Spuk in der Geistervilla - Dana Kilborne - E-Book
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Spuk in der Geistervilla E-Book

DANA KILBORNE

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Der Sommer in Dedmon's Landing fängt super an: Keisha lernt die nette Audrey kennen und verliebt sich in den coolen Milo. Aber plötzlich wird es gefährlich: In der verfallenen Villa, die ihre Eltern hier sanieren wollen, hört Keisha geisterhafte Klaviermusik. Als sie nach dem Rechten sehen will, wird sie im Dunkel der Nacht niedergeschlagen. Kurz darauf gibt es sogar einen Toten! Welches Geheimnis birgt die Spukvilla – und warum wird Keisha das Gefühl nicht los, dass ihre neuen Freunde ihr etwas verschweige? Neuauflage des Bestsellers "Gefährlicher Sommer" von Dana Kilborne – Spannung pur! Alle Romane der Reihe "Deadman's Landing" sind einzeln und unabhängig voneinander lesbar.

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Dana Kilborne

Spuk in der Geistervilla

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

1.

Als der Bus auf der steilen Straße in eine enge Kurve fuhr, presste Keisha ihr Gesicht gegen die Scheibe und spähte hinaus. Weit konnte es nicht mehr sein, aber noch war nichts von dem Dorf, zu dem sie wollte, zu sehen.

Keisha seufzte. Eigentlich hielt sie sich selbst für verrückt, die nächsten Wochen ausgerechnet in dem kleinen Kaff Dedmon’s Landing zu verbringen. Sie mochte keine Dörfer, war ein Großstadtmensch und würde sich bestimmt zu Tode langweilen.

Aber sie hatte nun mal beschlossen, die erste Zeit nach dem Schulabschluss bei ihren Eltern zu verbringen, und die hielten sich zurzeit nun mal dummerweise in Dedmon’s Landing auf. Aber womöglich war es auch ganz gut so. Keisha brauchte einfach etwas Zeit zum Nachdenken, und vielleicht – nein, ganz bestimmt sogar! – fand sie hier die nötige Ruhe dazu.

Sie blinzelte und wandte sich vom Fenster ab. Ihre Sitznachbarin, Mrs. Eisenberg, die ihren Sohn in Dedmon’s Landing besuchen wollte, hatte ihr die ganze Fahrt über irgendwelche Geschichten aus ihrem Leben erzählt, bevor sie schließlich eingeschlafen war.

Aber immer noch besser als weiter hinten zu sitzen, wo ein paar Kids herumpöbelten. Darauf hatte Keisha wirklich keinen Nerv.

Sie seufzte. Das war der Grund, weshalb sie Busfahren so ätzend fand: Nie hatte man seine Ruhe. Besonders ärgerlich an der Sache war, dass sie längst einen Führerschein besaß – nur eben keinen eigenen Wagen. Dafür hatten ihre Ersparnisse aus diversen Nebenjobs dann doch nicht mehr gereicht. Und ihre Eltern vertraten nun mal die Ansicht, dass man sich solche Dinge selbst erarbeiten musste.

Vielleicht war es also wirklich ganz gut, dass sie die nächsten Wochen in diesem Kaff verbrachte. Sie musste sich dringend über einige wichtige Sachen klar werden. Immerhin war sie jetzt schon neunzehn und hatte keinen blassen Schimmer, wie sie sich ihre Zukunft vorstellte. Das musste sich unbedingt ändern!

Der Bus bog erneut ab, und als sie jetzt wieder aus dem Fenster blickte, sah sie das Ortseingangsschild von Dedmon’s Landing.

Keisha atmete tief durch. Jetzt würde sie also gleich ihre Eltern wiedersehen. Sie war schon ganz gespannt, schließlich hatte sie sie lange nicht gesehen.

Sobald der Bus das Ortsschild von Dedmon’s Landing passiert hatte, wachte die ältere Frau neben Keisha auf. Ganz so, als ob eine innere Uhr sie geweckt hatte. Sie lächelte ihr zu. »Und wo musst du genau hin, Kind?«, erkundigte Mrs. Eisenberg sich.

Keisha verzog kaum merklich die Miene. Sie mochte es nicht, wenn man sie »Kind« nannte. Ihrer Ansicht nach war man schon mit fünfzehn kein Kind mehr. Aber sie war immerhin neunzehn, und damit eine junge Frau, ein Teenager, aber ganz sicher kein Kind mehr!

»Meine Eltern holen mich am Busbahnhof ab«, erklärte sie knapp.

»Ach, dann besuchst du deine Eltern hier?«, fragte Mrs. Eisenberg neugierig. »Wie heißen sie denn? Vielleicht kenne ich sie ja.«

»Mr. und Mrs. Coleman«, antwortete Keisha. »Aber ich denke nicht, dass Sie sie kennen. Meine Eltern leben nämlich nicht in Dedmon’s Landing, sondern wohnen nur vorübergehend hier.«

»So?«

»Ja, sie kaufen alte Häuser auf und renovieren sie, um sie dann teuer wieder zu verkaufen.«

In dem Moment stoppte der Bus, und Mrs. Eisenberg stand auf. »Dann wünsche ich dir alles Gute, Kind«, sagte sie, nahm ihre kleine Tasche und ging zum Ausgang.

Keisha nickte. »Ihnen auch«, rief sie noch, dann stand sie ebenfalls auf und nahm aus dem Gepäckfach über den Sitzen ihre Reisetasche und ihren Rucksack herunter, den sie sich auf den Rücken schnallte.

So beladen stieg sie kurz darauf aus dem Bus. Draußen erwartete sie strahlender Sonnenschein. Es war früher Nachmittag und herrliches Wetter. Kein Wölkchen stand am strahlend blauen Himmel, doch obwohl die Sonne ihre Strahlen auf die staubige Erde warf, war es nicht zu heiß, denn vom Meer her blies ein kühler Wind.

Keisha schaute sich um. Sie sah, wie sich die anderen Leute, die mit ihr aus dem Bus gestiegen waren, in alle Richtungen zerstreuten. Manche gingen allein fort, manche wurden abgeholt.

Letzteres war das Stichwort für Keisha. Auch sie sollte eigentlich abgeholt werden, doch dummerweise konnte sie ihre Eltern nirgendwo entdecken. Seufzend stellte sie ihre Reisetasche ab und fuhr sich mit der Hand durch ihr schulterlanges, kastanienbraunes Haar, das sie mit zu viel Haarspray aufgestylt hatte, sodass ihre Finger jetzt leicht klebten. Das fehlte ihr jetzt noch, dass ihre Eltern vergessen hatten, sie abzuholen. Dedmon’s Landing war zwar nicht groß, aber sie kannte sich hier überhaupt nicht aus und hatte keinen Schimmer, wo sie ihre Eltern finden konnte.

Am besten, ich frage einfach jemanden, dachte Keisha. Der riesige Luxuswohnwagen, mit dem ihre Eltern stets umherfuhren, war immerhin so auffällig, dass ihr in einem Kaff wie diesem bestimmt jedes Kind sagen konnte, wo sie zurzeit steckten.

Gerade als Keisha überlegte, wen sie am besten ansprechen sollte, erklang ein lautes Rufen hinter ihr und riss sie aus ihren Gedanken.

»Honey! Honey, hier bin ich!«

Es war die Stimme ihrer Mutter. Keisha hätte sie unter Tausenden anderer Stimmen wieder erkannt, so schrill war sie.

Sie drehte sich um, und einen Moment später hatte ihre Mom sie auch schon erreicht und schloss sie überschwänglich in die Arme.

»Hey, Mom, nun mal langsam, du erdrückst mich ja noch!«, stieß sie gequält aus.

Endlich ließ Mrs. Coleman von ihr ab. Eindringlich musterte sie ihre Tochter. »Schön, dich wiederzusehen, Kind«, sagte sie lächelnd. »Bist groß geworden.«

»Ach, Mom.« Keisha verdrehte die Augen. »Findest du das jetzt nicht reichlich albern?«

Verwundert sah ihre Mutter sie an. »Wie meinst du das?«

»Na, erstens ist es schon lange ziemlich lächerlich, mich Kind zu nennen. Und zweitens bin ich, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, ganz bestimmt nicht mehr gewachsen.«

»Ach, jetzt sei doch nicht so streng mit mir, Honey. Ich bin halt so aufgeregt, dich endlich wiederzusehen. Glaub mir, es ist auch nicht einfach für mich gewesen, meine eigene Tochter nicht jeden Tag um mich zu haben.«

Ungläubig sah Keisha ihre Mutter an. »Das ist jetzt aber nicht dein Ernst, oder? Darf ich dich vielleicht daran erinnern, dass ihr mich ins Internat gegeben habt?«

»Glaubst du denn, das weiß ich nicht? Es war eine schwere Situation damals. Dein Dad und ich hatten beruflich viel zu tun, und wir waren ja immerzu auf Reisen. Da hielten wir es einfach für besser, wenn du in ein Internat gehst. Leicht war es aber trotzdem nicht immer für mich, das kannst du mir ruhig glauben.«

»Ist ja schon gut.« Seufzend nahm Keisha ihre Tasche auf. »Können wir dann los? Ich hab wirklich keine Lust, noch lange hier herumzustehen.«

Mrs. Coleman nickte. »Dann komm, gehen wir. Das Haus, das dein Vater und ich gerade restaurieren, ist ganz in der Nähe. Die Leute hier nennen es das Old House. Es ist auch wirklich sehr alt. Und riesig groß.« Sie schüttelte den Kopf. »Und in einem ganz erbärmlichen Zustand, aber dafür war es auch wirklich spottbillig. Wenn wir erst mal mit den Arbeiten fertig sind, wird ein Verkauf eine ganz schöne Summe einbringen. Aber bis dahin dauert es wohl noch eine ganze Weile.«

Sie gingen weiter und ließen auch die Mainstreet von Dedmon’s Landing hinter sich. Dabei wurde Keisha erst so richtig bewusst, wie klein der Ort tatsächlich war. Außer einem Lebensmittelmarkt, einer kleinen Post, einem Diner und einer Öko-Pizzeria (was immer das auch sein mochte, von so was hatte Keisha jedenfalls noch nie gehört) gab es ja hier so gut wie gar nichts!

Na, das kann ja heiter werden, dachte Keisha seufzend. So viel, wie hier los ist, werde ich die paar Bücher, die ich dabei habe, wahrscheinlich schon in zwei Tagen ausgelesen haben.

»Das Haus steht etwas abseits«, erklärte Mrs. Coleman. »Es ist so eine Art Herrenhaus, weißt du? Sehr groß und uralt.«

Keisha nickte. »Das sagtest du schon. Aber du hast auch gesagt, dass es nicht weit ist.«

»Ist es ja auch nicht. Eins musst du dir merken, Honey: In diesem Ort ist überhaupt nichts weit voneinander entfernt.«

Sie bogen in eine kleinere Straße ein, bei der es sich um eine Sackgasse handelte, und Mrs. Coleman blieb stehen. »So, das ist es auch schon.« Sie deutete nach vorn. »Ist es nicht schön?«

Keisha blickte auf das Haus, das am Ende der Straße stand und diese somit abschloss, und zuckte unwillkürlich zusammen. Nein, schön war an diesem Haus gar nichts! Vielmehr war es irgendwie … unheimlich!

Wie ein düsterer Gigant ragte es aus der Erde und warf seinen Schatten auf die Straße. Und schon von weitem konnte Keisha erkennen, dass es sich in einem ganz schrecklichen Zustand befand. Ehemals weiß gestrichen, war die Farbe im Laufe der Jahre immer mehr verblichen, sodass es heute schmutzig grau wirkte. In der oberen Etage gab es einen Balkon, der aussah, als würde er jeden Moment von seinem eigenen Gewicht in die Tiefe gerissen. An einigen Stellen war das Geländer eingesunken, die Scheiben der Fenster waren von uraltem Staub ganz blind, und das Dach wirkte löchrig wie ein Schweizer Käse – kurz: Eine totale Bruchbude!

Sie gingen weiter, und je näher sie dem Haus kamen, desto mehr verspürte Keisha ein Gefühl von eisiger Kälte. Sie runzelte die Stirn. Das war natürlich blanker Unsinn, aber dennoch … irgendwie mochte sie dieses Haus schon jetzt nicht. Zum Glück muss ich da drin nicht schlafen, dachte sie, dann erreichten sie das Haus.

Ihr Vater stand davor und machte gerade einige Fotos von der Fassade. Jetzt drehte er sich um und sah seine Tochter lächelnd an.

»Hey, Dad«, begrüßte Keisha ihn und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Wie läuft’s denn so?«

»Ganz gut, wir …«

War bis eben alles ruhig gewesen, so ging es nun drunter und drüber. Plötzlich stürmte einige Männer aus dem Haus – die Overalls und Helme verrieten Keisha, dass es sich um Arbeiter handeln musste –, und blieben vor Mr. Coleman stehen.

Entsetzt starrten sie ihn an.

»Was ist denn los, Dick?«, fragte Keishas Dad.

Der Mann – offenbar handelte es sich um den Vorarbeiter – nahm seinen Helm ab und schüttelte entschieden den Kopf. »Es tut mir leid, Sir, aber wir gehen da nicht mehr rein. Sie müssen sich andere Kräfte suchen.«

Keishas Dad stand wie vom Donner gerührt da. »Andere Kräfte?«, fragte er irritiert. »Aber was meinen Sie denn damit? Sie wollten den Job doch haben.«

»Schon«, erwiderte dieser Dick. »Wir dachten, das ist alles nur dummes Gerede, aber das ist es nicht.«

»Was für dummes Gerede? Was meinen Sie?«

Der Vorarbeiter zögerte kurz, so fürchtete er sich davor, die folgenden Worte auszusprechen. Keisha entging nicht, dass ihm die Angst ins Gesicht geschrieben stand. Er sah aus, als hätte er soeben etwas Grausames gesehen. »In dem Haus, da spukt es, Sir!«

Um ein Haar hätte Keisha laut aufgelacht, doch im letzten Moment gelang es ihr, sich zusammenzureißen. Zunächst dachte sie, dass der Mann Witze machte, doch sein Gesichtsausdruck verriet ihr, dass er es ernst meinte.

Todernst.

»Was reden Sie denn da für einen Unsinn?«, fuhr ihr Vater den Mann an. »Sagen Sie nicht, Sie hören jetzt auch schon auf dieses Gerede, das …«

Er kam nicht dazu, weiter zu sprechen, denn in dem Moment wandten sich die Arbeiter von ihm ab und eilten davon, als sei der Teufel persönlich hinter ihnen her.

Verdutzt schaute Keisha ihnen nach. So etwas hatte sie noch nie gesehen! Waren diese Typen etwa wirklich davon gelaufen, weil sie glaubten, dass es in dem Haus spukte? Erwachsene Männer?

»Wir hätten uns denken können, dass so etwas früher oder später passiert«, sagte ihr Dad mit grimmiger Miene.

»Aber was sollen wir denn jetzt machen?« Das war ihre Mom. Sie klang verzweifelt. »Wir brauchen diese Arbeiter doch!«

Mr. Coleman hob die Schultern. »Dann müssen wir uns eben um Ersatz bemühen.«

»Ähm«, meldete Keisha sich vorsichtig zu Wort. »Darf man mal fragen, was das eben zu bedeuten hatte?«

Doch ihr Dad schüttelte den Kopf. »Nichts weiter, Kleines. Es ist alles in Ordnung.«

Ihre Mom nahm sie am Arm und zog sie mit sich zum Wohnwagen. »Ich glaube, es ist besser, wenn wir deinen Dad eine Weile in Ruhe lassen. Was hältst du davon, wenn du jetzt erst mal deine Sachen auspackst, dich ein wenig frisch machst und dann zum Kaffeetrinken in die Küche kommst? Ich bereite dann schon mal alles vor.«

»Wenn du meinst.« Keisha zuckte die Achseln. »Aber willst du mir nicht doch sagen, was das eben …«

»Später, Honey, später. Jetzt geh erst mal auf dein Zimmer und komm in aller Ruhe an.«

Nachdem sie sich geduscht und umgezogen hatte, packte Keisha die restlichen Sachen aus ihrem Gepäck. Der Wohnwagen ihrer Eltern unterschied sich nahezu in nichts von einer normalen Wohnung, außer eben, dass er mobil war. Hier gab es alles, was man brauchte: Küche, Wohn-, Schlaf- und Kinderzimmer und ein Bad mit Dusche. Ein klein wenig enger war alles natürlich schon, aber nicht so, dass man sich zusammengepfercht fühlte. Für gewöhnlich besaßen vor allem Schausteller solche Wagen.

Das Zimmer, in dem Keisha sich nun aufhielt, hatten ihre Eltern schon vor langer Zeit extra für sie eingerichtet, damit sie sich wohl fühlte, wenn sie ihre reisenden Eltern mal besuchte. Ansonsten stand es leer.

Keisha sah sich kurz um. Es war das kleinste Zimmer, und trotzdem fehlte hier nichts. Es gab ein großes Bett, das locker für zwei gereicht hätte, einen Schrank, ein Nachtschränkchen und einen Schreibtisch. Die Wände waren farbenfroh gestrichen, und an der Wand gegenüber des Bettes hing ein kleiner Flachbildfernseher, sodass Keisha gemütlich vom Bett aus fernsehen konnte.

Gar nicht mal so übel – auf jeden Fall tausendmal besser als ihr Zimmer im Internat, das sie sich auch noch hatte teilen müssen.

Sofort musste Keisha wieder daran denken, weshalb sie eigentlich hierher zu ihren Eltern gekommen war: Sie wollte in aller Ruhe darüber nachdenken, wie sie sich ihre Zukunft vorstellte. Und das schien im Moment noch eine schier unlösbare Frage zu sein. Im Gegensatz zu den meisten anderen Leuten im Internat hatte sie nämlich noch keinen Berufswunsch.

Es war ja nicht so, dass sie sich noch nie Gedanken darüber gemacht hatte. Das Problem war nur, dass ihr nichts einfiel, das sie gern für den Rest ihres Lebens machen würde. Einige ihrer Freundinnen hatten bereits Lehrstellen und fingen nach dem Sommer an zu arbeiten, die meisten in irgendwelchen Büros. Andere wiederum gingen zum College.

Keisha hingegen konnte sich absolut nicht vorstellen, die nächsten fünf, sechs Jahre weiter zur Schule zu gehen (und nichts anderes bedeutete studieren ja), und der Gedanke an einen staubtrockenen Bürojob war auch der pure Horror für sie.

Die Lehrer im Internat hatten sie beinahe bekniet, zu studieren, was wohl vor allem an ihren guten Noten lag, und hätten sie wohl am liebsten dazu überredet, aber Keisha vertrat nun mal die Ansicht, dass sie sich hundertprozentig sicher sein musste, bevor sie so eine wichtige Entscheidung traf. Immerhin eine Entscheidung fürs Leben.

Natürlich war ihr auch klar, dass sie die Sache nicht hinauszögern durfte, schließlich wollte sie auch nicht den Rest ihres Lebens im Wohnwagen ihrer Eltern verbringen! Aber ein bisschen Zeit brauchte sie einfach noch, und deshalb war sie auch froh, dass ihre Eltern ihr keinen Druck machten, sondern ihr sofort angeboten hatten, die nächste Zeit bei ihnen zu bleiben und in Ruhe über alles nachzudenken. In dieser Hinsicht waren sie schon ziemlich locker drauf, das musste Keisha ihnen lassen.

Seufzend packte sie ihre restlichen Klamotten in den Schrank, dann machte sie sich auf den Weg zu ihren Eltern, blieb aber auf halber Strecke stehen, weil ihr einfiel, dass sie gerade ihre Kleidung gewechselt und dabei etwas Wichtiges vergessen hatte.

Sie ging noch einmal zurück und nahm aus der Innentasche ihrer dünnen Sommerjacke, die sie vorhin getragen hatte, ein etwa handgroßes blaues Täschchen. Dieses steckte sie dann in die Beintasche der blaugrauen Cargohose, die sie jetzt anhatte.

Dann verließ sie ihr Zimmer.

Hatte Keisha gehofft, beim gemeinsamen Kaffeetrinken mit ihren Eltern etwas mehr über den seltsamen Vorfall mit den Arbeitern herauszubekommen, so sah sie sich nun enttäuscht, denn sie war immer noch genauso schlau wie vorher.

Ihr Dad hatte lediglich gemeint, dass die Leute hier in der Gegend manchmal ein bisschen wunderlich waren, und ihre Mom sagte nur, dass sie sich keine Sorgen machen, sondern stattdessen lieber ein wenig den Ort erkunden gehen solle.

Und genau das tat Keisha jetzt auch. Letztendlich war das mit den Arbeitern ja auch Sache ihrer Eltern, was sollte sie sich da einen Kopf machen?

Ihr erstes Ziel war der Diner, den sie ja vorhin schon gesehen hatte. Als sie ihn jetzt erreichte, verriet ihr das große Leuchtschild über dem Eingang, dass der Laden Burger Shack hieß. Ein Lächeln huschte über ihre vollen Lippen. Was für ein Name!

Sie ging auf die Tür zu und betrat den Diner. Drinnen empfing sie angenehm kühle Luft. Ansonsten sah das Burger Shack aus wie jeder andere Diner, in dem sie bis jetzt gewesen war. Stühle mit rotem Kunstlederbezug, Resopaltischplatten und eine Theke aus glänzendem Chrom. Dahinter wirbelte ein Mädchen in Keishas Alter herum, das ziemlich im Stress zu sein schien.

Weil sie nicht nerven wollte, beschloss Keisha, zuerst mal aufs Klo zu gehen. Als sie wieder heraustrat, sah sie nicht, dass die Bedienung gerade an der Tür vorbeikam.

Sie spürte einen Widerstand, hörte einen Schrei. Dann traf sie etwas Kaltes an der Brust.

»Verdammt!«, stieß Keisha erschrocken aus. Sie schaute an sich herunter. Reste von Milchshake tropften von ihrem Shirt. »Was zum Teufel …?«

»Kannst du nicht aufpassen, wo du hinläufst, du Trampel?«

Keisha blinzelte irritiert. »Wie bitte?«

»Du hast mich schon verstanden«, fauchte die Kellnerin des Diners sie an. »Deinetwegen ist mir das Tablett runtergefallen. Den Schaden wirst du mir ersetzen!«

»Ach ja?« Keisha verschränkte die Arme vor der Brust. »Den Teufel werde ich tun!«

2.

Keisha konnte es nicht fassen. Da war sie gerade mal ein paar Stunden in diesem Ort, und schon gab es den ersten Ärger. Was bildete diese dämliche Ziege sich eigentlich ein? Die ganze Sache war ja wohl ein dummer Unfall gewesen, da trug keiner von beiden die Schuld dran. So was konnte halt passieren.

»Jetzt krieg dich mal wieder ein«, sagte sie leise zu der Blondine. »Wir haben beide nicht aufgepasst, außerdem ist die Sache doch echt kein Drama. Ich helfe dir gerne, die Sauerei auf dem Boden wegzumachen – aber bezahlen werde ich ganz sicher nichts. Und immerhin ist es mein Shirt, das jetzt total hinüber ist.« Seufzend schaute sie an sich hinunter und versuchte den riesigen braunen Schokofleck wegzuwischen.

»Lass das, du machst es bloß noch schlimmer.« Die Blondine griff hinter die Theke und holte einen feuchten Lappen hervor, den sie Keisha reichte. »Hier. Sorry übrigens, dass ich dich gerade so angeschnauzt hab. Ich bin heute einfach nicht so gut drauf. Der Stress hier, dann hab ich auch noch Ärger zu Hause. Wenn das so weitergeht, krieg ich echt bald die Krise. Ich …«

»Audrey Winger, was ist denn jetzt schon wieder los?«, erklang da eine laute Stimme, und Keisha sah einen Mann, der soeben aus einer breiten Schwingtür (hinter der sich wahrscheinlich die Küche befand) neben der Theke trat.

Kopfschüttelnd kam er auf sie zu und starrte die Blondine an, die schuldbewusst mit gesenktem Blick dastand. »Was hast du jetzt wieder angestellt?«, fragte er. »Den Shake ziehe ich dir von deinem Lohn ab, dass das klar ist! Und die Reinigungskosten von unserem Gast auch.« Er wandte sich Keisha zu. »Tut mir leid, Mädchen, aber du kannst unbesorgt sein: Das war das letzte Mal, dass Audrey so eine Dummheit angestellt hat, ich werde …«

»Es war meine Schuld!«, sagte Keisha schnell. »Wirklich, Mister, ich war es, die nicht aufgepasst hat. Audrey kann nichts dafür. Selbstverständlich zahle ich den Shake.«

Der Mann, ganz offenbar der Besitzer des Ladens, schaute sie ein wenig ungläubig an, hob dann aber die Schultern. »Lass mal gut sein, Mädchen. So was kann schließlich passieren.«

Leise grummelnd wandte er sich ab und verschwand wieder in der Küche.

»Puh, sehr umgänglich ist der Typ ja nicht gerade«, kommentierte Keisha.

Die Blondine schüttelte den Kopf. »Ach, eigentlich ist Mr. Heart ganz in Ordnung, auch als Chef. Er mag es nur nicht, wenn man während der Arbeit nicht bei der Sache ist, und das ist bei mir in letzter Zeit leider häufiger der Fall.« Seufzend zuckte sie mit den Achseln, dann lächelte sie Keisha zu. »Danke übrigens. War echt nett von dir, dass du mich gedeckt hast. Und das, nachdem ich dich so angemacht hab vorhin.«

»Ist schon in Ordnung. Einen schlechten Tag hat schließlich jeder mal. Vergessen wir das, okay?«

»Und dein Shirt?«

»Ach, das gebe ich gleich meiner Mom, die kriegt jeden Flecken raus. So, jetzt geh ich aber lieber mal wieder nach Hause und zieh mich um. So kann ich ja wohl unmöglich weiter rumlaufen.«

»Sag mal, hast du heut Abend schon was vor? Sonst würd ich dich gern auf eine Pizza einladen. Als kleine Wiedergutmachung sozusagen.«

»Warum nicht?« Keisha lächelte. »Bei Pizza kann ich sowieso nie nein sagen.«

»Kennst du denn schon das ECO?Logical?«

Keisha überlegte kurz. »Ach, du meinst diese komische Öko-Pizzeria? Ja, die hab ich vorhin kurz gesehen. Wann sollen wir uns da treffen? So gegen sieben?«