Stilles Töten - Angelika Friedemann - E-Book

Stilles Töten E-Book

Angelika Friedemann

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Beschreibung

Eine Mordserie an jungen Edel-Callgirls erschüttert die Hansestadt Hamburg. Daniel Briester und seine Mitarbeiter treten auf der Stelle. Jeden Monat passiert ein weiterer Mord. Der Täter hinterlässt jeweils eine Tarotkarte bei dem Opfer, ritzt ein Pentagramm auf deren Oberkörper. Daniel und die Kollegen tauchen in eine Welt der Mythen, der Hexen und Magie ein. Der Oberstaatsanwalt und sein Vorgesetzter setzen der Abteilung ausgerechnet die Psychologin Sandra Larsen, als eine Art Fallanalytikerin, vor die Nase. Der Ärger ist vorprogrammiert.

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Angelika Friedemann

Stilles Töten

Impressum

Copyright: © 2021 Alle Rechte am Werk liegen beim Autor: Angelika Friedemann,Herrengasse 20, Meinisberg/ch. [email protected]

Das Werk einschließlich aller Inhalte ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder Reproduktion (auch auszugsweise) in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie oder anderes Verfahren) sowie die Einspeicherung, Verarbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung mithilfe elektronischer Systeme jeglicher Art, gesamt oder auszugsweise, ist ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung untersagt. Alle Übersetzungsrechte vorbehalten.

Bildnachweis: Quelle: piqs.de Bildtitel: Hamburger Hafen, Fotograf: Bonsei

ISBN: 9783754373538

*

Das Schrillen des Telefons drang in seinen traumlosen Schlaf. Halb wach tastete er nach der Störquelle, meldete sich, hörte zu und wurde nun vollends aufgeweckt.

„Zwanzig Minuten“, antwortete er, unterdessen sein Blick auf den Wecker fiel: fast um vier Uhr.

Noch ehe er den Hörer weglegte, stand er. Rasch eilte er in das Bad, duschte, putzte Zähne, rasieren sparte er, kämmte kurz durch die dunkelbraunen Haare, schlüpfte in die Kleidung, steckte die Pistole hinten in den Bund der Jeans. Schlüssel und Handy verstaute er in der Hosentasche. Während er zum Aufzug lief, wartete, suchte er in der Jackentasche des grauen Lederblousons nach dem Autoschlüssel.

Die Straßen der Hansestadt Hamburg waren leer, so kam er zügig vorwärts. Selbst auf der Reeperbahn schien alles zu schlafen, wie er im Vorbeifahren bemerkte. Nur zwei Mädchen standen, eine Zigarette rauchend vor einer der Bars. Das lag wahrscheinlich an dem Wetter. Es goss in Strömen und die Scheibenwischer bewegten sich schnell, damit er mehr sah. Auf dem dunklen, nassen Asphalt spiegelten sich die Lichter der Straßenlampen, schillerten Neonreklamen, Scheinwerfer zogen eine Spur und Pfützen säumten den Straßenrand.

Aus dem Radio erklang Musik von Peter Gabriel. Rasch drehte er lauter. Biko gehörte zu seinen Lieblingsliedern, obwohl er fast alle Stücke von dem Sänger mit der etwas anderen Stimme mochte. Jäh wurde das Lied unterbrochen und die Moderatorin meldete einen Geisterfahrer auf der A7. Unbewusst schüttelte er den Kopf. Er begriff wohl nie, wie man falsch auf eine Autobahn einfahren konnte. Entweder waren die Leute blind, betrunken oder Selbstmörder, aber dann sollten sie gefälligst von einer Brücke springen und nicht andere Personen gefährden. Das Lied wurde fortgesetzt. Er bog rechts in eine kleinere Straße ab. Nur vereinzelte Laternen erhellten den Straßenbelag, die grauen, tristen Häuser, rechts und links die parkenden Autos. Abermals bog er ab, fuhr an einer schmalen Grünanlage vorbei.

Wenige Minuten später hielt er vor dem Wohnhaus, wo bereits Polizeiautos, Krankenwagen parkten. Er nickte einem der uniformierten Beamten zu, eilte in das zweite Stockwerk, grüßte, drängelte sich durch die Menschen: Hausbewohner, Polizeibeamten, Mitarbeiter der Spurensicherung mit Koffern.

„Schicken Sie sofort diese Neugierigen weg, aber nehmen Sie von allen Anwesenden die Personalien auf“, wandte er sich an einen Polizisten.

„Moin. Lisa, was haben wir?“, sprach er die junge Mitarbeiterin an, die ihn aus dem Schlaf gerissen hatte.

„Irene Clement, Prostituierte, erwürgt mit einem BH.“

Er hockte sich neben der Leiche nieder, schaute diese sorgfältig an. Die Frau war nur mit einem rot-schwarzen winzigen Slip bekleidet, den Büstenhalter dazu entdeckte er verschlungen um ihren Hals. Unter ihr lag ein dicker, dunkelblauer Bademantel. Auf dem Oberkörper war ein Zeichen geritzt. Da alles blutverschmiert war, konnte er es nicht deuten. Die Arme leicht angewinkelt, die Hände auf dem Bauch übereinandergelegt, wenn sie beten würde.

Daniel Briester, der Leiter der Mordkommission, wie es im allgemein gängigen Wortschatz hieß, sah das Gesicht der Toten an. Sie musste hübsch gewesen sein, sehr attraktiv. Lange dunkelbraune Haare, voller Mund, nun allerdings mit blassen Lippen, verzehrt wirkten die Gesichtszüge. Die Lider geschlossen, daher konnte er die Augenfarbe nicht sehen, nur wenig Schminke, fiel ihm auf.

„Scheun’n Schiet!“

Er wechselte einen kurzen Augenausdruck mit dem Gerichtsmediziner, Doktor Samuel Richter. „Sie wurde erdrosselt, nicht erwürgt, sonst sind keine weiteren Spuren sichtbar. Nichts, was auf einen Kampf hindeutet oder dass sie sich gewehrt hätte.“

„SM?“

„Sieht nicht in diese Richtung aus, aber weiß man es? Nur warum nicht auf dem Bett?“

„Wann?“

„Drei bis fünf Stunden.“

Er erhob sich, taxierte das Opfer. Sehr gute Figur, lange schlanke Beine. Ein Fuß steckte noch in einem hochhackigen schwarzen Lederpumps, während er an dem anderen, hellrot lackierte Fußnägel erblickte. Der fehlende Schuh lag entfernter. Ja, bildschön, dachte er. Er hatte einen Blick für schöne Frauen, noch dazu für dunkelhaarige, ranke Wesen. Als er die Hände mit den langen rot lackierten Fingernägeln betrachtete, blitzte etwas dazwischen. Er beugte sich hinunter, hob die linke Hand der Toten hoch. Drei Ringe.

„Samuel, ist der Schmuck echt?“

Der hockte sich hinunter. „Du sollst sie nicht ohne Handschuhe antatschen. Sieht so aus. Schätze sechstausend. Eine Schande, so eine Frau zu töten. Sie war eine Schönheit. Daniel, etwas Besonderes ist die Karte. Deswegen habe ich dich rufen lassen“, reichte er ihm einen bereits beschrifteten durchsichtigen Beutel.

Er ergriff die Plastikhülle, sah die voluminöse Karte an. „Tarot?“

„Ja, lag in ihrem Slip. Woher kennst du solchen Kram?“

„Mir hat mal jemand die Zukunft vorausgesagt“, grinste er den älteren Mann an.

„Die Hohepriesterin. Eine der großen Arkana.“

„Davon gibt es zweiundzwanzig, wenn ich das noch so richtig weiß.“

„Ja.“

Die zwei Männer guckten sich einige Sekunden stumm an, dachten beide dasselbe.

„Samuel, verschone mich mit deinem Defätismus, obwohl ich deiner Meinung bin, leider. Gehen wir zunächst deduktiv vor.“ Er blickte nochmals zu der Leiche. „Schade.“

„Das war bestimmt ihr Zuhälter oder ein ausgeflippter Freier“, platzte Lisa dazwischen. „So besonders sah sie nun nicht aus. Eben nur wie eine von der Sorte.“

Daniel schaute sie kurz an, reichte einem Mann der Spurensicherung den Beutel und spähte durch den Raum. Sehr hübsch und geschmackvoll eingerichtet. Ein großes Bett mit Seidenbettwäsche in einem blauen Ton. Dieses war jedoch nicht zerwühlt. Zahlreiche kleine Kissen lagen auf dem Boden, der mit türkisfarbener Auslegeware bedeckt. Die gefalteten Kissenhüllen lagen auf dem Bett. Auf einem Tisch eine Flasche in einem Sektkübel, ungeöffnet, daneben zwei Gläser. Er trat näher, las die Champagnermarke. Nobel. Das Eis war bereits geschmolzen. Alles sieht distinguiert und teuer aus, stellte er fest. Er hob einen seidenen Morgenmantel hoch, ein teurer Designername prangte ihm entgegen.

„Herr Hauptkommissar, wir müssen noch fotografieren.“

Er ging an die Seite, registrierte automatisch auf der Kommode die wenigen Accessoires: Kerzenständer, Aschenbecher, Kristallgläser.

„Doktor Richter, kann man sie danach unten hingelegt haben?“, erkundigte sich Lisa Schmitt.

„Eher unwahrscheinlich. Es ist Blut auf dem Bademantel. Wer legt erst einen Bademantel hin, um darauf die Tote zu packen? Ich denke, dass sie auf dem saß, den ausgezogen hat oder er wurde ihr entfernt.“

„Wie passt der BH dazu?“

„Vielleicht lag der herum, vielleicht hat sie den ausgezogen, vor einem Typen gestrippt? Vielleicht hat der Mörder ihr den abgenommen? Hei, ihr seid die Bullen, nicht ich. Möglicherweise finden wir noch Spuren, wenn wir sie philiströser untersuchen.“

„Snaksch. Welche Frau strippt in einem Bademantel, wenn dort ein seidener Morgenmantel liegt? Ziemlich unerotisch“, Daniel sofort.

„Du wirst es ja wissen“, grinste der Gerichtsmediziner breit, dass sich die Falten um die grauen Augen und den Mund verstärkten.

„Wir sind fertig“, wandte sich der Fotograf der Spurensicherung an ihn. „Sie können loslegen.“

„Danke.“

Lisa Schmitt trat neben ihn. „Scheint eine Edelnutte gewesen zu sein. Im Bad nur die teuersten Kosmetika, ein Vermögen wert. Echt geil. Creme von Rubinstein, Duschzeug von Dior und Chopard sogar für Männer, Parfum von …“

„Reg dich ab. So sieht es hier generell aus, allerdings heißt es Prostituierte.“

„De Fruunslüüd dreht mol durch“, erklang es lakonisch von Samuel, blickte dabei kurz zu Lisa hoch.

„Was haben Sie gesagt, Herr Doktor?“

„Is´ man gut“, grinste der Daniel verschwörerisch an.

„Fang mit Peter an die Hausbewohner zu vernehmen. Wer hat sie gefunden?“

„Die Nachbarin, Angela Schmitz. Die klingelte, fand die Wohnungstür nur angelehnt vor und ist hinein.“

„Morgens um vier? Eine Professionelle?“

„Keine Ahnung denke aber ja. Sie hat uns gesagt, was die Tote hier treibt. Ich meine beruflich, wohnen tut sie woanders. Die hat hier nur angeschafft, äußerte die Zeugin.“

„Es heißt sie. Rede nicht dermaßen respektlos von dem Opfer. Nimm mit Peter die Aussagen auf. Das kannst du ja und bestell sie für den Vormittag zur Abgabe der Fingerabdrücke auf das Präsidium, dazu alle anderen Frauen, falls im Haus noch mehr wohnen, arbeiten. Gibt es einen Zuhälter?“

Lisa zuckte mit den Achseln.

„Sage Peter, dass er nachfragen soll, auch was diese Frau Schmitz morgens um vier, dort zu suchen hatte.“

„Kann ich allein“, erwiderte sie schnippisch.

„Hast du heute Probleme mit deinen Ohren? Du sollst es Oberkommissar Sinner ausrichten und ihm behilflich sein. Er stellt die Fragen und du schreibst, hörst zu. Angekommen?“ Seine Tonlage war nun um einige Nuancen kälter.

Sie nickte und verließ den Raum, während er ihr nachsah, dabei den Kopf schüttelte. Der Rock bedeckte gerade ihren Po; die Absätze waren bestimmt sechs, sieben Zentimeter hoch.

„Sage deiner angehenden Kommissarin, ihre Beine sind zu kurz und zu dick für den kurzen Rock“, hörte man den Gerichtsmediziner. „Seit sie zurück ist, dreht sie ab. Ich fahre. Nachmittags erhaltet ihr den Bericht.“

„Danke, Samuel.“

Er schaute zu, wie man die Leiche abholte, sie vorsichtig in dem ollen Blechsarg bettete.

Ilona Trackmann-Lievert von der Spurensicherung schob sich an den Männern vorbei. „Moin. Könnt ihr eure Leichen nicht am Tag finden? Ich beabsichtigte zu schlafen, und zwar mindestens noch zwei Stunden.“

„Moin. Frage ich mich bisweilen ebenfalls. Gib mir ein Paar Handschuhe, meine Dinger liegen im Auto.“

Sie öffnete ihren silbernen Koffer, reichte ihm ein Paar. „Du hast wohl noch nichts angetatscht?“

„Den Morgenmantel. Sieht fast wie deiner aus, der gleiche Hersteller.“

„Sehr witzig“, grinste sie. „Im Bad sind wir fertig. Keine Fingerabdrücke, außer von ihr, wie wir vermuten.“

„Kondome?“

„Nur Neue, sonst nichts. Entweder war es eine sehr reinliche Frau oder sie hatte eine Putze. Alles sehr sauber, ordentlich, wirkt gepflegt. Muss gestern großer Putztag gewesen sein. Nicht eine Wasserspur im Waschbecken.“

„Sie hat wohl auf einen Kunden gewartet, wenn da nichts ist. Wer steckt ein benutztes Kondom ein?“

„Möglicherweise hat sie es ohne gemacht. So wie es aussieht, kamen da keine Typen von der Straße her. Sie hat die Männer nur auf Termin herangelassen und welche die über Geld verfügten. Da macht man es ohne.“

„Danke für die Aufklärung“, grinste er, während sie den seidenen Morgenmantel in eine Tüte steckte und diese danach beschriftete. „Meinst du nicht, dass er sich gewaschen hätte, wenigstens die Finger? Es müsste Blut vorhanden gewesen sein.“

„Du meinst wegen der Brust?“

Er nickte nur, zog die Schublade einer Kommode auf: Dessous in verschiedenen Farben, Ausführungen.

„Daniel, das ist was für dich“, schmunzelte sie.

„Sieht nett aus. Nicht so ein üblich billiges Zeug. Seide, Spitze. An der richtigen Frau …“, griente er zurück, öffnete die untere Lade: Kondome, Kosmetiktücher, drei verschiedene Vibratoren, Tempos. In dem letzten Schubfach lagen fünf neue Strumpfpackungen, sonst war es leer. Er trat zur nächsten Kommode, öffnete die Tür: Bettwäsche, auf der anderen Seite Bettlaken, Kissenhüllen in verschiedenen Blautönen, alles aus Seide.

Er betrachtete das Bett, welches ordentlich gemacht war, das Bettlaken sah unbenutzt aus. Die Falten vom Zusammenlegen waren deutlich erkennbar.

„Sie muss es erst neu bezogen haben. Es hat noch keiner darauf gelegen. Habt ihr schmutzige Bettwäsche gefunden? Riecht frisch nach Waschpulver.“

„Bisher nichts. Keine benutzten Handtücher oder dergleichen. Du könntest recht haben, da der Champagner noch zu ist, die Gläser unbenutzt. Sie hat auf jemanden gewartet, alles für den Besuch hergerichtet. Deswegen der Bademantel.“

In dem kleinen Schränkchen neben dem Bett fand er die Handtasche. Darin eine Geldbörse mit 120 DM, ein bisschen Kleingeld, zwei Kreditkarten von zwei Banken, eine Amex-Karte. Ergo, kein Raubüberfall, aber das hatte er bereits ausgeschlossen, als er die Ringe bemerkt hatte. In einer Seitentasche: Personalausweis, Führerschein. Daneben Lippenstift von Dior, Parfum von Nina Ricci, Tempos, Kaugummi, Zahnseide, Kugelschreiber von Mont Blanc, ein Schlüsselbund mit fünf Schlüsseln, ein Autoschlüssel, der zu einem BMW gehörte. Ein blaues in Leder gebundenes Buch. Er zog es heraus, blätterte darin. Termine waren eingetragen, aber nur die Vornamen von Männern, Daten beim Zahnarzt, Arzt, Steuerberater, einer Rehaklinik, mit Frauen. Für gestern Abend einen Eintrag für Mitternacht. Komische Uhrzeit sinnierte er. Für heute war ein Date bei 17.00 Uhr eingetragen. Ein Handy, welches jedoch ausgeschaltet war.

„Ilona, den Terminkalender hätte ich gern schnell zurück, mehr aus dem Handy, besonders die letzten Nummern.“

„Bekommst du. Sonst etwas Interessantes?“

„Nichts. Um Mitternacht hatte sich ein Horst angekündigt. Wer geht um die Uhrzeit zu einer Edelprostituierten? Ich benötige zwei deiner Leute für ihre Wohnung. Ist um die Ecke und irgendwo muss der Wagen von der Toten stehen, ein BMW. Die Fahrzeugpapiere fehlen.“

Er griff nach seinem Handy und machte eine Halterabfrage, gab die Nummer an Ilona. „Müsste auffallen. Der ist sechzehn Jahre alt, dunkelblau. Ich gehe zu den privaten Räumlichkeiten, eventuell finden wir da mehr. Wenn ich den Wagen habe, sage ich Bescheid.“

„Mach das, den Bericht später.“

„Danke dir, mein Schatz. Peter und Lisa sind im Haus, falls du etwas Aufregendes findest.“ Seine braunen Augen blitzten sie belustigt an.

„Biest“, lächelte sie kopfschüttelnd zurück und wie so oft dachte sie: Dieser Mann ist umwerfend und heute hatte er so etwas Verwegenes an sich. Vermutlich lag es daran, dass er heute unrasiert war, die dunkelbraunen Haare durcheinander. Sie wusste, sie waren nur schwer zu bändigen. Sie betrachtete ihn für einige Sekunden, während er mit einem Kollegen sprach. Ein großer, sehr athletischer Körper, den sie so gut kannte, dazu schmale Hüften, einen flachen Bauch. Fast zwei Jahre war es inzwischen her und sie hatte es nie bereut. Es waren einige schöne Monate gewesen, aber dann war es für ihn vorbei. Er hatte bemerkt, dass sie mehr von ihm ersehnte und dem einen Riegel vorgeschoben. Trotzdem waren sie Freunde und Kollegen geblieben. Im Gegenteil, sie schäkerten noch miteinander, sprachen über das, was einmal war. Es gab deswegen nie Reibereien und sie wusste, bei ihm hatten danach andere Frauen ihren Platz eingenommen und gegangen waren. Bei ihr war Peter in ihr Leben getreten. „Ich werde mich nie mehr an eine Frau binden, auch nicht gefühlsmäßig“, hatte er zu ihr gesagt. „Das habe ich hinter mir. Eine gescheiterte Ehe reicht.“ Er wusste eben nicht im Geringsten, was er Schönes wegen seiner Einstellung versäumte. Sie seufzte leise, widmete sich der Arbeit.

Erst am späten Vormittag betrat er sein Büro, wo er Kaffee kochte, Kuchen, den er beim Bäcker gekauft hatte, auf einen Teller legte und frühstückte, dabei die Tageszeitung las. Es war eine Art Ritual, das er morgens immer als Erstes zelebrierte, egal wann er im Büro erschien. Dabei mochte er keineswegs gestört werden und seine Sekretärin wimmelte in der Zeit alle Besucher oder Telefonate ab.

Anschließend las er die Berichte, die neu auf seinem Schreibtisch gestapelt lagen.

Seine drei Abteilungen befassten sich mit allem aus der Gruppe der Straftaten gegen das Leben, die genau im Strafgesetzbuch aufgeführt waren. Delikte am Menschen lautete der Oberbegriff.

Zu den Tötungsdelikten zählen: Mord, Totschlag, Tötung auf Verlangen, den strafbaren Schwangerschaftsabbruch und die fahrlässige Tötung.

Das Delikt Mord umfasste: Wer einen anderen Menschen aus einem besonders verwerflichen Beweggrund, wie Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonstigen niedrigen Beweggründen, auf besonders verwerfliche Art und Weise, heimtückisch, grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder zu einem besonders verwerflichen Zweck, um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, vorsätzlich tötete.

Benachbart der Versuch oder die Beihilfe und Anstiftung zum Mord.

Dann gab es den Straftatbestand des Totschlags: Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein. Das heißt, bei beiden Delikten wird ein Mensch vorsätzlich getötet. Bei einem Mord müssen jedoch zusätzlich die besonderen verwerflichen Beweggründe hinzutreten.

Daneben, wenn der Täter ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Misshandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und dadurch zu der Tat hingerissen wurde.

Die Tötung auf Verlangen nach Paragraf 216:

Betraf die Tötung eines Menschen, zu der der Täter durch ausdrückliches und ernsthaftes Verlangen des Getöteten bestimmt worden war.

Die fahrlässige Tötung, geregelter Unterfall der Tötungsdelikte nach Paragraf 222: Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht. Voraussetzung, dass durch die Handlung eines Tätersder Tod eines anderen Menschen verursacht wird. Dazu gehörte auch der Schwangerschaftsabbruch, von einem Täter gegen den Willen der Schwangeren begannen.

Gedanklich war er bei dem neuen Fall Clement. Eine interessante und ungewöhnliche Frau. Auf der einen Seite eine Art Edelprostituierte, auf der anderen Seite hat sie einen großen Teil des so verdienten Geldes, für die Schwester verwendet, die seit einem Verkehrsunfall behindert war. Sie hatte einen Medizinstudienplatz belegt und die Vorlesungen besucht, wie man bisher erfahren hatte. Warum brachte man so eine Frau um? Sie hatte keinen Zuhälter, wie Peter ihm berichtet hatte. Möglicherweise wollte einer der Typen sich so ein lukratives Geschäft nicht entgehen lassen, hatte sie unter Druck gesetzt? Sie hatte sich geweigert und er hatte sie umgebracht? Aber wieso das Muster auf dem Dekolleté, der Brust? Was bedeutete es? Was ihn jedoch richtig beunruhigte, war diese merkwürdige Tarotkarte. Er musste den Autopsiebericht abwarten und darauf, was seine Kollegen herausfinden würden.

Er griff nach einer Kladde eines anderen Falles und befahl Oberkommissar Klaus Resser in sein Büro, mit dem er die weiteren Vorgehensweisen besprach.

„Klaus, wir hatten vor zwei Jahren diese junge tote Thailänderin Min Vhing oder so ähnlich? Eine sehr junge Prostituierte, die schwanger war. Lass die Akte heraussuchen. Diese Frau wurde zwar erstochen, aber man hat damals nie identifizierte Fingerabdrücke in der Wohnung sichergestellt. Eventuell finden wir da Parallelen.“

„Das wird nichts damit zu tun haben. Ein völlig anders gelagerter Fall und nur unnötige Arbeit.“

Verblüfft registrierte Daniel, dass sein Kollege plötzlich noch blasser aussah, als gewöhnlich. Klaus Resser bemerkte den Blick seines Chefs und räusperte sich. „Lass ich holen. Hoffentlich werden es nicht noch mehr, falls das der gleiche Kerl war.“

„Mein Gefühl sagt mir - es werden mehr.“

Nachmittags rief ihn eine Mitarbeiterin der Gerichtsmedizin an, die ihm den vorläufigen Autopsiebericht in Kurzform durchgab. Erst ein leichter Schlag auf den Hinterkopf, erdrosselt mit einem BH. Es folgte der Eintritt des Todes. Logisch schüttelte er den Kopf. Kein Geschlechtsverkehr. Das Zeichen war ein Pentagramm. Der Todeszeitpunkt so gegen Mitternacht, wie bereits vermutet.

„Ein Pentagramm? Sie meinen, so wie bei Faust?“

„Keine Ahnung. Auf zwei Spitzen stehend, ohne Kreis. Fotos sind dem Bericht beigefügt. Schicken wir nachher hinüber.“

„Ja, danke. Was heißt ohne Kreis?“

„Na ohne Kreis sagte Doktor Richter.“

„Danke.“

Er saß einen Moment nachdenklich, gab schließlich den Suchbegriff in seinen Laptop ein.

„Das Pentagramm, ein fünfzackiger Stern, gibt es in zwei Ausführungen: Aufrecht steht das Pentagramm auf zwei Spitzen, absteigend zeigen beide Spitzen des Sterns nach oben. Das aufrechte Pentagramm symbolisiert einerseits den Menschen, andererseits die fünf Elemente und außerdem kann man in dem Stern die verschiedenen spirituellen Wege erkennen. In anderen Kulturkreisen schreibt man dem Zeichen magische Kräfte zu, unter anderem zur Abwehr von Dämonen. Alchemisten christlicher, wie jüdischer Herkunft sehen darin das Symbol für die Harmonie gegensätzlicher Elemente. Es ähnelte dem Davidstern. Das aufrechte Pentagramm ist seit Jahrhunderten ein Schutzsymbol. Im Mittelalter sollte es vor dem angeblich negativen Einfluss von Druiden und Hexen bewahren. Heute benutzen Hexen dieses Zeichen, um sich vor negativen Energien zu schützen, oder viele sehen in diesem Zeichen das Symbol des Gehörnten Gottes.

Das umgedrehte Pentagramm setzt man heutzutage mit Satanismus in Verbindung. Es wird hauptsächlich für schwarzmagische Arbeiten, wie Schadenszauber oder Flüche, verwendet. Jeder Spitze ist einem Element zugeordnet. Die Spitze nach oben steht für Geist, nach rechts für Wasser, nach unten Feuer, links unten Erde und zur linken Seite für die Luft“, las er laut. „Scheun’n Schiet!“

Er betrachtete das Bild dazu, versuchte, es mit der Tarotkarte in Verbindung zu bringen, danach überlegte er eine Weile, griff zum Telefon.

„Carola, sag, hast du heute Abend eine halbe Stunde Zeit für mich? Ich benötige deinen Rat.“

„Ja, ich bin pünktlich. Bis dann.“

Es klopfte, die Tür wurde einen Spalt geöffnet und er winkte Peter herein. „Und?“ Daniel lehnte sich in dem Schreibtischsessel zurück und deutete auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch.

Oberkommissar Peter Sinner zückte seinen kleinen Block: „Irene Clement, einundzwanzig, studierte Medizin. Abitur übrigens mit eins Komma eins abgeschlossen. Vor anderthalb Jahren wurde die 17-jährige Schwester bei einem Autounfall schwer verletzt, seitdem querschnittsgelähmt. Zahlreiche Rehamaßnahmen, sitzt im Rollstuhl. Die Eltern bürgerlich, keine weiteren Geschwister. Irene hatte die Wohnung seit sieben Monaten, ob sie vorher woanders tätig war, wissen wir noch nicht. Das Geld scheint an die Schwester und die Eltern gegangen zu sein, welches die für den Umbau des kleinen Häuschens verwendet haben. Sie besaß den alten BMW, ein Sparbuch mit zweitausend Mark, ein Girokonto mit achthundert, ein weiteres Sparbuch für die Schwester auf dem viertausend sind. Keine Schulden, keine Einträge. Alle sagen dasselbe: Sehr ruhig, erzählte wenig privat, hat sich von den anderen Professionellen distanziert, war allerdings freundlich und höflich. Eine ältere Dame hat uns erzählt, die Clement tätigte einmal in der Woche Einkäufe für sie. Besonders alles Schwere schleppte sie. Im Anschluss gab es stets Kaffee und Kuchen. Die anderen normalen Hausbesuche bezeichneten sie als hilfsbereit und sehr kultiviert. Eine Gesine Schuster, ebenfalls Prostituierte, hat uns erzählt, Frau Clement wäre gestern Abend so gegen elf gekommen, da zu der Zeit gerade ihr Freier gegangen wäre. Als sie kurze Zeit darauf nach Hause wollte, hätte sie noch bei Irene geklingelt, weil sie in der gleichen Straße wohnen, aber die habe noch auf einen Freier gewartet, der nach einem Geschäftsessen wohl die Nacht bei ihr verbringen wollte. Die Schuster sagte, sie wäre gegen halb zwölf gegangen. Eines der Mädchen, eine Regina Heinbrecht, gleiches Gewerbe, hat vor zwei Tagen gesehen, wie sie mit dem Hausbesitzer, einem gewissen Holger Neidhold, Streit hatte. Sie haben wohl lautstark im Hausflur gestritten.“

„Um was ging es?“

„Er hat mehr Miete für die Absteige verlangt und sie weigerte sich, zu zahlen. Sie hat wohl geäußert, dass sie einen Rechtsanwalt nehmen würde, weil sie sich das keineswegs gefallen lassen wollte. Schließlich gab es einen Mietvertrag.“

„Der Name Holger Neidhold kommt mir irgendwie bekannt vor.“

„Barbesitzer, Edelpuff, Nobelschuppen. Ich habe uns sein Strafregister ausgedruckt.“

Er reichte seinem Chef einige Seiten, die der aufmerksam durchlas.

„Der war früher mehr hinter Gittern, als draußen. Seit sechs Jahren nichts. Ich möchte ihn haben. Lass ihn holen. Hatte sie Feinde, sonst mit jemand Ärger?“

Peter blickte auf seine Notizen.

„Nein, negativ. Es ist ein Häuserblock, vier Mietshäuser mit vierundvierzig Wohnungen. Neidhold hat den vor drei Jahren gekauft, saniert, und immer, wenn ein Mieter ausgezogen ist, an Dirnen vermietet, zur doppelten Miete, so in etwa. Im Moment wohnen noch zwölf alte Mieter in dem Komplex. Die haben anscheinend kein Problem damit, dass solche Frauen um sie herum ihrem Geschäft nachgehen. Eine ältere Frau sagte: Das sind sehr nette Mädchen und so hilfsbereit, höflich. Ist egal, was sie arbeiten, wenn sie damit ihr Geld verdienen. Junger Mann hat sie gesagt, schließlich bezahlen die Damen Steuern, von denen Sie bezahlt werden.“ Peter grinste seinen Chef an, der das erwiderte.

„Wo sie recht hat, hat sie recht. Also keine Probleme, keine Feinde, nichts. Alles in schönster Ordnung, trotzdem ist sie tot. Wir sollten …“

Die Tür öffnete sich ruckartig. Lisa Schmitt wirbelte in das Zimmer und die Tür krachte hinter ihr laut ins Schloss.

„Der Laborbericht ist da.“

Sie zog einen Stuhl heran, setzte sich, schlug die Beine übereinander und Daniel, inzwischen zornig, taxierte sie. Der Rock könnte ruhig länger sein, abgesehen davon, war er über ihr Benehmen aufgebracht. Etwas, auf das er sehr viel Wert legte und das erwartete er von seinen Mitarbeitern.

„Der Tod erfolgte durch Erdrosseln“, legte sie los, als wenn sie nicht gerade ein Gespräch unterbrochen hätte. „Mit einem Büstenhalter, was zu Sauerstoffmangel im Gehirn führte. Na ja und so bla … bla … Vorher hat sie einen Schlag mit einem stumpfen, glatten Gegenstand auf den Kopf bekommen, aber nicht sehr fest. Keine Wunde. Die Tatwaffe wurde nicht gefunden. Kurz gesagt, steht da. Innere Halsbefunde: Fraktur des Kehlkopfes, Einblutungen in die Halsweichteile, in die Kehlkopfmuskulatur, petechiale Blutungen an Bindehäute und der Mundschleimhaut lassen auf Gegenwehr schließen. Halsabriebe wurden festgestellt. Auf dem Oberkörper der Toten wurde ein … Pentagramm geritzt. Bescheuert. Die Tatwaffe ist ein stumpfer, doppelschneidiger Dolch, Messer oder so was. Keine Tatwaffe. Keine Fingerabdrücke oder sonstig verwertbares DNA-Material, keine verwertbaren Spuren. Ein Vaginalabstrich war negativ. Nichts unter den Fingernägeln. Allerdings wurden Faserspuren von grünem Mohair mit Polyamid gefunden. Die Kleidung der Toten wird deswegen noch überprüft, aber es ist ziemlich sicher, dass sie nichts in diesem Farbton hatte, wie die Trackmann sagt. In einem Wäschekorb wurde gebrauchte Bettwäsche, Handtücher, Dessous …“ Sie sah Daniel mit einem anzüglichen Blick an, dazu leckte sie mit der Zunge langsam, lasziv über die knallrot gefärbten Lippen, „na ja, ebenso Sachen gefunden und Spermaspuren sichergestellt. DNA wird erstellt. Die Spermaspuren müssen älter sein, haben die im Labor festgestellt.“

Sie schaute ihren Chef selbstbewusst, stolz, vielleicht sogar ein wenig herausfordernd an, als wenn sie es allein ermittelt hätte, lächelte, ließ ihre schwarz getuschten Wimpern, die wie Fliegenbeine zusammenklebten, dabei gekonnt klimpern.

„Ich kenne den Bericht“, gab er nur kühl zurück, da ihn an manchen Tagen die Anmache, aber besonders die Respektlosigkeit der jungen, angehenden Kommissarin nervte und ärgerte.

„Peter, beschaff mir den Mann und nimm dir zwei Männer von der Streife mit, zur Sicherheit und …“

„Welchen Typ?“, fiel Lisa ihm keck ins Wort. „Bereits jemand im Visier? Haben wir den Fall etwa gelöst?“

Er nickte dem Oberkommissar, der sein Gesicht verzogen hatte, zu, wartete, bis die Tür hinter dem geschlossen war, und wandte sich an Lisa. Er legte die Arme auf den Schreibtisch. In seinem Blick war nichts Freundliches mehr zu erkennen. Seine Stimme hatte alle Wärme verloren, klang kalt und schneidend. „Zum Ersten ist das mein Büro, das Büro deines Chefs, wo man anklopft und wartet, bis ich hereinrufe. Man stürmt nicht in ein Zimmer, unterbricht keine Gespräche. Zum Zweiten setzt man sich niemals unaufgefordert. Hat man dir kein Benehmen beigebracht? Drittens heißt es nicht die Trackmann, sondern sie heißt Frau Trackmann-Lievert. Viertens, wenn ich Anweisungen gebe und nichts Näheres dazu erläutere, ist es so. Keine Erklärung – keine Diskussion. Ich will und werde mich bestimmt nicht von dir ausfragen lassen. Du scheinst zu vergessen, wen du vor dir hast. Die anderen Mitarbeiter haben ebenfalls wiederholt mit dir über deine Respektlosigkeit gesprochen. Zum Fünften solltest du deine Kleidung überprüfen. Wie beabsichtigst du, mit diesen Klamotten einem Täter nachlaufen? Wir sind in keiner Kneipe, wo du Männer damit reizen kannst, abgesehen davon steht es dir nicht. Unter Umständen solltest du darüber nachdenken, ob du nicht in der falschen Abteilung arbeitest. Das alles sage ich dir heute nicht zum ersten Mal, was dir anscheinend egal ist, folglich werde ich daraus meine Konsequenzen ziehen.“

Sie sah ihn mit großen Augen an, blaffte heraus: „Heute wohl schlechte Laune, weil ich dich aus dem Bett geholt habe? Musst du vielleicht weniger herum…“

„Es reicht!“, donnerte er los. Seine Augen funkelten schwarz vor Zorn. „Was erlaubst du dir? Das wird einen Eintrag in deine Akte geben und ich werde deine Versetzung beantragen. Du kannst gehen. Ich möchte heute noch alle Aussagen sauber geschrieben auf dem Schreibtisch haben, und zwar von dir. Wage es nicht, dieses einer der Damen zu geben.“

Sie rauschte aus dem Büro, warf laut krachend die Tür zu. Er blickte einen Moment auf die Tür, überlegte kurz, erhob sich und trat in das große Büro.

„Ich möchte alle bitten, morgen früh um acht im Büro zu sein.“ Er sah seine Mitarbeiter der Reihe nach an, ignorierte die fragenden Blicke, trat in sein Büro zurück und widmete sich dem neusten Fall.

Eine Stunde später kam Peter Sinner mit Holger Neidhold zurück, der in einem Vernehmungszimmer wartete. Daniel stand auf und folgte dem Kommissar. „Gab es Komplikationen?“

„Nein. Er schien geschockt zu sein.“

„Du führst die Vernehmung. Morgen früh um acht Uhr im Büro. Die anderen wissen Bescheid.“

Er öffnete die Tür, nickte dem Beamten zu, der den Raum verließ. Sinner setzte sich hin, während er stehen blieb und den Mann betrachtete: Vierzig Jahre - sah jünger aus. Sehr gepflegt, kein üblicher Goldschmuck, wirkte irgendwie seriös, trotz Jeans, Shirt, Lederblouson.

Peter Sinner schaltete ein Aufnahmegerät an, führte die übliche Belehrung aus.

„Sie kannten die Tote Irene Clement. Wann haben Sie die Frau das letzte Mal gesehen?“

„Gestern Mittag, so gegen zwölf. Wir hatten am Vortag einen kleinen Streit und den haben wir beigelegt.“

„Um was drehte es sich?“

„Die Miete. Deswegen bin ich nicht hier? Ich habe sie nicht umgebracht. Ich mochte die Frau, hatte Hochachtung vor ihr. Sie hat den Job nur wegen der Schwester ausgeführt. Sie ist behindert.“

„Erzählen Sie uns von Frau Clement. Was wissen Sie über sie?“

„Irene war anders, als die anderen dort, außer eventuell noch Maritta. Ich meine Frau Deumer. Sie war eine der Schönsten, die Intelligenteste, die Ruhigste. Sie stand vor knapp einem Jahr eines Nachmittags in meinen Laden und erklärte mir, dass sie gern eine Wohnung bei mir mieten wollte. Ich war verblüfft, weil sie beileibe nicht so aussah. Die meisten der dortigen Mädchen holte ich nach und nach von der Straße, aus einem billigen Bordell heraus, kaufte sie oftmals Zuhältern ab. Ich suchte charmante, sehr hübsche Mädels, mit ein bisschen Verstand und drogenfrei mussten sie sein. Später, als einige dort arbeiteten, hing es ein wenig von den Bedürfnissen meiner Kunden in der Bar ab. Einige konnten etwas fülliger sein, blond, braun, rot, schwarz. Von jedem etwas.“

„Weshalb? Aus Menschenfreundlichkeit?“

„Nicht unbedingt. Ich profitiere durch die erhöhte Miete. Ein Stammkunde hat mich darauf gebracht. In meinem Laden verkehren nur Männer mit Geld, mit Niveau, solche, die unerkannt ihren Spaß, die Abwechslung suchen. Ich habe damals nach einer Kapitalanlage gesucht und diesen Häuserkomplex gekauft. So erstand die Idee mit den Wohnungen für solche Frauen. Wenn jemand ausgezogen ist, vermietete ich sie, zur doppelten Miete, an ein Mädchen. Dafür wurden die Räumlichkeiten neu renoviert, teilweise umgebaut. Neue Bäder, kleine Küchen. Auf Dauer geht die Rechnung auf. Bald hatte ich eine kleine Liste. Einige Mädchen kannten andere und so weiter. Vier der Damen sind ausgestiegen, heirateten, ihr Leben verändert. Herkömmliche Mieter zogen aus, zwei ältere Damen starben. Aber Irene war wie gesagt keine aus dem Milieu. Ich war natürlich neugierig, warum sie so einem Job nachgehen wollte, habe ihr ausführlich all die Nachteile geschildert. Aber sie war fest entschlossen. Ihre Schwester hatte einen Unfall gehabt, war auf den Rollstuhl und teure Behandlungen angewiesen. Die Eltern keine Rücklagen, ihr Vater Alleinverdiener der Familie. Beide völlig mit der Situation überfordert. Irene studierte selbst seit anderthalb Jahren Medizin und ein Ende des Studiums noch in weiter Ferne. Zu jener Zeit jobbte sie nebenbei mal hier, mal da. Knapp drei Monate später wurde eine Wohnung frei und sie bekam sie. Ich habe sie drei Herren, gut situierte Herren, empfohlen. Sie wurden bei ihr Stammkunden.“ Er grinste ein wenig. „Ich habe ihr am Anfang die Wohnung etwas billiger gelassen, als den anderen, weil ich ein wenig Mitleid mit ihr hatte. Jetzt wollte ich jedoch die gleiche Miete wie bei all den anderen, deswegen hatten wir Krach. Sie hatte recht, da sie einen Mietvertrag mit niedriger Miete hatte, der bis Ende des Jahres lief. Ich musste klein beigeben, habe ihr allerdings gesagt, wenn sie den verlängert haben wollte, nur zu dem Mietzins, den all die anderen Mädchen zahlen. Sie war damit einverstanden, fand das den anderen Kolleginnen gegenüber fair.“

„Wo waren Sie in der Nacht zwischen zehn und zwei?“

„In meinem Laden. Dafür gibt es zig Zeugen, da wir den Geburtstag eines Stammkunden gefeiert haben.“

Der Mann sah zu Daniel hoch, der mit verschränkten Armen am Fenster stand, nur zugehört hatte.

„Ich bin sauber. Nichts mehr. Ich habe eine fast 3-jährige Tochter und in wenigen Tagen einen Sohn. Meine Kinder will ich aufwachsen sehen. Keine krummen Dinger mehr.“

„Geben Sie meinem Kollegen die Namen der Gäste. Ihre Fingerabdrücke liegen uns ja vor. Danach können Sie gehen, aber bleiben Sie bitte in der Stadt. Waren Sie jemals in der Wohnung?“

„Ja, zwei, drei Mal.“

„Hatten Sie ein Verhältnis mit ihr?“

„Nein, mit keinen der Mädchen, die dort wohnen. Ob Sie es glauben oder nicht, aber ich bin meiner Frau treu. Ausgetobt habe ich mich früher. Mit dem Alter wird man ruhiger, außerdem heiratete ich bestimmt nicht, um danach mein altes Leben weiterzuführen. Ich liebe mein Familienleben.“

„Das hören wir gern. Bedeutet für uns weniger Arbeit.“

„Wie wurde Irene umgebracht?“

„Man hat sie erdrosselt. Kennen Sie sich mit Wahrsagerei im weitesten Sinne aus?“

Der Mann sah perplex erst Daniel, dann Peter an, nicht begreifend.

„Sie meinen ... Horoskope?“

„Alles, was eben dazugehört: Horoskope, Tarot, Pendeln und so weiter.“

„Nein, meine Frau liest es mir bisweilen aus der Tageszeitung vor, wenn nur besonders Positives erwähnt wird“, lächelte er, als wenn er sich selbst akut darüber amüsierte.

„Kennen Sie ein Pentagramm?“

„Sie meinen dieses Bannzeichen aus dem Faust?“

„Genau. Faust sagte zu Mephisto, das Pentagramma macht dir Pein?“

„Ich weiß, wie es aussieht, aber mehr nicht. Deutungen für die fünf Ecken sind der Geist und die vier Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft oder Äther und die vier Himmelsrichtungen Norden, Süden, Westen und Osten. Was hat das mit Irene zu tun?“

„Kennen Sie einen Horst? Er war Kunde bei Frau Clement.“

„Muss ich die Frage beantworten?“

„Besser wäre es. Er fährt einen Porsche 911, dunkelblaumetallic mit einem Hamburger Kennzeichen“, schmunzelte Daniel. „Leicht zu ermitteln.“

„Ich gebe Ihnen die Adresse. Er war es bestimmt nicht. Er mochte Irene und hat jede Woche mindestens eine Nacht bei ihr verbracht. Er hätte keinen Grund gehabt, sie zu töten. Das ist Blödsinn.“

„Ist er verheiratet?“

„Nein, geschieden.“

„Aber er ist trotzdem abgehauen, als er die Tote gesehen hat, ohne uns zu verständigen?“

„Keine Ahnung. Er ist ein bekannter Mann und wollte eventuell auf keinen Fall in diese Geschichte mit hineingezogen werden. Aber wie gesagt, das entzieht sich meiner Kenntnis.“

„Herr Neidhold, wie ist ihr Verhältnis zu den Frauen?“

„Freundschaftlich. Es gab nie größeren Ärger. Alle zahlen pünktlich und die anderen Hausbewohner kommen gut mit den Mädchen aus.“

„Hat eine der Frauen irgendwann Negatives über einen Freier geäußert? Gab es da Ärger?“

„Nicht dass ich wüsste. Ich habe den Mädchen meine Telefonnummer hinterlassen, falls es Streit oder Zoff mit einem der Herren gibt. Ich habe ihnen zugesichert, dass ich ihnen sofort Hilfe schicke, aber da ist nie etwas gewesen. Bei der Klientel, die ich ihnen schicke, ist das allerdings kaum zu erwarten. Ich weiß jedoch, das einige Mädchen zusätzlich andere Männer als Kundschaft haben. Ich habe von drei Frauen Annoncen in den Zeitungen gelesen. Sie wollen wohl mehr Geld verdienen. Einige arbeiten dort nur nebenberuflich, für andere ist es allerdings ein Vollzeitjob.“

„Herr Neidhold, eine andere Frage. Kennen Sie diese Frau?“ Er legte ihm das Foto der getöteten Frau Min Vhing vor.

Der Mann schaute sie an, schüttelte nach einer Weile den Kopf. „Nein, nicht dass ich wüsste. Wer ist sie?“

„Eine Prostituierte, die ebenfalls ermordet wurde.“

„Ich habe nur an deutsche Mädchen vermietet und beschäftige nur Deutsche und eine Nigerianerin, die allerdings einen deutschen Pass hat.“ Er schaute nochmals auf das Bild. „Jung, viel zu jung“, murmelte er vor sich hin.

„Sie war Anfang zwanzig, als man sie tötete.“

Daniel blickte auf seine Uhr, verabschiedete sich, verließ den Raum. Er musste los, wenn er pünktlich bei Carola sein wollte.

Sie erwartete ihn. „Da bist du ja. Eine Stunde habe ich Zeit, dann geht mein Dienst los.“

„Du Arme. Wo ist dein Göttergatte?“

„Arbeiten. Sven kommt nach Hause und ich gehe. Tolles Privatleben, aber setz dich. Essen ist fertig.“

Erst während des Essens sprach er den Grund an, weswegen er sie um das Treffen gebeten hatte.

„Erzähle mir einiges über ein Pentagramm oder Pentakel. Es steht so auf zwei Spitzen, falls das mehrerlei zu bedeutet und ist ohne den Kreis. Ich habe ein bisschen im Internet recherchiert.“

„Weswegen willst du das wissen?“

„Ein neuer Fall. Einer Toten wurde das auf den Oberkörper geritzt. Ich zeige dir später Fotos, wenn du möchtest.“

„Gut, muss ich dir nicht den Grundbegriff erläutern. Von mir willst du wohl mehr das mystische Erfahren. Das Pentakel ist ein Symbol, das zum Beispiel von der Wicca-Religion verwendet wird, so wie in vielen anderen. Es war zum Beispiel in Nordafrika und im Mittleren Osten allgemein als Glücksbringer bekannt.“

„Was ist denn Wicca? Glücksbringer war es für das Opfer nun auf keinen Fall.“

„Begriff Wicca bedeutet in etwa wahrsagen. Obwohl Angehörige des Wicca-Kultes als Hexen bezeichnet werden, ist nicht jede Hexe eine Wicca. Es gibt verschiedene Teilrichtungen der Hexenkunst, in die bestimmte Glaubens- und Lebensvorstellungen nur teilweise eingebracht werden, selbst heute. Im Markpäischen Raum arbeiten viele Hexen allein und sehen sich nicht als Wicca, sondern fühlen sich einer anderen Religion zugehörig. Die traditionellen Wicca schließen sich üblicherweise einem Hexenzirkel an, einem Kreis, der auf den schottischen Hexenglauben zurückgeht. Die Wicca lehnen Schwarze Magie rigoros ab. Weißt du, Wicca ist kein seltsamer und gefährlicher Kult, sondern eine ernst zu nehmende Hexenforschung. In den vergangenen Jahren hat das Interesse am Okkultismus zugenommen. Das Auftauchen moderner Formen der Hexerei, oft als Wicca-Kult bezeichnet, wird in der Regel einem wachsenden Interesse an alternativen Religionen zugeschrieben.“

„Was weißt du von Schwarzer Magie?“ Er tupfte die Lippen mit der Serviette ab, bevor er nach dem Weinglas griff.

Carola musterte ihn belustigt. Perfekte Etikette, gute Umgangsformen waren tief in ihm verankert. Die vergaß er nur in bestimmten Situationen, aber genau das liebte sie an ihm.

„In der Regel bezeichnet man als Schwarze Magie alle Rituale, bei denen Dämonen oder der Teufel beschworen werden. Die Schwarze Magie ist die Form, welche im Mittelalter am Häufigsten angewendet wurde. Bei den Ritualen wurden meist Tieropfer benutzt, da das Blut des Tieres etwas Heiliges für einen Schwarzmagier ist. Es soll die Kraft des Zaubers verstärken oder Übermächten, also dem Satan, als besänftigendes Opfer dienen. In einigen schweren Fällen von Opferungen wurde echtes Menschenblut verwendet, bevorzugt jenes von Jungfrauen. Ein unverkennbares Zeichen der Schwarzen Magie ist das umgekehrte Pentagramm. Das hast du nicht, sondern das gute Pentagramm, wenn ich es vereinfacht so nennen darf.“

„Ergo keine Schwarze Magie. Obwohl das bei einem Mord explizierter zutrifft. Können Männer diesem Kult oder Zirkel beitreten?“

„Ja, sicher. Das Symbol der Göttin erlaubt jenen Männern, die ihre weibliche Seite ihrer Natur zum Vorschein bringen, sich in dieser Gemeinschaft zu integrieren. Der Mann muss auf seine dominierende Herrschaft verzichten und gleichzeitig das starke, selbstbewusste, weibliche Wesen akzeptieren. Nichts für dich. Sie, die Göttin, beherrscht nicht das Universum, sondern ist die Welt. Sie rechtfertigt nicht die Herrschaft des einen Geschlechtes durch das andere, sondern lässt wachsen und jeden seine Wahrheit finden.“

Carola hielt inne, ergriff ihr Glas Mineralwasser und trank nachdenklich.

Daniel beobachtete sie und ahnte, dass ihr gerade ein Gedanke, eine Idee durch den Kopf gegeistert war, da ihre grünen Augen blitzten. Sie strich die langen braunen Haare zurück, richtete den Blick auf ihn. „Mir fällt ein, wir hatten gerade Beltane.“

„Was ist Beltane?“

„An Beltane wird die Wiedergeburt gefeiert. Dies ist der heilige Tag des Feuers. Der Vereinigung von Gott und Göttin wird mittels Rituale gedacht. Beltane ist geläufiger unter den Namen Walpurgisnacht. Wie an Samhain sind die Schleier zwischen den Welten an diesem Tag besonders dünn, wird behauptet und lach nicht. An Beltane werden riesige Feuer entzündet, um die dunklen, kalten Winterdämonen zu verjagen. Die Elfen und Feen sind in dieser Nacht unterwegs und man kann ihnen begegnen, ähnlich dem Biikebrennen auf den Inseln und Halligen.“

„Oder einem Mörder, der als böse Fee verkleidet tötet“, tönte es lakonisch von ihm. „Etwas anderes. Die Hohepriesterin bei einem Tarot, was hat sie für eine Bedeutung?“

„Wurde die ebenfalls gefunden?“

Daniel nickte, während er sich nun dem Salat widmete. Er aß langsam, genussvoll, so wie meistens. Er war nicht nur, was das Essen betraf ein Genießer und Ästhet, dachte Carola amüsiert, während sie ihn beobachtete.

„Die Hohepriesterin ist eine gütige, fast liebe Person, die Allmutter, die Göttin. Sie ist die Quelle aller Fruchtbarkeit, eindrucksvoller Weisheit und liebevoller Umarmung. Man kennt sie als Jungfrau, Mutter und altes Weib. Diese drei Aspekte symbolisieren die drei Mondphasen. Den zunehmenden, den vollen und den abnehmenden Mond. Die Göttin verkörpert analog dazu das ungepflügte Feld, die reiche Ernte, sie gebärt Leben und sichert Überfluss. Doch das Leben, das sie schenkt, versieht sie zugleich mit dem Versprechen des Todes. Der Tod aber ist keineswegs nur Finsternis und Absinken ins trübe Reich des Vergessens, sondern ein Ausruhen von der Mühsal der physischen Existenz. Er ist die Existenzform, in der wir uns zwischen unseren Inkarnationen aufhalten.“

„Wer daran glaubt und der Typ dazu?“

Carola Peters schüttelte leicht den Kopf, schmunzelte.

„Den männlichen Gott findet man zum Beispiel in der Sonne. Die Sonne erleuchtet unseren Tag und bestimmt im ewigen Zyklus von Tag und Nacht den Rhythmus unseres Lebens. Ohne sie könnten wir nicht existieren und aus diesem Grund wurde sie als Quelle allen Lebens verehrt. Gerade durch die Sonne symbolisiert der Gott seine Wichtigkeit.“

„Es heißt die Sonne, sollte eigentlich weiblich sein. Du meinst, wie zum Beispiel bei den Azteken als Huitzilopochtli, den alten Ägyptern und ihrem Ra, Aton oder bei Apollon der Griechen?“

„Genau. Der männliche Gott ist der Hüter der wilden Tiere. Die Hörner, die er als Gehörnter Gott trägt, symbolisieren diese Verbindung. Deshalb galt die Jagd früher wohl als sein Territorium, während ihr mehr die Domestikation der Tiere zugeordnet wurde. Das Reich des Gottes umfasst unberührte Wälder, heiße Wüsten und steile Berge. Die Sterne gehören als ferne Sonnen zu seinem Herrschaftsgebiet. Er wird zudem mit der reifen Ernte identifiziert. In alten Zeiten betrachtete man den Gott als den Himmelsvater und die Göttin als Mutter Erde. Der Gott des Himmels, der Gestirne, des Regens und des Blitzes stieg hinab, vereinigte sich mit der über das gesamte Land ausgebreiteten Göttin und symbolisiert so seine Fruchtbarkeit.“

„Also Sex und machten viele Kinder.“

„Es sollte den Menschen einen fruchtbaren Boden, dadurch reiche Ernten bescheren, damit natürlich ihr Überleben sichern.“

„Müssen sie einige Landstriche vergessen haben, wenn ich an die hungernden Menschen denke. Carola, in welchen Zusammenhang steht das Pentagramm zu dieser Karte?“

Sie überlegte eine Weile, sah ihn an.

„Das Pentagramm als Abwehr des Bösen. Die Hohepriesterin steht für die Wiedergeburt. Bedeutet so ungefähr, ich vernichte die Böse und sie wird als Gute wiedergeboren. Ich vermute, dass das der Täter entweder als Verschleierung benutzte, ist es ein einmaliger Mord. Sollte es jedoch etwas mit der Mythologie, Wahrsagerei oder wie immer du das bezeichnest zu tun haben, wird es weitere Opfer geben. Du hast mit einer Person zu tun, der irregeleitet ist. Zeig mir die Fotos.“

Er holte aus seiner Jackentasche die Bilder und reichte sie ihr. Sie musterte diese extrem aufmerksam.

„Was hat sie da um den Hals?“

„Einen BH.“

„Hat man sie damit erwürgt?“

„Ja, erdrosselt würde unser Gerichtsmediziner richtigstellen. Carola, Tarotkarten zu deuten, zu interpretieren ist nicht so einfach, oder?“

„Man muss sich damit einige Zeit beschäftigen, um die Zusammenhänge zu erkennen. Es ist nicht leicht und erfordert einige Erfahrungen und viel Einfühlungsvermögen. Du deutest nie eine Karte für sich, sondern das Gesamtbild.“

„Zum Beispiel?“

„Wenn man jemanden Tarotkarten legt, heißt das nicht, das eine bestimmte Antwort kommt, so wie, ja du bekommst die gewünschte Stellung, deine Traumfrau läuft dir über den Weg oder so ähnlich. Es zeigt vielmehr, was oder wie du bist, was du in der Vergangenheit falsch gemacht hast, wie deine Umwelt reagiert und so weiter. Erst deutet es auf die begehrte Stellung oder Frau. Sie zeigen dir den Weg, wie du möglicherweise vorgehen kannst, was du an dir, deiner Einstellung unter Umständen ändern könntest, um eventuell den Traumjob oder die Traumfrau zu bekommen. So in etwa. Ob du den Job bekommst, sagen dir die Karten keineswegs. Du legst zweimal hintereinander die Karten und siehst jedes Mal andere Bilder, Symbole, stellst bei der Interpretation jedoch fest, dass sie im Groben dasselbe aussagen.“

„Carola, das ist Schwachsinn. Ich lege ein paar Karten, die mir sagen, wie ich Bürgermeister werde?“

„Quatsch, die erfüllen nicht für dich deine Wünsche. Sie zeigen dir eine Richtung, die du einschlagen könntest, damit du vielleicht irgendwann Bürgermeister wirst. Die Darstellungen könnten dir sagen, dass du dafür nicht geeignet bist. Du sollst mithilfe der Karten besser verstehen lernen, dass du mancherlei dafür tun musst, um den Job zu bekommen, um deine Zukunft positiver zu gestalten. Als Beispiel bei dir. Du willst wissen, ob die Traumfrau bei dir bleibt. Die Karten würden dir sagen, du müsstest deine Ängste, deine Vergangenheit bewältigen, verarbeiten und einige andere Macken ablegen, damit diese Frau bei dir bleibt. Wie du das anstellst, musst du allein wissen und entscheiden. Du hast die Wahl, was du daraufhin unternimmst. Sie weisen dir nur den Weg. Gehst du Weg A, hast du gute Chancen für eine dauerhafte Beziehung. Gehst du Weg B, Ende. Aus Selbsterforschung kann Weisheit entspringen. Die Karten sagen dir, dass du an dir arbeiten musst, um Fortschritte zu erzielen, um so den erreichten Erfolg auf solide Basis zu stellen. Du musst agieren, um deine Hoffnung Realität werden zu lassen. Außerdem ist es nie eine Karte, die einen Weg anzeigt, sondern immer mehrere. Sehr vereinfacht ausgedrückt. Das kannst du keinesfalls mit diesen Horoskopen in der Zeitung vergleichen, wo steht, gehen sie heute nicht bei Rot über die Straße, sie könnten überfahren werden.“

Daniel lehnte sich zurück, schallend lachend. „Ich glaube ab sofort daran. Übrigens gibt es keine Traumfrauen, noch ersehne ich eine feste Beziehung.“

„Quatschkopf. Das war ein Beispiel. Du lachst, aber es gibt Menschen, die sind exakt an diesem Tag übervorsichtig, gedanklich ständig damit beschäftigt, wenn sie eine Straße überqueren und deswegen passiert es. Nun heißt es sofort, mein Horoskop hat es ja gesagt. Dass es von zu großer Vorsicht oder eben durch Unachtsamkeit herrührt, wird vergessen, da man das eigene Verhalten nicht analysiert. Kommen wir zum Tarot zurück. Sicher ist es eine spirituelle Philosophie und ich würde nie mein alltägliches Tun darauf ausrichten, aber es gibt mitunter ein vertieftes Verständnis für Situationen oder Dinge. Sie zeigen uns oftmals mehrere Wege auf, die alle ein Ziel haben können. Sie deuten bisweilen auf Pfade, die in die falsche Richtung weisen, wo es für den Betreffenden negativ enden könnte. Er landet in einer Sackgasse. Eine unheilvolle Phase wird dadurch ausgelöst. Sie deuten auf die Wahrscheinlichkeiten von Ereignissen, sie raten eventuell zum Handeln oder Abwarten. Richtiges Tarot lesen und deuten hat nichts mit diesem Quatsch zu tun, den du da in diesen Werbesendungen neuerdings siehst. Das ist nur eine Art Abzocke, meiner Meinung nach, so wie es Tausende sogenannter Wahrsager praktizieren, die angeblich aus der Kugel oder dem Kaffeesatz dir sonst etwas versprechen, aber das führt gegenwärtig zu weit.“

„Sage mir, welcher normale Mann, außer so spinnerte Wahrsager, beschäftigt sich mit so etwas? Oder man geht davon aus, dass er zufällig eine Karte gewählt hat, um uns zu verwirren. Nur, welcher Mann hat Tarotkarten, beziehungsweise wer denkt, wenn er jemanden umbringen will, an so etwas? Er hat, wie wir derzeit wissen, keinerlei Spuren hinterlassen, ergo erforderte es kein Ablenkungsmanöver. Nur irgendwie glaube ich, dass er sich mit dem Kram auskennt, rein von meiner Intuition her.“

„Wieso gehst du davon aus, dass es ein Mann war?“

Für einen Augenblick schaute er verblüfft. „Willst du damit sagen, dass es eine Frau getan hat?“

Sie schaute nochmals die Fotos an, reichte sie zurück. „Es könnte sein.“

Daniel sah ebenfalls die Bilder an, überlegte. „Sie war eine Edelprostituierte. Wir gehen von einem bescheuerten Freier aus, unter Umständen Stress in der Szene, obwohl dagegen dieses Tarot spricht. Sie geht abends um elf in diese Wohnung, wo sie nur dem Job nachgeht, bereitet für einen Freier alles vor. Champagner, saubere Bettwäsche, Dessous und so weiter. Es klingelt, sie öffnet, wird umgebracht. Kurz nach zwölf fährt laut einer Zeugin der Freier vor. Der findet anscheinend die Tote, verschwindet rasch, ohne uns zu verständigen.“

„Wieso? War die Tür offen?“

„Ja, behauptet eine Kollegin der Toten, die sie gefunden hat.“

„Der Typ hat sich verkrümelt, aus Schiss oder weil keiner wissen darf, dass er solche Frauen aufsucht. Du weißt, kein Mann geht zu einem Callgirl.“

„Ja, ich weiß, deswegen gibt es so viele von den Frauen und alle haben zu tun.“

„Was, wenn der Täter noch in der Wohnung war und erst nach diesem Freier gegangen ist? Die Tür war zu und er klingelte, keiner öffnete. Wurde etwas gestohlen?“

„Soweit wir gegenwärtige Erkenntnisse haben, nein, nichts durchwühlt. Sie trug wertvollen Schmuck, Bargeld war ebenfalls noch vorhanden. Warum eine Frau?“

„Nur so. Ich behaupte nicht, dass es eine Frau war, sondern ziehe es in Erwägung. Wie du sagtest, welcher Mann beschäftigt sich mit Tarot und den Mythen?“

„Eventuell hast du recht.“

Sie warf einen Blick auf die Uhr, erhob sich. „Ich muss los.“

Daniel stieg langsam die Treppe nach oben zu seiner Wohnung, betrat die Dachterrasse. Vorn an der Brüstung stand immer noch die Pflanze, die er bei seinem Einzug vor fast drei Jahren vorgefunden hatte. Inzwischen wusste er, dass es ein Ficus Benjamin war, den er sogar regelmäßig goss. Ein hoher buschiger Strauch war inzwischen daraus geworden.

Er blickte Richtung Hafen. Die Elbe wogte wie flüssiges Blei. Ein Anblick, den er jedes Mal aufs Neue genoss. In seiner Schulzeit war er mit der Klasse in einem Bleiwerk im Harz gewesen und es war ein Farbton, den er irgendwie mochte. Das spiegelte sich bei seiner Einrichtung oder teilweise in seiner Kleidung wider.

Eine Weile sah er den Lichtern zu, die auf der grauen Flüssigkeit hin- und herschaukelten, bis seine Gedanken zu der Toten schweiften. Er dachte über das nach, was ihm Carola erzählt hatte. Irgendwie ahnte er, dass das erst der Beginn von toten Frauen war. Eine Serie ahnte sich an. Das schloss er aus dem Pentagramm und dieser Tarotkarte. Besonders aus dem Tarotbild. Diese Bilderkarte stammte sicher vom Täter, da man weder dort noch in ihrer Wohnung Karten jeglicher Art gefunden hatte, dazu keinerlei Hinweise, dass sie spirituell interessiert war. Bedeutete, dass man schnell den Mörder …, die Mörderin fassen musste. Er ließ, dass er von der Frau wusste, gesehen und gehört hatte, Revue passieren. Es war irrelevant und alogisch. Faktisch fand er keinen Anhaltspunkt. Es musste noch etliches geben, dass sie noch nicht wussten oder abstrahiert hatten. Vielleicht war es unter den Prostituierten keineswegs so harmonisch zugegangen? Vielleicht hatten einige Nachbarn allerhand gegen diese Sorte Frauen? Vielleicht gab es einen verlassenen Freund, der ausgerastet war? Einen Freier, der die Beherrschung verlor? Ein Zuhälter, der sie erpressen wollte? Nein, das glaubte er nicht wirklich. Wer besucht mit Tarotkarten eine Prostituierte? Das war ein geplanter Mord gewesen, keine Tat im Affekt oder aus einer eskalierenden Situation heraus. Sie standen erst am Anfang ihrer Ermittlungsarbeit und seine Leute mussten erst alles zusammentragen.

*

Morgens rief er seine Mitarbeiter zusammen. Er musterte alle der Reihe nach, blickte an Lisa Schmitt herunter. Die Absätze waren heute noch höher, der Rock schien noch kürzer, als wenn sie ihn damit herausfordern wollte. In dem Gesicht bemerkte er, wie sie ihn provokativ angrinste.

„Setzen wir uns.“ Er wartete, bis alle saßen.

„Zum Ersten, Lisa Schmitt wird uns in absehbarer Zukunft verlassen, da ich wegen ihrer Versetzung mit dem Personalchef und Kriminaldirektor Keitler gesprochen habe.“ Augenblicklich zauberte er ein kleines Lächeln auf sein Gesicht, sah sie an, allerdings ausdruckslos.

„Aber … aber ich will unter keinen Umständen fort, nicht von dir …“ Sie guckte ihn entsetzt an.

„Ich habe dich wiederholt aufgefordert, dein Benehmen zu revidieren, deinem Job gemäß herumzulaufen. Mit zehn Zentimetern hohen Absätzen, einem engen Minirock kann man wohl schlecht jemanden nachlaufen und ich möchte Leute um mich haben, die ihren Job korrekt ausführen und nicht darauf warten, dass andere ihnen die Arbeit abnehmen, nur weil sie Modepüppchen spielen wollen. Die Männer in meiner Abteilung sind zweifellos nicht dazu da, für irgendeine Frau die Kastanien aus den Feuern zu holen, nur weil die sich für etwas Besseres hält. Die anderen Punkte kennst du alle, da ich sie wiederholt erläutert habe. Die Entscheidung ist gefallen. Zum Zweiten wird in wenigen Tagen Kommissarin Ines Kliester bei uns beginnen. Die meisten wissen das und kennen Frau Kliester, da …“

„Ach, deswegen muss ich gehen? Du bist so was von gemein.“

„Nein, deswegen nicht, sondern wegen der anderen Dinge, alle auf empirische Erkenntnisse beruhen. Für dich wird ein junger Mann von der Sitte kommen, der inzwischen neu ernannte Kommissar Udo Linder. Er hat vor einiger Zeit um seine Versetzung gebeten. Ihn kennen die meisten. Übrigens fällt man anderen niemals ins Wort.“

„Dieser Junge?“ Lisa lachte gekünstelt. „Als wenn der mich ersetzen könnte.“

Daniel erhob sich, beugte sich vor. „Du hast eine eklatante Schwäche, du überschätzt dich, und zwar elementar. Er ist bereits Kommissar, obwohl er ein Jahr jünger ist als du und nun kannst du gehen“, erwiderte er eisig. „Du darfst, bis entschieden ist, wohin man dich versetzt, Urlaub nehmen. Ich verzichte auf deine Mitarbeit und werde nachher die Personalabteilung davon unterrichten.“

Momentan war sie geschockt, blieb aber sitzen. „Ich will unter keinen Umständen woanders hin.“

„Du hast nichts zu wollen. Vergessen? Was bildest du dir ein, wer du bist? Das hättest du dir vorher überlegen sollen. Du wurdest von Herrn Resser, Herrn Sinner und mir oft genug verwarnt. Ich habe versucht, dir Benehmen beizubringen. Ich habe dich gerade in den letzten Wochen, seit du von deiner vermasselten Prüfung zurück bist, mehrfach wegen deiner Garderobe angesprochen, da diese nicht zu einer angehenden Kommissarin passt. Dazu kommt, dass du arbeitest, was und wie du willst. Du ignorierst Anweisungen deiner Kollegen, spielst dich ständig in den Vordergrund. Du darfst gehen, da ich noch einiges zu besprechen habe.“

„Bitte, ich ändere mich“, klang es leise von ihr.

Daniel sah Kriminaloberkommissar Klaus Resser an, der nickte, bemerkte dessen verschwörerisches Grinsen, das gerade bei ihm sehr selten erschien.

„Meinetwegen, bleib sitzen. Kommen wir zum neuen Fall Clement. Nun der Reihe nach die üblichen Informationen.“

Verdammt dachte er, ich hätte nie die paar Nummern mit dieser nervigen Person schieben dürfen. Die bildete sich tatsächlich ein, ich wollte mehr von ihr. Gelohnt hatte es sich generell nicht.

Er stellte sich an das Fenster, verschränkte die Arme vor der Brust, spähte hinaus, hörte sich von seinen Mitarbeitern an, die daraus resultierenden Schlussfolgerungen und Vermutungen. Ein Ablauf, den er vor Jahren eingeführt hatte und der sich bisher sehr gut bewährte. Er wollte und würde nie seine Meinung und Anschauungen jemanden aufoktroyieren. Alle Mitarbeiter hatten die gleichen Informationen, so hob er sie damit alle auf dieselbe Stufe, egal wie lange sie in der Abteilung waren, selbst seinen Stellvertreter, Oberkommissar Klaus Resser. Allen wurde gleichzeitig vor Augen geführt, wer der Chef war, ohne dass er das besonders hervorkehren musste.

Er war mit seinen knapp zweiunddreißig Jahren ein extrem junger erster Kriminalhauptkommissar und das hatten gerade am Anfang manche Mitarbeiter nicht anerkennen wollen. Die Akzeptanz, gerade bei den älteren Kollegen fehlte. Er hatte das sehr schnell, auf seine Art und teilweise mit Diplomatie, in die richtige Bahn gelenkt. Seitdem gab es in dieser Hinsicht keine Probleme mehr. Im Gegenteil, die meisten Kollegen bewunderten insgeheim seine Schlussfolgerungen, teilweise seine Intuitionen, seine Arbeitsweise, aber sein Durchsetzungsvermögen und wie er sich vor seine Leute stellte, selbst wenn diese Fehler fabriziert hatten.

Die Frauen und Männer arbeiteten gern bei ihm, zumal er sehr selten den Chef herauskehrte. Besonders Frauen aus anderen Dezernaten hatten am Anfang versucht, in seine Abteilungen zu kommen, allerdings vergebens. Bereits bei Vorgesprächen hatte er bemerkt, weshalb sie das anstrebten und kontinuierlich jede abgelehnt. Deswegen waren nur einige ältere Frauen in den drei Büros. Mit Ines würde die erste Kommissarin Einzug halten.

„Weshalb geht ihr alle von einem Mann aus?“, erkundigte sich Klaus. „Es könnte eine Frau gewesen sein? Jemanden zu erdrosseln schafft die, da man das Opfer vorher niedergeschlagen hat, sie sich also nicht im Geringsten wehren konnte und dieser mystische Kram passt explizierter zu einer Mörderin.“

„Das ist richtig, davon müssen wir ausgehen“, mischte er sich erstmals ein. Nun berichtete er, was er über das Pentagramm, über das Beltanefest gehört hatte, sprach über die Tarotkarte. Danach begann für alle die Arbeit. Das bedeutete, weitere Aussagen aufnehmen, das Opfer pedantisch durchleuchten und das Umfeld in mühsamer Kleinarbeit durchforsten, zig Menschen befragen, seitenweise Berichte niederschreiben.

Kaum saß er an seinem Schreibtisch, als Lisa, abermals ohne anzuklopfen, in sein Zimmer stürmte. Er sah sie wütend an, steckte das Telefon zurück, da er gerade im KTI anrufen wollte, da er auf den Terminkalender und die Nummern aus dem Handy wartete.

„Man klopft“, stellte er lakonisch fest. „Was gibt es?“

Sie setzte sich unaufgefordert, schlug die Beine so übereinander, dass man seitlich bis zu dem Slip schauen konnte, und wippte mit dem linken Fuß.

„Weswegen willst du mich aus der Abteilung wegschicken?“

Er lehnte sich zurück. „Warum sagte ich, nur du scheinst entweder nicht zuzuhören oder keine Gedanken daran zu verschwenden. Dein gesamtes Auftreten lässt mehr als zu wünschen übrig. Du solltest dich zur Sitte versetzen lassen, da passt du mit deinen Klamotten hin. Sie setzen da regelmäßig Frauen als Lockvogel und so ein.“

Für einen Moment sah sie ihn sprachlos an, wurde erst blass, anknüpfend rot im Gesicht.

„Du bist ja richtig ekelhaft“, stellte sie mit zittriger Stimme fest. „Wieso machst du das mit mir? Findest du mich so hässlich oder wieso siehst du nicht, dass ich das nur deinetwegen trage? Du lässt sonst bei keiner Frau etwas anbrennen. Ich bin überaus gut in meinem Job, erledige meine Arbeiten sehr selbstständig und denke eigenständig.“

„Was erlaubst du dir für Frechheiten? Erstens geht dich mein Privatleben nichts an.

Zweitens bist du in keiner Beziehung mein Typ, noch würde ich jemals mit einer Untergebenen eine Affäre beginnen.

Drittens arbeiten wir alle als Team, das bedeutet, dass es Absprachen, interne Kommunikation und ein Miteinander Praktizieren gibt. Mal gehört? Teamarbeit.

Viertens hast du den Anweisungen deiner Vorgesetzten Folge zu leisten und diese nicht zu ignorieren, weil du dir einbildest, dass du etwas Besonderes bist. Sie stehen alle, ich wiederhole, alle, über dir. Weit, sehr weit über dir.

Fünftens kannst du nicht kommen und gehen, wie es dir beliebt.

Sechstens triffst du bestimmt keine Entscheidungen, egal in welcher Hinsicht.

Siebtens hast du kein Benehmen, verhältst dich respektlos gegenüber allen Mitarbeitern, erlaubst dir sogar, meiner Sekretärin Befehle zu erteilen. Eine Frechheit.

Achtens erledigst du deine Arbeiten generell nicht befriedigend. Du pickst dir die Rosinen heraus, machst ständig um alles ein Spektakel, und wenn alle anderen in mühevoller Kleinarbeit den Fall klärten, mischst du dich ein, als wenn du es gewesen wärst.

Neuntes denkst du nicht selbstständig, du denkst überhaupt nicht. Du versuchst, dir deine Aufgaben auszusuchen, wie es der gnädigen Frau genehm ist.

Zehntens kleidest du dich, dass es einen gruselt, notabene ist es affektiert. Du möchtest Kommissarin werden? Das erreichst du gewiss nicht, weil du jedem Mann zeigst, welche Unterwäsche du trägst. Das interessiert nämlich keinen. Es ist nur billig.

Du denkst, dass du als Frau eine Sonderstellung einnimmst, aber dem ist nicht so, obwohl du es gern wünschst. Du erwartest, dass die Männer für dich die Arbeit erledigen und du stehst dabei, versuchst, die Lorbeeren einzuheimsen. Du drängelst dich permanent in den Vordergrund. Denke nur an den Fall Frey und was du für Unwahrheiten vor den Reportern von dir gegeben hast. Als wenn du das Nonplusultra wärst, du den Fall gelöst hättest, dabei hast du nur ein paar Aussagen aufgenommen. Du hast nichts, absolut nichts dazu beigetragen, gibst jedoch ein Statement ab, als wenn nur du es aufgeklärt hättest, erwähnst dabei noch falsche Details. Peinlich. Notabene haben wir für solche Situationen eine Pressestelle.“

Er griff nach seiner Kaffeetasse, während er sie kalt taxierte.

„Ich sehe nicht billig aus und alles andere stimmt so nicht. Ich mache meine Arbeit sehr gut und du sagst stets einiges zu den Journalisten.“