Studien und Aphorismen - Franz Grillparzer - E-Book

Studien und Aphorismen E-Book

Franz Grillparzer

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Beschreibung

Dieser Sammelband beinhaltet Grillparzers wichtigste Studien und Aphorismen. Inhalt: Franz Grillparzer - Biografie und Bibliografie Aesthetische Studien. 1. Allgemeines. 2. Zur Poesie im allgemeinen. 3. Zur Dramaturgie 4. Zur Musik 5. Zu den bildenden Künsten u.a.

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Studien und Aphorismen

Franz Grillparzer

Inhalt:

Franz Grillparzer – Biografie und Bibliografie

Aesthetische Studien.

1. Allgemeines.

Zur Kunstlehre.

Grundsatz.

Zweck des Schönen.

Gesamtwirken und Sonderung der Seelenvermögen.

Deduktion des Schönen a priori

Unendlichkeit des Schönheitsgefühls.

Naturnachahmung des Wunderbaren.

Reiz der genauen Naturnachahmung.

Nachahmung der Natur als Zweck der Kunst

Wahrheit der Kunst.

Begeisterung.

Allegorie.

Typen der Einbildungskraft.

Form der Zweckmäßigkeit

Allgemeines.

Die Kunstverderber.

Ueber Dilettantismus.

Allgemeines.

Ueber Genialität.

2. Zur Poesie im allgemeinen.

3. Zur Dramaturgie

Über den gegenwärtigen Zustand der dramatischen Kunst in Deutschland

Vom Schicksal.

Theaterkritiken

Zur Musik

Theaterkritiken

Der Freischütz, Oper von Maria Weber

Euryanthe, Oper von K. M. Weber.

Robert der Teufel von Meyerbeer.

Erstes Auftreten der Dlle. Leeb.

Entwurf eines Berichtes über die Vollendung von Schuberts Grabdenkmal

5. Zu den bildenden Künsten

Sprachliche Studien

Neue Rechtschreibung

Aphorismen.

Studien und Aphorismen, F. Grillparzer

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN: 9783849626518

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Franz Grillparzer – Biografie und Bibliografie

Hervorragender Dichter, geb. 15. Jan. 1791 in Wien, gest. daselbst 21. Jan. 1872, war der Sohn eines geachteten Advokaten, der schon 1809 starb und seine Familie in Not zurückließ. Er studierte 1807–11 in Wien die Rechte, mußte sich aber frühzeitig nach Erwerb umsehen und trat 1813 als Konzeptspraktikant bei der niederösterreichischen Bankal-Gefällsadministration in den Staatsdienst, den er auch nicht wieder verließ, als er ein berühmter Dichter geworden war. 1823 wurde G. Hofkonzipist bei der Hofkammer (dem späteren Finanzministerium), 1832 ihr Archivdirektor, 1856 trat er als Hofrat in den Ruhestand. Verheiratet war er nie, obwohl er verlobt gewesen war und mit seiner Braut (Kathi Fröhlich, s. d.) bis zum Tode befreundet blieb. So einfach dieser Lebenslauf äußerlich zu sein scheint, so reich und merkwürdig ist Grillparzers innere und seine literarische Lebensgeschichte, die erst im letzten Jahrzehnt durch die Veröffentlichung seiner Tagebücher, Jugendwerke, Fragmente und kritischen Studien genauer bekannt geworden ist. Das Amt betrachtete G. wesentlich nur als Schutz für seine materielle Unabhängigkeit im dichterischen Schaffen, es legte ihm aber manchen Zwang auf und bestimmte vielfach auch sein literarisches Schicksal. Als G. heran wuchs, konnte er schon die Früchte der großen Blütezeit der deutschen Literatur genießen; Lessing, Herder, Schiller und Goethe wurden ihm vertraut, ihr Humanitätsideal wurde das seine, und er studierte auch eifrig die Kantsche Philosophie, deren Anhänger er zeitlebens blieb. G. wuchs ferner als Wiener in josephinisch-liberalen Traditionen auf, war ein eifriger Theaterbesucher, und die volkstümliche Literatur der Wiener Vorstadttheater wurde für die Bildung seines Geschmacks von nicht geringerer Wichtigkeit als das Studium der großen Tondichter Haydn, Mozart, Beethoven, das er mit Talent und Eifer pflegte. G. versuchte sich schon früh mit Kleinigkeiten in der dramatischen Kunst. 1807–1809 schrieb er ein weitschichtiges Trauerspiel. »Blanca von Kastilien«, das noch ganz im Banne Schillers (»Don Carlos«) steht (vgl. Hafner, Die Nachahmung Schillers im Erstlingsdrama Grillparzers »Blanca von Kastilien«, Meran 1901). Später ging ihm Sinn und Verständnis für die Kunst Goethes und Shakespeares auf, bis er seinen eignen Ton in dem prächtigen Torso einer (erst 1888 gedruckten) »Spartacus«-Tragödie fand, die seinem patriotischen Schmerz über die Franzosenherrschaft in Österreich vortrefflichen Ausdruck gibt. Auch mit der deutschen Romantik wurde G. vertraut; obgleich er sich später polemisch zu ihren Führern und Theorien stellte, so blieben sie doch nicht ohne Einwirkung auf ihn, indem sie ihm zum Studium der Spanier und zu seiner Anschauung der Geschichte die Anregung gaben. 1817 wurde in Wien seine erste Tragödie: »Die Ahnfrau«, ausgeführt und errang mit der stürmischen Leidenschaft ihrer Handlung und mit dem Zauber ihrer Sprache hier wie bald darauf in ganz Deutschland außerordentlichen Erfolg (vgl. Wyplel, Ein Schauerroman als Quelle der. Ahnfrau', im »Euphorion«, Bd. 7, Wien 1900; Kohm, Grillparzers Tragödie. 'Die Ahnfrau' in ihrer gegenwärtigen und frühern Gestalt, das. 1903). Nach diesem Werk zu urteilen, schien G. zur Gruppe der sogen. Schicksalsdichter zu gehören, und die »Ahnfrau« war in der Tat eine Schicksalstragödie. Aber schon ein Jahr später, 1818, lieferte er mit seinem klassisch vollendeten Trauerspiel »Sappho« den Beweis, das Eine Schicksalstragödie noch nicht den Charakter seines ganzen Dichtens bestimme. Daß dies aber von maßgebenden Kritikern seiner Zeit nicht bedacht wurde, und daß man ihn, ohne seine andern Werke zu prüfen, in die Reihe der Müllner und Houwald schob: das verdroß G. mit Recht sein lebelang und wurde der Grund für seine vielen bittern Urteile über deutsche Kritiker. In der »Sappho« stellte G. die Kluft zwischen Leben und Dichten, zwischen naiver Natur und reflektierender Genialität dar, »le malheur d'être poëte«, wie er selbst sagte. Mit diesem Seitenstück zu Goethes »Tasso« trat er in die Reihe der ersten dramatischen Dichter. Schon 1822 folgte seine große Trilogie. »Das Goldene Vlies«, bestehend aus den Dramen: »Der Gastfreund«, »Die Argonauten« und »Medea«, in denen G. wiederum das idyllische Glück der Natur und Naivität dem (ebenso natürlichen und eben darum tragischen) Streben nach bewußter Kultur, nach Größe und Ruhm gegenüberstellt. Denselben Gedanken verkörpert sein prächtiges dramatisches Märchen »Der Traum ein Leben« (1834): »Eines nur ist Glück hienieden,-Eins: des Innern stiller Frieden – Und die schuldbefreite Brust«. G. war nicht (wie Schiller) der Dichter der heroischen Tat, sondern des Zwiespalts zwischen Wollen und Können, den er auch persönlich am schmerzlichsten empfand; er war keine Kämpfernatur, sondern mied den politischen und literarischen Kampf in allzu scheuer Empfindlichkeit. Die Hinfälligkeit menschlicher Größe ist das tragische Grundmotiv auch seiner großen historischen Tragödie »König Ottokars Glück und Ende« (1825), welche eine Reihe österreichischer Historien eröffnen sollte. Im vormärzlichen Österreich, unter der Zensur- und Polizeiherrschaft, konnte jedoch solche Kunst nicht gedeihen, sie fand gar keine Unterstützung, ja, sie wurde geradezu unterdrückt. 1828 folgte »Ein treuer Diener seines Herrn«, eine Charaktertragödie, die lange Zeit ganz mißverstanden wurde und den Dichter, der mit Freimut einen Fürstenspiegel schuf, in den Verruf eines Fürstenknechtes brachte. Der Unverstand, mit dem diese, und die Kälte, mit der seine weihevolle Liebestragödie »Des Meeres und der Liebe Wellen« (1831) aufgenommen wurden, steigerten Grillparzers Neigung zur selbstquälerischen Schwermut ins Maßlose, so daß er an sich verzweifelte und sogar Selbstmordgedanken hegte. Mehrere Reisen, die er machte (1823 war er in Italien, 1826 in Deutschland und besuchte bei dieser Gelegenheit Goethe in Weimar, 1838 in Frankreich und England, 1843 in Athen und Konstantinopel), konnten sein Gemüt nicht befreien, und als 1838 sein geistvolles Lustspiel »Weh' dem, der lügt« in wenig ehrenvoller Weise abgelehnt wurde, da zog sich G. gänzlich von der Öffentlichkeit zurück und ließ kein neues Stück mehr ausführen. Doch trat er in den Stürmen des Jahres 1848 wieder Aufsehen erregend mit seinem Gedicht »An Radetzky« hervor. Denn wie sehr er auch unter dem Metternichschen System gelitten haben mochte, so schien ihm der Bestand und die Einheit seines geliebten Österreich von den Revolutionären gefährdet, und er rief dem Heerführer zu: »In deinem Lager ist Österreich!« Als Heinrich Laube Direktor des Wiener Hofburgtheaters war (1849–68), zog er die halbvergessenen Tragödien des vergrämten Dichters wieder aus Licht, und nun gelangten sie zu bleibender Geltung auf der deutschen Bühne. Grillparzers fernere Dichtungen von großer Bedeutung: »Die Jüdin von Toledo«, »Ein Bruderzwist im Hause Habsburg« und »Libussa«, gelangten erst nach seinem Tod in die Öffentlichkeit. nur das Fragment seiner herrlichen »Esther« erschien 1861 im »Dichterbuch« von Emil Kuh (ergänzt wurde es von N. Krauß, Stuttg. 1903). Seine langjährige Zurückgezogenheit füllte der Dichter mit literarischen Studien und mit der Abfassung von Epigrammen aus, die viel Bitterkeit, aber auch sehr viel Weisheit enthalten. Seine wundersam schöne Novelle »Der arme Spielmann« fand bei ihrer ersten Publikation 1848 keine große Verbreitung, une man sich überhaupt des hohen Wertes seiner Poesie, die auch be deutende lyrische Dichtungen (»Tristia ex Ponto« u. a.) enthält, erst nach seinem Tode bewußt wurde, als ihre Gesamtausgabe (10 Bde., Stuttg. 1871; 5. vermehrte Aufl., besorgt von A. Sauer, das. 1892–1894, 20 Bde.; 1902, 8 Bde.) erschien. Eine Ergänzung dazu bilden die »Briefe und Tagebücher«, herausgegeben von Glossy und Sauer (Stuttg. 1903, 2 Bde.). Sorgfältig kommentierte Ausgaben lieferten R. Franz (Leipz. 1903, 5 Bde.) und M. Necker (das. 1903, 16 Bde.). Die Zeitgenossen überhäuften den greifen Dichter mit Ehren: 1847 wurde er Mitglied der Akademie der Wissenschaften, 1361 Mitglied des österreichischen Herrenhauses, sein 30. Geburtstag wurde in außerordentlicher, Weise, als ein Fest von ganz Österreich gefeiert; aber alle diese späten Auszeichnungen konnten wenig an der Stimmung des Greises ändern. Die Nachwelt sucht sich in liebevoller Hingabe seiner geistigen Hinterlassenschaft zu bemächtigen. Am 23. Mai 1889 wurde im Wiener Volksgarten sein Denkmal (modelliert von Kundmann, mit Reliefs von Weyr; vgl. Tafel »Wiener Denkmäler«) errichtet. Aus der reichen Literatur über G. heben wir hervor: August Sauers biographische Einleitung zu Grillparzers sämtlichen Werken (Stuttg. 1892); das »Jahrbuch« der 1890 in Wien gegründeten Grillparzer-Gesellschaft (redigiert von Glossy, Wien 1890 ff.; enthält Briefe, Tagebücher, Abhandlungen etc. von und über G.); H. Laube, F. Grillparzers Lebensgeschichte (Stuttg. 1884); Lange, G., sein Leben, Dichten und Denken (Gütersl. 1894); W. v. Wartenegg, Erinnerungen an Franz G. (Wien 1901); Sittenberger, G., sein Leben und Wirken (Berl. 1903) und Studien zur Dramaturgie der Gegenwart (Münch. 1898); vortrefflich ist Ehrhard, Franz G. Le théâtreen Autriche (Par. 1900; deutsch von Necker, Münch. 1902); Auguste v. Littrow-Bischoff, Aus dem persönlichen Verkehr mit F. G. (Wien 1873); J. Minor, Rede auf G. (Leipz. 1892); Volkelt, Franz G. als Dichter des Tragischen (Nördling. 1888); Reich, Grillparzers Kunstphilosophie (das. 1890) und F. Grillparzers Dramen (Dresd. 1894); Schwering, F. Grillparzers hellenische Trauerspiele auf ihre literarischen Quellen und Vorbilder geprüft (Paderborn 1891); Farinelli, G. und Lope de Vega (Berl. 1894) und G. und Raimund (Leipz. 1897); Lichtenheld G.-Studien (Wien 1891); A. Klaar, König Ottokars Glück und Ende (Leipz. 1885); Schiller, Bilder aus G. (Wien 1902). Vgl. auch Tomanetz, Studien zur Syntax in Grillparzers Prosa (Wien 1894); Küchling, Studien zur Sprache des jungen G. (Leipz. 1901).

Aesthetische Studien.

1. Allgemeines.

Zur Kunstlehre.

Grundsatz.

(1819.)

Ich nehme mir bei diesen Anmerkungen vor, ohne Rücksicht auf ein System, über jeden Gegenstand dasjenige niederzuschreiben, was mir aus seinem eigenen Wesen zu fließen scheint. Die dadurch entstehenden Widersprüche werden sich am Ende entweder von selbst heben, oder, indem sie nicht wegzuschaffen sind, mir die Unmöglichkeit eines Systems beweisen.

Als die Natur lebende, selbstthätige Wesen erschuf, die vom mütterlichen Boden getrennt, und daher von der absolut zwingenden Naturnotwendigkeit emanzipiert fortleben und bestehen sollten, sicherte sie die Fortdauer ihres Werkes auf die zweckmäßigste Art dadurch, daß sie jeder auf diese Art freigegebenen Kraft, nebst dem Vermögen zu wirken, auch noch ein Streben nach Wirksamkeit und einen unwillkürlichen Drang nach allem gab, was diese Wirksamkeit erhalten und vermehren kann.

Diese Einrichtung, die man im allgemeinen mit dem Namen Trieb bezeichnet, äußert sich schon bei den Tieren auf eine höchst merkwürdige Art, Unter dem Namen des Instinkts bringt er, besonders in einzelnen Fällen und bei einzelnen Gattungen Wirkungen hervor, die durch ihre Vernunftähnlichkeit in Erstaunen setzen. Immer aber sichert er die Erhaltung und Fortpflanzung auf die unfehlbarste Weise.

Auch dem Menschen fehlen diese Triebe nicht. Er hat sie als Körperwesen, nicht in gleicher Stärke, aber ebenso unverkennbar als das Tier; er hat sie als Empfindungswesen, und Lieb' und Haß, Wohlgefallen und Abscheu bezeugen nur allzulaut ihre Gewalt; er hat sie als Vernunftwesen, als erkennendes, wollendes, ahnend-urteilendes Geschöpf, sich äußernd in seinem Streben nach dem Wahren, nach dem Guten, nach dem Schönen.

Unter hundert Menschen ist kaum einer, der einen tüchtigen, selbständigen Verstand hat; unter tausend kaum einer, der eine tüchtige lebhafte Phantasie hat; und unter zehntausend mit Verstand und Phantasie begabten Menschen kaum einer, bei dem beide Hand in Hand gehen können, wie sie es müssen, wenn ein Kunstwerk hervorgebracht werden soll.

Wozu also eine Aesthetik, wenn sie weder lehren kann, wie das Schöne hervorzubringen, noch, wie es mit Geschmack zu genießen ist? Dazu, weil es die Sache eines vernünftigen Menschen ist, sich von allen seinen Handlungen und Urteilen einen Grund angeben zu können. Wenn die Aesthetik auch keine Rechenkunst des Schönen ist, so ist sie doch die Probe der Rechnung.

Ich hätte fast Lust, jene Einteilung der Aesthetiker geradehin zu leugnen, nach welcher das Erhabene als ein eigenes Genus dem Schönen an die Seite gesetzt wird. Das Erhabene ist nichts als ein Modus des Schönen und als solcher dem Lieblichen entgegengesetzt, beide als letzte Grenzpunkte des Schönen, über die hinaus das Reich der Schönheit aufhört, in den Bezirken des Kleinlichen und Gigantesken. Das Gefühl des Erhebens über sich selbst, das den Menschen beim Ansehen des Erhabenen ergreifen soll und als charakteristisches Zeichen desselben angegeben wird, muß die Betrachtung jedes Schönen begleiten und ist eben das Merkzeichen, an dem sich das Schöne von dem bloß Wohlgefälligen ausscheidet.

Zweck des Schönen.

Man sagt: der Zweck des Schönen ist Vergnügen! Erstens: was heißt denn das: Zweck des Schönen? Der Zweck des Wahren ist das Wahre und der Zweck des Schönen das Schöne, denn, wenn man je auf die praktischen Wirkungen des Schönen achten will, wer wird da bloß das Vergnügen nennen, das auch das Angenehme hervorbringt und das Schöne nur insofern, als es auch angenehm ist, was nicht immer der Fall ist. (NB. Das ist nur wahr vom Vergnügen im gewöhnlichen Verstande; im höhern wird es vom Schönen immer hervorgebracht.) Rechnet man für nichts die Erhebung des Geistes, die Erhöhung des ganzen Daseins, das Thätigwerden von Gefühlen, die oft im ganzen wirklichen Leben eines Menschen nicht in Anregung kommen? Den Ueberblick über das Ganze des Lebens, die Einsicht in die eigene Brust, in das Getrieb eigener und fremder Leidenschaften? Das Wacherhalten des Enthusiasmus jeder Art, den die engen Verhältnisse der Bürgerwelt so leicht einschläfern? Ist das alles nichts, daß man nötig hat: durch das Unterschieben des bloßen Vergnügens als Zweck der Kunst den Künstler mit dem Taschenspieler in eine Klasse zu setzen?

Es gibt eine zweifache Art, die Welt zu betrachten: die wissenschaftliche und die beschauliche oder kontemplative. Die erste geschieht – freilich in ihrem Ursprunge durch die Sinnlichkeit vermittelt – fast ausschließlich durch das Erkenntnisvermögen. Von Wahrnehmungen zu Begriffen und von diesen zu Urteilen und Schlüssen emporsteigend, gewinnen wir eine Ansicht, die auf die Natur unsers Geistes gegründet, und bei gehöriger Deduktion, ebenso unerschütterlich als seine Gesetze, die Grundlage von allen dem ausmacht, was als Wissen die Welt erleuchtet und als Wahres sie beglückt. Diese Ansicht des All hat ihre Vorteile, aber auch ihre Nachteile. Das Vorteilhafte besteht – insofern sie sich innerhalb ihrer Grenzen hält – in der Beweisbarkeit ihrer Ansprüche; der Nachteil eben in diesen Grenzen. Gerade über das, was die Forschbegierde von jeher am meisten erregt, gerade über die großen Angelegenheiten der Menschheit, über den letzten Zusammenhang der Dinge, die unsichtbare Kette, die die Sinnenwelt und das darüber Befestigte mit einem Band verknüpft, gerade hierüber fühlt sie ihre Kraft versiegen, und – gewohnt in strenger Stufenfolge vorzugehen, sieht sie am Rande ihres Kreises wohl noch die Stangen der großen Leiter ins All hinaufreichen, aber ohne Sprossen, und sie sinkt zurück. Hier kann man nun allerdings die übrigen Vermögen der Seele den Platz der Zurückweichenden einnehmen lassen und mit ihnen den höhern Raum versuchen zu durchdringen, aber – für jeden Fall hört nun das Wissen mit seiner strengen Beweisbarkeit auf, und das erneuerte Beginnen fällt mit dem zusammen, was oben als der zweite Teil unseres Forschungsvermögens, mit dem Namen des Beschaulichen bezeichnet worden ist. –

Unter Beschauung verstehe ich jene Richtung des menschlichen Wesens, durch welche alle seine Kräfte und Vermögen, innere und äußere, ohne Sonderung, ohne daß eines oder das andere vorherrsche, wie in einem Brennpunkte auf einen Gegenstand geheftet werden, der dadurch umleuchtet, erhellt und mit einer Lebendigkeit ins Bewußtsein aufgenommen wird, die beinahe keinen Unterschied zwischen dem Gegenstande und seiner Vorstellung erkennen läßt. Diese Vorstellungsart schließt den Verstand und die Vernunft keineswegs aus, begreift sie vielmehr notwendig in sich, aber nur als Teil des Ganzen, ohne vorherrschende Gewalt.

Wie gefährlich die Wirkung dieses Beschauungsvermögens in seiner Anwendung auf Gegenstände des Wissens und als Supplement des Erkenntnisvermögens ist, haben die Erfahrungen aller Jahrhunderte nur zu deutlich gezeigt. Gar leicht mit der Vernunft vermischt, und seine Ausbeute unter dem Bilde derselben als Ideen ausprägend, veranlaßte sie um so leichter Irrtümer aller Art, als sie hier beinahe ohne Kontrolle ist und vor dem Vorwurfe des Nichtbegreifens gesichert, die Schuld des Nichtverstehens leicht von sich auf die Beschränktheit der Gegner wälzen konnte.

Allerdings aber gibt es eine Anwendung dieses Beschauungsvermögens, wo dasselbe der Kontrolle nicht entbehrt, insofern es nämlich sich bestrebt, das, was es geschaut, in einem Bilde darzustellen – insofern es zur Kunst wird. Denn da es das Eigentümliche eines Kunstwerkes ist, daß es die Idee, die Anschauung des Künstlers, nicht bloß für ihn selbst erkennbar ausdrückt, sondern auch zur Leiter diene, an der andere des Genusses Fähige zu der ihnen früher unbekannten Idee des Künstlers emporklimmen, so liegt eben in dieser Zugänglichkeit für andere die sicherste Bürgschaft ihrer Realität, ihrer Uebereinstimmung nämlich mit den innern und äußern Gesetzen der Natur.

Hiermit ist nun zweierlei ausgesprochen: Es gibt eine Kunst und es gibt Gesetze der Kunst, die aber nichts anders sind, als die Gesetze der geistigen und körperlichen Natur in ihrer Zusammenstimmung angewendet auf die Kunst. In ihrer Zusammenstimmung sage ich, denn da die Kunst auf einer inneren Anschauung beruht und somit ihrer Wesenheit nach, sowohl über die bloße Körperwelt hinausgeht, als auch – da nicht bloß die Vernunft, sondern alle Vermögen des inneren Menschen bei ihrer Hervorbringung thätig sind – nicht an die alleinige Gesetzgebung der Vernunft gebunden ist, aus diesen Gründen kann sie von beiden Gesetzgebungen nur so viel annehmen, als nötig ist, um nicht physisch unmöglich und logisch und moralisch widersprechend zu sein. Sie wird daher die sklavische Nachahmung der Natur von der einen Seite und die Strenge des Begriffs von der anderen Seite verschmähen, und ihre eigentlichste Aufgabe wird darin bestehen, in der Frucht ihrer Wirksamkeit wie in der Ursache ihres Entstehens beide Welten sich durchdringen und ohne Vorherrschen eine durch die andere sich verherrlichen zu lassen. Ist dies geschehen, hat sie das Mannigfaltige der Wahrnehmung im Einklange mit den Gesetzen des Geistes, aber ohne Vorherrschen des Begriffs für die Anschauung, zu einem Ganzen, zur Einheit gebracht, so hat sie ihren Zweck, das Schöne, erschaffen.

Die Einbildungskraft ist entweder reproduktiv, wenn sie bloß das Gegebene, Anwesende oder Abwesende vorstellt, oder sie ist produktiv, wenn sie bloß das Abwesende, als solches noch nicht Gegebene vorstellt. Jedoch gibt auch die produktive nicht den Stoff, den sie aus der Natur nimmt, sondern nur die Form, insofern sie den erhaltenen Stoff in neue Verbindungen bringt. Sie erhebt sich insofern über die Erfahrung und wird Phantasie genannt. Diese äußert sich entweder

als Kombinationsvermögen, indem sie die gegebenen Formen zu neuen, über die Erfahrung hinausgehenden Bildern vereinigt. Dies geschieht entweder unwillkürlich, wie im Traum, oder mit Willkür, und letzteres zwar entweder zu einem bestimmten Zwecke, unter der unmittelbaren Leitung des Verstandes, wie bei den mechanischen Künsten, oder ohne eigentlichen Zweck, in welchem Falle sie das Dichtungsvermögen heißt.Aeußert sie sich als Vermögen der Grundanschauungen (des Raumes, der Zeit, der Gestalt, der Dauer, des Grades, der Zahl etc.), welche Vorstellungen uns nicht durch die Erfahrung gegeben werden, daher sie auch reine Anschauungen heißen und die Einbildungskraft in Beziehung auf sie transcendental genannt wird.

Die kombinierende Phantasie liefert entweder 1. Bilder, die aus den Gesetzen der Gedankenassociation (durch das Gesetz der Zeitfolge und Gleichzeitigkeit, Aehnlichkeit und Verwandtschaft der Vorstellungen, sowie deren Beziehungen auf das individuelle Subjekt) zu erklären sind; oder 2. ihre Wirkungen sind aus dem Gesetze der Gedankenassociation nicht zu erklären; hier ist sie selbstthätig und macht die Grundbedingung des Dichtungsvermügens aus.

Gesamtwirken und Sonderung der Seelenvermögen.

Der Zustand, in welchem der menschliche Geist sich gegenwärtig befindet, ist nicht sein ursprünglicher. Jedermann gibt das zu hinsichtlich des Grades seiner Ausbildung; es gilt aber auch von der Art und Weise seines Wirkens. Der Geist des Menschen ist einer und die Abteilungen, in die wir ihn zum Behufe der Erkenntnis nach einzelnen Vermögen zerlegen, existieren weder wirklich, noch sind sie selbst im angenommenen Prinzip der Teilung so streng geschieden, als die Benennungen glauben machen könnten. Es gibt keinen Verstand ohne Urteilskraft, kein Denken ohne Erinnern, keine Vernunft ohne Phantasie; sie durchdringen sich wechselweise und nur das Vorherrschende gibt den Namen. Diese Sonderung ist schwer zu tadeln. Das Quantitative unserer Fortschritte hat dadurch gewiß unendlich gewonnen. Das ganze Verfahren ließe sich mit demjenigen ähnlichen vergleichen, durch welches die technischen Arbeiten der Ernährung, Bekleidung, Behausung, die im ursprünglichen Zustande jeder alle zu eigenem Gebrauche besorgt, beim Fortschreiten der Kultur aber jedes Einzelne einem einzelnen zugeteilt wird. Da ist nun nicht zu leugnen, daß der Schneider, der bloß schneidert, ein Kleid verfertigen werde, das die Fellbedeckung des Urmenschen unendlich übertrifft und ebenso der Schuster den Schuh und der Schreiner den Tisch; ob aber der Schneider als Mensch in seiner Gesamtbildung durch diese Teilung nicht ebensoviel verliert, als er als Schneider gewinnt, ist noch eine andere Frage. Ebenso ist es mit den Geistesfähigkeiten. Verstand und Vernunft z.B. haben durch jene Sonderung der Vermögen zwar allerdings einen Grad der Schärfe der Abstraktionsfähigkeit erreicht, der von vornherein beinah unmöglich scheinen müßte, und zur Erforschung und Zergliederung von Teilvorstellungen ist das gewiß höchst ersprießlich: aber wie nun? wenn es sich darum handelt, die Welt zu betrachten? Welche traurigen Resultate haben da die Erfahrungen der letzten Zeit gezeigt! und wer würde nicht da den ungetrübten Blick des Naturforschers vorziehen dem zersplitterten und zersplitternden des kritischen Philosophen? Je weiter wir in der Zeit zurückgehen, je weniger treffen wir diese strenge Sonderung der Vermögen und was die Schriften der Alten so anziehend, so unnachahmlich macht, ist eben dieses Hervorleuchten des ganzen Menschen, statt eines einzigen Vermögens. Sie überzeugen, wir wollen überweisen. Daher kommt es aber auch, daß selbst die Scharfsinnigsten der Alten für uns so wenig schließend scheinen. Dieses führt nun auf folgende Einteilung der Arten, die Welt zu betrachten (wissenschaftliche und beschauliche).

Deduktion des Schönen a priori

A priori läßt sich das Gefühl des Schönen durchaus nicht deduzieren. Es ist zwar von vornherein gewiß, daß dasjenige, was Ordnung und Harmonie in unsere Teilvorstellungen bringt, indem es das Auffassen erleichtert, eben dieser Erleichterung wegen ein gewisses Vergnügen erregen müsse, aber dieses Wohlgefallen ist von dem ästhetischen so himmelweit unterschieden, als die Berechnung der Quinte von ihrem Klang. A priori betrachtet, müßte das systematisch geordnete Lehrgebäude einer Wissenschaft ebensoviel Vergnügen machen, als das schönste Kunstwerk.

Unendlichkeit des Schönheitsgefühls.

Das Gefühl des Schönen ist ein unendliches