sterbensNAH - Lana Leros - E-Book

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Lana Leros

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Beschreibung

Diese Geschichte beruht auf einer tatsächlichen Begegnung. Zwei Frauen, die verheiratet sind, jeweils Familie haben und mittleren Alters sind, lernen sich zufällig kennen. Eine Situation, die häufig und überall vorkommen könnte. Es entwickelt sich eine tiefe Freundschaft zwischen ihnen. Doch bald verläuft die Freundschaft anders als erwartet. Die Zuneigung zueinander wird erst erotisch. Aber Sonja fängt an, ihrer mittlerweile besten Freundin zu misstrauen. Nicht nur die Freundschaft steht auf dem Spiel, sondern Sonja hegt den Verdacht, dass ihre beste Freundin einen Mord begangen haben könnte. Sie geht der Sache nach, ohne zu bemerken, dass sie sich selbst dabei in Gefahr begibt. Lesermeinung: Spannender Thriller, den man nicht mehr aus der Hand legen kann, toll geschrieben

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Seitenzahl: 305

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Ich widme dieses Buch meiner Familie, die mir die Zeit und die Unterstützung gewährt hat, dieses Buch zu schreiben, und allen meinen Freunden, auch denen in den sozialen Netzwerken und insbesondere meinen Twitter-Freunden und -Freundinnen, die mich immer wieder motiviert haben, weiter zu machen. Nur meine Mutter, mein Mann und ich kennen die ganze Wahrheit.

In diesem Roman gibt es einen Teil, der aus dem Leben gegriffen ist und ein Teil ist ausgedacht, dennoch sind Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen oder Begebenheiten rein zufällig und von mir nicht beabsichtigt.

„Erfahrungen sammelt man wie Pilze,

einzeln und mit dem Gefühl,

dass die Sache nicht ganz geheuer ist.“

Erskine Caldwell

Inhaltsverzeichnis

Samstag – ein Trojaner

Mitternacht:

Fünf Tage später - Donnerstag - Frühstück

Zwei Tage danach - Samstagabend im Bahnhof –

Eine Woche später - Sonntag

Sommer - Ferienende

Sonntag - Verdacht

Vier Tage später – Donnerstag ein seltsamer Tag -

Zwei weitere Tage später - Samstag, Anna hat Geburtstag

Eine Woche später - bei der Familie der Verstorbenen -

Donnerstag - vier Tage danach

Nachmittag desselben Tages

Einen Tag später - Freitag

Samstag – Die Nacht ist schlaflos.

MomoHugru Montags-morgens-Hunde-Gruppe

Am selben Tag, Nachmittag

Eine schlaflose Nacht

Der Tag danach - Montag

Am späten Nachmittag – Abschied

Einen Tag später

Mittwoch

Freitag

Mittag

Samstagabend – Einbruch

Sonntag – Treffen

Montag – nach der Arbeit

Donnerstag – freier Tag 01.11.

Mittwoch 07.11.

Samstag – ein Trojaner

0:57...0:56 „Sie haben sich einen Trojaner eingefangen. Wenn Sie jetzt nicht innerhalb von 1 Minute unten auf den Button klicken, ist Ihr System für immer zerstört! 0:34 ... 0:33 ... 0:32 ...“

„Manuel! Manuel!“

„Ja, was ist denn?“

„Komm schnell, ich habe mir einen Trojaner eingefangen! Hilf mir!“

„Ich kann nicht mal in Ruhe aufs Klo gehen!“

„Jetzt komm endlich 0:16 ... 0:15 ... gleich ist alles, meine Adressen, Fotos, Texte, mein Kalender, mein Leben, einfach alles weg und kaputt! Für immer! Wie soll ich da wieder drankommen? Hab´ kein Back-up gemacht! Schnell! Oh Mann, bitte!“

„Oho, sogar mit einem Apple Icon, pfiffig, nur nicht auf den Button drücken. Das ist der Trojaner! Da ist nichts weg! Reg dich nicht so auf.“

„Toll! Wenn ich jetzt da gedrückt hätte, wär´ alles weg gewesen. Nichts und Niemandem kann man vertrauen!“ Sonja schaut ihn dabei von der Seite an.

„Rutsch mal zur Seite. Ich mach´ das mal eben. So schnell wären deine Daten nicht weg. Sicherheitshalber lassen wir das Cleaner Programm laufen. So das war´s jetzt. Sag mir Bescheid, wenn´s fertig ist. Nächstes Mal, weißt du ja dann, was du zu tun hast.“

Er streicht ihr kurz über den Kopf, als wäre sie ein kleines Kind. Dann dreht er sich um und geht einfach wieder aus dem Zimmer.

Sonja sitzt da. Sie starrt auf ihren Bildschirm. Kurz malt sie sich noch aus, wie sie mit dem Datenverlust hätte leben müssen. Und die Vorstellung, dass jemand ihre Informationen für sich nutzen und sie verbreiten könnte, lässt panische Gefühle in ihr hochsteigen. Sie wäre ganz klar erpressbar. Noten und Adressen von Schülern und Kollegen, aber noch viel schlimmer, auch ein paar Nacktfotos von ihr von einem Bootsurlaub im Mittelmeer wären zu entdecken gewesen.

Okay es ist ja nichts passiert, also konzentrier´ dich jetzt, mach weiter.

Nach kurzer Zeit ruft sie, „bin fertig!“ Und lauscht. „Fertig“! ,..ruft sie noch einmal lauter.

Sie hört ihre eigene Stimme zu Hause selten so laut. Keine Antwort ... Stille, einfach gar nichts. Sie wartet und schaut über ihren Schreibtisch hinweg ins Leere. Lauscht auf Geräusche, die sie versucht wahrzunehmen. Aber nichts, keine Geräusche sind zu vernehmen, so sehr sie sich auch anstrengt. Sie hört nur den Wind draußen durch die Bäume streichen.

Die E-Mails, Anrufe, alles abgearbeitet. Seit 6:30 ununterbrochen gearbeitet. Eigentlich müsste ich doch stolz auf mich sein, aber nichts zu sehen, keine Ergebnisse, kein Papierhaufen weniger. Wie erschlagen, fühle ich mich. Bloß raus aus meinem Arbeitszimmer.

Er steht einfach so vor ihr, ihr Mann.

„Kommst du mit einkaufen?“ Dabei schaut er sie teilnahmslos an.

„Wohin, willst du?“

„Na, in die Stadt, nach Witten, Dortmund, vielleicht sogar Düsseldorf oder so.“ Er sagt das so mit nach unten gerichtetem Blick, als würde er das gerade aus seinem Handy vorlesen.

„Ja, können wir machen“, antwortet sie mit einem Lächeln. Nun schaut er von seinem Handy, das er die ganze Zeit in seiner rechten Hand hält, kurz auf.

Bestimmt liest er wieder Nachrichten oder langweilige Testberichte zu Autos. Dann will er mir nachher wieder davon erzählen, welches neue Auto 250 PS hat, und ob es mit E-Antrieb oder Benzin fährt, schießt es ihr durch den Kopf und ihre gerade aufgeflammte Freude fühlt sich nun wieder leicht gedämpft an.

„Kann ich so gehen?“ ,..fragt er und schaut sie an. Wenn er das fragt, dann muss sie immer bei dem Gedanken lächeln, dass er vermutlich auch als Kind seine Mutter so gefragt hat.

Eigentlich kann er immer „so“ gehen. Ich zeige mich gern mit ihm. Er sieht mit 51 Jahren noch recht gut aus, ein wenig wie George Clooney. Dabei gewinnen die grauen Haare von den Schläfen mittlerweile überhand über die ursprünglich schwarzen Haare. Er hat ein kantiges, männliches Gesicht, das immer einen Dreitagebart zu haben scheint. Auch heute trägt er eine Blue Jeans, die nicht wie bei den meisten Männern lächerlich aussieht, da er lange sehnige Muskeln, gleich denen eines Langstreckenläufers hat. Aber ohne Polohemd verlässt er das Haus nicht. Modeunabhängig trägt er es vehement in unterschiedlichen Farben. Neuerdings, heute, mutig in kiwigrün, überlegt sie. Nach einigen Bitten ihrerseits wie zum Beispiel so: „Zieh die Socken runter,“ trägt er mittlerweile Sneakersocken oder sogar im Sommer gar keine Socken mehr in den Schuhen, die seine braunen Knöchel zeigen.

„Okay, ich fahre“ sagt er wie so oft entschieden und nickt ihr aufmunternd zu.

Sie legt dann ihren Kopf schräg und fragt ihn:

„Warum soll ich mir das antun und selbst fahren?“

Er senkt seinen Blick und schaut mit seinen hellblauen Augen wie ein kleiner Junge, der gerade bestraft wird.

„Ja, was soll das? Du fährst doch immer. Dann muss ich mir nicht während der Fahrt anhören: „Bremsen! Da ist rot! Nicht die Kurve schneiden!“ Dann streckt sie ihr Kinn vor und schaut ihn herausfordernd an.

„Alles klar,“ antwortet er resigniert.

Er ist nun mal Polizist. Er kann nicht anders, denkt sie dann jedes Mal.

„Ich meine es doch nicht böse“, sagt er traurig „ich möchte doch nur, dass dir und anderen Verkehrsteilnehmern nichts passiert.“

„Ja, können wir jetzt gehen?“,… fragt sie genervt.

„Jungs, kommt ihr mit?“ Und dabei schaut sie ihre beiden Söhne an. Weil sich keiner von beiden rührt, setzt sie nach: „Dann fällt vielleicht auch etwas für euch ab.“

„Wir brauchen nichts,“ sagt Leon mit fast 18. Stefan mit seinen 16, meint 18 zu sein und nickt nur dazu. Beide starren ungestört in ihre Handys. Die Füße auf die Tischkante des Wohnzimmertisches gestützt, scheinen sie mit dem grauen Sofa unbeweglich eins zu sein. Chayas weiße Ohren schauen hinter dem Sofa hervor. Die weiße Schäferhündin ahnt schon, dass sie nicht gemeint ist und wieder zu Hause bleiben soll. Deswegen rührt sie sich weiter nicht.

„T-Shirts, Badehosen und so? Braucht ihr nichts?“,… lockt sie mit hoher Stimme, wie eine Gans ihre kleinen Küken. Leon springt darauf an:

„Ich komm doch mit.“

Stefan bleibt unbeweglich und winkt nur mit der rechten Hand ab. Ein „tschüss“ gleitet ihm unmerklich zwischen den Lippen hervor.

Sie fahren los, in Dortmund angekommen, finden sie auch den passenden Parkplatz, nicht irgendeinen Parkplatz. Meist ein Parkplatz, auf dem sie schon einmal geparkt haben. Es muss ein Platz sein, der genug Raum um ihr Auto lässt.

„Ist das jetzt der richtige Parkplatz?“… fragt sie Manuel und schaut ihn verschmitzt von der Seite an. Aber den Spaß will er einfach nicht verstehen und blickt nur grimmig. Er fährt vier- oder fünfmal vor und zurück, bis das Auto auch wirklich exakt gerade und parallel zu den eingezeichneten weißen Streifen in der Parklücke steht.

Leon und Manuel fragen Sonja:

„Wo sollen wir denn jetzt hingehen?“

„Na, in die Thier-Galerie, wie immer, da sind doch ganz viele Geschäfte, vielleicht finde ich da auch etwas Schönes für mich? Ich möchte so gern nach einer Bluse schauen, in blaugrau, farblich passend zu der grauen Hose und der kurzen Jacke, die ins Blaue übergehen und die ich momentan trage. Ach, es wäre schön, wenn die ganze Welt in harmonisch abgestimmten Tönen wäre, wisst ihr? Nur, in Blautönen eine ganze Siedlung, nur in Rottönen gleich dem Herbstlaub oder in Grüntönen, wie ein Urwald, das sieht so friedlich aus.“

„Ja, ja“ antworten lang gezogen Leon und Manuel im Duett.

„Das ist mir zu hippig!“ Leon zeigt dabei auf ein ausgefranstes T-Shirt.

„Wie sieht das denn aus?“ Fragt Manuel entsetzt und zeigt auf eine männliche Schaufensterpuppe, die eine postgelbe Lederjacke trägt.

„Viel zu mackermäßig!“

„Das kann ein Zuhälter tragen, aber ich nicht,“ wechseln sich die Kommentare der Zwei vor und sogar in den Geschäften ab. Sonja ist es schon manchmal peinlich.

„Wir finden schon etwas Schönes für euch, hier das Shirt?“

„Okay, es ist weiß, und wenn da nicht die blöde große Schrift drauf wäre, dann wär´s ja auch echt okay.“

„Und für dich Manuel? Hat doch ein frisches Weiß!“

„Nein, zu eng, gefällt mir nicht, brauch´ ich gar nicht anzuziehen,“ murrt er, „ich brauch auch gar nichts.“

Alle gehen weiter.

„Guckt mal!“,… ruft Sonja, „das sieht schön aus! Das Kleid dort drüben im Schaufenster. Es ist ganz grün, aber changiert wunderbar in den Grüntönen. Es sieht wie ein Dschungel aus!“

„Probier ´ es doch einfach an, ich warte hier so lange draußen,“ sagt Manuel und blickt dabei auf sein Handy.

Sonja sieht ihren Sohn hilfesuchend an.

Er schaut sie an und nickt ihr zustimmend zu. Wortlos folgt er ihr in das Geschäft mit rein. Die Verkäuferin hatte wohl ihren verliebten Blick auf das Kleid und ihren zielstrebigen Gang zur Puppe, die im Schaufenster steht, gesehen. Mit einem eingeübten Lächeln fragt sie:

“Größe 38? Passt bestimmt gut zu ihren grünen Augen.“

Sie verschwindet. Dann kommt sie aus dem Dunkel des hinteren Bereiches wieder mit dem gleichen Kleid hervor. Triumphierend hält sie das Kleid hoch, als sei es ein Pokal, den sie für einen Langstreckenlauf bekommen hat. Sie winkt mit dem Kleid nach rechts und zeigt auf die Umkleidekabine. Mit großen Schritten erreicht Sonja sie. Sie senkt ihren Arm, sodass sie nicht daran springen muss, und nimmt ihr das Kleid aus der Hand. Ihre blaue Lieblingsjeans und ihr hellblaues, enges T-Shirt tauscht sie gegen das Kleid. Der Stoff gleitet wie Öl kühl über ihre Haut und fühlt sich fantastisch gut an.

„Es passt!“,… ruft sie.

Aber nur Leon antwortet: „Und nimmst ´e es?“

Sie schaut in den bodenlangen Spiegel.

Es passt eigentlich gar nicht. Ich sehe darin fremd aus. Viel zu elegant für mich. Sportliche Kleidung in einer Farbe sind eher mein Stil. Meinen Rücken strecken und die Schultern nach hinten ziehen. Jetzt sitzt das Kleid schon besser. Ich sehe schlank und sehr sexy darin aus. Die Farben schmeicheln meiner weißen Haut. Aber trotzdem komme ich mir fremd vor. Ich drehe mich und beobachte wie das Kleid meine Konturen betont. Der Ausschnitt ist gewagt tief, aber noch zumutbar. Das gefällt Manuel bestimmt. Grüne Schuhe habe ich leider nicht, aber braune High Heels, gleich dem Waldboden, passen auch dazu.

„Weiß nicht, komm doch mal gucken.“

Der Vorhang öffnet sich und Leon schlinzt rein. Er nickt.

„Und Papa?“,… fragt sie hoffnungsvoll.

„Steht draußen, wartet.“… sagt er und schaut mich fragend an.

„Ach schon gut, ich nehm´ es!“ Hört sie selbst erstaunt ihre eigene Stimme.

Unbemerkt greift eine Frauenhand langsam neben Leon vorbei. Der Arm scheint immer länger zu werden. Ihre Fingerspitzen berühren ihren Hals.

„Äh ...Moment!“,… erschrocken springt Sonja unter der Hand der Verkäuferin zur Seite weg. „Ich muss es erst noch ausziehen, äh ... zahle mit Karte“.

Draußen vor der Tür öffnet sie die Tüte. „Schau, Manuel, kann ich heute Abend zur Geburtstagsparty von Karo im Tennisklub anziehen, superschön,… das Kleid und die Farben oder?“

„Ja ganz super, können wir jetzt nach Hause, sonst schaffen wir es mit der Party nicht mehr!“ Während er mit ihr spricht, schaut er nur kurz von seinem Handy auf.

„Schade, dass ihr nichts gefunden habt,“ sagt sie traurig auf dem Rückweg vor sich hin.

Sie schlendern zum Auto und sie zeigt hier und da noch auf ein paar pfiffige Kleidungsstücke in den Schaufenstern, aber ihre Männer haben keine Augen dafür. Zu Hause angekommen, schminkt sie sich brauner als sie ist. Sie benutzt einen Selbstbräuner, der angenehm riecht. Es dauert eine Zeit, bis sie sich von oben bis unten damit eingecremt hat. Sie benutzt ein weiches Schwämmchen, das ihre Haut streichelt, um Ränder zu vermeiden. Für ihr Gesicht und ihr Dekolleté, nimmt sie dann Make-up, weil sie meint, dass sie dann attraktiver aussieht.

„Vielleicht wird es ja ein schöner Abend,“ ruft sie aus dem Bad zu Manuel.

„Mmmh ...“ brummt er nur.

„Was soll ich anziehen?“… fragt er, wie immer vor jeder Party.

„Das weiße oder das schwarze Hemd und die schwarze Jeans“, ruft sie laut, um das Geräusch von ihrem Föhn zu übertönen. Sie kommt aus dem Bad, und er hat ein gelbes Poloshirt und eine blaue Jeans an.

„Nimmst du mich so mit?“,… fragt er mit den Augen eines kleinen Jungen.

„Ja, klar nehme ich dich so mit, aber dann frag mich doch nicht immer,“ antwortet sie genervt.

Immer das Gleiche, denkt sie. Während sie das Gefühl genießt, wie dieser seidige Stoff ihres neuen Kleides über ihre Haut gleitet, ruft sie:

„Wir könnten ja danach hier zu Hause noch etwas Trinken, ein Glas Rotwein, und dann vielleicht noch ein bisschen miteinander kuscheln? Haben wir so lange nicht mehr, kann mich gar nicht an das letzte Mal erinnern?“

„Mal sehen“, sagt er.

„Guck! Das ist mein neues Kleid!“,… sagt sie stolz mit heraus gestreckter Brust und dreht sich dabei einmal um sich selbst.

„Ja, ist okay, wir müssen jetzt aber los, sonst kommen wir zu spät,“ sagt er bestimmend.

Sie schnappt sich das Geschenk.

Im Auto versuche ich auf dem Weg zur Party, meine Traurigkeit immer wieder mit meinem Speichel runter zu schlucken. Verdammt, warum bin ich so traurig?

„Angekommen“, flüstert sie Manuel leise in sein Ohr:

„Sind wir hier richtig? Der Tennisklub? Der, von dem Karo immer erzählt hat? Wenn ja, dann bin ich falsch.“

Manuel greift kurz ihre rechte Hand und drückt sie einmal fest zusammen, als wolle er ihr damit kurz Halt geben.

„Da musst du jetzt durch. Wir können nicht mehr zurück, damit du dich umziehen kannst, siehst doch gut aus, ist doch egal, wenn die anderen Jeans und T-Shirts tragen.“

Er lässt sie los. Sie beobachtet ihn, wie er auf seine alten Freunde zugeht und sich dann zu ihnen setzt. Sie wartet noch ein wenig. Manuel dreht sich nicht nach ihr um. Keiner schaut nach ihr. Sie sieht sich um, aber überall entdeckt sie nur Fremde, wie in einer Halle voller Schaufensterpuppen bestehend aus vielen fremden Menschen.

Allein ..., ob ich unauffälliger in dem Fikus Benjamini links neben mir stehen kann? Den ganzen Abend? Vielleicht einfach da vorn hinsetzen und den Rest des Abends nicht mehr aufstehen.

Geradeaus ist einer der vielen weißen Kunststoffstühle frei, auf den sie zugeht. Dahinter verschwindet die Bar in dunklem Schwarz.

„Ist hier noch frei?“,… fragt sie in die kleine Runde.

„Ja klar, setz dich nur,“ antwortet ihr, eine schöne, sopran klingende Stimme. Sie setzt sich neben sie. Ihre muskulösen Beine wippen gleichzeitig in einem steten Rhythmus auf und ab. Wie ein wackelnder Stein auf einem Förderband in einem Steinbruch eines ehemals aktiven Vulkangebietes wirkt sie, dessen hoher Eisengehalt ihre Haut braun und die Haare noch dunkelbrauner aussehen lassen. Ihre kurzen Haare stehen strubbelig wie die Blätter einer Pflanze, die sich auf einem Stein angesiedelt hat, von ihrem Kopf ab. Ihre Gesichtszüge wirken herb und doch weiblich.

Sie scheint so alt wie ich zu sein. Sportlicher als ich, und doch zeigen die Fältchen an ihren Augen und Wangen, dass sie nicht nur Schönes im Leben erfahren hat. Ihre schmalen, aber kräftigen Hände halten eine braune Bierflasche vor ihr so fest, als gebe sie ihr Halt. Um das rechte Handgelenk schlängeln sich bunte Leder- und Seidenbänder. Sie trägt eine weiße, weite Baumwollbluse, die luftig ihre leicht gerundete Taille kaschiert und einen reizvollen Kontrast zu ihrer Haut bildet. Ihre hellblaue Jeans lässt ihre sonnengebräunte Haut durch die gefrästen Schlitze in ihrer Jeans hervor blitzen.

Jetzt wendet sie Sonja ihr Gesicht zu.

Ihr silbriger Kettenanhänger lässt fremde Buchstaben darauf erahnen. Die Augen, von einem grünen Holzbrillengestell umrahmt, sind auf meiner Höhe und zwei dunkelbraune, kristalline Rauchquarze halten scheinbar magnetisch den Blickkontakt zu mir. Keine Miene verändert ihren Gesichtsausdruck, nur ihre Augen schimmern im Licht, als habe sie etwas erlebt, dass sie innerlich in einen Umzugskarton auf den Dachboden gepackt habe, mit einem Schild darauf „misslungene Fotos“.

Ihre Stimme durchbricht mit ihrer Klarheit alle Gespräche um sie herum:

„Das Kleid passt nicht zu dir. Du fühlst dich hier nicht wohl. Du tust mir leid.“

Sie streicht dabei mit ihrer rechten Hand über Sonjas linke Hand.

Elektrisierend, gleichsam als berühre ich einen leicht stromführenden Draht eines eingezäunten Feldes, breitet sich das anfängliche Kitzeln dieser Berührung in meiner Hand schlagartig aus, steigt meinen Arm hinauf und erfasst meinen ganzen Körper. Ich halte die Luft an. Was ist das? Mein Herz flattert, als würde es fliegen. Zwischen meinen Beinen wird es heiß und feucht.

Mitternacht:

Ein unauffälliger Blick zwischen ihre eigenen Beine zeigt Sonja, dass nichts zu sehen ist.

Habe ich mir das eingebildet?

„Was darf es für Sie zu trinken sein“, werden ihre Gedanken durch eine Frau neben ihr, die aus dem Nichts gekommen zu sein scheint, unterbrochen.

„Sekt, der auf ihrem Tablett steht, bitte“ und atmet dabei laut mit einem erleichterten Stöhnen aus. Mit besorgtem Blick reicht sie ihr den Sekt. Verlegen lächelt Sonja sie an. Sie umklammert das kühle Getränk auch mit beiden Händen und hält sich daran fest.

Es hilft irgendwie.

„Ich bin Anna! Anna Goldberg. Und du?“

„Äh ...Sonja, ...Sonja Lichtenmeer“

Ihre Augen scheinen mich zu durchdringen. Ich halte ihrem Blick meinen entgegen, mal versuchen, vielleicht kann ich ihm standhalten. Es ist wie bei dem Spiel mit Kindern. Wer plinkert, der verliert. Aber diese braune Farbe? Ich versinke in ihrer Augenfarbe, dieses tiefe Braun.

„Fährst du auch gern Ski?“

„Äh ja, sehr gern, schon lange und du?“

Wie kommt sie darauf? Vielleicht durch die Unterhaltung mit den Tischnachbarn?

„Ich auch, sehr gern. Ich liebe die Geschwindigkeit, den Wind, das schnelle Gleiten durch den Schnee, das Knirschen, wenn die Schneedecke unter mir zusammen gepresst wird.“

„Ja, mag ich auch“, und schaut sie ununterbrochen an.

„Nur wenn der Schnee sulzig ist, dann mag ich´ s nicht, kann meine Ski dann nicht richtig kontrollieren, mein Knie tut danach höllisch weh.“

„Geht mir auch so.“

„Mein Knie ist hin, muss ich mal bald operieren lassen“, sagt sie.

„Ja, müsste ich auch, aber mir fehlt der Mut, ich versuche es mit täglichen Trainingseinheiten stabil zu halten.“

Wieder ein „Auch“.

„Mein Rechtes. Ist´s auch dein Rechtes?“

„Ja“

Werden wir uns jetzt den Rest des Abends über Krankheiten austauschen, nein, das kann doch nicht sein, dann werde ich gehen, wohin?

Sie schaut sich um.

Manuel sitzt weiter weg bei seinen alten Freunden. Ich gönne es ihm. Ein Fremder sitzt dabei. Lachen! Toll, die haben Spaß. Ich werde jetzt den Rest des Abends vielleicht über Krankheiten reden müssen und total frustriert, mich sterbensnah fühlend nach Hause gehen.

„Aber alles andere kann ich mit dem Knie noch machen, auch Motorrad fahren.“

„Wie Motorrad fahren? Du fährst auch Motorrad? Selbst oder nur mit?“,… fragt Sonja. Ihre Neugierde ist geweckt.

„Nee, selbst, na klar! Ist doch viel besser!“

„Find ich auch.“

Doch kein Abend voll des Jammerns, denke ich erleichtert.

„Bin ich auch, früher bis die Jungs kamen, könnte ich eigentlich jetzt wieder anfangen. Jetzt sind sie ja groß und haben vielleicht auch Spaß am Motorradfahren. Dann könnte man als Familie gemeinsam schöne Ausflüge unternehmen. Was fährst du?“

„FJR 1300 ganz Silber mit viel Chrom, ein bisschen groß für mich, aber mit richtig `Wumm´ dahinter! Habe ich von meinem Bruder. Ich fahre damit jeden Tag zur Schule.“

„Ach, bist du auch Lehrerin?“

„Ja, an einer Realschule. Finden die Schüler voll krass, wenn ich mit dem Moped ankomme.“

„Oh, ich auch.“

„Ach, du auch? Mit dem Motorrad zur Arbeit?“

„Nein, das ist mir zu viel Gerödel, nein, ich meine, dass ich auch Lehrerin bin. Am Gymnasium in Bochum, mache den Job echt gern. Ist der beste Job der Welt.“

„Finde ich auch, die Arbeit mit den Kindern, macht voll Spaß, auch wenn man nicht immer zum Unterrichten kommt.“

„Ja, sehe ich auch so.“

So viele „Auchs“ was soll das?

Ein Druck im Magen will sich in meinem Bauch ausbreiten.

Spielt sie mir etwas vor? Ist das echt? Was könnte sie damit bezwecken? Ach, was soll´s, ist doch einfach schön, wenn man so viel miteinander teilt.

„Früher sind wir mit den Motorrädern zum Segeln gefahren. Das war anstrengend, aber toll, man braucht ja nicht viel Gepäck.“

„Ach, ihr segelt auch? Das gibt’s nicht! Wir auch! Und Kinder, …habt ihr auch Kinder?“

Ich merke, wie meine Neugierde immer mehr wächst und der Druck im Magen langsam wieder verschwindet.

„Ja klar, zwei Mädchen, Maria ist bald 18 und Lina ist fast 16, und du?“

„Ich habe zwei Jungs, Leon und Stefan, sind genauso alt. Ach Karo, da bist du ja, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!“

Warum habe ich ihr nicht schon gerade beim Hereinkommen gratuliert, so wie es sich gehört?

„Ah, habt ihr euch bereits kennengelernt?“

Karo nickt dabei anerkennend. Sie schaut abwechselnd zu Anna und Sonja.

Sonja setzt sich wieder ganz aufrecht hin und ihr Rücken spannt sich.

Irgendwie fühle ich mich ertappt, wie ein Schulmädchen, das beim unerlaubten Quatschen im Unterricht erwischt worden ist.

„Ja“, sagt Anna mit hervorgestrecktem Kinn, „wir sind Kolleginnen.“

Wie selbstbewusst!,… staune ich.

Manuel kommt und schaut seine Frau fragend an:

„Das Geschenk, hast du es ihr schon gegeben?“

„Äh nein, ach hier ist es, du weißt ja schon, was es ist, oder?“ Dabei wartet sie auf Karos Reaktion.

Warum, bin ich nur so verlegen? Wenn ich das sage, was ist denn schon dabei? Habe ich eben vergessen, ihr sofort zu geben. Jetzt ärgere ich mich auch noch über mich selbst!

„Habe ich mir gewünscht, kann ich immer gut gebrauchen, danke!“ ,… erwidert Karo und umklammert die eingepackten Tennisbälle wie ein kleines Mädchen ihr Stofftier.

„Viel Spaß noch, wir sehen uns, muss noch zu den anderen Gästen, komme später sicherlich noch mal zu euch“, sie dreht sich um und geht.

Wir nicken verständnisvoll und blicken ihr nach, wie sie in einer anderen Gruppe von Gästen verschwindet.

„Hallo! Ich bin Roger, Roger deutsch ausgesprochen, wie es geschrieben wird, nicht englisch, okay?“

Sonja reicht ihm die Hand.

Eisblaue Augen, riecht nach Rauch, blitzt es in meinem Kopf auf. Warum stellt er sich mir vor? Möchte er mich näher kennenlernen? Sein Händedruck ist kurz und fest, passt gar nicht zu seinen weichen Gesichtszügen. Er hat rötliche Haare und versteckt sein halbes Gesicht hinter einem gepflegten rotbraunen Vollbart. Seine kurzen Haare sehen aus, als hätte er sie rundum mit einer Schere selbst geschnitten. Sieht einfältig aus. Seine Zähne sind unglaublich regelmäßig und groß. Sie wirken unecht.

„Äh ... ich bin Sonja.“

„Ja, Roger ist der Mann von Anna,“ erklärt Manuel und blickt sie erstaunt an.

„Ach,... so.“

Anna sitzt ruhig da. Sie schaut ihren Mann gar nicht an. Sie blickt die ganze Zeit zu Sonja und lächelt sie scheinbar amüsiert an.

Wann waren eigentlich unsere Tischnachbarn gegangen? Wie sahen sie überhaupt aus? Ich hatte mich, glaube ich, überhaupt nicht mit ihnen unterhalten. Wie unhöflich von mir. Ach egal, sind jetzt weg und zwei Stühle sind dadurch für Manuel und Roger frei geworden, wäge ich ab.

Roger setzt sich auf den freien Stuhl neben sie. Sonja sitzt nun zwischen Beiden.

Unglaublich, sollte ich mich täuschen, oder passen sie gar nicht zusammen? Ich hätte Anna einen sportlichen und gutaussehenden Mann zugetraut, nicht so einen verweichlichten Typ. Vielleicht irre ich mich ja.

Manuel setzt sich Sonja gegenüber an den Tisch, sodass er auch zwischen den Beiden sitzt. Er schaut sie immer noch irgendwie verwundert an.

„So, ihr habt also die gleichen Hobbys wie wir,“ sagt Roger.

„Woher weißt du das?“,… frage ich ihn erstaunt.

„Ich habe mich ja gerade die ganze Zeit mit Manuel unterhalten.“,… sagt er lächelnd.

„Ach so, verstehe.“

Wie noch einer mit vielen „auchs“? Ja, aber muss ja so sein, Anna ist ja seine Frau, warum nicht?

„Ja, können wir ja zusammen mal machen, segeln, Motorrad fahren,...“

„...oder Mountain - biken, kochen, wandern.“,… ergänzt Anna einfach Sonjas Satz.

Sie ist gar nicht erstaunt, dass sie das vorschlägt, denn auch das machen sie gern. Sie schaut sie an und knipst innerlich ein Foto von ihr. Die Bierflasche umklammernd sitzt sie neben ihr und lächelt sie irgendwie zufrieden an.

Sie ist ich und ich bin sie. Das gibt´s doch nicht!

Manuel blickt mich an, als müsse er über eine Lesebrille hinweg schauen, die er momentan gar nicht trägt. Ihr Gesicht wird rot. Verdammt, ich kann das nicht unterdrücken. Er blickt zu Roger, endlich.

Die Männer wenden sich einander zu und vertiefen sich in technische Details von Motorrädern und scheinen sie zu vergessen.

„Sollen wir uns treffen?“,… fragt Anna leise.

„Ja klar, wann? Sind ja Ferien, ich habe Zeit, und du?“ ,… fragt sie.

Warum flüstere ich jetzt auch? Warum suche ich ihre braunen Augen. Endlich, da ist er, ihr Blick in meinen Augen.

„Zum Frühstück, aber spät, dann können die Mädchen ausschlafen.“

„Ja, gern bei mir, um 11:00 Uhr nächsten Donnerstag.“

„Ja, soll ich etwas mitbringen?“ ,… fragt sie.

Dieser Blick, unglaublich, sie schaut mir in meine Seele und ich in ihre, wie kann das sein?

„Ja, Brötchen,...normale“, versucht Sonja, ihrer Stimme eine bestimmte Festigkeit zu geben.

„Okay, mache ich gern.“

Sie saugt ihren ernsten Blick auf. Ihr wird ganz warm.

Wie eine Welle durchläuft mich eine Hitze unter meiner Haut.

„Wir müssen nach Hause, noch mit unserem Hund gehen. Chaya, wartet schon auf uns, erklärt Manuel mit seinem Blick in die Runde. Dabei zeigt er kein Lächeln im Gesicht. Alle verabschieden und umarmen uns wie alte Freunde. Aber Anna drückt Sonja ganz besonders fest.

Wann lässt sie mich wieder los,... oder frei?,… überlege ich, kann ich sie dagegen einfach loslassen? Das geht doch nicht, dann denkt sie nachher, dass ich sie nicht mag? Warum sagt ihr Mann nichts zu dieser langen Umarmung?

Sie hält Sonja unverändert in ihren Armen fest.

Ihre Brust an meiner, sie hebt und senkt sich langsam. Ich spüre ihren Bauch an meinem Bauch. Beide haben Kinder ausgetragen. Okay, es ist wie bei meiner Mutter, oder? Sie hat mich doch als Kind auch immer so fest gehalten, heute manchmal noch, ist eigentlich schön, wird ja nicht jedes Mal so sein, denke ich, langsam lässt sie los, endlich, aber was ist das?

Ihre Fingerspitzen gleiten wie zufällig, leicht, beinahe unmerklich und sehr sachte Sonjas ganze Wirbelsäule entlang, runter, bis über ihren Po hinweg. Ihr Duft riecht angenehm nach wilden Maiglöckchen und Sonne. Nur langsam löst sie ihr Gesicht vom Hals. Von Sonjas Wirbelsäule aus, scheint sich über ihre Haut eine Gänsehaut ausbreiten zu wollen, um jede ihrer Berührungen aufzunehmen, überall. Es kribbelt. Sie lächelt Sonja mit unverschämtem Blick wissend an, als sie immer weiter leicht zurückweicht.

Ich stehe, wie ein kleines Kind ganz allein da, das gerade sieht, wie die Eltern gehen, nachdem sie es im Kindergarten das erste Mal abgegeben haben.

Nach einer gefühlt langen Zeit nimmt Manuel endlich wieder Sonjas Hand.

Seine Hand fühlt sich fremd und doch so altbekannt an.

„Hast´e deine Jacke und dein Handy?“

„Ja, hab´ ich.“

„Wir sehen uns“ verabschieden sich beide Frauen gleichzeitig voneinander und alle, die das mitkriegen lachen darüber. Sie gehen zum Auto hin. Ihre Hand lässt er wieder los, …still, … sie reden nicht.

Ich genieße diese Ruhe. Glücklich bin ich, ein schwebendes Gefühl, wie schon lange nicht mehr.

„Ein gelungener Abend war es“, unterbricht Sonja die Schweigsamkeit

„Ja, fand ich auch“, sagt Manuel.

Er hält mir die Tür auf, alte Schule, schön, auch wenn man emanzipiert ist, doch auch wertschätzend, überlege ich.

„Ach, Mist, ich habe ganz vergessen mich bei Karo für die Party zu bedanken und zu verabschieden, sollen wir noch mal zurück?“

„Ach, die hat so viele Gäste, das kriegt sie gar nicht mit.“ ,… sagt er beim Einsteigen ins Auto.

„Aber, dass ich diese Anna getroffen habe, unglaublich, sie ist genauso wie ich!“

„Mmh,...“ brummt Manuel nur und fährt los.

„Ihr Herz schlägt wie meins, in allen Punkten gleich. Wir teilen so Vieles. Das habe ich noch zu keiner Zeit erlebt, und das auf so einer Party. Damit hätte ich nie gerechnet. Sie versteht mich, ganz einfach,“ schwärmt sie, „sogar auch ihr Mann, dabei sieht Roger nicht wirklich männlich aus. Aber er scheint sehr lieb zu sein und hat dieselben Hobbys wie wir. Das ist doch nicht zu fassen, oder?“

Ihr Handy vibriert, sie liest Manuel die Nachricht vor: „War sehr schön mit Dir, freue mich auf ein Wiedersehen : -))))) Die Männer hatten die Nummern ausgetauscht, so habe ich jetzt Deine.“

Ein Grummeln, wie das Knurren unseres Hundes ist Manuels Reaktion darauf. Dabei wendet er den Blick nicht von der Straße ab.

„Ja, freue mich auf euch, sehr! -)))“ schreibt Sonja ihr zurück.

„Mmmh,... Also ich bin jetzt müde, und wenn wir gleich zu Hause sind, werde ich schlafen. Du kannst mal mit Chaya eine Runde um die Siedlung gehen.“

„Ja, ist okay“.

Na ja, ist so, wenn er die ganze Woche um 5:00 Uhr morgens zur Arbeit muss, da muss er zusehen, wie er den Schlaf nachholen kann. Wieder nichts mit Schmusen. Egal, es war trotzdem ein wundervoller Abend. Zu Hause angekommen, liest Sonja auf einem Zettel im Flur:

„Chaya war schon Gassi, gute Nacht, Kuss-Smiley, Leon.“

„Okay, ich komme mit“, ruft Sonja wieder fröhlich Manuel, aber er ist schon oben im Schlafzimmer. Sie streift sich beim Hochgehen schnell das Kleid vom Körper, und huscht nackt unter Manuels Decke. Aber er dreht sich von ihr weg, auf seine Schlafseite:

„Gute Nacht, ich liebe dich. Aber du kannst mir sagen, was du willst, irgendetwas stimmt mit dieser Anna nicht! Ich kann dir nicht sagen, was es ist. Es ist irgendetwas völlig anders bei ihr.“

„Aber etwas ist nicht in Ordnung mit ihr! Was meinst du?“

Keine Reaktion mehr von ihm. Nur ein tiefes gleichmäßiges Atmen und dann ist ein leises Schnarchen zu hören.

Was kann es sein? Nicht in Ordnung, stimmt nicht, anders? Wiederholt es sich in meinem Kopf.

Der Alkohol wirkt, sie versucht, dagegen anzukämpfen.

Wach bleiben, was? Mir ist nichts aufgefallen? Außergewöhnliches? Meine Augen fallen immer wieder zu, bis zur Leichtigkeit des Schlafes, endlich schlafen.

Fünf Tage später - Donnerstag - Frühstück

„Wo warst du nur vorher die ganze Zeit?“

Darunter zwei schlanke Frauen, die nackt im Wasser stehen. Ihre Körper glänzen im Licht des Sonnenuntergangs, als wären sie eingeölt. Sie werfen sich einen großen Wasserball zu. „Beste Freundinnen“ steht darunter, ein WhatsApp Foto, „von Deiner Anna!“

Mir wird warm und mein Herz scheint einen Hüpfer mehr zu machen. Gleich!

„Leon, kannst du eben noch zwei Stühle von oben holen, auf die Terrasse stellen und die Markise ausfahren?“,… ruft Sonja laut und streicht dabei noch schnell überall mit dem Staubtuch über die Schränke.

„Ach, Stefan kannst du schon mal die Tischdecke, Teller und Besteck hinlegen, aber richtig, nicht so hingeranzt, bitte! Hallo? Verstanden?“

Mit langgedehnten Vokalen fragt Stefan: „Ja, Mama, was ist denn nur los?“

„Anna kommt doch mit Maria und Lina, wisst ihr doch. Ich krieg das doch nicht allein hin und habe keine Putzfrau wie andere. Ich bin berufstätig, da müsst ihr schon mithelfen, Jungs?“

„Ja, Mama“, kommt wieder langgezogen.

„Warum bist du denn so aufgeregt? Ist doch alles okay?“ ,…meint Stefan.

„Ja, für dich vielleicht, ihr seid ja im Ferienmodus, rumliegen, zocken, euch mit Freunden treffen. Und jetzt müsst ihr mal mit anpacken! Das kann ja nicht so schlimm sein?“ Und legt ihren energischen Lehrerton dabei auf.

„Machen wir ja, aber was können wir dafür, wenn du dir Besuch einlädst?“ ,… fragt Leon erstaunt.

„Ist auch euer Besuch. Ich hatte eigentlich nie eine beste Freundin, habe mir aber immer eine Freundin gewünscht. Eine Freundin, mit der ich über alles reden kann. Vor der ich keine Geheimnisse haben muss. Das Vertrauen auf beiden Seiten gleich besteht. Eine, mit der ich auch etwas unternehmen kann, ohne vorher über die W-Fragen zu diskutieren. Eine Freundin, mit der ich mich wortlos verstehe. Oder ist das nur ein Traum von mir allein? Vielleicht wird sie es ja? Sie hat ja auch zwei Mädchen, in eurem Alter. Das passt doch supergut.“

„Äh ja, und?“… antwortet Leon und rückt die Stühle an den Tisch.

„Ach, schon gut, ich mach´ den Rest allein.“

Chaya läuft immer raus und rein und hofft auf den Moment, von dem Frühstückstisch heimlich etwas stibitzen zu können.

„Okay, dann sag Bescheid, wenn wir noch etwas helfen können,“ sagt Leon ganz gönnerhaft.

Beide Jungs ziehen mit Chaya nach oben in ihre Zimmer. Der Frühstückstisch ist auf der Terrasse gedeckt, etwas überladen, aber alles ist da. Die frisch geschnittene rote Rose aus dem Garten auf der Tischmitte sieht einladend auf der weißen Tischdecke aus. Es klingelt einmal kurz.

„Ah, hallo, ist das schön, dich wieder zu sehen“, fällt Anna ihr um den Hals.

Zerrissene Jeans, weiße und fast transparente Bluse und helle Turnschuhe, so, wie ich sie kennengelernt habe. Ach ja, gehört zu Anna, diese Umarmungen, einfach genießen, die Kinder beobachten uns zwar, aber sie machen es ja auch so mit ihren Freundinnen, ist ja nichts dabei, denke ich.

Chaya bellt laut. Sonja erwidert Annas Umarmung. Anna lässt diesmal früh los. Danach begrüßt Sonja Annas Töchter mit Handschlag. Aber Chaya bellt durchgehend weiter. Keiner versucht sie bewusst zu beachten, wohl in der Hoffnung, dass sie von sich aus zu bellen aufhört. Maria mustert Sonja unauffällig von oben bis unten und nickt ihr scheinbar anerkennend zu. In der Jeans und dem T-Shirt fühlt sich Sonja gut. Sie merkt auch erst jetzt, dass sie sich auf Anna und ihre Mädchen sehr gefreut hat. Maria trägt auch Jeans und einen leichten blauen Pulli mit hellen Sneakers. Sie sieht sympathisch aus. Erst als Sonja Lina, der jüngeren Tochter die Hand gibt, merkt sie, dass Marias Händedruck, warm und fest war. Lina trägt eine rote Bluse, eine schwarz–weiße Pepita Hose und hat überall Markennamen darauf, Liebeskind und M. Kors. Linas Hand hingegen, ist kalt und ihre weiche Hand zieht sich nach der ersten Berührung zurück.

Na ja, eben 16, das wird schon.

„Chaya, sitz!“ Mit möglichst tiefer und ruhiger Stimme versucht Sonja, ihrem Befehl Nachdruck zu verleihen.

Sie weicht aus und bellt aggressiv.

„Guck mal, das Nackenfell sträubt sich!“ ,…wundert sich Leon.

„Ach, Chaya, was ist los? Ich halte sie hier am Halsband fest und ihr geht schon mal auf die Terrasse, bitte entschuldigt. Platz!“

Ein bisschen warten, wird sich wieder beruhigen. Sie ist ja erst 3 Jahre alt, meine kleine Weiße.

Sie folgt, aber mit trotzigem Blick. Sonja wartet bis der feurige Glanz in Chayas bernsteinfarbenen Augen verschwindet.

Okay, jetzt wird es ja wohl wieder gehen.

Nun streicht sie hinter ihr zur Terrasse und stupst jede Person einmal an, nur Lina nicht. Als Schäferhündin zählt sie immer mal wieder ihre Herdenmitglieder. Um Lina macht sie aber sichtlich einen Bogen.

„Das ist oft so, dass die Tiere auf Lina so reagieren. Wir haben alle mehr mit Tieren zu tun als Lina. Das riechen auch Hunde.“

„Ach, magst du keine Tiere?“ ,…schaut Sonja Lina fragend an. Sie weicht Sonja mit ihrem Blick aus. Die Bienen hinter ihr brummen laut, fortwährend in den weißen Hibiskusblüten.

Ein Blick mit Anna? Wie findet sie das, dass so über ihre Tochter Lina gesprochen wird?

Aber Anna guckt sie nicht an. Sie schaut in sich gekehrt vor sich hin, als sei da irgendein Fleck auf meiner Tischdecke.

„Wir haben zwei Kaninchen, aber um die kümmere ich mich.“ ,…

plappert Maria weiter, Sonja hört ihr gar nicht richtig zu.

Schließlich ist Lina noch jung und manche sind so. Maria scheint ja ganz in Ordnung zu sein. Wie steht Anna zu Lina? Vielleicht verrät es mir ihr Blick?

„Alles da?“, …fragt Sonja in die Runde?

„Ach ja“, Lina schaut dabei sehnsüchtig auf die Rose in der Tischmitte, „ich hätte gern ein Ei.“

„Ja, gern, da stehen doch welche,“ erwidert Sonja erstaunt, „dort in den Eierbechern unter den gestrickten Schäfchen, die meine Oma mal angefertigt hatte.“