Sturmhöhe - Emily Brontë - E-Book
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Emily Bronte

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Beschreibung

Der alte Mr. Earnshaw hat aus den Elensquartieren von Liverpool einen kleinen Jungen auf seinen sturmumtosten Hof in Yorkshire mitgebracht. Seine Tochter Catherine empfindet für den schroffen und aufbrausenden Heathcilff, wie man ihn nennt, von Anfang an große Sympathie und Zuneigung, denn auch sie ist von schwierigem, leidenschaftlichem Temperament. Ihr Bruder Hindley begegnet dem Jungen mit eifersüchtigem Hass. Als Catherine im heiratsfähigen Alter jedoch einen anderen ihm vorzieht, verfolgt Heathcliff sie und alle, die ihr lieb und teuer sind, mit erbitterter und alles zerstörender Rache. "Die rücksichtslosesten Leidenschaften." Süddeutsche Zeitung Schon als Kinder waren sie unzertrennlich: Catherine von der Sturmhöhe und ihr Stiefbruder Heathcliff. Doch als Catherine einen anderen heiratet, verfolgt Heathcliff sie und ihre Familie mit seinem Hass bis in den Tod. Ein Roman um leidenschaftliche Liebe und alles zerstörende Rache. "Man kann dieses Buch schrecklich finden, furchtbar, irrlichternd und pedantisch destruktiv, erbarmungslos. Aber vergessen kann man es nicht." Die Zeit

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Emily  Brontë

Sturmhöhe

Roman

Aus dem Englischen von Gisela Etzel

Impressum

Titel der OriginalausgabeWuthering Heigths

Die Übersetzung wurde anhand des Originals von Ilka Saal und Gerhard Wolf durchgesehen, ergänzt und behutsam modernisiert.

ISBN 978-3-8412-0066-2

Aufbau Digital,

veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, 2010

Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin

Copyright © Aufbau Media GmbH, Berlin, 2005

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z. B. über das Internet.

Einbandgestaltung morgen, unter Verwendung eines Fotos von Kai Dieterich/bobsairport

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Innentitel

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

Impressum

Inhaltsübersicht

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

XIII.

XIV.

XV.

XVI.

XVII.

XVIII.

XIX.

XX.

XXI.

XXII.

XXIII.

XXIV.

XXV.

XXVI.

XXVII.

XXVIII.

XXIX.

XXX.

XXXI.

XXXII.

XXXIII.

XXXIV.

Emily Bronte,

Ausschnitt aus einem Gemälde ihres Bruders

Branwell Bronte.

I.

1801. – Ich bin soeben von einem Besuch bei meinem Hauswirt zurückgekehrt – dem einsiedlerischen Nachbarn, mit dem ich mich nun abgeben muß. Wirklich, dies ist ein prächtiges Land! In ganz England, glaube ich, hätte ich keine andere Gegend gefunden, die so völlig dem Getriebe der Gesellschaft entrückt ist. Für den Misanthropen ein wahres Eden! Und Mr. Heathcliff und ich sind so recht ein passendes Paar, diese Einsamkeit miteinander zu teilen. Ein kapitaler Kerl! Wie argwöhnisch er die schwarzen Augen zusammenkniff, als ich bei ihm vorritt, und wie mißtrauisch er die Hände tiefer in die Jackentaschen bohrte, als ich meinen Namen nannte! Das gewann ihm gleich mein Herz, wovon er freilich nichts ahnen mochte.

»Mr. Heathcliff?« fragte ich.

Er nickte.

»Mr. Lockwood, Ihr neuer Mieter«, stellte ich mich vor. »Ich gebe mir die Ehre, mein Herr, Sie sobald als möglich nach meiner Ankunft aufzusuchen, um die Hoffnung auszusprechen, daß ich Sie in meinem beharrlichen Bemühen, Thrushcross Grange als Wohnsitz zu erlangen, nicht etwa belästigt habe; ich hörte gestern, Sie hätten daran gedacht –«

»Thrushcross Grange gehört mir«, unterbrach er mich ausweichend. »Würde niemandem erlauben, mich zu belästigen, soweit ich es verhindern könnte –. Treten Sie ein!«

Das »treten Sie ein« war mit zusammengepreßten Zähnen gemurmelt worden und drückte den Gedanken aus: »Geh zum Teufel!« Selbst das Tor, an dem er lehnte, ließ seinen Worten keine einladende Bewegung folgen. Und dieser Umstand, glaube ich, veranlaßte mich, der Aufforderung Folge zu leisten. Ich fühlte Interesse für einen Mann, der noch unzugänglicher zu sein schien, als ich selbst es war.

Als er sah, daß die Brust meines Pferdes sich gegen das Tor preßte, zog er eine Hand hervor und öffnete. Dann ging er mürrisch vor mir die Allee hinauf. Als wir den Hof betraten, rief er: »Josef, nimm Mr. Lockwoods Pferd und bring Wein herauf«.

Aha, da haben wir anscheinend das gesamte Dienstpersonal, schloß ich aus diesem bündigen Auftrag. Kein Wunder, daß zwischen den Pflastersteinen Gras wächst und daß nur das liebe Vieh für das Beschneiden der Hecken sorgt.

Josef war ein ältlicher, nein, ein alter Mann; sehr alt vielleicht, obschon stark und sehnig. »Gott helf uns!« murmelte er leise und sichtlich mißvergnügt, als er mir vom Pferd half. Dabei sah er mich mit so sauerer Miene an, daß ich mitleidig vermutete, er bedürfe, um sein Mittagessen zu verdauen, tatsächlich göttlicher Hilfe und sein frommer Ausruf habe zu meiner unerwarteten Ankunft keine Beziehung.

Wuthering Heights, Sturmheidhof, heißt Mr. Heathcliffs Wohnort; der Name soll den atmosphärischen Tumult bezeichnen, dem dieser Ort bei stürmischem Wetter ausgesetzt ist. Einen reinen, stärkenden Luftzug müssen sie dort in der Tat haben. Man kann sich die Gewalt des um die Ecken des Gutshofs blasenden Nordwinds vorstellen, wenn man die schiefe, geduckte Haltung der paar verkümmerten Föhren, die hinter dem Haus stehen, betrachtet und die Reihe dürrer Dornbüsche, die alle ihre Glieder nach einer Richtung drehen, als erbettelten sie Almosen von der Sonne. Glücklicherweise hatte der Baumeister Voraussicht genug, ein festes Haus aufzurichten. Die schmalen Fenster sind tief in die Mauern eingelassen und die Hausecken sind mit gewaltigen Ecksteinen verteidigt.

Ich blieb ein Weilchen auf der Schwelle stehen, um die reichen Ornamente der Vorderseite, die besonders verschwenderisch das Haupttor umrahmten, zu betrachten. Über dem Portal entdeckte ich unter einer Vielzahl zerbröckelnder Greife und schamloser kleiner Buben die Jahreszahl 1500 und den Namen Hareton Earnshaw. Ich hätte gern einige Fragen gestellt und den Eigentümer um eine kurze Geschichte des Ortes gebeten, aber seine Haltung an der Tür schien mein schleuniges Eintreten oder gänzliches Verschwinden zu erwarten, und ich hatte keine Lust, seine Laune zu verschlimmern – wenigstens nicht ehe ich das Hausinnere besichtigt hatte.

Ein Schritt brachte uns – nicht etwa in den Flur, sondern geradewegs in das Wohnzimmer, das hier meistens »Diele« genannt wird. Es dient für gewöhnlich sowohl als Küche wie als Wohnraum. Aber auf Wuthering Heights hatte die Küche sich wohl in einen anderen Teil des Hauses zurückziehen müssen, denn ich vernahm tief aus dem Inneren Stimmengeplapper und das Klirren von Küchengeräten; auch bemerkte ich hier am großen Herd keine Spuren des Kochens, Bratens oder Backens, und an den Wänden hingen keine kupfernen Pfannen und blechernen Siebe. Eine Wand allerdings erstrahlte in prächtigen Lichtreflexen; hier türmte sich auf einem riesigen eichenen Büfett Reihe über Reihe zinnerner Schüsseln, zwischen denen silberne Kannen und Becher standen, bis zur Decke empor. Diese war nie getüncht worden: ihre gesamte Balkenstruktur bot sich nackt den forschenden Blicken dar, ausgenommen dort, wo ein mit Haferbroten und Schweineschinken hoch beladenes Hängebrett sie verbarg. Über dem Kamin hingen mehrere herkömmliche alte Flinten und einige Reiterpistolen; auf dem Sims standen als einziger Schmuck drei bunt bemalte Blechbüchsen. Den Fußboden bildeten glatte weiße Steinfliesen. Die einfachen hochlehnigen Stühle waren grün gestrichen. Ein oder zwei schwarze Lehnsessel verbargen sich im Schatten. In einem Bogen unter dem Büfett lag eine riesige rehfarbene Pointer-Hündin, umringt von einer Schar quiekender Jungen. Und weitere Hunde streckten sich auf anderen Lagerplätzen aus.

Der Raum samt Einrichtung hatte durchaus nichts Auffallendes, nur hätte er einem schlichten Bauern von steifer Haltung und stählernen Gliedmaßen, der in Kniehosen und Stulpenstiefeln seiner Arbeit nachgeht, gehören sollen. Solch einen Bauern, behäbig im Armstuhl sitzend, den schäumenden Bierkrug vor sich auf dem runden Tisch, kann man zwischen den Heidhügeln im Umkreis von fünf, sechs Meilen überall finden, wenn man nur rechtzeitig nach Tisch aufbricht. Mr. Heathcliff aber steht in zu seltsamem Kontrast zu seiner Behausung und Lebensweise. Er ist dem Äußeren nach ein schwarzer Zigeuner, nach Kleidung und Manieren ein Edelmann; das heißt, ein Edelmann wie die anderen Gutsbesitzer auch: ziemlich ungepflegt vielleicht, auch ziemlich mürrisch, und doch infolge seiner aufrechten und wohlgebildeten Figur nicht übel wirkend. Möglich, daß manche Leute ihn etwas dummstolz finden, mir sagt eine innere Stimme, daß er das nicht ist. Ich fühle vielmehr instinktiv: seine Zurückhaltung entspringt einem Widerwillen gegen übermäßige Gefühlsäußerungen – gegen gegenseitige Freundlichkeitsbezeigungen. Gewiß wird auch er lieben und hassen, aber im geheimen; würde man ihn jedoch wiederlieben oder -hassen, so würde er das wahrscheinlich als Impertinenz betrachten.

Nein, ich gehe doch zu weit. Ich bedenke ihn zu freigebig mit meinen eigenen Attributen. Wenn Mr. Heathcliff sich einer oberflächlichen Bekanntschaft gegenüber reserviert verhält, so mag er ganz andere Gründe dafür haben, als ich im gleichen Falle hätte. Mein Charakter ist, wie ich hoffe, ziemlich einzigartig. Meine liebe Mutter pflegte zu sagen, ich würde nie ein behagliches Heim haben; und erst letzten Sommer bewies ich mich eines solchen vollkommen unwürdig.

Während ich am Meeresstrand einen sonnigen Monat genoß, brachte mich der Zufall in die Gesellschaft eines berückenden Geschöpfes: in meinen Augen eine Göttin – solange sie mich beachtete. Ich sprach meine Liebe niemals aus; dennoch – wenn Blicke reden könnten, so hätten die meinigen selbst einem Idioten verraten, daß ich bis über die Ohren verliebt war. Sie verstand mich schließlich und schickte Antwort: den denkbar süßesten aller Blicke. Und was tat ich? Ich bekenne es schamvoll: ich zog mich frostig in mich selbst zurück, wie eine Schnecke, – mehr und mehr nach jedem Augenaufschlag; bis endlich die arme Unschuld ihren eigenen Sinnen nicht mehr traute und, über ihren vermeintlichen Irrtum ganz niedergeschmettert und verwirrt, ihre Mutter überredete, das Feld zu räumen. Dies mein seltsames Benehmen brachte mich in den Ruf mutwilliger Herzlosigkeit; wie unverdient, weiß allein ich zu beurteilen.

Ich setzte mich in der Nähe des Herdes auf einen Stuhl, demjenigen gegenüber, dem sich mein Hauswirt zuwandte, und wollte eine Gesprächspause durch den Versuch, die Hundemutter zu streicheln, ausfüllen; sie hatte ihre Kinderstube verlassen und schlich mit gekräuselter Oberlippe und fletschenden Zähnen hinten um meine Beine herum. Meine Liebkosung veranlaßte sie zu einem langen Knurren.

»Sie täten besser, den Hund in Ruh zu lassen«, grollte Mr. Heathcliff und versetzte dem Tier sogleich einen Fußtritt. »Sie ist nicht gewöhnt, verhätschelt zu werden. Ist kein Schoßhündchen.« Dann wandte er sich einer Seitentür zu und rief wieder: »Josef!«

Josef antwortete aus den Tiefen des Kellers mit unverständlichem Gemurmel, kam aber nicht herauf. So tauchte sein Herr zu ihm hinunter und ließ mich mit der rauflustigen Hündin und einem Paar grimmiger zottiger Schäferhunde allein, die gemeinsam alle meine Bewegungen mißtrauisch überwachten. Ich hatte keine Lust, die Bekanntschaft ihrer Raubtiergebisse zu machen, und saß daher still. Da ich aber annahm, daß sie mimische Beleidigungen nicht bemerken würden, begann ich unglücklicherweise dem Trio Fratzen zu schneiden, und irgendein Ausdruck meines Gesichtes irritierte Madame derart, daß sie plötzlich in Wut ausbrach und auf meine Knie sprang. Ich schüttelte sie ab und beeilte mich, den Tisch zwischen uns zu rücken. Dies Vorgehen brachte die ganze Bande auf die Beine: ein halb Dutzend vierfüßiger Feinde, jeder Größe und jeden Alters, sprang aus verborgenen Winkeln in die Mitte des Raumes. Meine Absätze und Rockschöße bildeten ihre Angriffspunkte. Die größeren Streiter wehrte ich, so gut ich konnte, mit dem Schüreisen ab, doch war ich gezwungen, laut um den Beistand eines der Hausbewohner zu rufen, damit der Friede wiederhergestellt werde.

Mr. Heathcliff und sein Diener erstiegen die Kellertreppe mit empörender Langsamkeit. Ich glaube nicht, daß sie es um eine Sekunde eiliger hatten als sonst, obwohl im Wohnzimmer ein wahrer Sturm tobte. Glücklicherweise war ein Wesen aus der Küchenregion schneller: eine resolute Person mit hochgeschürztem Kleid, nackten Armen und feuergeröteten Backen stürzte, eine Bratpfanne schwingend, in unsere Mitte und machte von dieser Waffe und ihrer Zunge so ausgiebigen Gebrauch, daß der Aufruhr wie mit einem Zauberschlag sich legte und nur sie zurückblieb, hochatmend wie das Meer im Sturm. Da betrat ihr Herr die Szene.

»Was zum Teufel ist denn hier los?« fragte er, mich in einer Weise fixierend, die ich nach dieser ungastlichen Behandlung nur schlecht vertragen konnte.

»Ja zum Teufel, was wohl!« brummte ich. »Ihre Bestien sind ja wie besessen, Herr; Sie könnten einen Fremden ebensogut mit einer Brut von Tigern allein lassen!«

»Um Leute, die keine Gegenstände anfassen, kümmern sie sich nicht«, bemerkte er, stellte die Flasche vor mich hin und rückte den Tisch wieder an seinen Platz. »Es ist gut, daß die Hunde wachsam sind. – Ein Glas Wein gefällig?«

»Nein, danke.«

»Doch nicht etwa gebissen, wie?«

»Wenn ich es wäre, so wäre es dem Beißer übel ergangen.«

Heathcliffs Antlitz erheiterte sich zu einem Grinsen.

»Nun, nun«, sagte er, »Sie sind aufgeregt, Mr. Lockwood. Hier, trinken Sie ein Glas Wein. Gäste sind in diesem Haus so außerordentlich selten, daß ich und meine Hunde, wie ich gern zugebe, sie kaum zu empfangen verstehen. Auf Ihr Wohl, Herr!«

Ich verneigte mich und erwiderte den Tost, denn ich begann einzusehen, daß es albern war, wegen des schlechten Betragens von ein paar Kötern verdrießlich zu sein. Außerdem war ich nicht geneigt, den alten Gesellen auf meine Kosten noch weiter zu amüsieren. Er – wahrscheinlich einsichtsvoll erkennend, wie unklug es sei, einen guten Mieter zu kränken – mäßigte etwas seine lakonische Art und kam auf eine Sache zu sprechen, die, wie er meinte, von Interesse für mich wäre. Er brachte das Gespräch auf die Vor- und Nachteile meines gegenwärtigen Aufenthaltsortes. Er behandelte dies Thema sehr gewandt, und ehe ich heimkehrte, fühlte ich mich ermutigt genug, für morgen einen zweiten Besuch zu planen. Er selbst wünschte offenbar keineswegs, nochmals durch mich belästigt zu werden; ich werde dessen ungeachtet hingehen. Es ist erstaunlich, wie gesellig ich mir vorkomme im Vergleich zu ihm.

II.

Neblig und kalt setzte der gestrige Nachmittag ein. Ich hatte so halb und halb die Absicht, ihn am warmen Ofen meines Arbeitszimmers zu verbringen, anstatt über Hügel und Moor nach Wuthering Heights zu traben. Als ich jedoch nach Tisch (notabene – ich speise um ein Uhr; die Haushälterin, eine redliche Frau, die als Erbstück mit dem Haus alt geworden, konnte oder wollte meinen Wunsch, gegen fünf Uhr zu dinieren, nicht verstehen) – als ich also nach Tisch mit diesem Vorhaben die Treppe hinaufstieg und das Zimmer betrat, fand ich dort eine Dienstmagd, die, von Besen und Kohleneimern umgeben, vor dem Feuer kniete und höllischen Staub und Rauch aufwirbelte, indem sie die Flammen durch fortwährendes Nachschütten von Kohlen erstickte. Dieser Anblick trieb mich augenblicklich wieder zurück. Ich nahm meinen Hut, und nach einem Gang von vier Meilen erreichte ich Heathcliffs Gartentor, gerade noch rechtzeitig, um den ersten flaumigen Flocken eines Schneetreibens zu entkommen.

Auf dieser kalten Hügelhöhe war die Erde vom Frost hartgefroren, und die Luft ließ mich an allen Gliedern beben. Da es mir nicht möglich war, die Kette zu lösen, sprang ich über den Zaun, rannte die gepflasterte und mit Stachelbeersträuchern eingefaßte Allee hinauf und pochte um Einlaß, bis meine Knöchel schmerzten und die Hunde heulten. Aber es war vergeblich.

»Nichtswürdige Insassen!« stieß ich in Gedanken hervor, »für eure grobe Ungastlichkeit verdient ihr gänzliche Isolierung von der Menschheit. Zumindest würde ich nicht auch noch während des Tages meine Tür verriegelt halten. Aber was kümmert es mich. Ich werde auch so hineinkommen.«

Entschlossen ergriff ich die Klinke und rüttelte heftig daran. Josefs saures Gesicht blickte aus einem der runden Stallfenster.

»Wat ’s los?« schrie er. »De Här is drunnen uf der Schafweid. Geht ’nunner, wann ’r mit ihm sprechen wollt.«

»Ist niemand im Haus, um die Tür zu öffnen?« rief ich als Antwort.

»Da is niemand als die Fraa, un die macht nit uff, und wann ’r Eich bis in d’ Nacht abschinnen dut.«

»Warum? Können Sie ihr denn nicht sagen, wer ich bin? He, Josef?«

»Ich bedank mich davor! Ich will nix damit z’ dun han«, brummte er und zog den Kopf zurück.

Es begann stärker zu schneien. Ich erfaßte die Klinke, um einen neuen Versuch zu machen, als ein junger Mann ohne Rock, eine Mistgabel schulternd, hinten im Hof erschien. Er rief mir zu, ihm zu folgen, und nachdem wir eine Waschküche und einen gepflasterten Vorraum durchschritten hatten, auf dem sich ein Kohlenschuppen, ein Brunnen und ein Taubenhaus befanden, erreichten wir schließlich das große, warme, liebenswürdige Gemach, in dem man mich gestern empfangen hatte. Es glühte herrlich im Glanz eines mächtigen Feuers, das aus einem Berg von Holz, Torf und Kohlen hervorloderte. Und nahe dem Tisch, der mit einem reichlichen Nachtmahl besetzt war, bemerkte ich zu meiner Freude die »Fraa«, eine Persönlichkeit, deren Existenz ich bisher durchaus nicht vermutet hatte. Ich verbeugte mich und wartete, da ich annahm, sie würde mich auffordern, Platz zu nehmen. Sie lehnte sich jedoch in ihren Stuhl zurück und sah mich an – und blieb regungslos und stumm.

»Rauhes Wetter!« bemerkte ich. »Ich fürchte, Mrs. Heathcliff, die Tür leidet unter der nachlässigen Aufmerksamkeit Ihrer Dienstboten: ich hatte es schwer, mich bemerkbar zu machen.«

Sie öffnete nicht den Mund. Ich starrte sie an – wie sie mich; wenigstens ruhten ihre Blicke auf mir, kühl und gleichgültig und verwirrend.

»Setzen Sie sich«, sagte der junge Mann barsch. »Er wird bald kommen.«

Ich gehorchte; und ich räusperte mich und rief die niederträchtige Juno, die bei dieser zweiten Begegnung die äußerste Spitze des Schwanzes zu bewegen geruhte, gewissermaßen zum Zeichen, daß sie meine Bekanntschaft anerkannte.

»Ein schönes Tier!« begann ich wieder. »Gedenken Sie sich von den Kleinen zu trennen, gnädige Frau?«

»Sie sind nicht mein«, sagte die liebenswürdige Wirtin, abweisender als selbst Heathcliff geantwortet hätte.

»Ah, dies sind Ihre Lieblinge?« fuhr ich fort, mich nach einem dunklen Kissen wendend, auf dem, wie mir schien, junge Katzen lagen.

»Merkwürdige Lieblinge!« sagte sie verächtlich.

Unglücklicherweise war es ein Haufen toter Kaninchen. Ich räusperte mich nochmals und rückte näher zum Feuer, meine Bemerkung über das schlechte Wetter wiederholend.

»Sie hätten nicht herkommen sollen«, sagte sie, indem sie sich erhob und nach den bemalten Büchsen auf dem Kaminsims langte.

Sie hatte bisher im Schatten gesessen, jetzt erst hatte ich einen klaren Anblick ihrer Gestalt und ihres Gesichtes. Sie war schlank und anscheinend noch sehr jung: eine herrliche Figur und das entzückendste kleine Gesicht, das ich je gesehen hatte; feine Züge, sehr blond; flachsfarbene, nein goldene Locken, lose auf den zarten Hals niederfallend, und Augen, die, wenn sie freundlich geblickt hätten, unwiderstehlich gewesen wären. Zum Glück für mein empfängliches Herz schwankte ihr Ausdruck nur zwischen Verachtung und einer Art Verzweiflung, die für diese jungen Augen außerordentlich befremdend war.

Die Büchsen waren fast unerreichbar für sie. Ich machte eine Bewegung, ihr zur Hilfe zu kommen. Sie drehte sich zu mir um, zornig wie ein Geizhals, dem jemand den Vorschlag gemacht hat, ihm ein wenig beim Zählen seines Geldes zu helfen.

»Ich brauche Ihre Hilfe nicht«, fuhr sie mich an, »ich kann sie allein herunterholen.«

»Ich bitte um Verzeihung!« beeilte ich mich zu erwidern.

»Hat man Sie zum Tee gebeten?« fragte sie, vor ihr sauberes schwarzes Kleid eine Schürze bindend, und beugte sich mit einem Löffel Teeblätter über den Topf.

»Ich würde mich freuen, eine Tasse zu bekommen«, antwortete ich.

»Hat man Sie eingeladen?« wiederholte sie.

»Nein«, sagte ich lächelnd, »aber Sie sind ja die geeignete Person, dies nachzuholen.«

Sie warf Tee und Löffel fort, nahm ihren Stuhl wieder ein und runzelte die Stirn und schob die Unterlippe vor, wie ein Kind, das weinen will.

Nun stellte sich der junge Mann, der sich inzwischen einen arg fadenscheinigen Rock übergeworfen hatte, vor dem Feuer auf und blickte mich von der Seite an, als bestände zwischen uns eine tödliche Feindschaft. Mir kamen Zweifel, ob er nur ein Dienstbote sei. Seine Kleidung war ordinär, und seine Sprechweise entbehrte völlig jener Überlegenheit, die Mr. und Mrs. Heathcliffs Benehmen zeigte. Seine dicken braunen Locken waren rauh und ungepflegt, sein Bart verwildert und seine Hände gebräunt, wie diejenigen eines gewöhnlichen Arbeiters. Dennoch war sein Benehmen frei, fast hochmütig, und er bezeigte der Dame des Hauses keine dienstbotenhafte Aufmerksamkeit. In Ermangelung klarer Beweise für seine Stellung schien es mir geraten, sein seltsames Betragen nicht zu bemerken, und fünf Minuten später befreite mich das Eintreten Heathcliffs zumindest teilweise aus meiner unbehaglichen Situation.

»Sie sehen, mein Herr, ich bin meinem Versprechen gemäß gekommen!« rief ich munter; »und ich fürchte, das Wetter wird mich für eine halbe Stunde hier festhalten, falls Sie mir für diese Zeit Unterkunft gewähren können.«

»Halbe Stunde?« sagte er, die weißen Flocken von seinen Kleidern schüttelnd. »Sollte mich wundern, wenn Sie Lust hätten, durch den dicken Schneesturm zu wandern. Wissen Sie, daß Sie Gefahr laufen, sich in den Sümpfen zu verirren? Selbst Leute, die mit den Mooren hier gut bekannt sind, verlieren an solchen Abenden häufig den Weg. Und ich kann Ihnen sagen, es besteht vorläufig keine Aussicht auf einen Wetterumschlag.«

»Vielleicht könnte einer Ihrer Leute mich führen und bis zum Morgen auf Thrushcross Grange bleiben – könnten Sie einen entbehren?«

»Nein, keinen.«

»O – –. Nun gut, dann muß ich mich eben auf meinen eigenen Spürsinn verlassen.«

»Hm!«

»Gibt’s bald Tee?« fragte der mit dem schäbigen Rock und wandte seinen grimmigen Blick von mir zu der jungen Dame.

»Soll er welchen haben?« fragte sie, sich an Heathcliff wendend.

»Mach ihn schon fertig, hörst du!« war die grobe Antwort, die mich zusammenfahren ließ. Der Ton, in dem dies gesagt wurde, verriet ein wahrhaft böses Naturell. Ich sah mich nicht weiter veranlaßt, Heathcliff einen prächtigen Kerl zu nennen.

Als die Vorbereitungen beendet waren, lud er mich mit einem »Nun, Herr, rücken Sie Ihren Stuhl heran« ein. Und wir alle, einschließlich des bäurischen Jünglings, setzten uns zu Tisch. Es herrschte finsteres Schweigen, während wir aßen und tranken.

Ich dachte, wenn ich diese Wolke heraufbeschworen habe, so muß ich einen Versuch machen, sie wieder zu vertreiben. Sie konnten doch nicht alle Tage so grimmig und stumm dasitzen: so übellaunig diese Menschen auch sein mochten, schien es mir doch undenkbar, daß sie dies böse Stirnrunzeln alltäglich zur Schau trugen.

»Es ist merkwürdig«, begann ich also, während ich mir eine zweite Tasse Tee einschenken ließ, »es ist merkwürdig, wie die Gewohnheit unseren Geschmack und unsere Anschauungen beeinflussen kann. Viele könnten nicht begreifen, daß ein so völlig von der Welt abgeschlossenes Leben, wie Sie, Mr. Heathcliff, es führen, noch Freude bieten könne. Trotzdem wage ich zu sagen, daß Sie, umgeben von Ihrer Familie und an der Seite Ihrer liebenswürdigen Gefährtin, dieser gute Geist über Ihr Herz und Heim …«

»Meine liebenswürdige Gefährtin!« unterbrach er mich mit einem diabolischen Grinsen. »Wo ist sie – meine liebenswürdige Gefährtin?«

»Mrs. Heathcliff, Ihre Gattin, meine ich.«

»So, ja – o, Sie wollen andeuten, daß ihr Geist gewissermaßen als Engel Wuthering Heights bewacht, wenn auch ihr Leib dahingegangen ist. Habe ich Sie recht verstanden?«

Meinen Irrtum gewahrend, versuchte ich, ihn wiedergutzumachen. Ich hätte sehen können, daß ein zu großer Altersunterschied zwischen den beiden bestand, um es glaubhaft erscheinen zu lassen, daß sie Mann und Frau seien. Er war ungefähr vierzig, ein Alter, in dem der Mann sich selten der Täuschung hingibt, daß ein junges Mädchen ihn aus Liebe heirate. Der Traum ist dem Greisentum aufgespart.

Sie sah nicht älter aus als siebzehn.

Dann fiel mir blitzartig ein: der Tölpel an meiner Seite, der seinen Tee aus der Untertasse schlürft und sein Brot mit ungewaschenen Händen ißt, könnte ihr Mann sein – Heathcliff junior selbstredend. Da hat man die Folgen des Lebendigbegrabenseins. Sie hat sich an diesen Bauern weggeworfen aus purer Unkenntnis dessen, daß bessere Männer existieren! Wie schade – hoffentlich werde ich nicht die Veranlassung werden, daß sie ihre Wahl bereut. Diese letzte Betrachtung klingt vielleicht etwas dünkelhaft; sie ist es nicht. Mein Nachbar erschien mir beinahe abstoßend. Dagegen wußte ich aus Erfahrung, daß ich ziemlich anziehend war.

»Mrs. Heathcliff ist meine Schwiegertochter«, sagte Heathcliff, meine Vermutung bestätigend. Dabei warf er ihr einen sonderbaren Blick zu – einen Blick voll tiefsten Hasses; es sei denn, daß seine Augen nicht wie die Augen anderer Menschen die Sprache der Seele sprachen.

»Ah gewiß, jetzt verstehe ich: Sie sind der glückliche Besitzer dieser gütigen Fee«, bemerkte ich, mich meinem Nachbar zuwendend.

Der Bursche wurde blutrot und ballte die Faust. Er schien handgreiflich werden zu wollen. Doch faßte er sich schnell wieder und beruhigte den Sturm in seinem Inneren durch halblaute Verwünschungen gegen mich, die ich jedoch nicht beachtete.

»Kein Glück in Ihren Mutmaßungen, Herr«, sagte mein Gastgeber; »keiner von uns hat das Vorrecht, Ihre gute Fee sein eigen zu nennen; ihr Mann ist tot. Ich sagte, sie sei meine Schwiegertochter, so muß sie also meinen Sohn geheiratet haben.«

»Und dieser junge Mann hier ist –«

»Nicht mein Sohn, gewiß nicht.«

Heathcliff lächelte wieder, als sei es doch ein zu kühner Scherz, ihm die Vaterschaft über diesen ungeschlachten Bären zuzumuten.

»Mein Name ist Hareton Earnshaw«, grollte der andere, »und ich möcht Ihnen raten, ihn zu achten!«

»Ich habe keine Mißachtung gezeigt«, war meine Antwort, während ich heimlich über die Würde lachte, mit der er sich vorstellte.

Er heftete den Blick auf mich, länger als mir daran lag, ihn zu erwidern, denn ich fürchtete in Versuchung zu kommen, ihm entweder ein paar herunterzuhauen oder meine Heiterkeit laut werden zu lassen. Ich begann, mich in diesem liebenswürdigen Familienkreis unaussprechlich überflüssig zu fühlen.

Das körperliche Wohlbehagen, das der warme Raum bereitete, ging völlig in der unerquicklichen Stimmung unter, die diese Menschen zu verbreiten wußten. Ich beschloß, mich wohl zu hüten, ein drittes Mal dieses Dach über meinem Haupt zu haben.

Als die Mahlzeit beendet war und niemand ein Wort der Unterhaltung hatte, trat ich ans Fenster, um nach dem Wetter zu sehen. Ein trauriger Anblick: schon war es schwarze Nacht da draußen, und Himmel und Hügel verschmolzen im wilden Wirbel von Wind und Schnee.

»Es scheint mir ganz unmöglich, jetzt ohne Führer heimzufinden«, konnte ich mich nicht enthalten auszurufen. »Die Wege werden schon begraben sein; und selbst wenn sie schneefrei wären, so könnte ich doch kaum einen Schritt weit sehen.«

»Hareton, treib die Schafe in den Scheunenschuppen; wenn sie über Nacht im Gehege bleiben, werden sie einschneien«, sagte Heathcliff.

»Was soll ich tun?« fuhr ich in wachsender Besorgnis fort.

Meine Frage blieb unbeantwortet, und als ich mich umblickte, gewahrte ich nur Josef, der den Hunden den Futternapf brachte, und Mrs. Heathcliff, die sich über das Feuer beugte und sich damit unterhielt, ein Bündel Streichhölzer abzubrennen, das vom Kaminsims gefallen war, als sie die Teebüchse wieder hinaufstellte. Nachdem der erstere seine Schüssel niedergesetzt hatte, blickte er sich forschend im Zimmer um und krächzte dann mit heiserer Stimme:

»Wie kennt ’r doch nur so faul da rumstehen, wo die annern all fort sin! Aber ’n Tunichgut seid ’r – un rede nutzt nit, bessern tut ’r Eich nit, aber zum Satan geht ’r, grad wie Eire Mutter z’vor.«

Im ersten Moment glaubte ich, daß diese Beredsamkeit mir gelte, und da ich ohnedies wütend war, ging ich auf den alten Schurken los, um ihn hinauszuwerfen. Mrs. Heathcliff jedoch verblüffte mich durch die Worte, die sie dem Mann erwiderte.

»Du elender alter Heuchler!« entgegnete sie. »Fürchtest du nicht, bei lebendigem Leibe vom Teufel geholt zu werden, wenn du so leichtsinnig seinen Namen anrufst? Ich warne dich davor, mich nochmals zu reizen, sonst werde ich ihn um die Gunst ersuchen, dich schleunigst abzuholen. Da, schau nur her«, fuhr sie fort, ein großes dunkles Buch vom Wandbrett nehmend; »ich will dir zeigen, wie weit ich in der schwarzen Kunst fortgeschritten bin. Bald werde ich’s euch gründlich zu kosten geben! Es war nicht Zufall, daß neulich die rote Kuh verreckte, und auch dein Rheumatismus ist schwerlich als göttliche Heimsuchung zu betrachten.«

»O Gottlosigkeit!« stöhnte der Alte. »Herr, erlöse uns vom Übel!«

»Er wird dich nicht erlösen, Josef. Du bist längst ein Verworfener. Pack dich jetzt, oder ich werde dir Schlimmes antun. Ich werde euch alle in Wachs und Ton verwandeln, und der erste, der den Kreis, den ich um mich ziehen werde, überschreitet, wird – ich sage nicht, was mit ihm geschehen wird, aber du wirst ja sehen. Geh! Mein Auge ruht auf dir!«

Die kleine Hexe gab bei diesen Worten ihren schönen Augen einen möglichst boshaften Ausdruck, und zitternd vor Entsetzen und angstvoll betend eilte Josef hinaus. Ich vermutete, sie habe sich aus Langeweile einen Scherz mit ihm gemacht; nun wo wir allein waren, bestrebte ich mich, sie für meine Lage zu interessieren.

»Mrs. Heathcliff«, sagte ich ernst, »Sie werden entschuldigen, daß ich Sie störe. Ich wage es, weil jemand, der so schön ist wie Sie, unzweifelhaft auch ein gutes Herz hat. Also bitte, geben Sie mir einige Anhaltspunkte, mit deren Hilfe ich den Heimweg finden kann. Ich weiß ebensowenig, wie ich nach Hause finden soll, als Sie wissen würden, nach London zu gelangen.«

»Nehmen Sie den Weg, den Sie gekommen sind«, antwortete sie, während sie es sich in einem Lehnstuhl bequem machte, eine Kerze anzündete und das große Buch aufschlug. »Der Rat ist kurz, aber so gut, als ich ihn geben kann.«

»Wenn Sie nun aber erfahren würden, man habe mich tot in einem Sumpf oder in einer Schneewehe gefunden, würde Ihr Gewissen Ihnen da nicht zuflüstern, daß das zum Teil Ihr Verschulden sei?«

»Wieso? Ich kann Sie ja nicht begleiten. Die würden mich nicht bis zur Gartenmauer gehen lassen.«

»Sie? Es täte mir leid, wenn Sie in solcher Nacht um meinetwillen auch nur die Schwelle überschreiten müßten!« rief ich. »Ich möchte, daß Sie mir den Weg sagen, nicht, daß Sie ihn zeigen; oder daß Sie Mr. Heathcliff veranlassen, mir einen Führer mitzugeben.«

»Wen? Da ist er, Earnshaw, Zillah, Josef und ich. Wen möchten Sie haben?«

»Gibt es denn keine Knechte hier?«

»Nein; es gibt weiter niemand.«

»So bin ich gezwungen zu bleiben.«

»Das mögen Sie mit Ihrem Gastgeber abmachen. Mich geht das nichts an.«

»Und hoffentlich wird Ihnen diese Erfahrung eine Lehre sein, keine voreiligen Wanderungen mehr zu unternehmen«, scholl Heathcliffs harte Stimme vom Kücheneingang herüber. »Was Ihr Hierbleiben anbetrifft, so merke ich an, daß ich für Besucher keine Unterkunft geschaffen habe. Wenn Sie bleiben, müssen Sie mit Hareton oder Josef das Bett teilen.«

»Ich kann hier im Zimmer auf einem Stuhl schlafen«, entgegnete ich.

»Nein, nein! Ein Fremder ist ein Fremder, sei er arm oder reich. Es paßt mir nicht, irgendwem zu gestatten, sich hier herumzutreiben, wenn ich ihn nicht überwachen kann!« sagte der ungezogene Kerl.

Nach dieser Beleidigung war meine Geduld erschöpft. Mit einem Ausruf des Widerwillens schritt ich an ihm vorbei in den Hof, wobei ich in meiner blinden Hast mit Earnshaw zusammenstieß. Es war so dunkel, daß ich das Ausgangstor nicht sehen konnte, und während ich danach suchte, überhörte ich eine weitere Probe ihres höflichen Benehmens zueinander. Zunächst schien der junge Mann sich meiner annehmen zu wollen.

»Ich werde mit ihm bis an das Ende des Parks gehen«, sagte er.

»Du wirst mit ihm zur Hölle gehen!« schrie sein Herr – das heißt, ich vermutete, daß der Alte zu ihm in diesem Verhältnis stand. »Und wer soll nach den Pferden sehen, he?«

»Das Leben eines Menschen ist wichtiger als die einmalige Vernachlässigung der Pferde; jemand muß gehen«, äußerte Mrs. Heathcliff, freundlicher als ich erwartet hatte.

»Nicht, wenn du es befiehlst!« gab Hareton zurück. »Wenn du so um ihn besorgt bist, solltest du lieber den Mund halten.«

»So wünsche ich dir, daß sein Geist dich verfolgen möge, wenn der Mann im Moor den Tod findet. Und ich wünsche, daß Mr. Heathcliff nie einen anderen Mieter bekommen möge, bis Thrushcross Grange eine Ruine ist!« entgegnete sie scharf.

»Jeh, jeh, sei verwünscht«, murmelte Josef, dem ich mich genähert hatte.

Er saß in Hörweite und molk beim Schein einer Laterne die Kühe. Ohne viel Umstände ergriff ich die Laterne und eilte dem nächsten Ausgang zu, indem ich ausrief, daß ich sie morgen zurückschicken würde.

»Här, Här, er stehlt sich unser Lantern!« schrie der Alte, mich verfolgend. »Heh, Pack an! Heh, Hunde! Heh, Wolf! Faßt ’n, faßt ’n!«

Als ich die Zauntür öffnete, sprangen mir zwei haarige Ungeheuer an den Hals, rissen mich nieder und löschten das Licht, während ein schallendes Gelächter von Heathcliff und Hareton meiner Wut den Gipfel aufsetzte. Glücklicherweise schienen die Bestien nur gewohnt zu sein, sich herumzurekeln und zu gähnen und allenfalls mit dem Schwanz zu wedeln, denn sie bezeigten keine Lust, mich bei lebendigem Leibe zu zerreißen; aber sie duldeten auch nicht, daß ich mich erhob, und ich war genötigt, still zu liegen, bis es ihren niederträchtigen Herren gefallen würde, mich zu befreien. Als das geschehen war, befahl ich, bebend vor rasendem Zorn, den Halunken, mich sofort hinauszulassen, bei Gefahr ihres Lebens, falls sie mich noch eine Minute zurückhielten – und äußerte noch einige zusammenhanglose Drohungen, die stark nach König Lear klangen.

Meine maßlose Aufregung löste bei mir heftiges Nasenbluten aus; und noch immer lachte Heathcliff, und noch immer schimpfte ich.

Ich weiß nicht, wie diese Szene geendet hätte, wenn nicht eine Person zur Stelle gewesen wäre, die vernünftiger war als ich und wohlwollender als mein Wirt. Dies war Zillah, die stämmige Haushälterin, die herbeigelaufen kam, um nach der Ursache des Aufruhrs zu sehen. Sie glaubte, man habe mich gewaltsam angegriffen, und da sie nicht wagte, sich gegen ihren Herrn zu wenden, gebrauchte sie ihre Zungenfertigkeit dem jüngeren Schurken gegenüber.

»Na, Mr. Earnshaw«, schrie sie, »ich bin nur neugierig, was Sie als nächstes anstellen werden! Sollen wir auf unserem Grund und Boden die Leute ermorden? Nein – der Dienst in diesem Haus ist nichts für mich. Sehn Sie nur den armen Menschen; er erstickt ja! – Nun! Nun! Kommen Sie, ich werd’ Ihnen helfen! So, so; halten Sie still.«

Mit diesen Worten goß sie mir einen Napf Eiswasser in den Nacken und zog mich in die Küche. Mr. Heathcliff, der nach seinem Heiterkeitsanfall schnell wieder in die alte Grämlichkeit verfiel, folgte uns.

Ich fühlte mich scheußlich elend, schwindlig und schwach. Es blieb mir daher nichts anderes übrig, als ihn für diese Nacht um Unterkunft zu bitten. Er gebot Zillah, mir ein Glas Branntwein zu geben, und begab sich dann ins innere Gemach. Die Magd kam den Anordnungen ihres Herrn nach und führte mich, als ich mich ein wenig erholt hatte, in mein Nachtquartier.

III.

Während sie mich die Treppen hinaufführte, empfahl sie mir, das Licht zu dämpfen und kein Geräusch zu machen; denn ihr Herr habe eine wunderliche Neigung für das Zimmer, in dem sie mich unterbringen wollte, und würde wissentlich keinen Menschen dort hineinführen. Ich fragte nach dem Grund. Sie kenne ihn nicht, antwortete sie, sie lebe hier erst seit kaum zwei Jahren, und es gäbe hier so viel Sonderbares im Hause, daß sie mit dem Neugierigsein gar nicht erst habe beginnen wollen.

Selbst zu erschöpft, um Neugier zu bezeigen, schloß ich meine Tür und sah mich nach dem Bett um. Die Einrichtung des Raumes bestand jedoch nur aus einem Stuhl, einem Schrank und einem großen eichenen Verschlag, der an den Seitenwänden viereckige Glasscheiben hatte. Ich trat hinzu, blickte durch eins der Fensterchen hinein und erkannte, daß es der Kasten einer altmodischen Kutsche war, der nun hier in der Ecke der Bodenstube noch ein besonderes Geheimstübchen abgab. Es war in der Tat ein kleines Kabinett, in dem das Brett eines der beiden Zimmerfenster die Stelle eines Tisches vertrat. Ich öffnete den Wagenschlag, stieg mit meiner Kerze hinein, schloß die Tür und fühlte mich nun endlich geborgen.

Auf dem Fensterbrett, auf das ich meine Kerze stellte, lagen ein paar verschimmelte Bücher; das Brett selbst war über und über bekritzelt. In den verschiedensten Schriftzügen las ich: Catherine Earnshaw, hier und da variiert als Catherine Heathcliff und Catherine Linton.

Voll matter Müdigkeit lehnte ich den Kopf ans Fenster und fuhr fort zu lesen: Catherine Earnshaw – Heathcliff – Linton; bis mir die Augen zufielen. Doch kaum hatte ich sie geschlossen, als im Dunkel vor mir gespensterhaft leuchtende Buchstaben tanzten – lauter Catherines; und als ich aufblickte, um den zudringlichen Namen zu verscheuchen, sah ich, daß der brennende Docht meiner Kerze sich auf eins der alten Bücher herabgeneigt hatte und auf dem Einband schwelte. Es roch nach verbranntem Leder. Ich kürzte den Docht, und da ich mich infolge der Kälte und meines Unwohlseins sehr unbehaglich fühlte, setzte ich mich aufrecht hin und schlug in der Absicht, zu lesen, das lädierte Buch auf meinen Knien auf.

Es war eine in schrägen Lettern gedruckte Bibel. Sie hatte einen unangenehm modrigen Geruch. Die erste Seite trug die Aufschrift: »Catherine Earnshaw ihr Buch« – und ein Datum, das etwa ein Vierteljahrhundert zurücklag. Ich schloß den Band und griff nach einem anderen, und so fort, bis ich sie alle durchgesehen hatte. Catherines Bücherei war recht gewählt, und der Grad ihrer Zerlesenheit bewies, daß sie viel benutzt worden war, wenn auch nicht immer zu ihrem eigentlichen Zweck. Kaum ein Kapitel war einem Kommentar in Tinte und Feder entgangen – oft war jeder kleinste weiße Raum damit bedeckt. Teilweise waren es nur abgerissene Sätze, doch manchmal schienen sich die Notizen geradezu zu einem Tagebuch zu erweitern. Die Handschrift war ungelenk und kindlich. Auf einer leeren Seite oben entdeckte ich zu meiner Freude eine perfekte Karikatur meines Freundes Josef – roh, aber doch geschickt skizziert. Sofort erwachte in mir ein gewisses Interesse für die unbekannte Catherine, und ich machte mich daher sogleich an die Entzifferung ihrer verblaßten Hieroglyphen.

»Ein gräßlicher Sonntag!« begann die erste Aufzeichnung. »Ich wollte, der Vater wäre wieder da. Hindley ist ein greulicher Stellvertreter – sein Benehmen gegen Heathcliff ist abscheulich. Heathcliff und ich haben die Absicht zu rebellieren – wir haben heute abend die einleitenden Schritte getan.«

»Den ganzen Tag goß es in Strömen; wir konnten nicht zur Kirche gehen, deshalb mußte Josef in der Dachstube eine Andacht abhalten, und während Hindley und seine Frau sich unten beim behaglichen Feuer wärmten und gewiß nichts anderes taten, als in ihren Bibeln zu lesen, mußten Heathcliff und ich und der arme Stalljunge unsere Gebetbücher nehmen und auf den Boden hinaufsteigen. Wir wurden nebeneinander auf einen Sack voll Korn gesetzt und froren gehörig. Wir hofften, daß es auch Josef zu kalt sein werde, um lange hier zu hocken, und daß er uns nur eine kurze Predigt halten werde. Vergebliches Hoffen! Die Andacht dauerte genau drei Stunden, und trotzdem hatte mein Bruder die Dreistigkeit, als er uns herunterkommen sah, auszurufen: ›Was? Schon fertig?‹ Früher durften wir an Sonntagabenden spielen, vorausgesetzt, daß wir nicht zu laut waren; jetzt genügt schon ein Kichern, daß man uns in die Ecke stellt.

›Ihr vergeßt, daß ihr einen Herrn in mir habt‹, donnert der Tyrann. ›Den ersten von euch, der meinen Zorn reizt, werde ich niederschlagen. Ich verlange vollkommene Disziplin und Ruhe. Halt Junge! Warst du das? Frances, Liebchen, zupf ihn am Ohr; ich habe ihn mit den Fingern schnalzen gehört.‹ Frances zupfte ihn recht herzhaft am Ohr, und dann ging sie und setzte sich ihrem Mann aufs Knie; und da saßen sie wie zwei Kleinkinder und küßten sich und schwatzten Unsinn, stundenlang – albernes Geplapper, dessen wir uns geschämt hätten. Wir setzen uns unters Büffet und machen es uns in unserer Höhle da so bequem wie möglich. Ich habe gerade unsere Schürzen zusammengeknotet und sie als Vorhang aufgehängt, als Josef hereinkommt. Er reißt natürlich sofort mein Kunstwerk herunter, gibt mir ein paar hinter die Ohren und krächzt:

›De Här knapp unner der Ärd, un Sunndag noch nit vorriwer, un grad ewen erseht ’s heilig Evangelium vernummen, un schun hott ’r eier Dummhäte Mierer im Kopp. Schaamt eich! Do, hockt eich her, ihr Sataner! Do sinn gude Biecher, do last drin. Her mit eich, un denkt driwer noh, datt ’r mol selig wären dhut.‹

Wie er dies sagte, wies er uns Plätze an, die vom Feuer so weit entfernt waren, daß wir nur mühsam die Druckschrift lesen konnten. Ich konnte diese Beschäftigung nicht ertragen. Ich nahm mein schmieriges Buch am Deckel und schleuderte es in die Hundeecke; Heathcliff warf seins hinterdrein. Da gab’s eine Aufregung!

›Här Hindley‹! schrie unser Kaplan, ›do kinnt ’r wat siehn: dat Frääle Kathi hot de Deckel vum „Helm der Erlesung“ zerriß, un de Heathcliff hot die „Stroß zur Höll“ verschmiert. En wahre Schand is ’s, dat Ihr su ebbes dulde dhut. Ach, wat hätt’ de alt Här se vermewelt – awer dä is furt.‹

Hindley kam von seinem Paradies am Kamin herbeigeeilt und, den einen von uns beim Kragen packend und den anderen beim Arm, schleppte er uns beide in die Küche, wo Josef beteuerte, daß der ›böse Nicklas‹ uns holen würde. So getröstet, bekamen wir jeder einen besonderen Winkel zugewiesen, um dort seine Ankunft abzuwarten; ich nahm dies Buch und Tintenzeug vom Regal und stieß die Haustür auf, um genug Licht zu haben. Und ich habe mir seit zwanzig Minuten die Zeit mit schreiben vertrieben. Aber mein Freund ist ungeduldig und schlägt vor, daß wir uns den Mantel des Milchmädchens umhängen und unter seinem Schutz ins Moor ausreißen sollen. Ein schöner Gedanke – und wenn dann der Griesgram hereinkommt, so mag er glauben, seine Prophezeiung habe sich verwirklicht; wir können uns im Regen auch nicht unbehaglicher und frostiger fühlen als hier.«

Ich nehme an, daß Catherine ihren Plan ausführte, denn der nächste Satz schien später geschrieben zu sein und war recht tränenvoll:

»Das hab ich mir nicht träumen lassen, daß Hindley mich so zum Weinen bringen würde«, schrieb sie. »Mein Kopf schmerzt, daß ich ihn nicht auf dem Kissen lassen kann, und doch kann ich nicht aufhören. Armer Heathcliff! Hindley nennt ihn einen Vagabunden und will ihn nicht mehr mit uns am Tisch sitzen lassen, und er sagt, er und ich dürfen nicht mehr zusammen spielen, und droht ihn aus dem Haus zu jagen, wenn wir seinen Befehl nicht respektierten. Er hat unseren Vater beschuldigt (wie kann er es wagen?), Heathcliff zu wohlwollend behandelt zu haben, und schwört, daß er ihn auf den ihm gebührenden Platz verweisen werde.«

Ich wurde schläfrig. Meine Augen wanderten vom Manuskript zur Druckschrift. Ich sah einen rotumrahmten Titel: »Siebzig mal sieben und die erste der Einundsiebzig. Ein frommer Diskurs, gehalten von Reverend Jabez Branderham in der Kapelle von Gimmerton Sough.« Und während ich, nur noch halb bei Bewußtsein, zu ergrübeln suchte, was Jabez Branderham aus seinem Thema gemacht haben konnte, sank ich in die Polster zurück und schlief ein. O, diese entsetzlichen Folgen schlechten Tees und schlechter Laune! Denn was sonst konnte mir diese furchtbare Nacht verursacht haben? Soweit ich nur zurückdenken kann, wußte ich mich nicht einer Nacht zu erinnern, in der ich ähnlich gelitten hätte.

Ich fing an zu träumen – fast noch ehe ich aufgehört hatte, mir meiner Umgebung bewußt zu sein. Ich dachte, es sei Morgen und ich hätte mich, von Josef geführt, auf den Heimweg begeben. Der Schnee lag viele Fuß tief auf den Wegen, und während wir uns langsam voranarbeiteten, ermüdete mich mein Begleiter mit unausgesetzten Vorwürfen, weil ich keinen Pilgerstab mitgenommen hatte. Ohne einen solchen käme ich nie ins Haus hinein, sagte er, und schwang prahlerisch einen derben Knüttel, der wohl einen Pilgerstab darstellen sollte. Einen Augenblick hielt ich es für unsinnig, daß ich, um Zutritt zu meinem eigenen Wohnsitz zu erlangen, durchaus einer solchen Waffe bräuchte; dann kam mir wieder eine neue Vorstellung. Ich ging ja nicht dorthin. Wir gingen vielmehr, um den berühmten Jabez Branderham über den Text »Siebzig mal sieben« predigen zu hören, und entweder Josef, der Prediger oder ich hatten die erste der einundsiebzig Sünden begangen und sollten öffentlich bloßgestellt und mit dem Kirchenbann belegt werden.

Wir kamen zur Kapelle. Ich habe sie tatsächlich auf meinen Wanderungen zwei- oder dreimal gesehen; sie liegt in einer Talsenkung in der Nähe eines Sumpfes, dessen feuchte Torfmasse, wie es heißt, die dort Begrabenen mumifiziert. Das Dach ist soweit instand gehalten worden. Aber da das Gehalt eines Geistlichen sich auf bloße zwanzig Pfund im Jahr beläuft, nimmt kein Geistlicher gerne ein Pfarramt und ein Haus mit zwei Zimmern an, welche immer mehr zu einem zu werden drohen, zumal sich wohl nun auch herausstellt, daß seine Herde ihn lieber verhungern ließe als ihm auch nur einen Penny aus der eigenen Tasche zum Lebensunterhalt dazuzugeben. In meinem Traum jedoch hatte Pfarrer Jabez eine große und aufmerksame Gemeinde um sich versammelt; und er predigte – großer Gott! welch eine Predigt, eingeteilt in vierhundertundneunzig Teile, von denen jeder einer der üblichen Kanzelreden gleichkam und jeder eine besondere Sünde behandelte! Wo er diese auftrieb, weiß ich nicht. Er hatte eine ganz eigene Art, den Text auszulegen, und er schien es für notwendig zu befinden, daß die »geliebten Brüder« bei jeder Gelegenheit andere Sünden begingen. Und das waren gar seltsame Vergehungen, wie ich sie nie vorher geahnt hatte.

O, wie müde wurde ich. Wie ich mich krümmte, und wie ich gähnte und einnickte und wieder erwachte! Wie ich mich kniff und mir die Augen rieb, wie ich aufstand und wieder niedersaß und Josef Zeichen machte, mir mitzuteilen, ob er wohl jemals zum Ende kommen würde. Ich war verdammt, alles bis zum Schluß anzuhören. Endlich war er bei der »ersten der Einundsiebzig« angelangt. Da kam mir eine Inspiration. Ich fühlte mich veranlaßt aufzustehen und Jabez Branderham die größte aller Sünden zur Last zu legen, die keinem Christen verziehen werden würde.

»Herr!« rief ich aus, »hier in diesen vier Mauern sitzend, ertrug und vergab ich Ihnen die vierhundertundneunzig Teile ihres Diskurses. Siebzig mal siebenmal habe ich meinen Hut nehmen und fortgehen wollen – siebzig mal siebenmal haben Sie mich gezwungen, mich wieder hinzusetzen. Der vierhunderteinundneunzigste Teil ist zuviel! Gefährten im Martyrium, auf ihn los! Reißt ihn nieder und zermalmt ihn in Atome, daß kein Ort ihn mehr erkenne möge!«

»Du bist der Mann!« schrie Jabez nach einer ernsten Pause, sich über das Kanzelpolster lehnend. »Siebzig mal siebenmal hast du gähnend dein Gesicht verzerrt – siebzig mal siebenmal hat meine Seele nach Rat gesucht. Weh! Das ist menschliche Schwachheit. So mag dies auch vollendet werden! Der erste der Einundsiebzig ist gekommen, Brüder! Richtet ihn, wie es geschrieben steht.«

Nach diesem Schlußwort stürzte die ganze Versammlung, ihre Pilgerstäbe schwingend, auf mich los, und da ich zu meiner Verteidigung keine solche Waffe besaß, begann ich mich mit Josef, meinem nächsten und eifrigsten Angreifer, um die seinige zu raufen. Manche mir zugedachten Hiebe sausten auf andere Schädel nieder. Die ganze Kapelle dröhnte von der Prügelei. Jeder erhob die Hand gegen seinen Nachbar, und Branderham, der nicht gewillt war, müßig zu bleiben, bezeigte seinen Eifer in einem Hagel lauter Schläge auf den Rand der Kanzel, die so laut widerhallten, daß sie schließlich – zu meiner unaussprechlichen Erleichterung – mich weckten. Und was war es, das den ungeheuren Aufruhr verursacht hatte? Wer hatte in diesem Streit die Rolle des Jabez gespielt? Nur der Zweig einer Fichte, der bis ans Fenster reichte und mit seinen dürren Zapfen an der Scheibe rasselte. Einen Augenblick horchte ich auf, erkannte den Störenfried, wendete mich zurück und nickte von neuem ein und träumte wieder, womöglich noch unangenehmer als vorher.

Diesmal war ich mir bewußt, daß ich in dem eichenen Kabinett lag, und ich hörte deutlich den stürmischen Wind und das Schneetreiben; ich hörte auch, daß der Fichtenzweig sein kratzendes Geräusch wiederholte, und wußte, woher der Laut kam. Aber er quälte mich so sehr, daß ich beschloß, wenn möglich, ihn zum Schweigen zu bringen. Und ich träumte, daß ich aufstand und versuchte, das Fenster zu öffnen. Der Haken aber war an der Öse festgelötet, ein Umstand, den ich in wachem Zustand wahrgenommen, nun aber vergessen hatte. »Und dennoch – der Lärm muß aufhören!« knurrte ich, zerschlug die Glasscheibe mit der Faust und streckte den Arm aus, um den zudringlichen Zweig zu ergreifen; statt dessen schlossen sich meine Finger um eine kleine kalte Hand! Mich überkam das grauenhafte Entsetzen eines Albtraumes: ich versuchte, den Arm zurückzuziehen, aber die Hand umklammerte fest die meine, und eine höchst traurige Stimme schluchzte: »Laß mich ein – laß mich ein!« – »Wer bist du?« fragte ich und mühte mich, mich von dem Griff zu befreien. »Catherine Linton«, antwortete es frostig. (Warum dachte ich gerade Linton? Ich hatte Earnshaw wohl zwanzigmal mehr gelesen als Linton.) »Ich bin nach Hause gekommen, ich hatte im Moor den Weg verloren!« Während es sprach, erkannte ich die schwachen Umrisse eines Kindergesichtes, das durch das offene Fenster blickte. Das Entsetzen ließ mich grausam werden. Da es mir nicht gelang, das Geschöpf abzuschütteln, zog ich sein Handgelenk auf die zerbrochene Scheibe nieder und rieb es hin und her, bis das Blut niederrann und die Wagenkissen durchnäßte. Noch immer jammerte das Kind: »Laß mich ein!« und lockerte nicht seinen klammernden Griff; ich war fast wahnsinnig vor Entsetzen. »Wie kann ich?« antwortete ich schließlich, »laß mich los, wenn du willst, daß ich dich einlassen soll.« Die kleinen Finger lösten sich, ich zog meine Hand herein, türmte hastig die Bücher pyramidenartig vor das Loch und hielt mir die Ohren zu, um das jammervolle Bitten nicht mehr hören zu müssen. Wohl eine Viertelstunde, so schien es mir, hielt ich die Ohren geschlossen; doch sowie ich wieder aufhorchte, hörte ich das kummervolle Winseln: »Laß mich ein!«

»Geh weg!« rief ich, »ich werde dich nie einlassen, und wenn du zwanzig Jahre darum bitten solltest!« – »Es sind zwanzig Jahre«, klagte die Stimme. »Zwanzig Jahre! Seit zwanzig Jahren bin ich ruhelos gewandert.« Darauf hörte ich ein schwaches Kratzen von draußen, und der Stoß Bücher wankte. Ich wollte aufspringen, konnte aber kein Glied rühren und schrie in maßloser Angst gellend auf.

Zu meiner Verwirrung entdeckte ich, daß mein Schrei nicht nur eingebildet gewesen war, denn eilige Schritte nahten meiner Zimmertür, jemand stieß sie hastig auf, und durch die Fenster meines Bettraumes drang Lichtschein. Ich saß bebend da und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Der Eingetretene schien zu zögern und murmelte etwas vor sich hin. Endlich sagte er flüsternd, anscheinend kaum eine Antwort erwartend: »Ist jemand hier?« Ich hielt es für das Beste, meine Anwesenheit zu bekennen, denn ich kannte Heathcliffs liebenswürdigen Ton zur Genüge und fürchtete, er werde weitersuchen, falls ich mich schweigend verhalten würde. Ich wandte mich also zur Seite und öffnete den Wagenschlag. Die Wirkung, die dies hatte, werde ich in meinem Leben nicht vergessen.

Heathcliff stand in Hemd und Unterhosen nahe der Stubentür; in der Hand hielt er eine Kerze, die ihm über die Finger tropfte. Sein Gesicht war so weiß, wie die Wand hinter ihm. Das Knarren des Wagenschlags traf ihn wie ein elektrischer Schlag. Das Licht entfiel seiner Hand, und sein Schrecken war so außerordentlich, daß er es kaum aufzuheben vermochte.

»Es ist nur Ihr Gast, Herr!« rief ich schnell, da ich ihm die Demütigung, noch länger seine Feigheit zu zeigen, ersparen wollte. »Ich hatte das Unglück, infolge eines Albtraumes laut zu schreien. Es tut mir leid, daß ich Sie weckte.«

»Zum Henker, Mr. Lockwood! Ich wünschte, Sie wären beim –«, begann mein Wirt und stellte das Licht auf einen Stuhl, da es seinen Händen von neuem zu entfallen drohte. »Und wer brachte Sie in dieses Zimmer?« fuhr er fort, während er die Fäuste ballte und mit den Zähnen knirschte. »Wer war es? Ich hätte große Lust, den Betreffenden noch diesen Moment aus dem Haus zu jagen!«

»Es war Ihre Magd Zillah«, antwortete ich, aus dem Wagen springend. »Mir wär ’s recht, wenn Sie ’s täten, Mr. Heathcliff; sie verdient es wirklich. Ich vermute, sie wollte sich auf meine Kosten einen neuen Beweis dafür schaffen, daß es in diesem Raum spukt. Nun, daran ist kein Zweifel: er wimmelt von Kobolden und Gespenstern. Sie haben allen Grund, das Zimmer verschlossen zu halten, ich versichere es Ihnen. Keiner wird Ihnen für ein Schläfchen in dieser Geisterhöhle Dank schulden.«

»Was wollen Sie damit sagen?« fragte Heathcliff, »und wo wollen Sie hin? Bleiben Sie nur hier für den Rest der Nacht, da Sie nun einmal hier sind; aber um Himmelswillen, wiederholen Sie nicht das fürchterliche Geschrei, das nur damit zu entschuldigen wäre, wenn man versucht hätte, Ihnen den Hals abzuschneiden!«

»Wäre der kleine Teufelsbraten zum Fenster hereingekommen, hätte sie mich erwürgt«, entgegnete ich. »Ich werde mich der Rache Ihrer gastlichen Vorfahren nicht noch einmal aussetzen. War nicht der Reverend Jabez Branderham mütterlicherseits mit Ihnen verwandt? Und das Satansmädel, Catherine Linton oder Earnshaw oder wie sie hieß? Sie muß ein Wechselbalg, eine gottlose kleine Seele gewesen sein! Sie sagte mir, sie gehe seit zwanzig Jahren um, bestimmt zur gerechten Strafe für ihre Vergehungen zu Lebzeiten.«

Kaum hatte ich diese Worte geäußert, erinnerte ich mich der Verknüpfung von Heathcliffs und Catherines Namen in den Aufzeichnungen, was meinem Gedächtnis bis eben ganz entfallen war. Ich errötete ob meiner Unachtsamkeit. Ohne jedoch zu zeigen, daß ich mir des beleidigenden Charakters meiner Worte bewußt geworden wäre, beeilte ich mich hinzuzufügen: »Die Wahrheit, Herr, ist die: ich verbrachte den ersten Teil der Nacht damit –« hier stockte ich von neuem; ich hatte sagen wollen: ›in jenen alten Bänden zu blättern‹ – dann wäre aber meine Kenntnis ihres gedruckten wie auch ihres geschriebenen Inhalts offenbar geworden. So korrigierte ich mich also und fuhr fort: »damit, den ins Fensterbrett gekratzten Namen zu buchstabieren; eine langweilige Beschäftigung, die mich ermüden sollte, wie etwa zählen oder…«

»Was fällt Ihnen ein, Herr, so zu mir zu sprechen!« donnerte Heathcliff. »Wie – wie wagen Sie es unter meinem Dach? – Gott! Er ist verrückt, solche Reden zu führen!« Und verzweifelt griff er sich an die Stirn.

Ich wußte nicht, ob ich ihm diese Worte übelnehmen oder sie nicht beachten und in meinem Bericht fortfahren sollte. Doch da er mir so tief ergriffen schien, hatte ich Mitleid und erzählte weiter. Ich versicherte, daß ich den Namen Catherine Linton nie vorher gehört hätte, daß aber durch das häufige Überlesen desselben, dieser, nachdem ich in den Schlaf gefallen war, zu einer Traumgestalt wurde. Während ich so sprach, sank Heathcliff langsam in die Polster des Wagenbettes zurück, so daß er schließlich meinen Blicken ganz verloren war. Doch erriet ich an seinen schnellen, unregelmäßigen Atemzügen seine tiefe Bewegung. Da ich ihn nicht wissen lassen wollte, daß ich seine Aufregung bemerkt hatte, ordnete ich meine Kleidung, sah nach der Uhr und sagte wie für mich selbst: »Noch nicht drei Uhr! Ich hätte schwören können, es sei schon sechs. Die Zeit kriecht hier; wir müssen wohl schon um acht Uhr zu Bett gegangen sein.«

»Stets um neun im Winter; aufgestanden wird um vier«, sagte mein Wirt, ein Stöhnen unterdrückend, und wischte sich, wie ich an der Bewegung des Armes erriet, eine Träne aus den Augen. »Mr. Lockwood«, fügte er hinzu, »Sie können in mein Zimmer gehen; unten sind Sie so frühzeitig nur im Wege, und mir hat Ihr kindischer Schrei den Schlaf ohnedies zum Teufel gejagt.«

»Und mir auch«, erwiderte ich. »Ich will bis Tagesanbruch im Hof spazierengehen, und dann breche ich auf. Und Sie brauchen eine Wiederholung meines lästigen Besuches nicht zu befürchten; ich bin jetzt ganz davon geheilt, mein Vergnügen in der Gesellschaft zu suchen – sei es in Stadt oder Land. Ein vernünftiger Mann sollte an sich selbst Gesellschaft genug haben.«

»Charmante Gesellschaft!« murmelte Heathcliff. »Nehmen Sie das Licht und gehen Sie, wohin Sie wollen«, sagte er dann. »Ich komme gleich nach. Aber gehen Sie nicht in den Hof, die Hunde sind nicht angekettet; und auf der Diele hält Juno Wache, und – nein! Sie können nur auf den Treppen und Gängen herumsteigen. Doch fort mit Ihnen. In zwei Minuten bin ich bei Ihnen.«

Ich gehorchte, was das Verlassen des Zimmers anging. Draußen jedoch stand ich still, da ich nicht wußte, wohin die engen Gänge führten; so wurde ich unbeabsichtigt Zeuge des seltsamen Benehmens meines Gastgebers, das mich fast an seinem Verstande zweifeln ließ. Er öffnete mit Gewalt das Fenster und brach in leidenschaftliches Weinen aus. »Komm herein«, schluchzte er, »komm herein! Cathy, komm, komm! O mein Herz, mein Liebe, nur einmal komm noch! Höre mich diesmal, höre mich endlich, Catherine!«

Das Gespenst war launisch, wie Gespenster es zu sein pflegen: es zeigte sich nicht, aber Schnee und Wind wirbelten wild durchs Zimmer bis zu mir heraus und löschten mein Licht.

Aus diesem kindischen Gefasel sprach eine so tiefe Herzensnot, daß ich trotz des närrischen Benehmens Heathcliffs Mitleid mit ihm empfand. Ich war verärgert, daß ich ihn belauschte, und verärgert, daß ich ihm meinen scheußlichen Albtraum erzählt hatte, der ihm solche mir ganz unverständliche Seelenpein brachte.

Vorsichtig tastete ich mich in die unteren Regionen hinab und landete in der Küche, wo es mir gelang, an einem Häuflein glimmender Kohlen meine Kerze wieder anzuzünden. Nichts rührte sich, nur von der Herdasche erhob sich eine graue getigerte Katze und begrüßte mich mit einem kläglichen Miau.

Zwei Bänke umrahmten den Herd. Ich setzte mich auf eine derselben, während der Kater die andere bestieg. Niemand störte unsere Einsamkeit, und wir nickten beide ein. Nach einem Weilchen schlurfte Josef auf der hölzernen Leiter, die durch eine Falltür in seine Kammer hinaufführte, herunter. Er warf einen finsteren Blick auf die kleine Flamme, die ich der Glut entlockt hatte, jagte die Katze von der Bank, ließ sich selbst dort nieder und begann umständlich seine Pfeife zu stopfen. Meine Anwesenheit in seinem Heiligtum war offenbar ein zu starkes Stück, um überhaupt Notiz davon zu nehmen. Schweigsam führte er die Pfeife zum Munde, kreuzte die Arme und paffte los. Ich ließ ihn sich seinem Genuß ungestört hingeben; und nachdem er das letzte Wölkchen herausgesogen hatte, stieß er einen tiefen Seufzer aus, stand auf und entfernte sich so finster schweigend wie er gekommen war.

Elastischere Schritte nahten; und nun öffnete ich den Mund zu einem »guten Morgen«, schloß ihn aber wieder, ohne den Gruß ausgesprochen zu haben; denn Hareton Earnshaw verrichtete seine Morgenandacht, indem er auf alles, was er in die Hand nahm, losfluchte. Er durchstöberte die Ecken anscheinend nach einer Schaufel, um den Schnee vor dem Haus wegzuräumen. Mit geblähten Nüstern blickte er hinter meine Bank und dachte ebensowenig daran, mit mir höfliche Worte zu wechseln, als etwa mein Kamerad, der Kater. Ich meinte, daß es mir nun wohl erlaubt sein dürfe, mich zu entfernen; ich erhob mich also von meinem harten Lager und machte eine Bewegung, ihm zu folgen. Er bemerkte das, wies mit der Schaufel auf eine Tür und bedeutete mir mit einem unverständlichen Laut, daß ich mich dorthinein zu begeben habe, falls ich beabsichtige, das Lokal zu wechseln.

Die Tür führte auf die Diele, wo die Frauen schon wach und rege waren. Zillah trieb mit einem kolossalen Blasebalg Flammenfunken zum Schornstein hinauf, und Mrs. Heathcliff las, auf der Herdstelle sitzend, in einem Buch. Sie schützte die Augen mit der Hand und schien ganz in ihre Beschäftigung vertieft, von der sie nur aufblickte, um die Magd zu schelten, daß sie sie mit Funken besprühe, oder um einen der Hunde fortzuschieben, der allzu zudringlich ihr Gesicht beschnüffelte. Ich war überrascht, auch Heathcliff hier zu sehen. Er stand mit dem Rücken zur Tür beim Feuer und machte gerade der armen Zillah eine stürmische Szene; diese unterbrach ab und zu ihre Tätigkeit, um einen Schürzenzipfel an die Augen zu führen und in entrüstetes Seufzen auszubrechen.

»Und du –«, wendete sich bei meinem Eintritt sein Zorn gegen die Schwiegertochter – und er gebrauchte eine harmlose Bezeichnung wie Gans oder Schaf, die man jedoch stets durch einen Bindestrich ersetzen würde –, »du bist wieder bei deinen faulen Possen! Alle anderen verdienen sich ihr Brot – du lebst von meiner Barmherzigkeit. Leg den Plunder weg und such dir eine Arbeit. Du wirst mir büßen für die Plage, dich immerfort vor Augen haben zu müssen. Hörst du, verfluchte Dirne?«

»Ich lege meinen Plunder beiseite, weil Sie die Macht haben, mich dazu zu zwingen«, erwiderte die junge Dame, schloß ihr Buch und warf es auf einen Stuhl. »Aber tun werde ich nichts anderes, als was mir beliebt – und wenn Sie sich die Zunge aus dem Halse fluchen!«

Heathcliff hob die Hand, und die Sprecherin, die wohl die Wucht seines Schlages kannte, sprang in sicherere Entfernung. Ich hatte keine Lust, unfreiwillig Zeuge noch weiterer Zänkereien zu werden, und trat daher eilig dazwischen, als sei ich begierig, der Wärme des Feuers teilhaftig zu werden, und wisse nichts von dem unterbrochenen Disput. Beide besaßen immerhin genügend Anstand, weitere Feindseligkeiten zu unterlassen. Heathcliff steckte die Fäuste in die Taschen, Mrs. Heathcliff kräuselte die Lippen und ging zu einem entfernten Sessel, wo sie, ihrem Wort getreu, während des Restes meines Aufenthaltes die Rolle einer Statue spielte. Ich blieb nicht mehr lange. Am Frühstück teilzunehmen lehnte ich ab, und beim ersten Dämmerlicht nahm ich die Gelegenheit wahr, in die freie Luft zu entkommen, die jetzt klar und still und kalt wie ungreifbares Eis war.

Doch noch ehe ich das Ende des Gartens erreicht hatte, rief mein Wirt mir zu, zu warten, und bot mir an, mich übers Moor zu begleiten. Es war gut, daß er das tat, denn der ganze Hügelrücken war ein wogendes weißes Meer, dessen Erhöhungen und Vertiefungen durchaus nicht mit denen des Erdbodens übereinstimmten: wenigstens waren viele Gruben zu einer ebenen Fläche angefüllt, und ganze Reihen kleiner Hügelchen waren von der Karte, die mein gestriger Gang in meinem Gehirn aufgezeichnet hatte, verschwunden. An der einen Seite des Weges hatte ich gestern eine lange Reihe aufrechter, etwa sechs Meter voneinander entfernter Steine bemerkt, die sich über das ganze Moor hinzog. Man hatte sie errichtet, damit sie im Dunkeln oder auch im Winter, wenn ein Schneefall die tiefen Sümpfe auf beiden Seiten mit dem festen Pfade zu eins verschmolz, als Wegweiser dienen könnten. Aber abgesehen von ein paar schmutzigen Flecken, die sich hier und da im Schnee fanden, war jede Spur ihres Vorhandenseins geschwunden, und mein Begleiter fand es mehrmals nötig, mich nach rechts oder links zu dirigieren, wenn ich meinte, genau den Windungen der Straße zu folgen.

Wir sprachen kein Wort, und als wir den Eingang zum Park von Thrushcross Grange erreichten, meinte er, hier sei ich nun sicher, und verabschiedete sich mit einer kurzen Verbeugung. Dann schritt ich vorwärts, meinem eigenen Richtungssinn vertrauend, denn der Posten eines Pförtners war immer noch nicht besetzt worden. Die Entfernung vom Tor bis zum Haus beträgt zwei Kilometer. Ich glaube, ich brachte es fertig, vier daraus zu machen, teils weil ich mich zwischen den Bäumen verirrte, teils weil