Starting Something New - April Dawson - E-Book

Starting Something New E-Book

April Dawson

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Beschreibung

Sie kann sich nicht erinnern. Doch er konnte sie nie vergessen ...

An Daphne Valentis erstem Arbeitstag als Juristin bei START Entertainment geht alles schief. Statt Fälle zu bearbeiten, soll sie die Babysitterin von Aspen Knox spielen! Der attraktive Schauspieler will einen Neuanfang und nicht länger als The Hot Villain bekannt sein. Daphne soll ihn für seine kommende Hauptrolle als Anwalt in einem Liebesfilm beraten - und vor allem dafür sorgen, dass Aspen in keinen weiteren Skandal verwickelt wird. Vom ersten Augenblick an geraten sie immer wieder aneinander, wobei Aspens türkisgrüne Augen ein seltsam vertrautes Gefühl in Daphne auslösen. Und als ein Geheimnis aus der Vergangenheit ans Licht kommt, ändert sich alles ...

»Witzig und klug, sanft und romantisch: April Dawson beweist auch mit dem feinfühligen Auftakt ihrer neuen Trilogie, dass sie aus der New-Adult-Romance-Welt nicht mehr wegzudenken ist.« LAURA LABAS

Band 1 der neuen Reihe von April Dawson

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Seitenzahl: 503

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INHALT

Titel

Zu diesem Buch

Leser:innenhinweis

Widmung

Playlist

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von April Dawson bei LYX

Impressum

APRIL DAWSON

Starting Something New

Roman

ZU DIESEM BUCH

Nachdem Daphne Valentis Ex-Freund das Gerücht in die Welt gesetzt hat, sie hätte gefälschte Beweise verwendet, ist ihre Karriere als Juristin beinahe ruiniert. Zum Glück schafft sie es, eine Stelle bei START Entertainment zu ergattern. Leider kennt Daphnes neuer Boss ihre Vergangenheit, und obwohl sie unschuldig ist, behandelt er sie herablassend und lässt sie Kaffee kochen, statt juristische Fälle zu bearbeiten – und als wäre das nicht schon genug, soll sie auch noch die Babysitterin von Aspen Knox spielen! Der attraktive Schauspieler will einen Neuanfang und nicht länger als The Hot Villain der Filmbranche bekannt sein. Daphne soll ihn für seine kommende Hauptrolle als Anwalt in einem Liebesfilm beraten und vor allem dafür sorgen, dass Aspen in keinen weiteren Skandal verwickelt wird. Vom ersten Augenblick an geraten die beiden immer wieder aneinander, wobei Aspens türkisgrüne Augen unbegreifliche und seltsam vertraute Gefühle in Daphne auslösen. Doch gerade als nicht mehr nur die Fetzen, sondern auch die Funken zwischen ihnen fliegen, kommt ein Geheimnis ans Licht, das alles verändert …

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.

Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.

Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!

Wir wünschen uns für euch alle

das bestmögliche Leseerlebnis.

Eure April und euer LYX-Verlag

Für alle, die sich in Aspen verlieben.

PLAYLIST

Taylor Swift – Enchanted

Kevin Oh – Your’re the only one

Charlie Oriain – Getting over you

Luca Fogale – Villains

Halsey – Girl is a Gun

SYML – Where’s My Love (Acoustic)

Joshua Radin and Schuyler Fisk – Paperweight

John K – if we never met

SuperM – Wish You Were Here

Anna Clendening – Boys Like You (Acoustic)

Ruth B. – Lost Boy

Carrie Underwood – Last Name

Alec Benjamin – Different Kind Of Beautiful

Charlie Oriain – Wish I Could

Elina – Sweet Night (Stripped)

1. KAPITEL

Daphne

Ich sauge den Duft von Luxus und Freiheit tief in meine Lungen ein. Nach den letzten Jahren, in denen ich mich nur auf mein Jurastudium fokussiert und kaum etwas anderes getan habe, als zu lernen, wollte ich meinen einundzwanzigsten Geburtstag zu einem unvergesslichen Erlebnis machen. Und zwar in Las Vegas. Meine besten Freundinnen und ich befinden uns im Grand Canal Shoppes, dem Einkaufszentrum, das zum Venetian Hotel & Casino gehört.

Dort befindet sich unsere erste Station an diesem frühen Abend. Die Kamu Ultra Karaokebar. Wo wir auch hinsehen, sind wir von Glamour und Glitzer umgeben, wie schon seit der Ankunft in dieser schillernden Stadt. Man hat dort das Gefühl, selbst ein Promi zu sein – oder steinreich.

»Was immer in Vegas passiert, bleibt in Vegas«, meint meine beste Freundin Monica euphorisch und stupst mich mit der Hüfte an, sodass ich fast ins Straucheln komme. Es ist definitiv eine Weile her, seitdem ich High Heels anhatte, aber ich finde, ich halte mich wacker.

»Das klingt ja so, als hättest du vor, einen Fremden zu heiraten«, meint Britney und kann das Lachen kaum zurückhalten. Ich beginne zu kichern, denn das wäre wohl das Schlimmste, was eine von uns tun könnte.

»Keine Sorge, Brit. Wir werden artig sein, sodass du nicht einschreiten musst.« Monica zwinkert ihr zu, denn Britney war immer schon die Erwachsene und Ruhige von uns. Diejenige, die aufpasst, dass wir nicht über die Stränge schlagen, und die uns nicht von unserem Weg abkommen lässt.

»Oh mein Gott, das doch nicht. Niemand würde das tun. Außer Britney Spears vielleicht.«

»Lass meine Namensvetterin in Frieden!«, droht Brit, denn sie teilt sich nicht nur den Vornamen mit der Pop-Ikone, sondern ist auch mit ihrer Musik aufgewachsen und verteidigt sie wie eine Löwenmutter ihr Junges.

»Würden wir nie wagen«, werfe ich ein und hake mich bei ihr unter.

»Nichtsdestotrotz werden Daphne und ich heute einen draufmachen. Es ist ihr Geburtstag, und den werden wir gebührend feiern.«

»Aber bitte ohne einen Filmriss«, meint Britney warnend, da ich schon häufiger bei Partys zu viel getrunken habe und mich am nächsten Morgen kaum noch an etwas erinnern konnte. Anfangs hatten meine Freundinnen die Befürchtung, dass mir K.-o.-Tropfen in den Drink geschüttet worden sein könnten, doch ich war nicht weggetreten, sondern meine Erinnerung wird ganz einfach lückenhaft, sobald ich einen gewissen Alkoholspiegel erreiche.

»Keine Filmrisse und keine Hochzeit mit Fremden. Die Regeln stehen fest, aber nun ist es Zeit, endlich die Party steigen zu lassen!« Und um ihre Worte zu bekräftigen, legt Monica einen Arm um mich und wackelt mit den Brauen. Jetzt ist es zu spät für einen Rückzieher, denn schließlich war es meine Idee, hierherzukommen.

Mein Ziel ist es, das Jurastudium mit Auszeichnung abzuschließen, Teil einer großen Kanzlei zu sein und Menschen vor Gericht zu verteidigen. Allerdings hält mich mein Traum auf Trab, denn sich mit Latein, Paragrafen und Gesetzen zu beschäftigen stellt eine große Herausforderung für mich dar. Je härter das Studium wurde, desto mehr habe ich mich angestrengt. Ich habe mich tagelang im Wohnheim verschanzt, um ununterbrochen zu lernen.

Wenn mich Britney und Monica nicht hin und wieder dazu überredet hätten auszugehen, hätte ich wohl in meinem Zimmer oder der Unibibliothek Wurzeln geschlagen, ohne das Nachtleben als Studentin kennenzulernen. Nach zwei Jahren im selben Trott wollte ich raus aus dem Kokon, in den ich mich gehüllt hatte, und rein ins Abenteuer, bis mein Lernmarathon weitergeht.

»Heute werden wir feiern, wie wir es noch nie getan haben«, sage ich zustimmend und schenke Monica ein strahlendes Lächeln, das tief aus meinem Inneren kommt. Sie erwidert es mit der gleichen Euphorie und Vorfreude. Ihre schwarzen, gelockten Haare hat sie zu einem hohen Dutt frisiert, und sie trägt wie ich ein Britney-Walsh-Original: eingelbes Kleid, auf dem gestickte grüne, elegante Pflanzen zu sehen sind, die perfekt zu Monica passen.

Für diese Reise hat Brit die Outfits designt und genäht. Um dem Ganzen noch einen besonderen Hauch zu verleihen, hat unsere talentierte Nachwuchsdesignerin unsere Initialen in den Saum gestickt – sie sind zwar für andere nicht sichtbar, bedeuten uns jedoch viel. Diese zwei Tage in Las Vegas sollen unvergesslich werden, damit ich von diesem Wochenende zehren kann, wenn ich wieder durchgehend mit meinem Studium beschäftigt sein werde.

»Ihr werdet euch die Birne wegtrinken, oder wie soll ich das verstehen?«, will Britney wissen und stopft das Smartphone in ihre Tasche, nachdem sie ein Selfie von uns gemacht hat.

»Nein, das nicht. Wir hören auf, bevor wir nicht mehr Herrinnen unserer Sinne sind.« Meine Worte scheinen sie zu beruhigen.

»Das wollte ich hören.« Britney wirkt zufrieden und nickt, als sie mit dem Finger auf unser Ziel deutet. Ich habe recherchiert und uns die Karaokebar mit den besten Rezensionen rausgesucht. Hier beginnt unsere Partynacht. Die Location wird für den guten Service und das hervorragende Essen gelobt, was mir sehr wichtig war, da ich leckeres Essen genießen möchte, bevor wir zu den alkoholischen Getränken greifen. Wir werden in ein Séparée gebracht, wo wir uns ohne Scheu die Seele aus dem Leib singen und schlemmen können.

Satt und vollends zufrieden bestelle ich uns eine Flasche Ketel One Wodka, den wir mit Softdrinks mixen und mit dem wir endlich auf meinen Geburtstag anstoßen können.

»Nicht zu fassen, dass wir hier sind«, sage ich und blicke auf die mit Graffitis beschmierten, bunten Wände des Karaokeraums. In dem nur schwach beleuchteten Raum glühen sie wie Neonlichter. Meine Aufregung lässt mich leicht auf der weich gepolsterten Sitzecke auf und ab hüpfen. »Das hier war auf jeden Fall eine deiner besten Ideen«, meint Monica und stellt ihr Glas auf dem Tisch ab.

»Haltet euch das vor Augen, wenn ihr euch mal wieder beschwert, dass ich nur im Zimmer hocke und lerne, ja?«

»Nur eine Nacht soll ausgleichen, dass du uns zu oft allein losziehen lässt?«, fragt Monica und verschränkt die Arme vor der Brust.

»Ja, so was in der Art«, sage ich und stimme in das Lachen meiner Freundinnen ein, denn diese Nacht wird nichts ändern. Wir planen, unvergessliche Erinnerungen zu schaffen, doch sobald ich wieder Uniluft schnuppere, werde ich hart arbeiten, um meine Ziele zu erreichen. Monica wird weiterhin am Broadway singen und ihre Karriere vorantreiben, und Britney wird an der Parsons School for Design studieren und ihren Abschluss in Modedesign machen.

»Genug jetzt, ihr zwei. Lasst uns nachsehen, welche Songs zur Auswahl stehen«, wirft Britney ein und scrollt durch die Liste am Display. Während Brit einen Song von Madonna wählt, bleibt Monica ihrer Schiene treu und entscheidet sich für einen Musical-Song aus Hairspray, während ich mir Lady Gagas Poker Face aussuche.

»Eigentlich total unfair, dass wir gegen eine Broadway-Sängerin bestehen müssen«, sage ich traurig, denn Britneys und mein Gesang ist eine Zumutung, während Monica zu Recht dauerhaft für Musicals gebucht wird. Ihrer kräftigen Stimme zu lauschen verschafft mir jedes Mal eine Gänsehaut, weil sie jeden Song mit solch einer Leidenschaft darbietet, dass niemand daran zweifeln würde, dass sie dazu bestimmt ist, auf der Bühne zu stehen.

»Hier geht es nicht um besser oder schlechter, sondern um den Spaß. Niemand muss den anderen übertreffen.«

»Du hast leicht reden, denn du klingst kraftvoll und schön, wir wirken eher wie jaulende Hunde«, stellt Britney klar, und ich nicke zustimmend. Es ist wirklich kein Genuss, uns zuzuhören.

»Aber süße Hunde. Ihr seid meine Welpen, also stellt euch nicht an. Cheers.« Wir stoßen miteinander an und trinken, singen und jubeln, bis die Flasche geleert ist. Ich fühle mich leichtfüßig, aber nicht betrunken, genau wie ich es beabsichtigt habe. Das ändert sich jedoch schnell, als ich feststelle, dass Monica eine weitere Flasche ordert.

»Wenn das so weitergeht, kommen wir hier gar nicht weg«, sagt Britney, denn der Plan sieht vor, dass wir nach dem Karaoke einen Spaziergang und dann eine Bar-Tour machen, um anschließend mit der Monorail in die Innenstadt zu fahren und dort bis in die Morgenstunden in einem Club zu tanzen.

»Keine Sorge, es ist nur ein leichter Rosé, passend zur Käseplatte«, meint Monica, als wäre Wein kein Alkohol.

»Wie kannst du Hunger haben? Ich bin noch immer pappsatt«, sage ich und lege mir die Hand auf den Bauch.

»Ach, wir sollten uns ordentlich stärken. Die Nacht ist noch jung«, meint unser Broadway-Star und stimmt einen neuen Song an.

»Wie du meinst«, sage ich, doch das hört sie gar nicht mehr, denn sie legt sich ins Zeug, als würde sie vor Hunderten von Menschen performen.

Nach der Karaokebar gehen wir zu Fuß zu unserer nächsten Station, dem Caesars Palace. Dort möchten wir uns vor einem der berühmten Brunnen fotografieren, zu denen auch der Trevi-Zierbrunnen gehört. Griechische Gottheiten, Musen, Engel, Nymphen und Tiere wurden in Stein gehauen und verleihen diesem Ort einen mystischen Hauch, den ich unbedingt mit der Kamera einfangen möchte. Ich hole mein Smartphone heraus und versehe das entsprechende Quadrat auf meiner To-do-Liste mit einem Häkchen.

Monica schielt über meine Schulter, und als ich den Kopf drehe, um sie anzusehen, rollt sie amüsiert mit den Augen.

»Nicht zu fassen, dass du sogar die Partyreise nach Vegas akribisch geplant hast«, beschwert sich Britney und lallt dabei ein wenig. Der Wodka und der Wein haben uns beschwipst gemacht, doch die Bewegung an der frischen Luft tut uns allen gut. Ich wende mich meinen Freundinnen zu und streiche mir das Kleid glatt.

Auf mein Outfit bin ich heute besonders stolz. Britney hat mir ein ärmelloses weißes Kleid genäht, das vorne hochgeschlossen ist, aber eine Aussparung am Rücken hat. Es reicht mir bis kurz über die Knie und hat an der Seite einen Schlitz, der etwas von meinem Oberschenkel offenbart und doch nicht zu viel zeigt. Dieser Traum in Weiß legt sich über meinen schlanken Körper wie eine zweite Haut.

»Ich will, dass wir unsere einzige Nacht in Las Vegas voll auskosten.«

»Das werden wir, nur finde ich, dass wir spontan losziehen sollten. Aber es ist dein Geburtstag, also darfst du alles tun, was du möchtest«, sagt Monica und lehnt sich gegen den Brunnen, woraufhin ich sofort meine Smartphone-Kamera aktiviere und ein Foto von ihr mache. Ich liebe diese spontanen Schnappschüsse, die natürlich sind und nicht gestellt wirken.

»Solange es sich um nichts Illegales handelt«, fügt Britney hinzu und sieht auf ihr Smartphone, um eine Nachricht zu lesen. Ihre Haare bilden einen Vorhang, sodass ich ihr Gesicht gar nicht sehen kann. Wieder hat sie ihre Mähne gefärbt, diesmal in einem hellen Steingrau – von ihrer Naturhaarfarbe, Haselnussbraun, ist nichts mehr zu sehen.

»Keine Sorge. So, stell dich zu Monica, ich will euch fotografieren.« Ich mache einige Bilder von ihnen, dann wechseln wir uns ab und bitten sogar eine Touristin, auch einige Fotos von uns dreien zu machen.

»Los, lasst uns weitergehen. Ich werde langsam nüchtern, und das wollen wir doch nicht.« Monicas Humor bringt sogar einige Passantinnen zum Schmunzeln, die uns belustigt ansehen.

»Wartet, ich setze mich noch schnell an den Brunnen und mache ein letztes Selfie«, sage ich, reiche Britney meine Handtasche, setze mich an die Kante und lehne mich etwas zurück, damit ich die Skulpturen auch gut einfangen kann. Bevor ich jedoch auf den Auslöser drücken kann, gleitet mir das Smartphone aus der Hand und fällt in den Brunnen.

»Nein!«, rufe ich aus und will reingreifen, um es rauszufischen, doch jemand kommt mir zuvor, taucht seinen tätowierten Arm hinein und bekommt es zu fassen.

»Oh«, sage ich gedämpft, weil ich vor Schreck meinen Mund mit der Hand bedecke. Ich sehe schokoladenbraune Haare, breite Schultern und dann in türkisfarbene Augen. Der Mann vor mir schenkt mir ein schiefes Lächeln und scheint sich nicht an der Tatsache zu stören, dass sein T-Shirt-Ärmel wegen mir nass geworden ist. Er hält mir das tropfende Smartphone entgegen, doch ich kann ihn nur geschockt ansehen, weil diese Situation mich ziemlich überfordert. Da ich keine Anstalten mache, mich zu bewegen, greift Britney danach und bedankt sich, während ich kein Wort rausbringen kann.

»Danke«, hauche ich schließlich und blinzle, um aus diesem Zustand aufzuwachen, den ich nicht mal benennen kann. Das Türkis hält mich immer noch gefangen. Wer ist das?

»Gern geschehen.« Seine tiefe Stimme beschert mir eine Gänsehaut, und mein Herz klopft schneller.

»Für mein Handy«, sage ich noch dümmlich, doch er presst die Lippen zusammen, wohl um ein Lächeln zu unterdrücken. Ich verfluche mich selbst dafür, zu viel getrunken zu haben, denn nur das ist der Grund, wieso ich mich so seltsam verhalte. Oder?

»Dein Ärmel ist nass«, flüstere ich, als ich meine Augen endlich von seinen lösen kann, und sehe Wasser auf den Steinboden tropfen.

»Ach, das trocknet wieder.« Schließlich gleitet mein Blick zu seinem T-Shirt-Ärmel, an dessen Rand sich ein Tattoo abzeichnet. Ich erkenne Dornenranken, zwinge mich dann aber, mich wieder auf sein Shirt zu konzentrieren.

»Lass mich für die Reinigung bezahlen«, sage ich leise und will mein Smartphone zücken, um mir seine Kontodaten zu notieren, doch das hat ja vorhin Britney entgegengenommen. Außerdem wird es nach der Volldusche wohl auch nicht mehr funktionieren.

»Das ist nicht nötig.« Seine Miene ist neugierig, wirkt beinahe fasziniert, auch wenn der Alkohol meinen Eindruck trüben könnte.

»Aber ich bin dir was schuldig.« Mein Dad sagt immer, dass man ein ehrliches Leben führen und Gutes mit Gutem entlohnen soll.

Der attraktive Fremde neigt sich etwas vor, ohne in meine Komfortzone einzudringen, aber genug, um mich die Luft anhalten zu lassen. Nie hat mich ein Mann mehr fasziniert, und das liegt nicht nur an seinem guten Aussehen. Vielmehr sind es seine Augen und die ruhige und doch intensive Ausstrahlung, die mich völlig einnimmt.

»Wenn du auf dich aufpasst, sind wir quitt.« Sein Mundwinkel hebt sich, und ich weiß gar nicht, ob ich nach Luft schnappen oder den Atem anhalten sollte.

»Das schaffe ich, denke ich«, flüstere ich, bringe trotz meiner Verlegenheit ein Lächeln zustande und fühle, wie meine Wangen heiß werden. Das war wohl die peinlichste und vielleicht einnehmendste erste Begegnung, die ich je hatte. Er nickt meinen Freundinnen freundlich zu, dreht sich um und geht seiner Wege. Ich blicke ihm nach, bis Britney und Monica plötzlich zu kreischen beginnen und mich endlich wieder ins Hier und Jetzt zurückholen.

»Wow. Was war das denn?«, meint Monica und fächelt sich Luft zu.

»Mein Handy ist in den Brunnen gefallen. Ist es kaputt?«, frage ich Britney und gehe auf sie zu, doch sie hält es in die Höhe, sodass ich es nicht greifen kann.

»Wen interessiert das Smartphone? Was war mit diesem Hottie gerade?«, fragt nun auch Brit und sieht mich fragend an. Wenn ich das wüsste, würde ich es ihnen sagen, aber Worte sind völlig überflüssig, denn sie haben gesehen, dass er mich wie ein Magnet angezogen hat, obwohl ich meist eine Weile brauche, um mit Männern warm zu werden.

»Nichts.«

»Was heißt da nichts. Das Knistern zwischen euch hat fast einen Flächenbrand ausgelöst.« Monicas Übertreibung lässt mich die Augen verdrehen.

»Ja, es war ein eher außergewöhnliches erstes Aufeinandertreffen mit einem attraktiven Mann, aber es hatte nichts zu bedeuten. Wir haben uns weder einander vorgestellt noch Nummern ausgetauscht, was heißt, dass ich diesen Mann nie wiedersehen werde«, sage ich sachlich. Als angehende Anwältin bleibe ich Realistin und schenke nur Taten oder Fakten Glauben.

»Schade. Dieser Typ hatte Potenzial, dein neuer Freund zu werden.«

»Du kennst ihn nicht mal. Wie kannst du solche Dinge behaupten?« Nur weil er gut aussieht, heißt das noch lange nicht, dass er ein guter Mensch ist. Ich lasse mich nicht so leicht blenden, was vielleicht auch der Grund ist, wieso ich bis jetzt nur eine ernsthafte Beziehung hatte. Es gab einige Männer, die viele Versprechungen gemacht, diese aber nicht eingehalten haben. Ein Mann muss mir mit Worten und Taten zeigen, dass er mehr zu bieten hat als ein hübsches Gesicht.

»Gib’s zu, du wärst nicht abgeneigt.«

»Das tue ich ganz und gar nicht, ähm …« Es fällt mir schwer, die richtigen Worte zu finden. Britney merkt, dass ich das Thema fallen lassen will, und reicht mir das Handy.

»Mist«, sage ich, als es sich nicht mehr einschalten lässt – wie befürchtet ist es nicht mehr funktionsfähig.

»Das war hoffentlich die letzte unangenehme Überraschung dieses Abends«, sage ich traurig, auch wenn die Begegnung vorhin sehr interessant war. Wir ziehen unser geplantes Programm durch, gehen in eine Bar und bestellen Cocktails. Klebrig-süße Drinks waren schon immer eine meiner Schwächen. Ich liebe es, wenn man den Alkohol wegen des vielen Zuckers nicht schmeckt, was es aber auch schwer macht, sich zurückzuhalten und den Überblick über die Menge, die man konsumiert, zu behalten. Die Sache mit dem Smartphone ärgert mich zwar nach wie vor, doch ich lasse mir meinen Geburtstag nicht durch meine Tollpatschigkeit vermiesen. Es hat aber auch etwas Gutes, dass ich meine To-do-Liste nicht mehr aufrufen kann, denn so lassen wir uns einfach treiben.

Je länger wir unterwegs sind, desto berauschter werde ich vom Alkohol und von der Euphorie, die uns alle umgibt. Auch wenn ich die Liste nicht mehr ganz im Kopf habe, weiß ich, dass ich mit der Monorail in die Innenstadt fahren wollte, um die Gegend weiter zu erkunden. Also scheuche ich die Mädels aus der Bar, die aber nur widerwillig mitgehen. Monica hat gerade drei Runden Gratis-Shots beim Bullenreiten gewonnen, also stürzen wir sie hinunter, um schnell weiterziehen zu können.

»Warum bleiben wir nicht an einem Ort?«, fragt Britney, die sich immer noch gut im Griff hat, während Monica und ich schon Schwierigkeiten mit dem Geradeausgehen haben. Der Alkohol hat sich bei mir völlig entfaltet, sodass ich froh bin, dass Britney ein Auge auf uns hat.

»Wir wollen alles von Vegas auskosten!«, rufe ich und lache über mich selbst. Ein weiteres Zeichen dafür, dass ich definitiv genug getrunken habe.

»Ja, aber du willst dich doch noch an die Nacht erinnern, also solltest du mit dem Alkohol aufpassen«, fügt Monica hinzu und beschleunigt ihre Schritte. Es besteht natürlich das Risiko, dass ich es am Morgen danach wieder mit Erinnerungslücken zu tun bekomme, aber sollte dieser Fall eintreten, können mir die Mädels ja erzählen, was genau passiert ist.

»Ja, ja«, sage ich halbherzig und eile den beiden nach.

Die Haltestelle der Monorail ist bereits in Sichtweite, doch wir sind spät dran. »Kommt schon. Sie fährt gleich ab«, rufe ich und laufe los, was mir trotz meines beschwipsten Zustandes und den ungewohnten Heels gut gelingt. Wir laufen die Stufen hinauf, wo ich langsamer werde und das Schlusslicht bilde. Monica und Britney steigen in die Monorail, und ich will ihnen folgen, doch dann komme ich ins Straucheln und drohe auf den harten Steinboden zu fallen. Ich sehe mich schon mit aufgeschürften Knien auf dem Boden liegen, doch plötzlich spüre ich, wie sich starke Arme um meine Mitte legen und mich hochziehen, bevor ich unsanft landen kann.

Ich pralle gegen etwas Hartes und sehe nur verschwommen, wie die Türen der Monorail sich schließen und meine Freundinnen mit den Fäusten gegen das Fenster schlagen und etwas rufen. Geschockt blicke ich ihnen nach, bis sie aus meinem Sichtfeld verschwinden.

»Hello again«, flüstert eine raue Stimme dicht an meinem Ohr, wobei sich alle Härchen an meinem Körper aufstellen. Erst dann fällt mir wieder ein, dass mich jemand davor bewahrt hat zu fallen. Jemand, der mich immer noch hält. Ich blicke langsam über die Schulter und tauche in die türkisfarbenen Augen ein, die mich heute Nacht schon einmal in ihren Bann gezogen haben.

2. KAPITEL

Daphne

Als ich aufwache, habe ich das Gefühl, als würde jemand mit einem Hammer auf meinen Kopf einschlagen und gleich danach Samba darauf tanzen. Ein ekliger Geschmack in meinem Mund lässt mich das Gesicht verziehen, und ich weiß nicht, wieso, aber ich traue mich nicht, meine Augen zu öffnen. Dann würden sich die Schmerzen verschlimmern, und nach gestern Nacht brauche ich Schlaf und … Moment.

Ich strenge alle meine Gehirnzellen an, die der Alkohol noch nicht zerstört hat, und versuche, mich an die letzten Stunden zu erinnern. Aber egal wie oft ich es versuche, da ist nur Schwärze oder dichter Nebel.

Ich setze mich auf, sodass die Bettdecke von meinem Oberkörper rutscht und viel zu viel Haut freigibt. Ich bin tief in Gedanken versunken und bemerke erst, als ich fröstle, dass ich nur Unterwäsche trage. Mein Blick gleitet an mir runter, und ich keuche erschrocken auf. Mit zittrigen Fingern hebe ich die Decke an und lasse sie danach panisch wieder fallen.

Auch wenn ich keine Ahnung habe, wieso – meine Kleidung ist weg.

»Wieso habe ich nichts an?«, frage ich leise, während ich mich noch immer krampfhaft zu erinnern versuche. Als keine Antwort von Britney oder Monica kommt, sehe ich mich nach meinen besten Freundinnen um. Wir haben ein Hotelzimmer für drei Personen gebucht, doch als ich den Blick schweifen lasse, stelle ich erschrocken fest, dass ich gar nicht in unserem Zimmer bin. Fast panisch schlinge ich die Bettdecke um meinen Körper und stehe auf.

Wieder ein erschrockenes Keuchen, als ich einen breiten Männerrücken entdecke, auf den ich fast getreten wäre. Der Fremde drückt das Gesicht ins Kissen, das er mit den Armen umschlingt, und ich sehe nur schokoladenfarbene Haare. Anders als ich trägt er ein T-Shirt, und anhand des Beines, das unter der Decke hervorlugt, erkenne ich, dass er Jeans trägt. Herrin meiner Sinne zu werden erweist sich als schwieriger als gedacht, denn ich werde mit heftigen Kopfschmerzen für meine schnelle Bewegung bestraft. Das kann doch nicht wahr sein!

Bitte lass das ein Traum sein!

Es muss sich um einen Albtraum handeln!

»Oh mein Gott«, forme ich wortlos mit den Lippen, denn das Letzte, was ich möchte, ist, dass dieser Mann aufwacht. Panik breitet sich in mir aus, weil ich mich in dieser verzwickten Lage befinde und sich die schlimmsten Szenarien in meinem Kopf formen. Meine Atmung beschleunigt sich, und die Wände des Raums beginnen sich auf mich zuzubewegen. Halt!Stopp! Ich bin niemand, der den Emotionen die Kontrolle überlässt, ohne die Fakten durchzugehen. Neben dem Mann stehend schließe ich die Augen und gehe noch mal die Dinge durch, die ich noch weiß. Alles, woran ich mich erinnern kann, ist, dass die Mädels in die Monorail gestiegen sind, während mich ein Mann davor bewahrt hat zu stürzen. Angestrengt versuche ich mich an sein Gesicht zu erinnern, an irgendeinen Moment, den wir miteinander geteilt hätten.Türkis. Diese Farbe legt sich wie ein leuchtender Nebel über meine Erinnerungen, sodass ich mich nur auf das Hier und Jetzt stützen kann.

Ich bin zwar halbnackt, doch der Geruch von Erbrochenem, der noch an mir haftet, sowie der eklige Geschmack in meinem Mund lassen mich daran zweifeln, dass es zu Körperkontakt mit diesem Mann gekommen ist. Außerdem ist er vollständig bekleidet, sodass sich die Panik in mir langsam legt.

Vielleicht habe ich mit diesem Mann nicht geschlafen, aber nicht zu wissen, wer er ist oder wie es uns in sein Hotelzimmer verschlagen hat, ist ein furchtbares Gefühl, das ich unbedingt abschütteln möchte. Wie gern würde ich meinen Fehler ungeschehen machen. Der angenehm männliche Duft eines Aftershaves liegt in der Luft und überdeckt meinen fragwürdigen Eigengeruch.

Auf dem Boden sehe ich einen offenen Koffer, in dem sich Männerklamotten befinden, außerdem Sneaker und eine Lederjacke, doch meine eigene Kleidung finde ich nicht. Ich gehe langsam ins Badezimmer, wobei ich immer wieder zu dem Mann sehe, der sein Kissen so fest umarmt wie ein Kind seinen Teddybären. Sein Gesicht ist immer noch verdeckt.

Ich vermeide einen Blick in den Spiegel, da ich schon ahne, dass ich aussehe, wie ich mich fühle, und suche angestrengt nach meinem Kleid, doch auch hier finde ich es nicht. Wieder im Zimmer suche ich jeden Winkel ab, doch Fehlanzeige.

Ich schüttle seufzend den Kopf, sehe auf den Schreibtisch, der sich neben dem Fenster befindet. Eine Karte des Hotels erregt meine Aufmerksamkeit und kommt mir seltsamerweise bekannt vor. Nachdem ich sie mir näher angesehen habe, atme ich erleichtert aus, denn ich befinde mich im selben Hotel, in dem auch meine Freundinnen und ich ein Zimmer gebucht haben. Es ist ein merkwürdiger Zufall, aber einer, der mich unglaublich glücklich macht.

Ich befinde mich in Zimmer zweihunderteins, das kleiner ist als das, das wir bewohnen, aber bei einem genaueren Blick ähneln sie sich. Die cremefarbenen Wände, die dunklen Möbel, die in allen Zimmern gleich zu sein scheinen, und die schweren Vorhänge mit eingenähten dunklen Ornamenten. Es ist die erste erfreuliche Wendung dieses Morgens, der so fürchterlich angefangen hat. Nachdem ich weiß, wo ich mich befinde, greife ich nach meiner Handtasche und krame nach meiner Schlüsselkarte, ohne den Griff der anderen Hand von der Bettdecke zu lösen.

Ein Brummen lässt mich erstarren, das Rascheln der Bettdecke ist zu hören, und ich reiße erschrocken den Kopf herum und betrachte den Mann, der sich jedoch nur zur Seite gedreht hat, sodass er mir erneut seinen breiten Rücken entgegenstreckt. Sein Gesicht ist nun dem Bett zugewandt. Ich müsste nur auf die andere Seite gehen, dann würde ich wissen, wie er aussieht. Aber die Frage ist doch: Will ich das? Möchte ich diese peinliche Situation noch verschlimmern, indem ich diesem Fremden ein Gesicht gebe? Jetzt ist er einfach ein gesichtsloser Fremder, aber sobald er aufwacht, bekommt er einen Namen, und dieser Morgen wird endgültig als der Schlimmste in meinem Leben gebrandmarkt.

Ich beschließe, weiter in meiner Tasche nach dem Schlüssel zu suchen, und als ich endlich fündig werde, stelle ich fest, dass es sich bei unserem Zimmer um die Nummer dreihundertzwanzig handelt. Entschlossen lasse ich die Bettdecke fallen, will mein Kleid erneut suchen, doch es ist nach wie vor unauffindbar. Mein Kopf arbeitet nur müßig, was ich meinem Filmriss zuschreibe. Ich hasse den Fakt, dass Alkohol bei mir zu Erinnerungslücken führt. Bis jetzt wurde mir alles erklärt, nachdem ich aufgewacht bin, aber diesmal ist da nur Schwärze. Ich würde mir am liebsten in den Hintern treten, weil ich so wütend und enttäuscht von mir selbst bin. Das Kleid hat mir Britney zum Geburtstag genäht, und nun habe ich es verloren. Kann es noch schlimmer kommen?

Ich unterdrücke einen Fluch, gehe erneut ins Badezimmer, ziehe einen Bademantel des Hotels an und verknote ihn. Ein letztes Mal sehe ich auf den tätowierten Rücken des Mannes, der auf dem Boden geschlafen hat und der in dieser Nacht bei mir war. Etwas in mir möchte wissen, was passiert ist, doch der andere Teil möchte dies als eine Jugendsünde abstempeln. Ich weiß instinktiv, dass mir nichts angetan oder verabreicht wurde. Es ist eine Nacht, die immer ein Geheimnis bleiben soll. Entschlossen schnappe ich mir meine Tasche und fahre in den vierten Stock. Dabei blicke ich kein einziges Mal zurück. Während der Fahrt bleibt der Aufzug zum Glück leer, sodass ich endlich tief durchatmen und meine angespannten Muskeln lockern kann. Von hier aus kann es nur besser werden.

Kopfschüttelnd betrete ich die Etage und begebe mich in unser Zimmer. Das Kreischen meiner Freundinnen erschreckt mich jedoch zu Tode, sodass ich meine Hand auf die Brust presse, während mein Kopf zu platzen droht. Ich höre die beiden, bevor ich sie sehe, und nicht mal dann kann ich sie genau mustern, denn sie rennen mich beinahe um und nehmen mich fest in den Arm. Ich will schon fragen, was diese emotionale Begrüßung soll, doch dann haut mir Britney auf den Oberarm.

»Du hast mir den Schreck meines Lebens beschert!«, meint sie vorwurfsvoll, doch ich kann ihr nicht folgen. Generell fällt mir das Denken schwer, denn der Schmerz in meinem Kopf will einfach nicht weggehen. Das Gekreische der beiden macht es auch nicht besser.

»Ja, wir haben dich die ganze Nacht gesucht und waren sogar bei der Polizei!« Monica stemmt die Hände in die Hüften, und ihre Wut und Angst sind förmlich greifbar und gehen in Wellen von ihr aus. Allerdings verstehe ich immer noch nicht oder, besser gesagt, kann ich mich an nichts erinnern.

»Was?«, frage ich erschrocken und kämpfe gegen die Übelkeit an, die plötzlich in mir aufsteigt. Ich brauche eine Pause, doch ein Ereignis jagt das nächste, was eher so etwas wie ein Schleudertrauma in mir auslöst.

»Die können aber erst vierundzwanzig Stunden nach deinem Verschwinden handeln, also sind wir zurück ins Hotel, um hier auf dich zu warten«, erklärt Britney, und als mir die Tragweite meines Verschwindens klar wird, presse ich vor Schock die Hände vor den Mund. Ich sehe die Angst in Britneys Augen, und zur Scham, die ich ohnehin empfunden habe, gesellt sich ein schlechtes Gewissen.

»Es tut mir schrecklich leid.« Meine Stimme ist dünn und leise, wobei ich auch ein Schluchzen unterdrücke, das meiner Kehle entweichen möchte.

»Wie ich sehe, bist du unverletzt. Also raus mit der Sprache. Wo warst du, und wieso trägst du nur einen Bademantel?«, will Britney wissen, greift nach meiner Hand und navigiert mich zum Bett, auf dem wir drei Platz nehmen. Sie lassen mir Zeit, die richtigen Worte zu finden, auch wenn sie mit Sicherheit eine Menge Fragen haben.

»Ich kann mich nicht an letzte Nacht erinnern. Zumindest nicht an alles.« Als ich die Worte ausspreche, möchte ich mich am liebsten unter der Decke verkriechen und einfach so tun, als wäre nichts passiert.

»Oh nein. Wieder ein Filmriss«, murmelt Monica, doch sie weiß noch nicht, dass es diesmal anders war als die Male zuvor.

»An gar nichts mehr?«, fragt Britney vorsichtig, und ich nicke.

»Welcher Moment ist dir als letzter noch im Gedächtnis geblieben?«, will Monica wissen, doch ich sehe ihr nicht in die Augen. Diese Sache ist mir so unangenehm, doch meine Freundinnen haben nach dem Schrecken und ihrer sorgenreichen Nacht Antworten verdient. Ich versuche noch einmal, tief in mich zu gehen, aber ich bekomme keine Antworten. Stattdessen werden meine Kopfschmerzen immer stärker.

»Der Moment, als wir getrennt wurden. Da hat mich ein Mann davor bewahrt, auf dem Boden aufzuprallen.«

»Ja, das haben wir durchs Fenster gesehen, doch wir konnten ihn nur schemenhaft erkennen«, sagt Britney, die bestimmt die Nüchternste von uns war.

»Danach ist alles schwarz oder besser gesagt türkis, und als Nächstes bin ich in Unterwäsche in einem fremden Bett aufgewacht.«

»Ein One-Night-Stand?«, fragt Monica das, was am naheliegendsten ist, doch ich weiß instinktiv, dass es nicht so weit gekommen ist. Außerdem bin ich keine Frau, die mit einem Fremden ins Bett steigen würde. Alkoholrausch hin oder her.

»Zwar erinnere ich mich an nichts, doch mein Gefühl und meine körperliche Verfassung sagen mir, dass nichts Körperliches zwischen uns vorgefallen ist. Er hat mit seiner Kleidung auf dem Boden geschlafen und ich im Bett.«

»Was für ihn und die Situation spricht«, meint Brit beschwichtigend.

»Nun, ich würde auch nicht mit mir schlafen wollen, so wie ich gerade rieche.«

»Okay, da ist was dran«, sagt Britney und legt trotzdem ihren Arm um mich, um mir die Stärke zu geben, weitersprechen zu können. Beide merken, dass ich diese ernste Situation mit einem Scherz abmildern möchte, aber mir wird plötzlich klar, dass es auch böse hätte ausgehen können. Mir hätte etwas zustoßen können.

»Hey«, meint Monica und sucht meinen Blick, doch ich kann sie nicht ansehen. So sehr schäme ich mich dafür, dass ich die Kontrolle über die gestrigen Ereignisse verloren habe.

»Schau mich an«, sagt sie mit Nachdruck.

»Du bist sicher bei uns. Egal was auch gestern passiert ist, du bist unverletzt und wohlauf. Dieser Typ, wer auch immer er ist, hat auf dem Boden geschlafen, was uns sagt, dass er dir nichts antun wollte.«

»Du hast recht. Vielleicht.« Denn wir wissen es nicht hundertprozentig.

»Mach dir keine Gedanken darüber, was hätte passieren können.«

»Okay«, sage ich zwar, aber ich weiß nicht, ob ich meinen Kopf davon abhalten kann, sich dutzende Szenarien vorzustellen. Monica geht zum Schreibtisch, wo sie einen Teebeutel in eine Tasse legt und den bereits gefüllten Wasserkocher einschaltet.

»Zuerst dachte ich, ihr wärt bei mir. Als ich dann gesehen habe, dass das Zimmer sich im selben Hotel befindet, habe ich einen Bademantel angezogen und bin schnell abgehauen.«

»Darf ich fragen, wieso du nicht geblieben bist? Er hätte dir Antworten auf Fragen geben können, die dich jetzt beschäftigen.« Da hat Monica nicht ganz unrecht. Der Mann hätte die Lücken in meinem Gedächtnis schließen können, wenn schon ich es nicht kann. Allerdings ist mir diese Sache viel zu unangenehm. Sollte ich ihm gestehen, dass ich mich an nichts erinnere … Ich könnte es nicht.

»Weil ich mich schäme«, murmle ich, doch die beiden verstehen mich ganz gut.

»Für was? Nur weil du dich nicht erinnerst?«, fragt Monica neugierig.

»Ja«, gebe ich zu, was beide aber nur den Kopf schütteln lässt.

»Ich denke, auch wenn du betrunken warst, hättest du nichts zugelassen, was du nicht wirklich willst. Dass du dich nicht erinnern kannst, ist zwar ungünstig, aber nichts, worüber du dich jetzt ärgern musst«, sagt Britney mit einem warmen Lächeln auf den Lippen. Aus ihrem Mund klingen diese Worte so logisch, so einfach.

»Aber was macht dich da so sicher?«

»Wir kennen dich. Du bist Daphne Nolan, und niemand ist selbstsicherer als du. Wenn du etwas willst, tust du alles, um es zu bekommen. Du brauchst dich ganz und gar nicht zu schämen oder unwohl zu fühlen.« Britneys Worte trösten mich, auch wenn ich das Gefühl habe, dass ich das Gesagte erst nach einer Weile wirklich verstehen werde.

»Was soll ich jetzt tun?«, frage ich die beiden nervös und blicke von Britney zu Monica, die nur mit den Schultern zuckt.

»Die Entscheidung liegt ganz bei dir. Du kannst in das Zimmer gehen, in dem du aufgewacht bist. Den Mann treffen und die Fragen stellen, die dir auf der Seele brennen, oder du stempelst die letzte Nacht als eine neue Erfahrung beim Erwachsenwerden ab und machst einfach weiter«, meint Monica verständnisvoll, doch in meinem Kopf schwirren die Gedanken umher, und ich kann keine klare Entscheidung treffen.

»Das kann ich erst nach einer Dusche sagen.«

»Alles klar. Und mach dir keine Sorgen wegen des Kleides. Es war sowieso nicht perfekt, und ich werde dir ein neues und besseres designen«, sagt Britney, und ihr ist anzusehen, dass sie es ernst meint. Das schlechte Gewissen kann ich aber nicht abschütteln. Es war mein Geburtstagsgeschenk, und ich habe es einfach verloren.

»Okay. Danke«, sage ich zu meinen Freundinnen, die seit fünf Jahren an meiner Seite sind und ohne die ich mir ein Leben nicht mehr vorstellen kann.

Als das warme Wasser auf meiner Haut perlt, seufze ich erleichtert. Ich wasche mir die Spuren der letzten Nacht vom Körper, seufze und stelle das Wasser wärmer. Bei einer heißen Dusche kann ich am besten nachdenken. Ich könnte stundenlang unter dem Strahl stehen und über all die Dinge grübeln, die mich beschäftigen. Dabei habe ich die besten Ideen für Hausarbeiten oder Eingebungen, wie ich ein Problem lösen kann.

Doch egal wie lange ich unter dem Wasser stehe, es bringt die Erinnerungen an letzte Nacht nicht zurück. Ich sehe nur unseren Abend in der Karaokebar, die Bar-Tour, das Rodeo-Reiten und die vielen Shots, die Monorail. Und dann spüre ich die Wärme von jemandem und sehe nur die Farbe Türkis. Ich kann mich aber nicht genauer an den Mann erinnern. Weder an sein Aussehen noch an seine Stimme oder seinen Namen, doch ich kann mich an ein Gefühl der Geborgenheit erinnern.

Etwas in mir will mir sagen, dass der Fremde ein guter Kerl war, jemand, der mir respektvoll begegnet ist. Oder ist das Wunschdenken?

»Das gibt’s doch nicht«, zische ich und seife mich stärker ein als nötig. Dieses Hin und Her bringt doch nichts. Monica hat recht. Ich kann mich für die Wahrheit entscheiden, die die Scham in mir vergrößern würde, oder alles vergessen und einfach weitermachen.

Die Entscheidung liegt bei mir.

Das hat sie immer.

Und weil ich jemand bin, der pragmatisch denkt und Ablenkungen vermeiden möchte, entscheide ich mich für die zweite Option.

»So ist es besser«, sage ich zu mir selbst, und sofort fällt eine zentnerschwere Last von meinen Schultern. Danach kann ich freier atmen, und auch wenn mich gewisse Fragen manchmal beschäftigen werden, habe ich die richtige Lösung für mein Problem gefunden.

Nach der Dusche ist alles wie immer. Meine Freundinnen und ich bestellen uns Frühstück aufs Zimmer und ordern sogar Nachschub, da eine Portion nicht genug ist. Danach sehen wir fern und unterhalten uns über alles außer die letzte Nacht. Das, was passiert ist, werden wir jetzt nicht besprechen, und wer weiß, vielleicht können wir später darüber lachen, doch jetzt ist es richtig, alles hinter uns zu lassen.

3. KAPITEL

Daphne

Nach meiner Rückkehr aus Las Vegas ist das Gefühl der Scham kaum noch vorhanden. Anfangs fällt es mir noch schwer, die Tatsache zu akzeptieren, dass ich eine Erinnerungslücke habe, die ich wohl nie werde füllen können. Das Wochenende, das mir für immer in schöner Erinnerung bleiben sollte, wurde durch meinen Filmriss befleckt. Was in Vegas passiert, bleibt in Vegas, und an dieses Motto halten sich Britney, Monica und ich.

Niemand weiß, was genau passiert ist, sodass ich mich nicht rechtfertigen muss und die Sache vergessen kann. Nach diesem ereignisreichen Geburtstag brauche ich ein paar Tage, um wieder zu funktionieren. Wenn ich nicht gerade in einer Vorlesung sitze, hole ich Schlaf nach. Mir war es wichtig, ausgeruht und aufnahmefähig zu sein, um mit dem Lernen weitermachen zu können.

Die Liebe zum Büffeln oder besser gesagt, die Vertrautheit zu Büchern hat sich in meiner Kindheit geformt. Meine Mutter tat nach dem Tod meines Vaters ihr Bestes, um mich seine Abwesenheit nicht spüren zu lassen. Sie war immer für mich da, hat mit mir gespielt und mir viel vorgelesen. In der Früh, wenn wir beide nicht aus dem Bett steigen wollten, bei schlechtem Wetter sowie jeden Abend vor dem Schlafengehen.

Meine Kindheit war erfüllt von ihrer lieblichen Stimme, und vielleicht liegt es daran, dass ich dieses Wochenende nach Hause fahre. Vielleicht ist aber auch das wichtige anstehende Ereignis der Anlass, doch plötzlich vermisse ich meine Mom schrecklich. Bei meiner Mom konnte ich immer ich selbst sein und musste ihr nichts verheimlichen, weil sie mich niemals verurteilen würde. Da ich sie aber kurz vor der Hochzeit nicht beunruhigen will, schweige ich bei unseren täglichen Telefonaten und erzähle ihr nur von den guten Dingen, die ich erlebt habe. Neben Paragrafen, langen Abenden in der Bibliothek und Treffen mit meinen besten Freundinnen ist alles wie immer. Doch in den Phasen der Ruhe, wenn ich allein im Bett liege und die letzten Tage Revue passieren lasse, versuche ich mit aller Kraft, in die Winkel meines Gedächtnisses einzutauchen. Versuche Bilder zu konstruieren, um den türkisen Nebel zu lichten. Aber ein ums andere Mal ist es vergebens, und ich bin um keine Informationen reicher.

Am Donnerstagmorgen reise ich zu meinem Elternhaus. Die Zugfahrt nach Manhattan nutze ich, um mit dem Reisebüro zu telefonieren und die Flüge nach Italien zu buchen. Noch während ich spreche, muss ich unweigerlich lächeln, als ich an meine zweite Heimat denke.

Ich spüre die warme Sonne auf meiner Haut, höre die italienischen Flüche von Nonna, die den Fernseher anschreit, weil die Figuren ihrer geliebten Serien nicht das tun, was sie möchte, und rieche den Duft von Fleisch und Safranreis, meiner liebsten Kombination. Wie fast jedes Jahr werde ich mit Mom in die Toskana zur Weinplantage meines Stiefvaters reisen, wo wir nicht nur von Sommer, Sonne und Essen, sondern auch von einer großen Familie umgeben sind. Dass Mom ihren langjährigen Partner Vincenzo heiraten wird, war nur eine Frage der Zeit. Er selbst meinte, dass er sie schon nach einem Jahr geehelicht hätte, wenn es nach ihm gegangen wäre. Doch er wusste, dass sie noch nicht so weit ist. Also hat er geduldig gewartet, und es war meine Mom, die ihn vor einem halben Jahr gefragt hat, ob er sie noch immer heiraten möchte. Die Worte, mit denen er geantwortet hat, haben mich immer an die wahre Liebe glauben lassen. FürdichhätteichnochzwanzigJahregewartet,weilichweiß,dassdumichkomplettierst.MitoderohneRing.

Ich wollte Mom bei den Vorbereitungen für die Hochzeit helfen und mein Können als Multitasking-Queen unter Beweis stellen. Zumindest war das der Plan, doch die Hochzeitsplanerin hat ihre Sache einfach zu gut gemacht. Selbst ich bin begeistert davon, wie akribisch alles geplant und in Szene gesetzt wurde. So kann ich am Vorabend mit Mom Zeit auf der Couch verbringen, ehe es morgen ernst wird.

»Bist du nervös?«, frage ich sie, während sie noch immer auf Nicolas Cage blickt, der in Family Man eine seiner besten schauspielerischen Leistungen darbietet.

»Na ja … es ist schwer in Worte zu fassen, was ich fühle.«

»Versuch es. Ich bin da und höre dir zu.« Ihr liebevolles Lächeln berührt mich tief und wärmt mich von innen.

»Es ist meine zweite Hochzeit, und da gehen mir einige Fragen durch den Kopf«, sagt sie und spielt mit den Fransen der Patchworkdecke, die sie aus meinen alten Babysachen genäht hat.

»Welche denn?«

»Ob ich deinen Vater nicht betrüge, wenn ich mich an jemand anderen binde. Ob ich nicht etwas überstürze oder ob es die richtige Entscheidung ist, aus dieser Wohnung auszuziehen, in der ich dreißig Jahre gelebt habe.«

Ich setze mich auf, greife nach ihrer Hand und suche ihren Blick. Das hier ist ein ernstes Thema, und ich möchte, dass sie mir ihre volle Aufmerksamkeit schenkt.

»Dad ist seit Jahren nicht mehr bei uns, und auch wenn ein Teil von dir ihn immer lieben wird, wäre es sicher nicht in seinem Sinne, dass die gemeinsame Zeit mit ihm dich daran hindert, diesen Schritt zu gehen. Ob es die richtige Entscheidung ist, wird dir dein Herz sagen, und wenn du die Wohnung nicht aufgeben willst, dann verkauf sie nicht. Alle Entscheidungen liegen bei dir.«

»Ein Teil von mir weiß das. Aber ich habe Angst vor dem Unbekannten.«

»Haben wir das nicht alle? Aber wenn du ehrlich zu dir bist, wird sich außer deinem Nachnamen nichts ändern. Und selbst den kannst du behalten, wenn du magst.«

»Meinst du?«

»Du lebst eigentlich schon fast seit achtzehn Jahren mit Vincenzo zusammen, also denke ich, dass die Nervosität dich einfach fest im Griff hat.«

»Gott, du hast ja recht«, sagt sie und fährt sich seufzend mit den Handflächen übers Gesicht.

»Vincenzo würde dich auch weiterhin lieben, wenn du die Hochzeit abbläst. Das weißt du, oder?« Mein künftiger Stiefvater liebt meine Mutter so sehr, wie ich es nur aus Büchern oder Filmen kenne. Meine Worte entlocken ihr ein Schmunzeln, was auch auf mich übergeht. Sie mag älter geworden sein, und das honigfarbene Haar, das sie mir vererbt hat und das je nach Lichteinfall mal blond, mal rot wirkt, ist ergraut, aber sie hat nichts von ihrem Charme und ihrer natürlichen Schönheit verloren.

»Das stimmt.« Sie sieht kurz auf unsere verschränkten Finger und sucht daraufhin wieder meinen Blick. Mit der anderen Hand streicht sie sanft über meine Wange, und ich genieße die Berührung so sehr, dass ich mich gegen ihre Handfläche lehne. Mein ganzes Leben lang habe ich mich auf sie verlassen können, und mir ist klar, dass sie damals auch zurückstecken musste, um mich großzuziehen. Als Alleinerziehende hat man es nie leicht. Deswegen möchte ich ihr etwas zurückgeben, indem ich sie bei all ihren Vorhaben unterstütze und ihr zeige, wie sehr ich sie liebe.

»Wie bist du nur so schnell erwachsen geworden?«, fragt sie mit brüchiger Stimme, und ich sehe ihre Augen feucht werden, genauso wie meine.

»Ich habe mir fest vorgenommen, nicht zu weinen«, sage ich, doch kaum habe ich die Worte ausgesprochen, fallen wir uns schniefend in die Arme. Wir waren immer ein Team, Daphne und Camille, die früh auf sich selbst angewiesen waren, doch das Schicksal hat uns Vincenzo an die Seite gestellt, der unsere kleine Familie bereichert hat.

»Schluss jetzt. Wir werden morgen mit Sicherheit genug weinen«, sagt meine Mom, hört aber nicht auf zu schluchzen. Also halten wir einander fest und heulen, denn es ist okay, alles rauszulassen.

Am nächsten Morgen bin ich klug und wähle wasserfestes Make-up, um mich auf die Hochzeit meiner Mutter vorzubereiten. Ich stehe als Brautjungfer schon vor dem Altar, als mein Stiefvater mit nervöser Miene dazukommt.

»Ich bin so froh, nun offiziell ein Teil von euch zu sein«, flüstert er mir ins Ohr, woraufhin ich ihn fest drücke. Mit feuchten Augen löst er sich von mir und geht an seine Position vor dem Altar. Als meine Mutter in einem schlichten, bodenlangen Kleid in A-Linie auf uns zukommt, kann Vincenzo sich nicht zurückhalten. Der Blickfang sind die eingenähten Steine, die wie Diamanten funkeln. Tränen rinnen über sein Gesicht, während er sie mit einem verliebten Lächeln ansieht. Ihre Haare trägt sie zu einem eleganten Knoten gesteckt, wobei sich zwei Strähnen um ihr schmales Gesicht schmiegen. Ich lasse mich mitreißen von der Liebe, die für uns alle greifbar ist.

Nach einer rührenden Zeremonie geht es auch schon in den Hochzeitssaal, der liebevoll in zarten Pastellgrün- und Rottönen geschmückt ist. Gepaart mit dem Weiß bildet die Farbkombination die italienische Flagge nach, was Mom und auch Vincenzo so wollten. Er hat uns jahrelang von seiner Heimat vorgeschwärmt, sodass auch die Liebe zu dem Land auf meine Mutter übergegangen ist, je mehr Zeit sie mit ihm dort verbracht hat. Auch ich habe mich unsterblich in die italienische Sonne und die Menschen verliebt, sodass ich, sooft ich kann, einen Teil meines Sommerurlaubs dort verbringe.

Alle bekommen ein Glas Wein aus eigenem Anbau, um auf das Brautpaar anzustoßen, doch ich hebe meines nur hoch und trinke nichts. Nach Vegas habe ich mir geschworen, keinen Alkohol mehr anzurühren. Während die Musik erklingt und alle ausgelassen feiern, lerne ich im Laufe der Nacht wieder neue Verwandte von Vince kennen. Dabei dachte ich, dass ich schon alle getroffen hätte, doch es tauchen immer wieder neue Menschen auf. Als es Zeit für die Reden ist, werde ich plötzlich nervös.

Zwar bin ich gut darin, Reden oder Vorträge zu halten, aber diesmal habe ich eine Überraschung geplant, von der nicht mal Mom etwas weiß. Schon vor dem Vegas-Trip habe ich alle Papiere zusammengesucht, Formulare gesammelt und mich noch mal über die Vorgänge informiert, sodass es jetzt auf meinen Stiefvater ankommt. Mit aller Kraft versuche ich, meine flatternden Nerven zu beruhigen, indem ich tief ein- und ausatme. Mein bodenlanges mintgrünes Brautjungfernkleid wurde, ebenso wie Moms Brautkleid, von Britney entworfen und produziert.

Ich blicke zu meinen Freundinnen, die mir ermutigend zunicken. Sie wissen von meinem Plan und befürworten ihn. Ich lege meine Handfläche nervös auf meinen Bauch, ehe ich nach dem Umschlag und dem Mikrofon greife, damit auch alle in dem großen Saal meine Worte hören können. Nachdem ich einige witzige Anekdoten über die lange Beziehung der beiden erzählt und den beiden viel Glück für die Zukunft gewünscht habe, komme ich zu dem Part, der auf mich bezogen ist. Der Part, der mein ganzes Leben und auch seines verändern wird.

»Vincenzo. Du bist der einzige Vater, den ich je gekannt habe. Du hast damals nicht nur mir das Leben gerettet, sondern insgeheim auch das meiner Mutter, die sehr unter dem Verlust ihres Mannes gelitten hat. Du hast die Sonne wieder für sie scheinen lassen, und ich kann mir niemanden vorstellen, dem ich meine Mutter lieber anvertrauen würde.« Ein gerührtes Raunen geht durch den Saal, und Moms Augen glänzen verräterisch. Ich sehe zu meinem Stiefvater, der schon den ganzen Abend gerötete Augen hat.

»Ti amo«, formt er gerührt mit den Lippen, und ich blinzle und versuche die Tränen zurückzuhalten.

»Da du in meinem Herzen immer schon mein Vater warst, möchte ich, dass du es auch offiziell bist.« Ich gehe mit zittrigen Fingern auf meine Eltern zu und reiche ihm den Umschlag, aus dem er die Papiere herausnimmt und mich daraufhin ungläubig ansieht. Er blickt auf die Dokumente und dann wieder zu mir, und ich erkenne den Moment, als er merkt, dass es mir ernst ist. Dass ich seine Tochter sein will.

»Ich möchte ein Teil deiner Familie werden, wie du immer ein Teil unserer warst.« Die Blätter zittern in seinen Händen, und er kann seine Rührung kaum verbergen. Überwältigt blickt er zu meiner Mutter, die seine Hand fest in ihre nimmt. Dann wendet er sich mir zu und lächelt ergriffen.

»Es wäre mir eine Ehre, dein Vater zu sein«, sagt er und presst einen Handballen auf die Augen, um die Tränen zu unterdrücken. Doch sie fließen ohnehin, weil heute der Tag der Freudentränen ist. Offiziell dauert es natürlich noch eine Weile, aber für mich persönlich ist heute der Tag, an dem ich zu Daphne Valenti geworden bin.

4. KAPITEL

Daphne

Acht Jahre später

»Einen Good-Morning-Tee mit Honig bitte«, sage ich am Counter und reiche der Barista meine Thermosflasche. Sie gibt mir eine Nummer, weil sie die Flasche nicht beschriften kann, und ich stelle mich zu den anderen Wartenden. Ich hole das Smartphone aus meiner Tasche und öffne die Mail, die mir die Kanzlei geschickt hat, und vergleiche sie mit meiner To-do-Liste, die ich mir für meinen ersten Arbeitstag erstellt habe.

Heute sollte ich mich mit dem Team vertraut machen, im Intranet anmelden und das Foto für meinen Ausweis machen lassen. Außerdem sollte ich die Personen, die wir vertreten, und die Unternehmensstruktur nochmals durchgehen und meinem Senior dienen. Der letzte Punkt klingt wie ein Scherz, ist aber keiner.

Leider.

Heute ist mein erster Arbeitstag an der Seite von Kurt Blackwood, dem Seniorpartner von Blackwood & Daughtry, der einzigen Kanzlei in ganz New York, die mich anstellen wollte. Oder besser gesagt: unter ihm. Zwar war ich Jahrgangsbeste an der Columbia Law School und wurde von der erfolgreichsten Kanzlei New Yorks angeworben, doch dann ging alles den Bach runter, als ich Privates mit Beruflichem vermischt habe.

Dass ich in dieser Kanzlei eine Anstellung gefunden habe, liegt allein daran, dass Bridget Daughtry meinen Dad kennt und ihm noch einen Gefallen schuldete. Nicht gerade die besten Voraussetzungen, um eine neue Stelle anzutreten, aber ich bin verzweifelt, denn diese Anstellung war meine einzige Möglichkeit, in New York als Anwältin zu praktizieren.

Allerdings bin ich durch meine künftige Tätigkeit weiter weg vom Gerichtssaal, als ich es je für möglich gehalten hätte. Ich sitze sozusagen auf der Strafbank und muss mich beweisen, wenn ich wieder die Arbeit ausüben möchte, die ich in meinem Studium erlernt habe. Mein heimlicher Traum ist es, eine eigene Kanzlei zu gründen, allerdings ist dieser Wunsch aktuell nicht greifbar. Zwar könnte ich mit Hilfe eines Darlehens von Dad eine Kanzlei gründen, doch ich bräuchte einen guten Ruf, und um den ist es nicht gerade gut bestellt.

»Nummer fünfzehn«, ruft die Mitarbeiterin des Coffeeshops und reicht mir mit einem freundlichen Lächeln meine Thermosflasche.

»Danke.«

Sie wünscht mir einen schönen Tag, und ich erwidere es, denn heute wird ein guter Tag. Etwas anderes lasse ich gar nicht zu. Ich nehme einen Schluck von meinem Tee und schließe wohlig die Augen. Die Bio-Kräuterteemischung aus Brombeerblättern, Pfefferminze- und Erdbeerblättern ist der perfekte Start in den Tag. Ich bin und werde immer ein Tea Girl bleiben, da mir Kaffee nicht schmeckt.

Ich gehe die zwei Blocks zu Start Entertainment zu Fuß und lasse mich von dem Menschenstrom mitziehen, während ich meinen Gedanken nachhänge. Nicht dass ich große Lust hätte, dort zu arbeiten. Meine Befürchtung ist, dass ich mein Können als Juristin nicht voll entfalten kann, wenn ich mich um die Problemchen von Stars und Sternchen kümmern muss. Zwar weiß ich noch nicht genau, was mein Aufgabengebiet sein wird, doch mein Gefühl sagt mir, dass es anders laufen wird, als ich es mir erhoffe.

Aber ich werde heute alles geben. Das Leben hat mir Steine in den Weg gelegt, nun ist es an mir, sie zu beseitigen. Blumen brauchen Zeit, bis sie erblühen, und genauso wird es bei mir sein. Ich werde wieder die erfolgreiche und angesehene Anwältin sein, die ich gewesen bin. Nur besser. Vorsichtiger.

Als ich an dem imposanten Wolkenkratzer nach oben blicke, renke ich mir fast den Hals aus. Das Gebäude ist ein Koloss aus Stahl und Glas und wirkt einschüchternd wie die meisten Gebäude seiner Art. Ich habe zwar damit gerechnet, dass ich nervös sein werde, aber dass es mich erfasst, noch bevor ich ins Gebäude trete, hätte ich nicht gedacht. Seit meiner Geburt wohne ich hier zwischen Stahlgebäuden und Menschenmassen, und auch wenn ich mir manchmal klein und unbedeutend vorkomme, ist es doch das Gefühl von Zuhause, das mich erfüllt. Und vielleicht wird es mir guttun, heute und noch für längere Zeit anonym zu bleiben. Es wurde definitiv genug über mich gesprochen.

Mein Smartphone klingelt. Es ist meine beste Freundin Monica, und ich kann den Grund ihres Anrufs bereits erahnen.

»Guten Morgen«, flöte ich fröhlich in den Hörer und mache einen Bogen um eine Hundesitterin, die vier große Hunde spazieren führt.

»Janice hat mich mal wieder angebaggert«, murmelt sie zur Begrüßung, und ich vermute, dass mein Papagei sie mal wieder früher aufgeweckt hat als ihr Wecker. Wir haben gestern den Abend in meiner Wohnung verbracht und ferngesehen. Offiziell wollte sie nur spontan vorbeikommen, doch ich denke, sie wollte mir eine moralische Stütze sein, weil heute mein erster Arbeitstag ist und ich am Vorabend nervös war.

»Und, was geht bei dir so?«, höre ich Janice krächzen, was eine Anspielung auf Joey aus der Serie Friends ist, der mit einem Spruch dieser Art immer Frauen klarmacht.

Dass ich Janice, deren Name auch eine Anspielung auf eine Figur aus der Serie ist, aus dem Tierheim adoptiert habe, war eine spontane Aktion. Mit meinem damaligen Flirt war es unschön zu Ende gegangen, und ich war am Boden zerstört. Anfangs hatte ich keinen Namen für das Tier, und wenn ich ehrlich zu mir bin, hatte ich auch keine Ahnung, was ich mit ihm tun sollte.

Janice ist ein Edelpapagei und mit ihren vierzig Zentimetern ziemlich groß. Ihr Bauch und ihr Nacken sind blau und setzen sich deutlich von den restlichen Rottönen ab. Die Handschwingen sind purpurblau, während die Schwanzfedern orange funkeln und sie zu einer feurigen Schönheit machen. Alles, was ich in unserer ersten gemeinsamen Woche getan habe, war, sie zu füttern, Junkfood in mich reinzustopfen und alle Folgen von Friends zu gucken. Da ihr Käfig im Wohnzimmer steht, hat sie sich manche Sätze aus der Serie eher schlecht als recht angeeignet und kommuniziert nun nur über diese. Auch wenn ihre Versionen nicht immer ganz korrekt sind.

»Kein Interesse«, sagt meine beste Freundin, gefolgt von einem Gähnen. Sie war noch nie ein Morgenmensch.

»Gib ihr ihre Leckerlis und spring unter die Dusche.«

»Gott, wie sehr ich mir wünschte, du hättest eine Kaffeemaschine«, flüstert sie, während ich sie in der Küche kramen höre.

»Hast du ein Glück, dass ich Instant-Kaffee gekauft habe. Alles was du dafür brauchst, ist heißes Wasser.«

»Echt?«

»Ja, du findest ihn in der Schublade, wo ich meine Teesorten aufbewahre.«

»Es ist schon witzig, dass du eine umfassende Auswahl an Tees hast, die fein und akribisch sortiert sind, aber nur eine winzig kleine Ecke für Kaffee.«

»Man merkt, was mein Hauptgetränk ist, oder?«

»Ich bin ja schon froh, dass du überhaupt Kaffee für Brit und mich besorgt hast.«

»Kein Ding. Was steht jetzt bei dir an?«

»Ich werde mir nach dem Kaffee einen Apfel schnappen und dann zum Broadway fahren. Die Proben stehen zwar erst am Nachmittag an, aber ich kann noch ein wenig üben, wenn ich schon so früh geweckt wurde.«

»Hör auf, Janice so böse anzusehen.«

»Woher willst du denn wissen, dass ich das tue? Du bist ja nicht mal da.«

»Ich kenne dich.«

»Uff. Na schön. Ich werde Janice leben lassen, vorerst.«

»Viel Spaß beim Wachwerden, du Grummelhummel.«

»Ich bin echt kein Morgenmensch. Hau sie alle um, Girl.«

»Wird gemacht. Bye.«

Nach dem Gespräch mit Monica ist dieses nervöse Flattern in meinem Bauch etwas abgeebbt. Trotzdem bin ich immer noch aufgeregt, als ich auf den sauberen und von Security flankierten Eingang von Start Entertainment sehe. Hier werden Legenden gemacht, scheint mir der Wolkenkratzer sagen zu wollen. Über tausend Mitarbeitende umfasst dieses Unternehmen, und es liegt an mir, mich unter ihnen zu beweisen und zu zeigen, aus welchem Holz ich geschnitzt bin. Ein Windhauch weht mir durchs Haar. Mit einer Handbewegung streiche ich mir meine lange Mähne aus dem Gesicht, straffe die Schultern und betrete selbstbewusst das Gebäude.

Nachdem ich das Foto für den Ausweis gemacht und diesen abgeholt habe, begebe ich mich in die Rechtsabteilung. Wie groß das Team ist, weiß ich nicht genau, aber soweit mir bekannt ist, bin ich die Einzige, die direkt Kurt Blackwood zugeteilt ist. Ob das jedoch eine gute Sache ist, wage ich zu bezweifeln.

Ich begrüße die Menschen, die mir auf meinem Weg begegnen, und gehe zum Büro meines Vorgesetzten, der auch der Leiter der Rechtsabteilung ist.

»Guten Morgen, Mr Blackwood.«

Er blickt genervt von seinem iPad auf und sieht mich über den Rand seiner Brille an. Kurt hat kein Lächeln für mich übrig und begegnet mir auch sonst nicht gerade mit Freundlichkeit. Ich wusste von Anfang an, dass er gegen meine Einstellung war und Bridget ihn nur überstimmen konnte, weil sie mehr Anteile an der Kanzlei hat, aber mit dieser offenen Abweisung hätte ich nicht gerechnet.

Und vor allem nicht damit, dass sie wehtun würde und ich über die Demütigungen der letzten Monate nicht hinweg bin. Aber ich habe nicht vor, ihm zu zeigen, dass mich sein Verhalten aus dem Konzept bringt. Meinen Recherchen zufolge ist der Mann vor mir Mitte fünfzig; mit seinem glatt rasierten Gesicht, den perfekt gestylten Haaren und der selbstbewussten Haltung wirkt er wie ein Mann von Welt. Doch sein Gesichtsausdruck sieht wie der eines arroganten Arschs aus.

»Guten Morgen, Valenti. Dein Schreibtisch ist vor meinem Büro, und die Aufgaben des Tages habe ich dir schon gemailt. Das war auch schon alles«, sagt er, richtet sich mit der gebräunten Hand seine Brille und sieht wieder auf das Display. Dass er mich nicht mag, könnte er nicht deutlicher zeigen, und dass er mich nur mit meinem Nachnamen anspricht, sagt schon viel aus. Doch damit habe ich bereits gerechnet, als ich den Arbeitsvertrag unterzeichnet habe. Mein Arbeitsalltag in der Kanzlei und Start Entertainment wird nicht einfach werden, doch ich gebe nicht so schnell auf.