch

Pebbels redet leise und höflich. Coco flucht am liebsten laut und wild.

Pebbels ist sehr schüchtern. Coco liebt die Aufmerksamkeit.

Pebbels hat keine Freunde. Coco beschließt, dass Pebbels ihre neue beste Freundin ist.

Sie nimmt sie mit in ihre bunte Welt und bevor Pebbels sich umsehen kann, hat sie eine echte Freundin, mit der es ihr gelingt, über ihren eigenen Schatten zu springen!

Die Autorin

© Vanessa Rosenbrock/YourGreatMoments

Mina Teichert wurde in dem schneereichen Jahr 1978 in Bremen geboren und lebt mit ihrer kleinen Familie im ländlichen Idyll Niedersachsens. Nachdem sie zunächst als Kind hartnäckig das Ziel verfolgte, Kunstreiterin im Zirkus und Wahrsagerin zu werden, sattelte sie mit vierzehn um und träumte von dort an von der Schriftstellerei. Heute schreibt sie mit Begeisterung Geschichten für Jung und Alt.

Mina Teichert auf Facebook: https://www.facebook.com/MinaTeichertAutorin/

Der Verlag

Du liebst Geschichten? Wir bei Planet! in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH auch!

Wir wählen unsere Geschichten sorgfältig aus, überarbeiten sie gründlich mit Autoren und Übersetzern, gestalten sie gemeinsam mit Illustratoren und produzieren sie als Bücher in bester Qualität für euch.

Deshalb sind alle Inhalte dieses E-Books urheberrechtlich geschützt. Du als Käufer erwirbst eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf deinen Lesegeräten. Unsere E-Books haben eine nicht direkt sichtbare technische Markierung, die die Bestellnummer enthält (digitales Wasserzeichen). Im Falle einer illegalen Verwendung kann diese zurückverfolgt werden.

Mehr über unsere Bücher, Autoren und Illustratoren: www.planet-verlag.de

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Viel Spaß beim Lesen!

Wenn man Löcher in die Luft starrt, bleibt dann irgendwann nichts mehr von ihr übrig? Und wenn das so wäre, können dann Gedanken nicht mehr fliegen? Ich bleibe stehen, lege den Kopf schief und schaue in den blauen Himmel über mir. Wolken ziehen vorbei, bilden Formen und ich erkenne in ihnen Drachen, die Ballett-Tutus tragen. Urkomisch, wenn man mich fragt. Mein Lachen bleibt mir allerdings im Hals stecken, als ich einen Stoß in den Rücken bekomme. Hoppla!

»Ey, Pennratte!«, begrüßt mich Paul, ein Junge aus meiner Klasse, der mich nicht besonders mag. Zumindest denke ich, dass er mich am liebsten zum Mond schießen würde, da er keine Gelegenheit auslässt, mir zu zeigen, wie doof ich bin.

Ich strecke mich, um größer zu wirken. »Ich heiße Penelope«, berichtige ich ihn viel zu leise und vermeide es, ihm ins Gesicht zu gucken. »Oder Pebbels, wenn man mein Freund ist.«

Paul grinst schief und zeigt seine Zahnlücke. »Sag ich doch, Pennratte. Schläfst wieder mit offenen Augen, was?«

Seine Frage ist eher eine Feststellung und ich spüre, wie mein Mageninhalt zu Eis wird. Ganz kurz überlege ich, ob man sich selbst eigentlich einfrieren kann, wenn man sich so oft fürchtet, wie ich es tue. Und ob jetzt der Moment gekommen ist?

Paul macht einen weiteren Schritt auf mich zu und zieht an einem meiner blonden Zöpfe. Nicht doll, aber es befreit mich aus meiner Eisstarre. Ich streiche mein rotes Kleid glatt und blicke zu Boden. Viele runde Kiesel liegen dort, die meisten weiß.

»Ich schlafe nicht«, verteidige ich mich nach einem Moment. »Ich denke nur nach.«

Eine Gruppe Mädchen geht an uns vorbei, beeilt sich, zum Bus zu kommen, der sie nach Hause fährt. Ich gehe langsam rückwärts, zu ihnen, obwohl wir nicht den gleichen Weg haben, denn ich gehe immer zu Fuß.

Und Paul bellt mir viel zu laut sein: »Na dann, tu dir nicht weh!«, entgegen. Endlich dreht er sich um und wird von einer Gruppe Jungs verschluckt.

Ich atme auf, die Anspannung lässt nach und ich verlasse den Schulhof mit dem großen Gebäude, das mich immer an einen schlafenden Riesen erinnert. Ich hasse Schule! Wer sich diesen Ort der Massenverwahrung ausgedacht hat, sollte bestraft werden. Oder besser, zum Mond geschossen werden. Wenn es nach mir geht, sollten nie mehr als sieben Leute aufeinander kommen. Alles andere wird zu laut und zu viel. Mama sagt, es liegt an meiner Reizfilterschwäche, dass ich Krach und Durcheinander nicht mag. Ich sage, in der Ruhe liegen die Möglichkeiten. Besonders wenn es um Mathe geht …

Ich verziehe mein Gesicht, als ich an die letzte Arbeit denke. Die habe ich vermasselt, weil Henry die ganze Zeit über so komische Geräusche mit seinem Füller gemacht hat. Ich hatte mich ganze dreißig Minuten gefragt, an welche Melodie mich sein Gequietsche erinnert, und dann war die Stunde auch schon vorbei. Und ich hatte nur zwei Aufgaben gelöst. Definitiv nicht genug für eine gute Zensur.

Pebbels, du musst dich mehr anstrengen in der Schule, höre ich Mama im Geiste sagen. Pebbels, du musst besser zuhören, meint Papa immer. Pebbels, nimm den Kopf aus den Wolken. Pebbels, trödle nicht. Pebbels, antworte, wenn ich mit dir rede.

Mit einem Zischen stoße ich die ganze angestaute Luft aus der Lunge und biege um die nächste Ecke. Der große schmiedeeiserne Zaun des Schrottplatzes kommt in Sicht und ich werde schneller. Nichts hilft so gut gegen negative Gedanken wie bunte Glassteine. Und die findet man zu Tausenden nahe des Schildes Zutritt verboten auf einem Schotterhaufen.

Wenig später schiebe ich mich ein kleines Stück durch eine Lücke im Zaun, verstecke mich hinter Schrott und angle nach einem blauen Stein, der aussieht wie ein Saphir. Papa sagt, es ist nur geschmolzenes Glas. Ich bin mir da aber nicht so sicher, weil sie wie verrückt glitzern. Und wenn ich sie wie ein Mobile vor mein Fenster hänge, huschen bunte Lichtpunkte durch mein Zimmer. Ehe ich mir die Taschen mit weiteren Steinen füllen kann, ertönt ein seltsames Geräusch. Eine Art Schrillen, das mich sofort vom Gelände des Schrottplatzes flüchten lässt. Beinahe bleibe ich mit meiner Jacke am Zaun hängen, als ich durch die Lücke husche.

Das blecherne Schrillen zerteilt weiter die Stille. Es kommt tatsächlich von der alten Telefonzelle und die dürfte ja gar nicht mehr klingeln. Denn sie ist alt und tot. Das weiß schließlich jeder, der hier wohnt, denn im Zeitalter von Handys braucht man so was nicht mehr.

»Seltsame Sache«, flüstere ich und pirsche mich langsam an das gelbe Telefonhäuschen heran. Das Schrillen scheint lauter zu werden. Fast ist es so, als rufe das Telefon einen Namen:

Pebbels

Pebbels

Pebbels

Ich öffne die schwere Tür und gehe in die Kabine hinein. Es riecht nach alten Socken. Sicher war schon lange keiner mehr hier gewesen und überhaupt ist alles ziemlich verschmutzt. Mama würde einen Anfall kriegen, wenn sie wüsste, dass ich hier etwas anfasse.

»Hallo?«, frage ich zögerlich in den schweren Hörer hinein. Und eine heitere Stimme antwortet mir: »Ja, selber hallo.«

»Wer ist denn da?«, will ich wissen.

»Hier ist Coco. Und du bist Penelope, stimmt’s?«

Na, so was? Das ist jetzt irgendwie unheimlich. »Woher weißt du, wie ich heiße?« Ich schaue mich mit Unbehagen um, spähe durch das stumpfe Glas der Kabine und kann niemanden entdecken. Nur vereinzelt fahren Autos auf der Straße vorbei. Niemand geht spazieren, keiner ist auf dem Schrottplatz auf dem sich Autos, Kühlschränke, Reifen und sonst was stapeln.

»Ich weiß alles. Ich bin nämlich eine helle Seherin«, erklärt das Mädchen am anderen Ende der Telefonleitung.

»So etwas gibt es nicht«, antworte ich schnell und wippe auf meinen Fußballen. Das wäre nämlich viel zu verrückt und cool, wenn das wahr wäre.

»Natürlich gibt es das. Oder glaubst du hummeldumme Nuss etwa nicht an Magie?«, fragt das Mädchen namens Coco.

»Ähm … du bist aber nicht so nett«, stelle ich fest. »Ich bin keine Nuss. Und dumm auch nicht.« Das muss die Welt doch endlich mal verstehen!

»Na ja. Überleg doch mal. Du telefonierst gerade in einer toten Telefonzelle. Das müsste unmöglich sein. Hab ich recht?«, sagt Coco und lacht. Es ist ein lustiges Lachen.

Fast muss ich mitlachen. »Ja, das ist abgefahren.« Ich schlage eines der alten Telefonbücher auf, in dem unendlich viele Zahlen und Namen stehen.

»Also, Penelope. Ich weiß alles über dich. Und auch, dass du immer zu spät nach Hause kommst, weil du dich verläufst …«

Mein Finger stoppt bei einem Herrn Wegmann und die Worte von diesem fremden Mädchen sickern viel zu langsam in mein Hirn. »Na ja. Das weiß jeder«, gebe ich zu bedenken und fühle mich einmal mehr beobachtet.

»Und dass du kleine Glassteine vom Schrottplatz klaust …«, fügt Coco jetzt hinzu und wartet.

Au Backe! Das kann nicht jeder wissen. Da hab ich aufgepasst.

»Das ist gar nicht wahr«, protestiere ich also und taste die Formen des kleinen blauen Glassteins in meiner Jackentasche ab.

»Ich muss jetzt auflegen«, beeile ich mich zu sagen und möchte plötzlich flüchten. Außerdem wird es Zeit, dass ich nach Hause komme, sonst ist Mama wieder sauer.

»Moooment mal!«, hält das Mädchen mich zurück. »Du hast gemopst. Und außerdem kannst du jetzt nicht einfach gehen!«, protestiert sie. Darauf folgen halb verschluckte Flüche. Wie Potz-blitz-verdammt-noch-eins, und ich lege erschrocken auf. Mit etwas zu viel Schwung vielleicht. Das ganze Telefon zittert. So wie meine Beine.

Das Telefon schrillt erneut und ich stoße vor Schreck einen Schrei aus. Meine Hände schwitzen, als ich den schwarzen Hörer wieder abnehme.

»Ja?«

»Oh, schön, dass ich wieder dran bin«, höre ich Coco sagen. »Du kannst mich jetzt nicht einfach hier klingeln lassen, musst du wissen.«

»Und wieso nicht?« Ich könnte einfach die Beine in die Hand nehmen und wegrennen. So schnell, als wäre Paul mal wieder hinter mir her. Oder der Nachbarshund Kunibert, der zwickt nämlich.

»Na, das ist doch ganz klar. Weil du eine Freundin brauchst.«

Mit dem Grund hätte ich jetzt nicht gerechnet. Ich muss schlucken. Kann es wirklich sein, dass Coco alles über mich weiß?

»Furzdoof«, ertönt es plötzlich aus dem Hörer, den ich etwas habe sinken lassen, weil er mir auf einmal viel zu schwer vorkommt.

»Warum sagst du solche Sachen?«, wundere ich mich. »Hat deine Mama dir nicht beigebracht, dass man keine Schimpfwörter benutzt?« Ich darf nicht mal »Mist« zu Hause sagen. Und das ist gar nicht so einfach, wenn man alles sagt, was einem durch den Kopf geht. Und Gründe zum Fluchen gibt es zuhauf.

»Meine Mama hat sie mir selbst beigebracht«, behauptet Coco vorwitzig.

»Das glaube ich dir nicht«, stoße ich aus und gehe all meine Verwandten durch, auf der Suche nach Kraftausdrücken. Onkel Helmut hat mal »Kackstelze« gesagt und musste dann gehen. Das war auf der Hochzeit von Tante Sandra.

»Bei uns ist das so, musst du wissen. Da fluchen alle. Das gehört sozusagen zum guten Ton«, behauptet Coco und holt tief Luft. »Ich habe mein halbes Leben im Zirkus verbracht. Und dort bin ich auch magisch geworden, musst du wissen. Verkackt noch eins.« Die letzten drei Worte sind schrill. Fast wie ein Niesen.

»Aha?« Das beeindruckt mich jetzt mehr als die Tatsache, dass ich in einer magischen Telefonzelle stehe und telefoniere. Moment mal. Könnte das hier so was wie in Narnia werden? In dem vier Kinder durch einen Schrank in eine fremde Welt gelangen? Das wäre ja mega! »Und wie viel ist ein halbes Leben?«, frage ich vorsichtig.

»Na, die Hälfte an Jahren, wie alt ich bin, natürlich«, erklärt Coco trocken. Ich kann ihr Grinsen heraushören.

»Und wie alt bist du?«, will ich wissen.

»Drölf.« Ich stutze. »Die Zahl gibt’s doch nicht.«

»Gibt’s nicht, gibt’s nicht. Es gibt alles Unmögliche. Und ich bin fast dreizehn, aber immer noch zwölf. Also bin ich drölf, ist doch logisch«, erklärt Coco eine Spur zu schnell. Ich brauche einen Moment, um zu kapieren.

»Oh, wie ich also. Ich bin auch zwölf.« Mein Herz macht einen seltsamen Sprung in meiner Brust.

»Ja, das ist phänomenal«, verkündet Coco feierlich.

»Also hast du sechs Jahre im Zirkus gelebt …«, rechne ich. »Und die andere Hälfte?«

»Auf dem Rummel, der Kirmes und dem Jahrmarkt.«

»Wow«, hauche ich und bin mir unsicher, ob das nicht alles das Gleiche ist.

»Ich bin nämlich auch Geisterbahn-Chef-Inspektorin, musst du wissen«, erzählt Coco weiter.

»Was soll das denn sein?« Ich stelle mir ein Mädchen in Uniform vor, die mit Taschenlampe und Lupe durch die dunklen Gänge schleicht und Fehler im System sucht. Apropos Fehler im System, könnte es sein, dass ich gerade verrückt werde?

»Na, ich merke schon. Du bist nicht die Hellste, was?«, beginnt Coco und ich unterdrücke den Impuls, den Hörer wieder aufzuhängen, angesichts der Beleidigung. Diesmal vielleicht ganz doll.

»Aber mach dir nichts draus, ich erkläre es dir«, redet Coco einfach weiter. »Ich teste die Geisterbahnen und die Gespenster in ihr. Wer nicht schockt, muss wieder nach Hause ins Geisterreich, denen wird dann die Erlaubnis zum beaufsichtigten Spuken entzogen. Von mir höchstpersönlich, natürlich.«

»Natürlich.«

»Ja, glaubst du mir etwa nicht?«, fragt Coco jetzt leicht säuerlich.

»Doch, doch«, beeile ich mich zu antworten. Das ist alles so verrückt. Das muss doch stimmen, oder nicht?

»Hast du zufällig einen Autoskooter zu Hause?«, fragt Coco plötzlich und ich bin vollends verwirrt.

»Ja«, antworte ich langsam und denke an das rote Ungetüm, das Papa sich für seinen Hobbyraum angeschafft hat. Er hatte dieses kleine Auto von diesem Schrottplatz gekauft. Mein Blick gleitet einmal mehr über die Berge Gerümpel, hin zu den Überresten eines alten Karussells.

»Echt? Das ist ja krötengenial«, flötet das Mädchen laut in den Hörer und ich halte ihn etwas weiter vom Ohr weg.

»Und warum ist das wichtig?«, frage ich mich eher selbst.

»Das ist wichtig, wenn man alte Kirmeschips hat«, lässt Coco mich wissen. »So«, sagt Coco. »Ich muss jetzt fort.«

»Hey, warum denn?« Ich bekomme so was wie Panik, mein Magen summt. Es wird doch gerade erst schön mit diesem Hirngespenst.

»Geschäfte«, flüstert Coco geheimnisvoll.

»Was denn für Geschäfte. Musst du in die Geisterbahn?«, hake ich nach und möchte mich am liebsten anbieten, als Assistentin der Geschäftsleitung.

»Ich muss einem Karussellschubser in den Arsch treten«, erklärt Coco. Wieder knackt es in der Leitung. Oha. Das hört sich ja interessant an. Ich muss grinsen und denke darüber nach, wie es sich wohl anfühlt, Leuten in den Arsch zu treten. Verbal meinetwegen, also nur mit Worten. In meinen Träumen male ich mir regelmäßig aus, auch mal auszuteilen und nicht nur einzustecken. Leider bin ich immer, wenn es darauf ankommt, wie gelähmt. Mama sagt, ich wäre schüchtern. Ich sage, ich bin ein Angsthase.

»Was ist denn ein Karussellschubser?«, will ich wissen.

»Das erkläre ich dir ein anderes Mal«, verspricht Coco mir.

»Okay«, antworte ich. »Und wann reden wir wieder?«

»Ruf mich nicht an, ich rufe dich an«, ist das Letzte, was diese Coco sagt, bevor sie einfach auflegt.

Ich stehe ziemlich belämmert in der alten Telefonzelle. Eingedreht in die viel zu lange Telefonschnur und denke nach.

»Ich hab ja gar keine Telefonnummer von dir, Coco«, flüstere ich und kämpfe mich frei. Ich könnte sie nicht mal kontaktieren, wenn ich wollte. Dann hänge ich den Hörer in die Gabel und gehe nach Hause.

Ich konnte die halbe Nacht nicht schlafen und habe mir den Kopf zerbrochen, ob es wirklich sein kann, dass eine Welt neben der unseren existiert. Dass es Orte wie das Wunderland oder Narnia wirklich gibt und Coco einen Schlüssel zu diesen hat. Was wäre alles möglich mit ein bisschen Zauberei? Ich könnte vielleicht so einigen Unannehmlichkeiten entgehen, wenn ich jemanden hätte, der hexen kann. Mathearbeiten zum Beispiel. Ich ziehe mir die Bettdecke bis zur Nase und drehe mich um. Der Wecker klingelt ein zweites Mal und Mama kommt in mein Zimmer.

»Pebbels, du musst jetzt aber endlich aufstehen«, mahnt sie mich und drückt mir einen Kuss auf die Stirn. Ich kann gar nicht so schnell protestieren, wie sie die Gardinen aufreißt und die Sonne ins Zimmer lässt. Das Tageslicht sticht in meinen Augen und die Steine, die vor dem Fenster baumeln, glitzern in bunten Farben.

»Zack, zack, Mäuschen.« Und weg ist die Decke. »Guck nicht so, als hättest du in eine Zitrone gebissen«, meint Mama und zwinkert mir zu.

Ich stehe auf, laufe barfuß zu meinem Schrank und denke an gelbe Früchte. An Limonade und daran, wie Oma sie immer zubereitet hat, bevor sie sich eines nachts klammheimlich auf in den Himmel gemacht hat. Oh, Mist! Das tut immer noch weh, dass sie weg ist. Ich schlucke und kann nichts dagegen machen, dass ich losheule. Einfach so.

»Schätzchen, was ist denn los mit dir?«, fragt Mama alarmiert, als sie meine Tränen entdeckt.

»Ich find es einfach nur doof, dass man nie mehr aus dem Himmel rauskommt, wenn man erst mal da ist«, platzt es aus mir heraus.

Mama runzelt die Stirn und legt ihre Hände auf meine Schulter. »Geht’s um Omi?«, errät sie.

»Um wen denn sonst? Sie hat mir nie gesagt, wie sie Limonade macht«, schluchze ich.

»Ach, Pebbels. Ich kann es dir doch auch zeigen.« Mama ist genauso traurig, ich sehe es ihr an. Oma ist jetzt ganze neun Monate nicht mehr da und ich kann nicht vergessen, dass sie mir fehlt.

»Der liebe Gott wollte Oma eben bei sich haben«, sagt Mama und ich möchte ihr gerne sagen, dass der liebe Gott ganz schön gemein ist. Stattdessen bleiben die Worte und die Wut irgendwo in meinem Magen stecken und ich fange an mich anzuziehen. Vollkommen wahllos, wie immer.

Die verschiedenfarbigen Socken entdecke ich erst, als ich unten in die Turnschuhe schlüpfe. Mama drückt mir ein Schokobrot in die Hand und ich verkrieche mich einen Moment in Papas Autoskooter. Manchmal hab ich das Gefühl, ich gehöre hier nicht her. In diese Welt, diese schnelle Welt, in der man pünktlich in der Schule sein muss. Und nach Stoppuhr Aufgaben bewältigen soll.

»Pebbels, du musst zur Schule«, ruft Mama in den Hobbyraum hinein. »Beeil dich bitte.« Plötzlich steht sie vor mir und stemmt die Arme in die Seite. »Sag mal, isst du wieder im Auto?«, fragt Mama. Ihre Brille sitzt irgendwie schief auf der Nase und ich muss lächeln, was Mama in den falschen Hals bekommt. »Mach es ja nicht schmutzig. Du weißt, dass es Papas ganzer Stolz ist«, mahnt sie und hebt den Zeigefinger. Dumm, dass ich ganz plötzlich niesen muss, sicher eine Unfreundlichkeitsallergie und mit einem Hatschiiih verteilen sich Spucke und Brotreste im Autoskooter. Bah!

»Ach, Pebbels«, stöhnt Mama und eilt mit einem Taschentuch herbei. Ich steige umständlich aus.

»’tschuldigung. Aber gegen Niesen kann man nix machen«, verteidige ich mich, während sie die Sauerei fortwischt.

»Mama? Hast du eigentlich auch Hirngespenster?«, frage ich und denke an die Telefonzelle und das seltsame Mädchen, das während des Gesprächs behauptet hat, sie sei nicht echt. Denn es kann ja unmöglich nur mir so gehen?

»Du meinst Hirngespinste?«, hakt Mama nach.

»Sag ich doch.« Nie hört die mir richtig zu.

»Wenn sich jemand Dinge einbildet, dann hat er Hirngespinste«, erklärt Mama und gibt mir meine Büchertasche. Ich hätte ein Pferd werden sollen, um die ganzen Bücher zu tragen, denke ich, als ich das volle Gewicht zu spüren bekomme.

Ich folge Mama zur Haustür, ihr großer Po wackelt in der blauen Jeans von einer zur anderen Seite. Bei dem Anblick könnte es einem fast seekrank werden.

»Ich hab dir deine Brotdose in die Tasche gepackt«, höre ich Mama über die tosenden Wellen einer rauen See hinweg sagen, die ich mir gerade vorstelle. Ich bleibe stehen, sehe in meiner Fantasie Möwen über mir kreisen und höre ihre Schreie. Fast ist es, als schmecke ich sogar das Salz des Meeres auf meiner Zunge und … bekomme einen Schubs von Mama. »Hey, träum nicht.«

»Mach ich nicht«, entgegne ich und öffne die Tür. Mein Blick fällt auf die Socken, die unter den Hosenbeinen hervorschauen. Die eine rot, die andere gelb. Ich kaue auf meiner Unterlippe, besorgt darüber, was die anderen dazu für eine Meinung haben werden. Und eine Meinung haben die irgendwie immer zu meiner Kleidung. Zu bunt, zu schwarz, zu klein, zu out.

»Jetzt aber hopp, hopp«, treibt Mama mich energisch an und guckt auf die Uhr.

Ich sprinte los, aus dem Gartentor, hinaus auf den Gehweg, um die nächste Ecke in Richtung Schrottplatz. Die Telefonzelle ist nur noch sieben Schritte entfernt. Sie ragt fast schon unheimlich in der Morgendämmerung vor mir auf und erinnert mich plötzlich viel zu sehr an das perfekte Zuhause für ein Gespenst. Gut, zwar nur für ein sehr kleines Hirngespenst namens Coco, aber immerhin.

Vielleicht hab ich gestern ja nur geträumt? Taggeträumt, um genau zu sein. Mama sagt, man kann regelrecht in solchen Träumen verschwinden, auf Nimmerwiedersehen.

Die gelbe Telefonzelle ist nur eine Handbreit entfernt und klingelt nicht. So gar nicht. Oleg, ein Nachbarsjunge, der auch auf dem Weg zur Schule ist, kommt vorbei. Er hat keinen Blick für mich übrig und ich erinnere mich daran, dass er mal sagte, die gelbe Zelle solle man lieber abreißen.

»Also doch nur ein Tagtraum«, kombiniere ich und fühle mich ein bisschen einsam. So wie Mirjas Meerschweinchen, das immer ganz alleine in seinem Käfig sitzt, weil Mirja kein zweites haben darf.

Oleg sieht mich jetzt doch an, er rümpft die Nase. Ich stecke meine Hände tief in die Hosentaschen und beschleunige meinen Schritt. Und … bleibe ruckartig stehen. In der Telefonzelle klingelt es.

Geil! Mein Hirngespenst! Auch Oleg bleibt stehen. Sein Mund klappt auf und zu wie bei einem Fisch.

»Ich geh ran«, stoße ich aus. Oleg ist schneller.

»Hallo?«, sagt er in den Hörer und hält mich mit seinem Arm auf Abstand, als ich mich zu ihm in die Zelle quetsche.

»Das ist für mich«, versuche ich zu erklären und zupfe zaghaft an seinem Ärmel. Oleg lauscht, eine steile Falte zeigt sich zwischen seinen Brauen.

»Komm schon, das ist mein Telefongespräch«, fordere ich erneut, diesmal weinerlich.

»Nein, das ist für eine Penelope«, antwortet Oleg überrascht und wundert sich etwas zu lange.

»Aber ich bin Penelope. Das ist mein echter Name«, erkläre ich dem Jungen, der mich nur unter Pennratte oder Pebbels kennt.

»Oh, du Arme. Der ist ja noch schlimmer«, spottet der und gibt den Hörer endlich weiter. Ich beginne zu zittern, so aufgeregt bin ich.