Sturmhöhe - Emily Brontë - E-Book

Sturmhöhe E-Book

Emily Bronte

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Beschreibung

"Sturmhöhe" (Originaltitel: "Wuthering Heights") ist ein Roman der englischen Schriftstellerin Emily Brontë (1818-1848). "Sturmhöhe", 1847 erschienen, ist heute der beliebteste Roman aus dem Werk der allesamt als Schriftstellerinnen hervorgetretenen Schwestern Brontë, und gilt als ein Klassiker der britischen Romanliteratur des 19. Jahrhunderts. "Wuthering Heights" (Sturmhöhe) heißt der Besitz von Heathcliff. "Wuthering" beschreibt die Lüfte, dem dieser Ort bei stürmischem Wetter ausgesetzt ist. Schauplätze des Romans sind der von der Familie Earnshaw bewirtschaftete Gutshof "Wuthering Heights", der auf einer windgepeitschten Anhöhe im Hochmoor von Yorkshire liegt, und das feudalere, im fruchtbaren Tal gelegene Herrenhaus "Thrushcross Grange", das der Familie Linton gehört. Die Geschichte dieser beiden Familien wird über drei Generationen hinweg erzählt. In deren Mittelpunkt steht die düstere Gestalt des Heathcliff, "ein unbeherrschtes Geschöpf ohne Bildung, ohne Kultur, eine dürre Wildnis aus Stechginster und Basaltfelsen". In seinem grenzenlosen Hass gegen die Zerstörer seiner "unsterblichen" Liebe ruht er nicht, bis er sie und ihr Haus vernichtet zu haben glaubt. Null Papier Verlag

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Emily Brontë

Sturmhöhe

Wuthering Heights

Emily Brontë

Sturmhöhe

Wuthering Heights

(Wuthering Heights)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]Übersetzung: Grete RambachIllustrationen: Pierre-Auguste Renoir EV: Insel-Verlag, Leipzig, 1938 3. Auflage, ISBN 978-3-954180-57-8

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Inhaltsverzeichnis

Stamm­baum

Wei­te­re Per­so­nen

Ers­tes Ka­pi­tel

Zwei­tes Ka­pi­tel

Drit­tes Ka­pi­tel

Vier­tes Ka­pi­tel

Fünf­tes Ka­pi­tel

Sechs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­tes Ka­pi­tel

Ach­tes Ka­pi­tel

Neun­tes Ka­pi­tel

Zehn­tes Ka­pi­tel

Elf­tes Ka­pi­tel

Zwölf­tes Ka­pi­tel

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel

Neun­zehn­tes Ka­pi­tel

Zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Ein­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Zwei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Drei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Vier­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Fün­f­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Sechs­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Acht­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Neun­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Dreis­sigs­tes Ka­pi­tel

Ein­und­dreis­sigs­tes Ka­pi­tel

Zwei­und­dreis­sigs­tes Ka­pi­tel

Drei­und­dreis­sigs­tes Ka­pi­tel

Vierund­dreis­sigs­tes Ka­pi­tel

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Anna Ka­re­ni­na

Der Graf von Mon­te Chri­sto

Die Schat­zin­sel

Ivan­hoe

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Ro­bin­son Cru­soe

Das Got­tes­le­hen

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Eine Weih­nachts­ge­schich­te

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»Sturm­hö­he« (Ori­gi­nal­ti­tel: »Wuthe­ring Heights«) ist ein Ro­man der eng­li­schen Schrift­stel­le­rin Emi­ly Brontë (1818–1848).

»Sturm­hö­he«, 1847 er­schie­nen, ist heu­te der be­lieb­tes­te Ro­man aus dem Werk der al­le­samt als Schrift­stel­le­rin­nen her­vor­ge­tre­te­nen Schwes­tern Brontë, und gilt als ein Klas­si­ker der bri­ti­schen Ro­man­li­te­ra­tur des 19. Jahr­hun­derts.

»Wuthe­ring Heights« (Sturm­hö­he) heißt der Be­sitz von Hea­th­cliff. »Wuthe­ring« be­schreibt die Lüf­te, dem die­ser Ort bei stür­mi­schem Wet­ter aus­ge­setzt ist.

Schau­plät­ze des Ro­mans sind der von der Fa­mi­lie Earns­haw be­wirt­schaf­te­te Guts­hof »Wuthe­ring Heights«, der auf ei­ner wind­ge­peitsch­ten An­hö­he im Hoch­moor von Yorks­hi­re liegt, und das feu­da­le­re, im frucht­ba­ren Tal ge­le­ge­ne Her­ren­haus »Thrus­h­cross Gran­ge«, das der Fa­mi­lie Lin­ton ge­hört. Die Ge­schich­te die­ser bei­den Fa­mi­li­en wird über drei Ge­ne­ra­tio­nen hin­weg er­zählt.

In de­ren Mit­tel­punkt steht die düs­te­re Ge­stalt des Hea­th­cliff, »ein un­be­herrsch­tes Ge­schöpf ohne Bil­dung, ohne Kul­tur, eine dür­re Wild­nis aus Stechg­ins­ter und Ba­salt­fel­sen«. In sei­nem gren­zen­lo­sen Hass ge­gen die Zer­stö­rer sei­ner »un­s­terb­li­chen« Lie­be ruht er nicht, bis er sie und ihr Haus ver­nich­tet zu ha­ben glaubt.

Stammbaum

Weitere Personen

Mrs. El­len Dean: ✳ 1757, Milch­schwes­ter von Hind­ley Earns­haw, Be­die­ne­rin in Wuthe­ring Heights 1769 (?) bis 1783; in Thrus­h­cross Gran­ge 1783 bis 1803. Der größ­te Teil der Ge­schich­te wird von ihr er­zählt.

Mr. Lock­wood: Hea­th­cliffs Päch­ter in Thrus­h­cross Gran­ge ( 1801/02). Sein Ta­ge­buch zeich­net die Ge­schich­te so auf, wie Mrs. Dean sie ihm er­zählt hat; zum Teil schil­dert er ei­ge­nes Er­le­ben.

Jo­seph: Knecht in Wuthe­ring Heights seit 1742.

Eine Frau aus Gim­mer­ton, im Dienst in Wuthe­ring Heights 1784 bis 1799.

Zil­lah: im Dienst in Wuthe­ring Heights 1799 bis 1802.

Mr. Ken­neth: ein Arzt aus Gim­mer­ton.

Mr. Green: ein Rich­ter aus Gim­mer­ton.

Erstes Kapitel

1801. Ich bin ge­ra­de von ei­nem Be­such bei mei­nem Guts­herrn zu­rück­ge­kehrt — die­sem ein­sa­men Nach­barn, der mir zu schaf­fen ma­chen wird.

Was für eine schö­ne Ge­gend! Ich glau­be nicht, dass ich in ganz Eng­land mei­nen Wohn­sitz an ei­ner an­de­ren Stel­le hät­te auf­schla­gen kön­nen, die so voll­kom­men ab­seits vom Ge­trie­be der Welt liegt. Ein ech­tes Pa­ra­dies für Men­schen­fein­de; und Mr. Hea­th­cliff und ich sind das rich­ti­ge Paar, um die­se Ein­sam­keit mit­ein­an­der zu tei­len. Ein fa­mo­ser Bur­sche! Er ahn­te wohl kaum, wie mein Herz ihm ent­ge­gen­schlug, als ich sah, wie sei­ne schwar­zen Au­gen sich bei mei­nem Nä­her­rei­ten so ab­wei­send un­ter den Brau­en ver­bar­gen und wie sei­ne Hän­de sich in ent­schie­de­nem Miss­trau­en tiefer in sein Wams ver­gru­ben, wäh­rend ich mei­nen Na­men nann­te.

»Mr. Hea­th­cliff?« frag­te ich.

Ein Ni­cken war die Ant­wort.

»Mr. Lock­wood, Ihr neu­er Päch­ter. Ich er­lau­be mir, nach mei­ner An­kunft so­bald wie mög­lich vor­zu­spre­chen, und hof­fe, dass Ih­nen die Be­harr­lich­keit, mit der ich mich um Thrus­h­cross Gran­ge be­wor­ben habe, nicht läs­tig ge­wor­den ist. Ich hör­te ges­tern, Sie hät­ten die Ab­sicht ge­hab­t…«

»Thrus­h­cross Gran­ge ge­hört mir«, un­ter­brach er mich auf­fah­rend. »Ich er­lau­be nie­mand, mich zu be­läs­ti­gen, wenn ich es ver­hin­dern kann. — Kom­men Sie her­ein!«

Das ›Kom­men Sie her­ein‹ wur­de zwi­schen den Zäh­nen her­vor­ge­sto­ßen und hieß so­viel wie: Geh zum Teu­fel. Selbst die Gat­ter­tür, über die er sich lehn­te, mach­te kei­ne freund­li­che Be­we­gung zu sei­nen Wor­ten. Ich glau­be, nur ein Um­stand be­wog mich, die Ein­la­dung an­zu­neh­men: mich fes­sel­te ein Mann, der in noch stär­ke­rem Maße als ich zu­rück­hal­tend ist. Als er sah, dass mein Pferd die Brust ge­gen das Gat­ter dräng­te, streck­te er die Hand aus, um die Ket­te zu lö­sen, und ging dann mür­risch den Damm­weg vor­aus. Beim Be­tre­ten des Ho­frau­mes rief er: »Jo­seph, nimm Mr. Lock­wood das Pferd ab, und bring Wein her­auf!«

›Dies wird wohl das gan­ze Ge­sin­de sein‹, über­leg­te ich, als ich die­sen zu­sam­men­fas­sen­den Be­fehl ver­nahm. ›Kein Wun­der, dass Gras zwi­schen dem Pflas­ter wächst und die He­cken nur von den Rin­dern ge­stutzt wer­den.‹

Jo­seph war ein ält­li­cher, nein, ein al­ter Mann; viel­leicht war er so­gar sehr alt, ob­wohl ge­sund und seh­nig.

»Gott be­hü­te!« sag­te er gräm­lich und miss­ver­gnügt vor sich hin, wäh­rend er mir mein Pferd ab­nahm, und blick­te mir da­bei so ver­drieß­lich ins Ge­sicht, dass ich den mit­lei­di­gen Schluss zog, er be­dür­fe wohl gött­li­cher Hil­fe, um sein Mit­ta­ges­sen zu ver­dau­en, und sein from­mer Stoß­seuf­zer kön­ne sich nicht auf mei­ne un­er­war­te­te An­kunft be­zie­hen.

›Wuthe­ring Heights‹, Sturm­hö­he, heißt Mr. Hea­th­cliffs Be­sitz­tum. ›Wuthe­ring‹ ist ein treff­li­cher mund­art­li­cher Aus­druck, um den Aufruhr der Lüf­te zu be­schrei­ben, dem die­ser Ort bei stür­mi­schem Wet­ter aus­ge­setzt ist. Die Leu­te dort oben müs­sen zu al­len Zei­ten kräf­tig durch­ge­bla­sen wer­den. Man kann sich die Ge­walt des Stur­mes, der um die Ecke bläst, recht vor­stel­len, wenn man die paar schief­ge­weh­ten dürf­ti­gen Kie­fern am Ende des Hau­ses be­trach­tet und eine Rei­he dür­rer Dorn­bü­sche sieht, die alle ihre Arme nach ei­ner Sei­te stre­cken, als woll­ten sie die Son­ne um ein Al­mo­sen bit­ten. Zum Glück hat­te der Bau­meis­ter ein fes­tes Haus hin­ge­setzt: die schma­len Fens­ter sind tief in die Mau­er ein­ge­las­sen und die Ecken durch große vor­ste­hen­de Stei­ne ge­si­chert.

Be­vor ich über die Schwel­le schritt, ver­hielt ich, um eine Men­ge gro­tes­ker Schnit­ze­rei­en zu be­wun­dern, die ver­schwen­de­risch an der Vor­der­sei­te und be­son­ders am Haup­tein­gang an­ge­bracht wa­ren. Über die­sem ent­deck­te ich mit­ten in ei­nem Wirr­warr von zer­brö­ckeln­den Grei­fen und nack­ten klei­nen Put­ten die Jah­res­zahl 1500 und den Na­men Ha­re­ton Earns­haw. Ich hät­te gern ein paar Be­mer­kun­gen ge­macht und den mür­ri­schen Ei­gen­tü­mer um eine kur­ze Ge­schich­te des Hau­ses ge­be­ten, aber sei­ne Hal­tung an der Tür schi­en mei­nen schleu­ni­gen Ein­tritt oder mein end­gül­ti­ges Ver­schwin­den zu for­dern, und ich hat­te kei­ne Lust, sei­ne Un­ge­duld zu stei­gern, be­vor ich das Al­ler­hei­ligs­te be­sich­tigt hat­te.

Eine Stu­fe führ­te ohne ir­gend­wel­chen Vor­raum oder Durch­gang in den Wohn­raum der Fa­mi­lie, hier­zu­lan­de ›das Haus‹ ge­nannt. Es ist ge­wöhn­lich Kü­che und Empfangs­zim­mer in ei­nem, doch glau­be ich, dass in Wuthe­ring Heights die Kü­che in einen an­de­ren Teil des Hau­ses ver­bannt war; je­den­falls ver­nahm ich Ge­plap­per von Stim­men und Ge­klap­per von Kü­chen­ge­rä­ten wei­ter in­nen im Hau­se. Auch be­merk­te ich we­der An­zei­chen von Bra­ten, Ko­chen oder Ba­cken in der Nähe der rie­si­gen Feu­er­stät­te noch den Schim­mer von kup­fer­nen Brat­pfan­nen und Zinn­durch­schlä­gen an der Wand. Von ei­nem Ende al­ler­dings wur­de der star­ke Glanz des Lich­tes und der Glut zu­rück­ge­wor­fen, und zwar von Rei­hen rie­si­ger Zinn­schüs­seln, die sich zu­sam­men mit sil­ber­nen Krü­gen und Kan­nen auf ei­ner ge­wal­ti­gen Ei­chen­an­rich­te rei­hen­wei­se fast bis zum Dach auf­türm­ten. Die­ses war nie un­ter­zim­mert wor­den; un­ver­hüllt zeig­te sich sein gan­zes Ge­rip­pe dem for­schen­den Blick, bis auf die Stel­le, wo es von ei­nem höl­zer­nen Gerüst ver­bor­gen wur­de, das mit Ha­fer­ku­chen und Ber­gen von Rinds-, Ham­mel- und Schweins­keu­len be­la­den war. Über dem Ka­min hin­gen meh­re­re alte Räu­ber­flin­ten und ein Paar Rei­ter­pis­to­len, und auf dem Sims stan­den, wohl als Schmuck, drei mit grel­len Far­ben be­mal­te Blech­büch­sen. Der Fuß­bo­den war aus glat­tem weißem Stein; die hoch­leh­ni­gen Stüh­le, schlicht in der Form, wa­ren grün ge­stri­chen; ein oder zwei schwar­ze Lehn­stüh­le stan­den im Schat­ten. Un­ter der An­rich­te lag eine rie­si­ge fahl­brau­ne Hüh­ner­hün­din, um­ge­ben von ei­nem Ge­wim­mel quie­ken­der Wel­pen, und in an­de­ren Win­keln la­gen noch mehr Hun­de.

Das Zim­mer und die Ein­rich­tung hät­ten zu ei­nem schlich­ten Land­wirt des Nor­dens ge­passt, zu ei­nem Mann mit stu­rem Ge­sichts­aus­druck, des­sen kräf­ti­ge Glie­der sich in Knie­ho­sen und Ga­ma­schen gut aus­neh­men. Män­ner die­ser Art, im Lehn­stuhl sit­zend, den schäu­men­den Bier­krug vor sich auf dem run­den Tisch, kann man im Um­kreis von fünf oder sechs Mei­len über­all in die­sen Ber­gen an­tref­fen, wenn man sie zur rich­ti­gen Zeit nach dem Mit­tag­brot auf­sucht. Aber Mr. Hea­th­cliff bil­det einen merk­wür­di­gen Ge­gen­satz zu sei­ner Be­hau­sung und sei­nem Le­bens­stil. Sei­nem Aus­se­hen nach ist er ein dun­kel­häu­ti­ger Zi­geu­ner, der Klei­dung und dem Ge­ha­ben nach ein vor­neh­mer Mann, das heißt in der Art vor­nehm, wie vie­le Land­jun­ker es sind: viel­leicht et­was schlam­pig, doch trotz der Ver­nach­läs­si­gung nicht übel aus­se­hend, weil er eben­mä­ßig und gut ge­wach­sen ist — und et­was mür­risch. Es ist mög­lich, dass er bei man­chen Men­schen im Ver­dacht ei­nes un­ge­bil­de­ten Hoch­muts steht; ich füh­le in mir eine ver­wand­te Sai­te klin­gen, die mir sagt, dass dem nicht so ist. Mein Ge­fühl sagt mir: sei­ne Zu­rück­hal­tung ent­springt ei­ner Ab­nei­gung ge­gen Ge­fühls­äu­ße­run­gen und Freund­lich­keits­be­kun­dun­gen. Er wird glei­cher­wei­se im ver­bor­ge­nen lie­ben und has­sen und wird es als eine Art von Un­ver­schämt­heit er­ach­ten, wie­der­ge­liebt oder -ge­hasst zu wer­den. Aber halt, ich las­se mir zu sehr die Zü­gel schie­ßen, ich stat­te ihn zu ver­schwen­de­risch mit mei­nen ei­ge­nen Cha­rak­ter­zü­gen aus. Vi­el­leicht hat Mr. Hea­th­cliff ganz an­de­re Grün­de da­für, sei­ne Hand zu ver­ste­cken, wenn er einen trifft, der sei­ne Be­kannt­schaft sucht, als die, die mich be­we­gen. Ich will hof­fen, dass ich mit mei­ner Ver­an­la­gung ein­zeln da­ste­he. Mei­ne lie­be Mut­ter pfleg­te zu sa­gen, ich wür­de nie­mals ein ge­müt­li­ches Heim ha­ben, und erst im letz­ten Som­mer habe ich mich als un­wür­dig er­wie­sen, ei­nes zu grün­den.

Wäh­rend ich einen Mo­nat schö­nen Wet­ters an der See ver­leb­te, ge­riet ich in die Ge­sell­schaft ei­nes be­zau­bern­den Ge­schöp­fes, ei­ner wah­ren Göt­tin in mei­nen Au­gen, so­lan­ge sie mir kei­ne Auf­merk­sam­keit schenk­te. Ich gab mei­ner Lie­be nie mit Wor­ten Aus­druck; doch wenn Bli­cke spre­chen kön­nen, hät­te auch der ärgs­te Dumm­kopf er­ra­ten, dass ich bis über bei­de Ohren ver­liebt war. Sie ver­stand mich schließ­lich und er­wi­der­te mei­ne Au­gen­spra­che mit dem sü­ßes­ten Blick, den man sich vor­stel­len kann. Und was tat ich? Ich ge­ste­he es vol­ler Scham: ich zog mich, zu Eis er­starrt, in mich selbst zu­rück wie eine Schne­cke, zog mich bei je­dem Blick ab­ge­kühl­ter und wei­ter zu­rück, bis die arme Un­schuld schließ­lich an­fing, ih­ren ei­ge­nen Sin­nen zu miss­trau­en und, nie­der­ge­schla­gen und ver­wirrt, ihre Mut­ter über­re­de­te, die Zel­te ab­zu­bre­chen. Durch die­se merk­wür­di­ge Ver­an­la­gung bin ich in den Ruf vor­sätz­li­cher Her­zens­käl­te ge­kom­men, wie un­ver­dient, kann nur ich al­lein er­mes­sen.

Mein Wirt ging auf den Herd­sitz zu, ich nahm am ent­ge­gen­ge­setz­ten Ende Platz und füll­te eine Pau­se des Schwei­gens mit dem Ver­such, die Hün­din zu strei­cheln, die ihre Kin­der­stu­be ver­las­sen hat­te, wie ein Wolf von hin­ten an mei­ne Bei­ne her­an­ge­schli­chen war und ihre wei­ßen Zäh­ne zum Zuschnap­pen bleck­te. Mein Strei­cheln ver­an­lass­te ein lang­ge­zo­ge­nes tie­fes Knur­ren.

Auch Mr. Hea­th­cliff knurr­te. »Sie soll­ten den Hund lie­ber in Ruhe las­sen!« Er un­ter­drück­te grö­be­re Ge­fühls­äu­ße­run­gen durch ein Auf­stamp­fen mit dem Fuß. »Sie ist nicht ge­wöhnt, ge­strei­chelt zu wer­den; sie ist kein Spiel­hund.« Dann, zu ei­ner Sei­ten­tür tre­tend, rief er wie­der: »Jo­seph!«

Jo­seph brum­mel­te un­deut­lich in der Tie­fe des Kel­lers, gab aber nicht zu ver­ste­hen, dass er her­auf­kom­men wol­le; dar­um stieg sein Herr zu ihm hin­ab und ließ mich al­lein mit der wil­den Hün­din und ei­nem Paar grim­mig zot­ti­ger Schä­fer­hun­de, die sich mit ihr in die arg­wöh­ni­sche Be­wa­chung je­der mei­ner Be­we­gun­gen teil­ten. Da ich nicht dar­auf brann­te, mit ih­ren Fän­gen in Berüh­rung zu kom­men, saß ich still; aber weil ich mir ein­bil­de­te, sie ver­stün­den stum­me Be­lei­di­gun­gen kaum, er­laub­te ich mir un­glück­li­cher­wei­se, mit den Au­gen zu zwin­kern und dem Trio Ge­sich­ter zu schnei­den, und eine Gri­mas­se brach­te die Hun­de­da­me so auf, dass sie plötz­lich in Wut ge­riet und auf mei­ne Knie sprang. Ich schleu­der­te sie zu­rück und be­eil­te mich, den Tisch zwi­schen uns zu brin­gen. Die­ser Vor­gang brach­te die gan­ze Meu­te auf die Bei­ne. Ein hal­b­es Dut­zend vier­fü­ßi­ger Fu­ri­en, ver­schie­den in Al­ter und Grö­ße, kam aus ver­bor­ge­nen Win­keln her­vor bis in die Mit­te des Rau­mes. Auf mei­ne Stie­fel­ab­sät­ze und Rock­schö­ße hat­ten sie es be­son­ders ab­ge­se­hen, und wäh­rend ich die grö­ße­ren An­grei­fer, so gut es ging, mit dem Schürei­sen ab­wehr­te, sah ich mich ge­zwun­gen, laut nach je­mand im Hau­se um Hil­fe zu ru­fen, um den Frie­den wie­der­her­zu­stel­len.

Mr. Hea­th­cliff und sein Knecht stie­gen die Kel­ler­trep­pe mit auf­rei­zen­der Ruhe her­auf; ich glau­be nicht, dass sie sich um eine Se­kun­de schnel­ler be­weg­ten als sonst, ob­wohl am Herd­platz ein wah­res Un­wet­ter von To­ben und Kläf­fen war. Zum Glück be­wies eine Be­woh­ne­rin der Kü­che mehr Eile: eine leb­haf­te Frau­ens­per­son mit auf­ge­schürz­tem Kleid, nack­ten Ar­men und feu­e­rer­hitz­ten Wan­gen stürz­te, eine Brat­pfan­ne schwin­gend, mit­ten un­ter uns und ge­brauch­te die­se Waf­fe und ihre Zun­ge so er­folg­reich, dass der Sturm sich wie durch Zau­ber leg­te und sie al­lein be­wegt blieb wie die See nach ei­nem Un­wet­ter, als ihr Herr den Schau­platz be­trat.

»Was zum Teu­fel ist hier los?« frag­te er und blick­te mich in ei­ner Wei­se an, die ich nach die­ser un­gast­li­chen Be­hand­lung schlecht er­tra­gen konn­te.

»Was zum Teu­fel? Al­ler­dings!« brumm­te ich. »Die Schwei­ne­her­de in der Bi­bel war si­cher­lich von kei­nem schlim­me­ren Geist be­ses­sen als Ihre Tie­re hier. Gera­de­so­gut könn­ten Sie einen Frem­den mit ei­ner Ti­ger­brut al­lein las­sen.«

»Sie tun kei­nem et­was zu­lei­de, der nichts an­fasst«, be­merk­te er, wäh­rend er die Fla­sche vor mich hin­stell­te und den ver­scho­be­nen Tisch zu­recht­rück­te. »Die Hun­de sind in ih­rem Recht, wenn sie wach­sam sind. — Neh­men Sie ein Glas Wein?«

»Nein, dan­ke!«

»Sie sind doch nicht ge­bis­sen wor­den?«

»Wenn ich es wäre, hät­te ich dem Bei­ßer einen Denk­zet­tel ge­ge­ben.«

Hea­th­cliffs Ge­sicht ent­spann­te sich in ei­nem Grin­sen. »Na, na«, sag­te er, »Sie sind auf­ge­regt, Mr. Lock­wood! Hier, trin­ken Sie ein Glas Wein. Gäs­te sind in die­sem Hau­se so sel­ten, dass ich und mei­ne Hun­de — das gebe ich zu kaum wis­sen, wie man sie emp­fängt. Zum Wohl, Mr. Lock­wood!«

Ich ver­beug­te mich und trank ihm zu, denn ich sah ein, dass es tö­richt ge­we­sen wäre, we­gen des schlech­ten Be­tra­gens die­ses Hun­de­volks zu schmol­len. Über­dies hat­te ich kei­ne Lust, dem Man­ne Ge­le­gen­heit zu ge­ben, sich wei­ter über mich lus­tig zu ma­chen, zu­mal er in der Stim­mung dazu war.

Er, wohl von der Er­wä­gung aus­ge­hend, dass es un­klug sei, einen gu­ten Päch­ter zu be­lei­di­gen, mä­ßig­te ein we­nig sei­ne Art, die Wör­ter ein­zeln ab­ge­hackt her­vor­zu­sto­ßen, und lei­te­te zu ei­nem Ge­gen­stand über, von dem er an­nahm, dass er mich in­ter­es­sier­te, ei­nem Ge­spräch über die Vor­tei­le und Nach­tei­le mei­nes neu­en Wohn­or­tes. Ich fand ihn sehr be­wan­dert in den Din­gen, die wir be­rühr­ten, und be­vor ich nach Hau­se ging, war ich so weit er­mu­tigt, dass ich mich aus frei­en Stücken für mor­gen wie­der an­sag­te. Er wünsch­te au­gen­schein­lich kei­ne Wie­der­ho­lung des Be­suchs, doch wer­de ich trotz­dem hin­ge­hen. Es ist er­staun­lich, wie ge­sel­lig ich mir, mit ihm ver­gli­chen, vor­kom­me.

Zweites Kapitel

Ges­tern Nach­mit­tag setz­ten Ne­bel und Käl­te ein. Ich hat­te halb und halb Lust, in mei­nem Stu­dier­zim­mer am Ka­min zu blei­ben, an­statt durch Hei­de und Lehm­bo­den nach Wuthe­ring Heights zu wa­ten. Als ich je­doch vom Mit­ta­ges­sen auf­stand (ne­ben­bei be­merkt, ich esse zwi­schen zwölf und ein Uhr; die Haus­häl­te­rin, eine äl­te­re Frau, die ich laut Ver­ein­ba­rung zu­gleich mit dem Hau­se über­nom­men hat­te, konn­te oder woll­te mei­ne Bit­te, um fünf Uhr zu spei­sen, nicht be­grei­fen), als ich also mit die­sem be­que­men Vor­satz die Trep­pe hin­auf­ging und das Zim­mer be­trat, knie­te dort, in­mit­ten von Bürs­ten und Koh­len­ei­mern, eine Dienst­magd am Bo­den, die mit Hau­fen von Asche die Flam­men er­stick­te und da­bei einen höl­li­schen Staub auf­wir­bel­te. Die­ser An­blick ließ mich au­gen­blick­lich ent­wei­chen; ich nahm mei­nen Hut und lang­te nach ei­nem Marsch von vier Mei­len bei Hea­th­cliffs Gar­ten­pfor­te an, ge­ra­de zur rech­ten Zeit, den ers­ten wir­beln­den Flo­cken ei­nes Schnee­ge­stö­bers zu ent­rin­nen.

Auf die­ser kah­len Höhe war die Erde hart ge­fro­ren, und die kal­te Luft ließ mich am gan­zen Kör­per er­schau­ern. Da ich die Ket­te nicht lö­sen konn­te, sprang ich über den Zaun, lief den von Sta­chel­beer­sträu­chern ge­säum­ten ge­pflas­ter­ten Damm ent­lang und klopf­te, ver­geb­lich Ein­lass be­geh­rend, an das Tor, bis mei­ne Knö­chel schmerz­ten und die Hun­de heul­ten.

›Elen­de Ban­de!‹ knirsch­te ich in­ner­lich, ›ihr ver­dien­tet, für eure fle­gel­haf­te Un­gast­lich­keit ewig von eu­res­glei­chen ge­mie­den zu wer­den! Zum min­des­ten wür­de ich mei­ne Tür wäh­rend des Ta­ges nicht ver­rie­geln. Mir ganz gleich — ich will hin­ein!‹ Mit die­sem Ent­schluss fass­te ich die Klin­ke und rüt­tel­te hef­tig dar­an. Es dau­er­te noch eine Wei­le, bis das es­sigsau­re Ge­sicht Jo­se­phs in ei­nem run­den Fens­ter der Scheu­ne er­schi­en.

»Was wolln Sie?« schrie er mich an. »Der Herr is drun­ten aufm Feld. Gehn Sie doch hin­ten rum, wenn Sie ’n spre­chen wolln.«

»Ist denn nie­mand im Haus, der die Tür öff­nen kann?« schrie ich zu­rück.

»Nee, nur die Frau, und die macht nich auf, und wenn Sie bis heut nacht wei­ter­to­ben.«

»Wa­rum nicht? Kön­nen Sie ihr nicht sa­gen, wer ich bin, he, Jo­seph?«

»Nee, ich nich! Ich will nix mit zu tun ham«, mur­mel­te er, und der Kopf ver­schwand.

Der Schnee be­gann dich­ter zu fal­len. Ich er­griff die Klin­ke, um noch einen Ver­such zu ma­chen, als ein jun­ger Mann ohne Rock mit ge­schul­ter­ter Heu­ga­bel hin­ten im Hof er­schi­en. Er rief mir zu, ihm zu fol­gen, und nach­dem wir durch ein Wasch­haus und einen ge­pflas­ter­ten Hof, an ei­nem Koh­len­schup­pen, ei­ner Pum­pe und ei­nem Tau­ben­schlag vor­bei­ge­gan­gen wa­ren, lan­de­ten wir end­lich in dem großen, war­men, schö­nen Zim­mer, in dem ich zu­erst emp­fan­gen wor­den war. Es er­strahl­te wohl­tu­end im Schein ei­nes ge­wal­ti­gen Feu­ers, das von Koh­le, Torf und Holz ge­nährt wur­de. Am Tisch, der für eine reich­li­che Abend­mahl­zeit ge­deckt war, be­merk­te ich zu mei­ner Freu­de die ›Frau‹, ein We­sen, von des­sen Vor­han­den­sein ich bis da­hin nichts ge­ahnt hat­te. Ich ver­beug­te mich und war­te­te, in der Mei­nung, sie wür­de mir einen Platz an­bie­ten. Sie blick­te mich an, lehn­te sich im Stuhl zu­rück und ver­harr­te be­we­gungs­los und stumm.

»Un­freund­li­ches Wet­ter!« be­merk­te ich: »Ich fürch­te, Mrs. Hea­th­cliff, die Tür wird in­fol­ge der läs­si­gen Auf­merk­sam­keit Ih­rer Die­ner et­was ab­be­kom­men ha­ben. Es war ein ver­teu­fel­tes Stück Ar­beit, bis sie mich ge­hört ha­ben!«

Sie öff­ne­te den Mund nicht. Ich starr­te sie und sie starr­te mich an. Je­den­falls ließ sie ihre Au­gen auf eine küh­le, un­be­küm­mer­te Art auf mir ru­hen, die äu­ßerst ver­wir­rend und un­an­ge­nehm war.

»Set­zen Sie sich!« sag­te der jun­ge Mann mür­risch. »Er wird bald hier sein.«

Ich ge­horch­te, räus­per­te mich und lock­te die böse Juno, die bei die­sem zwei­ten Zu­sam­men­tref­fen ge­ruh­te, die äu­ßers­te Spit­ze ih­res Schwan­zes zu be­we­gen, als Zei­chen, dass sie sich mei­ner Be­kannt­schaft er­in­ner­te.

»Ein pracht­vol­les Tier!« be­gann ich von neu­em. »Wer­den Sie die Jun­gen ab­ge­ben, gnä­di­ge Frau?«

»Sie ge­hö­ren nicht mir«, sag­te die lie­bens­wür­di­ge Wir­tin noch ab­wei­sen­der, als selbst Hea­th­cliff hät­te ant­wor­ten kön­nen. »O, dann sind wohl das dort Ihre Lieb­lin­ge?« fuhr ich fort und wies auf ein dunkles Kis­sen, auf dem an­schei­nend Kat­zen la­gen.

»Eine son­der­ba­re Aus­wahl von Lieb­lin­gen!« be­merk­te sie ver­ächt­lich.

Un­glück­li­cher­wei­se war es ein Hau­fen to­ter Ka­nin­chen. Ich räus­per­te mich noch ein­mal, rück­te nä­her an den Ka­min und wie­der­hol­te mei­ne Be­mer­kung über den stür­mi­schen Abend. »Sie hät­ten nicht aus­ge­hen sol­len«, sag­te sie, stand auf und lang­te nach zwei von den be­mal­ten Blech­do­sen auf dem Ka­min­sims.

Vor­her war sie dem Licht ab­ge­wen­det ge­we­sen; jetzt er­hielt ich einen kla­ren Ein­druck von ih­rer Ge­stalt und ih­rem Ge­sicht. Sie war schlank und an­schei­nend kaum dem Kin­desal­ter ent­wach­sen, hat­te die wun­der­volls­te Fi­gur und das rei­zends­te klei­ne Ge­sicht, das ich je­mals ge­se­hen habe; fei­ne Züge, sehr schön; flachs­blon­de, nein, ei­gent­lich gol­de­ne Lo­cken, die lose über ih­ren zar­ten Na­cken fie­len; Au­gen, die un­wi­der­steh­lich ge­we­sen wä­ren, wenn sie einen an­ge­neh­men Aus­druck ge­habt hät­ten. Zum Glück für mein emp­fäng­li­ches Herz schwank­te das ein­zi­ge Ge­fühl, das sie aus­drück­ten, zwi­schen Ver­ach­tung und ei­ner Art Verzweif­lung, und die­se dort an­zu­tref­fen, mu­te­te ganz be­son­ders un­na­tür­lich an.

Die Blech­do­sen wa­ren für sie kaum zu er­rei­chen; ich mach­te eine Be­we­gung, um ihr zu hel­fen, aber sie fuhr her­um wie ein Geiz­hals, dem je­mand beim Geld­zäh­len hel­fen woll­te.

»Ich brau­che Ihre Hil­fe nicht«, fuhr sie mich an, »ich kann sie al­lein her­un­ter­ho­len.«

»Ver­zei­hen Sie!« be­eil­te ich mich zu ent­geg­nen.

»Sind Sie zum Tee ein­ge­la­den?« frag­te sie, wäh­rend sie sich eine Schür­ze über ihr ele­gan­tes schwar­zes Kleid band und einen Löf­fel voll Tee­blät­ter über den Topf hielt.

»Ich wür­de gern eine Tas­se trin­ken«, er­wi­der­te ich. »Sind Sie ein­ge­la­den?« wie­der­hol­te sie.

»Nein«, sag­te ich lä­chelnd. »Vi­el­leicht ha­ben Sie die Güte, es zu tun.«

Sie schleu­der­te den Tee, den Löf­fel und al­les üb­ri­ge zu­rück, nahm är­ger­lich ih­ren Platz wie­der ein, run­zel­te die Stirn und schob ihre rote Un­ter­lip­pe vor, wie ein Kind, das wei­nen will. Un­ter­des­sen hat­te der jun­ge Mann einen äu­ßerst schä­bi­gen Rock an­ge­zo­gen, stell­te sich auf­recht vor das Feu­er und blick­te aus den Au­gen­win­keln auf mich her­ab, als ob eine töd­li­che Feh­de un­aus­ge­tra­gen zwi­schen uns be­stün­de. Ich schwank­te, ob er ein Knecht war oder nicht, so­wohl sei­ne Klei­dung wie sei­ne Spra­che wa­ren pri­mi­tiv, und es fehl­te ih­nen gänz­lich die Über­le­gen­heit Mr. und Mrs. Hea­th­cliffs. Sei­ne dich­ten brau­nen Lo­cken wa­ren wi­der­spens­tig und un­ge­pflegt, ein Voll­bart be­deck­te sei­ne Wan­gen wie ein Pelz, und sei­ne Hän­de wa­ren son­nen­ge­bräunt wie die ei­nes ein­fa­chen Land­ar­bei­ters. Und doch war sein Auf­tre­ten si­cher, fast stolz, und die Art, wie er die Frau des Hau­ses be­han­del­te, be­kun­de­te kei­ne die­ner­haf­te Un­ter­wür­fig­keit. In Un­kennt­nis sei­ner Stel­lung hielt ich es für das bes­te, sein merk­wür­di­ges Ver­hal­ten nicht zu be­ach­ten, und fünf Mi­nu­ten spä­ter be­frei­te mich Hea­th­cliffs Ein­tritt in ge­wis­sem Gra­de aus die­sem un­be­hag­li­chen Zu­stand.

»Wie Sie se­hen, Mr. Hea­th­cliff, bin ich, mei­nem Ver­spre­chen ge­mäß, ge­kom­men«, rief ich mit ge­spiel­ter Mun­ter­keit aus, »und ich fürch­te, ich wer­de für eine hal­be Stun­de durch das Wet­ter fest­ge­hal­ten wer­den, wenn Sie mir wäh­rend die­ser Zeit Ob­dach ge­wäh­ren kön­nen.«

»Eine hal­be Stun­de?« mein­te er und schüt­tel­te die wei­ßen Flo­cken von sei­nen Klei­dern. »Ich möch­te wis­sen, warum Sie sich einen Schnee­sturm zum Um­her­strei­fen aus­su­chen. Wis­sen Sie, dass Sie Ge­fahr lau­fen, sich im Moo­re zu ver­ir­ren? Selbst Leu­te, die mit un­se­ren Sümp­fen ver­traut sind, kom­men an sol­chen Aben­den oft vom Wege ab, und ich sage Ih­nen, dass im Au­gen­blick kei­ne Aus­sicht auf eine Än­de­rung be­steht.«

»Vi­el­leicht darf ich einen Ih­rer Bur­schen als Füh­rer ha­ben, und er kann bis mor­gen früh in mei­nem Ge­höft blei­ben. Kön­nen Sie je­man­den ent­beh­ren?«

»Nein, das kann ich nicht.«

»Ach, wirk­lich? Nun, dann muss ich mich eben auf mei­nen ei­ge­nen Scharf­sinn ver­las­sen.«

»Hm!«

»Wirst du jetzt den Tee auf­gie­ßen?« frag­te der im schä­bi­gen Rock und ließ sei­ne wil­den Bli­cke von mir zu der jun­gen Dame wan­dern.

»Soll er wel­chen ha­ben?« frag­te sie, sich an Hea­th­cliff wen­dend.

»Mach los!« war die in ei­nem so wü­ten­den Tone vor­ge­brach­te Ant­wort, dass ich auf­fuhr. Der Ton, in dem die Wor­te ge­spro­chen wur­den, of­fen­bar­te un­ver­hüll­te Bos­heit, und ich fühl­te mich nicht mehr ge­neigt, Hea­th­cliff einen fa­mo­sen Bur­schen zu nen­nen.

Als der Tee fer­tig war, lud er mich mit den Wor­ten ein: »Na, dann rücken Sie Ihren Stuhl her­an!« Wir alle, auch der bäu­er­li­che jun­ge Mann, ver­ei­nig­ten uns um den Tisch, und wäh­rend wir uns mit der Mahl­zeit be­schäf­tig­ten, herrsch­te ein un­freund­li­ches Schwei­gen.

Ich hielt mich zu ei­nem Ver­such ver­pflich­tet, die Wol­ke, de­ren Ur­sa­che ich ge­we­sen war, zu ver­scheu­chen. Sie konn­ten doch nicht alle Tage so düs­ter und schweig­sam da­sit­zen; es war un­mög­lich, wie schlecht ge­launt sie auch sein moch­ten, dass der ge­mein­sa­me fins­te­re Aus­druck ihr all­täg­li­ches Ge­sicht war! »Es ist selt­sam«, be­gann ich in der Pau­se zwi­schen zwei Tas­sen Tee, »Es ist selt­sam, wie stark Ge­wohn­heit un­se­re Nei­gun­gen und Vor­stel­lun­gen formt. Manch ei­ner könn­te sich kein Glück den­ken in ei­nem Le­ben völ­li­ger Ab­ge­schie­den­heit von der Welt, wie Sie es füh­ren, Mr. Hea­th­cliff. Und doch wage ich zu be­haup­ten, dass, um­ge­ben von Ih­rer Fa­mi­lie und mit Ih­rer lie­bens­wür­di­gen Haus­frau, die in Ihrem Heim und Her­zen re­gier­t…«

»Mei­ne lie­bens­wür­di­ge Haus­frau?« un­ter­brach er mich mit ei­nem ge­ra­de­zu teuf­li­schen Hohn­la­chen im Ge­sicht. »Wo ist sie, mei­ne lie­bens­wür­di­ge Haus­frau?«

»Ich mei­ne Mrs. Hea­th­cliff, Ihre Frau.«

»Ach so! Also Sie woll­ten an­deu­ten, dass ihr Geist die Ob­lie­gen­hei­ten ei­nes Schutz­en­gels über­nom­men hat und die Schät­ze von Wuthe­ring Heights be­wacht, ob­wohl ihr Leib da­hin ist. War es so?«

Ich merk­te, dass ich einen Feh­ler be­gan­gen hat­te, und ver­such­te, ihn wie­der­gutz­u­ma­chen. Ich hät­te se­hen müs­sen, dass der Al­ters­un­ter­schied zwi­schen den bei­den zu groß war, als dass man sie für Mann und Frau hät­te hal­ten kön­nen. Er war etwa vier­zig, ein Al­ter geis­ti­ger Kraft, in dem Män­ner sich sel­ten der Täu­schung hin­ge­ben, dass ein Mäd­chen sie aus Lie­be hei­ra­ten könn­te; die­ser Traum ist uns als Trost für un­se­ren Le­bens­abend vor­be­hal­ten. Sie sah aus wie höchs­tens sieb­zehn. Da blitz­te es in mir auf: Der Töl­pel an mei­ner Sei­te, der sei­nen Tee aus ei­nem Napf trinkt und sein Brot mit un­ge­wa­sche­nen Hän­den isst, ist viel­leicht ihr Mann. Na­tür­lich, Hea­th­cliff ju­ni­or. Das ist die Fol­ge des Le­ben­dig­be­gra­benseins: sie hat sich an die­sen Bau­ern­lüm­mel weg­ge­wor­fen aus lau­ter Un­kennt­nis, dass es noch bes­se­re Män­ner gibt! Wie scha­de! — Ich muss vor­sich­tig sein und ihr kei­ne Ur­sa­che ge­ben, ihre Wahl zu be­reu­en. — Die­se letz­te Über­le­gung mag ein­ge­bil­det klin­gen, sie war es nicht. Mein Nach­bar er­füll­te mich fast mit Ab­scheu; aus Er­fah­rung wuss­te ich, dass ich leid­lich an­zie­hend wirk­te. »Mrs. Hea­th­cliff ist mei­ne Schwie­ger­toch­ter«, sag­te Hea­th­cliff, mei­ne Ver­mu­tung be­stä­ti­gend. Wäh­rend er sprach, warf er einen ei­gen­tüm­li­chen Blick in ihre Rich­tung, einen has­s­er­füll­ten Blick, es wäre denn, dass er über höchst ei­gen­wil­li­ge Ge­sichts­mus­keln ver­füg­te, die nicht, wie die an­de­rer Leu­te, die Spra­che der See­le er­ken­nen las­sen.

»O na­tür­lich — ich ver­ste­he: Sie sind der glück­li­che Ge­fähr­te der gu­ten Fee«, be­merk­te ich, mich an mei­nen Nach­bar wen­dend.

Das war schlim­mer als al­les Vor­her­ge­hen­de! Der jun­ge Mann wur­de pu­ter­rot und ball­te die Fäus­te mit al­len An­zei­chen ei­nes be­ab­sich­tig­ten An­griffs. Aber schließ­lich schi­en er sich zu fas­sen und un­ter­drück­te den Sturm mit ei­nem auf mich ge­münz­ten Fluch, den ich zu über­hö­ren such­te.

»Sie ha­ben Pech mit Ihren Ver­mu­tun­gen«, be­merk­te mein Wirt; »kei­ner von uns hat den Vor­zug, der Ge­fähr­te Ih­rer gu­ten Fee zu sein; ihr Mann ist tot. Ich sag­te, dass sie mei­ne Schwie­ger­toch­ter sei, da­her muss sie mei­nen Sohn ge­hei­ra­tet ha­ben.«

»Und die­ser jun­ge Mann ist…«

»Ganz ge­wiss nicht mein Sohn!« Hea­th­cliff lä­chel­te wie­der, als ob es ein all­zu küh­ner Scherz sei, ihm die Va­ter­schaft an die­sem Bä­ren zu­zu­schrei­ben.

»Mein Name ist Ha­re­ton Earns­haw«, knurr­te der an­de­re, »und ich rate Ih­nen, Ach­tung da­vor zu ha­ben!«

»Ich habe es nicht dar­an feh­len las­sen«, ent­geg­ne­te ich, in­ner­lich über die Wür­de la­chend, mit der er sich vor­stell­te.

Er starr­te mich an, län­ger, als ich den Blick aus­hal­ten konn­te, aus Furcht vor der Ver­su­chung, ihm ent­we­der eine Ohr­fei­ge zu ver­set­zen oder mei­ne Hei­ter­keit zu ver­ra­ten. Ich fühl­te mich in die­sem an­ge­neh­men Fa­mi­li­en­krei­se durch­aus fehl am Plat­ze. Die düs­te­re see­li­sche At­mo­sphä­re über­wog die war­me äu­ße­re Be­hag­lich­keit um mich her, und ich be­schloss, mich auf kei­nen Fall ein drit­tes Mal un­ter die­ses Dach zu be­ge­ben. Die Mahl­zeit war be­en­det, und da nie­mand zu ge­sel­li­ger Un­ter­hal­tung Nei­gung zeig­te, ging ich ans Fens­ter, um nach dem Wet­ter zu se­hen. Es war ein trost­lo­ser An­blick: die Nacht war vor­zei­tig her­ein­ge­bro­chen, der Him­mel und die Ber­ge schwam­men in dem hef­ti­gen Wir­bel des Win­des und des al­les be­gra­ben­den Schnees.

»Jetzt glau­be ich selbst, dass ich ohne Füh­rer nicht nach Hau­se zu­rück­fän­de«, ent­fuhr es mir un­will­kür­lich, »die Stra­ßen wer­den be­reits ver­schneit sein, und selbst wenn sie es nicht wä­ren, könn­te ich sie kaum einen Schritt weit er­ken­nen.«

»Ha­re­ton, trei­be die zwölf Scha­fe in die Scheu­ne! Sie wer­den ein­schnei­en, wenn sie die gan­ze Nacht in der Hür­de blei­ben. Lege auch eine Plan­ke vor!« sag­te Hea­th­cliff.

»Was soll ich nur tun?« frag­te ich mit auf­stei­gen­dem Är­ger. Es kam kei­ne Ant­wort auf mei­ne Fra­ge. Als ich mich um­blick­te, sah ich nur Jo­seph, der einen Ei­mer mit Grüt­ze für die Hun­de her­ein­brach­te, und Mrs. Hea­th­cliff, die sich über das Feu­er beug­te und sich die Zeit da­mit ver­trieb, ein Bün­del Schwe­fel­höl­zer zu ver­bren­nen, das vom Ka­min­sims her­un­ter­ge­fal­len war, als sie die Tee­do­sen an ih­ren Platz zu­rück­ge­stellt hat­te.

Als er sei­ne Last ab­ge­setzt hat­te, un­ter­zog Jo­seph das Zim­mer ei­ner kri­ti­schen Prü­fung und stieß in kräch­zen­dem Tone her­vor: »Möcht wis­sen, was das für ’ne Mode is, mü­ßig da­zu­stehn und zu gu­cken, wie alle aus­lö­schen! Aber Sie sind zu nix nut­ze, und ’s hat kein Zweck, drü­ber zu re­den. Sie wem Ihre schlech­ten Ge­wohn­hei­ten nie las­sen. Gehn Sie zum Teu­fel wie Ihre Mut­ter!«

Ich glaub­te einen Au­gen­blick lang, dass die­se Rede an mich ge­rich­tet sei, und ging, zur Ge­nü­ge er­bost, auf den al­ten Kerl zu mit der Ab­sicht, ihn zur Tür hin­aus­zu­wer­fen. Mrs. Hea­th­cliff je­doch hin­der­te mich dar­an durch ihre Ant­wort.

»Du schänd­li­cher al­ter Heuch­ler!« schrie sie. »Hast du nicht je­des Mal Angst, dass dich der Teu­fel bei le­ben­di­gem Lei­be holt, wenn du sei­nen Na­men aus­sprichst? Ich war­ne dich da­vor, mich zu rei­zen, sonst wer­de ich als ganz be­son­de­re Gunst dar­um bit­ten, dass er dich holt. Halt! Sieh her, Jo­seph«, fuhr sie fort und nahm ein großes, dunkles Buch von ei­nem Brett, »ich wer­de dir zei­gen, wie weit ich in der Schwar­zen Kunst fort­ge­schrit­ten bin: ich bin bald so weit, dass ich das Haus säu­bern kann. Die rote Kuh ist nicht durch Zu­fall ein­ge­gan­gen, und dein Rheu­ma­tis­mus kann auch nicht ge­ra­de zu den glück­li­chen Heim­su­chun­gen ge­rech­net wer­den!«

»Du schlech­tes, schlech­tes…!« keuch­te der Alte. »Der Herr er­lö­se uns von dem Übel!«

»Nein, Ver­wor­fe­ner! Du bist ein Aus­wurf! Scher dich weg, oder ich tu dir et­was Schlim­mes an! Ich wer­de euch alle in Wachs und Ton mo­del­lie­ren las­sen, und der ers­te, der die Gren­ze über­schrei­tet, die ich set­ze, wird… ich wer­de nicht sa­gen, was mit ihm ge­sche­hen wird, aber du wirst schon se­hen! Geh, ich habe ein Auge auf dich!«

Die klei­ne Hexe leg­te einen Aus­druck ge­spiel­ter Bos­heit in ihre schö­nen Au­gen, und Jo­seph, in ehr­li­chem Ent­set­zen zit­ternd, eil­te hin­aus und be­te­te da­bei und stieß das Wort ›schlecht‹ her­vor. Ich glaub­te, ihr Be­neh­men sei nur der Aus­druck ei­ner der­ben Spott­lust, und als wir wie­der al­lein wa­ren, be­müh­te ich mich, sie für mei­nen Kum­mer zu in­ter­es­sie­ren. »Mrs. Hea­th­cliff«, sag­te ich ernst, »Sie müs­sen ent­schul­di­gen, dass ich Sie be­läs­ti­ge. Ich wage es, weil ich si­cher bin, dass Sie, mit sol­chem Ge­sicht, gar nicht an­ders als gü­tig sein kön­nen. Ge­ben Sie mir einen Wink, wie ich den Weg nach Hau­se fin­den kann. Ich weiß eben­so­we­nig, wie ich heim­kom­men soll, wie Sie den Weg nach Lon­don fän­den!«

»Ge­hen Sie den­sel­ben Weg, den Sie ge­kom­men sind!« er­wi­der­te sie und mach­te es sich in ei­nem Stuhl be­quem, eine Ker­ze und ein großes, auf­ge­schla­ge­nes Buch vor sich. »Es ist ein kur­z­er Rat, aber der ver­nünf­tigs­te, den ich Ih­nen ge­ben kann.«

»Wenn Sie mor­gen hö­ren, dass man mich im Sumpf oder in ei­ner Gru­be voll Schnee tot auf­ge­fun­den hat, wird dann Ihr Ge­wis­sen Ih­nen nicht zu­rau­nen, dass Sie einen Teil Schuld dar­an tra­gen?«

»Wie­so? Ich kann Sie nicht be­glei­ten. Die wür­den mich nicht ein­mal bis zur Gar­ten­mau­er ge­hen las­sen.«

»Sie? Wie könn­te ich es wa­gen, Sie zu bit­ten, mei­net­we­gen in ei­ner sol­chen Nacht den Fuß über die Schwel­le zu set­zen!« rief ich. »Ich bit­te, dass Sie mir den Weg be­schrei­ben, nicht zei­gen, oder dass Sie Mr. Hea­th­cliff ver­an­las­sen, mir einen Füh­rer zu stel­len.«

»Wen? Hier woh­nen er selbst, Earns­haw, Zil­lah, Jo­seph und ich. Wen wol­len Sie ha­ben?«

»Gibt es kei­ne Bur­schen auf dem Gut?«

»Nein, das sind alle.«

»Das be­deu­tet also, dass ich ge­zwun­gen bin hier­zu­blei­ben.«

»Das müs­sen Sie mit Ihrem Wirt ab­ma­chen. Ich habe nichts da­mit zu tun.«

»Ich hof­fe, es wird Ih­nen eine Leh­re sein, kei­ne über­eil­ten Aus­flü­ge mehr auf die­se Höhe zu ma­chen«, rief Hea­th­cliffs schar­fe Stim­me vom Kü­chen­ein­gang her. »Was Ihr Hier­blei­ben be­trifft — ich bin nicht auf das Un­ter­brin­gen von Gäs­ten ein­ge­rich­tet. Sie müs­sen das Bett mit Ha­re­ton tei­len oder mit Jo­seph, wenn Sie das wol­len.«

»Ich kann auf ei­nem Stuhl in die­sem Zim­mer schla­fen«, ent­geg­ne­te ich.

»Nein, nein! Ein Frem­der ist ein Frem­der, sei er reich oder arm; es passt mir nicht, dass ir­gend­je­mand sich hier auf­hält, so­lan­ge ich ihn nicht be­wa­chen kann«, sag­te die­ser un­ver­schäm­te Kerl.

Bei die­ser Be­lei­di­gung war mei­ne Ge­duld zu Ende. Ich stieß einen Laut der Wut her­vor, dräng­te mich an ihm vor­bei zum Hof und rann­te in mei­ner Hast ge­gen Earns­haw. Es war so dun­kel, dass ich den Aus­gang nicht er­ken­nen konn­te, und als ich rund­her­um ging, er­hielt ich eine neue Pro­be der höf­li­chen For­men, mit de­nen sie un­ter­ein­an­der ver­kehr­ten. Zu­erst er­schi­en der jun­ge Mann, um mir be­hilf­lich zu sein.

»Ich wer­de mit ihm bis ans Ende des Par­kes ge­hen«, sag­te er.

»Du wirst den Teu­fel tun!« rief sein Herr oder was er sonst für ihn sein moch­te. »Wer soll nach den Pfer­den se­hen, he?«

»Ein Men­schen­le­ben ist wich­ti­ger, als ein­mal die Pfer­de nicht zu ver­sor­gen; je­mand muss doch ge­hen«, sag­te Mrs. Hea­th­cliff freund­li­cher, als ich er­war­te­te.

»Nicht, wenn du es be­fiehlst«, ver­setz­te Ha­re­ton. »Wenn dir an ihm liegt, hiel­test du bes­ser den Mund.«

»Dann hof­fe ich, dass sein Geist dich ver­folgt und dass Mr. Hea­th­cliff nie wie­der einen Päch­ter fin­det, bis das Ge­höft zer­fal­len ist!« er­wi­der­te sie scharf.

»Hört, hört! Sie flucht ih­nen!« mur­mel­te Jo­seph, auf den ich zu­ge­steu­ert war.

Er saß so, dass er uns hö­ren konn­te, und molk die Kühe beim Licht ei­ner La­ter­ne, die ich ohne Um­stän­de er­griff. Ich rief ihm zu, dass ich sie am nächs­ten Mor­gen zu­rück­schi­cken wür­de, und stürz­te der nächs­ten Hin­ter­tür zu.

»Herr, Herr, er stiehlt die La­ter­ne!« schrie der Alte und ver­folg­te mich auf mei­ner Flucht. »He, Gnas­her, he, Hun­de, he, Wolf, fass, fass!«

Als ich die klei­ne Tür öff­ne­te, spran­gen mir zwei zot­ti­ge Un­ge­heu­er an die Keh­le, war­fen mich zu Bo­den und lösch­ten das Licht aus, wäh­rend ein schal­len­des Ge­läch­ter von Hea­th­cliff und Ha­re­ton mei­ner Wut und mei­ner De­mü­ti­gung die Kro­ne auf­setz­te. Glück­li­cher­wei­se schie­nen die Bes­ti­en mehr dazu ge­neigt zu sein, ihre Pfo­ten zu sprei­zen, zu gäh­nen und mit den Schwei­fen zu we­deln, als mich bei le­ben­di­gem Lei­be zu zer­rei­ßen. Aber dass ich mich auf­rich­te­te, dul­de­ten sie nicht, und ich muss­te still lie­gen blei­ben, bis es ih­ren bos­haf­ten Her­ren be­lieb­te, mich zu be­frei­en. Ohne Hut, zit­ternd vor Wut, ver­lang­te ich dann von den Übel­tä­tern, mich hin­aus­zu­las­sen; wenn sie mich noch eine Mi­nu­te län­ger zu­rück­hiel­ten, wür­den sie es zu be­reu­en ha­ben. Die­ses be­kräf­tig­te ich mit un­zu­sam­men­hän­gen­den Dro­hun­gen von Wie­der­ver­gel­tung, die in ih­rer ab­grund­tie­fen Bos­heit an Kö­nig Lear ge­mahn­ten.

Vor Auf­re­gung be­kam ich star­kes Na­sen­blu­ten, und im­mer noch lach­te Hea­th­cliff, und ich schimpf­te. Ich weiß nicht, wie die­ser Auf­tritt ge­en­det hät­te, wäre nicht eine Per­son zur Hand ge­we­sen, die ver­nünf­ti­ger als ich und wohl­mei­nen­der als mei­ne Gast­ge­ber war. Es war Zil­lah, die di­cke Haus­häl­te­rin, die er­schi­en, um sich nach dem Grund des Aufruhrs zu er­kun­di­gen. Sie glaub­te, je­mand hät­te Hand an mich ge­legt, und da sie nicht wag­te, ih­ren Herrn an­zu­grei­fen, rich­te­te sie ihr Wort­ge­schütz ge­gen den jün­ge­ren Fle­gel.

»Na, Mr. Earns­haw«, schrie sie, »ich bin ge­spannt, was Sie nächs­tens noch an­stel­len wer­den! Sol­len hier auf die­sem Hofe Leu­te er­mor­det wer­den? Nein, in die­se Wirt­schaft pas­se ich nicht! Se­hen Sie doch den ar­men Men­schen an, der ist ja fast er­würgt wor­den! Kom­men Sie, ich will Ih­nen hel­fen. Nun hal­ten Sie mal still!«

Mit die­sen Wor­ten goss sie mir plötz­lich eis­kal­tes Was­ser in den Na­cken und zog mich in die Kü­che. Mr. Hea­th­cliff folg­te, und sei­ne jäh aus­ge­bro­che­ne Hei­ter­keit mach­te eben­so schnell sei­nem ge­wöhn­li­chen mür­ri­schen We­sen Platz.

Ich fühl­te mich sehr schwach, schwind­lig und ei­ner Ohn­macht nahe, und es blieb mir nichts an­de­res üb­rig, als Be­her­ber­gung un­ter sei­nem Dach an­zu­neh­men. Er wies Zil­lah an, mir ein Glas Brannt­wein zu ge­ben, und ging in das in­ne­re Zim­mer zu­rück. Wäh­rend sie mir ihre Teil­nah­me an mei­ner be­dau­erns­wer­ten Lage aus­drück­te, kam sie sei­ner An­wei­sung nach, und als ich mich durch den Brannt­wein et­was be­lebt fühl­te, ge­lei­te­te sie mich zu Bett.

Drittes Kapitel

Wäh­rend sie mich die Trep­pe hin­auf­führ­te, riet sie mir, die Ker­ze zu ver­ber­gen und kei­nen Lärm zu ma­chen; denn ihr Herr ma­che merk­wür­dig viel We­sen um das Zim­mer, in das sie mich füh­ren wol­le, und wür­de gut­wil­lig nie­mand dort woh­nen las­sen. Ich frag­te sie nach dem Grund. Sie wis­se ihn nicht, war die Ant­wort; sie sei erst seit ein oder zwei Jah­ren hier, und die Leu­te sei­en oft so wun­der­lich, dass sie nicht neu­gie­rig sein wol­le.

Ich selbst war zu be­täubt, als dass ich neu­gie­rig sein konn­te, schloss mei­ne Tür und sah mich nach dem Bett um. Die gan­ze Ein­rich­tung be­stand aus ei­nem Stuhl, ei­nem Klei­der­schrank und ei­nem großen Kas­ten aus Ei­chen­holz, aus des­sen obe­rem Teil Vier­e­cke her­aus­ge­schnit­ten wa­ren, die wie Wa­gen­fens­ter aus­sa­hen. Ich ging auf das Un­ge­tüm zu, um hin­ein­zu­bli­cken, und ent­deck­te, dass es eine be­son­de­re Art alt­mo­di­scher La­ger­stät­te war, äu­ßerst zweck­dien­lich er­dacht, da­mit nicht je­des Fa­mi­li­en­mit­glied ein ei­ge­nes Zim­mer brauch­te. Es bil­de­te ein rich­ti­ges klei­nes Ka­bi­nett, und der Sims ei­nes Fens­ters diente als Tisch. Ich schob die ge­tä­fel­ten Schie­be­tü­ren bei­sei­te, kroch mit mei­nem Licht hin­ein, schob sie wie­der zu­sam­men und fühl­te mich vor Hea­th­cliffs Wach­sam­keit und al­ler Welt si­cher.

In ei­ner Ecke des Sim­ses, auf den ich mei­ne Ker­ze stell­te, wa­ren ei­ni­ge stock­fle­cki­ge Bü­cher auf­ge­sta­pelt, und in sei­nen An­strich wa­ren über­all Schrift­zei­chen ein­ge­ritzt. Die­se Zei­chen aber bil­de­ten alle nur einen Na­men, der sich in al­len Ar­ten von Buch­sta­ben, großen und klei­nen, wie­der­hol­te: hier Ca­the­ri­ne Earns­haw, da in Ca­the­ri­ne Hea­th­cliff um­ge­wan­delt, und dort wie­der­um in Ca­the­ri­ne Lin­ton.

In stump­fer Teil­nahms­lo­sig­keit lehn­te ich mei­nen Kopf ge­gen das Fens­ter und buch­sta­bier­te im­mer wie­der Ca­the­ri­ne Earns­haw — Hea­th­cliff — Lin­ton, bis mir die Au­gen zu­fie­len. Aber noch nicht fünf Mi­nu­ten wa­ren ver­stri­chen, als ein Schim­mer von wei­ßen Buch­sta­ben, le­ben­dig wie Ge­s­pens­ter, aus dem Dun­kel her­vor­trat. Die Luft war er­füllt von Ca­the­ri­nen, und als ich mich auf­rich­te­te, um den auf­dring­li­chen Na­men zu ban­nen, ent­deck­te ich, dass der Docht mei­ner Ker­ze sich über einen der al­ten Bü­cher­bän­de ge­neigt und dass sich der Raum mit dem Ge­ruch an­ge­brann­ten Kalb­le­ders ge­füllt hat­te. Ich schneuz­te das Licht, und da ich mich in­fol­ge der Käl­te und ei­ner auf­stei­gen­den Übel­keit sehr elend fühl­te, setz­te ich mich auf und nahm den be­schä­dig­ten Band auf mei­ne Knie. Es war ein Te­sta­ment in klei­nem Druck, das schreck­lich mod­rig roch. Das Vor­satz­pa­pier trug die In­schrift ›Dies Buch ge­hört Ca­the­ri­ne Earns­ha­w‹ und ein Da­tum, das etwa ein Vier­tel­jahr­hun­dert zu­rück­lag. Ich klapp­te es zu und nahm ein an­de­res und noch ein an­de­res zur Hand, bis ich sie alle durch­ge­se­hen hat­te. Ca­the­ri­nes Biblio­thek war er­le­sen, und der Zu­stand der Ab­nut­zung, in dem sie sich be­fand, be­wies, dass sie viel ge­braucht wor­den war, al­ler­dings nicht im­mer ih­rer ei­gent­li­chen Be­stim­mung ge­mäß. Kaum ein Ka­pi­tel war frei von Rand­be­mer­kun­gen in Tin­ten­schrift, die je­den Platz, den der Dru­cker frei ge­las­sen hat­te, aus­füll­ten. Man­che von ih­nen be­stan­den aus lo­sen Sät­zen, an­de­re wie­der stell­ten eine Art von re­gel­rech­tem Ta­ge­buch dar, das in un­aus­ge­schrie­be­ner Kin­der­hand hin­ge­krit­zelt war. Auf ei­ner frei­en Sei­te (die einst wahr­schein­lich wie ein Schatz ent­deckt wor­den war) er­blick­te ich oben zu mei­nem großen Ver­gnü­gen eine aus­ge­zeich­ne­te Ka­ri­ka­tur mei­nes Freun­des Jo­seph, roh, aber wir­kungs­voll skiz­ziert. Ein plötz­li­ches In­ter­es­se für die un­be­kann­te Ca­the­ri­ne lo­der­te in mir auf, und ich be­gann so­gleich, ihre ver­blass­ten Schrift­zü­ge zu ent­zif­fern. »Ein furcht­ba­rer Sonn­tag!« be­gann der Ab­satz un­ter der Zeich­nung. »Ich wünsch­te, mein Va­ter wäre wie­der da. Hind­ley ist ein un­aus­steh­li­cher Er­satz für ihn. Sein Be­neh­men Hea­th­cliff ge­gen­über ist ab­scheu­lich. H. und ich wer­den auf­mu­cken. Wir ha­ben heu­te Abend den ers­ten Schritt dazu ge­tan. Den gan­zen Tag hat­te es in Strö­men ge­reg­net, und wir konn­ten nicht in die Kir­che ge­hen, dar­um muss­te Jo­seph un­be­dingt eine Ge­mein­de in der Dach­stu­be zu­sam­men­trom­meln. Wäh­rend Hind­ley sich mit sei­ner Frau vor ei­nem be­hag­li­chen Feu­er wärm­te — ich bür­ge da­für, dass sie nichts an­de­res ta­ten als in ih­ren Bi­beln le­sen —, wur­de Hea­th­cliff, mir und dem un­glück­li­chen Acker­knecht be­foh­len, un­se­re Ge­bet­bü­cher zu neh­men und hin­auf­zu­ge­hen. Wir wur­den in ei­ner Rei­he auf einen Korn­sack ge­setzt, äch­zend und vor Käl­te klap­pernd, und hoff­ten, Jo­seph wür­de auch frie­ren und uns in sei­nem ei­ge­nen In­ter­es­se eine kur­ze Pre­digt hal­ten. Ver­geb­li­che Hoff­nung! Der Got­tes­dienst dau­er­te ge­nau drei Stun­den. Und dann hat­te mein Bru­der die Stirn, als er uns her­un­ter­kom­men sah, zu ru­fen: ›Was, schon fer­tig?‹ An Sonn­tag­aben­den wur­de uns ge­wöhn­lich er­laubt, zu spie­len, wenn wir nicht viel Lärm mach­ten; jetzt ge­nügt schon ein Ki­chern, in die Ecke ge­stellt zu wer­den!

›Ihr ver­ge­sst, dass ihr hier eu­ren Herrn hab­t‹, sag­te der Ty­rann. ›Den ers­ten, der mich reizt, schla­ge ich nie­der! Ich bit­te mir völ­li­gen Ernst und Ruhe aus. Jun­ge, warst du das? Fran­ces, Lieb­ling, zieh ihn an den Haa­ren, wenn du vor­bei­gehst, er hat mit den Fin­gern ge­schnippt.‹ Fran­ces zog ihn herz­haft an den Haa­ren, dann ging sie und setz­te sich auf den Schoß ih­res Man­nes, und so blie­ben sie, wie zwei klei­ne Kin­der, küss­ten sich und re­de­ten stun­den­lang Un­sinn — när­ri­sches Ge­schwätz, des­sen wir uns ge­schämt hät­ten. Wir dräng­ten uns, so dicht es ging, in die Ni­sche un­ter der An­rich­te. Ich hat­te ge­ra­de un­se­re Kin­der­schür­zen zu­sam­men­ge­bun­den und sie als Vor­hang an­ge­bracht, als Jo­seph mit ei­ner Be­stel­lung aus dem Stall her­ein­kam. Er reißt mein Mach­werk her­un­ter, zieht mich an den Ohren und krächzt: ›Der Herr is grad erscht be­gra­ben und der Sonn­tag noch nich zu Ende, un de Wor­te vons Evan­ge­li­um noch in eure Ohren, un ihr wagt zu spie­len! Pfui über euch! Setzt euch hin, schlech­te Kin­der! ’s gibt ge­nug gute Bü­cher, wenn ihr le­sen wollt. Setzt euch hin und denkt an eure See­len!‹

So schalt er und zwang uns, uns so zu set­zen, dass uns von dem ent­fern­ten Feu­er ein schwa­cher Schein tref­fen konn­te und uns den Text der Schwar­ten zeig­te, die er uns auf­dräng­te. Ich konn­te die­se Be­schäf­ti­gung nicht lei­den. Ich er­griff den schmut­zi­gen Band am Rücken, schleu­der­te ihn in die Hun­de­hüt­te und schrie, ich hass­te gute Bü­cher. Hea­th­cliff ver­setz­te dem sei­nen einen Fuß­tritt, so­dass es in die glei­che Rich­tung flog. Und dann gab es einen Aufruhr.

›Mr. Hind­ley‹, schrie un­ser Geist­li­cher, ›komm Se her! Miss Ca­thy hat ’n Rücken von Die Kro­ne des Heils ab­ge­ris­sen, un Hea­th­cliff hat sei­ne Wut am ers­ten Teil von Die brei­te Stra­ße zur Ver­damm­nis aus­ge­las­sen! ’s is schänd­lich von Sie, dass Sie ih­nen so den Wil­len las­sen. Oh, der alte Herr hätt se tüch­tig durch­ge­prü­gelt — aber der lebt ja nich mehr!‹

Hind­ley eil­te aus sei­nem Pa­ra­dies am Ka­min her­bei, pack­te einen von uns beim Kra­gen, den an­de­ren beim Arm und steck­te uns bei­de in die hin­te­re Kü­che, wäh­rend Jo­seph uns ver­si­cher­te, der Gott­sei­bei­uns wer­de uns be­stimmt noch ho­len. Mit die­sem Trost kroch je­des von uns in einen an­de­ren Win­kel, um auf sein Kom­men zu war­ten. Ich hol­te mir die­ses Buch und ein Tin­ten­fass vom Wand­brett, stieß die Haus­tür auf, um bes­ser se­hen zu kön­nen, und habe mir zwan­zig Mi­nu­ten lang die Zeit mit Schrei­ben ver­trie­ben. Aber mein Lei­dens­ge­nos­se ist un­ge­dul­dig und macht den Vor­schlag, wir soll­ten den Um­hang der Melk­frau neh­men und un­ter sei­nem Schutz uns ins Moor da­von­ma­chen. Ein gu­ter Ge­dan­ke, zu­mal der mür­ri­sche Alte, wenn er her­ein­kommt, glau­ben wird, sei­ne Pro­phe­zei­ung habe sich er­füll­t—­feuch­ter und käl­ter kann es drau­ßen im Re­gen auch nicht sein!«

Ich den­ke, Ca­the­ri­ne hat ihre Ab­sicht aus­ge­führt, denn der nächs­te Satz han­del­te von et­was an­de­rem: sie wur­de wei­ner­lich.

»Ich hät­te es mir nie träu­men las­sen, dass Hind­ley mich je­mals so zum Wei­nen brin­gen wer­de!« schrieb sie. »Mein Kopf schmerzt so, dass ich ihn auf dem Kis­sen nicht still hal­ten kann; und doch kann ich nicht nach­ge­ben. Ar­mer Hea­th­cliff! Hind­ley nennt ihn einen Land­strei­cher und will ihn nicht mehr bei uns sit­zen oder mit uns es­sen las­sen. Und er sagt, wir dürf­ten nicht mehr mit­ein­an­der spie­len, und er droht, ihn aus dem Hau­se zu wer­fen, wenn wir sei­nen Be­feh­len zu­wi­der­han­deln. Er hat un­se­rem Va­ter vor­ge­wor­fen (wie durf­te er?), dass er H. zu frei­ge­big be­han­delt hat, und schwört, dass er ihn auf den Platz zu­rück­wei­sen wer­de, der ihm ge­büh­re…«

Ich be­gann über der ver­bli­che­nen Sei­te ein­zu­ni­cken, und mei­ne Au­gen wan­der­ten vom Ge­schrie­be­nen zum Ge­druck­ten. Ich sah einen rot ver­zier­ten Ti­tel: »Sieb­zig­mal sie­ben und das ers­te vom ein­und­sieb­zigs­ten Mal. Eine er­bau­li­che Pre­digt, ge­hal­ten von Hoch­wür­den Ja­bes Brander­ham, in der Ka­pel­le von Gim­mer­den Sough.« Und wäh­rend ich mir, nur halb be­wusst, den Kopf dar­über zer­brach, was Ja­bes Brander­ham wohl aus sei­nem The­ma ma­chen wür­de, sank ich ins Bett zu­rück und schlief ein. Wehe über die Wir­kun­gen des Tees und der Auf­re­gung! Denn was sonst konn­te schuld dar­an sein, dass ich solch eine fürch­ter­li­che Nacht ver­brach­te? Ich ent­sin­ne mich kei­ner an­de­ren, die nur im ge­rings­ten mit die­ser zu ver­glei­chen wäre, seit ich fä­hig war zu lei­den.

Ich fing an zu träu­men, fast be­vor ich auf­hör­te zu wis­sen, wo ich war. Ich glaub­te, es sei Mor­gen und ich hät­te mich, mit Jo­seph als Füh­rer, auf den Weg nach Hau­se ge­macht. Der Schnee lag el­len­hoch auf un­se­rer Stra­ße, und wäh­rend wir da­hin­stapf­ten, quäl­te mich mein Beglei­ter mit stän­di­gen Vor­wür­fen, weil ich kei­nen Pil­ger­stab mit­ge­nom­men hät­te, ohne den ich nie in das Haus ge­lan­gen wer­de; da­bei schwang er prah­le­risch einen plum­pen Knüt­tel, den er, so­viel ich ver­stand, als Pil­ger­stab be­zeich­ne­te. Ei­nen Au­gen­blick lang er­schi­en es mir wi­der­sin­nig, dass ich ei­ner sol­chen Waf­fe be­dür­fen soll­te, um in mei­ne ei­ge­ne Woh­nung zu ge­lan­gen. Dann blitz­te eine neue Vor­stel­lung in mir auf: Ich ging gar nicht nach Hau­se; wir gin­gen über Land, um den be­rühm­ten Ja­bes Brander­ham über den Text ›Sieb­zig­mal sie­ben‹ pre­di­gen zu hö­ren. Ent­we­der Jo­seph oder der Pre­di­ger oder ich hat­te das ›ers­te vom ein­und­sieb­zigs­ten Mal‹ ver­bro­chen und soll­te an den Pran­ger ge­stellt und ex­kom­mu­ni­ziert wer­den.

Wir ka­men zur Ka­pel­le. In Wirk­lich­keit bin ich auf mei­nen Spa­zier­gän­gen zwei- oder drei­mal dar­an vor­über­ge­gan­gen; sie liegt in ei­ner Sen­ke zwi­schen zwei Ber­gen, ei­ner hoch­ge­le­ge­nen Sen­ke bei ei­nem Sumpf, des­sen tor­fig feuch­te Be­schaf­fen­heit die Ei­gen­tüm­lich­keit ha­ben soll, die we­ni­gen Leich­na­me, die dort lie­gen, zu er­hal­ten. Noch ist das Dach heil ge­blie­ben, aber da die Be­sol­dung des Geist­li­chen nur zwan­zig Pfund im Jahr be­trägt und freie Woh­nung in ei­nem Haus mit zwei Zim­mern, die Ge­fahr lau­fen, in Kür­ze zu ei­nem ein­zi­gen zu­sam­men­zu­fal­len, will kein Geist­li­cher die Ob­lie­gen­hei­ten des Pas­tors über­neh­men, umso we­ni­ger, als all­ge­mein be­rich­tet wird, dass sei­ne Ge­mein­de ihn eher ver­hun­gern lie­ße, als sei­nen Le­bens­un­ter­halt auch nur durch einen Pfen­nig aus ih­rer Ta­sche zu ver­bes­sern. In mei­nem Traum je­doch hat­te Ja­bes eine voll­zäh­li­ge und an­däch­ti­ge Ge­mein­de. Und er pre­dig­te.

Gro­ßer Gott, die­se Pre­digt! Sie be­stand aus vier­hun­dert­neun­zig Ab­schnit­ten, de­ren je­der völ­lig ei­ner der üb­li­chen An­spra­chen von der Kan­zel ent­sprach und eine be­son­de­re Sün­de be­han­del­te. Wo­her er sie alle nahm, weiß ich nicht. Er hat­te sei­ne ei­ge­ne Art der Aus­le­gung, und es schi­en we­sent­lich zu sein, dass sein Nächs­ter bei je­der Ge­le­gen­heit meh­re­re Sün­den be­ging. Sie wa­ren von der selt­sams­ten Art: merk­wür­di­ge Ver­ge­hen, von de­nen ich vor­her kei­ne Ah­nung ge­habt hat­te.

Oh, wie müde ich wur­de! Wie ich mich krümm­te und gähn­te, ein­nick­te und wie­der auf­schrak! Wie ich mich selbst zwick­te und kniff, mir die Au­gen rieb, wie ich auf­stand und mich wie­der hin­setz­te und Jo­seph an­s­tieß, da­mit er mir Be­scheid sa­gen soll­te, wenn Ja­bes end­lich zum Schluss käme. Ich war dazu ver­dammt, al­les mit an­zu­hö­ren. Schließ­lich ge­lang­te er zum ›ers­ten vom ein­und­sieb­zigs­ten Mal‹. Bei die­sem Punkt über­kam mich eine plötz­li­che Er­leuch­tung: ich muss­te auf­ste­hen und Ja­bes Brander­ham als den Sün­der brand­mar­ken, dem kein Christ zu ver­zei­hen braucht.

»Herr«, rief ich, »die gan­ze Zeit habe ich ohne Un­ter­bre­chung in die­sen vier Wän­den ge­ses­sen und habe die vier­hun­dert­neun­zig Ab­schnit­te Ih­rer Pre­digt er­tra­gen und ver­zie­hen. Sie­ben­mal sieb­zig­mal habe ich mei­nen Hut ge­nom­men und war drauf und dran, fort­zu­ge­hen — sie­ben­mal sieb­zig­mal ha­ben Sie mich al­ber­ner­wei­se ge­zwun­gen, wie­der nie­der­zu­sit­zen. Das vier­hun­dert­ein­und­neun­zigs­te Mal ist zu viel. Lei­dens­ge­fähr­ten, packt ihn! Zerrt ihn her­un­ter und reißt ihn in Fet­zen, dass der Ort, der ihn kennt, ihn nicht mehr er­ken­nen kann!«

»Du bist der Mann!« schrie Ja­bes nach ei­ner fei­er­li­chen Pau­se und beug­te sich über die Brüs­tung. »Sie­ben­mal sieb­zig­mal hast du dein Ge­sicht zum Gäh­nen ver­zerrt, sie­ben­mal sieb­zig­mal habe ich mit mei­ner See­le Rat ge­pflo­gen. Sie­he, das ist mensch­li­che Schwä­che; es soll ver­ge­ben sein! Das ers­te vom ein­und­sieb­zigs­ten Mal ist ge­kom­men. Brü­der, voll­streckt an ihm das Ur­teil, wie es ge­schrie­ben steht! So ge­sch­ehe zur Ehre al­ler Sei­ner Hei­li­gen!« Nach die­sen ab­schlie­ßen­den Wor­ten stürz­te die gan­ze Ge­mein­de sich wie ein Mann mit er­ho­be­nen Hir­ten­stä­ben auf mich und um­zin­gel­te mich, und da ich kei­ne Waf­fe zur Ver­tei­di­gung hat­te, rang ich mit Jo­seph, mei­nem nächs­ten und wil­des­ten An­grei­fer, um die sei­ne. Im Hand­ge­men­ge der Mas­sen kreuz­ten sich die Knüt­tel; nach mir ge­ziel­te Hie­be saus­ten auf frem­de Schä­del nie­der, schließ­lich hall­te die gan­ze Ka­pel­le von Schlä­gen und Ge­gen­schlä­gen wi­der. Je­der kämpf­te ge­gen je­den, und Brander­ham, der auch nicht mü­ßig blei­ben woll­te, be­wies sei­nen Ei­fer durch pras­seln­des Ge­tram­pel auf dem Bret­ter­bo­den der Kan­zel, das so laut dröhn­te, dass es mich zu mei­ner un­aus­sprech­li­chen Er­leich­te­rung weck­te. Und was hat­te mir den fürch­ter­li­chen Lärm vor­ge­gau­kelt? Was hat­te bei dem Spek­ta­kel Ja­bes’ Rol­le ge­spielt? Nur der Zweig ei­ner Föh­re,1 der im Sturm manch­mal ge­gen das Fens­ter schlug und des­sen tro­ckene Zap­fen selt­sam ras­sel­ten! Arg­wöh­nisch lausch­te ich einen Au­gen­blick, ent­deck­te den Stö­ren­fried und dreh­te mich auf die an­de­re Sei­te, schlum­mer­te ein und träum­te wie­der, wenn mög­lich noch un­an­ge­neh­mer als vor­her.

Die­ses Mal war ich mir be­wusst, in dem Ei­chen­ka­bi­nett zu lie­gen, und ver­nahm deut­lich den to­ben­den Wind und das Schnee­trei­ben drau­ßen. Ich hör­te auch den Föh­renzweig mit sei­nem auf­rei­zen­den Geräusch, das ich nun der rich­ti­gen Ur­sa­che zu­schrieb; aber es är­ger­te mich so sehr, dass ich be­schloss, es zum Schwei­gen zu brin­gen; ich glaub­te auf­zu­ste­hen und mich zu be­mü­hen, den Fens­ter­flü­gel los­zu­ha­ken. Der Ha­ken war in der Kram­pe fest­ge­lö­tet, ein Um­stand, den ich im Wa­chen be­merkt, aber wie­der ver­ges­sen hat­te. »Das muss trotz­dem auf­hö­ren!« mur­mel­te ich, stieß mei­ne Faust durch die Schei­be und streck­te den Arm aus, um den läs­ti­gen Zweig zu pa­cken. Statt des­sen schlos­sen sich mei­ne Fin­ger um eine klei­ne, eis­kal­te Hand! Das schreck­haf­te Ent­set­zen ei­nes Alp­druckes über­fiel mich. Ich ver­such­te mei­nen Arm frei­zu­be­kom­men, aber die Hand klam­mer­te sich dar­an fest, und eine tod­trau­ri­ge Stim­me schluchz­te: »Lass mich hin­ein, lass mich hin­ein!« »Wer bist du?« frag­te ich und ver­such­te mit Macht, mich zu be­frei­en. »Ca­the­ri­ne Lin­ton«, ant­wor­te­te es be­bend. (Wa­rum dach­te ich nur an Lin­ton? Ich hat­te zwan­zig­mal öf­ter Earns­haw ge­le­sen als Lin­ton.) »Ich bin wie­der da, ich hat­te mich im Moor ver­irrt!« Wäh­rend es sprach, nahm ich dun­kel das Ge­sicht ei­nes Kin­des wahr, das durch das Fens­ter blick­te. Das Ent­set­zen mach­te mich grau­sam: Da es zweck­los schi­en, das Ge­schöpf ab­zu­schüt­teln, zog ich sein Hand­ge­lenk an das zer­bro­che­ne Glas und rieb es hin und her, bis das Blut her­un­ter­rann und die Bet­tü­cher be­fleck­te. Und im­mer noch weh­klag­te es: »Lass mich hin­ein!«, hielt mich mit zä­hem Griff fest und mach­te mich fast wahn­sin­nig vor Angst. »Wie kann ich denn!« sag­te ich end­lich. »Lass mich los, wenn ich dich ein­las­sen soll!« Die Fin­ger lo­cker­ten sich, ich zog mei­nen Arm mit ei­nem Ruck durch das Loch zu­rück, türm­te has­tig die Bü­cher zu ei­ner Py­ra­mi­de da­vor auf und hielt mir die Ohren zu, um das kläg­li­che Fle­hen nicht mehr zu hö­ren. So hielt ich wohl eine Vier­tel­stun­de lang aus; doch kaum lausch­te ich wie­der, so war das trau­ri­ge Wei­nen wie­der da, das ohne Pau­se wim­mer­te. »Geh weg«, rief ich, »ich wer­de dich nie her­ein­las­sen, und wenn du zwan­zig Jah­re bet­telst!«

»Es sind zwan­zig Jah­re«, klag­te die Stim­me, »zwan­zig Jah­re! Ich bin seit zwan­zig Jah­ren hei­mat­los!« Jetzt war drau­ßen ein schwa­ches Krat­zen zu ver­neh­men, und der Bü­cher­sta­pel be­weg­te sich, als wenn er mir ent­ge­gen­stür­zen woll­te. Ich ver­such­te auf­zu­sprin­gen, konn­te aber kein Glied rüh­ren und schrie in ra­sen­dem Ent­set­zen laut auf. Zu mei­ner Be­stür­zung ent­deck­te ich, dass der Schrei nicht ge­träumt war.

Has­ti­ge Schrit­te nä­her­ten sich mei­ner Zim­mer­tür, je­mand stieß sie mit kräf­ti­ger Hand auf, und ein Licht schim­mer­te durch die Öff­nun­gen oben an mei­nem Bett. Ich saß noch schau­dernd da und wisch­te mir den Schweiß von der Stirn, da schi­en der Ein­dring­ling zu zö­gern und mur­mel­te et­was vor sich hin. Schließ­lich sag­te er flüs­ternd, of­fen­bar ohne eine Ant­wort zu er­war­ten: »Ist je­mand hier?«

Ich hielt es für das bes­te, mei­ne An­we­sen­heit zu be­ken­nen, denn ich er­kann­te Hea­th­cliffs Stim­me und fürch­te­te, er wür­de wei­ter­su­chen, wenn ich mich ru­hig ver­hiel­te. Des­halb wand­te ich mich um und schob die Tü­ren aus­ein­an­der. Nie wer­de ich die Wir­kung ver­ges­sen.

Hea­th­cliff stand in Hemd und Hose an der Tür, eine Ker­ze tropf­te über sei­ne Fin­ger, und sein Ge­sicht war so weiß wie die Wand hin­ter ihm. Das ers­te Knacken des Hol­zes durch­fuhr ihn wie ein elek­tri­scher Schlag, das Licht flog weit weg aus sei­ner Hand, und sei­ne Auf­re­gung war so hef­tig, dass er kaum im­stan­de war, die Ker­ze wie­der auf­zu­he­ben.

»Es ist nur Ihr Gast, Mr. Hea­th­cliff«, rief ich laut, denn ich woll­te ihm die De­mü­ti­gung er­spa­ren, sei­ne Feig­heit noch län­ger zu of­fen­ba­ren. »Ich hat­te das Miss­ge­schick, im Schlaf zu schrei­en. Ein furcht­ba­rer Alp­druck ängs­tig­te mich. Es tut mir leid, dass ich Sie ge­stört habe.«

»Hol Sie der Teu­fel, Mr. Lock­wood! Ich woll­te, Sie wä­ren in der Höl­le!« rief mein Wirt und stell­te die Ker­ze auf einen Stuhl, weil er merk­te, dass er sie nicht ru­hig hal­ten konn­te. »Und wer hat Sie in die­ses Zim­mer ge­wie­sen?« fuhr er fort, bohr­te sei­ne Nä­gel in die Hand­flä­chen und knirsch­te mit den Zäh­nen, um das Zu­cken sei­ner Kinn­ba­cken zu un­ter­drücken. »Wer war das? Ich habe nicht übel Lust, ihn au­gen­blick­lich aus dem Hau­se zu ja­gen.«

»Es war Ihre Magd Zil­lah«, er­wi­der­te ich, sprang aus dem Wand­bett und such­te ei­lig mei­ne Klei­der zu­sam­men. »Ich hät­te nichts da­ge­gen, wenn Sie es tä­ten, Mr. Hea­th­cliff; sie hat es reich­lich ver­dient. Ich glau­be, sie woll­te auf mei­ne Kos­ten wie­der mal fest­stel­len, dass es hier spukt. Das tut es! Es wim­melt hier von Ge­s­pens­tern und Ko­bol­den! Ich ver­si­che­re Ih­nen, Sie ha­ben alle Ur­sa­che, den Raum zu ver­schlie­ßen. Nie­mand wird Ih­nen für einen Schlum­mer in ei­ner sol­chen Bude Dank wis­sen.«

»Was mei­nen Sie da­mit?« frag­te Hea­th­cliff, »und was tun Sie da? Le­gen Sie sich nie­der bis zum Mor­gen, da Sie nun doch ein­mal hier sind. Aber um Him­mels wil­len, ma­chen Sie nicht noch ein­mal solch schreck­li­chen Lärm; der wäre nicht zu ent­schul­di­gen, au­ßer wenn Ih­nen die Keh­le durch­ge­schnit­ten wür­de!«

»Wenn die klei­ne Teu­fe­lin durch das Fens­ter her­ein­ge­kom­men wäre, so hät­te sie mich wahr­schein­lich er­würgt!« ent­geg­ne­te ich. »Ich den­ke nicht dar­an, die Ver­fol­gun­gen Ih­rer gast­li­chen Ah­nen noch ein­mal zu er­dul­den. War nicht der hoch­wür­di­ge Ja­bes Brander­ham müt­ter­li­cher­seits mit Ih­nen ver­wandt? Und die­ser Ra­cker, Ca­the­ri­ne Lin­ton, oder Earns­haw, oder wie sie hieß, muss ein Wech­sel­balg ge­we­sen sein, das schlech­te klei­ne Ge­schöpf! Sie hat mir er­zählt, sie habe seit zwan­zig Jah­ren kei­ne Ruhe auf Er­den ge­fun­den; ohne Zwei­fel die ge­rech­te Stra­fe für ihre Sün­den in die­ser Welt!« Kaum hat­te ich die­se Wor­te her­aus­ge­bracht, da er­in­ner­te ich mich der Ver­bin­dung von Hea­th­cliffs und Ca­the­ri­nes Na­men in dem Buch, das mei­nem Ge­dächt­nis bis zu mei­nem Er­wa­chen völ­lig ent­fal­len war. Ich er­rö­te­te über mei­ne Un­über­legt­heit, ließ mir je­doch nicht mer­ken, dass ich mir ei­ner Krän­kung be­wusst war, und fuhr has­tig fort: »Tat­sa­che ist, dass ich den ers­ten Teil der Nacht da­mit ver­bracht habe« — hier brach ich wie­der ab, denn ich hat­te sa­gen wol­len: ›in den al­ten Bän­den dort zu le­sen‹, aber das hät­te mei­ne Kennt­nis ih­res ge­schrie­be­nen und ge­druck­ten In­halts of­fen­bart, da­him fuhr ich, mich be­rich­ti­gend, fort: »den Na­men zu buch­sta­bie­ren, der in den Fens­ter­sims ein­ge­ritzt ist. Eine ein­tö­ni­ge Be­schäf­ti­gung, die mich ein­schlä­fern soll­te, so wie Zäh­len oder…«

»Was soll das hei­ßen, dass Sie so zu mir spre­chen?« don­ner­te Hea­th­cliff in wil­der Lei­den­schaft. »Wie… wie wa­gen Sie das, un­ter mei­nem Dach? — All­mäch­ti­ger! Er ist wahn­sin­nig, dass er so spricht!« Und er schlug sich wie ra­send vor die Stirn. Ich wuss­te nicht, ob ich die­se Spra­che übel­neh­men oder in mei­ner Er­klä­rung fort­fah­ren soll­te; aber er schi­en so voll­kom­men au­ßer sich zu sein, dass ich von Mit­leid er­grif­fen wur­de und mei­ne Träu­me wei­ter er­zähl­te. Ich ver­si­cher­te, dass ich den Na­men Ca­the­ri­ne Lin­ton nie zu­vor ge­hört, dass aber das wie­der­hol­te Le­sen auf mich die Wir­kung aus­ge­übt habe, dass er Ge­stalt an­nahm, als ich mei­ne Vor­stel­lungs­kraft nicht mehr in der Ge­walt hat­te. Hea­th­cliff zog sich im­mer mehr in den Schat­ten des Bet­tes zu­rück, wäh­rend ich sprach, und war, als er sich hin­setz­te, fast da­hin­ter ver­bor­gen. An sei­nen un­re­gel­mä­ßi­gen und un­ter­bro­che­nen Atem­zü­gen je­doch er­kann­te ich, dass er mit al­ler Macht ver­such­te, einen Aus­bruch hef­ti­ger Ge­müts­be­we­gung nie­der­zu­kämp­fen. Ich woll­te ihm nicht zei­gen, dass ich sei­ne Auf­re­gung wahr­nahm, und fuhr ziem­lich ge­räusch­voll fort, mich an­zu­zie­hen, sah nach der Uhr und hielt ein Selbst­ge­spräch über die Län­ge der Nacht: »Was, noch nicht drei Uhr? Ich hät­te dar­auf ge­schwo­ren, es wäre sechs. Die Zeit bleibt hier ste­hen; wir sind ge­wiss um acht zur Ruhe ge­gan­gen.«

»Im Win­ter um neun, und um vier ste­hen wir im­mer auf«, sag­te mein Wirt, ein Stöh­nen un­ter­drückend, und eine Be­we­gung sei­nes Arm­schat­tens ließ mich ah­nen, dass er eine Trä­ne aus den Au­gen wisch­te. »Mr. Lock­wood«, füg­te er hin­zu, »Sie kön­nen in mein Zim­mer ge­hen; Sie wür­den un­ten so früh nur im Wege sein, und Ihr kin­di­scher Angst­schrei hat mei­nen Schlaf zum Teu­fel ge­jagt.«

»Mei­nen auch«, er­wi­der­te ich. »Ich wer­de im Hof um­her­ge­hen, bis es däm­mert, und dann wer­de ich ver­schwin­den. Sie brau­chen kei­ne Sor­ge zu ha­ben, dass ich mei­nen Be­such noch ein­mal wie­der­ho­len wer­de. Jetzt bin ich völ­lig da­von ge­heilt, Ge­sel­lig­keit zu su­chen, sei es auf dem Lan­de oder in der Stadt. Ein ver­stän­di­ger Mensch soll­te aus­rei­chen­de Ge­sell­schaft in sich selbst fin­den.«

»Höchst er­freu­li­che Ge­sell­schaft!« mur­mel­te Hea­th­cliff. »Neh­men Sie die Ker­ze und ge­hen Sie, wo­hin Sie wol­len, ich kom­me gleich nach. Ver­mei­den Sie je­doch den Hof — die Hun­de sind los — und das ›Haus‹; dort hält Juno Schild­wa­che, und… nein, Sie kön­nen nur im Trep­pen­haus und in den Gän­gen hin und her ge­hen. Also fort jetzt! Ich kom­me in zwei Mi­nu­ten!«

Ich ge­horch­te in­so­fern, als ich das Zim­mer ver­ließ; dann aber blieb ich ste­hen, weil ich nicht wuss­te, wo­hin der schma­le Kor­ri­dor führ­te, und wur­de der un­frei­wil­li­ge Zeu­ge ei­nes Aus­bruchs von Aber­glau­ben bei mei­nem Guts­herrn, der in auf­fal­len­dem Ge­gen­satz zu dem We­sen stand, das er sonst zur Schau trug. Er ging auf das Bett zu, stieß den Fens­ter­flü­gel auf und brach da­bei in lei­den­schaft­li­che Trä­nen aus. »Komm her­ein! Komm her­ein!« schluchz­te er. »Ca­thy, komm doch! Oh, komm noch ein­mal! Oh, mein Her­zens­lieb­ling! Höre mich we­nigs­tens die­ses eine Mal!« Das Ge­s­penst zeig­te sich so lau­nisch, wie Ge­s­pens­ter eben sind: es gab kein Zei­chen sei­nes Da­seins, aber der Schnee und der Wind wir­bel­ten hef­tig her­ein, bis dort­hin, wo ich stand, und blie­sen das Licht aus.

Es lag so viel Pein in dem Schmer­zens­schrei, der die­se Ra­se­rei be­glei­te­te, dass mein Mit­leid sei­ne Narr­heit über­sah und ich mich zu­rück­zog, är­ger­lich dar­über, dass ich über­haupt ge­lauscht und mei­nen lä­cher­li­chen Alp­druck er­zählt hat­te, da die­ser so un­be­schreib­li­chen Schmerz her­vor­ge­ru­fen hat­te, ob­wohl es über mei­ne Be­grif­fe ging, warum es ge­sch­ah. Ich stieg vor­sich­tig in die un­te­ren Re­gio­nen hin­ab und lan­de­te in der hin­te­ren Kü­che, wo die Glut des Feu­ers, sorg­fäl­tig zu­sam­men­ge­scharrt, es mir mög­lich mach­te, mei­ne Ker­ze wie­der an­zu­zün­den. Nichts rühr­te sich, au­ßer ei­ner grau­ge­streif­ten Kat­ze, die aus der Asche ge­kro­chen kam und mich mit ei­nem kläg­li­chen Mi­au­en be­grüß­te.

Zwei zum Halb­kreis ge­form­te Bän­ke um­schlos­sen fast den Herd; auf ei­ner von ih­nen streck­te ich mich aus, und die Mie­ze sprang auf die an­de­re. Wir wa­ren bei­de ein­ge­schla­fen, ehe uns je­mand in un­se­rem Un­ter­schlupf auf­stö­ber­te. Dann kam Jo­seph pol­ternd eine Holz­lei­ter her­un­ter, die in ei­ner Luke im Dach mün­de­te, ver­mut­lich der Auf­stieg in sei­ne Bo­den­kam­mer. Er warf einen fins­te­ren Blick auf die klei­ne Flam­me, die ich zu ei­nem Fla­ckern auf dem Rost an­ge­facht hat­te, stieß die Kat­ze von ih­rer er­höh­ten La­ger­stät­te, setz­te sich auf den frei ge­wor­de­nen Platz und mach­te sich dar­an, eine drei­zöl­li­ge Pfei­fe mit Ta­bak zu stop­fen. Mei­ne An­we­sen­heit in sei­nem Hei­lig­tum galt ihm au­gen­schein­lich als Zu­dring­lich­keit, viel zu schänd­lich, auch nur be­merkt zu wer­den. Schwei­gend nahm er die Pfei­fe zwi­schen die Lip­pen, ver­schränk­te die Arme und paff­te. Ich über­ließ ihn die­sem Ge­nuss un­ge­stört; nach­dem er das letz­te Rauch­wölk­chen her­aus­ge­zo­gen und einen tie­fen Seuf­zer aus­ge­sto­ßen hat­te, stand er auf und ver­schwand eben­so ernst­haft, wie er ge­kom­men war.

Dann nä­her­ten sich leich­te­re Schrit­te, und ich öff­ne­te schon den Mund, um gu­ten Mor­gen zu sa­gen, schloss ihn je­doch wie­der, ohne mein Vor­ha­ben aus­zu­füh­ren, denn Ha­re­ton Earns­haw ver­rich­te­te sein Mor­gen­ge­bet sot­to voce2 mit ei­ner Rei­he von Flü­chen, die er je­dem Ge­gen­stand ent­ge­gen­schleu­der­te, den er be­rühr­te, wäh­rend er eine Ecke nach ei­nem Spa­ten oder ei­ner Schip­pe durch­stö­ber­te, um die Schnee­we­hen weg­zu­schau­feln. Er blick­te über die Leh­ne der Bank, bläh­te die Nüs­tern und tausch­te eben­so­we­nig Höf­lich­kei­ten mit mir wie mit mei­ner Ge­fähr­tin, der Kat­ze. Ich schloss aus sei­nen Vor­be­rei­tun­gen, dass ich jetzt hin­aus­ge­hen kön­ne, ver­ließ mein har­tes La­ger und mach­te An­stal­ten, ihm zu fol­gen. Das be­merk­te er und stieß mit dem Ende des Spa­tens an eine ins In­ne­re füh­ren­de Tür, mit ei­nem un­deut­li­chen Grun­zen an­deu­tend, dass ich dort­hin ge­hen müs­se, wenn ich mei­nen Platz zu wech­seln wün­sche.