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Schon Grundschulkinder leiden unter Stresssymptomen wie Nervosität, Unkonzentriertheit, Bauch- und Kopfschmerzen oder Schlafschwierigkeiten. Stress ist zudem ein Risikofaktor bei der Entstehung von psychischen Erkrankungen. Mithilfe des vorliegenden Stresspräventionstrainings lernen Kinder auf spielerische Weise, akute und zukünftige Belastungen wahrzunehmen und angemessen auf sie zu reagieren. Mit einer Vielfalt von Methoden, wie z. B. Rollenspielen, Entspannungsübungen oder Comics, geht das Gruppentraining auf die Komplexität des Stresserlebens ein. Eine zusätzliche Anleitung hilft bei der Gestaltung von trainingsbegleitenden Elternabenden. Ausgewählte Bausteine des Programms können bei Bedarf andere Trainings ergänzen oder im Schulkontext sowie in Einzel- oder Gruppentherapien eingesetzt werden. In der vierten Auflage dieses bewährten Trainings werden zusätzliche Übungen vorgestellt und Ergebnisse neuerer Evaluationsstudien berichtet. Die beiliegende CD-ROM enthält alle Arbeitsmaterialien.
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Johannes Klein-Heßling
Arnold Lohaus
Stresspräventionstraining für Kinder im Grundschulalter
4., überarbeitete Auflage
Dr. Johannes Klein-Heßling, geb. 1967. 1988–1994 Studium der Psychologie in Münster. 1997 Promotion. 1997–2005 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Psychologie der Universität Marburg und am Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie und Gesundheitspsychologie der Humboldt-Universität Berlin. Seit 2005 Wissenschaftlicher Referent bei der Bundespsychotherapeutenkammer.
Prof. Dr. Arnold Lohaus, geb. 1954. Zunächst Lehramtsstudium und 1976–1980 Studium der Psychologie in Münster. 1982 Promotion. 1987 Habilitation. 1982–1996 Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Hochschulassistent und Hochschuldozent am Fachbereich Psychologie der Universität Münster. 1996–2006 Professor für Entwicklungspsychologie an der Universität Marburg. Seit 2006 Inhaber der Professur für Entwicklungspsychologie und Entwicklungspsychopathologie an der Universität Bielefeld.
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Zu diesem Buch ist die Audio-CD „Bleib locker“ (3. Auflage, IBSN 978-3-8017-3099-4) mit Entspannungsübungen erhältlich.
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Satz: Matthias Lenke, Weimar
Die erste Auflage des Buches ist 1998 unter dem Titel „Bleib locker. Ein Streßpräventionstraining für Kinder im Grundschulalter“ erschienen.
Format: EPUB
4., überarbeitete Auflage 2021
© 1998, 2000, 2012 und 2021 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen
(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-3028-7; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-3028-8)
ISBN 978-3-8017-3028-4
https://doi.org/10.1026/03028-000
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Vorwort zur 4. Auflage
Kapitel 1 Stress und Stressbewältigung
1.1 Ein Modell zur Beschreibung des Stressgeschehens
1.2 Stress bei Kindern im Grundschulalter
1.3 Diagnostische Verfahren
1.4 Stressbewältigungstrainings für Kinder
Kapitel 2 Trainingskonzeption
2.1 Trainingsziele
2.2 Trainingsbausteine
2.3 Rahmenbedingungen
2.4 Kontraindikationen
2.5 Material
2.6 Das Training im Überblick
Kapitel 3 Veranstaltungen für Eltern
3.1 Elterninformationsveranstaltung
3.2 Erster Elternabend
3.3 Zweiter Elternabend
Kapitel 4 Sitzungen des Kindertrainings
4.1 Erste Doppelstunde
4.2 Zweite Doppelstunde
4.3 Dritte Doppelstunde
4.4 Vierte Doppelstunde
4.5 Fünfte Doppelstunde
4.6 Sechste Doppelstunde
4.7 Siebte Doppelstunde
4.8 Achte Doppelstunde
4.9 Zusatzspiele
4.10 Zusätzliche Übungen
Kapitel 5 Trainingsevaluation
5.1 Evaluation des Stresspräventionstrainings „Bleib locker“
5.2 Ergebnisse neuerer Evaluationsstudien
5.3 Wirksamkeit von Entspannungsverfahren bei Kindern
5.4 Konsequenzen aus den Evaluationsstudien
Literatur
Anhang
Anhang A: Präsentationsfolien für Elternabende
Anhang B: Gefühlekarten
Anhang C: Kindermaterial
Materialien auf CD-ROM
Schon Kinder im Grundschulalter leiden unter den Folgen von Stress in Schule, Freizeit oder Familie. Die Kinder wirken nervös und angespannt, sind häufig müde und unkonzentriert, scheinen lustlos oder ziehen sich zurück. Viele Kinder klagen über Beschwerden wie Bauchweh, Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit oder Ein- und Durchschlafschwierigkeiten. Obwohl Stress also schon im Kindesalter ein bedeutender Faktor ist, der unmittelbar oder mittelbar die körperliche und psychische Gesundheit beeinflusst, gibt es nur wenige spezifische Präventionsprogramme für Kinder. Während für den Erwachsenenbereich multimodale Stresspräventionstrainings Standard sind, beschränken sich Stressbewältigungsprogramme für Kinder nicht selten auf die Vermittlung von Entspannungstechniken.
Das vorliegende Stressbewältigungstraining für Kinder im Grundschulalter trägt mit einer multimethodalen Herangehensweise der Komplexität des Stressgeschehens bei Kindern Rechnung. Dabei hat das Training neben der Intervention auch die Stressprävention zum Ziel. Die Teilnahme soll Kindern helfen, mit aktuellen Belastungssituationen besser umzugehen und sie gleichzeitig auf zukünftige Anforderungssituationen vorbereiten. Entwicklung und Evaluation des Trainingsprogrammes erfolgten in Kooperation mit der Techniker Krankenkasse.
In acht Trainingssitzungen können Kinder lernen, Stresssituationen und Stressreaktionen wahrzunehmen und ihnen mit angemessenen Bewältigungsstrategien zu begegnen. In Rollenspielen und verhaltensbezogenen Hausaufgaben werden diese Copingstrategien praktisch erprobt. Darüber hinaus sammeln die Kinder erste Erfahrungen mit einer Entspannungstechnik, der Progressiven Muskelrelaxation. Die Anleitung von Entspannungsübungen zu Hause kann durch eine Audio-CD mit Entspannungsinstruktionen unterstützt werden, die zusätzlich zu diesem Trainingsmanual angeboten wird („Bleib locker“, 3. Auflage 2020, ISBN 978-3-8017-3099-4).
Für eine Verringerung von Stressbelastungen und ihren Folgen dürfen nicht ausschließlich die Kinder verantwortlich gemacht werden. Häufig können sie stressauslösende Situationen gar nicht allein beeinflussen. Hier sind Erwachsene gefordert. Deshalb werden an einem Elterninformationsabend und zwei begleitenden Elternabenden Möglichkeiten erarbeitet, wie Eltern ihre Kinder bei einer effektiveren Stressbewältigung unterstützen und selbst dazu beitragen können, das Stresserleben ihrer Kinder zu reduzieren.
Die Evaluationsergebnisse zeigen, dass die Teilnahme an dem Training bei den Kindern nicht nur zu einer Zunahme der Kenntnisse über potenzielle Stressreaktionen und Bewältigungsstrategien führt, sondern auch mit positiven Veränderungen im Stresserleben, bei der Stresssymptomatik und beim Einsatz von Bewältigungsstrategien verbunden ist.
Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die Kapitel dieses Trainingsmanuals gegeben. Im ersten Kapitel wird der transaktionale Stressansatz von Lazarus, der diesem Training zugrunde liegt, vorgestellt. Es folgt ein Überblick zum Forschungsstand zu Stress bei Kindern. Die Grundideen und die Grundkonzeption dieses Trainings sind in Kapitel 2 beschrieben.
Kapitel 3 informiert über die Durchführung der beiden Elternabende. Eine Beschreibung der einzelnen Trainingssitzungen findet sich im Kapitel 4. Dabei stellen die angegebene Reihenfolge und die Dauer der Übungen nur eine Planungshilfe dar. Der tatsächliche Sitzungsverlauf hängt sehr stark von der Gruppengröße, der |8|Motivations- bzw. Interessenlage sowie der Tagesform von Kindern und Trainingsleiter1 ab. Ebenso ist der Wortlaut der Instruktionen zu den einzelnen Übungen nur als Beispiel gedacht, das die Vorbereitung des Trainingsleiters auf das Sprachverständnis von Kindern im Grundschulalter erleichtern soll. Sie sollten – mit Ausnahme der Instruktionen zur Progressiven Muskelrelaxation – nicht vorgelesen oder auswendig vorgetragen werden.
In Kapitel 5 schließt sich eine Darstellung der Evaluation dieses Trainings an. Die Evaluationsergebnisse zum Nutzen der Progressiven Muskelrelaxation waren der Anlass, weiterführende Untersuchungen über Entspannungsverfahren bei Kindern durchzuführen. Die Studienergebnisse haben wichtige Implikationen für die Gestaltung von Stressbewältigungstrainings und werden daher ausführlicher erläutert.
Ein wichtiges Ziel des Trainings ist es, dass die Teilnahme den Kindern Spaß macht. Deshalb werden für jede Sitzung Spiele und darüber hinaus einige Spielalternativen im Manual vorgeschlagen. Selbstverständlich können von den Kindern oder dem Trainingsleiter zu diesem Zweck auch eigene Vorschläge eingebracht werden.
Obwohl das vorliegende Programm als eigenständiges Stresspräventionstraining für Kindergruppen entwickelt wurde, bieten sich aufgrund seiner Konzeption in Form verschiedener Trainingsbausteine weitere Einsatzmöglichkeiten. So lassen sich einzelne Bausteine oder Trainingselemente bei Bedarf in andere Trainings integrieren. Darüber hinaus können einzelne Übungen auch im Rahmen des Schul- oder Förderunterrichtes sowie in Einzel- oder Gruppenpsychotherapien eingesetzt werden.
Das Training kann als Kursprogramm im Rahmen der verhaltensbezogenen Individualprävention durchgeführt werden. Es kann aber auch eine Maßnahme der Prävention und Gesundheitsförderung in Lebenswelten (z. B. in der Schule im Klassenverband) sein.
Das wissenschaftliche und praktische Interesse an dem Thema ist in den vergangenen Jahren weiter gestiegen und hat in der vorliegenden vierten Auflage an verschiedenen Stellen zu Aktualisierungen und Ergänzungen geführt. Besonders hingewiesen werden soll auf einige ergänzende Übungen bzw. Übungsalternativen, die am Ende von Kapitel 4 dargestellt werden. Es wurde darauf verzichtet, diese Trainingselemente direkt in das Training zu integrieren, weil sie bisher nicht evaluiert wurden. Sie können aber dennoch eine gute Ergänzung darstellen.
Ergänzt wurden auch Ergebnisse aus neueren Evaluationsstudien, die im Rahmen von Abschlussarbeiten an der Universität Bielefeld durchgeführt wurden.
Berlin und Bielefeld, im Juni 2020
Johannes Klein-Heßling und Arnold Lohaus
Zugunsten einer besseren Lesbarkeit verwenden wir im Text in der Regel das generische Maskulinum. Diese Formulierungen umfassen gleichermaßen alle Geschlechter (m/w/d). Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.
Stress ist heute in aller Munde: Kinder haben Schulstress, Jugendliche „stressende“ Eltern und Lehrer. Berufstätige kommen gewöhnlich „gestresst“ von der Arbeit nach Hause. Dort erwartet sie der Freizeitstress, der Beziehungsstress oder der Stress mit den Kindern. Diese Liste lässt sich nahezu beliebig fortführen.
Und ebenso wie sich im alltäglichen Sprachgebrauch die Vorstellungen über das, was „Stress“ genannt wird, unterscheiden, finden sich auch in der Wissenschaft die verschiedensten Definitionen und Erklärungsmodelle, je nach Fachgebiet und theoretischer Ausrichtung. Denn mit dem Stressgeschehen sind mehrere Teilprozesse verbunden, die in den unterschiedlichen Stresskonzepten mehr oder weniger im Mittelpunkt stehen.
Im Folgenden wird ein Modell beschrieben, das die verschiedenen Teilprozesse des Stressgeschehens berücksichtigt und zugleich die Dynamik von Stresserleben betont: der transaktionale Ansatz von Lazarus (Lazarus, 1966; Lazarus & Launier, 1978). Diese Stresskonzeption ist die theoretische Grundlage des vorliegenden Präventionsprogrammes für Kinder im Grundschulalter.
Dem transaktionalen Ansatz von Lazarus liegt die Annahme zugrunde, dass Stress nicht ausschließlich aus äußeren, auf das Individuum einwirkenden Reizen (Zeitdruck, Lärm, Hitze) resultiert. Vielmehr entsteht Stress zum einen in Abhängigkeit von der Art und Weise, wie Umweltereignisse vom Individuum wahrgenommen und bewertet werden, zum anderen in Abhängigkeit von den verfügbaren und genutzten Bewältigungsstrategien (s. Abb. 1). Voraussetzung für Stresserleben ist demnach ein gestörtes oder instabiles Gleichgewicht zwischen situationalen Anforderungen einerseits und den Bewertungen und Copingstrategien des Individuums andererseits.
Die Bewertungsprozesse sind ein grundlegender Faktor im Stressgeschehen, wobei zwischen primären und sekundären Bewertungen sowie Neubewertungen (tertiären Bewertungen) unterschieden wird. In der primären Bewertung werden Situationen oder Ereignisse als irrelevant, als positiv oder als stressbezogen eingeschätzt. Bei den stressbezogenen Bewertungen wird weiter differenziert in Schaden/Verlust (bei bereits eingetretener Schädigung), Bedrohung (bei erwarteter Schädigung oder erwartetem Verlust) und Herausforderung (bei erwarteter erfolgreicher Bewältigung einer risikoreichen Situation). Die Bewertung einer Situation als Herausforderung zeigt, dass das Erleben von Stress nicht ausschließlich negativ belegt sein muss.
In der sekundären Bewertung wird die Effektivität der eigenen zur Verfügung stehenden Bewältigungsressourcen beurteilt. In den Neubewertungen (tertiären Bewertungen) kommt es zu einer Veränderung der primären und sekundären Bewertung aufgrund von Hinweisen aus der Umwelt oder Rückmeldungen über das eigene Verhalten (z. B. hinsichtlich des Erfolgs der eingesetzten Bewältigungsmaßnahmen).
Eine bedeutende Größe im Stressprozess sind die eigenen Bewältigungskompetenzen. Unterschieden werden Strategien mit instrumenteller bzw. problemlösender Funktion und Strategien mit palliativer bzw. emotionsregulierender Funktion. Instrumentelle Strategien beziehen sich auf die konkrete Veränderung der Umwelt (z. B. Änderung der Zeitplanung, Reduktion von Lärmquellen) oder eigener Personenmerkmale (Ansprüche, Ziele, Gewohnheiten). Palliative |10|Strategien dienen der Kontrolle der somatischen und emotionalen Stressreaktionen (Ausruhen/Schlafen, sich abreagieren, Entspannungsübungen, Ablenkungen). Eine wichtige Voraussetzung für effektive Stressbewältigung besteht darin, einerseits über ein breites Spektrum an Copingstrategien zu verfügen, die sowohl instrumentelle als auch palliative Funktion haben, und diese Strategien andererseits situationsgerecht einsetzen zu können.
Abbildung 1: Grafische Darstellung des transaktionalen Stressansatzes (nach Lohaus & Vierhaus, 2019; modifiziert)
Die Untersuchung der Stressprozesse und ihrer Auswirkungen bei Kindern zeigt, dass bereits im Grundschulalter ein großer Teil der Schülerinnen und Schüler angibt, Stress zu erleben. In einer repräsentativen Studie des Instituts für Sozialforschung mit 4 691 Schülerinnen und Schülern der zweiten und dritten Grundschulklasse gaben 10 % der Kinder an, sich sehr oft gestresst zu fühlen. Weitere 15 % berichteten, sich oft gestresst zu fühlen. Manchmal gestresst zu sein, gaben 35 % an. Selten oder gar nicht gestresst waren nach eigenen Angaben 30 % bzw. 9 % der Kinder (Beisenkamp, Müthing, Hallmann & Klöckner, 2012; s. Abb. 2).
Nach Moore (1975) lassen sich drei Arten von Stressoren, die in der Kindheit von Bedeutung sein können, unterscheiden (s. auch Beyer & Lohaus, 2018):
Lebenskrisen (wie schwere Erkrankungen, Scheidung der Eltern, Tod eines Elternteils)
entwicklungsbedingte Probleme (wie Schuleintritt, Pubertät)
alltägliche Spannungen und Probleme.
Werden Kinder zum eigenen Stresserleben befragt, dann sind es vor allem die alltäglichen Spannungen und Probleme, die mit Stress in Zusammenhang gebracht werden.
|11|Lohaus (1990) befragte 342 Kinder und Jugendliche im Alter von 7 bis 16 Jahren zu ihren Erfahrungen mit Stress. 72 % der Sieben- bis Elfjährigen benannten konkrete Stresssituationen, überwiegend aus dem schul- und leistungsbezogenen Kontext (wie das Schreiben einer Klassenarbeit oder zu schwere bzw. zu viele Hausaufgaben), aber auch aus dem sozialen Bereich (wie Streit mit Freunden oder Eltern). Über die Verursachung von Stress hatten 36 % der Kinder und 17 % der Jugendlichen keine Vorstellung. Wenn Angaben gemacht wurden, nannten die jüngeren Schüler überwiegend externale Faktoren (wie Streitigkeiten oder Zeitdruck), die älteren Schüler nannten sowohl externale als auch internale Faktoren.
Abbildung 2: Stresserleben von Kindern der zweiten und dritten Grundschulklasse (nach Beisenkamp et al., 2012)
Auch andere Studien zeigen, dass Kinder im Alltag mit einer großen Bandbreite an Stressoren konfrontiert sind. Die größte Bedeutung kommt dabei Stressoren aus dem Schul- und Leistungskontext zu (vgl. Lohaus, Eschenbeck, Kohlmann & Klein-Heßling, 2018). Dies wird auch durch die Studie des Instituts für Sozialforschung belegt (Beisenkamp et al., 2012): Der größte Teil des Stresserlebens wird mit 33 % durch die Schule erzeugt, gefolgt von Ärger und Streit (21 %), Familie, Geschwister und Eltern (17 %), Gebote und Verbote (9 %) sowie Hetze und Eile (7 %).
In einer prospektiven Längsschnittuntersuchung mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 14 bis 24 Jahren konnten Asselmann, Wittchen, Lieb und Beesdo-Baum (2017) die vom transaktionalen Stressmodell postulierte Wechselwirkung zwischen Person und Umwelt beim Stresserleben von Heranwachsenden nachweisen und einen Zusammenhang mit dem Auftreten psychischer Erkrankungen zeigen. Alltägliche Spannungen und Probleme erhöhen das Risiko psychischer Erkrankungen nur bei Personen, die die Wirksamkeit ihres Bewältigungsverhaltens als niedrig einschätzen. Bei hoher wahrgenommener Wirksamkeit des eigenen Bewältigungsverhaltens erhöht eine hohe Anzahl alltäglicher Spannungen das Erkrankungsrisiko nicht. Die Autoren sehen vor diesem Hintergrund einen großen Nutzen von Stressmanagement-Interventionen, um bei hoher Belastung durch Daily hassles die Manifestation von Angststörungen und Affektiven Störungen zu verhindern.
Es gibt verschiedene Vorschläge zur Systematisierung von Copingstrategien. Die verbreitete Unterscheidung zwischen Strategien mit instrumenteller und Strategien mit palliativer Funktion wurde bereits dargestellt. Die meisten Systematisierungsansätze stimmen darin überein, dass Strategien, die direkt auf die Beeinflussung der stressauslösenden Situation bezogen sind, von stärker indirekten Strategien unterschieden werden, die entweder das Ausmaß der Konfrontation mit der stressauslösenden Situation reduzieren (z. B. durch Vermeidungsverhalten oder die Neudefinition von Zielen) oder aus der Konfrontation mit Stressoren resultierende Emotionen regulieren (s. zusammenfassend Carver & Connor-Smith, 2010; Eschenbeck, Schmid, Schröder, Wasserfall & Kohlmann, 2018).
Auf die Frage, was sie gegen Stress tun können, wissen jedoch nur wenige Kinder im Grundschulalter konkrete Antworten. In der Befragung von Lohaus (1990) waren sogar 25 % der befragten Kinder der |12|Meinung, gegen Stress könne nichts getan werden. Wenn Strategien benannt wurden, bezogen sie sich überwiegend auf die Veränderung der Zeitplanung oder die Einhaltung von Ruhepausen.
Defizite in der Kenntnis von Stressbewältigungsstrategien sind auch darauf zurückzuführen, dass Kindern nicht die gleichen Strategien zur Verfügung stehen wie Erwachsenen, da für sie Strategien mit Sanktionen verbunden sind, die bei Erwachsenen gebilligt werden. So zieht beispielsweise die Äußerung von Ärger oder Missfallen im Unterricht für Schüler häufig negative Konsequenzen nach sich, während sie einer Lehrerin oder einem Lehrer eher zugestanden wird. Ebenso wenig werden bei Kindern Tagträume während des Unterrichts geduldet, mit denen eine entspannende Wirkung verbunden sein kann. Auch verbieten sich einem Kind bestimmte Vermeidungsstrategien (Situation verlassen, Leistung einstellen), die von Erwachsenen potenziell eingesetzt werden können (s. auch Domsch, Lohaus & Fridrici, 2016).
Daneben gibt es auch Entwicklungsveränderungen im Einsatz von Bewältigungsstrategien von der Kindheit zur Jugend. Bei Kindern im Grundschulalter dominiert instrumentelles Bewältigungsverhalten, während Strategien mit palliativer Funktion in dieser Altersgruppe noch selten eingesetzt werden. Sie gewinnen aber im Jugendalter an Bedeutung (Eschenbeck, Kohlmann & Lohaus, 2007). Wie die Metaanalyse von Zimmer-Gembeck und Skinner (2011) zeigt, nehmen über das Alter hinweg nicht nur die Bewältigungskompetenzen zu (im Sinne eines breiteren verfügbaren Bewältigungsrepertoires), sondern auch die Fähigkeiten zu einem situationsgerechten Einsatz.
Beispielsweise hängt es wesentlich von der Kontrollierbarkeit einer Situation ab, ob problemorientiertes oder emotionsregulierendes Coping angemessen ist. In gut kontrollierbaren Stresssituationen sind instrumentelle Strategien, in wenig gut kontrollierbaren Situationen dagegen palliative Strategien effektiver (Hoffner, 1993; Yeo, Frydenberg, Northam & Deans, 2014). Die für eine situationsgerechte Auswahl von Bewältigungsverhalten erforderliche realistische Einschätzung der Kontrollierbarkeit einer Situation ist jedoch bei vielen Kindern nicht in hinreichendem Maße zu beobachten.
Ein guter Prädiktor für erfolgreiche Stressbewältigung ist die Verfügbarkeit allgemeiner Problemlösefähigkeiten (Cowen et al., 1992). Mit den Kompetenzen zur Problemdefinition, Lösungssuche, Entscheidungsfindung sowie der Erprobung und Bewertung von Lösungen können Kinder situationsspezifisch ihr individuelles Stressbewältigungsprogramm erarbeiten.
Stresserleben äußert sich in Beanspruchungssymptomen auf der physiologisch-vegetativen, der kognitiv-emotionalen und der verhaltensbezogenen Ebene. Physiologisch-vegetative Symptome zeigen sich, weil es in einer Stresssituation kurzfristig zu einer körperlichen Aktivierung und Mobilisierung der Widerstandskräfte kommt – eine Reaktion, die kurzfristig sinnvoll und adaptiv sein kann. Bei Daueraktivierung des Organismus können jedoch Ermüdungs- bis hin zu Erschöpfungszuständen die Folge sein. Auch Kopf- und Bauchschmerzen sowie Ein- und Durchschlafprobleme sind nicht selten. Da ein dauerhaftes Stresserleben weiterhin häufig mit einer immunsuppressiven Wirkung verbunden ist, kann es als weitere Folge zu einer erhöhten Anfälligkeit für Infektionserkrankungen (wie Erkältungen etc.) kommen (Gunnar & Quevedo, 2007).
Kognitiv-emotionale Stressreaktionen sind belastende Gedanken und Gefühle, die durch die Konfrontation mit einem Stressor ausgelöst werden. Körperliche Unruhe, Konzentrationsschwierigkeiten und Veränderungen des Sozialverhaltens zählen zu den potenziellen Stresssymptomen auf der verhaltensbezogenen Ebene. Auch Konzentrations- und Leistungsstörungen können als sichtbare Zeichen einer Überbelastung interpretiert werden.
Sind Kinder über längere Zeit starkem Stress ausgesetzt, ist das Risiko für psychische und physische Erkrankungen erhöht und es können körperliche, emotionale und behaviorale Manifestationen beobachtet werden (Barkmann, Braehler, Schulte-Markwort & Richterich, 2010; Burkhart, Horn Mallers & Bono, 2017). In einer Befragung von 1 014 Dritt- und Viertklässlern gaben 31.6 % an, mehrmals in der Woche nicht gut schlafen zu können, 15.1 % hatten mehrmals in der Woche keinen Appetit, 18.8 % Kopfschmerzen und 14.8 % Bauchschmerzen. Schwindel und Übelkeit wurden von 11.0 % und 7.1 % der Grundschüler angegeben (Basis: Normierungsstichprobe zum SSKJ 3 – 8-R; Lohaus et al., 2018; s. Abb. 3).
Bei einigen Befragten verbergen sich hinter den Beschwerden sicherlich auch akute oder chronische |13|Erkrankungen, die nicht mit Stressbelastungen in Zusammenhang stehen. Die Symptomhäufigkeiten liegen jedoch in Größenordnungen, die eine ausschließliche Erklärung durch akute oder chronische Erkrankungen unwahrscheinlich erscheinen lassen. Für Fünft- bis Zehntklässler konnten Lohaus, Beyer und Klein-Heßling (2004) zeigen, dass substanzielle Zusammenhänge zwischen dem Ausmaß des Stresserlebens und der von Schülern berichteten physischen und psychischen Symptomatik bestehen bleiben, auch wenn die Folgen akuter und chronischer Erkrankungen als Ursachen herausgerechnet wurden.
Abbildung 3: Nennung von körperlichen Symptomen durch Dritt- und Viertklässler (bezogen auf den Zeitraum von einer Woche; Lohaus et al., 2018)
Auch eine Studie von Ziegler (2015) belegt den Zusammenhang zwischen dem Stresserleben und den Symptomangaben von Kindern. Hier finden sich bei Kindern, die ein hohes Stresserleben angeben, deutlich mehr Müdigkeit, mehr Einschlafprobleme, mehr Kopfschmerzen und mehr Bauchschmerzen als bei Kindern, die über ein niedriges bis moderates Stresserleben berichten (s. Abb. 4).
Abbildung 4: Zusammenhang zwischen Stress und Symptomangaben (Ziegler, 2015)
Als protektive Faktoren werden Einflussgrößen bezeichnet, die bei hoher potenzieller Stressbelastung die Manifestation von Stresssymptomen verhindern.