Stella rockt - Antje Bones - E-Book

Stella rockt E-Book

Antje Bones

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Beschreibung

Für Leser_Innen von Susanne Fülscher, Britta Sabbag, Heike Abidi & Mara Andeck! Rock 'n' Roll ist Stellas Leben! Aber leider ist das Leben nicht immer Rock 'n' Roll … Stella, die eigentlich Stine heißt, wächst in einem Vorort von Köln auf. In einem Kaff, das "etwa so charmant ist wie seine Fabrikschornsteine und Chemieparks, die hier ihren Dreck in die Luft pusten". Und genauso stinkt es Stella hier! Aber schon seit sie sechs Jahre alt war, weiß sie, dass sie hier nicht bleiben wird. Denn ihr größter Traum ist es, ein berühmter Rockstar zu werden. Und nun steht sie mit ihrer Band Cool 'n' Crazy kurz vor dem großen Durchbruch. Aber ausgerechnet jetzt taucht dieser komische Typ auf – Luc. Vor allem Stellas beste Freundin Angie, die Drummerin der Band, scheint auf den irren Typ mit den blauen Haaren abzufahren. Dabei sollte sie sich doch voll auf die Konzertvorbereitungen konzentrieren. Stella ist stinksauer. Und dann schmeißt auch noch die Gitarristin alles hin und verlässt die Band … Aus der Traum von der Rockstar-Karriere?

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Seitenzahl: 210

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Rock ’n’ Roll ist Stellas Leben! Aber leider ist das Leben nicht immer Rock ’n’ Roll … 

Stella, die eigentlich Stine heißt, wächst in einem Vorort von Köln auf. In einem Kaff, das "etwa so charmant ist wie seine Fabrikschornsteine und Chemieparks, die hier ihren Dreck in die Luft pusten". Und genauso stinkt es Stella hier! Aber schon seit sie sechs Jahre alt war, weiß sie, dass sie hier nicht bleiben wird. Denn ihr größter Traum ist es, ein berühmter Rockstar zu werden. Und nun steht sie mit ihrer Band Cool ’n’ Crazy kurz vor dem großen Durchbruch. Aber ausgerechnet jetzt taucht dieser komische Typ au – Luc. Vor allem Stellas beste Freundin Angie, die Drummerin der Band, scheint auf den irren Typ mit den blauen Haaren abzufahren. Dabei sollte sie sich doch voll auf die Konzertvorbereitungen konzentrieren. Stella ist stinksauer. Und dann schmeißt auch noch die Gitarristin alles hin und verlässt die Band … Aus der Traum von der Rockstar-Karriere? 

Edel eBooks Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2015 Edel Germany GmbH Neumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2010 by Antje Bones

Die Originalausgabe erschien in der Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg.

Covergestaltung: Eden & Höflich, Berlin.

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-95530-705-9

facebook.com/edel.ebooks

Wenn Stella sich für eine Sache entschieden hat ...

«Hey, Ladys», platze ich zur Tür herein.

Aber keines der Mädels reagiert. Ich will mich schon aufregen, als ich erkenne, dass die beiden ihre Kopfhörer tragen. Hier im Keller ist es ziemlich dunkel. Nur die kleine Lampe in der Ecke ist eingeschaltet. Wollen die zwei heute nur Kuschelrock spielen, oder was? Ich knipse den Lichtschalter hoch und runter, um auf mich aufmerksam zu machen und die beiden nicht zu Tode zu erschrecken. Schließlich brauche ich sie noch. Vor allem Angie.

«Mann, Stella, bist du verrückt? Mach das Licht wieder aus!», fährt Aleks hinter ihrer E-Gitarre hoch.

«Hallo, Aleks, danke, mir geht es sehr gut. Und dir?» Ich versuche, ihre übertriebene Reaktion zu ignorieren.

«Hey, Stella», sagt Angie kleinlaut.

«Was ist denn hier für ’ne Stimmung?», will ich wissen.

«Wieso?», fragen Aleks und Angie gleichzeitig.

«Wieso? Wieso ist es hier so düster? Und wieso habt ihr ohne mich angefangen?»

«Du bist eine Viertelstunde zu spät!», raunzt Aleks mich an.

Eine Viertelstunde! Man könnte auch sagen fünfzehn Minuten. Fünfzehn schlappe Minuten. Normalerweise gehen die allein für die Begrüßung drauf und das Berichten der letzten Gerüchte und Skandale aus der Schule. Aber heute sind meine Kolleginnen unter die ganz gewissenhaften Streber gegangen und haben keine Zeit zu verlieren.

«Leute, falls ihr es vergessen habt: Seit heute haben wir Ferien. Wir können die paar Minütchen ja wohl hinten dranhängen und uns erst mal kurz updaten.» Mein Vorschlag zur Güte.

«Stella, ich kann nicht eine Sekunde länger bleiben. Meine Eltern starten morgen mit mir und meinem Bruder einen Wochenendtrip, schon vergessen? Und ich musste schon bitten und betteln, damit ich heute Abend überhaupt noch vor die Tür durfte.»

«Gut, verstehe!», sage ich und verstehe es trotzdem nicht. Das heißt, ich verstehe Aleks’ Eltern nicht.

«Warum ist es ein Problem, am Freitagabend zu proben, wenn man am Samstagmorgen verreist?»

«Vergiss es einfach!», zickt Aleks weiter. «Meine Eltern sind da eben nicht so cool wie deine Hippie-Mom und dein Sunshine-Dad, klar?»

Es hatte jetzt wohl keinen Zweck, Aleks zu erklären, dass meine Eltern auch so ihre merkwürdigen Erziehungsmethoden haben. Sie ist voll genervt. Ich lasse sie lieber mit ihrer Gitarre allein.

«Und wir beide?», frage ich Angie.

«Wir beide müssen reden!» Angie klingt immer noch so mickrig. Nur sehr langsam klettert sie hinter ihrem Drumset hervor und schleift mich unmotiviert mit zum roten Ledersofa. Das hat uns übrigens Angies Mutter für den Proberaum überlassen.

Na ja, was wir eben so Proberaum nennen. Ein Schlagzeug, eine E-Gitarre, ein Mikrophon, ein Verstärker und jede Menge Kabel machen eben noch kein wirkliches Studio. Und die Eierkartons, die wir zwecks Lärmschutz an die Wände getackert haben (und die inzwischen traurig runterhängen), machen es auch nicht besser.

Zum «Chillen», hat Frau Hofmann gesagt, als sie das Sofa zusammen mit ihrem Mann in den Keller gewuchtet hat. Chillen – das klang aus ihrem Mund fast unanständig. Bestimmt war sie aber nur neugierig darauf gewesen zu sehen, wo und wie ihre über alles geliebte Tochter ihre Freizeit verbringt.

Egal, jedenfalls steht das Ding seitdem hier und tut seinen Dienst. So wie jetzt.

«Was ist los?», frage ich Angie.

«Okay, ich mache es kurz: Ich darf nicht mit zum Konzert!»

«Was?»

«Ja, du hast richtig gehört. Kein Köln. Kein Konzert. Keine Pink», fasst Angie nochmal für mich zusammen.

Ich muss einen echt dämlichen Gesichtsausdruck haben. Ich bin nämlich total geschockt – und sprachlos. Und das kommt bei mir wirklich nicht oft vor.

Das scheint auch Angie zu verunsichern. «Was ist? Stella, sag doch was!»

Ich bin wie gelähmt, denn vor meinem inneren Auge sehe ich mich schon am Samstagabend mit meinen Eltern auf der Couch sitzen. Frisch gebadet und mit ein paar Salzstangen in der Hand. O mein Gott.

«Stella!» Angie reißt mich aus meinem Horrorfilm. «Es tut mir leid, echt!»

«Du kannst doch nichts dafür, Süße.» Ich nehme sie in die Arme, und wir trösten uns gegenseitig. «Sorry, aber ich habe keinen Bock auf noch mehr Stress! Die nächsten Tage mit meinen Eltern werden schon anstrengend genug! Wir sehen uns nächste Woche! Ciao!», unterbricht uns Aleks. «Ciao», bringen wir beide endlich gequält heraus, aber da ist Aleks schon verschwunden.

«Das wäre ja auch zu einfach gewesen: Man bekommt zwei Konzertkarten geschenkt, fährt zusammen mit seiner besten Freundin chic in die Großstadt und hat Spaß! Nein, da müssen die Erziehungsberechtigten einem natürlich einen Strich durch die Rechnung machen!», rege ich mich wieder auf.

«Wir haben die Karten gestern erst von Lena bekommen, und morgen soll’s schon losgehen. Ich glaube, meine Mutter fühlte sich überrumpelt. Sie braucht immer eine Ewigkeit, um die Lage zu checken. Wie kommen wir nach Köln? Wie kommen wir wieder zurück? Im schlimmsten Fall sind auch noch Jungs dabei ...» Angies Liste klingt wirklich entmutigend.

«Lena hätte uns die Karten nicht geben müssen. Ich meine, sie hätte sie auch bei ebay verticken können. Hätte bestimmt noch Geld für ihren Urlaub gebracht», überlege ich laut.

Schweigen.

«Und wenn wir einfach heimlich ...»

«Auf gar keinen Fall! Das kann ich meiner Mutter nicht antun. Das würde sie nicht überleben!», sagt Angie energisch.

Und ich sage wieder: «Gut, verstehe.»

Diesmal verstehe ich tatsächlich. Frau Hofmann ist ein krasser Fall – und Angie ist eine gute Tochter. Manchmal frage ich mich heute noch, wie sie es als Bilderbuchtochter (diesen Ausdruck mag sie natürlich gar nicht) geschafft hat, ein Jahr lang unsere Proben vor ihrer Übermutter geheim zu halten. Tja, manchmal weiß Angie eben ihre Prioritäten zu setzen.

Als wäre dieser Tag nicht schon schlimm genug, muss ich zu Hause auch noch Zeuge einer Diskussion meiner Eltern über das Pro und Contra antiautoritärer Erziehung werden.

«Rüdiger, ich bitte dich, willst du unsere Tochter etwa ständig kontrollieren?», echauffiert sich meine Mutter.

«Von Kontrolle kann doch nun wirklich nicht die Rede sein. Ich wäre nur für ein paar mehr Grenzen hier und da», verteidigt sich mein Vater.

Ginge es nicht um mich, täte er mir leid. Debatten mit meiner Mutter sind meistens sehr lang und sehr anstrengend. Eigentlich wollte ich allen Beteiligten jede weitere Auseinandersetzung ersparen und berichten, dass das Konzert gecancelt ist. Da höre ich meine Mutter sagen: «Außerdem: Wenn Stella sich für eine Sache entschieden hat, dann sollte man sich auf das absolute Gegenteil gefasst machen. Das weißt du doch. Noch ist nicht Samstagabend. Und noch sitzt sie nicht im Zug nach Köln. Also, kein Grund zur Panik!»

Ziemlich verwirrt schleppe ich mich die Treppe zu meinem Zimmer hoch und lasse – extrem geräuschvoll – meine Tasche fallen. Wenn Stella sich für eine Sache entschieden hat, dann sollte man sich auf das absolute Gegenteil gefasst machen. Was soll das denn heißen? Was meint sie damit? Bin ich etwa ... Mein Handy klingelt.

Ich höre es nur ganz leise, wie von sehr weit weg. Verdammt! Ich gehe dem Klingeln nach ... Es schellt aus einem Berg von Klamotten und Schuhen, die ich heute Nachmittag noch für das Konzert anprobiert und dann aufs Bett geworfen habe. «Bitte nicht aufgeben!», flehe ich meinen Anrufer an, als würde er mich auch ohne Telefon hören können. Ich befreie mein Handy aus den blauen Leggings. «Hallo?», puste ich außer Atem.

«Hey, Stella! Das hat ja gedauert. Wollte nur nochmal hören, wie es dir geht?»

Ich muss schmunzeln. Typisch Angie! Immer macht sie sich Gedanken um mich. Kein Wunder, dass sie meine beste Freundin ist!

«Alles okay, Süße. Bei dir auch?»

«Geht so. Wäre schon gerne mit dir zum Konzert gegangen», sagt sie mit trauriger Stimme.

«Wir werden noch auf mindestens tausend Konzerte zusammen gehen, klar?»

«Hmm.»

«Hör zu: Ab sofort werden wir uns um unser eigenes Konzert kümmern!», rutscht es mir heraus.

«Wie meinst du das denn jetzt?» Angie ist offensichtlich genauso verwundert wie ich selbst.

«Ich meine ... Ja! Ich meine, wir sind schließlich eine Band!», stottere ich.

«Ja. Und?»

Arme Angie! Sie kann mir nicht folgen. «Ich finde, Cool ’n’ Crazy muss mal langsam raus aus dem Keller. Rauf auf die Bühne! Verstehst du?»

«Ja», antwortet Angie knapp.

«Ich merke schon: Du bist voll geflasht von meiner Idee! Am besten bereitest du dich innerlich schon auf unseren Erfolg vor. Morgen beginnen wir mit den Proben für unseren Mega-Act», plane ich begeistert weiter.

«Stella, du bist unberechenbar! Aber ich liebe dich dafür!», lacht Angie.

«Warum denn unberechenbar? Denkst du etwa auch, dass ich sprunghaft bin? Findest du, dass ich meine Meinung häufig ändere?»

Stille am anderen Ende der Leitung.

«Angie? Bist du noch dran?»

Zuerst antwortet sie mit einem leisen Räuspern. Dann: «Meinst du, nur weil deine Haare jeden Monat eine neue Farbe haben? Oder weil du dein Zimmer ständig umbaust?»

«Angie! Ich muss es wissen!», sage ich ernst.

«Dann empfehle ich dir einen Psychotest aus der Bravo!»

«Und der wäre?», muss ich noch unbedingt wissen.

«Welcher Entscheidungstyp bist du?»

«Sehr witzig!», sage ich, und Angie wünscht mir eine gute Nacht.

Ich liebe sie auch, beschließe ich, und räume meine Klamotten vom Bett.

Traumjob

Samstagmorgen.

Samstagmorgende sind cool.

Aber es ist noch viel cooler, wenn man weiß, dass es in den nächsten sechs Wochen total egal ist, ob es Samstag, Sonntag oder Montag ist. Weil nämlich diese nächsten Wochen nur dazu da sind, Spaß zu haben. Nur zu tun und zu lassen, was man möchte. Ausschlafen und – viel interessanter – lange aufbleiben. An dieser Stelle brechen meine Gedanken ab. Ausschlafen ist okay. Ausgehen ist eigentlich auch okay. Aber ich wohne in Hürth! Und ich werde dieses Jahr nicht in den Urlaub fahren. Das bedeutet, dass ich sechs Wochen lang jeden Abend in Hürth ausgehen kann.

Was für ein schlechter Witz!

Dieses Kaff ist nämlich in etwa so charmant wie seine Fabrikschornsteine, Chemieparks und Kraftwerke, die ihren Dreck in die Luft pusten. Und genauso stinkt es mir hier auch!

Die paar Clubs und Diskotheken, die es in dieser Stadt gibt, kann man locker an einem Abend abklappern. Ansonsten halten die äußerst attraktiven Namen unserer Veranstaltungsorte genau das, was sie versprechen: Feierabendhaus. Noch Fragen? An diesem Frust ändern auch die Produktionsfirmen nichts, die hier für private Fernsehsender ihre Dienste anbieten. Im Gegenteil: Promis werden in abgedunkelten Shuttles und Luxuslimousinen für Shows und Events vorgefahren, um nach getaner Arbeit schnell wieder in das Stadtzentrum von Köln oder zum Flughafen chauffiert zu werden. Das einzig halbwegs Coole ist, dass Michael und Ralf Schumacher hier geboren wurden. Damit kann man zumindest die Jungs beeindrucken. Ich meine die Jungs, die man zum Beispiel in Spanien oder Frankreich am Strand kennenlernt. Aber ich fahre ja nicht weg ... (Und außerdem hat es die Schumis auch schnell an andere, schönere Orte dieser Welt verschlagen.)

Auch wenn man über Hürth sagen kann, was man will, aber die Plattenkiste ist unbestritten ein echtes Highlight. Tapfer trotzt sie den ewig gleichen Elektromärkten und den ewig gleichen Buchhandelsketten in den ewig gleichen Einkaufscentern. Und – tatatata! – ICH habe dort einen Ferienjob ergattert. Und HEUTE ist mein erster Arbeitstag. Das ist so cool!

Motiviert für den Tag und für die kommenden sechs Wochen, hüpfe ich unter die Dusche.

Einseifen, Haare waschen und föhnen. Bis hierher war es noch einfach. Aber was ziehe ich an, und wie soll ich mich stylen? Soll ich mich überhaupt stylen? Zu aufgebrezelt geht natürlich nicht, schließlich gehe ich zur Arbeit. Aber zu normal geht auch nicht, schließlich gehe ich in die Plattenkiste. O Gott, immer diese Entscheidungen. Shirt, Jeans und Sneakers mit einem tagestauglichen Make-up, fertig und aus!

«Guten Morgen, Stine, mein Schatz! Na, wie geht es meiner Lieblingstochter?»

Hatte ich nicht eben noch gedacht, ich sei motiviert für den Tag? «Erstens bin ich deine einzige Tochter – und damit zwangsläufig deine Lieblingstochter. Und zweitens möchte ich den Namen Stine im Zusammenhang mit meiner Person nie wieder hören. Guten Morgen!», begrüße ich meinen Vater mit ruhiger Stimme und nehme mir eine Scheibe Vollkornbrot.

Ganz im Sinne meiner Mutter hat er schon das Frühstück gemacht. Sie hat es nämlich nicht so mit den frühen Morgenstunden.

«Du musst schon entschuldigen, dass ich dich bei dem Namen nenne, den deine Mutter und ich für dich ausgesucht haben. Wir mögen ihn zufälligerweise nämlich sehr.»

«Aber ich nicht!», falle ich ihm ins Wort.

«Schon gut, schon gut!» Er schiebt mir meine Lieblingsmarmelade rüber und lächelt mich versöhnlich an.

Ich weiß nicht, wie oft ich meinem Vater das schon erklärt habe: Bei der Bravo oder dem Rolling Stone wird sich sicher niemand für «Stine aus Hürth» interessieren. Also muss man eben ein bisschen an seinem Lebenslauf herumbasteln. Und das mache ich schon seit meinem sechsten Geburtstag. Da habe ich mich nämlich für den Namen Stella entschieden. Stella ist italienisch und bedeutet Stern – oder Star.

Und dass ich ein Star werden will – werden muss –, ist mir seit diesem Tag im Jahre 1999 klar. Damals hatte ich sozusagen meinen ersten Gig. Aus meinem knallroten Benjamin-Blümchen-Kassettenrecorder (der war wiederum ein Geschenk zu meinem dritten Geburtstag und muss mir verziehen werden) dröhnte Viva forever von den Spice Girls (auch das muss mir verziehen werden, so waren eben die 90er).

Zusammen mit Angie, die damals noch Anke hieß, bis ich auch ihre Vita frisiert habe, einer Haarbürste als Mikrophon und einem Tennisschläger, der als Gitarre herhalten musste, haben wir unsere Terrasse gerockt. Ich kann mich noch total gut daran erinnern, wie cool ich es fand, dass uns die Gäste alle zugejubelt haben. Sogar die «Großen» haben applaudiert und auf den Fingern gepfiffen ...

«Moagähn!», ertönt ein verschlafenes Lebenszeichen meiner Mutter aus dem Flur. Sie schlurft langsam zu uns in die Küche, und sofort hält mein Vater ihr einen frischen Kaffee direkt unter die Nase. Reine Vorsichtsmaßnahme. Vor dem ersten Kaffee spricht man meine Mutter besser nicht an. Aber kaum hat sie den runtergespült, springt ihr Motor an: «O mein Gott, Stella! Heute ist dein erster Tag in der Plattenkiste!», platzt es aus ihr heraus.

«Ich weiß!», sage ich und schmiere mir ein zweites Brot.

«O mein Gott!», sagt meine Mutter erneut.

«Evi, was ist denn los? Brauchst du noch einen Kaffee?», fragt mein Vater besorgt.

«Unsere Tochter ist erwachsen geworden!», jammert meine Mutter. «Gestern habe ich sie noch in den Kindergarten gebracht. Und heute geht sie schon zur Arbeit. Wo ist bloß die Zeit geblieben?»

Zum Glück nimmt mein Vater sie in den Arm, denn zu diesen sentimentalen Ausbrüchen fällt mir nie etwas Passendes ein. «Dazwischen liegen schon ein paar Jahre», erklärt mein Dad, und ich stelle fest, dass es ziemlich genau zwölf sind, seit ich das letzte Mal einen Kindergarten von innen gesehen habe.

«Ich muss los! Nach der Arbeit fahre ich gleich zum Proberaum. Ich bin dann so gegen neun Uhr zu Hause. Ist das okay?», frage ich, und meine Mutter nickt selig lächelnd mit dem Kopf. Schön, wenn die Familie zusammen ist, kann ich auf ihrer Stirn lesen.

Aber mit dem nächsten Schluck Kaffee erwacht sie aus ihrer Gefühlsduselei: «Um neun Uhr zu Hause? Warum das denn? Fährst du nicht heute zum Konzert nach Köln?»

Die Aufregung über meinen ersten Arbeitstag hat mich fast vergessen lassen, dass ich ja eigentlich noch ein bisschen sauer bin auf meine Mutter. «Du weißt doch: Wenn sich deine Tochter für eine Sache entschieden hat, musst du dich auf das absolute Gegenteil gefasst machen!», ist mein knapper Kommentar, und dann ziehe ich demonstrativ die Haustür hinter mir zu. Wie gut für alle, dass ich heute so einen vollen Terminkalender habe. Sonst würde ich den ganzen Tag zu Hause rumstänkern und meine schlechte Laune an allem und jedem auslassen!

Die Plattenkiste liegt zwar mitten in der Einkaufsstraße, aber trotzdem ein wenig versteckt. Es scheint fast so, als ob nicht jeder hierher finden soll. Neben einem nicht so ganz zeitgemäßen Schuhgeschäft findet man eine Tür. Die führt in ein schummeriges Treppenhaus, in dem eine nicht wirklich vertrauenerweckende Holztreppe in den ersten Stock führt. Ein dickes Seil dient als Geländer. Es ist total schmuddelig. Aleks mit ihrem Sauberkeitsfimmel würde wahrscheinlich eher die Treppe hinunterstürzen, als das Teil in die Hand zu nehmen. Sie poliert sogar ihre Gitarre jedes Mal, bevor sie zu spielen beginnt. Von wegen Rock ’n’ Roll!

Oben angekommen, quetscht man sich durch eine Art Saloontür, die sich komischerweise nie gelockert hat und nach all den Jahren noch immer blitzschnell hinter den Besuchern zusammenschlägt. Tja, der Weg ins Musikgeschäft ist nicht leicht ...

Schnell fällt dann auf, dass der Name Plattenkiste nicht wirklich passt. Und warum? Genau! Weil es nämlich gar keine Platten mehr gibt. Auch hier nicht. In riesigen Kisten, maßgefertigten Holzregalen und schlichten Ständern finden sich CDs, DVDs, Bücher und Comics. Evi nennt diesen Laden ein «Modernes Antiquariat». Aber egal, wie man das hier nennt – und auch wenn meine Mutter und ich sonst nicht viele Gemeinsamkeiten haben: Die Plattenkiste lieben wir beide heiß und innig.

Schon seit ich denken kann und noch viel früher, hat meine Mutter mich mit hierher geschleppt. In einem riesigen bunten Tuch vor den Bauch gespannt, habe ich schon als Baby in den Platten der Stones, von Janis Joplin und Santana gestöbert. Das scheint so eine Familientradition zu sein. Dass die Kinder so früh wie möglich mit der Musik ihrer Eltern konfrontiert werden. Evi prahlt heute noch damit, dass sie eine der jüngsten Besucherinnen von Woodstock war. Nur zur Info: Woodstock war ein Musikfestival Ende der 60er Jahre – irgendwo in der Nähe von New York. Wenn ich es mit der Loveparade vergleiche, gibt es immer Ärger mit meiner Mutter. Sie meint, Woodstock war politisch von großer Bedeutung. Ich meine, dass einfach alle nur nackt und mit Drogen vollgepumpt waren und den ganzen Tag «Peace!» vor sich hin gelallt haben. Wie bei der Loveparade eben. Aber lassen wir das.

Ich liebe diesen Laden. Auch wenn ich meine Musik meistens gar nicht hier kaufe. Nicht kaufen kann, weil der Belgier mit angesagter aktueller Musik nichts anfangen kann. Obwohl er sich über die Jahre schon ein bisschen auf den Mainstream einlassen musste, damit er seine Ladenmiete zahlen kann. Also findet man inzwischen neben Nirvana und R.E.M. auch aktuellere Alben von Franz Ferdinand, Justin Timberlake oder Rihanna. Aber nach Tokio Hotel und Britney Spears traut sich hier nicht mal jemand zu fragen!

«Hi, Stella! Schön, dass du da bist!» Der Belgier. Das kann nur der Belgier sein. Seine Stimme – und vor allem sein Dialekt – ist einfach unverkennbar. Einige Leute sagen, er nuschelt ganz fürchterlich. Andere sagen, er könnte nach dreißig Jahren in Deutschland doch mal langsam ein besseres Deutsch sprechen. Und wieder andere lieben ihn einfach so, wie er ist. Das tue ich auch. Also, ich meine, ich liebe seinen belgischen Dialekt und seine Art. (Immerhin ist er mindestens fünfundfünfzig und könnte mein Vater sein. Oder mein Opa.)

«Hallo», sage ich schüchtern. Eigentlich bin ich ja gar nicht so kleinlaut. Aber das hier ist eben die Plattenkiste, und vor mir steht der Belgier.

«Heute geht es also los?», sagt er.

«Yo!» Total bekloppte Antwort.

«Okay, den Laden kennst du ja. Aber ich führe dich trotzdem nochmal rum, damit du einen Überblick bekommst.»

«Yo!» Schon wieder ...

Entspann dich, Stella. Ist doch alles ganz relaxed, rede ich mir gut zu, während ich dem Belgier durch die schmalen Gänge folge.

«Ich denke, für heute reicht es, wenn du dich durch die CDs wühlst und einfach ein bisschen Plattenkisten-Luft schnupperst. Wenn du eine CD am falschen Ort findest, dann sortiere sie doch bitte gleich wieder richtig ein – in alphabetischer Reihenfolge! Alles klar?», flötet er und tänzelt hinter den Tresen, um eine Kundin zu bedienen.

Erst um kurz vor fünf taucht der Belgier wieder auf, um mir mitzuteilen, dass ich Schluss machen kann.

«Was? Ist es etwa schon so spät?», frage ich ihn völlig erstaunt. Anscheinend bin ich für die letzten Stunden total abgetaucht in den prallgefüllten Kisten und Regalen – echte Goldgruben. Beim Sortieren der CDs habe ich so viele abgefahrene Cover entdeckt und eine Menge tolle Bands gefunden, dass ich zwischendurch noch nicht einmal auf dem Klo war.

«Sieht so aus, als hättest du Spaß gehabt, was?», grinst er in seinen Bart.

«Stimmt!», bemerke ich und frage ihn, wann ich wieder kommen soll.

«Wir sehen uns am Montag. Zwölf Uhr ist okay», findet mein Chef, und ich finde das auch.

Draußen trifft mich der Schlag: Es sind mindestens fünfzig Grad. Wie gut, dass ich mich mit Angie im Proberaum verabredet habe. Und wie gut, dass der Hausmeister uns für die Ferien einen Schlüssel gegeben hat. Nun können wir so oft dort abtauchen, uns abkühlen oder einheizen – wie es uns gefällt. In einem Keller ohne Fenster kann man diese Hitze sicher am besten aushalten. Außerdem freue ich mich, Angie mal wieder ganz für mich allein zu haben. Nichts gegen Aleks, aber mit Angie kann eben keine – und erst recht keiner – mithalten. Als Zeichen meiner tiefen Freundschaft fahre ich noch mit dem Fahrrad einen kleinen Umweg und kaufe uns zwei Eisbecher beim Eisbär. Schließlich bin ich ja jetzt Großverdienerin ...

«Stella! Wie war’s?», stürmt Angie auf mich zu. Natürlich ist sie schon da. Ich glaube, in den letzten vier Jahren habe ich es genau zweimal geschafft, vor Angie im Proberaum zu sein. Und das auch nur, weil ich einmal eine Doppelstunde Bio blaugemacht habe. Und das andere Mal, weil Angies Oma gestorben war. Was erst wie die blödeste Entschuldigung überhaupt klang, war dann aber gar nicht lustig. Sie war wirklich gestorben. Und Angie war anschließend allein den ganzen Weg vom Krankenhaus hierher gelaufen. Jede andere wäre gar nicht mehr aufgekreuzt. Nur Angie.

«Ich habe eine Überraschung für dich! Bitte schön!», sagt sie und hält mir einen riesigen Becher Eis direkt vors Gesicht. «Ich dachte, ich muss dich erst mal aufpäppeln, bevor wir loslegen können. Was ist los? Warum guckst du denn so komisch? Du magst doch Erdbeer ... Oder?»

Wortlos packe ich die zwei anderen Portionen aus.

«Super! Beste Freundinnen! Beste Ideen! Und zwei Eis sind immer besser als ein Eis!», freut sich Angie und lässt sich aufs Sofa fallen.

«Genau!», stimme ich ihr zu und hocke mich neben sie.

Ich erzähle ihr von der Arbeit, und sie stöhnt über eine abturnende Shoppingtour mit ihrer Mutter.

Angie steht auf, schaltet die Anlage an und stellt sich ans Mikrophon. «Meine Damen und Herren: Wegen einiger Menschen mit Beschützerwahn und verwirrter Blumenkinder – kurz gesagt: wegen Müttern – mussten wir unser Programm für heute leider ändern. Statt ein Konzert zu besuchen, spielen wir nun selber live und exklusiv für Sie Family Portrait von Pink!»

Nach zwei Stunden Improvisieren, Explodieren und Applaudieren beenden wir unser Kellerkonzert und fallen uns nassgeschwitzt in die Arme. «Das war der Burner des Tages! Du warst großartig! Deine Drums mussten echt ganz schön was aushalten», jubele ich Angie zu.

«Mehr geht heute wirklich nicht! Und morgen bräuchte ich mal ’ne Probenpause. Am Montag kommt Aleks zurück, und die will dann sicher auch gleich wieder loslegen. Wie wäre es also mit einem entspannten Sonntagskäffchen in der City?», schlägt Angie vor.

«Vom Kaffeetrinken in der City ist noch niemand berühmt geworden! Vielleicht in New York oder London, wenn du dich mit Madonna oder Robbie Williams verabredest. Aber dies hier ist Hürth!» Und während ich mal wieder den Kleinstadtblues bekomme, grinst Angie mich einfach frech an. Noch immer hat sie einen Schokoladenrand um den Mund. Da muss man ja weich werden. «Anlage aus? Licht aus? Alles aus?», frage ich – und mit meinem süßesten Lächeln füge ich hinzu: «Dann können wir ja morgen in Ruhe ausgehen.»

Der Rock! Die Cola! Die Beule!

Ich schiebe die Vorhänge zur Seite und ziehe die Jalousien hoch. Ja, ich kann nur schlafen, wenn es stockfinster in meinem Zimmer ist. Nein, ich bin kein Vampir und zerfalle nicht zu Staub, sobald ein Lichtstrahl auf mich trifft. Obwohl ich zugeben muss, dass ich während meiner Black-is-beautiful-Phase schon manchmal so ausgesehen habe.

Aber momentan strahlen meine Haare genauso blond wie die von Gwen Stefanie.