Sternenstaub - Ben Moore - E-Book

Sternenstaub E-Book

Ben Moore

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Beschreibung

Der Nobelpreis ist die wohl größte Ehre, die Forscherinnen und Wissenschaftlern zuteil werden kann. Von 1901 bis 2021 gab es 218 Nobelpreisträger in der Physik. Doch warum wurden so wenige dieser Preise an Astrophysiker und Kosmologen vergeben? Warum gingen einige davon an die Falschen – und überhaupt nur vier an Frauen? Warum bekam Stephen Hawking nie einen Nobelpreis, warum wurde Albert Einstein wütend, als er einen bekam – und haben Sie je von dem belgischen Priester gehört, der den Urknall entdeckte? Ben Moore beantwortet nicht nur diese Fragen, sondern nimmt die Leser:innen auch mit auf eine Reise durch eine so bisher nie erzählte Geschichte unseres Universums. Er lenkt den Blick auf jene Leben, Schicksale und Entdeckungen herausragender Forscherinnen und Forscher, die übergangen, übervorteilt oder schlichtweg vergessen wurden.

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Seitenzahl: 407

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INHALT

» Über den Autor

» Über das Buch

» Buch lesen

» Impressum

» Weitere eBooks von Kein & Aber

» www.keinundaber.ch

ÜBER DEN AUTOR

Ben Moore, geboren 1966 in Großbritannien, ist seit 2002 Professor für Astrophysik an der Universität Zürich. Er hat über 300 Forschungsarbeiten zur Entstehung kosmischer Strukturen – Sterne, Galaxien und Planeten – veröffentlicht. Bei Kein & Aber erschienen von Ben Moore die Bücher Elefanten im All (2012), Da draußen (2014), Mond: Eine Biografie (2019) und zusammen mit Katharina Blansjaar Gibt es auf der dunklen Seite vom Mond Aliens? (2017). Zudem ist er Kolumnist bei Das Magazin des Tages-Anzeigers.

ÜBER DAS BUCH

Dass unsere Körper aus Sternenstaub bestehen, entdeckte Fred Hoyle – aber er wurde für seine bahnbrechende Forschung nie mit dem Nobelpreis belohnt. Was ist mit Arthur Eddington, der aufzeigte, wie Sterne leuchten, oder Cecilia Payne, die entdeckte, woraus Sterne bestehen – mochte Alfred Nobel Astronomen nicht? Warum erhielt der Doktorvater von Jocelyn Bell einen Nobelpreis für die Entdeckung von Pulsaren, obwohl sie die Beobachtungen durchführte? Dies sind nur einige der Fragen, die der renommierte Astrophysiker Ben Moore beantwortet, während er uns auf eine bemerkenswerte Reise vom Ursprung des Universums bis ans Ende der Zeit mitnimmt.

VORWORT

Viele Wissenschaftler:innen, die große Entdeckungen in der Astronomie, Astrophysik und Kosmologie machten, wurden für ihre Arbeit nicht gewürdigt. Entdeckungen wurden oft den falschen Wissenschaftler:innen zugeschrieben oder wichtige Preise an die falsche Person vergeben. In den meisten Fällen wurden die grundlegenden Beiträge anderer vernachlässigt oder vergessen.

Wenn man zum Beispiel einen Wissenschaftler fragt, wer herausfand, dass sich das Universum ausdehnt – dass es einen Anfang hatte –, wird die Antwort höchstwahrscheinlich »Edwin Hubble« lauten. Tatsächlich entdeckte aber nicht Hubble den Urknall. Hubble glaubte nicht einmal an die Idee, dass sich das Universum ausdehnt. Dies wurde von einem belgischen Priester erkannt. Sogar noch weniger bekannt ist wohl die Tatsache, dass die Entdeckung unseres Platzes im Universum Henrietta Leavitt zu verdanken ist, die als menschlicher »Computer« eingesetzt wurde, um die Helligkeit von Sternen zu katalogisieren.

Eine der größten Ehren für Wissenschaftler:innen ist es, wenn ihre Entdeckung mit ihrem Namen versehen und ihr Name auf diese Weise in Erinnerung behalten wird. Eine weitere große Ehre ist die Auszeichnung mit berühmten Preisen, und keiner ist so berühmt wie der Nobelpreis, der »Oscar der Wissenschaft«.

Alfred Nobel war ein schwedischer Chemiker, Erfinder und Geschäftsmann. 1888 starb sein Bruder, und eine französische Zeitung veröffentlichte fälschlicherweise einen Nachruf auf Alfred. Der Autor verurteilte ihn darin für seine Erfindung von militärischen Sprengstoffen und erklärte: »Le marchand de la mort est mort« (Der Händler des Todes ist tot). Weiter hieß es: »Dr. Alfred Nobel, der reich wurde, indem er Wege fand, mehr Menschen schneller als je zuvor zu töten, ist gestern gestorben.« Dies veranlasste Alfred Nobel, der ja noch am Leben war und sich bester Gesundheit erfreute, darüber nachzudenken, wie er nach seinem Tod in Erinnerung bleiben wollte. 1895 unterzeichnete er sein letztes Testament und hinterließ fast sein gesamtes Vermögen, um die fünf Nobelpreise für Physik, Chemie, Medizin, Literatur und Frieden zu stiften. Nach heutigem Wert lag der Betrag bei etwa einer halben Milliarde Euro.

Heute teilen sich die Nobelpreisträger jedes Jahr etwa eine Million Euro pro Kategorie. Aber der Preis ist mehr als das. Er ist die größte Ehre für jeden Wissenschaftler, der ihn erhält. Es gibt Preise, die höher dotiert sind, aber sie sind nicht gleichermaßen bekannt oder prestigeträchtig.

Wir hören viel über jene Wissenschaftler, die einen Nobelpreis erhalten, aber was ist mit jenen, die keinen bekommen? Zwischen 1901 und 2021 gab es 218 Nobelpreisträger:innen in Physik. Astrophysiker:innen und Kosmolog:innen wurden dabei lange nicht berücksichtigt. Darüber hinaus wurden einige dieser Preise an die Falschen verliehen, und Frauen wurden notorisch übergangen – nur vier dieser 218 Nobelpreise gingen an Frauen. Während des größten Teils unserer Wissenschaftsgeschichte war es Frauen gar nicht erlaubt, Wissenschaft zu betreiben. Und im letzten Jahrhundert gab es viele Frauen, deren Arbeit gegenüber der ihrer männlichen Kollegen missachtet wurde. Obwohl bei der Gleichstellung inzwischen große Fortschritte erzielt wurden, bleibt noch viel zu tun.

Dies ist eine Geschichte der Entdeckung unseres Universums – verbunden mit meiner persönlichen Meinung darüber, wer die Anerkennung durch einen Nobelpreis verdient hätte. Ich forsche seit über dreißig Jahren in Astrophysik und Kosmologie, aber die Auswahl war keine leichte Aufgabe. Und sicherlich könnten einige Namen auf meiner Liste infrage gestellt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte entschuldigen Sie, dass ich Ihre Wissenschaftsheldin, Ihren Lieblingswissenschaftler oder gar Sie selbst nicht erwähnt habe.

Wie können wir überhaupt entscheiden, wer eine solche Auszeichnung verdient? Geht sie an denjenigen, der die Idee hatte? Oder an diejenigen, die diese Idee durch Experimente oder Beobachtungen in ein Ergebnis verwandeln? Was ich in meiner Karriere als Forscher gelernt habe, ist, dass Ideen das Kostbarste sind.

Meine Geschichte der Entdeckung unseres Universums beginnt vor langer Zeit. Alfred Nobel hat in seinem Testament nicht festgelegt, dass seine Preise nur an lebende Personen verliehen werden sollen. Dies wurde erst 1974 in die Statuten der Nobel-Stiftung aufgenommen.

Es gibt einige brillante Wissenschaftler, die lange vor Herrn Nobel starben, und ohne ihre Einsichten in den Kosmos wären wir nicht da, wo wir sind. Schließlich bewegt sich die Wissenschaft Schritt für Schritt voran, mit Irrwegen und Sackgassen, gepaart mit zufälligen Glücksgriffen und bemerkenswerten Erkenntnissen.

Nobels Testament sah ursprünglich vor, dass der Preis nur an eine Person verliehen werden sollte. Die Nobel-Stiftung änderte ihre Satzung, um den Preis an bis zu drei Personen für zwei verschiedene Entdeckungen vergeben zu können. Auch das scheint eine ziemlich willkürliche Modifikation zu sein und hat zu vielen Konflikten geführt. Gerade im heutigen Forschungsumfeld mit seinen großen Kooperationen ist eine solche Satzung problematisch.

Alfred Nobel legte in seinem Testament auch fest, wie sein Vermögen als jährliche Preisserie ausgezahlt werden sollte. Dort heißt es: »Die Zinsen sind in fünf gleiche Teile zu teilen und wie folgt zu verteilen: ein Teil an die Person, die die wichtigste Entdeckung oder Erfindung auf dem Gebiet der Physik gemacht hat; …«1 Dies wird vom Nobelkomitee in vielen Fällen so interpretiert, dass eine Entdeckung bestätigt sein muss. Ich finde das eine ziemlich alberne Sache. Eine Theorie ist niemals Tatsache, aber eine Theorie kann Beweise für ihre Gültigkeit erhalten und zu einer besseren Theorie werden als andere. Entdeckungen in der Wissenschaft stützen Theorien, aber Theorien werden immer Theorien bleiben und niemals Tatsachen. Dass sich das Leben entwickelt, ist eine Theorie, dass sich das Universum ausdehnt, ist eine Theorie. Irgendwann kann jede Theorie durch eine bessere ersetzt werden, allerdings muss sie auch alle Erfolge der Theorie, die sie ersetzt, mit einbeziehen. Deshalb glaube ich, dass auch bahnbrechende Theorien und Ideen einen Nobelpreis verdient haben. Es sind tiefgreifende Einsichten, die zum Verständnis und der Interpretation unseres Universums beitragen, und die Anerkennung verdient haben.

Warum 42 – abgesehen natürlich von der offensichtlichen Verbindung zu meinem Lieblings-Science-Fiction-Buch Per Anhalter durch die Galaxis? Als ich mir zum ersten Mal eine Liste der wichtigsten Entdeckungen machte, die keinen Nobelpreis erhalten hatten, waren es genau 42. Man könnte argumentieren, dass es weniger oder sogar mehr sein sollten. Natürlich wird die Antwort auf das Leben, das Universum und alles andere die Arbeit vieler zukünftiger brillanter Wissenschaftler erfordern, aber die in dieser Geschichte beschriebenen haben uns auf dem Weg in Richtung dieses Ziels schon ziemlich weit gebracht.

Ich werde diese Geschichte als eine erzählen, die zwischen Menschen und durch die Zeit fließt. Schließlich ist die Entdeckung unseres Universums die größte Geschichte überhaupt.

 

1  Alfred Nobel’s will. Abrufbar unter nobelprize.org

TEIL I

DIE ERSTEN WISSENSCHAFTLER

Wie ist es uns gelungen herauszufinden, dass die Welt verstanden werden kann? An welchem Punkt legten die ersten Menschen ihren Mystizismus, ihre Götter und ihre Geister zur Seite und begannen damit, natürliche Phänomene als eine Konsequenz von Ursache und Wirkung zu erklären? Erlauben Sie mir, die Arbeit von zehn Philosophen und frühen Wissenschaftlern auszuzeichnen, die uns den Weg aufzeigten, auf welchem wir zu einem Verständnis unseres Platzes in Raum und Zeit gelangen würden. Sie alle lebten, bevor 1901 der erste Nobelpreis verliehen wurde. Diese Liste könnte natürlich um einiges länger sein, doch meiner Ansicht nach waren die Erkenntnisse dieser zehn Wissenschaftler bahnbrechend auf dem Weg zur Entdeckung unseres Universums im 20. Jahrhundert.

Die griechischen Inseln und die Küsten der Ägäis boten in der Antike die perfekten Voraussetzungen für ausreichend Nahrung, Wohlstand und technischen Fortschritt. Vielleicht waren es diese Umstände, die den Bürgern dieser Gegenden die Zeit und Muße für intellektuelle und kreative Gedanken erlaubten. Ich frage mich oft, warum keine der großen Kulturen vor ihnen – von der Indus-Kultur bis zu den Babyloniern – sich je an naturalistischen Interpretationen dessen, was sie sahen, versuchte. Während Tausenden von Jahren waren die Planeten und Sterne die Heimat von Göttern, die verantwortlich für alle Naturphänomene gemacht wurden, von Erdbeben bis hin zum Wetter, genauso wie für die meisten Aspekte des menschlichen Schicksals. Dann – und das ziemlich plötzlich – begannen ein paar Individuen, die Funktionsweise der natürlichen Welt zu hinterfragen. Sie versuchten, Dinge mit Ursache und Wirkung zu erklären, mit Beobachtungen und Experimenten, mit Überlegungen und Logik.

Es gibt eine lange Liste griechischer Denker, die zu unserem Streben nach Wissen und dem Versuch, unsere Welt und den Kosmos zu verstehen, beitrugen. Demokrit und sein Mentor Leukipp waren die Ersten, die glaubten, dass alle Dinge aus Teilchen bestehen, die so klein sind, dass man sie nicht sehen kann. Sie nannten sie Atome. Demokrit ging davon aus, dass das Universum zu Beginn aus nichts als winzigen Atomen bestand, die chaotisch umherwirbelten, bis sie kollidierten und zu größeren Gebilden verschmolzen – unter ihnen die Erde. Er glaubte, dass neben unserem Planeten eine Vielzahl anderer Welten existierte und dass diese Welten durchs All wanderten. Er stellte sich vor, dass solche Welten sich ständig neu bildeten und starben, manche mit Leben besiedelt, andere leer und öd. Er glaubte, dass der Nachthimmel voller Sterne wie unsere Sonne sei. Ich werde später erzählen, wie einige dieser frühen Ideen verifiziert wurden. Beginnen möchte ich aber mit der Entdeckung, dass unsere Erde rund ist und sich dreht.

1. Erathosthenes (ca. 276–194 v. Chr.)

»für den Nachweis, dass die Erde rund ist, und für die Bestimmung ihrer Größe«

Erathosthenes wurde in Kyrene geboren, einer Stadt, die im 7. Jahrhundert v. Chr. von den Griechen gegründet wurde und heute in Libyen liegt. Er studierte in Athen bei den stoischen Philosophen Zenon von Kition und Ariston von Chios. Bekannt wurde er vor allem für seine chronologische Aufarbeitung bestehenden Wissens und seine lyrischen Werke. Im Jahr 245 v. Chr. wurde er als Bibliothekar in Alexandria angestellt und übernahm innerhalb von fünf Jahren die Leitung der Bibliothek. Der große Astronom Hipparchos von Nicäa schrieb ihm die Erfindung der Armillarsphäre zu. Diese ist ein sphärenförmiges Gerät aus Ringen, die Himmelskoordinaten repräsentieren, und wird verwendet, um die Sternbilder und scheinbaren Bewegungen der Sterne zu vermessen. Sie wurde etwa um die gleiche Zeit und unabhängig von den Griechen auch in China erfunden. Aber bevor diese Erfindung überhaupt möglich war, musste erst ein grundlegender Schritt erfolgen: zu verstehen, dass die Erde nicht flach ist, sondern eine Kugel, die sich im All dreht.

Wir wissen nicht, wer zuerst auf die Idee kam, dass die Erde keine Scheibe ist, oder welche Beweise dafür herangezogen wurden. Auf jeden Fall war dieser erste Schritt von einer flachen zu einer runden Erde mutig und brillant. Die Hinweise auf eine runde Erde waren vorhanden und verfügbar – allen voran der gebogene Erdschatten zu Beginn und Ende einer Mondfinsternis. Es gab auch Geschichten von Reisenden über einen hellen Stern, Canopus, der vom griechischen Festland aus nicht sichtbar war, aber ins Blickfeld rückte, wenn man nach Rhodos reiste, und immer höher im Nachthimmel aufstieg, je weiter man nach Süden segelte. Jene, die weit nach Norden gereist waren, erzählten davon, dass sich die Länge des Tages änderte, und es gab Gerüchte über einen Ort, an dem die Menschen während sechs Monaten eines Jahres schliefen. Eine phönizische Expedition umsegelte etwa im 6. Jahrhundert v. Chr. Afrika. Auf ihrer dreijährigen Reise gelangten die Seefahrer in die südliche Hemisphäre und bemerkten, dass die Sonne sich rechts befand, während sie westwärts segelten.

Hiketas von Sirakus, einer der letzten Pythagoreer, der im 4. Jahrhundert v. Chr. lebte, war vielleicht der Erste, der davon ausging, dass die Erde sich um ihre eigene Achse dreht und für eine Umdrehung 24 Stunden braucht. Wenig ist bekannt über Hiketas, und es gibt nur ein paar Erwähnungen. Die wichtigste von ihnen ist wohl jene Ciceros aus dem 1. Jahrhundert v. Chr, in welcher er sich wiederum auf Theophrastus beruft und schreibt, Hiketas behaupte, dass alle Himmelskörper – Sonne, Mond und Sterne – still im Himmel verharrten und sich im Universum nichts außer der Erde bewege. Weil sich aber die Erde so schnell um ihre eigene Achse drehe, sähe es so aus, als bewege sich statt der Erde der Himmel.

Über die gesamte Menschheitsgeschichte hinweg gab es immer wieder kreative Individuen, die Lösungen für Probleme fanden, welche zu Beginn kaum lösbar erschienen. Wie kann man beweisen, dass die Erde rund ist? Wie lässt sich ihre Größe bestimmen? Es gibt eine viel einfachere Methode, als sie vom All aus zu fotografieren und einmal um sie herumzureisen, bis man wieder am Startpunkt angelangt ist. Erathosthenes gelang es um 240 v. Chr., die Größe der Erde ziemlich genau zu bestimmen. Seine Ergebnisse veröffentlichte er in einer Schrift mit dem Titel Über die Vermessung der Erde. Obwohl die Schrift selbst verloren ging, wurde seine Methode von anderen griechischen und römischen Autoren überliefert.

Der griechische Astronom Kleomedes fasste später die Techniken von Erathosthenes zusammen und überlieferte auch dessen Resultate, beschrieb aber nicht im Detail, wie die Messungen gemacht wurden. Eines ist sicher: Mit nichts als einem Stock, einem Kalender und ein bisschen Geometrie hätte Erathosthenes seine Messungen machen können, ohne Alexandria zu verlassen. Vielleicht erinnerte er sich, dass sich die Sonne am Tag der Sommersonnenwende in seiner Geburtsstadt Kyrene in einem tiefen Brunnen spiegelte. Oder er wusste, dass ein Stock, der vertikal im Boden steckte, an diesem Tag in Kyrene keinen Schatten warf, weil die Sonne genau über ihm stand. Am gleichen Tag warf aber in Alexandria ein Stock, der vertikal im Boden steckte, einen Schatten mit einem Winkel von knapp über sieben Grad. Dieser Winkel repräsentiert die Differenz im Längengrad zwischen den beiden Orten auf der Oberfläche einer runden Erde. Zu Erathosthenes’ Zeit wurden Distanzen in Stadien gemessen, und er wusste, dass die beiden Orte 5000 Stadien voneinander entfernt waren. Mit ein wenig Dreiecksgeometrie wäre er so auf einen Erdumfang von 250000 Stadien gekommen. Eine Stadie war bei Erathostenes 157,5 Meter lang, also betrug sein Erdumfang 39690 Kilometer – was um weniger als ein Prozent vom heute bekannten Erdumfang abweicht!

Schon diese erste Entdeckung, für die ich einen Nobelpreis verleihen würde, hätte früher gemacht werden können. Aristoteles verfasste seine berühmte Schrift Über den Himmel um 350 v. Chr. Er beschreibt darin, wie die Mondphasen darauf hinweisen, dass der Mond rund ist. Dann schreibt er, dass sich die Positionen der Sterne verändern, wenn man nord- oder südwärts reist. Er schreibt auch über Mathematiker, welche die Größe der Erde berechnet hätten, und erwähnt einen Erdumfang, der etwa zweimal so viel beträgt wie jener von Erathosthenes. Ich frage mich, wer die Mathematiker waren, die zu jener Zeit die Größe der Erde zu bestimmen versuchten. War es vielleicht Eudoxos von Knidos, der die Sterne sowohl von Ägypten als auch von Griechenland aus beobachtet hatte? Erathosthenes wurde von seinen Zeitgenossen oft als »Beta« bezeichnet, und es gibt Spekulationen, dass dieser Spitzname daher rührte, dass er in allem immer nur der Zweite war. Aber so funktioniert die Wissenschaft – wir bauen Schritt für Schritt auf den Ideen und Entdeckungen anderer auf.

Erathosthenes’ Methode, die Größe der Erde zu bestimmen, war einfach und akkurat. Sie geht vom Längengrad aus und war während der nächsten zwei Jahrtausende die grundlegende Technik für die Erdvermessung – bis wir Satelliten in die Erdumlaufbahn schickten. Seine verlorene Schrift Geographika, in der er die gesamte damals bekannte Erde beschrieb und vermaß, machte Erathosthenes zu einer Berühmtheit seiner Zeit. Er teilte die Erde in fünf Klimazonen auf und verwendete Parallelen und Meridiane, um alle bekannten Städte miteinander zu vernetzen. Es war im Grunde die Erfindung der Geografie. Doch er war auch Mathematiker und erfand eine Technik, um Primzahlen zu bestimmen. Im Alter litt Erathosthenes an Ophthalmie und erblindete um das Jahr 194 v. Chr. Es ist überliefert, dass er sich zu Tode hungerte, weil er es nicht ertragen konnte, die Natur nicht mehr beobachten und nicht mehr lesen zu können.

2. Aristarchos von Samos (ca. 310–230 v. Chr.)

»für die Entdeckung unseres Platzes im Sonnensystem«

Die Menschheit glaubte für die meiste Zeit ihrer Geschichte, dass die Erde im Zentrum des Universums liegt. Würden Sie etwas anderes annehmen ohne das Wissen, das Ihnen zur Verfügung steht? Immerhin scheint es so, als würden sich die Planeten und Sterne um die Erde drehen, und wenn sich die Erde bewegen würde, dann würden wir das doch spüren, oder? Und wie würden Sie die Distanzen zu Mond und Sonne und deren Größen messen, ohne Ihr Haus zu verlassen? Genau das tat Aristarchos von Samos. Er war außerdem der Erste, welcher der Sonne ihren korrekten Platz zuwies – in der Mitte unseres Sonnensystems, umrundet von der Erde und den Planeten.

Um zu verstehen, wie bemerkenswert Aristarchos’ Messungen und Thesen waren, müssen wir sie den zu seiner Zeit vorherrschenden Ideen über den Kosmos gegenüberstellen. Im 6. Jahrhundert v. Chr. glaubten Anaximander und sein Schüler Anaximenes, dass die Sonne, der Mond und die Planeten alle aus Feuer bestünden und aufgrund ihrer Ausdehnung durch die Luft schwebten wie ein Blatt im Wind. Sie hielten die Fixsterne für Bestandteile einer kristallinen Sphäre, die sich um die Erde dreht – die Anfänge einer Idee, mit der sich die westliche Kosmologie während der nächsten zwei Jahrtausende herumplagen sollte. Bereits Plato wusste, dass die sichtbaren Planetenbewegungen kompliziert waren – manchmal schien es von der Erde aus, als würden sie sich rückwärts (retrograd) bewegen. Er wollte diese Bewegungen verstehen und war der Ansicht, dass dem Kosmos simple geometrische Formen wie Kreise und Kugeln zugrunde liegen. Im 4. Jahrhundert v. Chr. lieferte sein Schüler Eudoxos von Knidos die mathematische Grundlage für das erste geometrische Modell des Kosmos – mit 26 perfekt kugelförmigen Himmelssphären, welche die Bewegungen der Sonne, des Mondes und der Planeten bestimmten. Obwohl der Versuch von Plato und Eudoxos, die Bewegungen der Planeten zu verstehen, wohl nur mathematischer Natur war, zimmerte Aristoteles später eine Kosmologie daraus zusammen.

Aristoteles war ebenfalls ein Schüler Platos und entwickelte ein Modell mit 55 untereinander verbundenen und sich bewegenden Himmelssphären, in deren Zentrum die Erde lag. Jede dieser Sphären wurde durch einen eigenen Gott angetrieben. Er glaubte, das Universum sei räumlich begrenzt und ewig. Die Sphären bestanden aus einem transparenten fünften Element, welches er Äther oder Quintessenz nannte. Eine äußerste, unbewegliche Sphäre enthielt die Sterne, weil bei diesen keine Bewegung beobachtet werden konnte.

Dieses Modell der perfekt verschachtelten Sphären hielt sich nicht lange. Man bemerkte, dass sich die Helligkeit von Venus und Mars über einen bestimmten Zeitraum veränderte. Heute wissen wir, dass dies an ihrer sich aufgrund ihrer Umlaufbahnen um die Sonne ändernden Distanz zur Erde liegt – wenn sie tatsächlich in einer festen Distanz die Erde umrunden würden, dürfte sich ihre Helligkeit nicht ändern. Also wurde das Himmelssphärenmodell ein wenig angepasst, und die Mitte der Planetensphären lag nun ein wenig abseits der Erde. Hipparchos, ein griechischer Astronom, war der Erste, der zu diesen Ideen eine Mathematik entwickelte und sie mit seinen Beobachtungen verglich. Die Ideen von Aristoteles und deren mathematische Beschreibung gelangten schließlich zu großer Berühmtheit, als Ptolemäus sie aufgriff, noch mehr Himmelssphären hinzufügte und dazu auch noch den Grundstein für die heutige Astrologie legte – was die Wissenschaft um etwa 1000 Jahre zurückwarf.

Für die immer komplexer werdenden Himmelssphären gibt es verschiedene Gründe. Einerseits ist da die von uns auf der Erde wahrgenommene »Rückwärtsbewegung« der Planeten. Heute wissen wir, dass dies an unserem Blickwinkel liegt, der sich ändert, während die Erde die Sonne umläuft. Besonders die Bewegung des Mars war für die frühen Astronomen schwer zu verstehen. Der Mars hat eine ziemlich exzentrische Umlaufbahn – aber das wusste man damals noch nicht. Nicht einmal Kopernikus, der die Planeten korrekterweise in Umlaufbahnen um die Sonne ordnete, konnte die Bewegung des Mars verstehen, weil er ebenfalls von kreisförmigen Umlaufbahnen ausging.

Eine unbewegte Erde, um welche sich die Sonne und die Planeten drehten, war das offensichtlichste Modell; eines, das in allen frühen Kosmologien existierte. Wenn man draußen steht und sich den Sonnenuntergang oder den Nachthimmel anschaut, erscheint es logisch, dass die Erde unbewegt ist und sich alles um uns herumdreht. Es erscheint auch logisch, dass die Erde im Zentrum von allem ist, denn alles wird vom Zentrum der Erde angezogen.

Aus der Sicht eines Beobachters im All bewegt sich die Erde allerdings mit einer Rotationsgeschwindigkeit von 1675 Stundenkilometern und legt auf ihrer Umlaufbahn um die Sonne stündlich 108000 Kilometer zurück. Das klingt so, als müsste uns dabei schwindlig werden, aber wir können diese Bewegung aus verschiedenen Gründen nicht spüren. Die Umlaufbahn der Erde ist so groß und ihre Biegung so sanft, dass es sich wie eine gerade Linie anfühlt. Und die Bewegung in einer geraden Linie mit einer konstanten Geschwindigkeit ist ein natürlicher Bewegungszustand, der nicht wahrnehmbar ist – außer wir sehen, wie etwas an uns vorbeirast. Und die g-Kraft (oder zentrifugale Beschleunigung) der Erdrotation liegt bei gerade einmal 0,003g – oder, in anderen Worten, bei 0,3 Prozent der Erdanziehung. Die Beschleunigung durch die Erdbewegung um die Sonne ist sogar noch kleiner.

Aristarchos war der Erste, der unseren Platz im Kosmos komplett neu bestimmte. Über sein Leben ist wenig bekannt, außer, dass er zumindest ein paar Jahre in den Museen und Bibliotheken von Alexandria verbrachte. Aristarchos war ein Schüler von Straton von Lampsakos, dem Leiter von Aristoteles’ Lyzeum. Gemäß Archimedes leistete Aristarchos einige der wichtigsten Beiträge zur Astronomie gegen Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. Seine einzige erhaltene Schrift ist Über die Größen und Abstände von Sonne und Mond.

In diesem Text begann Aristarchos damit, die relativen Distanzen und Größen von Sonne und Mond zu berechnen. Er nahm korrekterweise an, dass der Mond das Licht der Sonne reflektiert und dass, wenn der Mond genau zur Hälfte beleuchtet ist, er mit der Erde und der Sonne ein rechtwinkliges Dreieck bildet, wobei der Mond an dessen Scheitelpunkt steht. Er bediente sich dann der euklidischen Dreiecksgeometrie, um die relativen Längen zweier Seiten des Dreiecks zu bestimmen, das Verhältnis der Mond-Sonnen-Distanz.

Mit einer zweiten Methode bestimmte Aristarchos die absoluten Größen von Sonne und Mond und unsere Distanz zu ihnen. Er wendete die Geometrie einer Mondfinsternis an, um die Radien von Sonne und Mond in Erdradien zu bestimmen. Für diese zweite Berechnung brauchte es einiges mehr an Dreiecken und Geometrie, aber die zugrunde liegende Idee war, die Größe des Erdschattens in der Distanz des Mondes zu schätzen, und die Größe des Mondes im Vergleich zum Erdschatten. Er tat dies, indem er maß, wie lange der Mond brauchte, um den Erdschatten einmal zu durchqueren (die Dauer der Totalität während einer Mondfinsternis), und diese Zeitspanne dann mit der ihm bekannten Umlaufzeit des Mondes um die Erde verglich. Er argumentierte, dass sich aufgrund der identischen scheinbaren Größe von Sonne und Mond (die Tatsache, dass bei einer Sonnenfinsternis der Mond die Sonne fast perfekt bedeckt) der Durchmesser der Sonne mittels einfacher Geometrie in Monddurchmessern bestimmen lässt.

Aristarchos’ Messungen waren sehr ungenau, aber seine Methoden waren korrekt. Er folgerte, dass die Erde knapp dreimal den Durchmesser des Mondes habe, und dass die Sonne um ein Vielfaches größer sei als die Erde. Er schätzte, unsere Entfernung zur Sonne würde etwa das 19-Fache unserer Entfernung zum Mond betragen – tatsächlich ist es das 400-Fache. Hipparchos bediente sich der Methoden von Aristarchos und kam damit auf eine Mondgröße und -distanz, die um weniger als zehn Prozent von den heute bekannten Werten abweichen. Bereits vor über 2000 Jahren war also bekannt, dass die Erde etwa dreieinhalb Mal so groß ist wie der Mond, der sich etwa 60 Erdradien von uns entfernt befindet!2

Diese unglaubliche Leistung legte den Grundstein für die kosmische Entfernungsleiter (besser bekannt als »distance ladder«), die es uns Kosmologen ermöglicht, die Lücken in unseren Messmethoden für weit entfernte Objekte im Universum zu überbrücken. Aristarchos erkannte auch, dass die Sterne am Nachthimmel viel weiter entfernt sein müssten als unsere Sonne, weil sie keine erkennbare Parallaxe aufwiesen. Die Parallaxe wird in den nächsten Kapiteln noch oft auftauchen. Es handelt sich dabei um eine Technik, bei der ein sichtbarer Unterschied in der Position eines Objekts aus zwei verschiedenen Perspektiven dazu verwendet wird, seine Distanz zu bestimmen. Um zu verstehen, wie das funktioniert, halten Sie Ihren Finger in die Höhe und betrachten Sie ihn abwechselnd mit dem linken und dem rechten Auge. Bringen Sie Ihren Finger doppelt so nah ans Gesicht, und er bewegt sich scheinbar doppelt so weit von Seite zu Seite, wenn Sie das Auge wechseln. Diese scheinbare Positionsänderung kann als Winkel dargestellt werden. Nun müssten Sie nur noch die Distanz zwischen Ihren Pupillen bestimmen, und Sie könnten den Abstand zum Finger mittels Geometrie berechnen.

Eine andere visionäre Idee von Aristarchos ist im Text Psammites (Die Sandrechnung) des jungen Archimedes nacherzählt. Nachdem Archimedes darin das vorherrschende geozentrische Modell vorgestellt hat, erwähnt er, dass Aristarchos von Samos die Hypothese aufgestellt habe, dass die Sonne und die Fixsterne unbeweglich seien und die Erde und die Planeten sich stattdessen um die Sonne bewegten. Aristarchos hatte damit unseren Platz im Sonnensystem korrekt bestimmt und ein heliozentrisches Modell vorgeschlagen – über 1500 Jahre vor Kopernikus im 16. Jahrhundert. Er war seiner Zeit weit voraus, was aber noch viel länger nicht anerkannt wurde als die Arbeit von Kopernikus.

Bestimmt hat Aristarchos den jungen Archimedes inspiriert. Dessen kurzer Text war eine der ersten »populärwissenschaftlichen« Arbeiten, und er bediente sich darin der Resultate von Aristarchos, um zu berechnen, wie viele Sandkörner nötig wären, um mit ihnen das gesamte Universum zu füllen. Aber abgesehen von ein paar weiteren Erwähnungen bei anderen griechischen Philosophen fanden Aristarchos’ Ideen offenbar wenig Anklang. Eine der wenigen Ausnahmen ist der Astronom Seleukos von Seleukia, der sowohl das heliozentrische Modell als auch die 24-Stunden-Rotation der Erde lehrte. Seleukos ist uns aus den Schriften von Plutarch, Aetius, Strabo und Muhammad ibn Zakariya al-Razi (Rhazes) bekannt. Der griechische Geograf Strabo führt Seleukos als einen der vier einflussreichsten Astronomen der hellenistischen Epoche auf. Und Plutarch scheibt gar, Seleukos habe das heliozentrische Modell allein durch Argumentation beweisen können, wobei leider nicht bekannt ist, welche Argumente er vorbrachte.

Die großen Beiträge der alten Griechen zur Entdeckung unseres Universums endeten mit Hipparchos. Er wurde oft als der größte Astronom vor der Erfindung des Teleskops bezeichnet, fertigte den ersten akkuraten und umfassenden Katalog der sichtbaren Sterne an, entdeckte die Präzession der Erde und stellte mathematische Modelle für die Bewegungen von Sonne, Mond und Planeten auf. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er den Antikythera-Mechanismus entwarf oder baute – ein bemerkenswertes mathematisches Gerät mit Zahnrädern und Getrieben, das seiner Zeit um 1000 Jahre voraus war und die zukünftigen Positionen von Mond und Planeten berechnen konnte.

Nun aber weiter zu meinem nächsten Preisträger, Nikolaus Kopernikus …3

 

2  Dass die Größe der Sonne und ihre Distanz nicht zuverlässig bestimmt werden konnten, lag daran, dass es schwierig war, die Winkel akkurat zu messen. Gemäß Hipparchos lag die Sonne 2490 Erdradien von uns entfernt, aber heute wissen wir, dass die tatsächliche Distanz fast das Zehnfache beträgt. In Kapitel 7 über Edmund Halley werde ich davon erzählen, wie die Distanz zur Sonne und ihre Größe schließlich korrekt gemessen werden konnten.

3  Moment mal, Herr Professor, Sie haben gerade 1500 Jahre westliche Wissenschaftsgeschichte übersprungen! Absolut richtig, nur gibt es in all dieser Zeit leider nicht eine einzige Entdeckung, die zum Wissen über unser Universum beigetragen hat. Sie wundern sich vielleicht, warum, und je nachdem, wen Sie fragen, werden Sie unterschiedliche Antworten bekommen. Aberglaube, Astrologie und das dogmatische Christentum spielten meiner Meinung nach eine entscheidende Rolle – aber Sie sehen das vielleicht anders.

3. Nikolaus Kopernikus (1473–1543)

»für das heliozentrische Modell des Sonnensystems«

Die von Aristarchos formulierten Ideen wurden schließlich 1543 vom polnischen Mathematiker und Astronomen Nikolaus Kopernikus in seinem Hauptwerk Dē revolutionibus orbium coelestium (Über die Umlaufbahnen der Himmelssphären) anerkannt und auf eine solide mathematische Grundlage gestellt. Durch ihn fand die Sonne wieder an ihren rechtmäßigen Platz im Zentrum unseres Sonnensystems, und die Menschen begannen erneut, über Astronomie und Wissenschaft zu diskutieren.

Das 15. Jahrhundert markiert den Beginn der Renaissance in Europa, verkörpert durch das frei denkende kreative Genie Leonardo da Vincis. Johannes Gutenberg erfand den Buchdruck, der die Verbreitung von Nachrichten und Wissen ermöglichte. Das Byzantinische Reich war an die osmanischen Türken gefallen, viele Gelehrte flohen in den Westen und brachten eine Fülle an antiken griechischen Texten mit. Die zweite wissenschaftliche Revolution stand kurz bevor – und für viele begann sie mit der Veröffentlichung der Arbeiten von Kopernikus.

Kopernikus wurde 1473 in Königlich Preußen geboren, einer Region, die seit 1466 zum Königreich Polen gehörte. Während seines Studiums an der Universität Krakau lernte er Astronomie und Mathematik aus den Schriften alter Griechen wie Aristoteles und Euklid. Damals waren Astrologie und Astronomie Unterabteilungen eines Fachs namens Sternenkunde. Ihr Hauptziel bestand darin, eine Beschreibung der Anordnung des Himmels zu liefern, insbesondere für die Navigation und das Führen eines Kalenders, sowie die Bereitstellung theoretischer Werkzeuge und Bewegungstabellen für die Erstellung von Horoskopen.

Später zog Kopernikus nach Bologna, um Kirchenrecht zu studieren. Dort teilte er sich ein Haus mit Domenico Maria de Novara, dem Hauptastronomen der Universität. Er wurde zu Novaras Assistent und half ihm dabei, jährliche astrologische Vorhersagen für die Stadt und insbesondere für das Schicksal der italienischen Fürsten und ihrer Feinde herauszugeben. Kopernikus machte sich mit den Werken von Ptolemäus sowie den wichtigsten Kritiken vertraut. Dazu gehörte auch Disputationes adversus astrologiam divinatricem (Disputationen gegen divinatorische Astrologie) von Giovanni Pico della Mirandola, der in seiner Schrift darauf hinwies, dass Astronomen sich nicht nur über die Einteilung des Tierkreises uneinig seien, sondern auch über die Reihenfolge, in welcher die Planeten von der Erde entfernt waren. Es sei daher gar nicht möglich, so Mirandola, dass Astrologen sich sicher sein könnten, wie stark die Auswirkungen der einzelnen Planeten auf die Erde seien.

1503 promovierte Kopernikus in Kirchenrecht und arbeitete für die Kirche, betrieb aber in seiner Freizeit weiterhin Astronomie und erarbeitete sich mit den Jahren darin eine große Bekanntheit. 1514 schrieb er eine kurze Zusammenfassung seiner Ideen, in der er postulierte, dass, wenn die Sonne stationär wäre und von der Erde und den Planeten umkreist würde, deren Umlaufzeiten mit ihrer Entfernung von der Sonne zunehmen würden. Die Schrift ist als Kleiner Kommentar bekannt und enthält sieben Postulate, in denen er festhält, dass sich die Planeten um die Sonne und der Mond um die Erde drehen. Im siebten Postulat legt er dar, dass die scheinbare rückläufige Bewegung der Planeten eine Illusion ist, die sich daraus ergibt, dass man ihre Positionen von einer sich bewegenden Erde aus beobachtet.

Es dauerte weitere 20 Jahre, bis Kopernikus die Details seines Modells ausgearbeitet und sein berühmtes Manuskript Dē revolutionibus orbium coelestium fertiggestellt hatte. Es erklärt in mathematischen Details, wie die beobachteten Bewegungen der Planeten verstanden werden können, wenn sie eine stationäre Sonne umkreisen. Kopernikus zögerte die Veröffentlichung seines Werkes hinaus, um sich dem Zorn der Kirche zu entziehen. Gerüchte über seinen Inhalt verbreiteten sich jedoch in ganz Europa, und er ließ sich schließlich doch zur Veröffentlichung überreden. Kopernikus starb 1543 im Alter von 70 Jahren. Der Legende nach wurde ihm am Tag seines Todes die endgültige, gedruckte Version seines Werkes überreicht.

Ein grundlegendes Prinzip der heutigen Kosmologie ist das sogenannte »Kopernikanische Prinzip«, das besagt, dass sich unsere Erde nicht an einem zentralen, besonderen Ort im Universum befindet. Vielleicht sollte man es korrekterweise in das »Aristarchos-kopernikanische Prinzip« umbenennen. Kopernikus wusste von den alten Griechen, die annahmen, die Erde bewege sich, und bezog sich in einem frühen Entwurf seines Werkes auf Aristarchos, aber die Referenz wurde aus der endgültigen Version entfernt.4

Die von Kopernikus vertretene Sicht auf unser Sonnensystem fand bei anderen Astronomen nicht sofort Anklang. Einige merkten an, dass auf einer sich drehenden Erde der Luftzug Gebäude zum Einsturz bringen müsste, oder dass Steine, die von einem hohen Turm fallen, weit von seiner Basis entfernt landen müssten. Andere stießen sich daran, dass alle Himmelskörper die Sonne umkreisten – außer dem Mond, der die Erde umkreist. Dies natürlich, bevor die Satellitenmonde von Jupiter und Saturn entdeckt wurden.

Aristoteles’ Schriften über eine stationäre Erde hatten ihr Vermächtnis hinterlassen, zusammen mit einem einzigen Satz in der Bibel, der dahin gehend interpretiert wurde, dass sich die Sonne um die Erde dreht. Martin Luther wird nachgesagt, er habe während einer Tischrede angemerkt, dass dieser »aufstrebende Astrologe« Kopernikus ein Narr sei und das heliozentrische Weltbild der Bibel widerspreche, da es im Alten Testament [Josua 10:13] heiße, Josua habe der Sonne befohlen stillzustehen, nicht der Erde.5

 

4  Sie werden in diesem Buch noch einige Male auf »Stiglers Gesetz der Namensgebung« stoßen. Der Statistikprofessor Stephen Stigler erklärte 1980, dass keine wissenschaftliche Entdeckung nach ihrem ursprünglichen Entdecker benannt ist. Er führte Beispiele wie den Satz des Pythagoras an, der bereits den babylonischen Mathematikern bekannt war. Sogar sein eigenes Gesetz, merkt er an, sei zuerst von anderen beschrieben worden. Allerdings war Kopernikus möglicherweise nur Plutarchs Hinweis auf Aristarchos bekannt, in dem nichts weiter erwähnt wird, als dass Aristarchos dachte, die Erde bewege sich.

5  Der Physiker und Wissenschaftshistoriker Andreas Kleinert wies nach, dass diese Aussage erst Jahrhunderte später in genau diesem Wortlaut Luther zugeschrieben wurde. Seinen Recherchen zufolge wurde Luther erst im 19. Jahrhundert während des Kulturkampfes zweier katholischer Historiker zum Gegner des kopernikanischen Weltbilds gemacht. Dennoch hat er sich gemäß der Mitschrift von Anton Lauterbach zumindest einmal negativ über Kopernikus geäußert.

Mehr dazu hier: Andreas Kleinert: »Eine handgreifliche Geschichtslüge – Wie Martin Luther zum Gegner des copernicanischen Weltsystems gemacht wurde«. Berichte zur Wissenschaftsgeschichte. Wiley-VCH 26/2003: 101–111

4. Johannes Kepler (1571–1630)

»für die Gesetze der Planetenbewegungen«

Die Arbeit von Kopernikus fand nach seinem Tod wenig Unterstützung. Das änderte sich erst dank Johannes Kepler, der 28 Jahre nach Kopernikus’ Tod in der damals freien Reichsstadt Weil der Stadt geboren wurde. Kepler war der erste Wissenschaftler, der universale Naturgesetze entdeckte.

Kepler verlebte eine unglückliche Kindheit und schrieb später, sein Vater sei ein unmoralischer und streitsüchtiger Soldat gewesen, und seine Mutter ganz allgemein ein unangenehmer Mensch. Er erinnerte sich aber auch an sein frühes Interesse für die Astronomie, als er im Alter von sechs Jahren den großen Kometen von 1577 sah. Es war derselbe Komet, den auch der dänische Astronom Tycho Brahe beobachtete und dabei herausfand, dass dieser sich jenseits der »kristallinen Sphäre« des Mondes bewegen müsse. Die Leben und Arbeiten von Brahe und Kepler waren später eng miteinander verwoben, und es waren die sorgfältigen astronomischen Beobachtungen von Brahe, die zu Keplers größter Entdeckung führten.

Da er ein exzellenter Schüler war, konnte Kepler, der die Absicht hatte, Geistlicher zu werden, die Evangelische Universität Tübingen besuchen. Dort wurde er von Michael Mästlin unterrichtet, der Professor für Mathematik und Astronomie war. Mästlin musste an der Universität die geozentrische Astronomie von Aristoteles und Ptolemäus unterrichten. Privat lehrte er jedoch auch die einfacheren und intuitiveren Ideen von Kopernikus, die Kepler faszinierten. Kepler wurde Landschaftsmathematiker in Graz, und damit begann seine Suche nach dem Verständnis der Planetenbewegungen, die ihn bis an sein Lebensende begleitete.

Keplers Anfänge waren ziemlich mystisch – er versuchte, die angenommenen kreisförmigen Umlaufbahnen der Planeten innerhalb der fünf »perfekten dreidimensionalen Formen« abzugleichen, die ursprünglich von Plato mit Erde, Luft, Wasser und Feuer in Verbindung gebracht wurden. Diese Formen, zu denen das vierseitige Tetraeder und der sechsseitige Würfel gehören, sind die einzigen fünf Formen, deren Flächen in Form und Größe identisch sind, und die sich mit denselben Winkeln und derselben Anzahl von Flächen an jedem Scheitelpunkt treffen.

Er veröffentlichte seine Theorien 1596 in dem Buch Mysterium Cosmographicum, der ersten Arbeit, welche die Ideen von Kopernikus verteidigte. Trotz der mystischen Herangehensweise hatte der Text auch brillante Stellen. Kepler argumentierte, dass Brahes Beobachtung eines Kometen jenseits des Mondes die Möglichkeit ausschloss, dass die Planeten von kristallinen Hüllen getragen würden. Er schlug als Erster vor, dass ein physikalisches Phänomen – eine von der Sonne ausgestrahlte Kraft – für die Planetenbewegungen verantwortlich sein müsse. Kepler erklärte, dass diese von der Sonne ausgehende Kraft, die mit zunehmender Entfernung geringer werde, für die Abnahme in den Umlaufgeschwindigkeiten der weiter von der Sonne entfernten Planeten verantwortlich sein könnte.

Keplers Ideen zur perfekten Harmonie von Formen und Planetenbahnen gingen nicht ganz auf. Er dachte, es läge daran, dass seine Beobachtungsdaten nicht besonders genau waren, aber er wusste auch, dass Tycho Brahe über die genauen Daten verfügte, die er brauchte, um seine Theorien zu prüfen.

Im Jahr 1600 erreichte der Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken seinen Höhepunkt, und es war unwahrscheinlich, dass Kepler in Graz würde bleiben können. Er reiste nach Prag, um sich eine Anstellung bei Brahe zu sichern. Es war die erste bekannte Zusammenarbeit zwischen einem beobachtenden Astronomen und einem Theoretiker. Brahe hoffte darauf, dass Kepler sein eigenes geozentrisches Modell bestätigen würde, und Kepler brauchte Brahes Daten, um seine harmonischen Planetenbahnen um die Sonne zu verifizieren.

Tycho Brahe lehnte die Idee von Kopernikus, dass die Erde sich bewegt, ab und hatte sein eigenes Modell der Planetenbewegungen entwickelt. In seinem Modell wurde die Erde wieder ins Zentrum des Universums gestellt, umkreist von Mond und Sonne, während die fünf Planeten die Sonne umkreisten. Ohne dass Brahe sich dessen bewusst war, war ein ähnliches Modell übrigens bereits früher vom indischen Astronomen Nilakantha Somayaji entwickelt worden.6

Obwohl er Kopernikus’ Ansichten ablehnte, waren es Tycho Brahes Beobachtungen, die zum finalen Untergang der kristallinen Hüllen und des geozentrischen Weltbildes führten. Brahe war, wie viele der ersten Wissenschaftler, ein wohlhabender Adliger. Männer wie er hatten Zeit und Geld zum Nachdenken und Experimentieren. Brahe ließ sich ein astronomisches Observatorium bauen, von dem aus er systematisch den Nachthimmel studierte und die Positionen der Planeten sorgfältig notierte. 1572 beobachtete er das Auftauchen eines neuen Sterns – einer Supernova. Er versuchte, seine Entfernung mittels Parallaxe zu messen, konnte aber keine Parallaxe nachweisen – was bedeutet, dass der neue Stern weiter entfernt sein musste als der Mond und die Planeten. Er beobachtete auch den großen Kometen von 1577, der die Himmelssphäre durchquerte – und damit auch die eigentlich undurchdringlichen Kristallhüllen. Dass dieses heilige Reich Gottes veränderlich sein könnte, war eine Vorstellung, die von der Kirche strikt abgelehnt wurde; sie bestand darauf, dass die äußere Himmelssphäre, die die Sterne und den Himmel beherbergte, unbeweglich und unveränderlich sei.

Brahe war genauso exzentrisch, wie es auch heute noch viele Wissenschaftler sind. Er verlor einen Teil seiner Nase im Duell mit einem anderen Studenten, nachdem sie sich darüber in die Haare geraten waren, wer der bessere Mathematiker sei. Er veranstaltete extravagante Partys, bei denen seine Gäste von seinem Elch unterhalten wurden, der eines Nachts starb, weil er zu viel Bier getrunken hatte und danach die Treppe herunterfiel. Nichtsdestotrotz hielt er seine astronomischen Daten gut unter Verschluss und erlaubte nicht einmal seinem neuen Assistenten Johannes Kepler vollen Zugriff auf seine Notizen.

1601 starb Brahe, und auf seinem Sterbebett bat er Kepler, die Reform der Astronomie fortzusetzen – natürlich auf der Grundlage seiner eigenen Modelle und nicht jener von Kopernikus. Kepler hielt jedoch das Modell von Kopernikus für viel einleuchtender. Sorgfältig studierte er Brahes Daten zur Bewegung des Mars und ergänzte sie mit neuen, eigenen Beobachtungen. Dabei stellte er fest, dass die Bewegung des Mars nicht mit seiner angenommenen Kreisbewegung übereinstimmte, und musste seine und alle früheren Vorstellungen von dessen Umlaufbahn begraben.

Kepler vermutete, dass die Lösung des Problems in Kopernikus’ Annahme liegen könnte, dass sich die Erde in konstanter Geschwindigkeit um die Sonne bewegt. Was, wenn die Bewegung der Erde nicht gleichförmig wäre? Um dies zu überprüfen, hatte Kepler eine Idee, die später von Einstein als wahrhaftiger Geniestreich bezeichnet wurde. Mit einem Triangulationsverfahren berechnete Kepler die Erdumlaufbahn, wie sie ein Beobachter auf dem Mars sehen würde. Er entdeckte, dass sich die Erde nicht mit konstanter Geschwindigkeit bewegt, und dass die Sonne nicht im Zentrum der Erdumlaufbahn steht. Dies führte ihn zu der Beobachtung, dass die Planeten in gleichen Zeiten gleiche Flächen überstreichen, eines seiner drei Gesetze der Planetenbewegung. Danach betrachtete er die Bewegung des Mars und stellte sein berühmtestes Gesetz auf – dass die Umlaufbahnen der Planeten elliptisch sind, mit der Sonne in einem Brennpunkt der Ellipse.

1608 veröffentlichte Kepler sein bekanntestes Werk, Astronomia Nova, in dem er aufzeigte, dass der Mars sich auf einer sich genau wiederholenden, nicht kreisförmigen, sondern elliptischen Umlaufbahn um die Sonne bewegt. Die seit Plato von allen Astronomen angenommenen kristallinen Sphären und Kreisbewegungen bekamen Risse. Er argumentierte weiter, dass es eine Kraft der Erde sei, die den Mond in Bewegung halte, und dass eine ähnliche Kraft des Mondes für die Meeresgezeiten auf der Erde verantwortlich sei. Später formulierte er sein drittes Gesetz der Planetenbewegung, welches die Umlaufzeit eines Planeten mit seiner Entfernung von der Sonne in Beziehung setzt. Isaac Newton wurde später berühmt dafür, dass er diese Gesetze unter einem universellen Gravitationsgesetz vereinte.

Keplers Gesetze der Planetenbewegung waren die ersten wissenschaftlichen Naturgesetze. Diese sind Regeln, die dazu verwendet werden können, das Verhalten eines physikalischen Systems in Zeit und Raum vorherzusagen. Seine Theorien wurden nicht sofort akzeptiert, trotzdem verwendete er seine neuen Gesetze der Planetenbewegung, um vorherzusagen, dass der Merkur im Jahr 1631 über das Antlitz der Sonne wandern würde. Genau am von Kepler vorhergesagten Tag konnte das Phänomen beobachtet werden – nur war dieser leider bereits im Jahr zuvor verstorben und konnte die Verifizierung seines Lebenswerks nicht mit ansehen.

 

6  Er beschrieb sein Modell in der Aryabhatiya-bhasya, einem Kommentar zu den Texten des bekannten indischen Astronomen Aryabhata (476–550). Außerdem war er der Ansicht, dass die beobachteten Bewegungen der Sterne durch eine rotierende Erde erklärt werden könnten.

5. Galileo Galilei (1564–1642)

»für den Nachweis, dass die Planeten die Sonne umlaufen, und die Entdeckung unserer Galaxie«

Den letzten Nagel im Sarg der Himmelssphären lieferte der italienische Astronom Galileo Galilei, einer der ersten Wissenschaftler im modernen Sinn des Wortes.

Von seinen Musikereltern dazu ermutigt, begann Galilei ein Medizinstudium an der Universität von Pisa, besuchte daneben aber auch Vorlesungen in Mathematik und Naturphilosophie, die seine eigentliche Leidenschaft waren. Als Student bemerkte er einen schwingenden Kronleuchter und benutzte seinen Puls, um zu messen, wie lange dieser brauchte, um hin und her zu schwingen: immer gleich lang, egal wie weit er schwang. Er begann, mit Pendeln zu experimentieren, um seine Beobachtung zu verifizieren, und zeigte, dass die Schwingungszeit eines Pendels nur von der Länge der Schnur abhängt. Hundert Jahre später nutzte Christiaan Huygens dieses Prinzip, um die erste Pendeluhr herzustellen. Galilei verließ die Universität ohne Abschluss und unterrichtete als Privatdozent, während er daneben weiter seine Experimente durchführte. 1589 wurde er mit einem befristeten Lehrvertrag Mathematikprofessor an der Universität Pisa.

Galilei versuchte, Phänomene mittels Mathematik zu erklären, und verwandelte die Naturphilosophie dadurch von einem qualitativen zu einem quantitativen Studiengebiet, das durch Experimente getestet werden konnte. Ein oft zitiertes, aber in Galileis eigenen Aufzeichnungen nicht belegtes Beispiel, von dem Sie vielleicht gehört haben, waren die Experimente, bei denen Objekte mit unterschiedlichem Gewicht vom Schiefen Turm von Pisa fallen gelassen wurden. Galileis mechanische Experimente zeigten, dass Aristoteles’ Ansichten über die Bewegung falsch waren, und dass alle Objekte unabhängig von ihrer Masse mit der gleichen Geschwindigkeit fallen. Er argumentierte, dass Bewegung relativ ist – dass, obwohl sich die Erde bewegt, wir diese Bewegung nicht messen oder ihre Auswirkungen spüren können. Dies wird heute als »Galileis Relativitätsprinzip« bezeichnet und formuliert, mehrere Jahrhunderte vor Einstein, eine der Schlüsselideen der speziellen Relativitätstheorie. Galilei war vielleicht der erste Wissenschaftler, der den Wissenschaftlern von heute ähnelt. Er ging Dinge im heutigen Sinne »wissenschaftlich« an, noch bevor der englische Philosoph Francis Bacon 1620 seine berühmte Beschreibung der wissenschaftlichen Methode veröffentlichte.

Galileis Angriffe auf Aristoteles kamen bei seinen Kollegen allerdings nicht besonders gut an, und so wurde sein Vertrag in Pisa nicht verlängert. Er wechselte an die Universität von Padua, wo er von 1592 bis 1610 den Lehrstuhl für Mathematik innehatte. Nach dem Tod seines Vaters war Galilei, das älteste von sechs Kindern, für die Familie verantwortlich, aber sein Universitätsgehalt war nicht besonders hoch, und die Familie war nicht wohlhabend. Er stellte deshalb in seiner Freizeit Erfindungen her, um sie für zusätzliches Geld zu verkaufen. Eine davon war das Thermoskop – ein Gerät zur Temperaturmessung durch Überwachung von Änderungen in der Luftdichte, woraus sich später das moderne Thermometer entwickelte.

1609 zeigte Galilei, dass die Fallstrecke eines Körpers proportional zum Quadrat der Zeit ist (das heißt, ein Objekt fällt in zwei Sekunden viermal weiter als in einer Sekunde) und dass Geschosse parabelförmigen Bahnen folgen – beide Ergebnisse widersprachen erneut Aristoteles’ Physik. Aber erst 1610 – im Alter von 46 Jahren – machte er seine berühmtesten Entdeckungen. Diese waren nur dank einer der größten Erfindungen der Menschheitsgeschichte möglich: des Teleskops.

Schon die alten Griechen wussten, wie man Glaslinsen herstellt, die das Licht der Sonne fokussieren, um Feuer zu entzünden. Brillen wurden in Europa zudem bereits im 13. Jahrhundert verwendet. Aber aus irgendeinem für mich ziemlich rätselhaften Grund wurde erst Anfang des 17. Jahrhunderts erkannt, dass zwei Linsen, die voreinander gehalten werden, entfernte Objekte viel besser sichtbar machen. Dies ist die grundlegende Funktionsweise eines Fernrohrs, das vermutlich 1608 vom deutsch-niederländischen Brillenmacher Hans Lipperhey erfunden wurde.

Die weiter entfernte konvexe Linse sammelt Licht von einem größeren Bereich, als es mit dem menschlichen Auge möglich ist, und bündelt dieses Licht auf eine zweite Linse, die das Licht neu fokussiert. Daraus ergibt sich ein vergrößertes, klareres Bild. Zwei auf diese Weise verwendete konvexe Linsen lassen ein weit entferntes Objekt auf dem Kopf stehen, aber wenn man eine konkave Linse als zweite Linse verwendet, wird das Bild richtig herum angezeigt. Wie simpel das doch ist!

Mit dieser einfachen Erfindung begann der Weg zum Verständnis unseres Kosmos. Sie ermöglicht uns, das Ferne ebenso wie das Kleine zu beobachten – ein Mikroskop funktioniert genau wie ein Teleskop, der einzige Unterschied besteht darin, wie weit auseinander man die beiden Linsen platziert. Ohne Teleskop und Mikroskop würden wir uns heute wohl immer noch im Mittelalter befinden!

Die erste Person, die zwei Linsen nahm und sie auseinander hielt, war wahrscheinlich der oben erwähnte Hans Lipperhey. Lipperhey wurde um 1570 in Wesel geboren. Später wanderte er nach Middelburg in der heutigen niederländischen Provinz Zeeland aus, wo er Linsen schliff und Brillen herstellte. 1608 meldete er seine Erfindung zum Patent an, die Dinge in der Ferne so aussehen ließ, als wären sie in der Nähe. Einige Wochen später reichte jedoch ein anderer niederländischer Linsenhersteller, Jacobus Metius, ein ähnliches Patent ein. Metius hatte bereits von Lipperheys Bewerbung gehört und behauptete, er habe diese Entdeckung bereits ein Jahr zuvor gemacht. Der Staat vergab an keinen der beiden ein Patent, da die Erfindung als zu leicht kopierbar angesehen wurde, würdigte aber Lipperhey und bezahlte ihn gut für die Herstellung mehrerer Teleskopvorrichtungen.

Die Nachricht von dieser Erfindung erreichte schon kurz darauf Galilei, der, basierend auf seinem begrenzten Wissen, sein eigenes Design ausarbeitete. Bis zum Ende des Sommers 1609 hatte er gelernt, seine eigenen Linsen zu schleifen, und Teleskope mit einer neunfachen Vergrößerung hergestellt – um ein Vielfaches stärker als jene von Lipperhey. Als Galilei dem venezianischen Senat sein verbessertes Teleskop präsentierte, wurde er mit einer lebenslangen Anstellung und doppeltem Gehalt belohnt. Bis zum Ende desselben Jahres hatte er Teleskope mit einer über zwanzigfachen Vergrößerung gebaut. Er richtete sein Teleskop auf den Nachthimmel und begann, die Planeten und Sterne zu beobachten.

Als er mit seinem Teleskop zur Venus blickte, sah er, dass sie halb erleuchtet war – und erkannte, dass die Venus ähnliche Phasen durchläuft wie der Mond! Während sich die Venus in den nächsten Monaten der Sonne näherte, wurde der beleuchtete Teil größer, bis der Planet schließlich zu einer vollen Lichtscheibe wurde. Galilei hatte entdeckt, dass die Venus ebenfalls ein kugelförmiges Objekt ist, das vom Licht der Sonne erhellt wird. Wenn der Mond in Sonnennähe steht, liegt er zwischen Erde und Sonne, und wir sehen ihn nur teilweise, als Sichel. Da die Venus jedoch um die Sonne kreist, erreicht sie aus unserer Sicht ihre volle Beleuchtung, wenn sie am Himmel der Sonne am nächsten erscheint. Die einzige Erklärung für die Phasen der Venus relativ zur Sonne war, dass die Venus die Sonne und nicht die Erde umkreist. Galilei hatte die ersten Beweise für das heliozentrische Modell von Kopernikus gefunden.

Leider verärgerte die Nachricht von Galileis Entdeckungen die Kirche, die auf einer wörtlichen Auslegung der Bibel bestand – die Erde sollte sich nicht bewegen! 1615 erklärte die Inquisition der katholischen Kirche das kopernikanische Modell für ketzerisch und verbot dessen Lehre. 1616 sollten Kirchenbeamte entscheiden, ob sie die Vorstellung guthießen, dass die Erde sich bewegt. Galilei wurde nach Rom bestellt, um die Vor- und Nachteile der heliozentrischen Astronomie darzulegen. Die Kirche war bereit, das heliozentrische Modell als reines Recheninstrument zu akzeptieren, jedoch nicht als wörtliche Wahrheit. Papst Urban VIII. ermutigte Galilei zunächst, seine Argumente für und gegen die heliozentrische Astronomie zu veröffentlichen, bereute diese Entscheidung jedoch schnell, da der Wissenschaftler seine eigenen Erkenntnisse nicht widerlegen konnte. Wegen angeblicher Verspottung des Papstes wurde Galilei 1633 verhaftet. Aufgrund seiner Ansichten wurde er vor Gericht gestellt, für schuldig befunden und bis zu seinem Tod 1642 in seinem Haus in Arcetri bei Florenz unter Hausarrest gestellt. Erst 1992 widerrief die katholische Kirche die Verurteilung von Galilei und entschuldigte sich für seine Misshandlung.

Die Werke von Kopernikus, Kepler und Galilei landeten auf dem Index verbotener Bücher der katholischen Kirche, weil sie lehrten, dass sich die Erde bewegt – was der Heiligen Schrift widerspricht. Aber Wissenschaft hat nichts mit Glaube zu tun. Die Wissenschaft basiert auf Beobachtungen, Experimenten und dem Testen von Theorien mit reproduzierbaren Ergebnissen, und diese Ergebnisse können nicht auf Dauer ignoriert werden.