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Die Meistererzählung hat ausgedient - das Märchen von einem Rundfunk, der uns allen gehört und deshalb neutral und ausgewogen über alles berichtet, was uns bewegt. Man muss gar nicht auf die großen Themen schauen, um Menschen zu verstehen, die ARD und ZDF abwählen und sich weigern, dafür jeden Monat knapp 20 Euro zu zahlen. "Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist, durch die Herstellung und Verbreitung ihrer Angebote als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen." So heißt es in Paragraf 26 des Medienstaatsvertrags, doch die Programme lassen aus und weg, sie diffamieren, agitieren und belehren. Dieses Buch geht zu den Wurzeln des Unmuts und legt frei, wie stark Behörden, Parteien und Apparate mit den Redaktionen verbandelt sind. Das muss aber nicht so bleiben. Wir können das Versprechen beim Wort nehmen, das mit der Idee "öffentlich-rechtlich" verbunden ist - oder werden den Staat dazu bringen, sich offen zu seinen Anstalten zu bekennen und uns jedes Mitsprachrecht zu nehmen.
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Seitenzahl: 99
Veröffentlichungsjahr: 2025
ARD & Co. sind am Ende – oder müssen neu erfunden werden
Michael Meyen
HINTERGRUND
DAS NACHRICHTENMAGAZIN
WISSEN KOMPAKT
Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln, einschließlich der Vervielfältigung, der Übersetzung, der Mikroverfilmung oder der Speicherung und Verarbeitung unter Verwendung elektronischer oder mechanischer Verfahren, ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Herausgebers vervielfältigt, verbreitet oder übertragen werden, mit Ausnahme von kurzen Zitaten in Rezensionen und bestimmten, nichtkommerziellen Verwendungen, die nach dem Urheberrecht zulässig sind.
ISBN 978-3-910568-26-6
© Hintergrund GmbH, Berlin, 2025
www.hintergrund.de
Lektorat: Susanne George
Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin
1. Auftakt:Das Märchen von »unserem Rundfunk«
2. Lange Linien:Eine kurze Rundfunkgeschichte
3. Hebel I:Aufsicht
4. Hebel II:Geld
5. Hebel III:Hierarchien
6. Ergebnis:Propaganda als Programm
7. Wie weiter?Wege in die Zukunft
Medienkritik zum Weiterlesen
Die Propaganda beginnt mit der Verpackung. Jeder Konsument weiß das. Die Ledersessel im Autohaus, dazu ein Tässchen Kaffee aus einer glitzernden Maschine, serviert von einem Verkäufer in feinem Zwirn mit einem noch feineren Lächeln. Dieser Wagen, lieber Herr Meyen, übertrifft wirklich alles. Fahren Sie eine Runde. Dann trinken wir einen Schluck und tüten das ein. Oder, drei Nummern kleiner: die Colaflasche mit dem knallroten Etikett, die kühl in der Hand liegt und sofort an Weihnachten erinnert, an Freundschaft, an Glück. Red Bull, noch so ein Brausekonzern, ließ einst sogar einen Österreicher vom Himmel fallen, um uns einreden zu können, dass ein Haufen Zuckerwürfel Wunder tut, wenn man ihn in eine Dose presst und kalt stellt. Was Körper und Arzt dazu sagen? Kein Thema.
So spektakulär es auch sein mag, aus einem Getränk, das für ein paar Cent herzustellen ist, Milliarden herauszuschlagen: Das ist nichts gegen die Geschichte, die uns tagein, tagaus über den Journalismus erzählt wird und über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Genau genommen handelt es sich um drei Geschichten, die schon da waren, als die meisten von uns geboren wurden, und dann so oft wiederholt worden sind, dass sie genauso zum Inventar unseres Lebens zu gehören scheinen wie »unsere Demokratie«, »der Rechtsstaat« oder »die freie (westliche) Welt«. Geschichte eins: Der Journalismus ist unabhängig, neutral und objektiv. Geschichte zwei: Die Leitmedien sind eine »vierte Gewalt« – dazu auserkoren, Parlamenten, Behörden und Gerichten auf die Finger zu klopfen, wenn dort der Filz die Oberhand gewinnen sollte. Und Geschichte drei, die beste von allen: Der Rundfunk gehört uns. Ihnen, mir, den Nachbarn von der Zugspitze bis nach Kap Arkona. Was im Fernsehen unter dem Label »öffentlich-rechtlich« läuft, im Radio und längst auch auf YouTube, TikTok und Instagram: All das, so geht diese Geschichte weiter, hat nichts mit dem Staat zu tun und auch nichts mit irgendwelchen Sonderinteressen, zum Beispiel aus der Wirtschaft oder aus der Politik, sondern spiegelt einzig und allein, was Profis in den Redaktionen für so relevant halten, dass es die Gesellschaft wissen sollte. Deshalb muss jeder zahlen. Ein »Beitrag« für das gedeihliche Miteinander. Eine »Demokratie-Abgabe«. Keine »Gebühr«, einzuziehen von einer »Zentrale« (so hieß das bis Ende 2012), und erst recht keine Steuer.
Der Volksmund hat diesen letzten Etikettenschwindel nicht mitgemacht und spricht störrisch weiter von der GEZ. Der Kopf dahinter ahnt auch, dass die drei großen Geschichten nicht stimmen. Objektiv, neutral und unabhängig? Ein Gegenspieler der Macht? Ein Kritiker und Kontrolleur also und kein Komplize? »Mein« Anwalt, Freund und Helfer, obwohl er mir von morgens bis abends erzählt, was ich zu tun und zu denken habe? Ein »Beitrag«, den im Zweifel der Staat eintreibt mit dem Gewaltmonopol im Rücken?
Ich schreibe dieses Buch, um aus solchen Ahnungen und Zweifeln eine Gewissheit zu machen und so den Weg für einen Neustart zu öffnen. ARD, ZDF und Co., das lässt sich selbst auf knapp 80 Seiten zeigen, sind so fest mit Behörden, Parteien und Apparaten verbandelt, dass kein Blatt Papier zwischen Staat und Redaktionen passt. Lassen Sie sich nicht von der Verpackung täuschen – von Nachrichtenstudios zum Beispiel, die so sauber und unschuldig wirken wie eine Flasche Cola, von Moderatoren, die direkt aus der Mercedes-Niederlassung von nebenan zu kommen scheinen, oder gar von Politikern, die sonntags die Pressefreiheit feiern und sich sogar jedes Jahr ein Ranking leisten, damit wir uns beruhigt zurücklehnen können. Deutschland in der Spitzengruppe. Nicht ganz so gut wie Skandinavien oder Holland, okay, aber kein Vergleich mit Trump oder gar mit Russland und China, mit Eritrea und Nordkorea.1 Alles Tarnung, alles Trick. Maybrit Illner hat ihr Talkstudio freigeräumt für ein Tête-à-Tête, als Friedrich Merz am 15. Mai 2025 direkt nach der Regierungserklärung im Bundestag zum Fernsehvolk sprechen wollte. Auch ein Landesfürst wie Markus Söder setzt sich in München niemals mit anderen Gästen vor eine BR-Kamera. Meine Partei, meine Regierung, mein Sender.
Stopp. Bevor ich mich verliere im Dschungel der öffentlich-rechtlichen Sendungen, wiederhole ich, worauf es mir in diesem ersten Kapitel ankommt. Die Propaganda beginnt mit der Verpackung. Noch klarer: Die Verpackung ist Propaganda – bei mir ein Wort, das alle Versuche staatlicher Stellen beschreibt, die Stimmung im Land zu manipulieren. In der Sprache der Wissenschaft: alles, was darauf hinausläuft, »eine bestimmte, eindeutig gefärbte Sichtweise der Dinge« zu platzieren »und damit die öffentliche Diskussion in die gewünschte Richtung« zu lenken.2 Die Medienkritik hat sich längst darauf verlegt, jeden Beitrag auf alles Mögliche abzuklopfen, um der Propaganda auf die Spur zu kommen. Weglassen, übertreiben und emotionalisieren. Kampfbegriffe, Kontaktschuld, Salamitaktik. Themen setzen und in einen Denkrahmen stellen. Locken statt verbieten.3 Man kann ganze Bücher mit solchen Techniken füllen.4 Man kann einen Link zum Militär setzen, von einem Krieg um die Köpfe sprechen und von einer »Waffengattung«.5 Man kann auch feststellen, dass die »Machtstruktur« der Gegenwart mehr in die »psychologische Manipulation ganzer Massen« investiert »als jede andere Machtstruktur der Geschichte«, auf die Geheimdienste verweisen und »Erste Hilfe« versprechen.6 Das ist alles gut und wichtig. Ich sage trotzdem: Was über die Leitmedien und vor allem via ARD und ZDF über uns kommt, könnte nicht halb so gut verfangen, wenn es den Zuckerguss nicht geben würde – das Märchen von einem Rundfunk, betrieben im Auftrag des Volkes von Redaktionen, die autonom sind und nicht parteiisch und die deshalb zur Stelle sein werden, wenn Parlamente, Behörden und Gerichte einstimmig die falschen Töne treffen. Ohne diesen Lack würde jeder schnell sehen, wer ihm hier etwas auftischen möchte – ein Parteienstaat, der den Steuerzahler gleich doppelt zur Kasse bittet: für die Propagandaapparate, die es in jedem Ministerium gibt, in jeder Behörde, bei jedem Spitzenpolitiker,7 und für Radio- und Fernsehprogramme, die die Botschaften dieser Apparate verbreiten und auch im Internet wie Metastasen um sich greifen.
Der Blick hinter die Fassade führt mich im zweiten Kapitel zunächst in die Vergangenheit. Das Radio, 2023 hundert Jahre alt geworden, wurde in Deutschland als Kind von Militär und Staat geboren und ist von seinen Eltern niemals freigelassen worden. Zu gefährlich, der Kleine. Die Hörer und später dann die Zuschauer könnten auf dumme Gedanken kommen. Wie das so ist bei einem Inzest: Als die Dinge nach einer Jahrhundertkatastrophe für jeden offensichtlich waren, wurden Nebelkerzen gezündet. Anders formuliert: 1945 schlug die Stunde der Geschichtenerzähler. Der Journalismus ist unabhängig. Sie wissen schon.
Dieses Märchen war damals selbst für die Besatzer aus dem Westen brühwarm. Man muss dafür nur in die Klassiker schauen, zu Edward Bernays zum Beispiel, der Ende der 1920er Jahre noch ganz offen über »unsichtbare Herrscher« schreiben konnte (»wir werden von Personen regiert, deren Namen wir noch nie gehört haben«) und darüber, dass »sich die Gesellschaft einverstanden erklärt« habe, »über Propaganda und Meinungsmanagement gesteuert zu werden«.8 Bernays war beileibe kein Sonderling, sondern brachte in seinem berühmten Buch nur das als kleine Münze unters Volk, was Walter Lippmann, einer der Vordenker aus dem Zentrum der Macht, kurz vorher unverblümt ausgesprochen hatte: »Eine Gruppe von Menschen, die der Öffentlichkeit den ungehinderten Zugang zu den Ereignissen verwehren kann, arrangiert die Nachrichten, damit sie ihren Zwecken dienen.«9 Lippmann berichtet das als Zeitzeuge. Er hat Präsident Wilson beraten, als es darum ging, das Land in den Krieg zu führen und damit ein Wahlversprechen zu brechen,10 war dann 1919 bei den Pariser Vorortverhandlungen und stand 1921 schließlich an der Wiege, als das Council on Foreign Relations aus der Taufe gehoben wurde, bis heute Einflüsterer und Motor der US-Außenpolitik, ein paar Jahre sogar mit Lippmann als Direktor. Militärzensur? Schon schlimm, irgendwie, sagt dieser Zeitzeuge, aber nichts im Vergleich zu dem, was in der Diplomatie passiert.
Ein Problem hatte Walter Lippmann damit nicht. Die »Herde« müsse halt geführt werden – von Menschen wie ihm, die es qua Herkunft, Ausbildung oder Machtzugang einfach besser wissen. Dann kam der nächste große Krieg, verbunden mit einer Propagandaschlacht, die dazu zwang, die Reihen zu schließen. Armee, Politik, Presse. Ich könnte die Wissenschaft ergänzen, weil ein paar hundert Spitzenköpfe dem Ruf von Pentagon, Rockefeller und Ford folgten und ab Ende der 1930er Jahre die Propagandaforschung revolutionierten,11 aber das ist eine andere Geschichte. Wichtig sind an dieser Stelle zwei Punkte: Der Schulterschluss war so eng, dass ihn niemand übersehen konnte. Und die Partner hatten sich so sehr daran gewöhnt, dass sie nicht mehr voneinander lassen wollten. Die Ehe zwischen Leitmedien und »nationalem Sicherheitsstaat« wurde nie wieder aufgelöst12 – aber fortan versteckt hinter dem Schleier einer Nachrichtensprache, die Distanz und Seriosität ausstrahlte und sich samt Schlagworten und Design wunderbar exportieren ließ in die neuen Außengebiete des Imperiums.13
Keine Angst, ich komme gleich zurück zu einem Staatsfunk, der nicht so heißen darf, obwohl ihn die Politik fest an der Leine hat – über die Aufsichtsgremien (Kapitel 3), über den Geldhahn (Kapitel 4) und über all das, was das Personal von der Rekrutierung über die Bezahlung bis zur Vertragsgestaltung knebelt (Kapitel 5). Der Ausflug in die USA hat nur scheinbar weggeführt vom Thema. Das Vokabular der Journalismus-Ideologie, die die Besatzer nach Westdeutschland brachten, steht bis heute im Medienstaatsvertrag, der Bibel für die Rundfunkanstalten. »Objektivität und Unparteilichkeit«, sagt dort Paragraf 26 (»Auftrag«), verbunden mit dem Wunsch, »eine möglichst breite Themen- und Meinungsvielfalt ausgewogen« darzustellen. Das Wort »Wunsch« ist mir dabei nicht einfach so herausgerutscht. Es handelt sich um eine Soll-Vorschrift (nicht um ein Muss) und führt deshalb bisher selbst vor Gericht regelmäßig auch dann zum Scheitern, wenn eine Klage gegen den Bezahlzwang mit Dutzenden Verfehlungen unterfüttert wird (Kapitel 6).
Vielleicht ist der letzte Halbsatz, geschrieben im Sommer 2025, schon überholt, wenn Sie ihn lesen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk liegt auf dem Sterbebett, nicht nur hierzulande. In Liechtenstein gab es 2024 eine Mehrheit für den Vorschlag, das öffentlich-rechtliche Radio zu privatisieren. So eine Volksabstimmung in einem Ministaat lässt sich nicht einfach hochrechnen, einerseits. Andererseits hat Emmanuel Macron die Parlamentswahl 2022 auch mit dem Versprechen gewonnen, den Rundfunk künftig direkt aus der Staatskasse zu finanzieren und so (vordergründig) jedem französischen Haushalt 138 Euro pro Jahr zu schenken. Die britische Regierung hat die Gebühren zwar bis Ende 2027 garantiert, aber zugleich angekündigt, alles auf den Prüfstand zu stellen und dabei auch das Publikum zu fragen. 2023/24 lag die Verweigerungsrate auf der Insel bei 11,3 Prozent, Tendenz steigend. Es genügt dort eine Erklärung, dass man kein Live-TV sieht und die BBC-Angebote auch anderweitig nicht nutzt.14 In Deutschland sind die Zahlen gar nicht so viel niedriger, vor allem im Osten nicht.15 Ende 2024 waren im ganzen Land etwas mehr als 3,7 der fast 47 Millionen Beitragskonten »in einer Mahnstufe oder in der Vollstreckung«.16 Die Behörde, die das ermittelt, hat fast tausend Mitarbeiter und einen Jahresetat von 190 Millionen Euro.
Auch wenn man dort die Augen verschließt und »vor allem die verschlechterte wirtschaftliche Gesamtsituation« für die Misere verantwortlich macht,17 auch wenn nicht jeder Säumige bei den Mahnwachen von Initiativen wie Leuchtturm ARD auftauchen dürfte18 und obwohl die Lust, die Anstalten mit Beschwerden zu fluten, erstickt worden ist durch die Weigerung, öffentlich irgendeinen Fehler zuzugeben (Kapitel 3