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Star Kid ist die Geschichte von David der alleine auf der Erde in einem Internat zur Schule geht und im Weltraum geboren wurde. Seine Eltern sind beide Wissenschaftler und arbeiten auf dem Mars. Plötzlich bekommt er ein Telegramm das ein Krieg ausgebrochen ist und seine Eltern möchten das er auf dem schnellsten Weg zum Mars kommt, was aber nicht so einfach ist.
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Seitenzahl: 193
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Dieses Buch ist meiner MutterTrieb Erika gewidmet die uns leiderviel zu früh verlassen musste.
Ein Junge alleine zwischen den Planeten
Impressum
Texte: © Copyright by Michael Trieb Umschlag:© Copyright by Michael Trieb Verlag:Trieb Michael
Dorfstrasse 791805 [email protected]
Druck:Trieb-Media, Ursheim, www.trieb-media.de
ISBN 978-3-7418-7290-7
Printed in Germany
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
»Ruhig Blut, Junge, ruhig Blut!«
David Skyworker zügelte sein strammes kleines Pony. Gewöhnlich machte Lazy, was zu gut deutsch Faulpelz heißt, seinem Namen alle Ehre, aber heute schien er es eilig zu haben. David konnte es ihm nicht verübeln. Es war ein Tag, wie es ihn nur in New Mexico gibt. Ein vom Regenguss stahlblau gewaschener Himmel, der Boden bereits wieder trocken und in der Ferne noch die Reste eines Regenbogens. Eine Atmosphäre unglaublichen Friedens hing über dem Land.
»Wir haben den ganzen Tag Zeit«, beruhigte er Lazy, »lauf dich also nicht heiß. Wir haben noch eine hübsche Steigung vor uns.« David ritt alleine, weil er Lazy mit einem grandiosen Mexikanischen Sattel herausgeputzt hatte, den seine Eltern ihm zum Geburtstag hatten schicken lassen. Der Sattel war wunderschön, mit silbernen Beschlägen, die ihn wie einen Kronleuchter glitzern ließen. Aber auf der Ranch-Schule, die David besuchte, war er genauso fehl am Platz wie ein Smoking bei einem Rodeo - daran hatten seine Eltern nicht gedacht. David war stolz auf den Sattel, aber bei seinen Kameraden hatte er dazu geführt, dass sie aus seinem Namen »David James Skyworker« den Spitznamen Davi gemacht hatten.
Ein unerwartetes Geräusch ließ Lazy scheuen. David zog an den Zügeln und holte das Telefon aus der Satteltasche. »6-J-233309, David Skyworker.«
»Hier ist Mr. Reeves, David«, meldete sich die Stimme des Direktors von der Ranch-Schule Altana. »Wo bist du?«
»Am Ende der Südlichen Weide Sir.«
»Komm so schnell wie möglich zurück.«
»Was gibt's denn?«
»Ein Telegramm von deinen Eltern. Ich schick' dir den Hubschrauber, sobald der Koch zurück ist - und jemanden, der dein Pferd zurückbringt.«
David zögerte. Er mochte es nicht, wenn jemand anders Lazy ritt. Andererseits war ein Telegramm von seinen Eltern sicherlich etwas Dringendes. Seine Eltern lebten auf dem Mars, und seine Mutter schrieb regelmäßig, mit jedem Schiff aber Telegramme, abgesehen von Weihnachts- und Geburtstagsglückwünschen, waren etwas Besonderes.
»Ich beeile mich. Sir.«
»Gut!« Mr. Reeves schaltete ab. David lenkte Lazy herum und trabte zurück. Lazy schien enttäuscht und sah sich einige Male anklagend um. Als der Hubschrauber der Ranch sie entdeckte, waren sie nur noch eine halbe Meile von der Schule entfernt. David winkte ab und ritt Lazy selbst das letzte Stück zurück. Trotz seiner Neugierde nahm er sich noch die Zeit, das Pony abzureiben und ihm Wasser zu geben. Mr. Reeves wartete in seinem Büro und winkte ihm hereinzukommen. Er reichte David das Blatt.
Die Nachricht lautete:
lieber Sohn, Passage für dich am 12. April ab
Nürnberg City auf der Franken 1 reserviert Stopp alles liebe Mutter und Vater David starrte das Telegramm ungläubig an. »Aber das ist ja praktisch sofort!«
»Ja. Hast du nicht damit gerechnet?«
David überlegte. Er hatte damit gerechnet, zum Ende des Schuljahres nach Hause zu fahren - falls man es nach Hause nennen konnte, wo er doch den Mars noch nie betreten hatte. Hätten Sie seine Passage auf der „New England“ in drei Monaten bestellt ... »Äh, eigentlich nicht. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, weshalb sie mich schon vor dem Ende des Schuljahres nach Hause kommen lassen.«
Mr. Reeves sagte: »Ich schon.«
David sah ihn überrascht an. »Das verstehe ich nicht. Mr. Reeves, Sie rechnen doch nicht wirklich damit, dass es Schwierigkeiten geben wird, oder?«
Der Direktor blickte ernst. »David, ich bin kein Prophet. Aber ich würde annehmen, deine Eltern machen sich jedenfalls Sorgen und wollen dich schnellstens aus einem möglichen Kriegsgebiet herausholen.«
David wusste immer noch nicht, was er denken sollte. Kriege waren etwas, worüber man in Schulbüchern las, nicht etwas, was einem selbst zustieß. Natürlich hatten sie sich in Gegenwartskunde mit der augenblicklichen Krise und den Kolonialangelegenheiten auseinandergesetzt. Trotzdem erschien ihm das Ganze als etwas weit Entferntes - eine Angelegenheit für Diplomaten und Politiker, nichts, was mit der Wirklichkeit zu tun hatte.
»Schauen Sie, Mr. Reeves, mag ja sein, dass meine Eltern nervös werden, aber ich nicht. Ich würde gerne ein Telegramm schicken, dass ich mit dem nächsten Schiff komme, sobald die Schule zu Ende ist.«
Mr. Reeves schüttelte den Kopf. »Nein. Ich kann nicht zulassen, dass du gegen den ausdrücklichen Wunsch deiner Eltern handelst. Außerdem, äh« - dem Direktor schien es schwerzufallen, die richtigen Worte zu finden - »ich will sagen, David, wenn es zum Krieg kommt, dann wäre deine Situation hier, sagen wir einmal, etwas unangenehm, findest du nicht auch?« Die Temperatur in dem Raum schien plötzlich um einige Grade gesunken. David kam sich einsam vor und älter, als es seinen Jahren entsprach. »Warum?« Mr. Reeves studierte seine Fingernägel. »Bist du ganz sicher, wo deine Loyalität liegt?« fragte er langsam. David zwang sich, darüber nachzudenken. Sein Vater war auf der Erde geboren; seine Mutter war Venuskolonistin der zweiten Generation. Aber keiner der beiden Planeten war ihr Eigentliches Zuhause; sie hatten sich auf Luna kennengelernt und geheiratet und ihre planetologischen Forschungen in vielen Gegenden des Sonnensystems. David selbst war im Weltraum geboren, und seine von der Föderation ausgestellte Geburtsurkunde ließ die Frage seiner Nationalität offen. Die Erde hatte er zum ersten Mal betreten, als er bereits elf Jahre alt war.
»Ich bin ein Bürger des Sonnensystems«, sagte er langsam. »Mhm-« machte der Direktor. »Klingt gut. Vielleicht bedeutet das sogar eines Tages einmal etwas. Bis dahin aber gebe ich deinen Eltern völlig recht. Der Mars wird wahrscheinlich neutral bleiben; dort bist du in Sicherheit. Noch einmal – und ich spreche da als Freund - hier könnten die Dinge etwas unangenehm werden, wenigstens für jemand, dessen Loyalität nicht eindeutig feststeht.«
»Niemand hat das Recht, meine Loyalität anzuzweifeln! Dem Gesetz nach bin ich jedem Erdbürger gleichgestellt!« Der Mann gab keine Antwort. Dann gab er sich einen Ruck und sagte: »Geh jetzt auf dein Zimmer packen. Der Hubschrauber bringt dich um ein Uhr nach Mexico City.«
»Ja, Sir.« Er stand schon unter der Tür, als der Direktor ihn Zurück rief.
»Augenblick noch. In der Hitze unserer - äh – Diskussion hätte ich beinahe vergessen, dass da noch eine zweite Nachricht für dich ist.«
»Oh?«
David nahm den Zettel entgegen. Auf ihm stand:
„lieber Sohn verabschiede dich unbedingt von Onkel dudley ehe du abreist – Mutter“
Diese zweite Nachricht überraschte ihn eigentlich noch mehr als die erste; er brauchte eine Weile, bis ihm klar wurde, dass seine Mutter Dr. Dudley Jefferson meinen musste – einen Freund seiner Eltern, keineswegs einen Verwandten, jedenfalls einen Mann, der in seinem eigenen Leben keinerlei Bedeutung hatte. Aber Reeves schien die Nachricht als etwas ganz Selbstverständliches anzusehen, also steckte er sie ein und ging aus dem Zimmer. David machte sich ans Packen und verabschiedete sich von seinen Freunden. Dann ging er hinaus zur Koppel.
Lazy kam sofort gelaufen, als er rief, und schnupperte an seinen Taschen, ob er Zucker hatte. »Tut mir leid, alter Junge«, sagte er traurig, »nicht einmal eine Mohrrübe. Hab' ich vergessen. « Er stand da und lehnte sein Gesicht an die Wange des Pferdes und kratzte es hinter den Ohren. Dann redete er leise auf das Pferd ein, erklärte alles ganz ausführlich, so als könnte Lazy jedes Wort verstehen.
»So ist das eben«, schloss er. »Ich muss weg, und die lassen mich dich nicht mitnehmen.« Und dann brachte er plötzlich kein Wort mehr heraus. Er warf dem Pferd seine Arme um den Hals und weinte.
Lazy schnaubte leise. Er wusste, dass hier irgendetwas nicht stimmte, und versuchte, seine Zuneigung zu zeigen. Dann hob David den Kopf. »Wiedersehen, Alter. Pass gut auf dich auf.« Er drehte sich abrupt um und rannte zu den Schlafsälen.
Der Helikopter setzte ihn am Flugplatz von Mexico City ab. Er musste sich beeilen, um seine Rakete zu erreichen. Ehe er den Flugsteig betrat, nahm ihm ein Beamter seine Taschen ab. »Hast du eine Kamera drin, Junge?« fragte der Mann. »Nein. Warum?«
»Weil wir deinen Film belichten könnten, wenn wir die Tasche röntgen.« Offenbar zeigte auch der Röntgenschirm keine in seiner Wäsche verborgenen Bomben, und so reichte man ihm seine Tasche, und er ging an Bord des Kontinentalflugs Santa Fe Trail der zwischen dem früheren Mexico und Nürnberg City verkehrte. Drinnen schnallte er sich an und wartete. Zuerst störte ihn das Startgeräusch mehr als der Andruck. Aber als sie dann die Schallgeschwindigkeit überschritten, verstummte das Geräusch, während die Beschleunigung immer noch zunahm. Schließlich verlor er die Besinnung. Er kam zu sich, als die Rakete in freien Fall überging und einen hohen Bogen über den Wüstenstaaten beschrieb. Sofort empfand er große Erleichterung, dass das unerträgliche Gewicht von seiner Brust genommen war - aber ehe er sich richtig daran gewöhnen konnte, wurde ihm ein neuer Sinneseindruck bewusst; sein Magen versuchte an seiner Speiseröhre empor zu kriechen. Und das - ja, das war die Raumkrankheit- das musste gerade ihm passieren, ihm, der im freien Fall geboren war. Raumkrankheit war etwas für Erdenkriecher, nicht für Leute wie ihn. Aber das half nichts; er hatte gerade noch Zeit, nach dem Plastikbehälter zu greifen, der für diese Zwecke vorgesehen war. Nachher fühlte er sich wohler, wenn auch geschwächt, und hörte sich in den Kopfhörern Musik an. Und dann war schon wieder der Augenblick da, wo der Himmel draußen seine Farbe von Schwarz in tiefes Purpur Veränderte, die Tragflächen griffen wieder, und die Passagiere spürten wieder ihr Gewicht, als die Maschine ihren Gleitflug nach Nürnberg City antrat. Zwanzig Minuten später sprangen die Motoren in der Nase des Schiffes, ausgelöst von Radar an, und die Santa Fe Trail setzte zur Landung an. Der ganze Flug hatte kürzer gedauert als der Helikopterflug von der Schule nach New Mexico - eine knappe Stunde für die gleiche Strecke nach Osten, die die Planwagen -wenn sie Glück hatten - in achtzig Tagen von Osten nach Westen durchgeführt hatten. Die Maschine landete auf einem Flughafen außerhalb der Stadt ganz in der Nähe des riesigen alten Flughafens, der immer noch etwas Radioaktivität ausstrahlte und heute den Hauptraumhafen des Planeten darstellte. Hier war früher einmal das alte Erlangen gelegen.
Es wurde wieder hell, und die Musik, setzte ihr Spiel fort. Dr. Jefferson hatte die Lippen zu einem seltsamen Lächeln verzogen » Wie passend«, meinte er. »Ein Menetekel.« David wollte etwas sagen, aber da begann die Show. Die Bühne war während der Nachrichtendurchsage in die Tiefe gesunken, und jetzt quoll eine leichte, von innen heraus purpurn leuchtende Wolke in die Höhe. Die Wolke schmolz, und David konnte erkennen, dass die Bühne inzwischen wieder am alten Platz und mit Tänzerinnen und Tänzern bevölkert war. David war so beeindruckt, dass er gar nicht bemerkte, dass man ihm inzwischen das Essen hingestellt hatte. Sein Gastgeber tippte ihn an. »Iß, ehe du ohnmächtig wirst.« »Wie? 0 ja, Sir!« Er sprach dem Essen mit gutem Appetit zu, wandte dabei aber kein Auge von den Darbietungen. Nach einer Weile fragte Dr. Jefferson: »Na, schmeckt's?« David zuckte zusammen. »O ja! Sehr gut sogar!« Er sah auf seinen Teller. »Aber was ist das denn?«
»Erkennst du es nicht? Gebackener Jungfaun.«
David brauchte ein paar Sekunden, um sich darüber klar zu werden, was ein Faun war. Als kleines Kind hatte er Hunderte der kleinen, satyrähnlichen Zweibeiner gesehen - Faunus gregarius veneris Smythii , aber er brachte zunächst die übliche Bezeichnung nicht mit den freundlichen kleinen Geschöpfen in Verbindung, die er und seine Spielgefährten, wie alle Venuskolonisten, immer » Weg das« genannt hatten, weil sie die Angewohnheit hatten, sich dauernd an Leute anzuhängen, einem auf die Schultern zu klettern, die kleinen Ärmchen um einen zu legen und auf tausend andere Arten ihren unersättlichen Appetit auf Zärtlichkeit zu zeigen. Ein Weg da essen? Er kam sich wie ein Kannibale vor und fing zum zweiten Mal am gleichen Tage an, sich-wie ein Neuling im Weltraum zu benehmen. Er schluckte und würgte, brachte aber keinen Bissen mehr hinunter. Jetzt wandte er seine Aufmerksamkeit wieder der Bühne zu. Ein Mann mit müden Augen erzählte ununterbrochen Witze,
während er mit brennenden Fackeln jonglierte. David gefiel das nicht besonders, und sein Blick wanderte im Saal herum. Drei Tische von ihnen entfernt fing ein Mann seinen Blick auf und sah dann betont gleichgültig weg. David dachte darüber nach, sah sich den Mann genauer an und kam zu dem Schluss, dass er ihn kannte. »Dr. Jefferson?«
»Ja, David?«
»Kennen Sie zufällig einen Venusdrachen, der sich >Sir Isaac Newton< nennt?« David fügte die Pfeiftöne hinzu, die den wahren Namen des Venerianers kennzeichneten. »Tu das nicht!« sagte der Ältere scharf. »Was soll ich nicht tun?« »Unnötig auf deine Herkunft aufmerksam machen, nicht jetzt.
Warum erkundigst du dich nach diesem >Sir Isaac Newton<? « Er redete ganz leise, seine Lippen bewegten sich kaum. David erzählte ihm von dem zufälligen Zusammentreffen am Flughafen. »Ich war ziemlich sicher, dass mich ein Mann von der Sicherheitspolizei beobachtete. Und jetzt sitzt derselbe Mann dort drüben, bloß,dass er keine Uniform trägt.«
»Bist du ganz sicher?«
»Ich glaube schon.«
»Hm ... du könntest dich irren. Vielleicht hat er auch einfach frei. Schau - an deiner Stelle würde ich nicht mehr auf ihn achten und auch nicht von ihm reden. Und sprich nicht von diesem Drachen oder sonst von etwas Venerianischem. Benimm dich ganz normal, so als würdest du dich herrlich amüsieren.
Aber pass gut auf, was ich sage.«
David bemühte sich redlich, dem Wunsch des Älteren nachzukommen. Aber trotzdem drängte es ihn immer wieder, zu dem Mann hinüber zu starren. Der Teller mit dem gebackenen Faun wurde abgetragen, und auf der Bühne trat eine Pause ein. David versuchte, Dr. Jefferson zu fragen, was er von der augenblicklichen Kriegshysterie halte. Aber der lenkte das Gespräch auf die Arbeit seiner Eltern und setzte sich mit Vergangenheit und Zukunft des Sonnensystems auseinander. »Mach dir keine Sorgen um die Gegenwart, Junge. Wir leben in einer Übergangszeit - in fünfhundert Jahren wird kein Historiker mehr davon reden. Bis dahin werden wir sechs Planeten bewohnen.«
»Sechs? Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass wir je etwas mit Jupiter und Saturn anfangen können? Oh - Sie meinen die Jupitermonde.«
»Nein, ich meine die sechs wichtigsten Planeten. Wir schieben Pluto und Neptun näher ans Feuer und schleppen Merkur etwas nach außen, damit er abkühlt.«
Die Vorstellung, ganze Planeten zu bewegen, ließ David aufwachen. Das klang völlig unmöglich, aber da sein Gastgeber ein Mann war, der immer wieder der Überzeugung Ausdruck verlieh, alles und jedes wäre möglich, blieb er stumm. »Unsere Rasse braucht viel Raum«, fuhr Dr. Jefferson fort. »Schließlich gibt es auf Mars und Venus eigene intelligente Rassen; dort können wir uns nicht mehr sehr breitmachen. Aber der Umbau dieses Sonnensystems ist eine rein technische Frage - nichts, verglichen mit den anderen Dingen, die vor uns liegen. In fünfhundert Jahren wird es mehr Erdenmenschen außerhalb dieses Systems geben als in ihm; wir werden dann mit Sicherheit die Planten sämtlicher Sterne vom G-Typ im Umkreis von ein paar Dutzend Lichtjahren besiedelt haben. Weißt du, was ich täte, wenn ich noch so jung wäre wie du, David? Ich würde mich um einen Platz auf der Pathfinder bewerben.« David nickte. »Das würde ich auch gerne.« Man hatte schon vor seiner Geburt mit dem Bau der Pathfinder auf einer Kreisbahn um den Mond begonnen, und es würde nicht mehr lange dauern, bis sie ihre Reise zu den Sternen antrat. Der größte Teil von Davids Generation hatte davon geträumt, mit diesem Schiff in die Unendlichkeit des Alls hinauszufliegen. In diesem Augenblick verschwanden die Tänzerinnen von der Bühne, die Lichter blitzten einmal auf, und über den Lautsprecher hallte es: »Angriff aus dem Weltall. Alarm! Weltraumangriff! « Und alle Lichter gingen aus.
Einen ewigen Augenblick lang herrschte völlige Finsternis und Schweigen, nicht einmal das Summen der Ventilatoren war zu hören. Dann erschien mitten auf der Bühne ein kleines Lichtchen, und als ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannten sie den Komiker, der schon vorher einmal aufgetreten war. »Nur ruhig Blut, Leute«, meinte er mit über laut gedehnter Stimme und lachte. »Bleiben Sie ruhig sitzen und halten Sie Ihr Geld fest. Das ist nur eine Übung. Außerdem haben wir dreißig Meter Beton über uns - und dazu eine Hypothek, die noch viel schwerer wiegt. Aber jetzt wollen wir Sie für den nächsten Akt - den meinen nämlich - in Stimmung versetzen. Die nächste Runde Getränke wird von der Geschäftsleitung gestiftet.« Er beugte sich vor und rief: »Gertie ! Hol das Zeug, das wir zu Neujahr nicht losgeworden sind.« David spürte, wie die Spannung im Raum nachließ. Umso mehr erschrak er, als sich eine Hand um sein Handgelenk schloss. »Ruhig!« flüsterte Dr. Jefferson ihm ins Ohr. David ließ sich in der Finsternis vom Tisch wegführen. Jefferson kannte sich offenbar in dem Lokal aus; sie verließen den Raum, ohne gegen Tische zu stoßen oder irgendjemand auf die Zehen zu treten. Sie gingen einen langen, schmalen Korridor hinunter, der so finster wie das Innere eines Kohlenbergwerks war, bogen dann um eine Ecke und blieben stehen. »Aber Sie dürfen nicht hinaus, Sir«, hörte David eine Stimme. Dr. Jefferson sagte ganz leise etwas, David verstand kein Wort davon. Er hörte das Rascheln von Papier, dann gingen sie weiter, durch eine Tür und dann nach links. Dann ging es eine Treppe hinunter. Jetzt waren andere Leute rings um sie, wenn auch nicht viele. Einmal versuchte jemand, David im Dunkeln zu packen; er schlug wild um sich, spürte, wie seine Faust sich in etwas Weiches bohrte, und hörte ein halbersticktes Grunzen. Jefferson drängte ihn zu größerer Eile. Dann blieb der Ältere stehen, schien in der Dunkelheit um sich zu tasten, bis er das gefunden hatte, was er suchte. »Da«, sagte er endlich. »Steig ein.« Er zerrte David vor und legte seine Hand auf etwas; David tastete herum und kam dann zu dem Schluss, dass es sich um ein abgestelltes Kabinentaxi handeln musste, dessen Türklappe offenstand. Er stieg ein, Dr. Jefferson folgte ihm und zog die Klappe hinter sich zu. »Jetzt können wir reden «, sagte er ruhig. » Weg kommen wir hier noch nicht, solange kein Strom da ist.«
Erst jetzt wurde David bewusst, dass er vor Aufregung zitterte. Er brauchte ein paar Augenblicke, um seine Stimme zu finden. Dann sagte er: »Dr. Jefferson - ist das wirklich ein Raumangriff?«
»Das bezweifle ich«, antwortete der andere. »Ich glaube eher, dass es sich um eine Übung handelt - wenigstens hoffe ich das. Aber immerhin gab uns das Gelegenheit, uns dünnzumachen.«
David brauchte eine Weile, bis er begriff. Dann meinte er: »Sie
meinen wegen des Sicherheitspolizisten?«
»Ja, leider.«
»Aber - ich glaube, ich habe mich da geirrt. Er hat zwar schon wie der Mann ausgesehen, aber er kann mir doch unmöglich gefolgt sein, selbst wenn er am Flughafen das nächste Taxi genommen hat. Ich erinnere mich zumindest ganz deutlich, dass meine Kabine allein in einem Lift war. Nein -wenn es derselbe Polizist war, dann war es ein Zufall; mich kann er unmöglich gesucht haben.«
» Vielleicht war er hinter mir her.«
»Wie bitte?«
»Laß nur. Es ist jetzt viel wichtiger, dass wir ungestört miteinander reden können. Im Augenblick geht das, weil die Stromzufuhr gestört ist. Das bedeutet, dass die uns nicht abhören können. Sobald wieder Energie da ist, müssen wir vorsichtig sein, und ich habe eine ganze Menge zu sagen.«
»Warum geht es dann nicht mehr?«
»Die Öffentlichkeit soll das eigentlich nicht wissen, aber diese Kabinentaxis haben alle eingebaute Mikrofone. Ja, ich weiß: es ist eine Schande, dass es so etwas gibt. Im Restaurant habe ich auch nicht zu reden gewagt, selbst bei dem Lärm, den die Musik vollführt hat. Und jetzt hör gut zu. Wir müssen das Päckchen finden, das ich dir geschickt habe - wir müssen. Ich möchte, dass du es deinem Vater bringst . . . beziehungsweise das, was darin ist. Punkt zwei: Du musst diese Pendelrakete morgen früh erreichen, und wenn der ganze Himmel einstürzt. Punkt drei: Du kannst heute Abend nicht bei mir wohnen. Es tut mir leid, aber ich glaube, so ist es besser. Punkt vier: Wenn wieder Strom da ist, fahren wir eine Weile herum und reden von nichts Bestimmtem und erwähnen keine Namen. Dann sorge ich dafür, dass wir in die Nähe einer öffentlichen Telefonzelle kommen, und du rufst das Hilton. Wenn das Päckchen eingetroffen ist, verlässt du mich, fährst zum Flughafen zurück, holst deine Koffer, fährst dann ins Hotel, trägst dich ein und lässt dir deine Post geben. Morgen früh nimmst du dein Schiff und reist ab. Ruf mich nicht an. Hast du, dass alles verstanden?«
»Äh, ich glaube schon.« David wartete eine Weile, dann platzte es aus ihm heraus: »Aber warum? Vielleicht sollte ich das nicht fragen, aber ich finde, ich sollte wissen, warum wir das tun.«
»Was möchtest du wissen?«
»Nun ... was in dem Päckchen ist.«
»Das wirst du sehen. Du kannst es öffnen, dir den Inhalt ansehen und dann selbst eine Entscheidung treffen. Wenn du es nicht tun willst, liegt das bei dir. Was das übrige angeht – welche politische Ansicht vertrittst du, David?«
»Nun ... das ist schwer zu sagen.«
»Mhm - ich konnte das auch nicht, als ich so alt war wie du Ich möchte einmal so sagen: Wärst du bereit, dich für den Augenblick der Ansicht deiner Eltern anzuschließen? Bis du dir eine eigene Meinung gebildet hast?«
» Ja, natürlich.«
»Kam es dir etwas seltsam vor, dass deine Mutter darauf bestand, dass du mich besuchen solltest? Du brauchst nicht schüchtern zu sein - ich weiß, dass ein junger Mann, der in eine große Stadt kommt, keine große Lust hat, Leute zu besuchen, die ihm praktisch fremd sind. Also - für sie muss es sehr wichtig gewesen sein, dass du mich aufsuchst. Richtig?«
»Ja, ich denke schon.«
»Können wir es dabei belassen? Was du nicht weißt, kannst du auch nicht ausplaudern - und du kannst keine Schwierigkeiten damit bekommen.«
David überlegte. Was der andere sagte, ging ihm trotz allem irgendwie gegen den Strich. Wenn er das Päckchen einfach bekommen hätte, ohne all diese geheimnisvollen Umstände, hätte er es seinem Vater sicher gebracht, ohne viel darüber nachzudenken.
Er wollte gerade eine weitere Frage stellen, als die Lichter aufflammten und der kleine Wagen zu summen begann. Dr. Jefferson sagte: »Los geht's!« Beugte sich vor und wählte ein Ziel.
Das Kabinentaxi setzte sich in Bewegung. David wollte etwas sagen, aber der andere schüttelte den Kopf. Der Wagen suchte sich seinen Weg durch einige Tunnels, eine Rampe hinunter, und kam auf einem großen unterirdischen Platz zum Stillstand. Dr. Jefferson bezahlte und führte David quer über den Platz zu einem Aufzug. Man spürte die Spannung, die offenbar von dem Alarm ausgelöst worden war. Eine Menschenmenge drängte sich um einen öffentlichen Fernsehprojektor inmitten der Anlage. Als sie aus dem Aufzug stiegen, steuerte Dr. Jefferson zielbewusst auf einen anderen Taxistand zu, wo sie erneut eine Kabine bestiegen, mit der sie einige Minuten fuhren, um dann wiederum das Fahrzeug zu wechseln. David war jetzt völlig verwirrt und hätte nicht mehr sagen können, ob sie im Norden, Süden, oben, unten, Osten oder Westen waren. Nun sah Jefferson auf die Uhr und meinte: »Jetzt haben wir genug Zeit totgeschlagen. Hier.« Er deutete auf die nächstgelegene Telefonzelle. David wählte die Nummer des Hilton. Ob man irgendwelche Post für ihn erhalten habe? Nein, das sei nicht der Fall. Er erklärte, er sei noch nicht eingetragen, worauf der Angestellte noch einmal nachsah. Nein - es täte ihm wirklich leid. David kam heraus und berichtete. Dr. Jefferson kaute auf seiner Unterlippe herum. »Junge, da habe ich, glaube ich, etwas Dummes gemacht.« Er sah sich um; sie waren ganz allein. »Und Zeit habe ich auch vergeudet.«
»Kann ich etwas tun?«
»Wie? Ja, ich glaube schon - bestimmt kannst du das.« Er überlegte. »Wir fahren jetzt zu meiner Wohnung zurück. Das müssen wir. Aber da bleiben wir nicht. Wir suchen uns irgendein anderes Hotel - nicht das Hilton - und ich fürchte, wir werden die ganze Nacht durcharbeiten müssen. Hältst du das durch?«
»Oh, ganz bestimmt!«
»Ich habe ein paar >Zeitlupenpillen<; die helfen uns. Aber auf alle Fälle musst du dieses Schiff morgen erwischen, David. Verstehst du das?« David nickte. Er hatte in jedem Falle vor, das Schiff zu e-wischen, und konnte sich nicht vorstellen, weshalb er es verpassen sollte. Insgeheim begann er sich Gedanken darüber zu machen, ob Dr. Jefferson ganz recht im Kopf war. »Gut. Wir gehen zu Fuß; es ist nicht weit.«
Sie brauchten nur einmal einen Aufzug zu nehmen, der Rest des Weges führte sie durch Tunnels und Korridore. Als sie in den Tunnel bogen, in dem die Wohnung Dr. Jeffersons lag, sah er sich um; aber es war niemand zu sehen. Als sie die Tür öffneten, saßen zwei Fremde im Wohnzimmer. Dr. Jefferson sah sie an und sagte: »Guten Abend, Gentlemen« und wandte sich wieder seinem Gast zu. »Gute Nacht, David. Es war sehr nett, dich zu sehen. Grüße deine Eltern von mir.« Er griff nach Davids Hand und drängte ihn zur Tür. Die beiden Männer standen auf. Einer von ihnen sagte: »Sie haben lange gebraucht, um nach Hause zu kommen, Dr. Jefferson. «
»Ich hatte unsere Verabredung vergessen, meine Herren. Also, Wiedersehen, David - ich möchte nicht, dass du dich verspätest.«