Star Stable: Soul Riders 3. Dunkelheit bricht herein - Helena Dahlgren - E-Book

Star Stable: Soul Riders 3. Dunkelheit bricht herein E-Book

Helena Dahlgren

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Beschreibung

Die Soul Riders stellen sich erneut Mr Sands und seinen Dark Riders. Um ihre Liebsten zu retten und gegen die drohende Dunkelheit anzukämpfen, müssen Lisa, Alex, Linda und Anne die Dinge in die eigene Hand nehmen. Immerhin erkennen die vier Reiterinnen, was es wirklich heißt, ein Soul Rider zu sein. Doch haben sie noch genug Zeit, um die dunkle Macht und den Untergang Jorviks zu stoppen? Das große Finale der Fantasytrilogie "Soul Riders" mit dem Geheimrezept für gelungenes Lesevergnügen: Magie, Freundschaft und Pferde!

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Über dieses Buch

Die Soul Riders stellen sich erneut Mr. Sands und seinen Dark Riders. Um ihre Pferde und ganz Jorvik zu retten und gegen die drohende Dunkelheit anzukämpfen, müssen Lisa, Alex, Linda und Anne die Dinge in die eigene Hand nehmen. Immerhin erkennen die vier Reiterinnen, was es wirklich heißt, ein Soul Rider zu sein. Doch haben sie noch genug Zeit, um die dunkle Macht und den Untergang Jorviks zu stoppen?

 

Das große Finale der Fantasytrilogie »Soul Riders« mit dem Geheimrezept für gelungenes Lesevergnügen: Magie, Freundschaft und Pferde!

An meine Leserinnen und Leser, die mir immer wieder Mut machen, auch wenn es mal schlecht läuft (denn so geht es manchmal nicht nur den Soul Riders).

Ganz bestimmt denken alle Autorinnen und Autoren, dass ihre Leserinnen und Leser die besten auf der ganzen Welt sind. In meinem Fall ist es zufällig die Wahrheit.

Der Gedanke an euch erfüllt mich einfach mit Freude. Danke!

»Gute Freunde sind wie Sterne.

Du kannst sie nicht immer sehen,

aber du weißt, dass sie da sind.«

Anon

Prolog

Manche Leute sagen: »Bevor wieder Licht wird, muss erst Dunkelheit herrschen.« Doch was genau soll das eigentlich bedeuten? Dass herausfordernde Phasen im Leben wichtig sind, damit die Hoffnung wiederkehren kann, und mit ihr das Licht? Oder sagen wir das einfach nur, um uns über schwere Zeiten hinwegzutrösten?

Wenn Dunkelheit über die Erde hereinbricht, ist es verführerisch, einfach aufzugeben. Denn was, wenn es ohnehin schon zu spät ist, um noch etwas zu retten? Auf einer Insel namens Jorvik nehmen vier Mädchen ihr Schicksal in die Hand. Sie versuchen, die Dunkelheit aufzuhalten.

 

Sie sind die letzten Soul Riders, und dies ist die Geschichte von ihrem ersten großen Kampf gegen das Böse.

1

»Versteht ihr nicht? Wir haben das verursacht!«

Die Worte klangen in ihnen nach, als sie über Jorviks verlassene Ebenen galoppierten und die Pferdehufe unter ihnen Staubwolken aufwirbelten. Jenseits der Wiese, auf der nichts blühte, jedenfalls nicht jetzt im Spätherbst, erhob sich ein großer, schwarzer Rabe von einem Baum und flog mit einem tiefen Krächzen davon.

Die vier Auserwählten beobachteten schweigend, wie der Vogel mit kräftigen Flügelschlägen in den Himmel aufstieg und verschwand. Seit sie vom geheimen Steinkreis aufgebrochen waren, hatten sie kaum ein Wort miteinander gewechselt. Das war auch nicht nötig.

Denn was blieb auch noch zu sagen? Als sie dort zwischen den Runensteinen gestanden und erkannt hatten, wie ernst die Lage wirklich war, hatte Linda das ausgesprochen, was niemand auch nur zu denken wagte.

Wir waren das. Wir haben das verursacht. Je mächtiger der Zauber, desto größer die Folgen.

Um zurück zum geheimen Steinkreis zu gelangen, hatten sie mit ihrem Portalzauber eine ungeheuer starke magische Energie freigesetzt, die Auswirkungen auf die Natur der gesamten Insel hatte. Genau diese Magie drohte nun eine ökologische Katastrophe auszulösen. Und das war alles ihre Schuld.

Ihretwegen stand der große Staudamm, der das Eisige Tal vor Überflutung schützte, kurz davor zu brechen und damit ein ganzes Dorf zu zerstören. Das war schwer zu verdauen. Es schien kaum noch möglich, die Katastrophe zu verhindern, und dennoch waren sie auf dem Weg zum Damm, in der Hoffnung, die Dinge irgendwie wieder ins Lot zu bringen.

Lisa hatte auf ihrem Pferd Starshine die Führung übernommen. Obwohl der Himmel die Farbe einer stumpfen Bleistiftmine angenommen hatte, ein ungeheuer trostloses Grau, glänzte sein Fell strahlend weiß. Starshines prächtig blaue Mähne und Schweif schimmerten unter der schweren Wolkendecke. Nun, da sich alles in ein einziges Chaos verwandelt hatte und sie unter einem solchen Druck standen, dass Lisa das Gefühl hatte, darunter zu zerbrechen, war sie umso dankbarer für ihr Pferd, das mit ihr durch dick und dünn ging.

Sie fasste die Zügel kürzer und schloss die Augen, um die Welt um sich herum für einen Moment zu vergessen. Ihre roten Haare flatterten im auffrischenden Wind. Alles geht so schnell, dachte sie. Bis vor Kurzem war sie einfach nur Lisa Peterson gewesen. Jetzt war sie ein Soul Rider. Würde ihr Leben je wieder normal werden? Gab es so etwas wie »normal« überhaupt noch?

Sie kniff die Augen fester zusammen und spürte, wie der Wind über sie hinwegfegte. Manchmal kam es ihr vor, als wäre alles, was sie erlebt hatten, einfach nur Teil eines Märchens gewesen, allerdings kein schönes, herzerwärmendes Märchen. Natürlich war ihre Geschichte auch voll von Glück, Freundschaft und Warmherzigkeit, doch sie hatte viele düstere Seiten, die alles Licht auszulöschen drohten. Viel zu viele.

Die kalten Hände in Starshines Mähne vergraben, dachte Lisa daran zurück, wie alles angefangen hatte. Vor gar nicht allzu langer Zeit.

2

Alles hatte begonnen, als Lisa und ihr Vater kurz vor Ende der Sommerferien nach Jorvik gezogen waren. In Wahrheit reichte die Geschichte natürlich noch viel weiter zurück, nur hatten die Mädchen nichts davon gewusst. Die Legende der Soul Riders stand schon seit Anbeginn in die fruchtbare Erde der Insel geschrieben, in die Schaumkronen auf dem Meer und in das Tal der Goldenen Hügel, wo das ganze Jahr über Herbstblätter in leuchtenden Farben raschelten. Die Legende schlief in Jorviks außergewöhnlichen Pferden, den Sternenpferden, die es nirgends sonst auf der Welt gab, und sie schlummerte natürlich im geheimen Steinkreis. Dort oben, hoch in den Bergen, hatten Druiden Generationen von Soul Riders geholfen, ihre magischen Fähigkeiten zu erkennen und auszubilden. Die Druiden waren weise Männer und Frauen, die ein Leben eng in Verbindung mit der Natur führten. Wenn man wusste, wo sie zu finden waren, dann waren sie aus Jorvik nicht mehr wegzudenken.

Die Soul Riders waren vier Mädchen, die über magische Kräfte verfügten. Waren sie alle vier vereint und in Begleitung ihrer vier Sternenpferde, erwachten ihre Kräfte zum Leben. Aufgabe der Soul Riders war es, das empfindliche Gleichgewicht zwischen Gut und Böse zu wahren, um Jorvik als den außergewöhnlichen, magischen Ort zu bewahren, der er immer gewesen war.

Doch seit Jahrtausenden versuchte eine böse Macht, dieses Gleichgewicht zu stören. Und das Böse trug einen Namen: Garnok. Alte Schauergeschichten berichteten von Fischern, die auf hoher See kenterten und verschlungen wurden – nicht von den tosenden Wellen, sondern von einem grausamen Ungeheuer, das sie auf den Grund des Meeres lockte. Es hieß, das Ungeheuer könne ihren Geist kontrollieren, und dass niemand, der einmal seine Gegenwart gespürt habe, je wieder der Alte wurde. Noch immer lauerte Garnok dort unten, gefangen vor den Toren unserer Welt. Die guten Mächte der Insel wachten darüber, dass er niemals seinen Fesseln entkam, während die bösen Mächte mit allen Mitteln versuchten, ihn zu befreien.

Der Anführer der dunklen Seite war ein Mann namens John Sands. Vergiftet durch ein jahrhundertelanges Leben unter dem dunklen Einfluss und den Versprechungen Garnoks, träumte er von Rache an den Bewohnern Jorviks, da ihm vor Ewigkeiten seine große Liebe genommen worden war. Gemeinsam strebten die bösen Mächte danach, die schwarze Magie freizusetzen und an Garnoks Herrschaft teilzuhaben.

Die Pferde der Soul Riders besaßen starke magische Kräfte, die – gerieten sie in die falschen Hände – dafür missbraucht werden konnten, Garnok zu befreien. Aus diesem Grund hatte Mr Sands Lisas Pferd Starshine entführt und Annes Pferd Concorde nach Pandoria geschickt, in eine verzerrte, albtraumhafte Parallelwelt, in der die Gedanken verschwammen und alles in einem eigenartigen, pinken Licht pulsierte.

Für die Mädchen waren all diese Dinge noch frisch und ungewohnt. Es war noch gar nicht lange her, dass sie zum ersten Mal als Soul Riders zusammengekommen waren. Als sie nach und nach erfahren hatten, worin ihre Aufgabe bestand, hatten sie schnell begriffen, dass dies kein Job war, dem man einfach so den Rücken kehren konnte. Ob es ihnen gefiel oder nicht, sie waren Soul Riders, und wenn sie Erfolg haben wollten, mussten sie an einem Strang ziehen.

Obwohl alles noch so neu war, hatten sie schon mehr erreicht, als sie zu träumen gewagt hatten. Sie hatten Starshine und Concorde befreit und die Hexe Pi, die in einem Sumpf tief im Tal der Goldenen Hügel lebte, dazu gebracht, ihnen das Buch der Lichtzeremonien auszuhändigen. Es war ihnen gelungen, die Dark Riders Sabine, Jessica und Katja abzuhängen, von denen sie im Wald verfolgt worden waren. Und das Allerwichtigste: Sie waren wieder vereint. Denn die Soul Riders durften niemals getrennte Wege gehen, das hatten sie inzwischen verstanden. Zu viert und gemeinsam mit ihren Pferden waren sie am stärksten, genau wie ihre geliebte Freundin und Mentorin Elizabeth es ihnen prophezeit hatte.

Doch die Soul Riders hatten auch schlimme Verluste zu beklagen. Kalliope, Elizabeths Pferd, war in Pis Sumpf ertrunken. Noch immer klangen Lisa die furchtbaren Geräusche von jenem Schicksalstag in den Ohren. Die schrillen Todeslaute der Stute, mehr Schreie als Wiehern, waren über den ganzen Kesselsumpf geschallt. Irgendwann waren sie verklungen, und nur noch die Schluchzer der Mädchen waren zu hören gewesen.

Auf ihrer Flucht hatte Pi Elizabeth in ein Irrlicht verwandelt – die weise, freundliche Elizabeth, die den Mädchen so viel über die Aufgabe der Soul Riders und das Wissen der Druiden beigebracht hatte! Noch immer flatterte und flackerte sie in dieser armseligen Existenz umher und wartete darauf, dass jemand sie zurückverwandelte. Sie war nicht mehr da, um die Mädchen zu trösten und ihnen zu sagen, dass alles gut würde. Würde sie je wieder auf ihrer wunderschönen Apfelschimmelstute vorausreiten und ihnen den Weg weisen?

In der kurzen Zeit, in der sie zueinander gefunden hatten, hatten die Soul Riders Siege und Verluste erfahren müssen. Jetzt konzentrierten sie sich ganz darauf, den Damm zu richten und das Tal vor den Fluten zu bewahren. Wieder und wieder hatte Linda die Katastrophe in ihren düsteren Visionen gesehen. Sie mussten sie unbedingt verhindern.

Doch der Staudamm war bei Weitem nicht ihr einziges Problem. Lisa und die anderen hatten erkennen müssen, dass sich auf Jorvik noch viel Schlimmeres zusammenbraute. Der Staudamm war nur ein Teil der Bedrohung. Dunkelheit zog auf und gefährdete die ganze Insel.

Doch so wichtig ihre Mission auch war, es fiel Lisa schwer, sich darauf zu konzentrieren. Es fiel ihr momentan schwer, sich auf überhaupt irgendwas zu konzentrieren. Immer wieder wanderten ihre Gedanken zu dem wichtigsten Menschen in ihrem Leben, zu ihrem Vater Karl, der im Hauptquartier von Dark Core gefangen gehalten wurde. Er war von Mr Sands und seinen Handlangern, den Dark Riders, gekidnappt worden. In der kurzen Zeit, in der Lisa selbst die Gefangene dieses Mannes gewesen war, hatte sie gelernt, dass Mr Sands kein Erbarmen kannte. Vielleicht würde er ihren Vater foltern, vielleicht sogar ermorden. Was bedeutete ihr schon ein kaputter Staudamm, wenn der einzige Elternteil, der ihr geblieben war, in Lebensgefahr schwebte?

So darfst du gar nicht erst denken, befahl sie sich. Erst der Staudamm, dann Dad. Es geht nicht anders.

Ja, es musste so laufen, das wusste sie. Aber das bedeutete noch lange nicht, dass es sich richtig anfühlte.

Lisa öffnete die Augen und richtete sich im Sattel auf. Sie spürte geradezu, wie ihr die Ungeduld unter die Haut kroch und dort Blasen warf.

»Beeilt euch!«, rief sie den anderen zu und trieb Starshine an. »Auf geht’s!«

Ihre Freundinnen taten es ihr nach, und gemeinsam galoppierten sie in Richtung Staudamm. Starshine stieß Atemwolken aus den Nüstern und schüttelte den Kopf. Lisa hatte fast den Eindruck, als wolle er sie vor etwas warnen. Doch sie tat den Gedanken ab. Für Hirngespinste hatten sie jetzt keine Zeit.

3

Im fliegenden Galopp jagten die vier Mädchen durch die kühle Herbstluft, doch keine von ihnen fror. Ihre entschlossenen Gesichter leuchteten im blassgrauen Licht, ganz so, wie es die alten Geschichten prophezeit hatten. Linda, Lisa, Alex und Anne ritten Seite an Seite, wie sie es schon so viele Male getan hatten.

Doch diesmal war etwas anders. Alles war anders. Wie immer rauschte der Fluss durch das Eisige Tal, doch heute stand das Wasser so hoch, dass sich tiefe Becken an seinen Ufern gebildet hatten. Als die Reiterinnen sich dem Fluss näherten, gluckste der aufgeweichte Boden unter den Pferdehufen, sodass sie gezwungen waren, das Tempo zu verlangsamen, um nicht auszurutschen.

»Meint ihr, der ganze restliche Weg sieht so aus?« Anne verzog das Gesicht.

Linda fasste die Zügel nach und schüttelte den Kopf.

»Wir müssen nur vom Fluss weg«, versicherte sie. »Dann haben wir wieder festen Boden unter den Hufen und können weitergaloppieren.«

Insgeheim hoffte sie inständig, dass es stimmte. Die Zeit rannte ihnen davon. Sie durften sich nicht im gemächlichen Schritt oder Trab fortbewegen, sie mussten galoppieren. Als der Boden etwas weiter weg vom Flussufer tatsächlich wieder fester wurde, atmete Linda erleichtert auf. Zumindest für den Moment hinderte sie das Wasser nicht mehr am Fortkommen. Entschlossen richtete sie sich im Sattel auf und überließ Meteor das Tempo. Starker, feinfühliger Meteor. Wenn sie daran dachte, wie sie einander ohne Worte verstanden und wie oft er ihre Gedanken zu lesen schien, ohne dass sie Hilfen geben musste, überkam sie eine Woge der Dankbarkeit. Was wäre sie bloß ohne ihn?

Donnernde Hufschläge kündigten hinter ihnen eine Herde Wildpferde an, die in wilder Panik aus den Wäldern floh. Als die Pferde der Soul Riders ihre Artgenossen hörten, wurden sie nervös und schienen selbst kurz davor, durchzugehen. Das Weiße trat aus ihren Augen hervor, und unter ihrem verschwitzten Fell zuckten die Muskeln. Selbst wenn die Mädchen es gewollt hätten, wären sie jetzt nicht in der Lage gewesen, sie zu zügeln. Es heißt, Tiere hätten einen sechsten Sinn für Gefahren. Sie spüren, wenn etwas Schreckliches bevorsteht, lange bevor die Menschen etwas ahnen.

Aber auch die Reiterinnen ließen die fliehenden Wildpferde nicht unbeeindruckt. Von Anfang an hatten sie eine hohle, drückende Furcht in der Magengegend verspürt, und beim Geräusch der panischen Pferde verwandelte sich das dumpfe Gefühl in blanke, wilde Verzweiflung. Die Tiere schienen zu wissen, dass der Fluss nicht allein vom Regen anstieg.

Jeder Zauber hat seine Folgen. Das war den Mädchen inzwischen klar. Die schrecklichen Worte, die keine von ihnen mehr auszusprechen wagte, hallten durch den leeren Raum zwischen ihnen und stiegen hoch in den grauen, regenverhangenen Himmel. Vielleicht erklangen sie im Gesang der Amsel – sang sie deshalb so klagend?

Wir waren das. Wir haben das verursacht.

Linda wusste, was geschehen würde. Viele Male hatte sie es in ihren Visionen gesehen, so oft, dass sie es nicht mehr zählen konnte. Zunächst hatte sie nicht verstanden, was sie sah. Sie war nicht in der Lage gewesen, sich einen Reim auf die Bilder zu machen, und hatte nicht erkannt, wie sie zusammenhingen. Eine Zeit lang hatte sie nur schwarzes Wasser gesehen, erstickte Schreie gehört und einen Druck auf ihrer Brust gespürt, der sie zu ersticken drohte. Doch inzwischen wusste sie mit so eisiger Sicherheit, was die Bilder bedeuteten, dass sie ihre Hände Trost suchend in Meteors dichter, struppiger Mähne verbarg. Als sie mit den Fingern seine Wärme und seinen schnellen Atem spürte, wäre ein kleiner Teil von ihr gern für immer in diesen Moment eingetaucht. In ein Vorher, das viel zu bald zu einem Nachher werden würde. Sie wollte nicht daran denken, was vor ihnen lag. Solange sie noch ritten, solange sie noch auf dem Weg waren, konnten sie die Katastrophe verhindern. Solange sie einfach immer weiterritten, wagte sie zu hoffen.

Trotz allem.

Wenn es wirklich so weit kam, wenn das Schreckliche wirklich eintrat, dann würde das Wasser des Stausees sich in das Tal ergießen, direkt auf die Häuser des nächsten Dorfes. Die Flut würde eine unvorstellbare Verwüstung mit sich bringen. Entschlossen richtete Linda sich im Sattel auf und ließ im Rhythmus von Meteors Galopp das Echo der panischen Pferde, verzweifelten Eltern und schreienden Kinder hinter sich. Seine Hufschläge übertönten auch das grauenhafte Gurgeln des Wassers, bevor es gespenstisch still wurde. Die Stille war vielleicht das Schrecklichste von allem.

Linda blinzelte heftig, um die furchtbaren Bilder zu vertreiben. Dann sah sie Alex an, die neben ihr ritt. »Wir müssen die Menschen warnen und dafür sorgen, dass sie ihre Häuser verlassen. Damit meine ich alle, die irgendwo am Fluss unterhalb des Staudamms leben. Für den Fall, dass … dass wir es nicht schaffen, müssen sie fort sein, wenn der Damm bricht.«

Alex nickte grimmig und spornte Tin-Can an. Auf der anderen Seite tat Anne es ihr nach.

»Wir müssen es schaffen!« Lisas Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Linda fing ihren Blick auf und lächelte ihr ermutigend zu. »Gleich ist Showtime«, sagte sie.

»Aber wir haben kaum geprobt«, murmelte Alex. Dann erklärte sie lauter: »Ich finde, die Druiden hätten mitkommen sollen. Wie sollen wir das denn ganz alleine schaffen?«

»Du weißt ganz genau, dass wir nicht auf sie warten konnten.« Linda schüttelte ungeduldig den Kopf. »Die Schnellsten sind sie nicht gerade, und wir hatten keine Zeit zu verlieren.« Einen Moment lang schwieg sie und schob sich eine dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich aus ihrem schweren Knoten gelöst hatte. Dann fuhr sie fort: »Ich meine, am Ende ist es doch gar nicht so schwer! Das machen wir mit links. Wir müssen nur verhindern, dass die magischen Risse breiter werden, und sie in der Lichtzeremonie wieder verschließen. Ein Kinderspiel. Und alles, was wir wissen müssen, steht hier drin.«

Zärtlich klopfte sie auf ihre Satteltasche, in der das Buch der Lichtzeremonien steckte, das schon seit Jahrhunderten junge Soul Riders auf Jorvik anleitete. Nun waren sie an der Reihe.

Plötzlich durchzuckte Linda eine Erinnerung an einen Sommertag im Freibad, als sie zum ersten Mal vom 10-Meter-Turm gesprungen war. Das war schon ein paar Jahre her. Damals hatten ihre Eltern noch hier auf Jorvik gelebt. Sie erinnerte sich noch ganz genau an das kribbelige Gefühl im Bauch und wie sie ängstlich den Atem angehalten hatte. Als sie hoch oben auf dem Turm stand, blieb die Welt stehen, und sie meinte, das Sprungbrett würde unter ihren Füßen nachgeben. Alle Geräusche verstummten, bis nur noch ihr klopfendes Herz zu hören war.

Bum, bum, bum.

Und dann sprang sie. Ein Schwarm Schmetterlinge flatterte durch ihren ganzen Körper. Sie hatte es getan!

Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass ein Soul Rider zu sein so ähnlich war, wie im Schwimmbad auf dem Turm zu stehen und sich zum Sprung überwinden zu müssen. Nur, dass man als Soul Rider damit rechnen musste, immer wieder zu springen, und nie sicher sein konnte, ob einen unten tatsächlich Wasser erwartete.

Alex warf ihr von der Seite einen Blick zu. Hinter den beschlagenen Brillengläsern glühten Lindas Augen vor Zuversicht, und Alex spürte, wie etwas davon auch auf sie abfärbte.

»Okay«, antwortete sie und spornte Tin-Can an. »Auf geht’s!«

4

Es tat gut, solange wie möglich nebeneinanderher zu reiten. Schon bald würde die weite Wiese in einen schmalen Waldweg übergehen, der direkt zum Staudamm führte. Doch erst mussten sie ins Tal hinabreiten, um die Dorfbewohner zu warnen. Sie hatten vor, an so viele Türen wie möglich zu klopfen, in der Hoffnung, dass irgendjemand sie ernst nahm.

Hinter der Wiese, im Schatten der Berge und Bäume entdeckten sie ein kleines, rotes Haus. Auf dem Rasen davor stand ein Trampolin, und auf der Kiesauffahrt parkten zwei Autos. Sie parierten erst zum Trab durch und ritten dann im Schritt auf das Haus zu. Was für ein schöner Ort zum Leben, dachte Lisa. Abgeschieden und friedlich. Ihr Blick schweifte über die Veranda, die bereits für Halloween geschmückt war. Ein Totenschädel aus Plastik tanzte fröhlich im Wind. Sie fröstelte und wünschte sich plötzlich, sie hätte ihre Fleecejacke angezogen. Die Kälte kroch ihr wie Eiswasser unter die Haut. Während sie das idyllische Fleckchen betrachtete, wurde sie sich der harschen Realität umso bewusster.

Wenn der Staudamm brach, würde all das vom Wasser fortgerissen werden. Auch die Menschen, die hier lebten.

Ein kleiner Junge von vielleicht drei Jahren kam mit einem Spielzeugpferd in der Hand aus der Haustür gelaufen. Als er die Mädchen entdeckte, quietschte er vor Freude. Lisa winkte ihm zu. Dann ritt sie vor und begrüßte ihn. »Sind deine Eltern zu Hause?«, fragte sie.

Bevor der kleine Junge antworten konnte, erschien ein Mann in Jeans und TShirt auf der Veranda und lächelte ihnen verhalten zu. Doch als er ihre Gesichter sah, schwand sein Lächeln schnell. Hastig nahm er das Kind auf den Arm, während sein Blick zwischen den vier jungen Reiterinnen hin und her huschte.

»Ist was passiert?«

»Der Staudamm«, riefen die Mädchen wie aus einem Munde. Dann erklärte Linda: »Wir glauben, dass er brechen wird! Bitte, Sie müssen das Dorf verlassen! Sofort!«

Wie angewurzelt verharrte der Mann auf der Veranda, den Jungen auf dem Arm. Einen Augenblick lang starrte er sie ungläubig an, dann sagte er: »Wenn das ein Witz sein soll, dann finde ich ihn nicht lustig.«

»Glauben Sie mir, ich wünschte, es wäre ein Witz«, beschwor Alex ihn. »Aber die Lage ist ernst. Bitte, wir haben keine Zeit für lange Erklärungen, wir müssen das gesamte Gebiet evakuieren. Verlassen Sie sofort Ihr Haus, und warnen Sie Ihre Nachbarn. Bitte!«

Diesmal blieb der Mann stumm. Unsicher wiegte er sich vor und zurück. Indessen begann der Junge zu quengeln, wand sich aus den Armen seines Vaters und ließ sein Plastikpferdchen über das Holzgeländer der Veranda trappeln. Sein Vater schwieg nach wie vor, und sein Blick wanderte von Alex zu Linda, Anne und Lisa, bis er wieder bei Alex angelangt war. Ungeduldig zerrte der kleine Junge an seinem Arm.

»Dad, ins Auto! Schnell! Krikelin mag kein Wasser!« Er fuchtelte mit seinem Spielzeugpferd herum.

»Wir gehen nirgendwohin«, erwiderte sein Vater bestimmt. »Ich setze mich nicht ins Auto, nur weil ein paar dahergelaufene Mädchen auf Pferden es mir sagen.«

Frust und Ärger wallten in Linda auf. Sie schluckte schwer und sagte dann viel ruhiger, als ihr innerlich zumute war: »Ich weiß, wie sich das anhören muss, aber wir meinen es wirklich ernst. Ich hatte Visionen«, fügte sie hinzu. »Ich habe furchtbare Dinge gesehen.« Vor ihrem inneren Auge sah sie, wie das Spielzeugpferd von einer riesigen Welle mitgerissen wurde. Und eine kleine, pummelige Kinderhand, die Hilfe suchend in den Fluten um sich schlug und dann schrecklich starr wurde. Sie blinzelte heftig.

»Wenn das, was wir befürchten, wirklich passiert …«

Sie wartete, bis der Mann sie wieder ansah.

»Wenn das, was wir befürchten, wirklich passiert«, wiederholte sie genauso ruhig und fest wie zuvor. »Dann sind Sie in großer Gefahr. Bitte, verlassen Sie das Tal! Tun Sie es für Ihren Sohn. Sie müssen doch schon mit eigenen Augen gesehen haben, wie hoch der Fluss gestiegen ist.«

»Haltet meinen Sohn aus euren Späßen raus«, entgegnete er schroff. »Der Pegel steigt und fällt mit dem Regen, das ist völlig normal. Ich lebe schon mein ganzes Leben lang an diesem Fluss und weiß, wovon ich rede. Ganz im Gegensatz zu euch.«

Alex spürte ihren Anhänger, den sie stets an einer Kette trug und der die Form eines Blitzes hatte, wie Feuer in ihrer Halsbeuge brennen. In den Taschen ballte sie die Hände zu Fäusten. Tausend Antworten, die sie dem Mann am liebsten an den Kopf geschmissen hätte, lagen ihr auf der Zunge. Wütende Beschimpfungen. Doch Linda warf ihr einen warnenden Blick zu.

Liefere ihm jetzt bloß keine Munition, besagte ihr Blick. Er denkt eh schon, wir sind verrückt.

Alex biss sich auf die Zunge, doch der Blitzanhänger brannte weiterhin heiß auf ihrer Haut. Wütend funkelte sie den Mann an, in der Hoffnung, dadurch aus Versehen einen Mini-Blitz auszulösen, der ihm eine Lehre wäre. Doch er lachte nur. Er lachte ihr direkt ins Gesicht.

»Sie denken also, wir sind den weiten Weg hierhergeritten, um uns einen Spaß mit Ihnen zu machen?!«, fauchte Alex, die sich nicht länger zurückhalten konnte. »Glauben Sie, wir haben nichts Besseres zu tun? Hören Sie auf uns! Der Staudamm wird brechen, und wenn das passiert, … dann wollen Sie nicht hier sein, das können Sie mir glauben.«

Der Mann hatte aufgehört zu lachen. Stattdessen kehrte er ihnen den Rücken zu und ging auf seine halb geöffnete Haustür zu.

»Ich bitte euch jetzt, zu gehen«, sagte er. »Seht ihr nicht, dass ihr meinem Sohn Angst einjagt? Kommt gerne an Halloween wieder. Dann könnt ihr euch zwischen Süßem oder Saurem entscheiden. Ich glaube, ich weiß schon, was ihr nehmt.«

Alex hob zu einer Antwort an, doch Anne schüttelte den Kopf.

»Es hat keinen Sinn, Alex. Wir haben getan, was wir konnten. Lass uns schnell weiterreiten und versuchen, den Damm zu richten. Noch ist nicht alles verloren.«

»Aber wir müssen die anderen im Dorf warnen!«, protestierte Alex, fing dann aber Annes Blick auf und schluckte. Sie hatte verstanden. Niemand würde vier jungen Mädchen glauben, und ihnen fehlte die Zeit, mit den Leuten zu diskutieren. Sie mussten auf der Stelle zum Staudamm, bevor es zu spät war.

Als sie weiterritten, hob der kleine Junge zum Abschied sein Spielzeugpferd in die Höhe. Für einen kurzen Moment sah Lisa ihm in die Augen und hatte das Gefühl, sich selbst in ihm zu erkennen. Ein kleines Mädchen mit wild abstehenden, roten Haaren, dessen kleine, klebrige Hand ein glänzend weißes Spielzeugpferdchen umklammert hielt.

Wenn die Erwachsenen sie fragten, wie das Pferd denn hieß, zuckte sie nur mit den Schultern. Damals hatte sie es nicht sagen können. Doch inzwischen wusste sie, dass sein Name Starshine war.

Lisa wandte den Blick ab und folgte ihren Freundinnen. Sie wollte gerade in einen Trab fallen, als hinter ihr ein Ruf ertönte.

»Wartet!« Es war der kleine Junge, der von der Veranda in den Garten gestürzt kam. Das Pferdchen fest in der Hand, rannte er hinter ihnen her. »Krikelin kann nicht schwimmen«, sagte er mit großen Augen. »Er ertrinkt.«

Lisa sah ihm direkt in die Augen und hoffte, dass er ihre Tränen nicht entdeckte.

»Krikelin wird nicht ertrinken«, antwortete sie mit fester Stimme. »Wir werden verhindern, dass die bösen Dinge passieren. Wir tun alles, was wir können. Versprochen.«

Es tat weh, zu sehen, wie sich die Miene des Kleinen aufhellte. Man macht keine Versprechungen, die man nicht halten kann, dachte sie. Nur zu gut erinnerte sie sich an die vielen Male, als Erwachsene ihr gesagt hatten, alles würde gut werden, und am Ende war es doch anders gekommen. Lisa wusste, wie es sich anfühlte, leere Versprechungen zu erhalten. Trotzdem perlten ihr die falschen, tröstenden Worte leicht wie Wasser über die Lippen.

»Heiliges Ehrenwort«, sagte sie. »Hab keine Angst.«

Alex sah Lisa kopfschüttelnd an. Ihre goldbraunen Augen, die Lisa immer an die Karamellbonbons erinnerten, die sie früher im Süßigkeitenladen gekauft hatte, wirkten beinahe schwarz unter den immer dunkler werdenden Wolken. Lisa warf dem Jungen einen letzten Blick zu. Dann schnalzte sie und trabte auf Starshine davon.

Bald schon befanden sich die Mädchen mit klopfenden Herzen auf ihrer letzten Etappe vor dem Damm. Lisa meinte fast, ihre Brust müsste zerspringen. Ihr Herzschlag war so laut, dass er beinahe das Rauschen des Damms übertönte.

Bitte, dachte Lisa und presste die Wange an Starshines Hals. Mach, dass es noch nicht zu spät ist.

5

Im Schritt mühten sie sich langsam den schmalen, gewundenen Pfad hinauf. Jeder Schritt auf dem steinigen, unebenen Gelände war ein Kraftakt für die Pferde. Nach dem langen Ritt dampften ihre Körper in der kühlen Bergluft. Von hier oben sahen die Gebäude im Dorf winzig klein aus, wie Legosteine. Als Linda sich umdrehte und das rot-weiße Haus suchte, an dem sie zuvor haltgemacht hatten, wurde ihr Blick trüb. Sie blinzelte und versuchte angestrengt zu erkennen, ob immer noch beide Autos in der Auffahrt standen, doch sie war einfach zu weit entfernt.

Lindas Visionen waren nun entsetzlich klar. Sie hatte kaum Zeit, Luft zu holen, bevor schon das nächste schreckliche Bild in ihrem Kopf aufflackerte, wie ein Film, der abbricht, bevor er überhaupt angefangen hat. Ihr war, als hielten kalte, feuchte Hände ihre Gedanken umklammert.

Inzwischen hatten die Menschen Gesichter. Sie wusste jetzt, zu wem die kleine Hand gehörte. Sie hatte gesehen, wer im dunklen, tosenden Wasser verschwinden würde, wenn der Damm brach.

Sie hörte sein Weinen und seine Schreie. »Krikelin kann nicht schwimmen!«

Hilflos musste sie mit ansehen, wie der Damm brach und alles von den Wassermassen davongespült wurde.

Eine Grillschürze mit der Aufschrift »Weltbester Dad«.

Eine grinsende Kürbislaterne, die in tausend Stücke zersprang, als das braune Wasser die Veranda flutete. Das Skelett, das seinen Todestanz in den Fluten fortführte.

Eine große Hand, die nach dem kleinen, leblosen Körper griff.

Nicht enden wollende Tränen.

All der Schutt und die Trümmer, die bis vor Kurzem noch voller Leben gewesen waren.

Nein. Nein. So weit durfte es nicht kommen! Linda umklammerte den Sattel, bis ihre Fingerknöchel weiß hervortraten, und zwang sich, an etwas anderes zu denken. Schließlich gelang es ihr, die Visionen zum Schweigen zu bringen. Mit einem leichten Lächeln entdeckte sie ganz schwach den silbrigen Schimmer der Mondsichel am dunkelgrauen Himmel. Nur für einen Moment – so schnell sie gekommen war, so schnell war sie auch wieder verschwunden. Doch allein die Gewissheit, dass sich der Mond irgendwo dort hinter den Wolken versteckte, beruhigte ihren Puls. Sie richtete sich im Sattel auf und hoffte, dass die letzte Etappe ihres Rittes nicht allzu schwierig werden würde. Die Pferde waren müde. Doch was blieb ihnen anderes übrig, als weiterzureiten? Sie durften jetzt nicht anhalten.

Und so ritten sie weiter. Je höher die Pferde sie trugen, desto mühsamer wurde das Vorankommen. Gesäumt von hohen Kiefern und moosbewachsenen Felsen schlängelte sich der Pfad durch tückische Biegungen und Windungen. Hin und wieder mussten sie durch immer größere und tiefere Pfützen waten, je schmaler und steiler der Pfad wurde. Ungehalten pflügte Concorde mit den Hufen durch das Wasser, sodass es nur so aus den Pfützen schwappte.

Alarmiert sah Anne zu Boden, auf der Suche nach Fußspuren im schlammigen Untergrund. Irgendein Zeichen, dass jemand vor ihnen hier gewesen war. Nichts. Hier schien schon lange niemand mehr entlanggeritten zu sein.

Der Wasserfall am Staudamm war inzwischen so laut, dass ihnen die Ohren rauschten.

»Hört ihr das?«, schrie Anne über das tosende Wasser hinweg. »Weit kann es nicht mehr sein!«

»Wie könnten wir das NICHT hören?«, schrie Lisa zurück und kniff die Augen zusammen. Oben auf dem Berg entdeckte sie ein großes, silbrig glänzendes Gebilde zwischen den Kiefern und den hohen Steinhaufen.

Der Lärm des Wassers jagte ihr Angst ein. Konnte es wirklich so laut sein? Was, wenn … sich ihre schlimmsten Befürchtungen schon bewahrheitet hatten? Sie schluckte und versuchte, die Gedanken, kalt und glatt wie die Steine unter Starshines Hufen, die verzweifelt um Halt kämpften, abzuschütteln.

Jetzt bloß keine Panik schieben, dachte sie. Bald werden wir es mit eigenen Augen sehen.

Das letzte Stück des Weges legten sie überwiegend schweigend zurück. Das ohrenbetäubende Rauschen des Wassers schluckte ohnehin alle anderen Geräusche und erschwerte ihnen das Reden. Doch ihre Gedanken rasten. Einige waren glasklar und logisch, andere so verschwommen, dass keine Worte sie auszudrücken vermochten.

Anne streckte sich. Nach den vielen Stunden im Sattel waren ihre Beine und Bauchmuskeln vollkommen steif. Ihre Augen tränten vom beißenden Wind. Nun, da sie ihr Ziel fast erreicht hatten, wagte sie es, ihrer Nervosität freien Lauf zu lassen, was überraschend guttat. Auf eine gewisse Art beruhigte es sie, sich einzugestehen, wie schwer ihr die ganze Unternehmung fiel.