Schneeweißer Tod - Dana Kilborne - E-Book
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DANA KILBORNE

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Beschreibung

 Das Hecheln der wütenden Hunde, die Schreie ihres Freundes Preston ... Panikattacken quälen Jinx seit jenem schrecklichen Tag vor drei Jahren! Ein Aufenthalt in der Klinik Candlewick Hall scheint die letzte Rettung. Doch auf der verschneiten Burg in Schottland ist die Zeit ihrer Angst noch nicht vorbei – sie beginnt erst richtig! Denn aus der geschlossenen Abteilung bricht ein Serienmörder aus, und ein Mädchen wird ermordet. Bei der Leiche entdeckt man einen Zettel mit Zeilen aus einem schottischen Kinderlied. Jinx ist wie erstarrt vor Angst. Genau dieses Lied hat Preston ihr immer vorgesungen ...   

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Dana Kilborne

Schneeweißer Tod

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Prolog

 

Dr. Carolyn Bruce ahnte nicht, dass ihr in weniger als fünf Minuten das Pech widerfahren würde, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein.

Ihre Laune war nicht gerade die beste, als sie ihren Wagen gegen neunzehn Uhr noch einmal vor ihrer Praxis in der Altstadt von Inverness parkte. Sie hätte längst zu Hause sein und es sich, nach einem wohltuenden heißen Bad, bei einer Flasche Wein vor dem Kamin gemütlich machen können, als Einstimmung auf das bevorstehende Wochenende. Ihr Elternhaus, in dem sie seit dem Tod ihrer Mutter vor zwei Jahren allein lebte, befand sich etwas außerhalb der Stadt, und sie hatte schon knapp die Hälfte der einstündigen Fahrt hinter sich gebracht. Doch dann war ihr siedendheiß eingefallen, dass das Geschenk für ihre Nichte, das sie in der Mittagspause besorgt hatte (eine Puppe, die momentan bei kleinen Mädchen ganz hoch im Kurs stand), noch in der Praxis lag. Verdammt! Sie hatte hin und her überlegt. Sollte sie jetzt wirklich noch einmal zurückfahren? Oder Cynthia einfach aufs nächste Mal vertrösten? Doch da ihre Schwester, seit sie vor einem Jahr nach London gezogen war, ohnehin viel zu selten mit ihrer fünfjährigen Tochter zu Besuch kam und sich nun endlich für morgen einmal wieder angekündigt hatte, fiel für Carolyn recht schnell der Entschluss, umzukehren. Die Enttäuschung ihrer Nichte, wenn sie ohne ihr lang ersehntes Geschenk erschien, konnte sie praktisch jetzt schon spüren, und das wollte sie einfach nicht riskieren.

Hastig stieg sie jetzt aus dem Auto, streifte sich den Trageriemen ihrer Handtasche über die Schulter und eilte hinüber zu dem dreistöckigen Gebäude am Ende der keinen Seitenstraße. Eisiger Wind peitschte um die alten Gebäude und trieb ihr kleine weiße Flocken ins Gesicht. Gestern Abend hatte es zum ersten Mal in diesem Winter angefangen zu schneien. Noch war es nicht kalt genug, dass der Schnee liegen blieb, was für Ende November nichts Ungewöhnliches war. Doch es handelte sich sicher nur um die ersten Vorboten eines langen, strengen Winters, so wie man es in Schottland gewohnt war. Carolyn zog ihren Schal enger um den Hals. Endlich erreichte sie das Haus mit dem Praxisschild links neben der Haustür.

 

DR. CAROLYN BRUCE

FACHÄRZTIN FÜR PSYCHOTHERAPEUTISCHE MEDIZIN

 

Erst vor knapp einem Jahr hatte Carolyn die Praxis von ihrem Vorgänger übernommen. Zuvor war sie schon einige Jahre Dr. Shaws Assistentin gewesen. Nach ihrem Studium hätte sie sich keinen besseren Mentor vorstellen können. Dass sie nun in seine Fußstapfen treten konnte, hatte sie allerdings nur dem nicht gerade kleinen Erbe ihrer Mutter zu verdanken, die als Zahnärztin für Privatpatienten ein kleines Vermögen angehäuft hatte. Andernfalls hätte Carolyn sich die hohe Ablösesumme nicht leisten können.

Sie drückte die Tür auf und trat in den Hausflur. Dunkelheit empfing sie, die sie mit einem raschen Druck auf den Lichtschalter verscheuchte. Ihre Praxis lag direkt im Erdgeschoss links. Nebenan gab es einen kleinen Drug Store, in den oberen Stockwerken befanden sich Privatwohnungen. Sie schloss die Tür auf, und als sie nun ihre Räume betrat, in denen sie mindestens vierzig Stunden pro Woche zubrachte, empfing sie wohlige Wärme. Auch hier legte sie den Lichtschalter um, doch die Deckenbeleuchtung flackerte nur kurz, um dann mit einem leisen Pling wieder zu verlöschen. Carolyn unterdrückte einen Fluch. Die Lampe war schon länger defekt, doch nun hatte sie offenbar endgültig den Geist aufgegeben.

Ausgerechnet jetzt! Sie atmete tief durch. Komm schon, es ist ja nicht weit. Du musst nur bis zu deinem Büro und dort das Licht einschalten. Die paar Meter wirst du ja wohl im Dunkeln schaffen, oder nicht?

Entschlossen straffte sie die Schultern und ging los. Im Schein der Treppenhausbeleuchtung hinter ihr blickte sie direkt auf den Empfangstresen, hinter dem normalerweise ihre Assistentin Edith saß, die gute Seele der Praxis. Jetzt war ihr Stuhl verwaist.

Es war ein seltsames Gefühl für Carolyn, durch die verlassene Praxis zu gehen. Sie war so sehr an das Gewirr von Geräuschen erfüllt, das diese Räume tagsüber erfüllte, dass die Stille ihr beinahe ohrenbetäubend erschien. Außerdem machte die Dunkelheit sie nervös.

Es ist nur eine defekte Lampe, dachte sie, so als müsse sie sich selbst Mut zusprechen. Nichts, worüber du dir Gedanken machen brauchst …

Sie erreichte ihr Büro und griff nach der Türklinke. In dem Moment, in dem sie sie hinunterdrückte, ging auch die Flurbeleuchtung aus, was normal war, da sie immer nur ein paar Minuten an blieb, und es wurde stockdunkel.

Erschrocken zuckte Carolyn zusammen. Natürlich wusste sie, dass es keinen vernünftigen Grund gab, sich vor der Dunkelheit zu fürchten. Doch die Psychologin in ihr kannte den Auslöser für ihre Angst, die sie nun schon seit frühester Kindheit verfolgte, nur zu gut.

Es war bei einem Urlaub in den Highlands passiert. Carolyn war damals eine neun Jahre alte, vorlaute Göre gewesen, die sich von nichts und niemandem etwas hatte sagen lassen wollen. Eines Abends verließ sie – trotz eines eindeutigen Verbots ihrer Eltern – allein das Hotel, um die Umgebung zu erkunden. Dabei brach unter ihrem Gewicht die morsche Decke einer alten Miene ein, und sie wurde in die Tiefe gerissen und unter den Trümmern begraben.

Die Suchmannschaft entdeckte sie zwei Tage später, gesund und unverletzt. Doch die achtundvierzig Stunden in absoluter Dunkelheit veränderten ihr ganzes Leben. Und so war aus dem vorlauten, unbekümmerten Mädchen von einst schließlich eine Frau geworden, die imstande war, die Ängste anderer Menschen ernst zu nehmen.

Jetzt fühlte sie sich, obwohl dieses schreckliche Erlebnis über dreißig Jahre zurücklag, wieder zurückversetzt in das enge, staubige Grab. Panik stieg in ihr auf und drohte, ihr die Kehle zuzuschnüren.

Jetzt dreh nicht durch! Es ist alles in Ordnung. Du wirst dich in deiner eigenen Praxis ja wohl auch im Dunkeln zurechtfinden. Hol das Geschenk für Cynthia, und dann nichts wie raus. Um die defekte Lampe kann sich der Hausmeister am Montag kümmern.

Sie öffnete die Tür zu ihrem Büro und wandte geblendet das Gesicht ab, als sie vom Strahl einer Taschenlampe getroffen wurde.

»Was zum Teufel …« Das Licht zuckte zur Seite, und Carolyn erblickte eine schwarz gekleidete Gestalt, die eine Skimaske über dem Gesicht trug und allem Anschein nach in ihren Akten herumwühlte. »Wer sind Sie?«, fragte sie heiser. »Was machen Sie da?«

Ohne eine Wort zu erwidern, kam der Eindringling auf sie zu. Carolyn wich zurück, bis sie mit dem Rücken an den Türrahmen stieß. »Verschwinden Sie!«, keuchte sie entsetzt. »Ich werde auch niemandem verraten, dass Sie hier waren – aber bitte, verschwinden Sie!«

Die Gestalt hob die Taschenlampe, holte aus – und schlug erbarmungslos zu.

Dr. Carolyn Bruce spürte noch einen scharfen Schmerz, als das Metallgehäuse sie an der Schläfe traf, dann sackte sie besinnungslos zu Boden.

 

Einen Augenblick lang stand die maskierte Gestalt da und betrachtete im Schein ihrer Taschenlampe die reglos vor ihr liegende Frau. Dann wandte sie sich ab und ging wieder auf den Aktenschrank zu, den sie eben schon geöffnet hatte. Sie durfte jetzt nicht mehr viel Zeit verlieren. Wer wusste schon, wer noch alles auftauchen konnte!

Während sie die Taschenlampe in ihrer rechten Hand auf die Hängeordner gerichtet hielt, fuhr sie mit dem Zeigefinger der linken über die alphabetisch sortierten Namensschilder, die auf dem Rücken der einzelnen Patientenakten angebracht waren. Für sie waren nur die Nachnamen interessant, die mit den Buchstaben DO begannen.

DOBB, DOGNING, DOLLMEN, DOOM, DOUGHT … DOUGLAS!

Die Gestalt kniff die Augen zusammen. Aufregung erfasste sie. Jetzt nur noch der richtige Vorname …

Sie suchte weiter, und als sie die gewünschte Akte endlich gefunden hatte, zog sie sie mit einem triumphierenden Lächeln aus dem Hängeregal. Dann ging sie hinüber zum Fotokopierer, der im Standby-Betrieb schlummerte und mit einem Tastendruck eingeschaltet werden konnte. Ein heller Lichtstreifen durchschnitt die Dunkelheit, als die Belichtungseinheit das erste Dokument abtastete. Weitere folgten im raschen Takt. Kurz darauf stapelte sich eine ansehnliche Menge Papier im Ausgabeschacht.

Als sie fertig war, steckte die maskierte Gestalt die Originale zurück in die Akte und verstaute diese wieder an ihrem Platz. Nachdem sie den Aktenschrank geschlossen hatte, fegte sie mit dem Unterarm über die Schreibtischplatte, sodass der Inhalt sich über den Fußboden ergoss. Um den Eindruck, dass ein gewöhnlicher Räuber am Werk gewesen war, noch weiter zu verstärken, räumte sie noch ein Bücherregal aus und stopfte einen alten, einigermaßen antik aussehenden Kerzenständer und ein paar andere kleinere Gegenstände in ihre Tasche.

Anschließend warf sie einen Blick auf die reglose Frau vor sich auf dem Boden, die leise und gleichmäßig atmete, kniete sich neben sie und durchwühlte ihre Handtasche. Heraus nahm sie eine Geldbörse aus Leder und ein Handy. Dann stand sie wieder auf und schenkte der Bewusstlosen keine weitere Beachtung. In spätestens einer halben Stunde würde diese mit höllischen Kopfschmerzen erwachen. Diese Frau musste nicht sterben. Nein, diese nicht. Aber einige andere würden nicht so viel Glück haben wie sie. Es würde noch einige Wochen dauern, aber dann …

Die maskierte Gestalt ging zum Kopierer und nahm die Blätter aus dem Ausgabeschacht. Dabei fiel ihr Blick auf den Namen der Patientin, deren Akte sie in den Händen hielt.

DOUGLAS, JOCELYN

Ein bösartiges Lächeln umspielte die Lippen der Gestalt unter der Skimütze. Nein, es würden wirklich nicht alle so viel Glück haben wie die am Boden liegende Frau …

 

 

1.

Drei Wochen später, 20. Dezember.

»… muss damit gerechnet werden, dass die Schneefälle, die nun schon seit der Nacht andauern, im Laufe des Tages weiter zunehmen und sich zu einem Schneesturm entwickeln. Gerade im Norden Schottlands könnte dies …«

Jinx brauchte gar nicht weiter hinzuhören. Genervt stellte sie das Autoradio ab und richtete ihren Blick wieder auf die Fahrbahn. Allzu viel konnte sie durch die Windschutzscheibe jedoch nicht erkennen, und das, obwohl die Scheibenwischer ihres alten Citroën 2CV – im Volksmund auch Ente genannt – auf Hochtouren arbeiteten. Doch die dicken weißen Flocken kamen inzwischen so zahlreich vom Himmel, dass die Sicht kaum mehr als zwei Meter betrug. Im Licht der Scheinwerfer wirkten sie wie tanzende Feen, die der Wind durch die Luft wirbelte. Aufgrund der schlechten Sicht und der immer größeren Schlittergefahr blieb Jinx also nichts anderes übrig, als langsam und ganz besonders vorsichtig zu fahren. Um zu wissen, wie sich das Wetter weiter entwickeln würde, brauchte allerdings nicht einmal ein Vollidiot Radio zu hören. Eines stand für Jinx jedenfalls fest: Ihr eigentliches Vorhaben, eventuell gleich heute wieder den Heimweg anzutreten, sollte es ihr dort, wo sie hinwollte, nicht gefallen, konnte sie jedenfalls vergessen. Spätestens in drei Stunden würde der Schnee in der Gegend so hoch liegen, dass man nur noch mit einem Schneepflug vorwärts kam. Und sie hatte, obwohl sie schon zeitig losgefahren war, für den Weg hierher ohnehin schon sehr viel länger gebraucht als eigentlich geplant. Aus dreieinhalb Stunden waren so mittlerweile fast fünf geworden, und ein Blick auf die Uhr am Armaturenbett verriet ihr, dass es jetzt fast zwölf war.

Auf der A9 – eine der Hauptverkehrsadern des Landes, die auch das Rückgrat Schottlands genannt wurde – war alles noch einigermaßen okay gewesen. Da die Streuwagen in der Nacht unterwegs gewesen waren, hatte der Verkehr ganz normal rollen können. Nachdem sie kurz darauf auf die A838 gefahren war, gestaltete sich das Vorankommen dann schon schwieriger. Und je weiter sie nach Norden vordrang, umso schlimmer wurde es. Das einzig Positive war, dass die Straße vor kurzem noch frei geräumt worden zu sein schien. Trotzdem ließ sich manchmal nur schwer erkennen, wo der ebene Boden endete und der Straßengraben begann.

Zu allem Überfluss empfing das Navigationsgerät ihres Wagens hier draußen keine Daten mehr. Ihr blieb also nichts anderes übrig, als die ausgedruckte Anfahrtsbeschreibung zur Hilfe zu nehmen, um nicht irgendwo eingeschneit am Wegesrand zu enden. Doch angesichts der Tatsache, dass sie durch das dichte Schneetreiben kaum etwas erkennen konnte und überhaupt auch irgendwie alles gleich aussah, sank ihre Hoffnung, ihr Ziel bald zu erreichen, mindestens ebenso schnell dem Nullpunkt entgegen wie die Temperatur im Inneren des Wagens, sobald sie die Heizung kleiner drehte.

Nicht zum ersten Mal, seit sie heute Vormittag von Inverness aus aufgebrochen war, zweifelte Jinx an ihrem Entschluss, auf den Rat ihrer Therapeutin zu hören und nach Candlewick Hall zu fahren – einer psychiatrischen Klinik für Jugendliche und junge Erwachsene, die einsam und abgeschieden von jeglicher Zivilisation am Cape Wrath im äußersten Norden Schottlands gelegen war. Und hätte sie irgendeinen Weg gesehen, diesen Albtraum, in den sich ihr Leben vor nunmehr drei Jahren verwandelt hatte, anderweitig zu beendet, wäre sie wohl auf der Stelle umgekehrt. Nur leider hatte sie schon so ziemlich alles andere ausprobiert, und zwar ohne auch nur ein noch so kleines Erfolgserlebnis verbuchen zu können. Kurz gesagt: Sie war verzweifelt. Und verzweifelte Menschen taten Dinge, die sie unter gewöhnlichen Umständen niemals tun würden.

Mit einem lauten Rums sackte die Vorderachse ihres Wagens plötzlich ab. Fluchend trat Jinx auf die Bremse. »Verdammt!«

Nachdem sich ihr Herzschlag wieder ein wenig beruhigt hatte, legte sie den Rückwärtsgang ein und gab Gas. Der Wagen ruckte zwar, bewegte sich aber nicht. Im Vorwärtsgang dasselbe Ergebnis. Offenbar steckte sie vorne in einer Schneesenke fest.

Und was nun? Seufzend schloss sie die Augen. Als sie sie wieder öffnete, sah sie ihr eigenes, ängstliches Gesicht im Rückspiegel. Die silbergrauen, von langen Wimpern beschatteten Augen weit aufgerissen, die Lippen zusammengepresst. Nervös spielte sie mit einer Strähne ihres langen, blauschwarzen gefärbten Haares. Das durfte einfach nicht wahr sein! Wie viel Pech konnte sie denn noch haben? Hätte sie den Ratschlag ihrer Therapeutin doch bloß nie befolgt! Dann säße sie jetzt daheim in ihrem 20-Quadratmeter-Apartment in Inverness und würde sich über eine Tiefkühlpizza hermachen, die sie in ihrer Mikrowelle mit Grillfunktion fertig gebacken hätte. Dabei würde sie sich wahrscheinlich vom Vormittagsprogramm berieseln lassen und einfach ihre freien Tage genießen.

Und halb durchdrehen vor Panik, sobald du noch mal zu einem Food & Wine musst und auf der Straße einem Hund begegnest? Oder auch nur einen bellen hörst? Stellst du dir so wirklich den Rest deines Lebens vor? Und was ist mit den Albträumen, die dich Nacht für Nacht quälen?

Sie verscheuchte den unbequemen Gedanken an ihr Problem, das seit nunmehr drei Jahren ihren Alltag beeinträchtigte, und startete stattdessen einen weiteren Versuch, ihren Wagen von der Stelle zu bekommen. Vorwärtsgang. Rückwärtsgang. Wenig Gas. Viel Gas … Doch nichts! Was sie auch versuchte, sie kam keinen Meter von der Stelle.

Während sie sich abmühte, spürte sie ein leises Gefühl von Panik in sich aufsteigen, das rasch stärker wurde. Kein Wunder, wenn sie sich ihre Situation vor Augen hielt: Sie befand sich im tiefsten Norden Schottlands, scheinbar fernab jeglicher Zivilisation, und steckte mit dem Wagen fest. Und während sie hier saß und ein Stoßgebet nach dem anderen zum Himmel schickte, schneite es unvermindert weiter. In spätestens zwei Stunden würde ihr Wagen komplett zugeschneit sein, und sie würde in ihrem eisigen Gefängnis entweder ersticken oder erfrieren – wobei sie keine Ahnung hatte, was weniger qualvoll sein mochte.

Mein Handy! Verdammt, warum komme ich da erst jetzt drauf?

Hastig, als hinge die Rettung der Welt davon ab, kramte sie ihr Mobiltelefon aus ihrer auf dem Beifahrersitz liegenden Handtasche. Sie musste den Pannendienst verständigen – aber wie lange würde der wohl brauchen, um ihr zu helfen?

Notfalls rufst du auch die Feuerwehr oder das Royal Highland Regiment zur Hilfe – Hauptsache, irgendjemand holt dich hier raus!

Doch als sie nun die eingespeicherte Nummer des Pannendienstes aufrief und eine Verbindung herstellen wollte, tat sich nichts. Oh nein, nicht auch das noch! Eine düstere Ahnung beschlich sie, und diese wurde durch einen näheren Blick aufs Display bestätigt.

Kein Netz!

Seufzend schloss sie die Augen. Verdammt, wo war sie hier bloß gelandet? Wenn man in dieser Einöde nicht mal eine Handyverbindung bekam – was denn dann?

Sie öffnete die Augen wieder zwang sich, ruhig und gleichmäßig zu atmen, was ihr alles andere als leicht fiel. Hatte sie sich bis eben noch mehr oder weniger über ihre peinliche Panne geärgert, so bekam sie es nun nämlich wirklich mit der Angst zu tun. Immer deutlicher wurde ihr bewusst, wie ernst die Lage, in die sie da so unvermittelt hineingeraten war, langsam wurde. Das hier war kein Spaß mehr! Sie saß im wahrsten Sinne des Wortes in der Falle, es ging hier nicht mehr nur um irgendeine harmlose Autopanne!

Wenn sie doch nur gar nicht erst losgefahren wäre! Sie fuhr ohnehin mehr als ungern bei Schnee – und dann auch noch eine solche Strecke und in dieser Gegend! Was sollte sie denn jetzt tun?

Noch einmal warf sie einen Blick auf ihr Handy, doch nichts. Kein einziger Strich, dort, wo eigentlich ein ganzer Balken die Stärke des Netzempfangs anzeigen sollte!

Vielleicht außerhalb des Wagens, kam ihr der Geistesblitz, der sie sofort wieder aus ihrer Resignation riss. Hastig stieß sie die Fahrertür auf und stieg aus. Als sie auftrat, reichte ihr der Schnee schon bis zu den Knien. Eisiger Wind fuhr ihr ins Gesicht und trieb ihr die Tränen in die Augen. Obwohl sie mit ihrem dicken Daunenparka durchaus warm angezogen war, fühlte sie sich schon nach wenigen Sekunden wie vereist. Sie hielt das Handy hoch, blickte aufs Display, doch an der Balkenanzeige änderte sich nichts.

Einen Fluch unterdrückend, sah sie sich um. Durch das dichte Schneetreiben glaubte sie zu erkennen, dass die Straße vor ihr leicht anstieg. Offenbar befand sie sich am Fuße eines Hügels. Ein Fünkchen Hoffnung glomm in ihr auf. Vielleicht würde ihr Handy funktionieren, wenn sie sich ganz oben auf der Kuppe des Hügels befand. Sie musste es wenigstens versuchen!

Der Wind peitschte ihr die Eisflocken ins Gesicht, als sie den Aufstieg begann. Der Schnee lag so hoch, dass sie bei jedem Schritt bis zu den Knien einsank. Eisige Feuchtigkeit drang in ihre Schuhe und durchnässte ihre Hose. Sie musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht aufzustöhnen.

Langsam – sehr langsam – kam sie voran. Jeder Muskeln in ihrem Körper schmerzte von der Anstrengung, die es kostete, einen Schritt zu machen. Und ihre Haut fühlte sich von der Kälte bald wie betäubt an.

Ein Stück noch! Nur ein paar Meter!