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Ana Dee

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Beschreibung

Tief im Norden Schwedens, wo die Stille der Wälder schwerer wiegt als Worte und selbst das Tageslicht zaghaft wirkt, begibt sich ein Forscherteam auf eine Expedition. Ihr Ziel: eine seltene Elchart, die nur in dieser abgelegenen Region existieren soll. Doch je tiefer sie in die Einsamkeit vordringen, desto stärker wird das Gefühl, nicht allein zu sein. In der Nähe liegt ein altes, verlassenes Militärgelände – vergessene Bunker, rostende Zäune, und Geschichten über düstere Experimente und uralte Rituale, die nie aufgeklärt werden konnten. Als das Team das Gelände betritt, beginnt eine Abfolge seltsamer Ereignisse. Schatten im Wald. Stimmen in der Nacht. Spuren, die keiner von ihnen hinterlassen haben kann. Dann geschieht der erste Mord. Gefangen zwischen unendlicher Wildnis und einer Bedrohung, die sie nicht greifen können, beginnt für die Forscher ein albtraumhaftes Rennen gegen die Zeit – und gegen einen Feind, der sie längst besser kennt als sie sich selbst.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Spur im Nebel

SCHWEDEN-KRIMI

ANA DEE

Inhalt

Klappentext

Anmerkung

Protagonisten

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Nachwort

Weitere Bücher der Autorin

Impressum

Klappentext

Ein beklemmender Schwedenkrimi über das Grauen, das nicht im Dunkel lauert, sondern tief im menschlichen Inneren.

Im Norden Schwedens, wo die Stille der Wälder schwerer wiegt als Worte und selbst das Tageslicht zaghaft wirkt, begibt sich ein Forscherteam auf eine Expedition. Ihr Ziel: eine seltene Elchart, die nur in dieser abgelegenen Region existieren soll. Doch je tiefer sie in die Einsamkeit vordringen, desto stärker wird das Gefühl, nicht allein zu sein.

In der Nähe liegt ein altes, verlassenes Militärgelände – vergessene Bunker, rostende Zäune, und Geschichten über düstere Experimente und uralte Rituale, die nie aufgeklärt werden konnten. Als das Team das Gelände betritt, beginnt eine Abfolge seltsamer Ereignisse. Schatten im Wald. Stimmen in der Nacht. Spuren, die keiner von ihnen hinterlassen haben kann.

Dann geschieht der erste Mord.

Gefangen zwischen unendlicher Wildnis und einer Bedrohung, die sie nicht greifen können, beginnt für die Forscher ein albtraumhaftes Rennen gegen die Zeit – und gegen einen Feind, der sie längst besser kennt als sie sich selbst.

Anmerkung

Auf das in Schweden übliche Duzen wurde zugunsten der Lesbarkeit verzichtet.

Die Geschichte sowie sämtliche Protagonisten, Institutionen und Handlungen sind in diesem Roman frei erfunden. Ähnlichkeiten mit realen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Wo tatsächlich existierende Orte erwähnt werden, geschieht das im Rahmen fiktiver Ereignisse. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.

Protagonisten

Johanna Sandberg – BiologinNina Sjöberg – VerhaltensforscherinBjörn Eriksson – FotografMika Berger – IT-Experte

KapitelEins

Der Wagen rumpelte über die schmale, unbefestigte Straße. Kleine Steinchen wirbelten auf, als die Reifen tief in den losen Schotter einsanken. Dichte Kiefern und Fichten ragten zu beiden Seiten der Strecke in den Himmel, ihr dunkles Grün wirkte fast schwarz gegen das strahlende Blau des Sommerhimmels. Die Luft war schwer vom Harz der Bäume, vermischt mit dem erdigen Duft von Moos und feuchtem Waldboden.

Johanna saß auf dem Beifahrersitz, die Hände fest in den Stoff ihrer Jeans gegraben. Trotz der relativ angenehmen Temperaturen – die Sonne hing noch hoch über den Baumwipfeln – lag ein kühler Schauer über ihrer Haut. Nicht vor Kälte, sondern wegen dieser eigentümlichen Mischung aus Vorfreude und Unbehagen. Der Norden Schwedens war wild, unberechenbar, ein Ort, wo die Sonne niemals wirklich unterging. Die unberührte Wildnis erstreckte sich über endlose Wälder, glitzernde Seen und abgelegene Fjälls. Die scheinbar ewige Dämmerung tauchte die Landschaft in ein fast unwirkliches Licht – wunderschön und zugleich gespenstisch.

„Wir sind fast da“, sagte Björn, der am Steuer saß. Seine Stimme war ruhig, aber Johanna konnte die Anspannung in seinen Händen sehen, in der Art wie er das Lenkrad umklammerte. Auch er spürte es – dieses Gefühl, als würden sie sich in eine andere Welt begeben.

Hinter ihnen, im Fond des Wagens, saß Nina, die Jüngste im Team. Ihr Blick wanderte ruhelos zwischen den vorbeiziehenden Bäumen hin und her. „Ich habe es mir … offener vorgestellt“, murmelte sie schließlich.

Johanna drehte sich zu ihr. „Offener?“

Nina zuckte mit den Schultern. „Na ja, weniger Wald, mehr Himmel.“

Johanna konnte nicht anders, als leise zu lachen. „Willkommen in Lappland.“

Die Straße wurde noch schmaler, der Wagen schwankte über die holprige Piste. Mit einem Mal öffnete sich die dichte Wand aus Bäumen und vor ihnen lag eine Lichtung. In der Mitte stand eine einsame Hütte. Dunkles Holz, ein Dach mit moosigen Schindeln und Fenstern, die das Sonnenlicht reflektierten. Dahinter erstreckte sich ein schmaler See, in dessen Wasser sich die Baumkronen spiegelten.

Björn hielt den Wagen an und stellte den Motor ab. Stille schlug ihnen entgegen. Eine Stille, die so tief war, dass sie fast körperlich spürbar wurde. Kein Verkehr, keine Stimmen, nur das gelegentliche Rauschen der Blätter und der entfernte Ruf eines Vogels.

Johanna öffnete die Tür und stieg aus. Ihre Stiefel sanken leicht in den weichen Boden ein. Sie atmete tief durch. Die Luft war kühl und klar, durchzogen von dem feinen Hauch des Sees.

„Wir sind da“, sagte sie leise, mehr zu sich selbst als zu den anderen.

Mika, Björn und Nina folgten ihr. Während Nina sofort auf die Hütte zuging, blieb Björn neben Johanna stehen. „Und, was denkst du?“

Johanna ließ den Blick schweifen. Die Hütte war einfach und robust. Die Fensterläden waren verwittert, aber nicht morsch, die Tür schien stabil. Keine Spuren von vorherigen Besuchern, keine Anzeichen, dass jemand kürzlich hier gewesen war.

„Ich denke, dass es unser Zuhause für die nächsten Monate wird“, sagte sie.

Björn nickte. „Und hoffentlich finden wir, wonach wir suchen.“

Johanna schwieg, denn tief in ihr nagte ein Zweifel. Hatte sie die richtige Entscheidung getroffen?

„Also gut“, sagte Mika schließlich und griff nach seinem Rucksack. „Bringen wir die Sachen rein.“

Das Gepäck wurde ausgeladen, Koffer und Taschen schabten über die Holzbohlen der Veranda. Die Tür knarrte, als sie sie öffneten, ein langgezogenes, klagendes Geräusch, das Mika eine Augenbraue heben ließ.

Im Inneren war es kühl, der Geruch von altem Holz und Staub hing in der Luft. Der Kamin war seit Monaten nicht benutzt worden, und die Möbel – einfache, rustikale Stücke aus Holz – waren mit einem feinen Film aus Staub überzogen.

„Es ist größer, als ich erwartet habe“, sagte Johanna erleichtert und ließ den Blick durch den offenen Wohnraum schweifen.

Björn nickte, während er seine Tasche auf das Sofa warf. „Wir machen ein Feuer. Dann fühlt es sich gleich gemütlicher an.“

„Dafür ist es noch viel zu warm“, erwiderte Nina kopfschüttelnd.

„Mag schon sein, aber es vertreibt die Mücken, die vom See zu uns herüberschwärmen.“

Sie lächelte verhalten. „Auch wieder wahr.“

„Ich würde sagen, dass wir uns jetzt die Zimmer ansehen und danach entscheiden, wer wo schlafen möchte. Einverstanden?“ Johannas Blick wanderte fragend von einem zum anderen.

„Von mir aus kann es losgehen“, sagte Mika.

Das zweistöckige Haus war verwinkelt und in viele kleine Räume aufgeteilt. Jedes Zimmer schien seinen eigenen Charakter zu haben. Einige Räume waren größer und offener, mit hohen Decken und knarrenden Holzdielen, während andere schmal und beengend wirkten, als hätten sie schon bessere Tage gesehen. Über allem lag der Hauch vergangener Zeiten, alles wirkte ein wenig verwunschen.

„Ich frage mich, wer früher hier gewohnt hat“, sagte Nina. Ihre Stimme war leise, fast ehrfürchtig, als ob sie die Geister der Vergangenheit nicht stören wollte. Johanna nickte, aber ihre Gedanken waren bereits bei dem, was vor ihnen lag: Ein neues Kapitel, dem sie sich voll und ganz widmen würde.

In der Zwischenzeit begann Björn, der stets der Ruhepol der Gruppe war, die Räume aufzuteilen. „Wir haben hier vier große Zimmer und ein gemeinsames Wohnzimmer“, erklärte er sachlich, während er mit ruhiger Präzision die alten Pläne des Hauses studierte, die er in der Hand hielt. Sein Blick schweifte immer wieder zu Mika, der aus dem Fenster starrte, als ob er etwas Spannendes entdeckt hätte.

„Ich werde das Zimmer mit Blick auf den See nehmen“, sagte Johanna.

Nina legte ihr Veto ein. „Hey, das wollte ich haben.“

Björn tippte mit dem Zeigefinger auf den Plan. „Alles kein Problem. Von der Mansarde aus, kannst du auch auf den See blicken.“

„Perfekt, dann wird das mein Zimmer.“

Mika drehte sich zu ihnen um. „Lasst mich raten, für mich bleibt dann nur dieser enge Schlauch am Ende des Flures übrig?“

„Gute Entscheidung.“ Björn grinste.

„Du willst also auch oben wohnen?“, fragte Mika.

„Wenn du nichts dagegen hast?“

„Ich stehe nicht so auf Dachschrägen, wo man ständig irgendwo anstößt“, erwiderte Mika.

„Dann wäre ja alles geklärt.“

Björn griff nach seinem Koffer und schleppte ihn die knarrende Treppe nach oben. Auch Nina schulterte ihren riesigen Rucksack und folgte Björn. Mika ließ sich im Erdgeschoss nieder, wo eine schwere, alte Holztür zu einem kleinen Nebenraum führte.

Johanna blieb übrig. Sie schaute sich um, betrachtete die Schatten, die das letzte Tageslicht an die Wände warf. Sie würden ein halbes Jahr bleiben, um das Leben einer Elchart zu dokumentieren, die nur hier oben im Norden vorkam.

Nachdem sie die persönlichen Gepäckstücke weitgehend verteilt und die ersten Vorbereitungen getroffen hatten, versammelten sie sich wieder im Wohnbereich. Alte, abgenutzte Möbel, darunter auch ein riesiges Bücherregal, verliehen dem Raum einen fast schon ehrwürdigen Charakter. Hier sollte nun ihr neuer Treffpunkt sein – ein Ort der Gemeinschaft, aber auch ein Rückzugsort, in dem sich die Geister der Vergangenheit mit den Träumen der Zukunft vermischten.

Björn lief nach draußen zum Schuppen, um Holz zu holen. Nachdem er das Feuer im Kamin entfacht hatte, saßen sie um den alten Holztisch in der Mitte des Raumes. Bei dem gemeinsamen Abendessen herrschte ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, obwohl sie sich noch nicht so lange kannten. Johanna hatte es geschafft, den kleinen Herd in Gang zu bringen, und der Duft von frisch zubereiteten Speisen, gewürzt mit Kräutern, erfüllte den Raum.

„Werden wir länger bleiben, falls die Forschungsergebnisse auf sich warten lassen?“, fragte Nina und pickte sich mit der Gabel ein mageres Fleischstück heraus.

„Solange wie nötig“, antwortete Björn.

Mika lehnte sich zurück. „Wollt ihr das wirklich durchziehen?“

Johanna hob den Kopf, ihr Blick traf den von Björn. „Natürlich. Ich möchte nicht mit leeren Händen zurückkehren.“

Draußen zog Nebel auf, schwer und dicht schob er sich über den See wie eine lebendige Masse.

„Ich weiß, dass das seltsam klingt, aber ich habe das Gefühl, dass dieses Haus ein wenig unheimlich wirkt“, sagte Nina nach einer Weile.

„Stimmt. Man hat das Gefühl, als ob jede Ecke ihre eigene Geschichte erzählt“, erwiderte Johanna.

Björn schaute wieder von seinem Teller auf. „Themawechsel. Richten wir unsere Basis hier unten im Wohnbereich ein?“

Mika schüttelte den Kopf. „Besser nicht. Wir sollten schon die Tür hinter dem Equipment zumachen können.“

„Ich schließe mich Mika an, wir sollten in Ruhe arbeiten und die Berichte auswerten können“, sagte Johanna. „Wenn sich einer von euch in der offenen Küche einen Kaffee kochen will, ist es mit der Ruhe schon vorbei.“

„Und welcher Raum soll es dann werden?“, fragte Mika.

„Der Raum direkt neben deinem“, sagte Björn und deutete auf ein Zimmer, dessen Tür einen Spalt offenstand. Der kalte Luftzug war für alle spürbar.

„Dieser Raum … ich weiß nicht, ob wir ihn überhaupt benutzen sollten. Er hat so eine seltsame Aura.“ Ninas Augen suchten in den Gesichtern der anderen nach Zustimmung oder Ablehnung.

„Ich wusste gar nicht, dass du auch noch Geisterwissenschaften studiert hast.“ Mika grinste.

„Ha, ha, sehr witzig.“ Nina funkelte ihn an. „Und ich habe gedacht, dass du das Sensibelchen in der Gruppe bist.“

„Hört auf damit“, sagte Johanna. „Manchmal sind es gerade die Räume, die uns Angst machen, die auch die tiefsten Geheimnisse hüten. Vielleicht sollten wir ihn erst einmal unberührt lassen, bis wir herausfinden, was sich darin verbirgt.“

„Dann bist du die Philosophin unter uns“, sagte diesmal Björn. „Aber wenn ich ehrlich bin, dann denke ich auch, dass jedes Haus eine Seele besitzt. Ähnlich einer Festplatte, auf der die Vergangenheit gespeichert ist. Vielleicht können wir mit unserer Anwesenheit die Eindrücke in diesem Raum neu überschreiben.“

„Echt jetzt?“ Mika schaute leicht genervt von einem zum anderen. „Könntet ihr bitte mal mit dem Hokuspokus aufhören? Wir sind Wissenschaftler.“

„Ja und? Man kann doch trotzdem für alle Dinge offen sein. Was wissen wir denn schon von dieser Welt?“ Björn schaute von einem zum anderen.

Dass ausgerechnet Björn sich von dieser Seite zeigte, machte ihn in Johannas Augen noch sympathischer. Es würde nicht leicht werden, mit drei unterschiedlichen Menschen aus verschiedenen Fachrichtungen ein halbes Jahr unter einem Dach zu leben. Insgesamt waren sie zu viert: Björn, der Expeditionsleiter und Fotograf. Mika, Geologe und Tech-Spezialist. Nina, die schweigsame Verhaltensforscherin der Uni Umeå, und sie selbst als Biologin. Da musste man sich schon zusammenraufen, wenn man wissenschaftliche Ergebnisse liefern wollte. Sie konnten schon froh sein, dass sich überhaupt Sponsoren gefunden hatten, um diese Reise zu finanzieren.

„Also stellen wir das Equipment erst einmal in diesen Raum?“, fragte Mika.

„Ja, das wird das Beste sein. Morgen können wir alles in Ruhe aufbauen“, antwortete Johanna.

„Gut, dann bin ich in meinem Zimmer und werde das Bett beziehen und die Sachen einräumen“, sagte Nina.

Alle vier erhoben sich und innerhalb einer Minute stand Johanna allein im Küchenbereich. Sie räumte den Tisch ab und stellte das schmutzige Geschirr in die Spüle. Morgen war schließlich auch noch ein Tag. Sie alle waren erschöpft von der langen Anreise.

Auf dem Weg in ihr Zimmer entdeckte sie im Flur ein altes, vergilbtes Familienporträt, das in einem Rahmen an der Wand hing. Das Bild zeigte eine Familie, deren Augen leer und traurig wirkten, als hätten sie all ihre Träume verloren. Sie hielt kurz inne, glaubte, die mysteriöse Aura dieser Fotografie zu spüren. Das Leben in Lappland war hart, wurde von kurzen Sommern und endlos langen Wintern geprägt.

Dann wandte sie sich ab und betrat ihr Zimmer. Sie hievte den Koffer auf das Bett und klappte ihn auf. Noch waren die anderen beschäftigt und sie nahm das Waschzeug und ein Handtuch heraus, um zu duschen. Anschließend bezog auch sie das Bett und räumte die Kleidung in den Schrank mit den viel zu kleinen Fächern. Die Dielen unter ihren Füßen knarrten leise, als sie näher ans Fenster trat. Die Luft im Raum war kühl, roch nach altem Holz und kalter Asche. Die Wände bestanden aus grob behauenem Kiefernholz, dunkel geworden im Laufe der Jahre. An einem der Haken hing noch eine Wolljacke, daneben ein zerknitterter Zettel mit verblassten Notizen. Ein alter Ofen stand in der Ecke, das Eisen grau von Zeit und Gebrauch. Daneben befand sich ein Holztisch, auf dem ein einzelnes Glas stand. Der Raum war spartanisch, aber nicht lieblos eingerichtet. Es war ein Ort, an dem man sich verlieren konnte. Oder verstecken.

Johanna öffnete das Fenster und ihr Blick wanderte zum See, der wie ein silberner Spiegel schimmerte und das erste Licht der Sterne auffing. Ihr Atem stand leicht in der Luft, der Temperaturunterschied zwischen draußen und drinnen war kaum spürbar. Aber das würde sich bald ändern. Es war Herbst, und so ein sonnig warmer Tag wie heute, würde schon bald der Vergangenheit angehören.

Inzwischen hatte die Dämmerung die Welt in ein zartes, unwirkliches Blau getaucht. Die Bäume am gegenüberliegenden Ufer erhoben sich zu einer dunklen Wand, die sich scharf gegen das verblassende Abendlicht abzeichnete. Nebel hing über der Wasseroberfläche, wie ein Wesen mit eigenen Gedanken, das langsam aus dem Nichts aufstieg und die Ufer verschluckte. Ganz weit draußen, wo das Wasser mit dem Horizont verschmolz, flackerte für den Bruchteil einer Sekunde ein Licht. Johanna blinzelte. Vielleicht nur der Nebel, der sich formte, verschob, veränderte. Kein Laut war zu hören, außer den knackenden Geräuschen des Holzhauses und dem fernen Ruf eines Käuzchens.

Seufzend wandte sie sich ab und ließ sich aufs Bett sinken. Sie war mit Leib und Seele Biologin, hatte dieses Projekt initiiert, um die seltene Elchart zu erforschen, von der es Gerüchte gab, dass sie in diesen Breiten längst ausgestorben sei. Offizielle Stellen hielten das für reine Fiktion – doch Berichte von Einheimischen, vereinzelte Sichtungen und Spuren hatten Johanna überzeugt: Diese Elche existierten noch. Nicht viele, vermutlich nur ein paar verstreute Tiere in einem riesigen Revier. Aber das reichte ihr. Für sie bedeutete diese Expedition, eine wissenschaftliche Sensation ans Tageslicht zu bringen und gleichzeitig ein wichtiges Puzzlestück zum Verständnis des Artenschutzes beizutragen.

Sechs spannende Monate lagen vor ihnen und sie konnte es kaum erwarten, mit der Arbeit zu beginnen. Sie verdiente nicht viel und ihre Arbeit war nur vom Enthusiasmus geprägt. Aber das reichte aus, um sie zu beflügeln. Diese mystische Landschaft, die einen sofort verzauberte, war es allemal wert. Solange man nicht von den Moskitos aufgefressen wurde.

Mit einem sanften Lächeln auf dem Gesicht drehte sie sich auf die andere Seite und war sofort eingeschlafen. Sie tauchte tief in die Dunkelheit, das Gesicht halb von einer Strähne ihres zerzausten Haares bedeckt, der Atem ruhig, gleichmäßig. Der Traum kam leise, wie Nebel. Zuerst war da nur die Weite. Ein Flirren von Licht und Schatten, das sich zu einem Bild formte. Der Wald. Tief, alt, ehrwürdig. Mächtige Fichten ragten in den Himmel und das Moos unter ihren Füßen war weich, nachgiebig, als würde die Erde sie willkommen heißen.

Sie spürte die Luft. Feucht, erdig, durchdrungen vom Duft nach Harz, Moos und kühler Dunkelheit. Sie stand in der Mitte eines schmalen Pfades, der sich durch das Dickicht schlängelte. Über ihr glitzerte der Himmel in einem matten Blau, das Zwielicht eines frühen Morgens – die Stunde, in der Tiere erwachten, aber Menschen noch schliefen.

Ein Geräusch ließ sie innehalten. Ein Knacken, schwer und massiv. Und dann sah sie ihn. Der Elch.

Nein, nicht irgendein Elch. Der, den sie seit Jahren gesucht, geträumt und gehofft hatte zu finden. Riesig mit breiter Brust. Ein Geweih wie ein gefrorener Sturm aus Ästen. Seine Augen groß, dunkel und durchdringend. Seine Bewegung war keine Flucht, kein Angriff – sie war reine Präsenz.

Johanna hielt den Atem an. Ihre Hände zitterten, ein unkontrolliertes, beinahe kindliches Beben durchlief ihren Körper. Ja, sie wusste, dass sie träumte. Und doch war da etwas, das sich echter anfühlte als jeder Tag zuvor. Der Elch blickte sie an, länger als ein Wildtier blicken sollte. Als würde er wissen, wer sie war und was sie wollte. Als hätte er sie erwartet.

In ihrer rechten Hand lag plötzlich das Notizbuch, zerknittert vom vielen Benutzen, der Einband feucht vom Tau und in der linken eine Kamera. So leicht, als wäre sie ein Teil von ihr. Sie hob sie langsam, um das Tier nicht zu verscheuchen.

„Bleib“, flüsterte sie. „Nur ein Moment.“

Der Elch bewegte sich nicht und ließ sie gewähren. Das Klicken des Auslösers hallte dumpf im Traum. Kein Widerstand. Keine Flucht. Nur das majestätische Tier vor ihr – als wäre dieser Moment nur für sie gemacht.

Tränen liefen ihr über die Wangen. Aber nicht vor Angst, sondern aus dieser tieferen Form von Freude, die zu selten vorkam, und dem Wissen, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Sie setzte sich ins weiche Moos. Der Elch war noch da, nah und riesig. Seine Flanken hoben und senkten sich langsam. Sie beobachtete ihn, zeichnete Linien in ihr Heft, notierte jedes Detail, das ihr Blick erfassen konnte.

Und dann war da das Geräusch, ein seltsames Summen. Erst leise, dann drängender. Es passte nicht hierher, es gehörte nicht in diesen Wald. Sie spürte plötzlich, wie der Boden kälter wurde, wie das Licht nachließ, wie der Elch immer blasser wurde, als würde jemand das Bild Stück für Stück wegradieren.

„Nein“, hauchte sie und versuchte, sich festzuhalten, an irgendetwas – dem Geruch, der Feuchtigkeit, dem Blick des Elchs. Aber der Traum entglitt ihr und sie erwachte. Die erste schwache Morgensonne tastete sich über den Horizont und fiel durch das schmale Fenster. Die Strahlen wirkten matt, als hätten sie in der Nacht an Kraft verloren, während sie sich durch den bleischweren Himmel kämpfen mussten. Das Licht legte sich wie ein zögernder Schleier über den groben Dielenboden. Ihre Großmutter hatte immer gesagt, dass das, was man in der ersten Nacht in einem fremden Bett träumte, in Erfüllung gehen würde, und dieser Traum erschien Johanna wie ein gutes Omen.

Sie stand auf, lief zum Fenster und öffnete es. Draußen in der Ferne erstreckte sich die Wildnis Nordschwedens – endlose Kiefernwälder, Moose und Flechten, die sich über Steine und Boden legten wie ein graugrüner Teppich. Ein Gebiet, das zwar atemberaubend schön war, aber gleichzeitig eine unwirkliche, ungezähmte Gefahr ausstrahlte. Es war ein Ort, an dem die Natur sich nicht um menschliche Zeitpläne oder Bedürfnisse kümmerte. Hier draußen, in dieser Abgeschiedenheit, regierte die Stille, unterbrochen vom Schrei eines Vogels oder dem gelegentlichen Bellen eines Fuchses. Und allein diese Geräuschkulisse war unheimlich genug.

Sie wandte sich ab und schloss das Fenster. Aus der Küche hörte sie Geräusche, kleidete sich an und verließ das Zimmer. Im Flur roch es nach feuchtem Holz, kalter Asche aus dem Kamin und dem herben Aroma von schwarzem Kaffee, der in einer metallenen Kanne auf dem Gasherd vor sich hin köchelte.

„Guten Morgen“, sagte sie zu Mika, Nina und Björn, die bereits am Tisch Platz genommen hatten, und setzte sich zu ihnen.

„Dir auch“, erwiderte Nina und schenkte ihr den Kaffee ein.

Johanna umfasste mit beiden Händen die dampfende Tasse, während sie ihre Teammitglieder verstohlen musterte. Ihre Gedanken schweiften kurz ab, streiften Bilder der vergangenen Tage, der langen Fahrt mit dem Geländewagen durch endlose Schotterpisten bis hin zum gestrigen Abend, an dem sie sich in der Hütte eingerichtet hatten. Dann lenkte sie ihren Blick wieder auf die Teammitglieder.

Björn, der Fotograf und Kameramann, saß ihr gegenüber. Er war Anfang dreißig, breitschultrig und hochgewachsen, mit rastlosem Blick, als könne er die Realität nicht schnell genug in Bildern festhalten. Sein dunkles Haar fiel ihm immer wieder in die Stirn, und er hatte die Angewohnheit, es während Gesprächen zurückzustreichen, wenn ihn etwas besonders beschäftigte. Er hatte eine unbändige Neugier auf die Wildnis, gepaart mit einer fast ungesunden Risikobereitschaft.

Nina, die Verhaltensforscherin, war Mitte zwanzig, wirkte auf den ersten Blick schüchtern, hatte jedoch ein helles Lächeln und eine sanfte, beinahe musikalische Stimme. Ihr Wissen über Wildtiere und ihre subtilen Signale war enorm. Sie trug ihr blondes Haar meistens geflochten und machte sich ständig Notizen in ein kleines, ledergebundenes Büchlein, als wäre jeder Moment eine wertvolle Beobachtung.

Mika, der Geologe und Technikfreak unter ihnen, war ein schlanker Mann mit wettergegerbtem Gesicht. Er war in dieser Gegend aufgewachsen und mit der Wildnis vertraut. Seine grauen Augen wirkten ernst, aber wenn er lachte, dann mit einer tiefen Stimme und viel Herzlichkeit.

Ihnen allen stand die Müdigkeit noch ins Gesicht geschrieben. Die Nacht war viel zu kurz gewesen, und alle wussten, dass die kommenden Wochen noch anstrengender werden würden. Aber in der Hütte war es zumindest gemütlich genug, um sich halbwegs wohlzufühlen. Der Kamin hatte die Nacht über ein wenig Glut bewahrt, die sich in roten Adern durch die Asche zog, und Björn hatte mit ein paar trockenen Scheiten das Feuer wieder entfacht. Jetzt knackten die Holzscheite in den Flammen, und eine leise Wärme umhüllte sie.

Johanna nippte am Kaffee, der leicht bitter schmeckte, und ahnte, dass auch dieser Tag lang und fordernd werden würde. Sie stellte die Tasse ab und räusperte sich. „Also“, sagte sie und blickte in die Runde. „Wie sieht’s aus? Wer kümmert sich heute um den Aufbau des Equipments?“ Ihre Stimme klang entschlossen, obwohl eine leise Anspannung darin mitschwang. Die Frage war banal, aber sie wusste auch, dass die Antwort über die Stimmung des gesamten Tages entscheiden konnte. Sie brauchten Struktur, einen Plan, bevor sie sich ins Unbekannte wagten.

Mika setzte die Kaffeetasse ab und lächelte kurz. „Ich kann die Kameras vorbereiten. Die, die wir an den Bäumen befestigen wollen. Ich möchte unbedingt sehen, wie die Lichtverhältnisse hier am Morgen sind. Außerdem habe ich vor, die GoPros zu checken, die wir an Helmen oder Rucksäcken befestigen werden. Gerade beim Wandern durch den dichten Wald könnte das spannend werden, falls wir etwas Unerwartetes sehen.“

Nina, die gerade an einer Scheibe Toast knabberte, hob den Blick. Ihre Augen waren gerötet, als hätte sie nicht viel geschlafen. „Ich würde gern nach dem Frühstück gleich in den Wald. Es soll heute Nachmittag regnen, und wenn ich die Spuren lesen will, sollten sie möglichst trocken sein. Sonst verwischt alles. Vielleicht finde ich ein paar Losungen oder Fraßspuren, die uns Hinweise geben. Wer weiß, vielleicht stoße ich ja auf etwas, das uns verrät, wo sich diese Elche aufhalten.“

Björn nickte zustimmend. „Klingt vernünftig und wir sollten unsere Routen planen. Ich würde vorschlagen, dass wir uns in zwei Teams aufteilen. Nina und ich könnten gemeinsam auf Spurensuche gehen, während Johanna und Mika sich um die Kameras kümmern und erste Aufnahmen machen. Wenn wir Glück haben, finden wir eine Suhle oder Wasserstellen. Dort könnten wir eine stationäre Kamera platzieren.“

Johanna lehnte sich zurück. Sie wusste, dass Björns Vorschlag sinnvoll war. Seine Ortskenntnis war in Kombination mit Ninas Wissen über Tierverhalten ein unschlagbares Duo. Und sie selbst hatte genug Erfahrung mit dem Aufstellen des Forschungsequipments, zumal sie es schätzte, wenn Mika ein Auge darauf hatte, dass alles technisch reibungslos lief.

„In Ordnung, dann machen wir das so“, sagte sie und versuchte, sich ihre Begeisterung nicht anmerken zu lassen. „Wir werden uns zum Mittagessen wieder hier treffen und besprechen, was wir gefunden haben. Sollte jemand von uns etwas wirklich Interessantes entdecken, bitte einen Funkspruch absetzen. Ich möchte vermeiden, dass wir uns in diesem Wald verlieren.“

Ihre Worte klangen ernster, als sie es beabsichtigt hatte. Aber sie kannte die Gefahr, in diesen Wäldern gab es kaum Wege und das Wetter konnte rasch umschlagen. Auch sie war in Nordschweden aufgewachsen, kannte die Natur und wusste, wie schnell aus einem sonnigen Morgen ein unwetterartiger Nachmittag werden konnte.

Mika prostete ihr mit seiner Kaffeetasse zu. „Klingt nach einem Plan, Boss.“ Er nannte sie manchmal „Boss“, halb im Scherz, halb aus Respekt. Johanna lächelte verhalten. Sie fühlte sich nicht wie eine Anführerin, eher wie eine Getriebene, die von ihrer Leidenschaft für die Wissenschaft angespornt wurde.

Die vier aßen schweigend weiter. Björn hatte eine Art Porridge gekocht, der hier oben als sättigendes Frühstück dienen sollte. Er schmeckte nach warmem Getreide, gesüßt mit ein wenig Sirup. Eine einfache, aber nahrhafte Mahlzeit. Draußen hörte man ein leises Rauschen, als der Wind durch die Bäume strich.

Johanna bemerkte, dass sich leichte Schatten unter Ninas Augen abzeichneten. „Alles in Ordnung? Du siehst müde aus.“

Nina zuckte mit den Schultern. „Ich habe kaum geschlafen, weil ich gestern Abend das Gefühl hatte, dass jemand oder etwas um die Hütte streift.“ Sie warf einen flüchtigen Blick zum Fenster, durch das man die dunklen Silhouetten der Kiefern sehen konnte. „Vielleicht war es auch nur der Wind, aber es hat sich unheimlich angefühlt.“

Björn hob den Kopf. Seine Augen fixierten Nina mit einem Anflug von Sorge. „Ich habe nichts gehört. Hast du irgendwas Konkretes gesehen? Irgendwelche Spuren?“

Nina schüttelte den Kopf. „Nein, gar nichts. Nur dieses intensive Gefühl, das mich wachgehalten hat.“

Johanna legte beruhigend die Hand auf Ninas Arm. Aber Nina zog sich zurück, als würde sie nicht wollen, dass die anderen ihre Angst spürten. Dabei war es Nina, die sonst so intuitiv auf die Gefühle anderer einging. Johanna spürte eine leichte Beklemmung. Diese Wildnis, so wunderschön sie auch war, konnte einem das Gefühl vermitteln, winzig und verletzlich zu sein. Vielleicht war es das, was Nina in der Nacht gequält hatte.

Mika räusperte sich und versuchte, die Stimmung zu heben. „Die Nacht ist hier wirklich düster, ganz ohne Lichtverschmutzung. Da kann einem jeder Schatten unheimlich vorkommen. Ich habe einmal eine Reportage gesehen, in der ein Team in Alaska nachts durch den Wald gelaufen ist. Durch die Infrarotgeräte haben sie lauter Augenpaare gesehen, die sie sonst nie entdeckt hätten. Vielleicht war es irgendein Fuchs oder ein Marderhund, der um die Hütte gestreift ist.“

Nina nickte. „Vermutlich. Ich werde heute Abend garantiert besser schlafen, wenn wir den Tag über unterwegs sind.“

Björn stand auf, sammelte die leeren Schüsseln ein und stellte sie in die kleine Spüle. Das Trinkwasser kam aus einem Kanister, den sie gestern Abend an einer nahegelegenen Quelle gefüllt hatten. Johanna dachte daran, wie weit es bis zur nächsten Ortschaft war. Die wenigen Holzhütten, die sie unterwegs gesehen hatten, wurden meist nur in den Sommermonaten von Touristen bewohnt. Sie waren hier wirklich von der Welt abgeschnitten.

Einerseits war es genau das, was Johanna sich erhofft hatte – die pure Wildnis, der Ort, an dem dieser seltene Elch noch leben konnte. Andererseits lag in dieser Isolation auch eine schwelende Bedrohung, die sich nicht in Worte fassen ließ. Vielleicht war es die unbarmherzige Natur selbst, vielleicht war es die Unsicherheit, ob es Menschen gab, die ihre Anwesenheit nicht schätzten. Diese Elchart war selten und wer wusste schon, ob nicht Wilderer ein Interesse daran hatten, hier unbehelligt zu agieren?

Johanna schluckte. Sie wollte ihre Bedenken nicht laut aussprechen, um die ohnehin dünne Stimmung nicht weiter zu belasten. Stattdessen trank sie ihren Kaffee aus, der nun lauwarm war und einen leicht metallischen Beigeschmack hatte.

„Wollen wir?“, fragte sie schließlich in die Runde, nachdem sie einen letzten Blick auf die Karte geworfen hatte.

Björn nickte. „Nina und ich sollten uns beeilen, bevor der Regen kommt.“

Nina erhob sich, strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und griff nach ihrer Jacke. „Ich hole nur noch schnell meine Notizbücher. Mika, Johanna – wir treffen uns um eins zum Mittagessen?“

Johanna schaute auf die Uhr, die an der Wand hing, ein altes Modell mit römischen Ziffern. „Ja. Wir sollten jede Stunde nutzen, solange es hell ist.“

Mika klopfte sich auf die Oberschenkel und stand auf. „Perfekt. Ich werde mir kurz die Kameras anschauen und dann ziehen wir los. Johanna, bist du bereit?“

Sie stand ebenfalls auf. „Selbstverständlich, ich brauche nur noch meine Thermoskanne. Kaffee für unterwegs kann nie schaden.“

Ein leises Lachen ging durch die Runde. Es war nicht ausgelassen, aber immerhin besser als die Stille. Dann griff jeder nach seinen Sachen: Jacken, Mützen und Rucksäcken. Die Temperatur würde vermutlich im Laufe des Tages weiter sinken. Der Wetterbericht hatte von aufziehendem Wind gesprochen, eventuell sogar von Schnee, obwohl es erst Herbst war.

Dann waren sie bereit für ihr erstes Abenteuer. Vor der Tür strömte ihnen die kalte klare Luft entgegen. Der Himmel war wolkenverhangen und ein feiner Dunst lag über dem Boden. Das Holzhaus befand sich auf einer kleinen Lichtung, umgeben von hochgewachsenen Kiefern und vereinzelten Birken, die mit ihren goldgelben Blättern einen letzten Farbklecks in die Landschaft zeichneten, bevor der Wind sie kahlfegen würde.

Mika verschwand hinter der Hütte in einem Raum, wo sie einen Teil des Equipments zwischengelagert hatten. Die Holzkisten trugen Aufkleber verschiedener Universitäten und Forschungseinrichtungen, die Johanna in den letzten Jahren gesammelt hatte. In ihnen befanden sich Kamerafallen, Objektive, Stative, GPS-Tracker und andere Utensilien, die man brauchte, um die Population seltener Tiere zu dokumentieren.

Nina und Björn nickten Johanna zum Abschied zu. „Bis später!“, rief Nina und zog die Kapuze über den Kopf. Zusammen wanderten sie in Richtung Waldrand, wo ein schmaler Pfad in die Tiefe führte. Bald war nur noch das Rascheln von Schritten im Unterholz zu hören.

Johanna atmete tief durch. Ein Kribbeln der Vorfreude machte sich in ihr breit, gemischt mit dem feinen Stachel der Unsicherheit. Dann ging sie zu Mika, der bereits damit beschäftigt war, eine der Kamerafallen zu inspizieren.

„Funktioniert alles?“, fragte sie und beugte sich über die Kiste.

Mika zog ein Kabel heraus und steckte es in einen kleinen Monitor. „Scheint so. Ich werde nur noch die Akkus überprüfen. Du weißt ja, wie schnell die bei Kälte schlappmachen können.“

Johanna nickte, sie kannte diese Problematik. Die Wildtierkameras mussten sorgfältig konfiguriert werden, damit sie möglichst lange durchhielten. Sie hatten schließlich nicht unendlich viele Akkus dabei.

Während Mika an den Geräten arbeitete, ließ sie den Blick über die Lichtung schweifen. Der Boden war mit einer dünnen Schicht aus moosigem Grün und braunen Nadeln bedeckt. Ein paar Granitfelsen ragten aus dem Untergrund wie graue Inseln. Sie sah Spuren von Rehen oder Elchen – schwer zu sagen, zu welchem Tier sie gehörten, aber es war ein frisches Trittsiegel, eingedrückt in den feuchten Waldboden. Ihre Brust zog sich zusammen bei der Vorstellung, dass diese Fährte von einem der seltenen Elche stammen könnte. Aber sie wusste auch, dass in Nordschweden ganz normale Elche lebten. Es war schwer zu unterscheiden, vor allem, wenn man nicht selbst das Tier sah.

Ein leiser Windstoß fuhr durch die Bäume und ließ das Laub rascheln. Johanna spürte eine leichte Gänsehaut. Sie mochte diese Art von Morgen – noch nicht ganz Tag, aber auch nicht mehr Nacht. Eine Zwischenwelt, in der alles möglich schien. Sie zog den Reißverschluss ihrer Jacke hoch und drehte sich wieder zu Mika um.

„Alles klar?“, fragte sie.

Mika hob den Daumen. „Ja, die Kameras sind startbereit. Ich werde fünf Stück mitnehmen, das sollte erst einmal reichen. Zwei davon sind mit Bewegungssensoren ausgestattet, die anderen sind normale Fotofallen. Ich habe außerdem eine Drohne dabei, damit wir uns einen Überblick verschaffen können. Aber das Wetter sieht nicht sehr stabil aus.“

„Dann sollten wir aufbrechen.“ Johanna schnappte sich den Rucksack und verstaute sorgfältig die Kameras. „Ich würde sagen, dass wir in der Nähe des Flusses beginnen. Dort hat Björn gestern Spuren gesehen. Wenn wir Glück haben, finden wir eine geeignete Stelle für die Kameras.“

Mika zog sich seine Fingerhandschuhe über. „Abgemacht. Ich bin gespannt, was uns erwartet.“

Die beiden machten sich auf den Weg in Richtung Osten, wo sich ein kleiner Fluss durch das Gelände schlängelte. Der Pfad war kaum zu erkennen und nur mit einem geübten Auge konnte man eine halbwegs begehbare Route finden. Johanna und Mika mussten sich immer wieder durch dichtes Gestrüpp zwängen, während sich dornige Zweige an ihren Jacken und Hosen verhakten.

Das Vorwärtskommen war anstrengend. Der Boden war uneben, mit Wurzeln durchzogen, und moorige Stellen ließen sie jeden Schritt abwägen. Mehr als einmal rutschte Johanna aus, konnte den Sturz aber im letzten Moment abfangen. Mika stolperte einmal in ein schlammiges Loch, fluchte leise und zog sein Bein wieder heraus, während schmutziges Wasser herunterrann.

Nach etwa einer Stunde erreichten sie ein Gebiet, in dem sich die Bäume lichteten. Dazwischen glitzerte der Fluss, von einem diffusen Licht umspielt, das von den Wolken reflektiert wurde. Das Wasser war klar und kalt, vermutlich schmolz in höheren Lagen noch Schnee, der das Flussbett speiste.

Johanna kniete sich nieder, um den Boden zu untersuchen. „Schau mal“, sagte sie leise und deutete auf eine Stelle, an der das Gras niedergedrückt war. „Hier ist etwas Großes gewesen.“

Mika trat näher, holte seine Kamera heraus und machte ein paar Fotos. „Sieht tatsächlich nach einer großen Tierspur aus. Könnte von einem Elch oder einem Rentier stammen.“

Sie nickte. „Stimmt, aber die Spuren sehen breiter aus, wie von einem Elch. Rentiere hinterlassen normalerweise etwas kleinere Abdrücke. Außerdem sind hier Reste von abgefressenen Weidenruten, typisch für Elche, die gerne junge Triebe knabbern.“ Sie sprach leise, weil sie eine seltsame Ehrfurcht befiel, sobald sie in der Nähe von möglichen Wildtieren war. Dann stand sie auf und betrachtete die Umgebung.

„Wenn das hier ein bevorzugter Übergang ist, sollten wir vielleicht eine Kamera anbringen. Am besten so, dass sie den Pfad und den Fluss im Hintergrund erfasst.“

Mika schaute sich um, erspähte einen Baum mit ausreichend breitem Stamm. „Dieser Platz wäre ideal. Der Baum hat einen guten Winkel, und wenn wir die Kamera etwa in Brusthöhe anbringen, müsste sie das Ufer perfekt einfangen.“

Gemeinsam begannen sie, die erste Kamera zu installieren. Johanna befestigte den Gurt um den Stamm, während Mika das Objektiv justierte. Die Routinearbeit hatte etwas Beruhigendes, fast Meditatives. Aber gleichzeitig spürte Johanna ein Kribbeln, als würde sie jeden Moment damit rechnen, dass sich im Gebüsch etwas Großes regen würde.

„Fertig?“, fragte sie, als sie die letzte Schraube angezogen hatte.

Mika testete den Bewegungsmelder. „Ja, ich denke schon. Lass uns noch ein paar Fotos machen.“

Er trat einige Schritte vom Baum weg, winkte in Richtung Kamera und wartete, bis das rote Lämpchen erlosch, das die Aufnahme signalisierte. Dann zog er ein kleines Lesegerät hervor, das per Funk mit der Kamera verbunden war, und prüfte die Bilder. „Perfekt. Das Ding läuft.“

Johanna atmete zufrieden auf. „Gut. Noch vier weitere, dann haben wir für heute genug. Wenn wir Glück haben, können wir schon bald sehen, wer so alles hier entlangkommt.“

Sie schulterten die Rucksäcke und folgten dem Flusslauf. Der Boden wurde hier sumpfiger und ein fauliger Geruch stieg ihnen in die Nase. Moose und Flechten bedeckten die Steine, und der Untergrund gab unter ihren Schritten nach. In der Ferne hörten sie das Gurren einer Taube oder eines anderen Vogels, den Johanna nicht genau identifizieren konnte.

Mika blieb abrupt stehen. „Hast du das gehört?“

Sie drehte sich zu ihm um. „Was denn?“

Er lauschte angespannt. „Ich dachte, ich hätte ein leises Knacken gehört. Vielleicht war es auch nur ein Zapfen, der vom Baum gefallen ist.“

Sie verharrten einen Moment reglos, aber der Wald schwieg. Kein Windhauch bewegte die Zweige, keine Tiere waren zu sehen. Nur das leise Plätschern des Wassers.

„Wir sind nicht allein“, sagte Johanna schließlich mit gedämpfter Stimme. „Das war uns ja klar und wir sollten uns nicht verrückt machen. In diesem Wald leben viele Tiere. Elche, Rehe, Füchse, Wölfe …, wir müssen einfach aufmerksam sein.“

Mika nickte, aber sie sah ihm an, dass er sich ein wenig unwohl fühlte. Sie setzten den Weg fort. Eine Weile liefen sie schweigend nebeneinander her und konzentrierten sich nur darauf, einen passablen Weg zu finden, der nicht zu tief in den Morast führte.

Nach einer Viertelstunde erreichten sie eine weitere Stelle, die geeignet schien. Ein kleiner Seitenarm des Flusses bildete hier ein schlammiges Ufer, an dem sich zahlreiche Tierspuren finden ließen. Johanna entdeckte Hufabdrücke, die nach Elch aussahen, daneben auch Spuren von Rehen und kleineren Tieren wie Mardern.

„Hier ist es perfekt“, sagte sie. „Wenn die Tiere zum Trinken herkommen, haben wir gute Chancen, sie zu filmen.“

Mika nickte, stützte sich auf sein Knie und machte Nahaufnahmen der Spuren. Dann half er Johanna dabei, die zweite Kamera an einem Ast zu befestigen, der sich über das Ufer neigte. Diesmal achteten sie darauf, die Linse so auszurichten, dass sie einen möglichst weiten Winkel auf die Lichtung hatte.

Als sie damit fertig waren, war es schon fast Mittag. Der Himmel hatte sich weiter zugezogen, und ein kühler Wind wehte über das Wasser. Johanna spürte, wie ihre Finger klamm wurden, und sie zog die Handschuhe an, die sie in der Jackentasche verstaut hatte.

„Wir sollten langsam wieder zurück“, sagte sie zu Mika, während sie ihr Handy checkte. „Es ist fast zwölf. Wir haben zwar noch drei Kameras dabei, aber ich denke, wir verteilen sie lieber später. Oder was meinst du?“

Mika wirkte nachdenklich. „Gute Idee. Ich habe Hunger, und außerdem wollte ich noch die Drohne testen. Wenn wir Glück haben, reißt die Wolkendecke noch kurz auf, und wir können ein paar Luftaufnahmen machen. Vielleicht entdecken wir von oben ja eine Stelle, an der sich die Elche bevorzugt aufhalten.“

Johanna lächelte leicht. „Klingt gut. Dann lass uns aufbrechen.“

Sie liefen den Weg zurück, den sie gekommen waren. Hin und wieder schaute sie sich um, weil sie das Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Aber sie entdeckte nichts, keine Silhouette zwischen den Bäumen, kein Geräusch außer dem leisen Rascheln im Unterholz. Vielleicht war es nur die eigene Nervosität. Der Wald war voller Leben, und manchmal spielte einem die Fantasie einen Streich, wenn man zu lange in diese endlosen Schatten starrte.

Gegen halb eins waren sie wieder zurück in ihrem Quartier. Der Himmel hatte sich in ein dunkles Wolkenmeer verwandelt, und die ersten Regentropfen trommelten auf das Dach. Aus dem Schornstein stieg Rauch auf. Anscheinend waren Nina und Björn schon zurück und hatten das Feuer im Kamin entfacht.

Als Johanna und Mika die Tür öffneten, empfing sie ein angenehmer Schwall warmer Luft. Nina saß auf einem der Holzhocker, den Notizblock auf dem Schoß, während Björn in einem kleinen Topf rührte. Ein würziger Duft nach Kräutern und Gemüse erfüllte den Raum.

„Ihr seid ja schon da“, sagte Johanna und zog die Jacke aus. „Wie ist es bei euch gelaufen?“

Nina schaute auf, ein Strahlen in den Augen. „Wir haben einige Spuren entdeckt, ganz in der Nähe eines alten Forstweges. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es sich um Elchspuren handelt, vielleicht sogar die, die wir suchen. Sie waren riesig. Außerdem haben wir einige Reste von Haaren an einer Baumrinde gefunden. Ich will sie nachher unter dem Mikroskop anschauen, aber ich denke, dass es Elchfell ist. Ob es sich um die seltene Unterart handelt, kann ich so noch nicht sagen.“

Björn nickte zufrieden. „Die Gegend scheint vielversprechend zu sein. Allerdings hat uns der einsetzende Regen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wir sind umgedreht, bevor der Untergrund zu rutschig wurde. Hier oben kann das Wetter schnell umschlagen.“

Johanna und Mika berichteten von ihren Entdeckungen und den beiden Kameras, die sie bereits installiert hatten. Björn schlug vor, nach dem Mittagessen gemeinsam die restlichen Kameras zu verteilen, vielleicht an der Stelle, die Nina für vielversprechend hielt.

„Aber zuerst gibt es eine anständige Mahlzeit“, sagte Björn und holte ein paar tiefe Teller aus dem Schrank. „Ich habe eine Gemüsesuppe gekocht, die uns aufwärmen sollte. Wir können nicht nur von Haferbrei leben.“

Die Stimmung war deutlich besser als am Morgen. Ein gemeinsamer Erfolg – Spuren, potenzielle Haarfunde – beflügelte das Team. Johanna spürte, wie die Müdigkeit etwas von ihr abfiel und ihr Körper die dringend benötigte Energie aufnahm, während sie die warme Suppe aß. Die feine Würze prickelte auf ihrer Zunge.

Nina schaute Johanna mit einer Mischung aus Aufregung und Unbehagen an. „Ich weiß, dass es seltsam klingt, aber als Björn und ich im Wald waren, hatte ich wieder das Gefühl, beobachtet zu werden. Ich habe sogar gerufen, aber keine Antwort erhalten. Trotzdem hätte ich schwören können, dass da jemand war.“

Björn schob den leeren Teller zur Seite. „Vielleicht sind es Jäger gewesen. Hier oben gibt es einige, die auf Elchjagd gehen. Aber die Saison ist eigentlich noch nicht eröffnet und ich habe auch keine frischen Patronenhülsen oder sonstige Spuren gefunden, die darauf hindeuten würden. Vielleicht war es einfach nur deine Einbildung.“

Nina senkte den Blick. „Ja, vielleicht. Aber ich kann dieses Gefühl einfach nicht abschütteln.“

„Wir sollten auf jeden Fall vorsichtig sein“, sagte Johanna. „Wenn es wirklich Jäger oder Wilderer sind, wollen sie uns vielleicht nicht stören. Oder sie sind misstrauisch, was wir hier machen. Obwohl wir alle Genehmigungen haben, respektiert das nicht jeder. Auf jeden Fall sollten wir in Kontakt bleiben und unsere Routen planen, damit wir uns nicht aus den Augen verlieren.“

Mika nickte zustimmend. „Ich werde heute Abend die Drohne starten, sobald der Regen nachgelassen hat. Vielleicht sehen wir auf den Aufnahmen irgendetwas oder irgendwen. Wenn da tatsächlich jemand herumstreift, könnten wir ihn vielleicht aus der Luft entdecken.“

Björn beugte sich leicht nach vorn. „Eine gute Idee. Ich finde, wir sollten nichts dem Zufall überlassen, diese Wälder sind riesig. Und Menschen, die hier etwas zu verbergen haben, wissen oft, wie man sich ungesehen bewegt.“

Eine gewisse Schwere legte sich über sie. Die Teller waren noch nicht ganz leer, aber niemand schien mehr Appetit zu haben. Johanna spürte ein leises Ziehen in der Brust. War es Angst? Vorsicht? Sie wusste es nicht genau.

„Gut, lasst uns einen Plan machen“, sagte sie und zog die Karte des Gebietes hervor, die sie auf dem Tisch ausbreitete. „Hier ist unsere Hütte. Wir haben zwei Kameras installiert – eine am Hauptfluss, eine an diesem Seitenarm. Nina und Björn haben Spuren hier in der Nähe des alten Forstwegs entdeckt.“

Sie zeigte auf eine Stelle, die gut zwei Kilometer nördlich lag. „Ich schlage vor, dass wir anschließend gemeinsam dorthin gehen und die restlichen Kameras aufstellen. Danach können wir, falls noch Zeit ist, an die Westseite des Flusses laufen, wo wir die Lichtung gesehen haben. Dieser Standort würde auch infrage kommen.“

Björn stimmte zu. „Das klingt nach einem soliden Plan. Aber wir sollten auf das Wetter achten. Wenn der Regen stärker wird, kommen wir vielleicht nur schwer voran.“

Nina nahm ihre Notizen zur Hand. „Wenn es anfängt zu regnen, können wir uns immer noch aufteilen. Einer überwacht von hier aus die Drohnenbilder, während der Rest rausgeht. Schließlich sind wir hier, um diese Elchart zu finden und wir haben nicht unendlich viel Zeit.“

Johanna stimmte Nina zu. Die Forschungsgelder waren knapp bemessen, und sie konnten es sich nicht leisten, tagelang wegen des schlechten Wetters tatenlos herumzusitzen. Außerdem war der Herbst in Nordschweden unberechenbar. Schon bald würde der erste Schnee fallen und sich die Suche noch schwieriger gestalten.

„Also gut. Wir rasten noch eine halbe Stunde, dann brechen wir auf. Packt alles zusammen, was ihr braucht. Regenkleidung, Funkgeräte, Ersatzbatterien. Björn, du kennst dich aus, wenn du der Meinung bist, dass wir umkehren sollten, dann machen wir das.“

Björn erhob sich. „Verlass dich drauf. Ich habe kein Interesse daran, jemanden zu verlieren oder dass wir uns verletzen. Das hier ist kein Spaziergang, sondern pure Wildnis.“

Die Stimmung unter ihnen war nun wieder etwas entschlossener. Jeder nahm seine Aufgaben ernst. Johanna räumte die Teller weg und schnappte sich ihren Rucksack mit den Kameras. Mika überprüfte die Drohne und legte die Fernsteuerung bereit. Nina kontrollierte ihre Notizbücher, Stifte und ein kleines, tragbares Mikroskop, das sie für Haaranalysen nutzte. Björn checkte die Funkgeräte, verteilte sie an alle und erklärte kurz, auf welchem Kanal sie sich melden sollten.

Johanna stand im Flur am Fenster und betrachtete den Regen, der in feinen Schnüren auf die Lichtung fiel. Die Bäume schienen zu schwanken, wie bei einem lautlosen Tanz. Sie schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Dieses Projekt war ihr Lebenstraum – und doch spürte sie eine Unruhe, die sie nicht definieren konnte. Vielleicht war es das, was Nina behauptete, dieses bedrohliche Gefühl, nicht allein zu sein.

Als sie ihre Augen wieder öffnete, glaubte sie, eine Bewegung zwischen den Bäumen zu sehen, wie ein Schatten, der zu schnell verschwunden war, um ihn klar zu erkennen. Sie trat näher an das Fenster heran, aber da war nichts. Nur der Regen, der den Waldboden mit feuchten Flecken übersäte, und die düsteren Umrisse der Kiefern.

„Alles in Ordnung?“, fragte Mika, der hinter ihr stand.

Johanna zuckte zusammen und drehte sich um. „Ja, alles gut. Ich dachte nur, ich hätte da draußen etwas gesehen. Wahrscheinlich nur eine optische Täuschung.“

Mika sah sie einen Moment forschend an, dann lächelte er beruhigend. „Komm, wir sollten aufbrechen und die Kameras anbringen, bevor es dunkel wird.“

Sie nickte, griff nach ihrem Rucksack und zog die Kapuze über den Kopf. In diesem Moment wusste sie, dass die nächsten Stunden entscheidend sein würden. Nicht nur für ihre Forschung, sondern auch für das Team – und vielleicht für ihre Sicherheit. Denn in diesem Wald, so wunderschön und majestätisch er auch sein mochte, lauerte etwas. Etwas, das sich ihnen bisher entzogen hatte. Ob es ein Tier war oder ein Mensch, konnte sie nicht sagen. Aber sie spürte es, wie man ein nahendes Gewitter spürt, bevor der Donner grollt.

KapitelZwei

Die Umgebung außerhalb der Hütte hatte sich in eine feuchtkalte Welt verwandelt. Regen prasselte auf ihre Kapuzen, lief in kleinen Bächen die Ärmel hinunter und bildete dunkle Flecken auf dem Stoff. Der Wind hatte leicht aufgefrischt, zerrte an den Zweigen und ließ vereinzelte Blätter wie goldene Flocken zu Boden segeln.

Björn ging voraus. Er trug ein GPS-Gerät in der Hand, um ihren Standort zu markieren und sicherzustellen, dass sie den Weg zurückfinden würden. Nina folgte ihm, dicht an seine Fersen geheftet, den Blick wachsam in den Wald gerichtet. Johanna und Mika bildeten das Schlusslicht.

„Wenn der Regen anhält, wird das Gelände schlammig“, sagte Björn über die Schulter. „Also passt auf, wo ihr hintretet.“

Nina hatte bereits eine Hand an den Stamm eines Baumes gelegt, um nicht auszurutschen. Ihre Stiefel sanken schmatzend in den aufgeweichten Boden, und sie musste sich bei jedem Schritt anstrengen, um die Füße wieder herauszuziehen.

Auch Johanna merkte, wie ihre Waden protestierten, aber sie zwang sich weiter. Sie wollte unbedingt die Kameras an den Stellen aufbauen, die Nina und Björn gefunden hatten. Jeder Tag zählte, und das Wetter konnte sich noch weiter verschlechtern. Keiner von ihnen konnte vorhersagen, ob sie nicht morgen schon durch knietiefen Schnee stapfen würden.

Der Pfad, falls man ihn so nennen konnte, führte durch dichtes Unterholz. Immer wieder blieben Zweige in Mikas Ausrüstung hängen, und Johanna musste ihn davon befreien. Der Regen trommelte unablässig auf ihre Kapuzen, übertönte fast die Geräusche des Waldes. Trotzdem glaubte Johanna gelegentlich ein Knacken zu hören, das von einem Tier oder einem Menschen stammen konnte.

„Bist du okay?“, fragte Mika leise, als sie kurz anhielten, um eine Pause zu machen.

Johanna nickte. „Ja, ich bin nur ein bisschen angespannt. Allerdings frage ich mich, ob sich Nina geirrt hat oder ob wirklich jemand hier draußen herumläuft.“

Mika zog die Schultern hoch. „Ich weiß es nicht. Wir sind hier, um unserer Arbeit nachzugehen. Falls uns jemand beobachtet, hat er bisher nichts Feindseliges unternommen. Vielleicht sind es wirklich nur Jäger, die uns aus der Ferne im Blick haben.“

Johanna lächelte kurz. Sie wollte zuversichtlich wirken, obwohl eine innere Stimme sie warnte. Dabei waren sie doch gerade erst angekommen.

Björn gab ein Zeichen, dass sie weitergehen sollten. Nach einigen Minuten erreichten sie eine Stelle, an der der Wald sich ein wenig lichtete. Nina blieb stehen und deutete auf den Boden.

„Hier sind sie“, sagte sie. „Das sind die Spuren, die wir am Morgen gesehen haben.“

Johanna ging in die Hocke. Im feuchten Boden waren breite Abdrücke zu erkennen. Die Umrisse waren teilweise vom Regen ausgewaschen, aber sie ließen auf ein sehr großes Tier schließen. Elch, ohne Frage.

Nina biss sich auf die Unterlippe. „Sie sehen frisch aus, aber mit dem Regen ist das schwer zu sagen. Vielleicht befindet sich das Tier noch ganz in der Nähe.“

Björn trat zu ihnen. „Wir sollten hier auf jeden Fall eine Kamera platzieren. Vielleicht sogar zwei, um verschiedene Winkel abzudecken. Wenn das Tier hier regelmäßig entlangkommt, haben wir gute Chancen auf Bildmaterial.“

Johanna nickte und wies Mika an, eine Kamera an einem stabilen Stamm zu befestigen. Sie selbst suchte ein paar Meter weiter nach einem geeigneten Platz für die zweite Kamera. Während sie den Gurt um den Baum legte, hörte sie ein seltsames Geräusch – ein hohles Dröhnen, als würde in der Ferne etwas Schweres umstürzen. Sie blickte auf, sah aber nur den dichten Regenschleier, der vom Himmel fiel.

„Habt ihr das gehört?“, fragte sie.

Nina, die unter den schützenden Zweigen einer Tanne saß, schaute von ihrem Notizbuch auf. „Was denn?“

„So ein dumpfes Geräusch, als würde ein Baum umfallen oder ein Felsbrocken ins Tal rollen.“

Björn lauschte angestrengt. „Nein, ich habe nichts gehört. Vielleicht nur ein fernes Donnergrollen, ist ja nichts Ungewöhnliches.“

Johanna nickte. Sie war sich nicht sicher, was sie da gehört hatte, aber sie wollte auch keine Panik schüren. Stattdessen konzentrierte sie sich wieder auf die Kamera. Sie schaltete sie ein und machte ein Testfoto von Mika, der sich mit erhobener Hand vor den Baum stellte.

„Alles klar“, sagte sie schließlich. „Die Kameras sind aktiv. Wir sollten uns noch ein paar Minuten umsehen, ob wir weitere Spuren finden.“

Nina und Björn stimmten zu. Sie verteilten sich in einem kleinen Radius um die Lichtung, gingen vorsichtig zwischen den Bäumen hindurch. Johanna hörte das Prasseln des Regens auf den Blättern und spürte den nassen Stoff ihrer Hose an den Waden kleben. Sie musste immer wieder die Kapuze zurückschieben, um besser sehen zu können, was zur Folge hatte, dass ihr der Regen ins Gesicht lief.

Plötzlich entdeckte sie am Fuß eines Baumes etwas, das aussah wie ein Büschel Haare. Vorsichtig bückte sie sich und hob es auf. Die Haare waren dunkel, fast schwarz, und fühlten sich grob an. Elchhaare waren oft braun oder grau, aber es gab auch Varietäten mit dunklerem Fell. Trotzdem war sie sich nicht sicher, ob das hier wirklich vom Elch stammte.

„Nina!“, rief sie. „Komm mal her!“

Nina tauchte hinter den Sträuchern auf, ihre Wangen von der Anstrengung gerötet. „Was gibt es?“

Johanna reichte ihr die Haare. „Könnten die von einem Elch stammen? Sie sind sehr dunkel.“

Nina nahm sie vorsichtig entgegen, rollte sie zwischen Daumen und Zeigefinger. „Könnte sein. Elchfell variiert je nach Jahreszeit und Alter. Aber sicher bin ich mir nicht. Lass mich das nachher in Ruhe unter dem Mikroskop anschauen. Vielleicht kann ich die Haarstruktur bestimmen.“

Johanna nickte. „Gute Idee.“

Nina steckte die Haare in eine kleine Plastiktüte und beschriftete sie. Dann gingen sie zurück zur Lichtung, wo Björn und Mika bereits warteten.

„Irgendwelche Funde?“, fragte Björn.

Johanna erzählte ihm von den Haaren. Er zog die Augenbrauen hoch. „Könnte natürlich ein Elch sein, aber auch etwas anderes. Hier oben gibt’s auch dunklere Tiere, zum Beispiel manche Hunde, die mit Jägern unterwegs sind. Wir sollten uns nicht zu früh freuen.“

„Ich bin Biologin und werde doch wohl noch einen Hund von einem Elch unterscheiden können“, erwiderte sie kopfschüttelnd.

Mika klopfte auf die Kamera, die er gerade angebracht hatte. „Wir werden es herausfinden. Wenn es tatsächlich Elche sind, haben wir sie hoffentlich bald im Bild.“

Ein leiser Donner grollte in der Ferne. Björn hob den Kopf zum Himmel, dessen Wolken sich mittlerweile bedrohlich schwarz verfärbt hatten. „Wir sollten uns auf den Rückweg machen, bevor das Unwetter richtig losbricht. Hier in den Bergen kann das schnell gefährlich werden.“

Niemand widersprach. Sie schulterten ihre Rucksäcke, schalteten die Funkgeräte ein und liefen den Weg zurück. Der Regen wurde stärker, die Tropfen prasselten stakkatoartig auf sie herab. Der Boden war rutschig, und mehr als einmal glitt einer von ihnen aus, konnte sich jedoch im letzten Moment an einem Ast oder Stamm festklammern.

Johanna kämpfte gegen das aufkeimende Gefühl der Beklommenheit an, inzwischen war sie vollkommen durchnässt. Mika lief direkt hinter ihr und warf immer wieder nervöse Blicke über die Schulter. Auch er schien diese Anspannung zu spüren.

„Alles in Ordnung?“, fragte sie leise.

Er nickte, aber sein Blick verriet ihn. „Ja, schon … nur dieser Regen, dieser Wald … Ich bin froh, wenn wir wieder zurück sind.“

Nach einer weiteren halben Stunde konnten sie endlich das Holzhaus zwischen den Baumstämmen erkennen und der Anblick wirkte wie eine Erlösung. Sie beschleunigten ihre Schritte, bis sie schließlich vor der Tür standen und nacheinander eintraten.

Björn zog die Tür hinter sich zu, atmete schwer. „Das war ziemlich anstrengend.“

Nina warf ihre durchnässte Jacke in eine Ecke. „Und wie! Ich bin nass bis auf die Haut.“

Johanna schloss für einen Moment die Augen, genoss die Wärme, die noch nicht verflogen war. Dann öffnete sie sie wieder und schaute sich um. Alles war noch so, wie sie es verlassen hatten, wenn man einmal von den Pfützen absah, die sich von der nassen Kleidung auf dem Boden gebildet hatten.

„Ich werde uns etwas Warmes zu trinken machen“, sagte sie und griff nach dem Wasserkessel, um ihn auf den Gasherd zu stellen.

Nina setzte sich an den Tisch und holte die Plastiktüte mit den Haaren hervor. Dann nahm sie ihr Mikroskop, legte die Haare unter das Objektiv und justierte den Fokus.

Während das Wasser erhitzte, herrschte angespannte Stille. Björn zog seine nassen Stiefel aus und rieb sich die Füße, um sie wieder warm zu bekommen. Mika entledigte sich seiner durchnässten Socken und hing sie zum Trocknen im Badezimmer auf. Johanna trat neben Nina, um einen Blick durch das Mikroskop zu werfen.

Nina runzelte die Stirn. „Hm … also, das Haar ist hohl, was auf ein großes Säugetier hindeutet. Elchhaare sind hohl, das stimmt. Die Farbe ist allerdings sehr, sehr dunkel.“

Johanna betrachtete die Probe. „Vielleicht ein jüngeres Tier oder eine bestimmte Fellvariante?“

Nina zuckte mit den Schultern. „Könnte sein. Ich kann es nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, aber es ist definitiv nicht von einem Hund oder Wolf. Dafür ist die Struktur zu dick und zu lang. Ich tippe stark auf einen Elch. Die Frage ist nur, ob es sich um einen normalen Elch oder unsere gesuchte Unterart handelt?“

Björn setzte sich zu ihnen. „Es wäre ein enormer Zufall, wenn wir schon am ersten Tag Haare dieser seltenen Elchart finden würden. Aber ausgeschlossen ist es nicht. Wir haben immerhin Spuren und Fellreste.“

Mika blickte aus dem Fenster, an dem der Regen in Strömen herabfloss. „Wir sollten das Material auf jeden Fall in ein Labor schicken. Dann wissen wir mehr.“

Johanna nickte. „Definitiv. Aber bis dahin installieren wir weitere Kameras und beobachten, was passiert.“

Der Wasserkessel begann zu pfeifen, und Johanna goss heißes Wasser in vier Becher. Sie hatte Teebeutel mitgebracht, Kräutertee, der in dieser kalten Umgebung besonders wohltuend schmeckte. Jeder nahm dankbar einen Becher entgegen, wärmte die klammen Hände daran.

Ein Blitz erhellte plötzlich den Himmel, gefolgt von einem grollenden Donner. Die Hütte erbebte, als das Unwetter über sie hinwegrollte. Das Licht flackerte und sie schauten besorgt zur Lampe, die an der Decke hing.

„Na, das wird ja ein richtiges Unwetter“, murmelte Björn und trat ans Fenster. „Gut, dass wir es rechtzeitig zurückgeschafft haben.“

Johanna stellte sich neben ihn. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie die peitschenden Böen sah, die die Bäume zum Biegen brachten. Dann fuhr ihr Blick in die Ferne. Zwischen den Stämmen war nichts als Dunkelheit und strömender Regen.

„Wie spät haben wir es?“, fragte Nina.

Mika schaute auf seine Armbanduhr. „Gleich vier Uhr, es wird bald dunkel. Und bei dem Sturm können wir kaum noch was machen.“

Johanna dachte an die Drohne, die Mika testen wollte. Bei diesem Wetter war das ausgeschlossen. Der Wind hätte das Gerät fortgerissen, und das Wasser die Elektronik zerstört.

„Wir werden den Drohnenflug verschieben“, sagte sie. „Vielleicht beruhigt sich das Wetter über Nacht, dann können wir morgen früh starten und uns einen Überblick verschaffen.“

Nina wirkte unschlüssig. „Und wenn wir beobachtet werden? Wäre es nicht besser, jetzt gleich zu wissen, ob jemand in der Nähe ist?“

Björn schüttelte den Kopf. „Nicht bei diesem Sturm. Das Risiko ist zu groß, dass wir die Drohne verlieren. Außerdem bringt es nichts, jetzt hinauszulaufen und jemanden zu suchen, den wir nicht einmal eindeutig gesehen haben. Wir bleiben besser hier, halten Funkkontakt, laden unsere Geräte auf und warten auf Morgen.“

Johanna wusste, dass Björn recht hatte. Der Wald war jetzt noch unwegsamer als zuvor, und die Dunkelheit würde sie bald umhüllen. Sie atmete tief durch, versuchte, ihre Unruhe zu besänftigen. „In Ordnung, wir bleiben. Aber wir sollten Nachtwachen einteilen. Ich möchte nicht, dass wir alle friedlich schlummern, während draußen das Unwetter tobt.“

Nina, Björn und Mika stimmten zu. Sie beschlossen, jeweils für zwei Stunden wach zu bleiben, während sich die anderen ausruhten. Björn würde die erste Schicht übernehmen, Johanna die zweite und Mika die dritte. Nina wollte sich am liebsten gar nicht erst hinlegen, aber Johanna bestand darauf, dass jeder zumindest ein paar Stunden Schlaf bekam.

Die Dämmerung zog schnell auf und der Regen prasselte unablässig gegen die Fensterscheiben. Die Dunkelheit verwischte die Schatten, sodass draußen nichts mehr zu erkennen war. Mika bereitete eine einfache Mahlzeit zu, ein paar Konservendosen mit Bohnen und Kartoffeln, dazu etwas Brot. Niemand hatte großen Appetit, aber sie aßen schweigend, dankbar für die warme Mahlzeit. Anschließend setzten sie sich um den Kamin, der ihnen wenigstens ein bisschen Wärme spendete.

„Denkt ihr, dass ich paranoid bin?“, fragte Nina leise.

Björn starrte ins Feuer, als würde er dort eine Antwort finden. „In der Wildnis ist ein gesundes Maß an Paranoia überlebenswichtig. Vielleicht ist da draußen niemand und wir sind nur ein bisschen nervös. Aber wenn wir uns in falscher Sicherheit wiegen, kann das übel enden.“

Johanna nickte. „Mir geht dieses flaue Gefühl auch nicht aus dem Kopf, als würde jemand auf uns lauern. Aber vielleicht ist es nur die Vorstellung, dass wir hier draußen in dieser Abgeschiedenheit leben.“

Mika legte einen weiteren Holzscheit nach. Funken stoben auf, tanzten in der Luft, bevor sie erloschen. „Wir werden es herausfinden. Morgen, wenn das Wetter besser ist, starten wir die Drohne und verschaffen uns einen Überblick.“

Sie blieben noch eine Weile wach, besprachen die Pläne für die nächsten Tage, in der Hoffnung, die seltene Elchart aufspüren zu können. Sie redeten seltsamerweise mit gedämpften Stimmen, um nicht irgendetwas anzuziehen, das da draußen in der Dunkelheit lauerte.

„Seid ihr auch so erschöpft?“, fragte Nina und unterdrückte ein Gähnen.

Johanna nickte. „Und wie.“

„Auch wenn wir nicht lange unterwegs gewesen sind, beansprucht das unwegsame Gelände übermäßig unsere Muskulatur. In ein paar Tagen werden wir uns daran gewöhnt haben“, sagte Björn.

Johanna mochte seine ruhige Art, er war perfekt für den Job des Teamleiters. Mit ihm an ihrer Seite fühlte sie sich sicher.

Schließlich verschwand Nina als Erste in ihrem Zimmer, aber auch Mika verabschiedete sich. Björn blieb am Tisch sitzen, eine Taschenlampe und ein Funkgerät neben sich, während die Petroleumlampe tanzende Schatten an die Wände warf.

„Weck mich um zwei“, sagte Johanna leise.

Björn nickte, sein Gesicht war im Halbdunkel kaum zu erkennen. „Werde ich machen. Schlaf gut.“

„Danke.“

Es dauerte eine Weile, bis sie in einen unruhigen Schlaf sank, in dem sie von riesigen Elchen träumte, die zwischen den Bäumen auftauchten und sie mit dunklen Augen anstarrten. Immer wieder wachte sie auf, lauschte in die Stille, hörte Björn, wenn er über die knarrenden Dielen lief. Draußen tobte das Unwetter weiter, fegte über die Landschaft hinweg.