Star Stable: Soul Riders 1. Jorvik ruft - Helena Dahlgren - E-Book
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Star Stable: Soul Riders 1. Jorvik ruft E-Book

Helena Dahlgren

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Beschreibung

Als Lisa mit ihrem Vater nach Jorvik kommt, ist es nicht das erste Mal, dass sie sich an ein neues Zuhause gewöhnen muss und versucht, neue Freunde zu finden. Lisa kennt es nicht anders, ziehen sie doch schon seit ihrer Geburt der Arbeit ihres Vaters hinterher, jedoch dieses Mal ohne Lisas Mutter. Sie starb bei einem Reitunfall und Lisa meidet seither die Nähe von Pferden. Trotz alldem dauert es nicht lange, bis Lisa wieder einen Reitstall betritt – angezogen von den Mädchen Linda, Alex und Anne, sowie ihren wundersamen Pferden. Besonders ein Pferd hat es ihr angetan: Starshine. Lisas ganze Welt steht Kopf: Ihre Liebe für Pferde erwacht erneut, zeitgleich findet sie sich in einem uralten Kampf zwischen Gut und Böse und im Kreise der legendären Soul Riders wieder … Magie, Freundschaft und Pferde – taucht ein in die magische Welt der Soul Riders, einer brandneuen Fantasy-Trilogie, die auf dem international erfolgreichsten Online-Pferdespiel Star Stable basiert.

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Über dieses Buch

Lisa ist ein Teenager, der versucht, mit dem tragischen Verlust ihrer Mutter durch einen Reitunfall fertigzuwerden. Als Neuzugezogene auf Jorvik freundet sie sich schnell mit den Mädchen Alex, Linda und Anne an, die auf einem Gestüt in der Gegend voller wunderbarer Pferde reiten. Zwar hat Lisa sich nach dem Unfall ihrer Mutter geschworen, nie wieder auch nur in die Nähe eines Pferdes zu gehen, doch dann begegnet sie Starshine, einem geheimnisvollen Pferd mit blauer Mähne, das sie wiederholt in ihren Träumen besucht. Gemeinsam mit ihren Freundinnen und deren Pferden werden sie zu den Soul Riders, die vom Schicksal dazu bestimmt wurden, die Welt vor einem uralten Dämon zu bewahren.

 

»Jorvik ruft« ist der erste Band der heldinnenhaften Fantasytrilogie »Soul Riders« über Magie, Freundschaft und Pferde, die alle jungen Pferdefans begeistern wird.

Manchmal zwingt dich das Leben, eine Entscheidung zu treffen, die deine Zukunft für immer verändern wird.

Du selbst entscheidest, welchen Weg du gehst. Du selbst hast dein Schicksal in der Hand. Doch manchmal trifft das Schicksal auch die Entscheidung für dich.

Der Legende nach wird eines Tages ein Mädchen zu Pferd die Welt retten. Ihr Licht und ihre Weisheit werden Dunkelheit und Chaos besiegen. Sie wird alles wieder ins Lot bringen.

Bist du die Auserwählte?

Prolog

Es war einmal eine unbelebte Insel im kalten Meer, auf der tiefe Dunkelheit herrschte.

Bis eines Tages ein Stern vom Himmel fiel und aus seinem hellen, flammenden Schweif ein Mädchen auf einem Pferd heraustrat. Während sie langsam über das Meer ritt, zähmten die Hufe ihres Pferdes die stürmischen Wellen. In der rechten Hand hielt sie das Licht des Lebens und in der linken eine goldene Harfe. Die Musik, die der Harfe entströmte, erweckte die Natur zum Leben. Die Reiterin legte das Licht auf der Insel ab, und aus der kalten Ödnis entsprangen Leben und Hoffnung. Licht und Wärme breiteten sich über all dem aus, was zuvor tot und dunkel gewesen war. Alles wurde neu geboren. Doch der Geist des Mädchens konnte nicht bleiben, sie löste sich auf und lebte fortan in der Natur, im Wind, im Regen und in den Tautropfen weiter. Es heißt, dass sie bis heute darin wohnt. Wenn du genau achtgibst, kannst du sie im zauberhaft klaren Gesang der Vögel hören oder in der sanft streichelnden Sommerbrise spüren.

Als die Insel, die wir Jorvik nennen, geboren wurde, entstanden Gut und Böse. Licht existiert nicht ohne Dunkelheit, und Dunkelheit existiert nicht ohne Licht. Seit Tausenden von Jahren schon tobt der Kampf zwischen Gut und Böse im Verborgenen. In den Tiefen des Ozeans lauert eine gewaltige Dunkelheit und wartet darauf, dass ihre Zeit kommt.

Jorvik liegt irgendwo zwischen Norwegen, Island und den Britischen Inseln, von denen es einst Teil war. Auf der Insel treffen heute verschiedene Welten aufeinander. Pferdefreunde besuchen sie, um die Reiterkultur der Insel und die vielen verschiedenen Pferderassen zu erleben, und Naturliebhaber bewundern die einzigartige Schönheit der Landschaft. Doch die Insel zieht auch Konzerne an, die ihre wertvollen natürlichen Ressourcen ausbeuten wollen. Einige wenige Besucher haben das Schicksal Jorviks in der Hand. Die meisten jedoch scheinen die Insel nach ihrer Reise wieder völlig vergessen zu haben, wie einen Traum, der am Morgen verfliegt. Wer von Jorvik hört, dem entfällt der Name schnell wieder. Es scheint fast, als wäre die Insel ein mythischer Ort. »Diese Insel … welche war es noch gleich? Liegt sie nicht irgendwo in Skandinavien? Island?«

Der schönen Insel stehen dunkle Tage bevor. Das Böse wartet nur darauf, seine Fesseln abzuwerfen. Sollte es dazu kommen, ist alles verloren. Doch während das schäumende Meer wütet und faucht, lebt die Hoffnung weiter, fest verwurzelt in dem geheimen Orden der Druiden, die entschlossen sind, den Untergang zu verhindern. Die erkorenen Meister der Druiden werden Soul Riders genannt.

Soul Riders sind auserwählte Mädchen, die eine ganz besondere Verbindung zu ihren Pferden haben. Diese Verbindung verleiht ihnen außergewöhnliche Kräfte, mit denen sie das Böse bekämpfen. Es ist viele Jahre her, dass die Soul Riders Jorvik verteidigen mussten, doch die Zeichen mehren sich, dass die Zeit für einen neuen Schwesternbund gekommen ist.

1

»Sind wir endlich da?«

Lisa war fünfzehn Jahre alt, doch im Moment fühlte sie sich wie eine quengelige Fünfjährige. Seit sie in den Van gestiegen waren, hatte sie mindestens zehn Mal dieselbe Frage gestellt. Wie lange warteten sie schon, vielleicht zehn Minuten?

Ihr Vater lächelte nur und trommelte leicht mit den Fingern auf dem Lenkrad herum.

»Es geht jeden Moment los, Isa. Gleich lassen sie uns von der Fähre«, antwortete er. »Siehst du, sie haben schon mit dem Ausladen begonnen.«

»Kommt mir vor, als würden wir hier schon seit Stunden sitzen«, brummte Lisa, die bei ihrem alten Spitznamen leicht zusammengezuckt war. Er erinnerte sie an ein selbstbewusstes kleines Mädchen mit Pausbacken, zerzaustem rotem Haarschopf und Pferdebild auf dem T-Shirt. Natürlich, sie hatte immer nur Pferde im Kopf gehabt. Und war immer in Aktion gewesen, war ihrer Mutter oder ihrem Vater hinterhergelaufen oder der sanftmütigen Familienkatze, die für gewöhnlich zu einem Ball zusammengerollt zu ihren Füßen schlief. Isa gibt es nur noch in Lisa Petersons Fotoalben, dachte sie bei sich. Sie war Vergangenheit. Geschichte. Sie hatte nicht mehr viel mit der Lisa im Hier und Jetzt gemein, die auf dem Beifahrersitz eines alten Lieferwagens saß und darauf wartete, dass ihr neues Leben begann.

Mal wieder.

Sie hörte selbst den weinerlichen Tonfall, der sich in ihre Stimme geschlichen hatte. Kein Wunder: Die ganze Nacht hatte sie sich in ihrer schmalen, unbequemen Koje in der kleinen Kabine hin- und hergewälzt. Ihr Vater Karl hatte darauf bestanden, dass sie sich für die nächtliche Fährüberfahrt den Luxus einer Kabine gönnten. Er war auch sofort eingeschlafen, sie dagegen hatte hellwach dagelegen, die Wogen der Wellen unter sich gespürt und krampfhaft versucht, das laute Schnarchen ihres Vaters auszublenden.

Sie hatte die ganze Nacht über kaum ein Auge zugetan. Jetzt war ihr Kopf schwer, und sie fühlte sich wie benebelt. Alles schien irgendwo zwischen Schlafen und Wachen zu verschwimmen, so als müsste sie nur die Hand ausstrecken, um nach den Träumen der vergangenen Nacht zu greifen.

Donnernde Hufe. Ein leichter Galopp, der immer wilder wurde. Ein ängstlicher Schrei – kam er von ihr? Und dann plötzlich Stille. Dunkelheit. Sie blinzelte und versuchte, die albtraumhaften Bilder zu verdrängen.

Lächelnd strich ihr Vater ihr übers Haar.

»Warte nur, bis wir von der Fähre runter sind. Ich hab dir zwar Bilder von der Insel gezeigt, aber du musst sie mit eigenen Augen sehen. So was hast du noch nie erlebt.«

Widerstrebend erwiderte Lisa sein Lächeln und fragte sich, wie ihr Vater sich um sechs Uhr morgens so für etwas begeistern konnte.

Natürlich kannte sie Jorvik von Fotos. Hohe Berge, sanfte Hügel und ein so saftiges Grün, dass man beinahe den Eindruck hatte, die Bilder wären mit Photoshop bearbeitet worden. Das gewaltige blaue Meer schien endlos und erinnerte sie an die farbenfrohen Bilder in den Märchen, die sie als Kind verschlungen hatte. Das Einzige, was noch fehlte, war ein Regenbogen.

Sie versuchte sich selbst an diesem Ort vorzustellen, einem Land wie aus einer Fantasygeschichte. Die gute alte Lisa in ihrer abgewetzten Jeans und dem ausgeleierten Kapuzenpulli, die Kopfhörer entweder im Nacken oder über ihren zerzausten, leuchtend roten Haaren. Doch das Bild wollte einfach nicht entstehen.

Sie saßen in einem Leihwagen voller Umzugskartons und warteten darauf, dass der Mann, der sie gerade über Lautsprecher herzlich auf Jorvik willkommen geheißen hatte, ihnen die Erlaubnis erteilte, den Motor zu starten. Lisa zog sich die Kopfhörer über die Ohren und versank in einem ihrer Lieblingssongs. Doch heute Morgen half noch nicht einmal das.

Kurze Zeit später gab sie es auf, nahm die Kopfhörer wieder ab und starrte nach vorn auf die Karawane aus Autos und Lastwagen, die sich nun langsam in Bewegung setzte und die Rampe hinunterrollte.

Fast zwei Tage hatte die Reise gedauert, erst mit dem Van und dann mit der Fähre. Jetzt waren sie endlich auf Jorvik angekommen, ihrem neuen Zuhause. Lisas Vater hatte einen Job auf einer der größten Bohrinseln Jorviks gefunden. Lisa sollte am Montag in ihrer neuen Schule anfangen. Sie hatte keine Ahnung, was sie erwartete. Was hatte diese Insel, Jorvik, von der ihr Vater so schwärmte, schon zu bieten außer einer riesigen Bohrinsel, einer malerischen Landschaft und vielen Pferden?

Es hatte eine Zeit in ihrem Leben gegeben, in der sich bei Lisa alles um Pferde gedreht hatte. Damals wäre mit dem Umzug auf eine Pferde-Insel wie Jorvik für sie ein Traum in Erfüllung gegangen. Doch als Lisa zwölf war, war ihre Mutter bei einem Reitunfall ums Leben gekommen. Bis heute überfiel sie bei dem Gedanken daran ein Schmerz wie ein ausgehungerter Wolf. Deshalb verdrängte sie die Erinnerung lieber.

In den drei Jahren, die seit dem Unfall vergangen waren, hatte sie Pferde nicht einmal mehr angesehen. All ihre Poster, Bücher, Klamotten und Filme, alles, was sie an diesen schrecklichen Tag erinnerte, war in Kartons verpackt und abgeholt worden. Ihre Reitausrüstung wurde gespendet. Nie wieder wollte Lisa auf einem Pferd sitzen. Allein der Gedanke daran war zu schmerzlich.

Wir haben hier ein Mädchen. Sie steht unter Schock, ist aber bei Bewusstsein. Keine äußeren Verletzungen. Eine tote Frau am Unfallort.

Jeden Augenblick konnte sich die Dunkelheit vor ihr auftun und sie in die pechschwarze Verzweiflung hinunterziehen. Zu jeder Zeit und an jedem Ort.

Ihr Vater machte das Radio an, und ein fröhlicher Song von Madonna aus den 80ern schallte durch den Van. Automatisch stimmten beide ein, verstummten aber sofort wieder und tauschten ein wehmütiges Lächeln aus, das ihre Trauer nicht verdecken konnte. Das war der Lieblingssong von Lisas Mutter gewesen. Doch keiner von beiden sagte etwas. Und das war auch nicht nötig. Eine Woge von Schmerz schwappte durch den Lieferwagen bis in den Kofferraum, wo ein gerahmtes Foto von ihrer Mutter ordentlich in ein T-Shirt gewickelt in einem der Kartons verstaut lag.

Ein verblichenes Foto in einem Karton, das war alles, was von ihr übrig war. Lisa hatte das Gefühl, sie würde ihren Tod nie akzeptieren können.

Manchmal beschlich sie die Angst, sie könnte ihre Mutter vergessen. All die kleinen, alltäglichen Dinge, die sie zwölf Jahre lang als selbstverständlich betrachtet hatte, so wie es alle Kinder tun. Sie hatte festgestellt, dass manche dieser Einzelheiten in ihrer Erinnerung bereits verblassten. Zum Glück half ihr die Musik: Zwei Takte des alten Madonna-Songs genügten, und schon konnte sie ihre Mutter ganz deutlich neben sich sehen. Sie tanzte durch die sonnendurchflutete Küche, in der einen Hand einen Teigschaber, mit der anderen hielt sie Lisas Hand fest.

Doch sobald der Song vorbei war, schob sich eine andere Erinnerung davor. Ihre Mutter, wie sie vor Lisa herritt. Gemeinsam jagten sie in Texas einen Hügel hinauf, nur wenige Augenblicke vor dem Unfall. Dann füllte ihr flacher, keuchender Atem die Stille zwischen Lisas leisem Stöhnen. Die Atemzüge wurden langsamer, und eine tiefe Dunkelheit schien sich über sie zu legen. Ihr schneller, schwacher Herzschlag klang wie der eines verletzten Tieres. Als der Krankenwagen eintraf, schmiegte sich ihre Wange noch weich und warm an Lisas. Das nächste Mal sah sie ihre Mutter im Krankenhaus wieder. Da war ihre Wange schon kalt und wächsern wie die einer Puppe.

Hastig blinzelte Lisa die Tränen weg und sah zum Seitenfenster hinaus, damit ihr Vater nicht bemerkte, dass sie weinte.

Denk nicht an Mom.

Denk nicht an Pferde …

Woran soll ich dann denken?

Nein, Lisa freute sich nicht gerade darauf, nach Jorvik zu ziehen. Sie kannte dort niemanden, und keiner kannte sie. Sie musste bei null anfangen. Aber ich werde das schon schaffen, sagte sie sich.

Schließlich war es nicht das erste Mal, dass sie die Neue war. Die Arbeit ihres Vaters auf verschiedenen Ölplattformen hatten sie schon von Texas nach Norwegen, von Norwegen nach Alaska, von Alaska zurück nach Norwegen und nun nach Jorvik geführt. Jedes Mal war sie wieder die Neue in der Klasse, die nie wirklich dazugehörte. Sie hatte nie eine echte Heimat gehabt, war daran gewöhnt, immer wieder alles von vorne zu lernen: die Namen ihrer Klassenkameraden ebenso wie die vielen unausgesprochenen Gesetze und Regeln ihres neuen Umfelds. Manchmal fühlte Lisa sich richtig heimatlos. Verloren.

Für ein paar Jahre hatte sie Zuflucht bei den Pferden gesucht. Seit dem Unfall war es die Musik. Lisa sang ständig, oft sogar, ohne dass es ihr bewusst war.

Vor allem in Momenten wie diesen. Sie liebte Musik. Egal, welche, ob alt oder neu. Wobei ihr Country und Rock besser gefielen als die Popmusik, die ihre Mutter immer gehört hatte.

Trotzdem musste sie bei Madonna einfach mitsingen. Es half ihr, sich zu erinnern.

Sie hatte alle CDs ihrer Mutter aufgehoben, sie lagen in einem der Kartons hinten im Van. Die Playlist, die sie gerade hörten, bestand aus den Lieblingsliedern ihrer Mutter. Was sie wohl zu dem Umzug gesagt hätte? Ob Jorvik ihr gefallen hätte?

Ich hab dir doch gesagt, du darfst nicht an Mom denken.

Als ihr Vater plötzlich wütend das Auto vor ihnen anhupte, fuhr Lisa zusammen.

»Fahr schon, du Idiot! Wir können vom Schiff!« Er drückte noch einmal auf die Hupe, diesmal kräftiger. »Ich muss dringend irgendwo einen ordentlichen Kaffee auftreiben«, knurrte er. Bei ihrem hastigen Frühstück an Bord hatte es nur dünne Kaffeebrühe gegeben.

»Ähm, Dad? Ich glaube, er kann dich nicht hören«, murmelte Lisa.

Sie konnte ihre Niedergeschlagenheit nicht ganz verbergen, es hatte sich etwas Sanftes, Leichtes in ihre Stimme geschlichen. Ihrem Vater stiegen Tränen in die Augen. Er dachte, sie merke es nicht.

Doch Lisa hatte es gesehen. Und war in diesem Moment sehr froh, neben ihrem Vater zu sitzen. Sie hatten nur noch einander. Für alle Zeiten gab es nur noch sie beide.

Schließlich waren sie an der Reihe, die Rampe herunterzurollen. Kurz darauf fuhren sie bereits durch eine atemberaubende Landschaft. Staunend betrachtete Lisa die dunklen, majestätischen Tannen, die sanfte grüne Hügel und die Hänge hoch aufragender Berge bedeckten.

Es sieht ein bisschen aus wie in Norwegen, dachte Lisa. Nur noch viel weiter und wilder. Jorviks Landschaft wirkte, als hätte man einen Filter darübergelegt. Lisa fragte sich, ob sie schon je so tiefe, satte Farbtöne gesehen hatte. Wahrscheinlich nicht. Die Sonne stieg langsam auf, doch die bleiche Mondsichel hing immer noch an dem leuchtend lavendelfarbenen Himmel.

In diesem Moment fiel eine Sternschnuppe, und eine Reihe neuer Sterne leuchtete auf. Lisa runzelte die Stirn. Seltsam. Würde nicht schon bald die Sonne aufgehen?

Sie kurbelte das Fenster herunter und streckte den Kopf hinaus. Über der stillen Morgenlandschaft lag ein ganz eigener Geruch, eine Mischung aus Salz, Erde und etwas fast Süßlichem. Der Geruch von Jorvik – ein Gedanke, den sie später noch oft haben würde.

Es war weder Tag noch Nacht, sondern irgendetwas dazwischen. Abgesehen von den anderen Passagieren, die langsam die große Fähre verließen, waren Lisa und ihr Dad ganz allein in einer Welt unterwegs, die gerade erwachte.

Jorvik. Vielleicht könnte sie hier am Ende doch leben.

2

»Guck dir mal den Himmel an, Dad!«

Zum ersten Mal, seit sie ihre Reise angetreten hatten, klang Lisa glücklich. Beinahe aufgeregt. Doch ihr Vater gähnte nur und murmelte etwas Unverständliches hinter dem Lenkrad hervor. Lisa schüttelte den Kopf und richtete den Blick wieder nach draußen.

Was war nur mit dem Himmel los? So was Cooles hatte sie noch nie gesehen. Sie zählte mehr Farbtöne und Schattierungen als in dem Tuschkasten, den ihre Mutter ihr vor Jahren mal zu Weihnachten geschenkt hatte. Sie reichten von Rot über Violett und Pink bis hin zu einem schimmernden, glitzernden Goldton. Als hätte sich ein riesiger Regenbogen über den Himmel und das Meer gespannt.

Obwohl die Morgendämmerung schon eingesetzt hatte, leuchteten die Sterne noch am Himmel. Vor dem dunklen Blau funkelten sie so hell und klar, dass es beinahe künstlich wirkte. Lisa kam es vor, als blinkten sie im Rhythmus ihres Herzens.

Noch immer kam kein Laut vom Fahrersitz. Lisa holte tief Luft und versuchte es erneut, diesmal ein bisschen lauter: »Der Himmel, Dad! Sind das Nordlichter oder so? Guck doch mal, die Sterne – ich hatte keine Ahnung, dass sie so hell leuchten können! Du? Hast du gesehen, dass sie einen riesigen Stern bilden? Dad, komm schon, guck doch mal!«

»Hm, hm …«, murmelte ihr Vater.

Er hatte kurz angehalten und war vollkommen in die Karte versunken, die sie in die kleine Stadt Jarlaheim führen sollte. Ihr neues Zuhause lag ein Stück außerhalb des Ortszentrums.

 

Endlich passierten sie die Tore von Jarlaheims mächtiger mittelalterlichen Stadtmauer und hielten mitten auf einem Platz. Er war vollkommen ausgestorben.

Hübsch hier, dachte Lisa. Sie ließ den Blick über die kleinen Pflasterstraßen schweifen, die von dem Platz abgingen, und entdeckte einige kleine Restaurants und Cafés.

Sie stellte sich vor, wie sie an einem sonnigen Herbsttag in einem von ihnen sitzen würde, vor einer großen Tasse Tee und einem leckeren Dessert. Zusammen mit ihrem Dad oder vielleicht sogar – sie holte tief Luft und wagte es dann, den Satz zu Ende zu denken – mit ihren neuen Freunden.

Ihr Vater suchte die Straßen nach einem Lokal ab, das um diese Uhrzeit schon Kaffee ausschenkte, doch vergebens. In seiner Aufregung kam er aus Versehen mit dem Ellbogen an die Hupe, und ein lautes Tröten zerriss die Stille.

»Ist das denn die Möglichkeit!«, schrie er. »Nicht ein Laden geöffnet! Ich brauche Kaffee!«

Sie fuhren durch ein weiteres imposantes Steintor. Lisa musterte ihren Vater und dachte an das Glas Instantkaffee, das sie vorsorglich eingepackt hatte. Für den Fall, dass es im neuen Haus keine Kaffeemaschine gab. Sie kannte ihren Vater nur zu gut: Wenn er seine tägliche Dosis Koffein nicht bekam, ging man ihm besser aus dem Weg. Lisa lächelte in sich hinein und blickte wieder zu dem farbenprächtigen Morgenhimmel hinauf.

Direkt über einer Bergspitze strahlte das riesige Sternbild immer noch so leuchtend hell, dass sie beinahe geblendet wurde. Dies war nicht der Große Wagen oder eine andere Konstellation, die ihre Eltern ihr gezeigt hatten, als sie noch klein war. Nein, das hier war völlig anders. Lisa hatte so etwas noch nie zuvor gesehen.

Hoch über ihnen zeichneten die Sterne den Umriss eines riesigen, vierzackigen Sterns in den blassen Morgenhimmel. Sie drehte sich wieder zu ihrem Vater um. Er hat nichts davon bemerkt, dachte sie. Wie kann das sein?

Schließlich verblasste das seltsame Sternbild im Schein der aufgehenden Sonne. Im sanften Morgenlicht schimmerte das erste Herbstlaub an den Bäumen wie gesponnenes Gold. Lisas Vater setzte die Fahrt fort. Auf zu ihrem neuen Zuhause.

Im Zentrum der verschlafenen kleinen Stadt öffnete sich die Tür eines Kalksteinhauses, und ein Mädchen erschien gähnend auf der Schwelle. Ihre pechschwarzen Haare waren zu einem wirren Knoten zusammengebunden. Müde nahm sie ihre riesige Brille ab und rieb sich die Augen. Dabei fiel ihr Blick auf die blühenden Rosenstöcke in dem kleinen, ordentlichen Vorgarten. Was anderswo zu dieser herbstlichen Jahreszeit ein außergewöhnliches Phänomen gewesen wäre, war in Jorvik ganz normal. Eins der Dinge, die das Mädchen an der Insel liebte, war, dass sie scheinbar anderen Gesetzen folgte. Selbst den Lauf der Natur konnte man nicht voraussagen oder zähmen.

»Würdest du bitte die Zeitung holen, Linda?«, rief jemand von drinnen.

»Schon unterwegs, Tante Amal!«

Linda schlüpfte in ein Paar Clogs und zog sich für den kurzen Weg zum Briefkasten den Mantel ihrer Tante über das Nachthemd. Ihre kleine schwarze Katze huschte mit aus der Tür und rieb sich laut miauend an ihren Beinen.

»Was ist los, Misty?«, fragte Linda verschlafen und kraulte die Katze hinter ihrem unversehrten Ohr.

Es war ein kalter Septembermorgen. In den großen grünen Augen der Katze spiegelte sich ein helles Licht wider, das irgendwo vom Himmel kommen musste.

Linda nahm ihre Katze auf den Arm und blickte nach oben.

Ungläubig starrte sie in den frühen Morgenhimmel. Direkt neben dem verblassenden Mond funkelte ein seltsames Sternbild, das den Umriss einer gigantischen Mondsichel hatte. Vor ein paar Jahren hatte Linda eine Phase gehabt, in der sie geradezu besessen von Astronomie gewesen war. Sie hatte versucht, alle Sternbilder auswendig zu lernen, und zu Weihnachten sogar ein Teleskop geschenkt bekommen. Aber diese eigenartige Konstellation hatte sie noch nie zuvor gesehen.

»Komisch«, murmelte sie. Sie sah wieder auf Misty in ihrem Arm hinunter und lief dann zum Briefkasten, um die Zeitung zu holen.

Vor einem großen Haus in dem Teil von Jorvik, den die Einheimischen das »Millionärsviertel« nannten, wartete ein pinkes Auto mit laufendem Motor. Ein junges Mädchen in Reitoutfit stürzte aus der Haustür. Ihre blonden Haare waren zu einem schicken, ordentlichen Knoten hochgesteckt. Sie war groß und schlaksig und lief sogar leicht vornübergebeugt über den hell erleuchteten Hof, als hätte sie sich noch nicht an ihre hoch aufgeschossene Figur gewöhnt. Als das Mädchen an sich hinuntersah, entdeckte sie einen kleinen grünen Fleck auf ihrer Hose, wahrscheinlich vom Gras. »Schwein gehabt«, murmelte sie in sich hinein. »Gut, dass Mom den beim Frühstück nicht bemerkt hat.«

Die Stimme ihrer Mutter hallte durch den Flur. »Hab einen schönen Tag im Stall, Anne! Du gewinnst den Wettkampf bestimmt, da bin ich ganz sicher! Wie immer!«

»Bis später!«, rief Anne zurück und hastete zum Auto, in dem schon der Chauffeur saß, der sie zum Gestüt Jorvik außerhalb von Jarlaheim bringen würde. Sie öffnete die Tür, doch gerade als sie einsteigen wollte, erregte etwas ihre Aufmerksamkeit. Sie hielt abrupt inne. Wie geblendet blinzelte sie zum Himmel hinauf und trat überrascht einen Schritt zurück.

Ein helles Licht tanzte funkelnd am Horizont. Die letzten Sterne, die noch am frühen Morgenhimmel zu sehen waren, formten eine riesige Sonne.

»Komisch«, murmelte sie. »Die Sonne ist doch noch gar nicht aufgegangen.«

»Los, Tin-Can! Gib alles, was du hast!«

Das Mädchen, das mit seinem Pferd in einen wilden Galopp fiel, hatte einen zerzausten, rotbraunen Haarschopf und ein offenes, lebhaftes Gesicht. Ein Paar neugierige Augen im gleichen Braunton wie das Fell des Pferdes leuchteten verschmitzt auf, während Pferd und Reiterin zusammen über den Waldweg flogen. Alex genoss diese Ausritte mit ihrem besten Freund und Begleiter Tin-Can zu einer Tageszeit, in der selbst die meisten Vögel noch schliefen. So früh am Morgen gehörte die Natur ihnen ganz allein.

Alles war wie ausgestorben, die Wege, der dunkle Wald mit seinen Geheimnissen und auch die Lichtung, auf der sonst die Kaninchen hoppelten. Selbst auf der Straße, die zurück zum Stall führte, begegneten sie für gewöhnlich keiner Menschenseele.

Alex liebte die Geschwindigkeit und war mit ihrem Pferd schwer zu bremsen. Das war Fluch und Segen zugleich, wie sie selbst fand, und dem konnten ihre Reitlehrer nur zustimmen. Dennoch hatten sie und Tin-Can ein paar Minuten zuvor reglos dagestanden. Der Himmel leuchtete so ungewöhnlich, dass sie einfach anhalten und das Schauspiel bestaunen musste.

Eine helles Sternbild in Form eines Blitzes funkelte am brennenden Himmel. Ein beeindruckender Anblick. Plötzlich erinnerte sie sich an ihren vernachlässigten Instagram-Account. Doch bevor sie das Handy herausholen und ein Foto machen konnte, verblassten die Sterne im Licht der Morgendämmerung.

Alex Cloudmill war auf Jorvik aufgewachsen. Für sie war es der schönste Ort der Welt, und sie wollte niemals irgendwo anders leben. Sie hatte beinahe Mitleid mit den armen Menschen, die diese wunderschöne Insel noch nie gesehen hatten, auf der sie zu Hause war. Vor allem an einem Morgen wie heute.

Sie lehnte sich im Sattel nach vorn und trieb Tin-Can auf einen Graben zu. Mühelos setzten sie hinüber und jagten weiter zwischen den Bäumen hindurch, auf die Straße zu, die sie zurück zum Stall führte, wo sie Ausmisten, Füttern und Putzen erwarteten.

Erst in letzter Sekunde sahen sie den Lieferwagen.

Lisa und ihr Vater hatten gerade den höchsten Punkt einer Steigung erreicht, als plötzlich eine Reiterin im vollen Galopp aus den Bäumen geprescht kam. Der Vater stieg hart in die Bremse, und der Wagen kam quietschend zum Stehen.

Das Pferd, ein kleiner, kräftiger Brauner mit langer, wilder Mähne, bäumte sich so auf, dass er beinahe mit den Vorderhufen auf der Motorhaube gelandet wäre. Lisa hielt vor Schreck den Atem an.

Bei der heftigen Bewegung löste sich die Satteltasche und flog in hohem Bogen auf die Straße.

Lisa und ihr Vater stürzten aus dem Auto.

»Oh Gott, es tut mir so leid!«, rief die Reiterin und klopfte ihrem Pferd beruhigend den Hals. »Ich hätte nie gedacht, dass hier so früh schon ein Auto unterwegs ist. Ich hoffe, ich habe euch nicht zu sehr erschreckt.«

Lisa fand, dass das Mädchen für jemanden, der beinahe überfahren worden war, bemerkenswert gelassen war.

»Keine Sorge, nichts passiert«, antwortete Lisas Vater. »Aber du solltest wirklich vorsichtiger sein. Pass in Zukunft besser auf, wo du hinreitest.«

Er klang eher erschrocken als verärgert. Das Mädchen nickte zerknirscht.

»Versprochen. Manchmal reite ich echt zu schnell. Ich heiße übrigens Alex.« Dabei sah sie Lisa mit ihren braunen Augen an. »Alex Cloudmill. Und dieser Wahnsinnige«, fuhr sie fort und tätschelte ihr Pferd, »hört auf den Namen Tin-Can.« Tin-Can antwortete, indem er auf seinem Gebiss herumkaute und ein Gesicht machte, als könne er es kaum erwarten, dass es endlich wieder losging.

»Lisa Peterson«, sagte Lisa und hob die Hand, um Tin-Can zu streicheln.

Als sie spürte, wie seine Muskeln unter ihrer Handfläche zitterten, zuckte sie zusammen und trat einen Schritt zurück. Alex’ Augen funkelten.

»Schön, dich kennenzulernen, Lisa Peterson«, sagte sie. »Vielleicht sieht man sich bald wieder.«

Lisa war schon drauf und dran zu fragen, auf welche Schule Alex ging, da schnalzte das Mädchen unvermittelt und ritt davon. Erst in dem Moment bemerkte Lisa die Satteltasche, die neben dem Van auf der Straße lag.

»Alex, warte! Du hast deine …«

Sie hob die Tasche hoch, doch die Reiterin war schon außer Hörweite.

»… Satteltasche vergessen«, beendete sie leise den Satz und sah dem Pferd nach, das bereits den Hügel hinuntergaloppierte und in der Ferne verschwand.