Strange Medicine - S.C. Wynne - E-Book

Strange Medicine E-Book

S.C. Wynne

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Beschreibung

Dr. Thornton ist kein Mörder. Er ist nur ein Griesgram mit einer Leiche in seinem Pool. Maxwell Thornton ist nicht wirklich ein geselliger Mensch, aber das war ihm nie wichtig, denn bisher reichte ihm seine Karriere als gefeierter Chirurg. Doch nach dem Tod einer Patientin ist er nicht mehr in der Lage, ein Skalpell in die Hand zu nehmen. Er kündigt seine Stelle in der Stadt und übernimmt eine Hausarztpraxis in der abgelegenen Stadt Rainy Dale, Texas, mit 1001 Einwohnern. Rainy Dale ist von Exzentrikern bevölkert, die seine Geduld auf eine harte Probe stellen. Und zu allem Übel schwimmt auch noch nach wenigen Tagen sein nervigster Patient tot in seinem Pool. Royce Callum ist intelligent, entschlossen und fühlt sich mehr zu dem neuen Arzt hingezogen, als ihm lieb ist. Doch er ist auch der Sheriff von Rainy Dale. Er kann sich zwar nicht vorstellen, dass Maxwell ein Mörder ist, aber er kann eine Leiche im Pool des sexy Arztes nicht einfach ignorieren.

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Seitenzahl: 311

Veröffentlichungsjahr: 2025

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S.C. Wynne

Dr. Maxwell Thornton Murder Mysteries

Strange Medicine

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2025

http://www.deadsoft.de

Kontakt für Verlag und Produktion

dead soft verlag, Querenbergstr. 26, 49497 Mettingen

[email protected]

© the author

Titel der Originalausgabe: Dr. Maxwell Thornton, Murder Mysteries: Strange Medicine

Übersetzung: Bettina Spallek

Coverillustration: Saliha Bader

Email: [email protected]

Kontakt über Instagram: @sasually

Coverbearbeitung: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

1. Auflage

Inhalt:

Dr. Thornton ist kein Mörder. Er ist nur ein Griesgram mit einer Leiche in seinem Pool.

Maxwell Thornton ist nicht wirklich ein geselliger Mensch, aber das war ihm nie wichtig, denn bisher hatte er ausschließlich für seine Karriere als gefeierter Chirurg gelebt. Doch nach dem Tod einer Patientin ist er nicht mehr in der Lage, ein Skalpell in die Hand zu nehmen. Er kündigt seine Stelle in der Stadt und übernimmt eine Hausarztpraxis in der abgelegenen Stadt Rainy Dale, Texas, mit 1001 Einwohnern.

Rainy Dale ist von Exzentrikern bevölkert, die seine Geduld auf eine harte Probe stellen. Und zu allem Übel schwimmt auch noch nach wenigen Tagen sein nervigster Patient tot in seinem Pool. 

Kapitel 1 – Maxwell

Das Erste, was mich traf, war der Gestank. Ich bedeckte meine Nase und versuchte mich nicht wegen des penetranten Geruchs nach Vieh und Staub zu übergeben. Ich stieg aus dem Taxi, während der Fahrer meinen Koffer aus dem Kofferraum holte. Er musterte meinen Seidenanzug und meine Krawatte, dann grinste er.

„Sicher, dass ich Sie nicht gleich zurück zum Flughafen bringen soll?“

Ich reckte mein Kinn und stopfte ihm Geldscheine in seine schmutzige Hand.

„Maxwell Thornton läuft vor keiner Herausforderung davon.“ Mein Statement war eine alberne Lüge. Der einzige Grund, warum ich in diesem stinkenden Höllenloch von einer Stadt stand, war, weil ich davonrannte und vor etwas floh, das zu furchtbar war, um darüber nachzudenken: Ich war ein Mörder.

Ich nahm meinen Koffer auf und entfernte mich vom Auto. Als mein Schuh in etwas verdächtig Matschigem landete, zuckte ich zusammen, doch ich hatte Angst, nach unten zu blicken.

Der Fahrer zog eine Grimasse. „Ups.“

Ich hob meinen Fuß und trat zur Seite, wo ich dieses Mal festen Untergrund fand. Ich rieb meinen Schuh auf dem Boden hin und her und gab vor, nicht vor lauter Frust schreien zu wollen. Wie konnte das mein Leben sein? Ich hatte das letzte Jahrzehnt als angesehener Chirurg in Los Angeles verbracht und jetzt stand ich hier an einem mit Mist gespickten Feldweg und war der einzige Hausarzt in dieser schmutzigen Kleinstadt namens Rainy Dale in Texas. Das Leben war vor zwei Monaten noch so vielversprechend gewesen. Jetzt fühlte es sich an, als wäre ich ins Exil nach Sibirien geschickt worden. Oder das höllisch heiße Äquivalent.

Ich drehte mich um und fand mich dem kleinen weißen Haus gegenüber, das als mein Büro und Heim dienen würde. Es war in besserem Zustand, als ich angenommen hatte. Keine abblätternde Farbe oder zerbrochenen Fenster. Der Vorgarten war grün mit gelben Trompetenblumen und Blackfoot-Gänseblümchen entlang des Weges. Ich mochte, dass es abgelegen wirkte. Mein nächster Nachbar war ungefähr sechzig Meter die Straße runter in Richtung der Stadt, die sich um den großen See erstreckte.

Der Fahrer sprach mich an, als er seine Autotür öffnete. „Na ja, dann fahr ich jetzt, Doc. Rufen sich mich einfach an, wenn Sie Ihre Meinung zum Bleiben ändern.“

Ich warf ihm einen Blick zu und unterdrückte das Bedürfnis, ihn darum zu bitten, mich zurück in die Zivilisation zu bringen. „Ich gehe nirgendwo hin.“

Er schnaubte. „Wie Sie meinen.“ Dann kletterte er in sein Fahrzeug und der Motor erwachte zum Leben. Ich sah ihm zu, wie er langsam den Weg entlang von der Stadt wegholperte.

Dann schritt ich den Pflastersteinweg entlang und stieg entschlossen die Stufen zur Veranda hinauf. Als ich nach dem Türknauf griff, öffnete sich die Tür schlagartig. Ein junges Mädchen um die Zwanzig mit Sommersprossen und einem lila Brillengestell stand mit großen Augen vor mir.

„Oh, Sie sind schon da!“ Sie strich sich mit einer Hand durch ihr wirres kastanienbraunes Haar. „Ich hatte Sie nicht vor heute Abend erwartet.“

„Wer bist du?“, fragte ich und wunderte mich, was ein fremdes Mädchen in meinem Heim suchte.

Sie lachte nervös. „Ich bin Girdy. Ihre Rezeptionistin. Erinnern Sie sich? Wir haben telefoniert.“

Ich musterte sie von oben bis unten und runzelte dann die Stirn. „Du siehst nicht alt genug aus, um eine Rezeptionistin zu sein.“

Ein weiteres verkrampftes Lachen drang aus ihrem Mund. „Bin ich. Und obendrein, nur damit Sie es wissen, bin ich auch eine zertifizierte Phlebologin, Sir.“

„Hmmm.“ Ich hob eine Augenbraue.

Ihr Wangen wirkten rosiger als bei meiner Ankunft. „Warum kommen Sie nicht rein, raus aus der Hitze?“ Sie trat zur Seite und wich meinem Blick aus. „Sie lässt die Leute etwas mürrisch werden.“

Ich betrat das Haus und war erleichtert, eine eindeutige Kühle zu verspüren, die nur von einer zentralen Klimaanlage stammen konnte. Zumindest war dieser Ort nicht so barbarisch, dass es nicht diesen kleinen Trost gab. Ich sah mich in dem großen Vorraum um und erkannte eine Treppe, in einer Ecke einen Schreibtisch und aufgereihte Stühle an beiden Seiten der Wände im Wartebereich.

„Das ist mein Schreibtisch.“ Girdy trat ins Zimmer und deutete auf eine Tür am anderen Ende des Raums. „Ihr Büro und Untersuchungszimmer ist dort.“

Meine Augen weiteten sich. „Es gibt nur ein Untersuchungszimmer?“

„Jep.“ Sie verzog das Gesicht. „Tut mir leid. Haben Sie normalerweise mehr als eins?“

Ich dachte schweren Herzens an meine schöne hochmoderne Klinik in LA zurück. „Ja.“

„Oh, nun …“ Sie strich eine Locke ihres Haares hinter ihr Ohr. „Wir haben nur dieses eine.“ Das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte und sie zuckte zusammen, wobei sie eine Hand an ihre Brust presste. „Entschuldigen Sie.“ Sie ging den Anruf annehmen.

Es klopfte am Türpfosten hinter mir. Als ich mich umdrehte, stand dort ein Mann mittleren Alters mit einer glänzenden Glatze und dicken grau melierten Augenbrauen. „Sind Sie der neue Arzt?“ Er sah hoffnungsvoll aus, als er in den Wartebereich trat.

Ich nickte knapp. „Der bin ich.“

„Ich bin Ned Tinkerson.“ Er streckte seinen Arm aus, der einen entzündeten roten Ausschlag vom Handgelenk bis zum Ellbogen aufwies. „Würde es Ihnen etwas ausmachen, einen Blick darauf zu werfen, Doc?“

Ich zwang mich, nicht zurückzuweichen. „Nein. Ich bin buchstäblich gerade erst angekommen.“

„Oh, na ja …“ Ned runzelte die Stirn. „Aber es würde nur eine Minute dauern.“

Hinter mir sprach Girdy mich an. „Doc, Mrs. Lowe hat Fieber und sie wollte fragen, ob sie vielleicht kurz vorbeikommen könnte, damit Sie ihre Temperatur messen?“

„Kurz vorbeikommen?“ Ich blickte finster drein. „Natürlich nicht. Was stimmt mit den Leuten hier nicht? Ich habe noch nicht einmal meinen Koffer abgestellt und Sie wollen bereits Termine machen?“

„Aber …“, begann Ned.

„Woher wussten Sie überhaupt, dass ich da bin?“ Ich bewegte mich langsam in Richtung meines Büros und fühlte mich verschwitzt und unbehaglich.

„Wir sind Nachbarn. Ich wohne die Straße runter und habe Ihr Taxi gesehen.“ Ned lachte. „Ich dachte mir, es könnte nicht schaden zu fragen, ob sie es sich mal ansehen.“

Kurz vorbeikommen. Mal ansehen. Kannten diese Leute kein Benehmen?

„Ich bin noch nicht darauf vorbereitet, Patienten zu empfangen.“

„Dr. Pine, Ihr Vorgänger, hat uns bereits vor drei Monaten verlassen. Wir hatten die ganze Zeit über keinen Arzt. Wenn wir einen aufsuchen wollten, mussten wir bis nach Dallas reisen.“ Ned seufzte. „Kommen Sie. Es tut doch nicht weh, kurz drauf zu schauen?“ Er kratzte sich an seinem Arm. „Es ist schrecklich unangenehm.“

„Doc, was soll ich Mrs. Lowe sagen?“

„Sagen Sie ihr, dass sie in drei Tagen einen Termin machen soll, wenn ich bereit für die Arbeit bin.“ Ich machte ein paar weitere Schritte in Richtung meines privaten Büros.

Ein weiteres Klopfen am Türpfosten ging mir durch Mark und Bein. Ich sah hinüber, um eine ältere Dame, die einen großen Hut mit Sonnenblumen trug, vorzufinden.

„Hallo“, rief sie mit melodischer Stimme. „Ist ein Arzt zugegen?“ Sie kicherte, als fände sie sich selbst urkomisch, und hielt mir ihre Hand hin. „Ich bin Penelope Granger, die Bürgermeisterin von Rainy Dale.“

Ich schüttelte ihre Hand.

„Ich war zuerst hier“, grummelte Ned und musterte sie ungeduldig. „Bürgermeisterin oder nicht.“

„Oh. Na ja, ich brauche nicht lange. Nur ein neues Rezept für meine äh … Medizin.“ Sie zog ihren Hut ab und fächerte sich damit Luft zu. „Es ist heute so heiß wie im Hades.“

Zwei weitere Personen betraten die kleine Klinik und ich vermied es, mit ihnen Augenkontakt aufzunehmen. Hatte jemand ein Flugzeug losgeschickt, das die Nachricht ‚Der neue Doktor ist angekommen‘ in den Himmel schrieb? Warum fielen all diese Leute über mich her?

Das Telefon klingelte erneut und mein Kiefer spannte sich an. Ich mochte keine Menschenmengen und ich mochte es nicht, zu etwas gedrängt zu werden. „Hören Sie, Sie müssen jetzt alle gehen. Ich öffne nicht vor Donnerstag.“

Anscheinend hörte Girdy mich nicht, da sie mit der Hand über der Sprechmuschel des Telefons sprach. „Doc, Patricia Bones würde gerne mit ihrem Sohn vorbeikommen. Er hat Husten.“

Ich sah sie mit angespannten Schultern an. „Bitte nennen Sie mich nicht Doc. Ich bevorzuge Dr. Thornton. Und nein. Ich werde mir weder Patricia Bones noch irgendwen sonst ansehen.“ Ich fuhr mit zitternder Hand durch mein Haar. Der kleine Raum wirkte noch winziger mit all den Menschen, die mich erwartungsvoll anstarrten. „Ich öffne um acht Uhr morgens am Donnerstag. Solange es kein Notfall ist, verschwinden Sie.“

„Verschwinden?“ Penelopes Augen wurden groß. „Was meinen Sie?“

Ich zog meinen Koffer höher. „Ich meine: Gehen Sie nach Hause. Machen Sie einen Termin und dann gehen Sie.“ Ich lief in Richtung meines Büros, während ich spürte, wie sich Ihre Augen in meinen Rücken brannten.

„Aber Sie sind Arzt.“ Neds Stimme klang empört.

Ich hielt inne und sah sie an. „Ja. Während der Öffnungszeiten. Wenn Sie ein Bier wollen und die Bar geschlossen ist, öffnet der Besitzer auch nicht, nur weil Sie dort vorbeischauen.“

„Aber wir reden hier nicht von einer Bar. Sie sind Arzt. Da geht es um Leben und Tod.“ Penelopes Augen waren kalt und ihr Mund zu einer schmalen Linie verzogen.

„Stirbt irgendjemand von Ihnen?“ Ich hob eine Augenbraue.

„Na ja …“, stotterte Ned. „Könnte schon sein.“

Ich verdrehte die Augen. „Gehen Sie in die Apotheke und kaufen Sie sich eine Heilsalbe gegen Ekzeme oder etwas in der Art. Das sollte Ihnen Erleichterung verschaffen.“

Das Telefon klingelte erneut und Girdy hob ab. Als sie jedoch meinen strengen Blick sah, legte sie wieder auf.

„Braves Mädchen.“ Ich wandte mich wieder meinem Büro zu und öffnete die Tür. Der muffige Geruch abgestandener Luft schlug mir entgegen. Ich schloss die Tür hinter mir und lehnte mich dagegen. Ich hatte gehofft, dass ich ein paar Tage haben würde, um mich in dieser Stadt zu akklimatisieren, aber die Art, wie sie sich alle auf mich stürzten, ließ mich mich wie der letzte Donut auf einem Polizeirevier fühlen.

Als ich mich in dem stickigen, dunklen Raum umsah, erkannte ich ein EKG-Gerät und ein Sphygmomanometer, also ein Gerät zum Blutdruckmessen. Weiße Schränke und ein Waschbecken standen gegenüber dem Untersuchungstisch und etliche Stethoskope hingen an einem Haken an der Wand. Ich ging zu den Schränken und wühlte mich durch ein paar Schubladen, wo ich die Verbrauchsmaterialien überprüfte und eine mentale Liste von den Dingen erstellte, die wir brauchten. Listen zu machen und zu organisieren, beruhigte mich immer.

Es klopfte sanft an der Tür und ich schloss gereizt meine Augen. „Was ist?“

Die Tür öffnete sich langsam und Girdy steckte ihren Kopf herein. „Sie sind alle weg.“

Erleichterung überkam mich. „Gut.“

„Es tut mir leid.“ Sie verzog das Gesicht. „Dr. Pine ließ die Leute die meiste Zeit kommen und gehen, wie sie wollten.“

„So führt man keine effiziente Praxis.“

„Ich weiß.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Aber die Leute mochten ihn.“

„Ich bin nicht daran interessiert, mir Freunde zu machen. Ich bin hier, um dafür zu sorgen, dass die Leute in der Stadt gesund bleiben.“ Ich verschränkte die Arme.

Sie biss sich auf die Unterlippe. „Spricht etwas dagegen, dass Sie vielleicht beides versuchen?“

Ich schnaubte. „Warum sollte ich?“

Sie trat ein und schloss die Tür. „Sie waren vorher Chirurg, richtig?

„Ja.“ Ich seufzte.

„Also haben Sie meistens mit Leuten zu tun gehabt, die nicht wach waren.“

Ich runzelte die Stirn. „Ich habe auch mit Patienten gesprochen.“

„Aber Sie haben die meiste Zeit nur operiert?“

„Wohin führt das hier?“

Sie kam näher und sprach mit sanfter Stimme. „Wenn Sie in Rainy Dale Fuß fassen wollen, dann müssen Sie vielleicht Ihr Benehmen gegenüber Kranken ein wenig anpassen.“

„Ich kann ja nicht mal glauben, dass ich hier festsitze“, fuhr ich sie an. Kaum, dass die Worte meinen Mund verlassen hatten, bereute ich sie. Ich konnte mich glücklich schätzen, dass ich diese Chance hier erhalten hatte. Ich hatte aus der Großstadt rausgemusst und die Möglichkeit ergriffen, diese Stelle anzunehmen.

Ihr Augen wurden schmal. „Sie wollen nicht hier sein?“

Mein Gesicht fühlte sich heiß an. „Es tut mir leid. Das hätte ich nicht sagen sollen.“ Ich drehte ihr den Rücken zu. „Ich entschuldige mich. Mein Kommentar war unangebracht und ich habe ihn nicht mal so gemeint.“

Sie ging um mich herum, damit sie mir ins Gesicht sehen konnte. Ihr Gesichtsausdruck wirkte verärgert, wurde aber immer sanfter. „Vielleicht ist diese Stadt nicht das, was Sie gewohnt sind. Aber hier gibt es ein paar wundervolle Menschen. Sie könnten das hier vielleicht sogar etwas genießen, wenn Sie sich entspannen und die Leute kennenlernen.“

Ich ging durch den Raum und setzte mich in den Stuhl hinter dem Tisch. „Ich glaube nicht, dass das passieren wird.“

„Warum nicht?“

„Ich kann nicht wirklich gut mit Menschen.“ Ich hielt ihrem Blick energisch stand. Es war besser, sie erfuhr jetzt, wie ich war. Auf diese Weise konnte sie entscheiden, ob sie für mich arbeiten wollte oder nicht. Ich würde nie ein herzlicher und bequemer Arbeitgeber sein. Wenn es das war, was sie brauchte, sollte sie weiterziehen.

Sie folgte mir und setzte sich auf den Stuhl, der normalerweise für Patienten da war. „Ich weiß, warum Sie hier sind.“

Ich sah sie durchdringend an. „Pardon?“

„Ich, ähm … Ich weiß, was passiert ist. Ich kenne den Auslöser für Ihre Flucht nach Rainy Dale.“

Die Hitze kroch in meine Wangen zurück. „Worüber reden Sie da?“

„Ich weiß von der kleinen Panne, die sie dazu gebracht hat, die Chirurgie aufzugeben.“ Sie zuckte mit den Schultern.

„Was glauben Sie denn zu wissen?“, fragte ich sanft.

Sie verdrehte die Augen und beugte sich zu mir. „Lydia Pine war die vorige Rezeptionistin. Sie war Dr. Pines Frau. Sie wusste alles über Sie und sie dachte, dass es praktisch für mich wäre, es auch zu wissen.“

„Warum?“ Ich klang in meinen eigenen Ohren entsetzt.

Ihr Lachen war schroff. „Ich denke, weil ich für Sie arbeiten würde.“

Ich atmete ungeduldig aus. „Das ist Blödsinn.“

„Ist es das?“

„Solange ich in der Zeit, in der ich hier bin, meinen Job gut mache, müssen Sie nichts Privates über mich wissen.“ Ich zögerte. „Und ich sollte auch nichts über sie wissen müssen.“

Sie grinste. „Der Unterschied liegt darin, dass Sie kein Interesse an meinem Leben haben. Der Rest von uns ist neugierig, was Ihres angeht.“

Ich zog meine Augenbrauen eng zusammen, als ich sagte: „Warum sollten Sie oder irgendjemand in dieser Stadt sich für mich interessieren?“

Sie erhob sich. „Schlicht und einfach aus Neugierde. Sie sind das neue Kind in der Stadt. Hier kann es manchmal etwas langweilig werden.“

Ich lehnte mich frustriert in meinem Stuhl zurück. „Meine Angelegenheiten gehen Sie nichts an.“

Als sie zur Tür ging, sagte sie: „Reden Sie sich das nur ein. Aber stellen Sie sich auf ein böses Erwachen ein. Kleine Städte funktionieren nicht wie die Großstädte.“

Ein mulmiges Gefühl überkam mich und ich erhob mich eilig. „Sie werden niemand anderem erzählen, was Sie wissen, oder?“

Sie blieb an der Tür stehen. „Tun Sie sich selbst einen Gefallen, Doc, und versuchen Sie nicht, irgendwas zu verheimlichen. Das wird nicht funktionieren.“

„Ich will nicht das Futter für Stadtklatsch sein.“

„Das ist egal. Die Leute werden trotzdem über Sie reden. So ist das eben.“

„Nicht, wenn Sie es Ihnen nicht erzählen.“

Sie lachte laut. „Wenn Lydia Pine mir Ihr kleines Geheimnis verraten hat, dann können Sie darauf wetten, dass sie es auch anderen erzählt hat. Sie war eine große Tratschtante.“

„Aber Sie haben doch gesagt, sie hat es nur Ihnen erzählt, weil Sie für mich arbeiten würden.“ Ich blinzelte.

„Ich habe gelogen.“

Ich holte tief Luft, um mich zu beruhigen. „Hören Sie, was passiert ist, war eine schreckliche Tragödie.“

„Ja. Und ich persönlich denke, dass Sie zu hart zu sich sind. Manchmal sterben eben Leute auf dem Operationstisch. Das ist eine traurige Tatsache. Ich hatte einen Onkel, der während einer Hernie-Operation gestorben ist. Der Chirurg praktiziert nach wie vor.“

„Schön für ihn“, flüsterte ich.

„Ich bin mir sicher, es war nicht Ihre Schuld.“

„Selbst wenn …“, murmelte ich.

Ich schloss meine Augen, als mich die unwillkommene Angst überrollte. Erinnerungen an diesen schrecklichen Moment begleiteten mich immer am Rande meines Bewusstseins. Düstere Erinnerungen, die bei der kleinsten Unachtsamkeit wieder hochkamen: Der Alarm des Herzmonitors, das laute Scheißteil, die unheimliche Stille, als ich Anweisungen erteilte und verzweifelt versuchte, den Tsunami aus Blut zu stoppen. Eine Adrenalin-Spritze wurde verabreicht, während mit Blut getränkte Tupfer um die Venen gepresst wurden, die sich nicht abbinden ließen. Panik breitete sich aus, als Fäden die Adern wie einen Schweizer Käse durchlöcherten. Ein unentdeckter Tumor hatte die Venenwände geschwächt und sie hatten sich aufgelöst, während ich darum kämpfte, die Blutung zu stoppen. Die schiere Hilflosigkeit dieses Augenblicks bereitete mir immer noch Übelkeit. Kein Training hatte geholfen, die unerbittliche Blutung aufzuhalten. Ein Fehlschlag. Der Tod.

„Geht es Ihnen gut, Dr. Thornton?“ Girdys zögerliche Stimme erregte meine Aufmerksamkeit.

Ich straffte mich und schluckte, um die Galle zu vertreiben, die drohte nach oben zu steigen.

„Natürlich.“ Meine Stimme schwankte.

Reiß dich zusammen, du scheiß erbärmlicher Idiot.

Ich erwiderte Ihren Blick, als sie sagte: „Niemand wird Sie verurteilen. Schlimme Dinge passieren.“

„Nicht mir.“

Ihr Stirnrunzeln war skeptisch. „Sie haben nie zuvor einen Patienten verloren?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Nicht in einem Jahrzehnt als Chirurg?“ Ihre Augen weiteten sich.

„Sie werden nicht zum Besten in ihrem Gebiet, wenn Sie Ihre Patienten umbringen, Girdy.“

Sie blickte finster drein. „Das war kein Mord.“

Ich fuhr mit einer Hand durch mein Haar. „Ich erwarte nicht, dass Sie mich verstehen.“

„Warum? Weil ich aus einer Kleinstadt komme?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Weil Sie bereit sind zu vergeben.“

Sie atmete aus und ihre Frustration war offensichtlich. „Es ist noch nicht lange her. Vielleicht finden Sie mit der Zeit heraus, wie auch Sie vergeben können.“

„Sehr unwahrscheinlich.“ Ich ging zurück zum Schreibtisch, da ich Abstand zu ihrer Freundlichkeit brauchte. Sie fühlte sich peinlich und unangenehm an. Ich wollte und verdiente sie nicht. „Ich werde unseren pharmazeutischen Vertreter anrufen und einiges bestellen müssen.“

Sie bewegte sich, als wäre sie verärgert. „Das war’s also mit dem Herzausschütten?“

Ich schaute sie an. „Wir brauchen sterile Handschuhe, Untersuchungskittel aus Papier und Zungenspatel.“

„Ich bin eine gute Zuhörerin. Sie wissen das noch nicht, aber ich bin eine.“

„Bestellen Sie auf jeden Fall auch Spritzen und Wasserstoffperoxid, während Sie schon dabei sind.“ Ich schob ein paar Unterlagen auf dem Tisch herum.

„Ich sehe schon, Sie sind ein harter Fall.“

„Girdy, machen Sie mich nicht zu Ihrem Projekt.“

„Zu spät.“

Es klopfte an die Tür des Untersuchungszimmers und ich warf ihr einen ungehaltenen Blick zu. „Haben Sie die Vordertür nicht abgeschlossen?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Warum sollte ich?“

„Die Leute könnten uns komplett ausrauben, während wir hier reden.“ Ich näherte mich ihr.

„Das ist aber ein furchtbar höflicher Dieb, der klopft, bevor er reinkommt.“ Sie lachte, als sie die Tür öffnete.

Alles, was ich zuerst sah, waren ein schwarzer Stetson und breite Schultern. Aber als der Mann weiter in den Raum trat, bemerkte ich, dass er groß und schlank mit einem kantigen Kinn und einem aufgeweckten Blick war. Ein goldenes Abzeichen leuchtete auf seinem dunkelblauen Hemd und blondes Haar spitzte unter seinem Hut hervor.

„Sheriff. Was machen Sie hier?“, quietschte Girdy mit einem breiten Lächeln im Gesicht.

Als seine braunen Augen meine trafen, war ich überrascht von der sofortigen Anziehungskraft, die mich durchfuhr. Ich war nicht der Typ Mann, der bei einem gutaussehenden Mann schnell außer Fassung geriet, aber ich konnte nicht leugnen, dass sein Anblick meinen Puls in die Höhe trieb.

„Ich bin gekommen, um den neuen Arzt zu treffen.“ Seine Stimme war rauchig. Selbstbewusst.

„Sie und die halbe Stadt.“ Sie lachte.

Er betrat den Raum, und als er näherkam, roch ich einen Hauch von Bergamotte und Zitronengras von seinem Aftershave. Das war eine nette Abwechslung von dem Viehgeruch, der diese Stadt zu durchziehen schien. Er streckte mir seine Hand entgegen und ich zögerte.

„Ich beiße nicht, Doc.“ Ein kleines Lächeln zeigte sich auf seinen vollen Lippen.

Genervt von meinem eigenen verträumten Verhalten schüttelte ich seine Hand. Sein Griff war fest und warm.

„Dr. Maxwell Thornton. Freut mich, Sie kennenzulernen.“ War er, wie der Rest der Stadt, für einen Check-up hier? Aus irgendeinem Grund war der Gedanke daran nicht annähernd so nervig wie zuvor bei den restlichen Patienten.

„Sheriff Royce Callum. Die meisten nennen mich nur Royce.“

Ich ließ seine Hand los, aber meine Finger prickelten noch immer.

„Wie kommen Sie zurecht?“ Er stemmte die Hände in seine schmalen Hüften und sah sich um. Sein Blick fiel auf meinen einsamen Koffer neben dem Schreibtisch. „Kommt der Rest Ihrer Sachen später?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein.“

Er runzelte die Stirn. „Sie reisen mit leichtem Gepäck für einen Großstadtjungen.“

Meine Augen verengten sich und ich fragte: „Ist das gegen das Gesetz?“

„Nee.“ Er schob seinen Hut weiter zurück und ich konnte sein Gesicht besser erkennen. Er war umwerfend, seine Haut gebräunt und straff, mit langen dunklen Wimpern und Zähnen so weiß, wie ich es noch nie gesehen hatte. „Aber vielleicht reisen Sie mit wenig, damit Sie schnell abhauen können.“

Sein herausfordernder Ton stellte verrückte Sachen mit meinem Magen an. „Nein.“

„Irgendwelche Leichen im Keller, von denen ich wissen sollte?“

„Nein.“

Er lächelte leicht und Grübchen zeigten sich. „Sagen Sie auch was anderes außer Nein?“

„Ja.“

Girdy kicherte. „Sie beide könnten mit dieser Show auftreten.“

Mein Gesicht wurde warm und ich verschränkte die Arme.

Royce schürzte die Lippen. „Na ja, wie ich schon sagte, ich bin nur vorbeigekommen, um mich vorzustellen.“

„Okay.“ Ich nickte.

Girdy warf mir einen nachsichtigen Blick zu. „Ich bin mir sicher, er meint: Es freut mich, Sie kennenzulernen, Sheriff.“

Ich verzog das Gesicht. „Ja. Danke fürs Vorbeikommen.“

Er beugte sich näher zu mir. „Willkommen in Rainy Dale, Maxwell.“ Der Klang meines Namens klang gut aus seinem Mund und ich erschauderte überrascht. Er schien zu bemerken, was für eine Wirkung er auf mich hatte, denn er lächelte und zwinkerte mir zu. „Lassen Sie es mich wissen, wenn Sie jemanden brauchen, der Ihnen die Stadt zeigt.“

„Nein.“ Ich zuckte zusammen. „Ich meine, ich brauche … niemanden.“ Vor allem nicht so jemanden wie ihn, der mich so aufwühlte. Ich hatte nicht das Verlangen, irgendjemanden in der Stadt kennenzulernen. Ich wollte mich nur darauf konzentrieren, meine neue Praxis aufzubauen. Ich wollte, dass alles wieder normal wurde. Ich wollte die Kontrolle zurückhaben. Ich wollte alles wissen, was passieren würde, bevor es passierte. Wie in alten Zeiten.

Royce tippte sich an den Hut. „Lassen Sie es mich wissen, wenn Sie Ihre Meinung ändern.“

„Werde ich nicht.“

Er lächelte. „Viel Glück Ihnen, Doc.“

Ich schnaubte, als ich ihm den Rücken zudrehte. „Glück.“

„Sie glauben nicht an Glück?“ Er klang amüsiert.

„Nicht wirklich.“ Ich warf ihm einen zynischen Blick über meine Schulter zu. „Seien wir ehrlich, Sheriff. Wäre ein Arzt meines Kalibers in Rainy Dale, wenn Glück existieren würde?“

„Abso-verdammt-lut.“ Er grinste, als er sich wieder auf den Weg machte. „Nur, dass das Glück dieses Mal auf der Seite von Rainy Dale ist.“

Kapitel 2 – Royce

Ich hatte Probleme damit, unseren neuen Arzt aus meinem Kopf zu verbannen. Er war ein seltsamer Vogel, das war klar, aber attraktiv. Mir wurde ganz warm bei dem Gedanken an seinen schönen Mund und seine blauen Augen. In einer Kleinstadt zu leben, bedeutete, dass die Auswahl an gutaussehenden und verfügbaren Männern gering war. Und das Angebot an schwulen, gutaussehenden und verfügbaren Männern war noch kleiner. Nicht, dass Maxwell ausdrücklich zur Verfügung stand. Kratzbürstig war wohl eine bessere Beschreibung.

Ned Tinkerson rannte aus dem Pancake Palace Restaurant und schaffte es gerade noch so, nicht in mich hineinzulaufen.

„Oh, Mist. Entschuldigen Sie, Sheriff.“ Seine Glatze war mit Schweiß bedeckt und sein Gesicht gerötet.

„Machen Sie langsam.“ Ich klopfte ihm auf die Schulter.

Er schluckte und nickte. „Ja.“ Er sah aufgewühlt aus.

Ich kam nicht umhin festzustellen, dass es wohl mindestens achtunddreißig Grad heiß war, er aber lange Ärmel trug.

„Ich bin ein bisschen in Eile“, murmelte er.

„Wo wollen Sie denn hin?“

Er sah zu Boden. „Oh, ich habe ein Treffen mit meinem Makler.“

Ich runzelte die Stirn. „Verkaufen Sie Ihr Haus?“

Er wandte den Blick ab und lachte. „Nein. Ich will eher eins kaufen.“

„Echt?“ Ich versuchte, meine Überraschung zu verbergen. Ned hatte nicht viel Geld. Nach dem, was ich von Clare Smith vom Rainy Dale Grundschuld- und Kreditamt nach ein paar Gläsern Wein gehört hatte, hatte er genug Probleme damit, seine bestehende Hypothek abzuzahlen.

„Jep.“

„Aha.“

Er musste meine Skepsis gespürt haben, denn er fügte hinzu: „Ich … ähm … habe etwas Geld geerbt.

„Ach, ich verstehe.“

Er kratzte seinen bedeckten Arm und zog eine Grimasse, als er sah, wie ich es bemerkte. „Ich habe einen Hitzeausschlag.“

„Vielleicht ist es keine so gute Idee, bei diesem Wetter etwas mit langen Ärmeln zu tragen“, sagte ich.

„Ich weiß. Aber ich will nicht, dass es irgendjemand sieht.“ Er warf Dr. Thorntons Praxis am Ende der Straße einen bösen Blick zu. „Ich habe versucht, den neuen Doktor dazu zu bringen, es sich anzuschauen, aber er war nicht sehr umgänglich.“

„Er öffnet nicht vor morgen, richtig?“ Ich konnte verstehen, warum Maxwell ein paar Tage brauchte, um seine Klinik auf Vordermann zu bringen.

„Hätte es ihn umgebracht, mal kurz drauf zu schauen?“

„Na ja, es wetteifern sicher viele um seine Aufmerksamkeit.“

„Trotzdem“, grummelte er. „Ich bin sein Nachbar. Man könnte meinen, dass er mir einen kleinen Gefallen tun würde.“

Ich zog meinen Hut ab und genoss die Brise, die durch mein Haar fuhr. „Geben Sie ihm Zeit. Er ist ein Stadtkind. Er wird bald genug lernen, wie es hier läuft.“

„Wäre besser für ihn, er wird sonst nicht lange durchhalten.“ Ned machte ein finsteres Gesicht. „Er hat sogar Bürgermeisterin Granger aus seiner Klinik geworfen. Die war geladen.“

Ich lachte. „Vielleicht wusste er nicht, dass sie die Bürgermeisterin ist.“

Er schnaubte. „Doch. Haben Sie je erlebt, dass Penelope sich vorstellt, ohne ihren Titel zu erwähnen?“

„Nope.“

„Ich auch nicht.“ Er seufzte. „Wie auch immer. Ich habe morgen Nachmittag einen Termin bei ihm und hoffe, er kann etwas tun, damit ich diesen verdammten Ausschlag loswerde.“

„Was denken Sie, woher der kommt?“ Ich runzelte die Stirn.

Er wich meinem Blick aus. „Keine Ahnung. Er war vor einer Woche plötzlich da. Soweit ich weiß, bin ich gegen kein Essen, das ich kenne, allergisch.“

„Ich bin mir sicher, der neue Arzt bekommt das hin.“

„Ich hoffe es.“

Ich stellte mich anders hin. „Welches Haus wollen Sie kaufen?“

Das war eine recht harmlose Frage gewesen, aber so, wie sein Gesicht erstarrte und er einen Schritt zurückwich, hätte man meinen können, ich hätte ihn nach seiner Sozialversicherungsnummer und seinem Bankpasswort gefragt.

„Ähm … Ich schaue mir nur die verfügbaren Immobilien an.“

„Ich dachte, da gäbe es nicht mehr als zwei.“ Ich musterte sein angespanntes Gesicht. Ich hatte gute Instinkte, wenn es darum ging, dass Leute mich anlogen.

Er leckte sich über die Lippen und sah sich um, als würde er am liebsten abhauen. „Es sind einige verfügbar, aber nicht auf dem Markt.“

„Verstehe.“ Ich nickte. „Aber gibt es einen Grund, warum Sie mir nicht sagen können, welches Sie sich ansehen?“

Er wurde rot. „Es ist noch nichts in trockenen Tüchern, darum lieber nicht.“

Dolly Brown kam eilig auf uns zugelaufen. „Sheriff, da versuchen ein paar Kids drüben in der Bladford Street eine Parkuhr zu knacken.“ Sie verzog das Gesicht und presste ihre Handtasche enger an ihre Seite. „Ich habe ihnen gesagt, dass sie das lassen sollen, aber sie haben mir nur den Stinkefinger gezeigt und mir gesagt, ich soll mich … na ja, sagen wir, sie waren nicht gerade sehr nett.“

Ich straffte meine Schultern und setzte meinen Hut wieder auf. „Ich kümmere mich darum. Danke, Dolly.“

Sie seufzte. „Wirklich traurig, dass so was in Rainy Dale passiert.“

„Find ich auch.“ Ned nickte. „Sie sollten sich ihre Namen geben lassen und mal ein ernstes Wörtchen mit ihren Eltern reden, Sheriff.“

Meine Mundwinkel zuckten. „Wirklich schade, dass ich meine Folterinstrumente auf eBay verschachert habe.“

Ned schnaubte. „Das ist nicht lustig. Letzten Monat hat jemand mein George Washington-Ausschneidemodell vom 4. Juli gestohlen. In letzter Zeit geht in dieser Stadt etwas Schlimmes vor sich.“

Mein Lächeln verschwand. „Das sind nur ein paar Kids.“

„Sie waren sehr unverschämt“, schniefte Dolly.

„Ich weiß. Ich werde mit ihnen reden.“ Ich trottete über die Hauptstraße und ging Richtung Bladford Street. Als ich um die Ecke kam, sah ich drei Jungs. Einer von ihnen hatte einen Baseballschläger, mit dem er gegen den Automaten schlug. „Hey!“, rief ich.

Der Junge hielt mitten im Schlag inne und ließ den Schläger fallen. Seine zwei Freunde rannten davon, aber aus irgendeinem Grund blieb der Junge, wo er war, als ich auf ihn zuging. Als ich nur noch einen Meter entfernt war, wollte er weglaufen. Ich streckte mich nach ihm und hielt seinen Arm fest.

„Hiergeblieben, Riley.“

Er hörte auf sich zu wehren und sah mich an. Sein Gesicht war gerötet und seine Augen blickten mich misstrauisch an. „Das war nicht meine Idee.“

„Und warum hast du dann zugeschlagen?“

Er atmete aus und sah seinen feigen Kumpels nach. „Das war ’ne Mutprobe.“

Ich legte meinen Kopf schief. „Okay. Bist du nicht eigentlich viel zu clever, um auf eine Mutprobe einzugehen?“

„Anfangs war ich das. Aber sie haben nicht lockergelassen. Travis meinte ich, wäre eine Pussy, und ich sagte, ich wäre keine.“ Er verzog das Gesicht. „Und dann meinte er: Beweis es.“

Ich runzelte die Stirn. „Wie beweist das Gesetz zu brechen, dass du keine Pussy bist?“

Er stopfte seine Hände in seine Hosentaschen. „Was weiß denn ich.“

Ich wusste, dass Riley kein schlechter Kerl war. Er hatte noch nie auch nur ansatzweise irgendwelchen Ärger gemacht. Er war die Sorte Junge, die den Samstag damit verbrachte, in der Bücherei zu lernen. „Warum kümmert es dich, was Kerle wie Travis denken?“

Er ließ den Kopf hängen. „Ich weiß nicht. Mark und er haben angefangen, mit mir abzuhängen, und es hat sich irgendwie gut angefühlt, mal Freunde zu haben.“

„Riley, echte Freunde ermutigen dich nicht dazu, das Gesetz zu brechen.“ Ich schüttelte den Kopf. „Und sie konnten gar nicht schnell genug abhauen, als ich aufgetaucht bin. Was sind das für Freunde?“

Er sah zu mir auf und es war offensichtlich, dass er peinlich berührt war. „Es ist nicht leicht für mich, Freunde zu finden. Ich bin nicht wie die anderen Kids.“

„Du bist fünf Mal besser als Mark und Travis. Lass dich von denen nicht unterkriegen. Um ehrlich zu sein, bist du der Letzte, von dem ich so etwas erwartet hätte.“

Er zuckte zusammen. „Erzählen Sie es Mama und Papa?“

Ich seufzte. „Das sollte ich.“

Er musste das Zögern aus meinem Tonfall herausgehört haben, denn er sah mich hoffnungsvoll an. „Bitte nicht. Ich mache so was nie wieder. Versprochen.“

Ich legte meine Hand auf seine Schulter. „Weißt du, ich war wie du, als ich jung war. Ich war ruhig und schüchtern und tat mich schwer, Freunde zu finden.“

Er runzelte die Stirn. „Echt? Aber Sie sind der Sheriff.“

Ich lachte. „Ich bin da rausgewachsen. Aber das ist nicht über Nacht passiert. Echte Freunde zu finden, braucht Zeit. Wenn du gefährliche oder illegale Dinge tun musst, um dich vor jemandem zu beweisen, sind sie das nicht wert. Freunde wollen dein Bestes.“ Ich zeigte in die Richtung, in die seine Kumpel verschwunden waren. „Kommen dir die beiden vor, als wären sie deine Zeit wert?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein. Ich meine, sie lesen nicht mal Bücher. Alles, was sie machen wollen, ist zocken und high werden.“ Er schüttelte sich. „Von Gras bekomme ich Kopfschmerzen.“

Ich musste grinsen. „Du bist viel zu clever für die. Tritt einem Buchclub bei oder so.“

„An der Schule gibt’s keinen.“

Ich runzelte die Stirn. „Dann gründe einen. Ich kenne andere Kids in der Stadt, die wie du sind. Trau dich und sprich sie an. Warte nicht darauf, dass sie auf dich zukommen.“

„Haben Sie das auch gemacht?“, fragte er leise.

„Jep.“ Ich nickte. „Ich habe angefangen, den Leuten zu folgen, die ich für interessant hielt. Was kann im schlimmsten Fall passieren? Dass ihr nicht zusammenpasst? Und dann? Du kannst nicht einfach nur herumsitzen und erwarten, dass das Leben auf dich zukommt, Riley. Du musst es dir schnappen. Bemüh dich darum.“

Sein Kiefer entspannte sich. „Okay.“

Ich drückte seine Schulter. „Versprich mir, dass du nicht mehr mit den beiden abhängst.“

„Ich verspreche es.“ Er hob seinen Baseballschläger auf. „Muss ich mit aufs Revier?“ Seine Stimme schwankte und er sah niedergeschlagen aus.

„Wenn ich dich nur mit einer Verwarnung davonkommen lasse, werde ich dich weiter im Auge behalten müssen.“

Er sah mit aufgerissenen Augen auf. „Ja. Okay. Das geht klar.“

Meine Mundwinkel zuckten. „Ich vergebe zweite Chancen nur einmal, Riley.“

Er nickte. „Verstanden.“

„Okay. Geh nach Hause. Finde heraus, wie man einen Buchclub gründet, und komm in der Stadt keiner Parkuhr mehr zu nahe.“ Ich schob meine Zunge in meine Wange.

„Werde ich nicht. Ich versprech’s.“ Er sah aus, als würde er mich umarmen wollen, aber er hielt sich zurück. Dann rannte er die Straße hinunter nach Hause.

Ich schüttelte den Kopf, und als ich mich umdrehte, sah ich Dr. Maxwell Thornton, der ein paar Meter weiter stand und mich beobachtete.

Seine Arme waren voll mit Einkaufstüten und er sah verlegen aus. „Ich wollte nicht lauschen. Ich meine, nicht absichtlich.“

Ich war überrascht, wie sehr ich es genoss, ihn erneut zu Gesicht zu bekommen. In meinem Bauch tanzten Schmetterlinge und mein Herz schlug schneller, als ich mich ihm näherte. Er war übertrieben schick angezogen, wie bei unserer ersten Begegnung. Er trug einen teuer aussehenden schwarzen Anzug mit einem schneeweißen Hemd und einer pinken Krawatte.

„Selbst wenn, ist das okay.“ Ich nahm ihm einige Tüten ab und er runzelte die Stirn, ohne sich jedoch zu wehren. „Machen Sie ein paar Besorgungen?“

„Offensichtlich.“

Ich lachte. „Sind Sie in die Stadt gefahren oder gelaufen?“

„Gelaufen. Ich habe kein Auto.“ Er sah sich in der staubigen Stadt um. „Ich denke nicht, dass ich eins brauche, wenn es nur ein kurzer Fußmarsch in die Stadt ist.“

Ich sah mir seine Arme voller Tüten an.

Er verzog das Gesicht. „Ich hatte auch nicht erwartet, dass ich so viel kaufen würde.“

„Ich helfe Ihnen, sie heimzutragen.“

Er sah mich an, als hätte ich ihm einen Antrag gemacht. „Oh, nein, nein, nein. Das ist nicht nötig.“

„Es macht mir nichts aus.“

„Sie müssen sicher Sheriff-Dinge erledigen.“ Er warf einen Blick in die Richtung, in die Riley verschwunden war. „Es gibt sicher noch andere junge Gemüter, die in Form gebracht werden müssen.“

Ich lachte und lief einfach los. In der Hoffnung, dass er mir instinktiv folgte, da ich einige seiner Einkäufe trug. Ich fand es manchmal einfacher, Leute zu führen, als zu versuchen, sie umzustimmen. „Haben Sie sich schon eingelebt?“

Er zögerte, als würde er nicht antworten wollen, aber dann entspannten sich seine Schultern und er schloss sich mir an. „Es ist viel heißer und muffiger hier, als ich erwartet habe.“

„Wenn es kühler ist, ist es gar nicht so schlimm. Die Hitze verstärkt den wohlriechenden Duft der Rinderfarmen.“

Das erste Mal, seit ich ihm begegnet war, lächelte er. Das war wirklich schön. Seine Zähne waren gerade und weiß und seine blauen Augen leuchteten amüsiert. Vielleicht war da doch etwas Menschliches in ihm. Wir liefen schweigend nebeneinanderher, während die Sonne erbarmungslos auf unsere Schultern brannte.

„Kennen Sie den jungen Mann?“, fragte er leise.

„Nicht wirklich. Aber was ich von ihm weiß, ist, dass Parkuhren-Vandalismus nicht sein Stil ist.“

„Ich wollte wirklich nicht lauschen.“

„Ist schon gut. Ich habe ihm nichts aus meinem Tagebuch erzählt.“ Ich zuckte mit den Schultern.

Er rückte die Tüten auf seinen Armen zurecht. „Sie waren sehr nachsichtig mit ihm.“

„Wie ich schon sagte, er ist normalerweise ein guter Junge.“

„Aber nicht heute. Warum sollte er also nicht für sein Verhalten bestraft werden?“ Er musterte mich mit ausgesprochener Neugierde.

„Weil Menschen Fehler machen?“ Ich sah in den Himmel, der so blau wie die Eier eines Rotkehlchens war. Es waren keine Wolken in Sicht und die Hitze war drückend.

„Ich finde, die Leute sollten aus ihren Fehlern lernen.“

„Das denke ich auch.“

Er runzelte die Stirn. „Wie soll das gehen, wenn man sie vom Haken lässt?“