St. Jakob und der Sternenweg - Michael Mitterauer - E-Book

St. Jakob und der Sternenweg E-Book

Michael Mitterauer

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Beschreibung

Um die Anfänge des Jakobsweges gibt es viele offene Fragen. Warum glaubte man seit dem 9. Jahrhundert, dass der Apostel Jakobus der Ältere nicht im Heiligen Land begraben liegt, sondern in Santiago de Compostela im äußersten Westen des europäischen Kontinents – im damaligen Verständnis "am Ende der Welt"? Was führte dazu, dass der Zustrom der Pilger dorthin bald den großen Wallfahrtszielen der Christenheit in Jerusalem und Rom gleichkam? Welche Rolle spielte dabei das Königtum, welche die Kirche? War es die Bedeutung des heiligen Jakob in den Jenseitsvorstellungen der Zeit, die den besonderen Aufstieg der Jakobusverehrung in der europäischen Christenheit des Mittelalters begründete? Solchen und ähnlichen Fragen, die sich im weiten Feld der Forschungen um den Jakobsweg stellen, geht das Buch von Michael Mitterauer nach.

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Gedruckt mit Unterstützung durch

die Kulturabteilung der Stadt Wien – MA 7die Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät der Universität Wien

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Man walking alone at Camino de Santiago.Foto: Memo Vasquez (© gettyimages)

© 2014 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Wien Köln Weimar

Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien, www.boehlau-verlag.com

Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig.

Lektorat: Wolfram Aichinger und Nikola Langreiter

Einbandgestaltung: Guido Klütsch, Köln

Satz: Bettina Waringer, Wien

Druck und Bindung: Theiss, St. Stefan im Lavanttal

Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier

ISBN 978-3-205-79607-7

Datenkonvertierung: Datamatics Global Services, Griesheim

ISBN 978-3-205-79369-4 (eBook)

Inhalt

Dank

Einleitung

„Jakobus, der Sohn des Zebedäus“

„Begraben in Jerusalem“

„Wer zum heiligen Jakob geht und nicht zum Erlöser, der besucht den Knecht und versäumt den Herrn“

„Der Weg beginnt in deinem Haus“

„Die Sternenstraße, die du am Himmel gesehen hast“

„Im Norden leben die Toten“

„Alle Toten müssen zum heiligen Jakob von Galicien gehen“

Literatur

Der Autor

Dank

Mit Wolfram Aichinger ist dieses Buch in besonderer Weise verbunden. Unsere Gespräche über Themen der Historischen Anthropologie haben vor siebzehn Jahren in Bulgarien begonnen und schließlich nach Galicien geführt. Mittelalterliche Heiligenverehrung war dabei ein besonderer Schwerpunkt. Aus einem Gastvortrag in seiner Vorlesung am Romanistischen Institut der Universität Wien entstand das Konzept zu dieser Publikation. In allen Höhen und Tiefen der Textgestaltung hat er mich hilfreich begleitet. – Aus einer Anfrage zu frühen Nennungen des „Sternenwegs“ entstand der Kontakt zu Robert Plötz. Weit über diesen Anlassfall hinaus hat mich der profunde Kenner der Jakobusforschung aus seinem reichen Wissen mit Informationen, Ergänzungen und Kritik beraten. Es war schön, von unterschiedlichen Ausgangspositionen aus über gemeinsame Interessensgebiete ins Gespräch zu kommen. – Die erste Begegnung mit dem Jakobsweg hat mir Paloma Fernández de la Hoz Mola erschlossen. Ich freue mich, dass wir nach Jahren der fachlichen Zusammenarbeit so viel an Gemeinsamkeit erhalten konnten. – Ángel Quiroga hat mir wichtige Zugänge zu vorchristlichen heiligen Orten in Galicien vermittelt. So konnte ich einen Grundgedanken dieser Studie weiter vertiefen. – In einer Phase der Überlastung hat Magda Oberreiter die Reinschrift des Manuskripts übernommen und so einen erfolgreichen Abschluss ermöglicht. – Das freundschaftliche Gespräch mit Peter Rauch hat die Entstehung dieses Buchs begleitet. Es bedurfte einer solchen Vertrauensbasis, um noch einmal Neues zu beginnen. Allen, die in diesem Sinne angeregt, ermuntert, geholfen und unterstützt haben, sei herzlich gedankt. [<<6||7>>]

Einleitung

Die Bedeutung des spanischen Wallfahrtszentrums Santiago de Compostela hat in den letzten Jahrzehnten enorm zugenommen. 1986 wurden 2.491 Pilger gezählt, aus Anlass des Besuchs von Papst Johannes Paul II. 1989 waren es 5.760. Vor allem in den „heiligen Jahren“, die in Santiago immer dann gefeiert werden, wenn das Jakobsfest auf einen Sonntag fällt, wächst die Pilgerzahl besonders an: 1999 auf 154.613, 2004 auf 179.944 und 2010 auf 272.135. Aber auch in Normaljahren wird die 100.000er Grenze regelmäßig überschritten. 2013 wurden sogar rund 215.000 Pilgerurkunden ausgestellt. Dabei beziehen sich diese Zahlen bloß auf die offiziell im Pilgerbüro der Kathedrale Gemeldeten, die die sogenannte „Compostela“, das Zertifikat über die Erfüllung der herkömmlichen Pilgerkriterien, erhalten wollen. Unter ihnen nimmt die Zahl jener zu, die nicht ausschließlich religiös motiviert sind. Verschiedene andere Beweggründe können für sie im Vordergrund stehen – etwa historisch-kulturelle Motive, touristisches Erleben, Abenteuer oder Selbsterfahrung. Durch sie wird die Bewältigung des Jakobswegs immer mehr zu einer vielfältigen Aufgabenstellung, die die traditionell religiösen Ziele des Pilgerns weit überschreitet. Auch die Herkunftsländer der Pilger nehmen zu. Zwar stehen nach wie vor die Spanier mit etwa der Hälfte der Pilger im Vordergrund, neben ihnen gewinnen aber Deutsche, Italiener und Franzosen als große Herkunftsgruppen an Bedeutung. Der wachsende [<<7||8>>] Zuzug aus Europa beschränkt sich keineswegs nur auf mehrheitlich katholische Länder. Immer häufiger werden auch Pilger aus überseeischen Regionen registriert. Der Einzugsbereich der Wallfahrt weitet sich aus. Santiago wird neuerlich zu einem europäischen, darüber hinaus aber auch zu einem internationalen Wallfahrtszentrum.

Das Pilgern auf dem Jakobsweg bewegt die Menschen. Obrigkeitliche Maßnahmen tragen dem wachsenden Interesse Rechnung. Solche Maßnahmen geben aber auch ihrerseits neue Impulse. In Spanien wurden seit den 1950er Jahren Anstrengungen unternommen, die historischen Bauten entlang des Jakobswegs zu schützen. 1962 wurde der Hauptweg offiziell zum „historisch-künstlerischen Ensemble“ erklärt. 1984 ernannte der Europarat den Weg zum ersten „Europäischen Kulturweg“, denn er „dokumentiere den Werdegang Europas“. Der Jakobsweg wurde so zum Muster für andere kulturpolitische Maßnahmen dieser Art. 1993 nahm die UNESCO die alte Pilgerstraße in die Liste der Monumente des Weltkulturerbes auf. Unter Schutz gestellt wurde der gesamte historische Weg, wie er im „Liber Sancti Jacobi“ aus dem 12. Jahrhundert als „Camino Francés“ beschrieben ist, und zwar in einer Breite von mindestens dreißig Kilometern auf beiden Seiten. Dabei wurden 1800 Einzelbauten in 166 Städten und Dörfern einbezogen. Neben Sakralbauten aller Art – von Kathedralen über Klöster bis zu Kapellen – gehören zu den geschützten Objekten auch Einrichtungen für die Versorgung von Pilgern, Paläste, Privathäuser, Brücken, Schleusen, Wegkreuze aus der Zeit zwischen dem 11. Jahrhundert und der Gegenwart. So führen die Schutzmaßnahmen der jüngsten Vergangenheit [<<8||9>>] bis weit zurück in die Geschichte. Die zunehmende Bedeutung des Jakobswegs in den letzten Jahrzehnten verweist auf eine große Tradition mit neuer Aktualität.

Es lässt sich sicher nicht behaupten, dass der Boom, den die Pilgerschaft nach Santiago de Compostela in unserer Zeit erlebt, eine bloße Wiederholung des großen Aufschwungs im Hoch- und Spätmittelalter darstellt. Zu unterschiedlich sind der jeweilige gesellschaftliche Kontext, die Motive der Pilger, das religiöse Weltbild, in das sie eingeordnet sind. Und doch lassen sich Zusammenhänge erkennen. Die aktuelle Bedeutung der Pilgerschaft ist ohne deren historische Wurzeln nicht zu verstehen – sowohl in ihren Kontinuitäten als auch in ihren Kontrasten. Das Phänomen Santiago bedarf auch einer historisch-genetischen Interpretation. Und diesbezüglich stellen sich für die Wissenschaft viele Fragen. Die Ausstrahlungskraft Santiagos im Mittelalter ist ähnlich enigmatisch wie jene in der Gegenwart. Um solche Rätsel des Ursprungs soll es hier gehen.

Schon im ausgehenden Mittelalter und in der frühen Neuzeit wurden Zweifel laut, ob denn der Apostel Jakobus der Ältere wirklich in Santiago de Compostela begraben liegt. Warum sollte dieses Apostelgrab erst im 9. Jahrhundert bekannt geworden sein? Und wie konnte sich die Vorstellung durchsetzen, dass es im äußersten Westen des europäischen Kontinents im spanischen Galicien, also „am Ende der Welt“, zu suchen sei? Was führte nach dem Grabfund dazu, dass so zahlreich Pilger nach Santiago kamen – ein Zustrom, der schon bald den zu älteren Wallfahrtsorten der Iberischen Halbinsel übertraf und schließlich jenen der altchristlichen Pilgerzentren [<<9||10>>] Jerusalem und Rom erreichte? Welche Rolle spielte dabei das Königtum, welche die Kirche? Wie kam es in den unwirtlichen Gebirgsregionen des nördlichen Spanien zu einer derart hoch entwickelten Infrastruktur des Pilgerwesens, die für die Wallfahrt in Europa insgesamt vorbildlich wurde? Was waren die Wurzeln der besonderen Heiligkeit dieser Pilgerstraße – die christlichen wie die vorchristlichen? Spielte ein religiös-kultureller Sonderweg Galiciens im Raum der Iberischen Halbinsel bei der Entstehung des großen Wallfahrtszentrums eine Rolle? Ging es dabei in besonderer Weise um das Verhältnis von Lebenden und Toten und damit auch um spezifische Jenseitsvorstellungen? War es letztlich die Bedeutung des heiligen Jakob in solchen Jenseitsvorstellungen, die den einmaligen Aufstieg des Jakobskults in der europäischen Christenheit des Mittelalters begründete?

Solchen und ähnlichen Fragen soll in den folgenden Kapiteln nachgegangen werden. Sie wurden in der umfangreichen Literatur zur Geschichte des Jakobswegs schon vielfach gestellt. Die hier vorgelegten Versuche, sie zu beantworten, greifen nur einen schmalen Ausschnitt aus diesem reichen Schrifttum auf. Die Jakobusforschung ist ein weites Feld. Die vielen Autorinnen und Autoren, deren Forschungsergebnissen die hier angestellten Überlegungen verpflichtet sind, können im Literaturverzeichnis nur in Auswahl genannt werden.

Die für die einzelnen Kapitel gewählten Zitattitel deuten an, dass es sich nicht um eine zusammenfassende Überblicksdarstellung handelt, sondern nur um Skizzen zu einigen thematischen Schwerpunkten. Sie folgen einer bestimmten Argumentationslinie, der entlang neue [<<10||11>>] Erklärungszusammenhänge versucht werden. Der Gesamttitel der Studie spricht einen für solche Zusammenhänge wichtigen Grundgedanken an, nämlich die Verbindung zwischen christlichen und vorchristlichen Entstehungsbedingungen. Die hohe Verehrung des heiligen Jakobus im Norden der Iberischen Halbinsel setzte erst im Frühmittelalter ein. Der Sternenglaube in dieser Region reicht weiter zurück. In vielen europäischen Sprachen wurde „Weg des heiligen Jakob“ zur Bezeichnung für die Milchstraße. Die Entsprechung zwischen himmlischem und irdischem Weg lebt in der Symbolik des „Sternenwegs“ für die große Pilgerstraße bis in die Gegenwart weiter.

Der persönliche Zugang zur Beschäftigung mit den Ursprüngen der mittelalterlichen Jakobsverehrung und deren Ausdrucksformen in der Entstehung des Jakobswegs führte über viele Stationen. 1967 veröffentlichte ich einen Aufsatz über „Jahrmärkte in Nachfolge antiker Zentralorte“. Die Arbeit an diesem Thema machte mir das Phänomen der Kontinuität von Kultorten vorchristlicher und christlicher Zeit bewusst – und die Bedeutung epochenübergreifender Zusammenhänge insgesamt. Es folgten Studien über die Theorie der zentralen Orte, über heilige Orte im Kontext von Zentralortsystemen, über Dimensionen des Heiligen, über Strukturen der westlichen Kirche im Mittelalter im Allgemeinen. Alle diese strukturgeschichtlichen Themenstellungen machten eine vergleichende Zugangsweise notwendig. Einen solchen komparativen Ansatz sollen auch die Kapitel dieses Buches verstärkt in die Überlegungen zu den Anfängen des Jakobswegs einbringen. Er führt vertiefend in die Sakraltopographie des Iberischen Raums – mit spezifischen [<<11||12>>] Akzentsetzungen jedoch auch weit über diesen hinaus. Die Geschichte heiliger Orte und heiliger Wege, die zu ihnen führen, macht Heiligkeit in der Geschichte allgemein zum Thema. Ein solcher Zugang ist mehr der Historischen Anthropologie als der Kirchengeschichte verpflichtet.

Historisch-anthropologische Beschäftigung mit Wallfahrt bietet primär Analyse und Erklärung aus geschichtlichen Zusammenhängen. Pilgern am Jakobsweg heute bedeutet hingegen in erster Linie Erlebnis und Erfahrung. Das sind sicherlich sehr unterschiedliche Dimensionen. Sie können einander jedoch sinnvoll ergänzen. Beiden gemeinsam ist letztlich das Interesse an der Bedeutung von Religion im Leben der Menschen. [<<12||13>>]

„Jakobus, der Sohn des Zebedäus“

Im Neuen Testament begegnen mehrere Träger des Namens Jakobus. Sie werden in der Bibel selbst, ebenso aber auch in der christlichen Tradition in der Regel durch zusätzliche Bezeichnungen unterschieden. In der Aufzählung der Apostel im Matthäusevangelium finden sich zwei Jakob – der eine als „Sohn des Zebedäus“, der andere als „Sohn des Alphäus“ charakterisiert. Lateinisch werden sie als „Jacobus maior“ und „Jacobus minor“ bezeichnet, also als „Jakobus der Ältere“ und „Jakobus der Jüngere“. Letzterer ist nicht zu verwechseln mit Jakobus „dem Kleinen“, dem Sohn einer Jüngerin Jesu. Das Konzil von Trient hat im 16. Jahrhundert für die katholische Kirche eine Gleichsetzung von Jakobus, dem Sohn des Alphäus mit Jakobus „dem Kleinen“ und dem „Herrenbruder“ Jakob verbindlich gemacht, was zu exegetischen Problemen führt. Neben den beiden Aposteln mit Namen Jakob zählt der gleichnamige „Herrenbruder“ zu den besonders prominenten Persönlichkeiten der christlichen Frühzeit. Er leitete nach dem Bericht der Apostelgeschichte die Gemeinde von Jerusalem und spielte beim Apostelkonzil eine bedeutende Rolle. Ein Großteil der Forschung erscheint bereit, in ihm einen leiblichen Bruder Jesu zu sehen. Die Überlieferung schreibt ihm die Autorenschaft des kanonischen Jakobusbriefes sowie mehrerer apokrypher Schriften, darunter des sogenannten „Protoevangeliums des Jakobus“ zu. Letzteres gilt heute als eher unwahrscheinlich. Es ist also für die Frühzeit der Kirche mit weiteren bedeutenden Namensträgern zu rechnen. Dazu gehört auch der Schöpfer der Jakobusliturgie, der ältesten christlichen Gottesdienstordnung, die ihren Ausgang von Jerusalem genommen hat. In der Überlieferung kam es zwischen diesen verschiedenen Namensträgern zu Überschneidungen bzw. Verwechslungen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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