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Emily Bronte

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Beschreibung

Das Stürmische, Wilde und Raue der nordenglischen Moor- und Heidelandschaft hat sich tief eingeprägt in die Charaktere dieses Romans, der im Dezember 1847 erschien, ein Jahr nur, bevor Emily Brontë dreißigjährig an Schwindsucht starb. Niemand legt den von Ingrid Rein kongenial übersetzten Band aus den Händen, bevor er weiß, wie's ausgeht: "Ist Mr. Heathcliff ein Mensch? Wenn ja, ist er verrückt? Und wenn nicht, ist er ein Teufel?" "ISturmhöhe" ist ein dramatisches, stellenweise grausig-geniales Stück Weltliteratur. – Mit einer kompakten Biographie der Autorin

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Emily Brontë

Sturmhöhe

Übersetzung und Nachwort von Ingrid Rein

Reclam

Englischer Originaltitel: Wuthering Heights (1847)

 

2020 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Durchgesehene Ausgabe 2020

Covergestaltung: Anja Grimm Gestaltung

Coverabbildung: © shutterstock.com / Theraphosath

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2020

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961302-4

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-020591-4

www.reclam.de

Inhalt

SturmhöheAhnentafel der Familien Earnshaw und LintonNachwortZeittafel

Kapitel 1

1801. – Gerade bin ich von einem Besuch bei meinem Gutsherrn zurückgekommen – diesem unzugänglichen Nachbarn, der mich noch beschäftigen wird. Die Gegend hier ist einfach herrlich! Ich glaube, in ganz England hätte ich keine andere Stelle finden können, die vom Lärm der Gesellschaft so gänzlich unberührt ist. Ein Paradies für einen Menschenfeind! Und Mr. Heathcliff und ich, wir sind genau die Richtigen, um uns diese Einöde zu teilen. Ein famoser Kerl! Er ahnte ja nicht, wie sympathisch er mir wurde, als ich bemerkte, wie sich seine schwarzen Augen bei meinem Näherreiten so argwöhnisch unter ihre Brauen zurückzogen und seine Hände sich in entschlossenem Misstrauen noch tiefer in seine Weste vergruben, während ich meinen Namen nannte.

»Mr. Heathcliff?«, fragte ich.

Ein Kopfnicken war die Antwort.

»Mr. Lockwood, Ihr neuer Pächter, Sir. Ich habe mir gestattet, Sie nach meiner Ankunft so schnell wie möglich aufzusuchen, um meine Hoffnung zum Ausdruck zu bringen, dass ich Ihnen mit meiner Beharrlichkeit, Thrushcross Grange zu pachten, nicht lästig gefallen bin. Gestern hörte ich, Sie hätten daran gedacht …«

»Thrushcross Grange gehört mir«, fiel er mir aufbrausend ins Wort, »und ich würde es nicht zulassen, dass man mich belästigt, wenn ich es verhindern könnte. Kommen Sie herein!«

Dieses »Kommen Sie herein!« wurde durch die zusammengepressten Zähne gestoßen, und gemeint war eigentlich ›Scher dich zum Teufel!‹; auch das Tor, über das er sich lehnte, machte keine einladende Geste zu den Worten. Es waren wohl diese Umstände, die mich bewogen, seine Einladung anzunehmen, denn ein Mann, der in noch übertriebenerem Maße zurückhaltend ist als ich selbst, weckte mein Interesse.

Als er sah, dass mein Pferd mit der Brust heftig gegen das Gatter stieß, streckte er seine Hand aus, um die Kette zu lösen, und ging mir dann mürrisch voraus den Weg hinauf. Sobald wir den Hof betraten, rief er: »Joseph, nimm Mr. Lockwoods Pferd! Und hol Wein herauf!«

›Dies ist wohl die gesamte Dienerschaft‹, war die Überlegung, die sich mir angesichts dieser kombinierten Anordnung aufdrängte. ›Kein Wunder, dass das Gras zwischen den Steinplatten herauswächst und nur das Vieh die Hecken stutzt.‹

Joseph war ein älterer, nein, ein alter Mann, vielleicht sogar sehr alt, aber gesund und kräftig. »Der Herr steh uns bei!«, murmelte er mit einem Unterton mürrischen Unbehagens vor sich hin, als er mir mein Pferd abnahm. Dabei zog er ein saures Gesicht, so dass ich wohlmeinend annahm, er bedürfe zum Verdauen seines Mittagessens göttlichen Beistands und sein frommer Stoßseufzer habe nichts mit meinem unerwarteten Auftauchen zu tun.

»Wuthering Heights«, Sturmhöhe, heißt Mr. Heathcliffs Anwesen. »Wuthering« ist ein Mundartwort, welches das Toben der Winde, dem der Ort bei stürmischem Wetter ausgesetzt ist, treffend zum Ausdruck bringt. Und gewiss haben die Leute dort oben immer eine reine, frische Brise. Mit welcher Gewalt der Nordwind über die Hügel bläst, kann man sich vorstellen, wenn man die wenigen extrem schiefen, verkümmerten Kiefern auf der anderen Seite des Hauses oder die Gruppe von dürren Dornensträuchern sieht, die alle ihre Arme in eine Richtung strecken, als erflehten sie von der Sonne ein Almosen. Zum Glück hatte der Baumeister genügend Voraussicht bewiesen und das Haus robust gebaut: die schmalen Fenster sind tief in die Mauern eingelassen, und die Ecken werden von mächtigen, vorspringenden Steinen verteidigt.

Bevor ich über die Schwelle trat, blieb ich stehen, um eine größere Anzahl seltsamer Verzierungen zu bewundern, die in der Vorderseite des Hauses, und besonders über dem Haupteingang, in verschwenderischer Manier eingemeißelt waren. Über diesem entdeckte ich, inmitten eines wilden Durcheinanders von zerbröckelnden Greifvögeln und kleinen nackten Kinderfiguren, die Jahreszahl 1500 und den Namen »Hareton Earnshaw«. Ich hätte gern einige Bemerkungen gemacht und den mürrischen Besitzer um eine kurze Geschichte des Hauses gebeten, aber seine Haltung an der Tür schien zu verlangen, dass ich entweder rasch einträte oder mich endgültig davonmachte. Und ich hatte keine Lust, seine Ungeduld weiter zu erhöhen, bevor ich nicht auch das Innere des Hauses in Augenschein nehmen konnte.

Ohne Vorraum oder Flur führte eine einzige Stufe direkt in den Wohnraum der Familie, den man in dieser Gegend meist als »das Haus« bezeichnet. Normalerweise ist es Küche und Wohnzimmer in einem, aber in Wuthering Heights war die Küche wohl in einen ganz anderen Teil des Gebäudes verbannt, zumindest konnte ich von weiter drinnen Geplapper von Stimmen und Geklapper von Küchenutensilien vernehmen. Auch bemerkte ich weder an dem riesigen Kamin irgendwelche Anzeichen, dass dort gebraten, gekocht oder gebacken würde, noch an den Wänden den Glanz von Kupferpfannen und zinnernen Sieben. Auf der einen Seite aber reflektierten riesige Zinnschüsseln, die sich zusammen mit silbernen Kannen und Krügen Reihe um Reihe auf einer gewaltigen Eichenanrichte bis unter die Decke auftürmten, Licht und Wärme. Die Decke war nicht verkleidet, so dass das ganze Gebälk offen vor den Augen des Betrachters lag, bis auf die Stellen, wo ein hölzernes Gestell, bepackt mit Haferkuchen und Unmengen von Rinder‑, Hammel‑ und Schinkenkeulen, es verbarg. Über dem Kamin hingen verschiedene alte Räuberflinten und ein Paar Sattelpistolen, auf dem Kaminsims waren als Schmuck drei auffällig bemalte Blechbüchsen aufgestellt. Der Fußboden war aus glattem weißem Stein, die einfachen Stühle mit ihren hohen Lehnen grün gestrichen, und etwas abseits standen ein oder zwei schwarze Stühle im Schatten verborgen. In einer Nische unter der Anrichte hatte sich eine riesengroße rotbraune Vorstehhündin, umgeben von einem ganzen Haufen quiekender Welpen, niedergelassen. Auch andere Schlupfwinkel waren von Hunden in Beschlag genommen worden.

Zimmer und Einrichtung wären nichts Ungewöhnliches gewesen, hätten sie einem einfachen, dickköpfigen Bauern aus dem Norden gehört, dessen kräftige Glieder in Kniebundhosen und Gamaschen erst so richtig zur Geltung kamen. Männer dieses Schlages, im Lehnstuhl sitzend und einen Krug mit schäumendem Bier auf dem runden Tisch vor sich, kann man in dieser hügeligen Gegend überall im Umkreis von fünf bis sechs Meilen antreffen, wenn man nur um die richtige Zeit, nach dem Mittagessen nämlich, seine Runde macht. Mr. Heathcliff aber bildet einen einzigartigen Kontrast zu seiner Wohnstätte und seinem Lebensstil. Seinem Aussehen nach ist er ein dunkelhäutiger Zigeuner, seiner Kleidung und seinem Benehmen nach ein Gentleman, das heißt, ein Gentleman wie eben andere Gutsbesitzer auch: etwas schlampig vielleicht, wobei er aber dank seiner aufrechten und ansehnlichen Gestalt trotz seiner Nachlässigkeit nicht übel aussieht, und etwas mürrisch. Möglich, dass manch einer bei ihm ein gewisses Maß an ungebührlichem Hochmut vermutet – ein verwandtes Gefühl in mir aber sagt mir, dass dies nicht zutrifft. Ich weiß instinktiv, dass seine Zurückhaltung aus der Abneigung, Gefühle zur Schau zu stellen, herrührt, aus seiner Abneigung gegenüber dem Austausch von Freundlichkeiten. Er liebt und hasst gleichermaßen, ohne es zu zeigen, und würde es als Zudringlichkeit empfinden, stieße er bei anderen auf solche Gefühle. Aber halt, ich lasse meinen Gedanken allzu freien Lauf – zu freizügig übertrage ich meine Eigenschaften auf ihn. Mr. Heathcliff mag gänzlich andere Gründe haben als ich, seine Hand nicht auszustrecken, wenn er jemanden trifft, der seine Bekanntschaft sucht. Ich hoffe, meine Veranlagung ist eher ungewöhnlich. Meine liebe Mutter pflegte zu sagen, dass ich nie ein gemütliches Heim haben würde, und erst im vergangenen Sommer habe ich bewiesen, dass ich auch wirklich keines verdiene.

Während ich bei herrlichem Wetter einen Monat an der See genoss, machte ich die Bekanntschaft eines höchst faszinierenden Geschöpfes, einer wahren Göttin in meinen Augen – solange sie mir keine Beachtung schenkte. Ich habe ihr meine Liebe nicht gestanden, nicht in Worten jedenfalls, aber wenn Blicke sprechen könnten, hätte auch der größte Dummkopf bemerkt, dass ich bis über beide Ohren verliebt war. Schließlich verstand sie mich und erwiderte meine Blicke. Es waren die süßesten Blicke, die man sich nur vorstellen kann. Und was tat ich? Zu meiner Schande muss ich gestehen: Eisig verkroch ich mich wie eine Schnecke in mich selbst und zog mich bei jedem ihrer Blicke kühler und weiter zurück, bis schließlich das arme, unschuldige Geschöpf glaubte, an ihren eigenen Sinnen zweifeln zu müssen und, gänzlich verwirrt über ihren vermeintlichen Fehler, ihre Mama zur Abreise bewegte. Dieser seltsamen Veranlagung wegen kam ich in den Ruf vorsätzlicher Herzlosigkeit; wie ungerechtfertigt dies ist, kann nur ich allein ermessen.

Ich setzte mich an die Seite des Kamins, die derjenigen, auf die mein Gastgeber zusteuerte, gegenüberlag, und überbrückte das eingetretene Schweigen mit dem Versuch, die Hundemutter zu streicheln, die ihre Kinderstube verlassen hatte und sich mit gefletschten weißen Zähnen wie eine Wölfin gierig von hinten an mein Bein heranschlich. Die Aussicht auf einen Biss machte ihr den Mund wässrig. Mein Streicheln provozierte ein langes, heiseres Knurren.

»Lassen Sie den Hund lieber in Ruh«, knurrte auch Mr. Heathcliff mich an, während er einen ungestümeren Ausbruch durch einen Fußtritt bremste. »Sie ist’s nicht gewöhnt, verhätschelt zu werden, ist doch kein Schoßhund.« Dann ging er zu einer Seitentür und rief wieder: »Joseph!«

Joseph murmelte undeutlich etwas aus der Tiefe des Kellers, machte aber keine Anstalten heraufzukommen. Deshalb stieg sein Herr zu ihm hinunter und ließ mich allein mit der rauflustigen Hündin und zwei Angst einjagenden zottigen Schäferhunden, die mit dieser gemeinsam jede meiner Bewegungen misstrauisch überwachten. Da ich nicht darauf erpicht war, in ihre Klauen zu geraten, blieb ich ruhig sitzen. Aber ich dachte, dass sie stumme Beleidigungen wohl kaum verstehen würden, und gestattete mir unglücklicherweise das Vergnügen, dem Trio zuzuzwinkern und Grimassen zu schneiden. Eines meiner Mienenspiele reizte die Hundedame so sehr, dass sie plötzlich einen Wutanfall bekam und auf meine Knie sprang. Ich schleuderte sie zurück und beeilte mich, den Tisch zwischen uns zu bringen. Dieser Vorgang machte die ganze Meute rebellisch. Ein halbes Dutzend vierbeiniger Ungeheuer, unterschiedlich groß und alt, sausten aus ihren verborgenen Schlupfwinkeln in die Mitte des Raumes. Auf meine Absätze und Rockschöße hatten sie es ganz besonders abgesehen, und ich war, obwohl ich die größeren Angreifer so gut wie möglich mit dem Schürhaken abwehrte, doch genötigt, laut jemanden aus dem Haus um Hilfe zu rufen, damit der Frieden wiederhergestellt werde.

Mr. Heathcliff und sein Diener stiegen die Kellertreppe in aufreizender Gelassenheit herauf. Ich glaube nicht, dass sie sich auch nur eine Sekunde schneller bewegt haben als gewöhnlich, und dies, obwohl auf dem Platz vor dem Kamin ein wahrer Orkan von Zerren und Kläffen tobte. Zum Glück legte jemand aus der Küche mehr Eile an den Tag. Ein stämmiges Frauenzimmer mit aufgeschürztem Rock, bloßen Armen und von der Hitze geröteten Wangen stürzte sich, eine Bratpfanne schwingend, mitten unter uns und benutzte diese Waffe und ihre Zunge so wirksam, dass sich der Sturm wie durch Zauber legte und nur sie, bewegt wie die See nach einem schweren Unwetter, noch dastand, als ihr Herr am Ort des Geschehens auftauchte.

»Was zum Teufel ist hier los?«, fragte er, wobei er mich auf eine Art musterte, die ich nach dieser ungastlichen Behandlung nur schwer ertragen konnte.

»Ja, was zum Teufel!«, empörte ich mich. »Die Herde besessener Schweine konnte keine böseren Dämonen in sich haben als Ihre Tiere hier.1 Sie könnten einen Fremden genauso gut mit einer Horde Tiger allein lassen!«

»Sie würden nie auf jemanden losgehen, der nichts anrührt«, bemerkte er, während er die Flasche vor mich hinstellte und den weggerückten Tisch wieder an seinen Platz schob. »Die Hunde tun recht daran, wachsam zu sein. Glas Wein?«

»Nein, danke.«

»Nicht gebissen, oder?«

»Nein, sonst hätte ich dem Köter schon einen Denkzettel verpasst.«

Heathcliffs Miene entspannte sich zu einem Lächeln. »Na, na«, sagte er, »Sie sind aufgebracht, Mr. Lockwood. Hier, trinken Sie einen Schluck Wein. In dieses Haus kommen so selten Gäste, dass ich und meine Hunde, wie ich gern zugebe, kaum noch wissen, wie man sie empfängt. Auf Ihre Gesundheit!«

Ich gab nach und trank ihm ebenfalls zu, weil mir klar wurde, dass es dumm gewesen wäre, beleidigt dazusitzen, nur weil sich ein paar Köter schlecht benommen hatten. Außerdem wollte ich dem Kerl keine Gelegenheit mehr geben, sich auf meine Kosten zu amüsieren, wozu er durchaus aufgelegt zu sein schien. Wahrscheinlich veranlasst durch die vernünftige Überlegung, dass es unklug wäre, einen guten Pächter vor den Kopf zu stoßen, schwächte er seine lakonische Redeweise, bei der er Für‑ und Hilfszeitwörter einfach ausließ, wenigstens etwas ab und brachte das Gespräch auf einen Gegenstand, von dem er annahm, dass er mich interessierte: auf die Vor‑ und Nachteile meines derzeitigen Aufenthaltsortes. Zu den Themen, die wir streiften, äußerte er sich sachkundig, und bevor ich mich auf den Heimweg machte, war ich sogar so kühn, von mir aus einen erneuten Besuch für morgen anzukündigen. Offensichtlich wünschte er keine Wiederholung meines Eindringens. Ich werde trotzdem hingehen. Es ist erstaunlich, wie gesellig ich mir im Vergleich zu ihm vorkomme.

Kapitel 2

Der Nachmittag gestern brach neblig und kalt an. Ich hatte mich entschlossen, ihn am Kamin in meinem Studierzimmer zu verbringen, anstatt durch Heidekraut und Morast nach Wuthering Heights zu waten. Als ich jedoch vom Mittagessen heraufkam (nebenbei bemerkt, ich esse zwischen zwölf und ein Uhr; die Haushälterin, eine rechtschaffene Frau, die ich gleichsam als lebendes Inventar zusammen mit dem Haus übernommen hatte, konnte oder wollte meinen Wunsch, erst um fünf zu speisen, nicht begreifen)2, als ich mit dieser behaglichen Absicht die Treppe heraufstieg und das Zimmer betrat, sah ich dort eine Dienstmagd, die, umgeben von Bürsten und Kohleneimern, vor dem Kamin kniete und einen höllischen Staub aufwirbelte, als sie die Flammen mit Bergen von Schlacke erstickte. Dieser Anblick vertrieb mich sofort; ich nahm meinen Hut und erreichte, nach einem Marsch von vier Meilen, gerade rechtzeitig Heathcliffs Gartentor, um den ersten federleichten Flocken eines Schneeschauers zu entkommen.

Auf dieser ungeschützten Höhe oben war die Erde hart gefroren, und die eisige Luft ließ mich am ganzen Körper zittern. Da ich die Kette nicht lösen konnte, sprang ich über das Tor, lief den gepflasterten, von wild wuchernden Stachelbeersträuchern gesäumten Weg hinauf und klopfte, vergeblich Einlass begehrend, an die Tür, bis meine Knöchel brannten und die Hunde heulten.

›Ihr elendes Pack da drin!‹, schimpfte ich innerlich. ›Für eure flegelhafte Ungastlichkeit verdientet ihr, auf ewig von euren Artgenossen ferngehalten zu werden. Wenigstens tagsüber würde ich meine Tür nicht versperren. Mir ist es gleich, ich werde schon hineinkommen!‹

Fest dazu entschlossen, ergriff ich die Klinke und rüttelte heftig daran. Joseph steckte sein essigsaures Gesicht aus dem runden Fenster der Scheune.

»Was wolln Se?«, schrie er herüber. »Der Herr is druntn bei die Schaf. Gehn Se hinter der Scheun rum, wenn Se mit ihm redn wolln.«3

»Ist denn keiner im Haus, der die Tür aufmachen kann?«, rief ich zurück.

»Keiner, bloß d’ Frau. Un die macht net auf, un wenn Se bis heut nacht weitertobn.«

»Warum nicht? Können Sie ihr nicht sagen, wer ich bin, na, Joseph?«

»Na, i net. Da lass i d’ Finger weg«, murmelte der Kopf und verschwand.

Der Schnee begann dichter zu fallen. Ich ergriff die Klinke, um noch einen Versuch zu unternehmen, als ein junger Mann, ohne Rock und mit geschulterter Heugabel, hinten im Hof auftauchte. Er rief mir zu, ich solle ihm folgen, und nachdem wir durch ein Waschhaus und über einen gepflasterten Hof mit einem Kohlenschuppen, einer Pumpe und einem Taubenschlag gegangen waren, gelangten wir in das riesige, warme, freundliche Zimmer, in dem ich schon das erste Mal empfangen worden war. Es erstrahlte behaglich im Schein eines gewaltigen Feuers, das von Kohle, Torf und Holz genährt wurde. Und in der Nähe des Tisches entdeckte ich zu meiner Freude die »Frau«, ein Wesen, von dessen Existenz ich bis dahin keine Ahnung gehabt hatte. Ich verbeugte mich und wartete in der Annahme, sie würde mich bitten, Platz zu nehmen. Sie sah mich an, lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und blieb bewegungslos und schweigend sitzen.

»Stürmisches Wetter!«, bemerkte ich. »Ich fürchte, Mrs. Heathcliff, an der Tür werden die Folgen der mangelnden Aufmerksamkeit Ihrer Dienstboten zu sehen sein. Ich hatte große Mühe, mich bemerkbar zu machen!«

Sie öffnete den Mund nicht. Ich starrte sie an, und sie starrte zurück. Jedenfalls ließ sie ihren Blick auf mir ruhen, und zwar auf eine kühle, gleichgültige Art, die äußerst verwirrend und unangenehm war.

»Setzen Sie sich«, sagte der junge Mann barsch. »Er wird bald zurück sein.«

Ich gehorchte, räusperte mich und rief Juno, dieses ungezogene Ding, zu mir, die sich bei diesem zweiten Zusammentreffen herabließ, die äußerste Spitze ihres Schwanzes zu bewegen, als Zeichen, dass sie mich wiedererkannt hatte.

»Ein schönes Tier!«, begann ich von neuem. »Haben Sie die Absicht, die Jungen wegzugeben, gnädige Frau?«

»Sind nicht meine«, sagte die liebenswürdige Gastgeberin noch abweisender, als Heathcliff selbst hätte antworten können.

»Ah, dann sind Ihre Lieblinge sicherlich dort dabei«, fuhr ich fort, während ich mich einem etwas im Dunkeln liegenden Kissen zuwandte, auf dem anscheinend lauter Katzen lagen.

»Sonderbare Lieblinge hätte ich mir da ausgesucht«, bemerkte sie verächtlich. Unglücklicherweise handelte es sich um einen Haufen toter Kaninchen. Ich räusperte mich noch einmal, wiederholte meine Bemerkung über die Unwirtlichkeit des Abends und rückte näher an das Kaminfeuer heran.

»Sie hätten nicht ausgehen sollen«, sagte sie, stand auf und langte nach zwei von den drei bemalten Blechdosen auf dem Kaminsims. Vorher hatte sie dem Licht abgewandt gesessen; jetzt aber konnte ich ihre Gestalt und ihr Gesicht deutlich erkennen. Sie war schlank und dem Mädchenalter anscheinend kaum entwachsen, hatte eine wunderbare Figur und das reizendste Gesichtchen, das ich jemals das Vergnügen hatte zu sehen: feine, sehr regelmäßige Züge, flachsblonde, nein, eigentlich mehr goldene Locken, die lose in ihren zarten Nacken fielen, und Augen, die unwiderstehlich gewesen wären, hätten sie nur einen angenehmeren Ausdruck gehabt. Zum Glück für mein empfängliches Herz aber schwankte das einzige Gefühl, das sie verrieten und das in ihnen seltsam unnatürlich anmutete, zwischen Verachtung und einer Art Verzweiflung. Die Blechdosen waren fast außerhalb ihrer Reichweite. Ich wollte ihr zu Hilfe kommen, doch sie ging auf mich los, wie es wohl ein Geizhals tun würde, wenn jemand Anstalten machte, ihm beim Zählen seiner Goldstücke zu helfen.

»Ich brauche Ihre Hilfe nicht«, fuhr sie mich an, »ich kann sie mir selbst holen.«

»Ich bitte um Vergebung«, beeilte ich mich zu entgegnen.

»Sind Sie zum Tee eingeladen?«, wollte sie wissen, während sie sich eine Schürze über ihr adrettes schwarzes Kleid band und einen Löffel voll Teeblätter über die Kanne hielt.

»Ich würde gern eine Tasse trinken«, antwortete ich.

»Sind Sie eingeladen?«, wiederholte sie.

»Nein«, erwiderte ich lächelnd. »Aber Sie können mich doch einladen.«

Sie schleuderte den Tee samt Löffel und allem zurück in die Dose und setzte sich verärgert wieder auf ihren Stuhl. Ihre Stirn war gerunzelt, ihre Unterlippe etwas vorgeschoben wie bei einem Kind, das gleich zu weinen anfängt.

Unterdessen war der junge Mann in ein ausgesprochen schäbiges Gewand geschlüpft, baute sich dann vor dem Feuer auf und sah aus den Augenwinkeln auf mich herab, als gäbe es zwischen uns eine unausgefochtene tödliche Fehde. Ich begann mich zu fragen, ob er wirklich ein Knecht war. Seine Kleidung und seine Sprache waren gleichermaßen grob und entbehrten gänzlich der Überlegenheit, die man bei Mr. und Mrs. Heathcliff beobachten konnte. Seine dichten braunen Locken waren struppig und ungepflegt, sein Backenbart wucherte wie ein Bärenpelz über seine Wangen, und seine Hände waren gebräunt wie die eines einfachen Landarbeiters. Doch sein Auftreten war ungezwungen, fast stolz, und gegenüber der Hausherrin legte er keineswegs die Beflissenheit eines Dienstboten an den Tag. Da mir eindeutige Hinweise auf seine Stellung im Hause fehlten, hielt ich es für das Beste, sein befremdliches Verhalten zu übersehen, und fünf Minuten später erlöste mich Heathcliffs Eintreten in gewissem Maße aus meiner unangenehmen Lage.

»Sie sehen, Mr. Heathcliff, ich bin gekommen, wie ich es versprochen habe!«, rief ich mit gespielter Heiterkeit. »Und ich fürchte, das Wetter wird mich eine halbe Stunde hier festhalten, wenn Sie mir so lange Obdach gewähren können.«

»Eine halbe Stunde?«, meinte er, während er sich die weißen Flocken von seinen Kleidern schüttelte. »Möchte bloß wissen, warum Sie sich für Ihre Streifzüge ausgerechnet das dickste Schneegestöber aussuchen. Ist Ihnen klar, dass Sie Gefahr laufen, sich im Moor zu verirren? Sogar Leute, die mit der Gegend hier vertraut sind, kommen an solchen Abenden oft vom Weg ab, und ich kann Ihnen sagen, dass im Augenblick keine Aussicht auf eine Änderung besteht.«

»Vielleicht finde ich unter Ihren Burschen einen Führer, er könnte ja bis morgen in Thrushcross Grange bleiben. Könnten Sie einen entbehren?«

»Nein, könnte ich nicht.«

»Ach, wirklich nicht? Nun, dann muss ich mich eben auf meinen eigenen Scharfsinn verlassen.«

»Hm!«

»Machst du jetzt endlich den Tee?«, wollte der im schäbigen Rock wissen und ließ seinen wilden Blick von mir zu der jungen Dame wandern.

»Soll er welchen kriegen?«, wandte sie sich an Heathcliff.

»Nun mach schon voran!«, war die Antwort, die so wütend ausgestoßen wurde, dass ich zusammenzuckte. Der Ton, in dem diese Worte geäußert wurden, enthüllte ein durch und durch bösartiges Wesen. Ich verspürte keinerlei Neigung mehr, Heathcliff als famosen Kerl zu bezeichnen.

Als die Vorbereitungen abgeschlossen waren, lud er mich ein: »Nun, dann kommen Sie her mit Ihrem Stuhl.« Wir alle, auch der ungehobelte junge Mann, setzten uns um den Tisch, und während wir unsere Mahlzeit einnahmen, herrschte feindseliges Schweigen.

Ich hielt es für meine Pflicht, mich zu bemühen, die Wolke, die ich offensichtlich heraufbeschworen hatte, wieder zu verscheuchen. Sie konnten ja nicht jeden Tag so verdrießlich und schweigsam dasitzen, und diese mürrische Miene, die sie alle machten, konnte doch unmöglich ihr Alltagsgesicht sein, wie übel sie auch gelaunt sein mochten.

»Es ist doch seltsam«, begann ich in der Pause, als ich meinen Tee gerade ausgetrunken hatte und darauf wartete, erneut eingeschenkt zu bekommen, »es ist doch seltsam, wie die Gewohnheit unsere Neigungen und Vorstellungen formen kann. Viele Menschen könnten sich gar nicht vorstellen, dass man bei einem Leben in derartiger Abgeschiedenheit von der Welt, wie Sie es führen, Mr. Heathcliff, glücklich sein kann; und dennoch wage ich zu behaupten, dass, umgeben von Ihrer Familie und mit Ihrer liebenswürdigen Gefährtin, die als guter Geist über Ihr Heim und Herz regiert …«

»Meine liebenswürdige Gefährtin!«, unterbrach er mich mit einem beinahe teuflischen Grinsen. »Wo ist sie denn, meine liebenswürdige Gefährtin?«

»Ich meine Mrs. Heathcliff, Ihre Gattin.«

»Ach, Sie wollen andeuten, dass ihr Geist das Amt eines Schutzengels übernommen hat und über das Schicksal von Wuthering Heights wacht, obwohl ihr Körper uns verlassen hat? Ist es das?«

Mir wurde klar, dass ich einen groben Fehler begangen hatte, und ich wollte ihn wiedergutmachen. Ich hätte sehen müssen, dass der große Altersunterschied zwischen den beiden es unwahrscheinlich machte, dass sie Mann und Frau waren. Er war um die Vierzig, also in einem Alter geistiger Vitalität, in dem sich Männer selten der Illusion hingeben, ein junges Mädchen könnte sie aus Liebe heiraten; dieser Traum ist uns als Trost für unseren Lebensabend vorbehalten. Sie sah nicht einmal wie siebzehn aus.

Da schoss es mir plötzlich durch den Kopf: ›Dieser Tölpel da neben mir, der seinen Tee aus einem Napf schlürft und sein Brot mit ungewaschenen Fingern isst, könnte ihr Mann sein. Heathcliff junior, aber natürlich! Das kommt von diesem Lebendigbegrabensein: Sie hat sich an diesen Bauernlümmel weggeworfen, nur, weil sie nicht wusste, dass es auch bessere Männer gibt! Jammerschade. Ich muss mich davor hüten, sie ihre Wahl bereuen zu lassen.‹ Die letzte Überlegung mag überheblich klingen, aber sie war es nicht. Mein Tischnachbar hatte etwas an sich, das schon fast an Widerwärtigkeit grenzte. Und ich wusste aus Erfahrung, dass ich eine gewisse Anziehungskraft besaß.

»Mrs. Heathcliff ist meine Schwiegertochter«, sagte Heathcliff und bestätigte damit meine Vermutung. Während er sprach, warf er ihr einen eigentümlichen Blick zu, einen hasserfüllten Blick, es sei denn, er verfügte über eine höchst eigenwillige Mimik, die nicht, wie bei anderen Menschen, der Sprache seiner Seele Ausdruck verlieh.

»Aber gewiss, ich verstehe schon, Sie sind der glückliche Gefährte der guten Fee«, wandte ich mich an meinen Nachbarn.

Das war nun noch schlimmer. Der Junge lief dunkelrot an und ballte die Faust, als habe er die Absicht, sich auf mich zu stürzen. Aber offenbar gewann er seine Fassung sofort wieder. Er unterdrückte den stürmischen Ausbruch mit einem gegen mich ausgestoßenen Fluch, den ich jedoch tunlichst zu überhören suchte.

»Nicht gerade viel Glück mit Ihren Vermutungen«, bemerkte mein Gastgeber. »Keiner von uns hat die Ehre, zu Ihrer guten Fee zu gehören, ihr Mann ist tot. Ich sagte doch, sie sei meine Schwiegertochter, also muss sie meinen Sohn geheiratet haben.«

»Und dieser junge Mann hier ist …«

»Nicht mein Sohn, gewiss nicht!«

Heathcliff grinste wieder, als sei es denn doch ein zu starkes Stück, ihn für den Vater dieses Bären zu halten.

»Mein Name ist Hareton Earnshaw«, knurrte der andere, »und ich rate Ihnen, ihm Achtung zu zollen.«

»Ich habe keinerlei Missachtung gezeigt«, entgegnete ich, während ich innerlich über die Würde, mit der er sich vorstellte, lachen musste.

Er heftete seinen Blick länger auf mich, als ich ihn erwidern wollte, denn ich fürchtete, ich könnte versucht sein, ihm eine Ohrfeige zu versetzen oder meine Heiterkeit zu verraten. Allmählich fühlte ich mich in diesem trauten Familienkreis völlig fehl am Platz. Die bedrückende geistige Atmosphäre überdeckte und erstickte schließlich die wohlige Behaglichkeit, die mich äußerlich umgab. Und ich beschloss, mich davor zu hüten, ein drittes Mal unter dieses Dach zu geraten.

Da die Mahlzeit beendet war und keiner auch nur Anstalten zu einer geselligen Unterhaltung machte, trat ich ans Fenster, um nach dem Wetter zu sehen. Es war ein trostloser Anblick, der sich mir bot. Die schwarze Nacht brach vorzeitig herein, und Himmel und Erde verschmolzen in einem einzigen, heftig wirbelnden Durcheinander von Wind und alles unter sich begrabendem Schnee.

»Ich glaube, jetzt finde ich ohne Führer wirklich nicht mehr nach Hause«, entfuhr es mir unwillkürlich. »Die Wege sind zugeschneit, und selbst wenn sie frei wären, könnte ich kaum einen Schritt weit sehen.«

»Hareton, treib das Dutzend Schafe aus dem Pferch in die Scheune. Sie werden eingeschneit, wenn sie die ganze Nacht draußen sind. Und mach ein Brett davor!«, sagte Heathcliff.

»Und was ist mit mir?«, fragte ich mit wachsendem Unmut.

Ich bekam keine Antwort auf meine Frage, und als ich mich umdrehte, sah ich nur Joseph, der gerade einen Eimer Haferbrei für die Hunde hereinbrachte, und Mrs. Heathcliff, die sich über das Feuer beugte und sich die Zeit damit vertrieb, ein Bündel Streichhölzer zu verbrennen, das vom Kaminsims heruntergefallen war, als sie die Teedosen an ihren Platz zurückgestellt hatte. Nachdem Joseph seine Last abgesetzt hatte, unterzog er das Zimmer einer eingehenden Prüfung und fauchte dann in krächzendem Ton: »Möcht wissn, wie Se sich unterstehn könn, da so faul rumz’stehn un nix z’tun, wo die andern alle raus sin. Aber Se sin zu nix nutz, un ’s hat kein Zweck, was z’sagn. Se wern Ihre schlechtn Gwohnheiten nie ablegn: Gehn Se doch zum Teufel – wie Ihr Mutter vor Ihnen.«

Einen Augenblick lang dachte ich, dieser Redeschwall gelte mir, und machte, reichlich erbost, einen Schritt auf den alten Halunken zu, in der Absicht, ihn mit einem Tritt vor die Tür zu setzen. Doch Mrs. Heathcliff kam mir mit ihrer Antwort zuvor.

»Du niederträchtiger alter Heuchler!«, erwiderte sie. »Hast du nicht jedesmal Angst, der Teufel holt dich bei lebendigem Leib, wenn du seinen Namen aussprichst? Ich rate dir, mich nicht zu reizen, sonst werde ich es mir als besondere Gunst erbitten, dass er dich holt! Halt! Schau hierher, Joseph«, fuhr sie fort, während sie ein großes, dunkles Buch von einem Wandbrett nahm. »Ich werde dir zeigen, wie weit ich’s in der Schwarzen Kunst schon gebracht habe. Bald werde ich in der Lage sein, mit ihrer Hilfe das ganze Haus leerzufegen. Die rote Kuh ist nicht durch Zufall eingegangen, und deinen Rheumatismus kann man wohl auch kaum zu den glücklichen Fügungen des Himmels rechnen.«

»Oh, wie gottlos, wie gottlos!«, keuchte der Alte. »Der Herr erlöse uns von dem Bösen!«

»Nein, du Verworfener! Du bist von Gott verstoßen. Scher dich weg, oder ich werde dir wirklich etwas antun. Ich werde euch alle in Wachs und Ton modellieren, und der erste, der die von mir gesteckten Grenzen übertritt, der wird … Ich verrate nicht, was mit dem geschehen wird, aber du wirst schon sehen! Geh, ich schau dich an.«

Die kleine Hexe ließ ihre schönen Augen in gespielter Bosheit aufblitzen, und Joseph, der vor ehrlichem Entsetzen zitterte, eilte betend und immer wieder »gottlos« rufend hinaus. Ich hielt ihr Benehmen für eine Art Spaß, den sie sich aus Langeweile machte, und als wir dann allein waren, versuchte ich, ihre Aufmerksamkeit auf meine Notlage zu lenken.

»Mrs. Heathcliff«, begann ich ernst, »bitte, entschuldigen Sie, dass ich Sie belästige. Ich wage es, weil ich mir ganz sicher bin, dass Sie, mit einem solchen Gesicht, gar nicht anders als gütig sein können. Nennen Sie mir doch bitte ein paar auffallende Punkte, an Hand derer ich den Weg nach Hause finden kann. Ich weiß ebenso wenig, wie ich heimkommen soll, wie Sie den Weg nach London fänden!«

»Gehn Sie den Weg zurück, den Sie gekommen sind«, antwortete sie und machte es sich, eine Kerze und das große Buch aufgeschlagen vor sich, auf ihrem Stuhl bequem. »Das ist zwar ein kurzer Rat, aber der vernünftigste, den ich Ihnen geben kann.«

»Und wenn Sie hören, dass man mich tot in einem Sumpf oder einem Schneeloch gefunden hat, wird Ihnen dann nicht Ihr Gewissen zuraunen, dass dies mit Ihre Schuld ist?«

»Wieso denn? Ich kann Sie nicht begleiten. Die würden mich nicht einmal bis ans Ende der Gartenmauer gehen lassen.«

»Sie! Es würde mir sehr leid tun, Sie bitten zu müssen, meinetwegen in einer solchen Nacht den Fuß über die Schwelle zu setzen. Sie sollen mir den Weg nur beschreiben, nicht zeigen, oder Mr. Heathcliff dazu überreden, mir einen Führer zur Verfügung zu stellen.«

»Und wen? Hier leben nur er, Earnshaw, Zillah, Joseph und ich. Wen hätten Sie denn gern?«

»Gibt es keine Gehilfen auf dem Hof?«

»Nein, das sind alle.«

»Das heißt dann wohl, dass ich gezwungen bin, hierzubleiben.«

»Das können Sie mit Ihrem Gastgeber regeln. Ich habe damit nichts zu tun.«

»Hoffentlich wird Ihnen dies eine Lehre sein, keine unüberlegten Ausflüge mehr in dieser Gegend zu machen«, drang Heathcliffs strenge Stimme von der Küchentür herüber. »Und was das Hierbleiben anbelangt, ich bin nicht für die Unterbringung von Gästen eingerichtet. Sie müssen sich schon ein Bett mit Hareton oder Joseph teilen, wenn Sie bleiben.«

»Ich kann doch auf einem Stuhl hier im Zimmer schlafen«, entgegnete ich.

»Nein, nein! Ein Fremder ist ein Fremder, sei er nun reich oder arm. Ich will nicht, dass sich irgend jemand hier aufhält, wenn ich nicht aufpassen kann«, sagte der unverschämte Kerl.

Nach dieser Beleidigung war meine Geduld am Ende. Ich brachte meine Entrüstung zum Ausdruck und drängte mich an ihm vorbei auf den Hof, wo ich in meiner Eile mit Earnshaw zusammenstieß. Es war so dunkel, dass ich den Ausgang nicht erkennen konnte, und während ich suchend umhertappte, wurde ich Zeuge einer weiteren Kostprobe des höflichen Benehmens, mit dem sie untereinander verkehrten.

Der junge Mann wollte sich offensichtlich meiner annehmen. »Ich geh mit ihm bis zum Park«, sagte er.

»Zur Hölle wirst du mit ihm gehn!«, schrie sein Herr oder was er sonst sein mochte. »Und wer soll sich um die Pferde kümmern, he?«

»Ein Menschenleben ist wichtiger. Es ist nicht so schlimm, wenn die Pferde einen Abend mal nicht versorgt werden. Und jemand muss doch gehen«, murmelte Mrs. Heathcliff freundlicher, als ich erwartet hatte.

»Nicht auf deinen Befehl!«, erwiderte Hareton heftig. »Wenn dir etwas an ihm liegt, sei lieber ruhig.«

»Dann wird dich hoffentlich sein Geist verfolgen, und Mr. Heathcliff keinen Pächter mehr finden, bis Thrushcross Grange bloß noch ein Trümmerhaufen ist«, entgegnete sie scharf.

»Hört, hört, sie verflucht se!«, brummte Joseph, auf den ich zugesteuert war. Er saß in Hörweite und molk die Kühe beim Licht einer Laterne, die ich ohne viel Aufhebens an mich nahm. Ich rief ihm zu, dass ich sie am folgenden Morgen zurückschicken würde, und stürmte auf die nächstliegende Pforte los.

»Herr, Herr, der stiehlt d’ Latern!«, brüllte der Alte und verfolgte mich auf meiner Flucht. »He, Gnasher! He, Hund! He, Wolf! Fasst ihn, fasst!«

Als ich die kleine Tür öffnete, sprangen mir zwei zottige Ungeheuer an die Kehle, warfen mich zu Boden und löschten dabei das Licht aus, während Heathcliffs und Haretons schallendes Gelächter meiner Wut und meiner Demütigung die Krone aufsetzte. Zum Glück schienen die Tiere mehr Lust zu verspüren, ihre Pfoten auszustrecken, zu gähnen und mit dem Schwanz zu wedeln, als mich bei lebendigem Leib zu verschlingen; aber sie duldeten nicht den kleinsten Versuch, mich zu erheben, und so war ich gezwungen liegenzubleiben, bis es ihren niederträchtigen Herren beliebte, mich aus meiner Lage zu erlösen. Ohne Hut und zitternd vor Wut, forderte ich daraufhin mit unzusammenhängenden Drohungen, die in ihrer abgrundtiefen Bösartigkeit an König Lear erinnerten,4 die Bösewichter auf, mich gehen zu lassen: es wäre ihr eigenes Risiko, wenn sie mich auch nur noch eine Minute länger festhielten.

Die Heftigkeit meiner Erregung verursachte starkes Nasenbluten, und noch immer lachte Heathcliff, und noch immer schimpfte ich. Ich weiß nicht, wie dieser Auftritt geendet hätte, wäre nicht eine Person zur Stelle gewesen, die vernünftiger als ich und wohlwollender als meine Gastgeber war. Es war Zillah, die stämmige Haushälterin, die schließlich erschien, um sich nach dem Grund des Aufruhrs zu erkundigen. Sie glaubte, jemand hätte Hand an mich gelegt, und da sie sich nicht traute, ihren Herrn anzugreifen, richtete sie ihr Wortgeschütz auf den jüngeren der beiden Schurken.

»Na, Mr. Earnshaw«, rief sie, »ich bin gespannt, was Se als Nächstes vorhaben. Bringen wir jetzt schon Leut vor unserer eignen Haustür um? Ich seh schon, dieses Haus is nix für mich. Sehn Se sich mal den armen Kerl an, der erstickt ja fast. Na, na, so beruhigen Se sich doch. Kommen Se rein, ich werd Ihnen helfen. Gut so, nun halten Se mal still!«

Bei diesen Worten schüttete sie mir plötzlich einen Krug eiskalten Wassers in den Nacken und zog mich in die Küche. Mr. Heathcliff folgte uns, und seine durch den Vorfall ausgelöste Heiterkeit wich schnell wieder seinem gewöhnlichen mürrischen Wesen.

Ich fühlte mich äußerst elend, schwindlig und schwach und war dadurch genötigt, gegen meinen Willen einer Übernachtung unter seinem Dach zuzustimmen. Heathcliff wies Zillah an, mir ein Glas Branntwein zu geben, und ging dann ins »Haus« hinein, während sie mir ihre Anteilnahme an meiner bedauernswerten Lage aussprach und seinen Anordnungen nachkam. Sobald ich mich durch den Branntwein etwas belebt fühlte, zeigte sie mir mein Bett.

Kapitel 3

Als sie mir die Treppe hinauf vorausging, riet sie mir, die Kerze abzuschirmen und keinen Lärm zu machen, ihr Herr habe nämlich eine merkwürdige Einstellung zu dem Zimmer, in das sie mich bringen wolle; er würde nie jemanden mit seiner Zustimmung dort wohnen lassen. Ich fragte nach dem Grund. Sie kenne ihn nicht, erwiderte sie. Sie sei erst ein oder zwei Jahre im Hause, und es geschähen so viele sonderbare Dinge, dass sie gar nicht erst anfangen wolle, neugierig zu sein.

Selbst zu betäubt, um neugierig zu sein, schloss ich die Tür und sah mich nach dem Bett um. Die ganze Einrichtung bestand aus einem Stuhl, einem Kleiderschrank und einem großen Kasten aus Eichenholz, aus dem oben Vierecke herausgeschnitten waren, die wie die Fenster einer Kutsche aussahen. Ich ging zu diesem seltsamen Gebilde hin, warf einen Blick hinein und stellte fest, dass es eine merkwürdige Art alter Bettstatt war, äußerst zweckdienlich entworfen, um der Notwendigkeit, jedem Familienmitglied ein eigenes Zimmer zuzuweisen, zu entgehen. Es war eine richtige kleine Kammer, der Sims eines eingelassenen Fensters diente als Tisch. Ich schob die getäfelte Seitenwand auseinander, kroch mit meinem Licht hinein, machte sie wieder zu und fühlte mich vor der Wachsamkeit Heathcliffs und aller anderen sicher.

In einer Ecke des Simses, auf den ich meine Kerze stellte, lag ein Stapel stockfleckiger Bücher, und der ganze Sims war voll von Schriftzeichen, die in seinen Anstrich eingeritzt waren. All diese Inschriften aber wiederholten, in den verschiedensten Arten von Buchstaben, großen und kleinen, immer nur einen Namen – Catherine Earnshaw, da und dort abgewandelt zu Catherine Heathcliff und dann wieder zu Catherine Linton.

In dumpfer Teilnahmslosigkeit lehnte ich den Kopf gegen das Fenster und buchstabierte immer wieder Catherine Earnshaw – Heathcliff – Linton, bis mir die Augen zufielen. Aber ich hatte sie noch keine fünf Minuten geschlossen, da brachen mit grellem Glanz weiße Buchstaben, lebendig wie Gespenster, aus dem Dunkel hervor – in der Luft wimmelte es nur so von Catherinen. Als ich mich aufrichtete, entdeckte ich, dass der Docht meiner Kerze sich über einen der alten Bände geneigt hatte und sich im Raum der Geruch von versengtem Kalbsleder verbreitete. Ich kürzte den Docht, und da ich mich infolge der Kälte und der noch immer anhaltenden Übelkeit sehr unbehaglich fühlte, setzte ich mich auf, nahm den beschädigten Band auf meine Knie und schlug ihn auf. Es war eine in feinen Lettern gedruckte Bibel, die schrecklich modrig roch. Das Deckblatt trug die Inschrift: »Catherine Earnshaw – ihr Buch«, und ein Datum, das etwa ein Vierteljahrhundert zurücklag. Ich klappte das Buch zu und nahm ein anderes zur Hand, dann noch eines und noch eines, bis ich sie alle durchgeblättert hatte. Catherines Bibliothek war auserlesen, und der abgenützte Zustand der Bücher bewies, dass sie häufig in Gebrauch gewesen waren, wenn auch nicht unbedingt immer ihrem eigentlichen Zweck entsprechend. Kaum ein Kapitel war von handschriftlichen Anmerkungen, oder dem, was zumindest so aussah, verschont geblieben, sie bedeckten jede noch so kleine Stelle, die der Drucker freigelassen hatte. Manchmal handelte es sich um unzusammenhängende Sätze, andere Passagen wiederum sahen aus wie ein regelrechtes Tagebuch, in einer unbeholfenen, kindlichen Handschrift hingekritzelt. Oben auf einer leeren Seite (die wohl einen Schatz darstellte, als sie entdeckt worden war), erblickte ich zu meinem großen Vergnügen eine ausgezeichnete Karikatur meines Freundes Joseph, der zwar nur grob, aber treffend skizziert war. Ein plötzliches Interesse für die unbekannte Catherine entflammte in mir, und ich fing sofort damit an, ihr verblasstes Gekritzel zu entziffern.

»Ein schrecklicher Sonntag«, begann der Absatz unter der Zeichnung. »Ich wünschte, mein Vater wäre wieder bei uns. Hindley ist ein grässlicher Ersatz für ihn, sein Benehmen gegenüber Heathcliff ist scheußlich. H. und ich werden uns auflehnen. Heute abend haben wir den ersten Schritt dazu getan.

Den ganzen Tag hat es in Strömen geregnet. Wir konnten nicht zur Kirche gehen, und deshalb wollte Joseph unbedingt in der Bodenkammer eine Gemeinde um sich versammeln, und während Hindley und seine Frau es sich unten an einem behaglichen Feuer bequem machten und dabei – dafür verbürge ich mich – alles andere taten, als in ihren Bibeln zu lesen, befahl man Heathcliff, mir und dem armen Ackerknecht, mit unseren Gebetbüchern hinaufzugehen. Wir wurden in eine Reihe auf einen Sack Korn gesetzt, stöhnten und schlotterten vor Kälte und hofften, dass auch Joseph frieren und uns in seinem eigenen Interesse nur eine kurze Predigt halten würde. Eine törichte Hoffnung! Der Gottesdienst dauerte volle drei Stunden, und trotzdem hatte mein Bruder die Unverfrorenheit, als er uns herunterkommen sah, zu rufen: ›Was, schon fertig?‹ Früher durften wir an Sonntagabenden spielen, wenn wir keinen großen Lärm machten; heute genügt schon ein Kichern, um in die Ecke gestellt zu werden!

›Ihr vergesst, dass ich jetzt euer Herr und Meister bin‹, sagt der Tyrann. ›Der erste, der mich reizt, wird mich kennenlernen. Ich verlange absoluten Ernst und vollkommene Ruhe. Du, Bengel, warst du das? Frances, Liebling, zieh ihn doch im Vorbeigehen an den Haaren, ich hörte ihn gerade mit den Fingern schnippen.‹ Frances packte ihn herzhaft an den Haaren, ging dann zu ihrem Mann und setzte sich auf seine Knie, und da saßen sie dann wie zwei kleine Kinder, küssten einander und redeten stundenlang Unsinn daher, albernes Zeug, dessen wir uns schämen würden. Wir machten es uns in der Nische unter der Anrichte so gemütlich, wie unsere Mittel es erlaubten. Ich hatte gerade unsere Kinderschürzchen zusammengebunden und sie als Vorhang aufgehängt, da kommt plötzlich Joseph von einem Gang durch die Ställe herein. Er reißt mein Meisterwerk herunter, ohrfeigt mich und krächzt:

›Der Herr is no kaum untr der Erd, un der Sonntag no net vorbei, un ’s Evangelium klingt euch no in die Ohrn, un scho seid ’r wieder am Spieln. Schämt euch! Setzt euch hin, ihr missratnen Kind! ’s gibt gnug gute Bücher, wenn ihr se nur lesn tätet. Setzt euch hin un tut was für eure Seelen!‹

Bei diesen Worten zwang er uns, uns so zu setzen, dass ein schwacher Schein des entfernten Feuers auf uns fiel und wir den Text der alten Schwarten, die er uns aufdrängte, erkennen konnten. Mir war diese Beschäftigung zuwider. Ich packte den schmutzigbraunen Band am Rücken, schleuderte ihn zu den Hunden unter die Anrichte und erklärte feierlich, dass ich gute Bücher hasste. Heathcliff beförderte sein Buch mit einem Fußtritt an denselben Ort. Und dann gab’s einen Riesenkrach!

›Master Hindley!‹, rief unser Seelsorger. ›Hierher, schnell! Miss Cathy hat den Rücken vom »Helm des Heils« abgrissen, un Heathcliff hat sei Laun am ersten Teil der »Breiten Straße zur Verdammnis« ausglassen. ’s is entsetzlich, dass Se dene so viel Freiheit gem. Ja, der alte Herr, der hätt se anständig versohlt, aber der lebt ja nimmer!‹

Hindley eilte aus seinem Paradies am Kamin herbei, packte den einen von uns am Kragen, den anderen am Arm und stieß uns beide in die Küche hinaus, wo uns, wie Joseph beteuerte, so wahr wir lebten, der Leibhaftige holen würde. Und mit dieser trostreichen Aussicht suchte sich jeder von uns einen Winkel, um auf sein Erscheinen zu warten. Ich nahm mir dieses Buch und ein Tintenfass vom Wandbrett, machte die Haustür etwas auf, um mehr Licht zu haben, und habe mir die Zeit während der vergangenen zwanzig Minuten mit Schreiben vertrieben. Aber mein Leidensgenosse ist ungeduldig und schlägt vor, wir sollten den Umhang der Melkfrau nehmen und unter seinem Schutz ins Moor hinauslaufen. Eine gute Idee, zumal der alte Griesgram, wenn er hereinkommt, glauben wird, seine Prophezeiung habe sich erfüllt. Und feuchter und kälter kann es draußen im Regen auch nicht sein!«

 

Vermutlich führte Catherine ihr Vorhaben aus, denn der nächste Satz griff ein anderes Thema auf: Sie wurde weinerlich.

»Nie hätte ich mir träumen lassen, dass Hindley mich jemals so zum Weinen bringen würde!«, schrieb sie. »Mein Kopf schmerzt so sehr, dass ich ihn nicht still auf dem Kissen halten kann, und trotzdem kann ich nicht aufhören. Armer Heathcliff! Hindley schimpft ihn einen Landstreicher und will ihn nicht mehr bei uns sitzen und mit uns essen lassen, und er sagt, Heathcliff und ich, wir dürften nicht mehr miteinander spielen, und droht, ihn aus dem Haus zu werfen, wenn wir seine Anordnungen nicht befolgten. Er hat unserem Vater vorgeworfen – wie kann er es nur wagen? –, Heathcliff gegenüber zu nachsichtig gewesen zu sein, und schwört, er werde ihn schon auf den Platz zurückweisen, der ihm gebühre …«

 

Ich begann über der verblichenen Seite einzunicken. Mein Blick wanderte von den handschriftlichen Notizen zum Gedruckten. Ich sah eine in roten Zierbuchstaben gedruckte Überschrift: »Siebenzigmal siebenmal, und das erste vom einundsiebenzigsten Mal.5 Eine erbauliche Predigt, gehalten von Hochwürden Jabes Branderham in der Kapelle von Gimmerden Sough.« Und während ich mir, nur mehr halb bewusst, den Kopf darüber zerbrach, was Jabes Branderham wohl aus seinem Thema machen würde, sank ich in die Kissen zurück und schlief ein. Aber ach! der schlechte Tee und die miserable Stimmung taten ihre Wirkung – denn was sonst hätte mir eine solch schreckliche Nacht bereiten können? Ich erinnere mich an keine, die nur im Geringsten mit dieser zu vergleichen wäre, seit ich fähig war zu leiden.

Ich begann schon zu träumen, noch bevor ich ganz aufgehört hatte, meine Umgebung bewusst wahrzunehmen. Ich glaubte, es sei Morgen und ich befände mich unter Josephs Führung auf dem Heimweg. Der Schnee lag meterhoch auf unserem Weg, und während wir uns vorwärtskämpften, quälte mich mein Begleiter ständig mit Vorwürfen, weil ich keinen Pilgerstab mitgenommen hatte. Ohne einen solchen, eröffnete er mir, würde ich niemals ins Haus hineinkommen, und schwang dabei stolz einen sich oben verdickenden Knüppel, den er offensichtlich so bezeichnete. Einen Augenblick lang erschien es mir absurd, dass ich eine derartige Waffe benötigen sollte, um Zutritt zu meiner eigenen Wohnung zu erhalten. Dann schoss mir plötzlich ein neuer Gedanke durch den Kopf: Ich ging gar nicht nach Hause, wir waren vielmehr unterwegs, um den berühmten Jabes Branderham über den Text »Siebenzigmal siebenmal« predigen zu hören, und entweder Joseph, der Prediger oder ich hatte das »erste vom einundsiebenzigsten Mal« begangen und sollte öffentlich überführt und exkommuniziert werden.

Wir kamen zu der Kapelle, an der ich auf meinen Spaziergängen tatsächlich schon zwei‑ oder dreimal vorbeigekommen war. Sie befindet sich in einer etwas höher gelegenen Senke zwischen zwei Hügeln, in der Nähe eines Sumpfes, dessen feuchter Torf die Eigenschaft haben soll, die wenigen dort begraben liegenden Leichname wie durch Einbalsamierung zu erhalten. Das Dach der Kirche ist bisher immer ausgebessert worden, aber da das Einkommen des Pfarrers nur zwanzig Pfund im Jahr beträgt, dazu ein Haus mit zwei Zimmern, die jedoch Gefahr laufen, in Kürze auf eines reduziert zu werden, ist kein Geistlicher mehr bereit, die Obliegenheiten eines Seelsorgers zu übernehmen, umso weniger, da allgemein berichtet wird, dass seine Gemeinde ihn eher verhungern ließe, als seinen Lebensunterhalt auch nur durch einen Pfennig aus der eigenen Tasche aufzubessern. In meinem Traum jedoch hatte Jabes eine große und andächtige Gemeinde. Und er predigte. Guter Gott, was für eine Predigt! Sie war in vierhundertneunzig Abschnitte eingeteilt, von denen jeder einer gewöhnlichen Kanzelrede entsprach und eine andere Sünde behandelte. Wo er sie überall zusammengesucht hatte, kann ich nicht sagen. Er legte den Satz auf seine eigene Weise aus. Danach schien es unumgänglich, dass der Gläubige jedesmal neue Sünden beging. Diese waren von der seltsamsten Art: merkwürdige Vergehen, von denen ich bis dahin keine Ahnung gehabt hatte.

Oh, wie müde ich wurde! Wie ich mich wand und gähnte, einnickte und wieder aufschreckte! Wie ich mich selbst kniff und zwickte, mir die Augen rieb, aufstand und mich wieder hinsetzte und Joseph anstieß, er solle mir Bescheid sagen, wenn Jabes ein Ende fände! Ich war dazu verdammt, mir das Ganze bis zum Schluss anzuhören. Schließlich gelangte er zum »ersten vom einundsiebenzigsten Mal«. An diesem entscheidenden Punkt überkam mich plötzlich eine Eingebung: Irgend etwas veranlasste mich, aufzustehen und Jabes Branderham der Sünde anzuklagen, die kein Christ zu vergeben braucht.

»Sir«, rief ich, »ich habe die ganze Zeit über hier in diesen vier Wänden gesessen und habe die vierhundertneunzig Abschnitte Ihrer Predigt über mich ergehen lassen und verziehen. Siebenzigmal siebenmal habe ich nach meinem Hut gegriffen und war drauf und dran zu gehen, und siebenzigmal siebenmal haben Sie mich groteskerweise gezwungen, mich wieder zu setzen. Das vierhunderteinundneunzigste Mal ist zu viel. Leidensgenossen, auf ihn! Zerrt ihn herunter und reißt ihn in Stücke, auf dass der Ort, der ihn kennt, ihn nicht mehr erkennen kann!«6

»Du bist der Mann!«, schrie Jabes, sich weit über sein Lesekissen vorbeugend, nach einer feierlichen Pause. »Siebenzigmal siebenmal hast du gähnend dein Gesicht verzerrt, siebenzigmal siebenmal bin ich mit meiner Seele zu Rate gegangen. Siehe, das ist menschliche Schwäche; auch dies sei vergeben! Das erste vom einundsiebenzigsten Mal ist geschehen. Brüder, vollstreckt an ihm das Urteil, wie es geschrieben steht! Diese Ehre steht jedem Seiner frommen Diener zu!«

Nach diesen abschließenden Worten stürzte sich die ganze Versammlung geschlossen mit erhobenen Pilgerstäben auf mich. Da ich keine Waffe zu meiner Verteidigung hatte, fing ich an, mit Joseph, dem mir am nächsten stehenden, wildesten Angreifer, um seine zu ringen. In dem Menschengewühl schlugen mehrmals einzelne Knüppel gegeneinander, auf mich gezielte Hiebe trafen andere Schädel. Augenblicklich hallte die ganze Kapelle von Schlägen und Gegenschlägen wider. Ein jeder kämpfte gegen jeden,7 und Branderham, der nicht untätig zusehen wollte, verlieh seinem Eifer durch einen Hagel lauter Tritte gegen die Bretter der Kanzel Ausdruck, was so durchdringend dröhnte, dass ich schließlich, zu meiner unsagbaren Erleichterung, davon aufwachte. Und was hatte diesen schrecklichen Tumult in meinem Traum ausgelöst? Was steckte hinter Jabes’ Auftritt bei dem Krawall? Nichts als der Zweig einer Kiefer, der vom heulenden Sturm gegen mein Fenster gedrückt wurde und mit seinen dürren Zapfen rasselnd an die Scheibe klopfte. Einen Augenblick lang lauschte ich angespannt, dann hatte ich den Störenfried entdeckt. Ich drehte mich um, döste ein und träumte wieder, womöglich noch unangenehmer als vorher.

Dieses Mal war ich mir bewusst, dass ich in dem Eichenkabinett lag, und ich hörte deutlich den stürmischen Wind und das Schneetreiben. Ich vernahm auch das andauernde aufreibende Geräusch, das ich nun der richtigen Ursache zuschrieb. Aber es ärgerte mich doch so sehr, dass ich beschloss, ihm, wenn irgend möglich, ein Ende zu machen. Ich glaubte, ich stünde auf und versuchte, den Fensterflügel zu öffnen. Der Haken war in der Krampe festgelötet, ein Umstand, den ich vor dem Schlafengehen zwar wahrgenommen, aber wieder vergessen hatte. »Ich muss es trotzdem schaffen!«, murmelte ich, stieß meine Faust durch das Glas und streckte den Arm hinaus, um den lästigen Ast zu packen. Aber statt um diesen schlossen sich meine Finger um die Finger einer kleinen, eiskalten Hand! Das grenzenlose Grauen eines Alptraums überfiel mich. Ich versuchte, meinen Arm zurückzuziehen, aber die Hand klammerte sich daran fest, und eine todtraurige Stimme schluchzte: »Lass mich hinein! Lass mich hinein!« »Wer bist du?«, fragte ich und bemühte mich währenddessen freizukommen. »Catherine Linton«, erwiderte die Stimme bebend (warum dachte ich eigentlich gerade an Linton? Ich hatte doch für einmal Linton zwanzigmal Earnshaw gelesen). »Ich bin heimgekommen, ich hatte mich im Moor verirrt!« Während die Stimme noch sprach, erkannte ich undeutlich das Gesicht eines Kindes, das durch das Fenster sah. Das Entsetzen machte mich grausam: Da sich der Versuch, das Geschöpf abzuschütteln, als zwecklos herausstellte, zog ich sein Handgelenk an die zerbrochene Scheibe und rieb es darauf hin und her, bis das Blut herunterrann und das Bettzeug durchtränkte. Aber noch immer wimmerte es: »Lass mich hinein!«, und hielt sich hartnäckig an mir fest. Ich wurde fast verrückt vor Angst. »Wie soll ich denn?«, sagte ich schließlich. »Lass mich los, wenn ich dich hereinlassen soll!« Seine Finger lockerten sich, ich zog schnell meine Hand durch das Loch zurück, türmte hastig die Bücher zu einer Pyramide davor auf und verstopfte mir die Ohren, um das klägliche Flehen nicht mehr zu hören. Ich mag sie mir wohl eine Viertelstunde zugehalten haben, doch in dem Augenblick, als ich wieder hinhörte, vernahm ich auch das ununterbrochene jammervolle Klagen wieder. »Weg mit dir!«, schrie ich. »Nie und nimmer werde ich dich hereinlassen, und wenn du zwanzig Jahre lang bettelst!« »Es sind zwanzig Jahre«, sagte die Stimme traurig. »Zwanzig Jahre! Seit zwanzig Jahren habe ich kein Zuhause mehr!« Gleich darauf setzte draußen ein leises Kratzen ein, und der Bücherstapel bewegte sich, als würde er von hinten geschoben. Ich wollte aufspringen, konnte aber kein Glied rühren und schrie, in wahnsinnigem Entsetzen, laut auf. Zu meiner Bestürzung bemerkte ich, dass ich mir den Schrei nicht nur eingebildet hatte. Hastige Schritte näherten sich der Tür zu meinem Zimmer, jemand stieß sie mit kräftiger Hand auf, und ein Lichtschein fiel durch die viereckigen Öffnungen oben an meinem Bett. Ich saß noch schaudernd da und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Der Eindringling schien zu zögern und murmelte etwas vor sich hin. Schließlich fragte er fast flüsternd und offensichtlich, ohne eine Antwort zu erwarten: »Ist hier jemand?« Ich hielt es für das Beste, meine Anwesenheit einzugestehen, denn ich erkannte Heathcliffs Stimme und fürchtete, er würde weiterforschen, wenn ich ruhig blieb. Deshalb drehte ich mich um und öffnete die Türen. Die Wirkung, die ich damit hervorrief, werde ich nicht so bald vergessen.

Heathcliff stand in Hemd und Hose an der Tür, Kerzenwachs tropfte über seine Finger, und sein Gesicht war so weiß wie die Wand hinter ihm. Beim ersten Knacken des Eichenholzes zuckte er zusammen, als hätte ihn der Blitz getroffen: Die Kerze flog in hohem Bogen durch die Luft, und er war so erregt, dass er sie nur mit Mühe wieder aufheben konnte.

»Nur Ihr Gast, Sir«, rief ich, weil ich ihm die Demütigung ersparen wollte, seine Feigheit noch länger zu offenbaren. »Ich hatte das Missgeschick, im Schlaf zu schreien – ich hatte einen entsetzlichen Alptraum. Es tut mir leid, dass ich Sie gestört habe.«

»Zum Teufel mit Ihnen, Mr. Lockwood. Ich wollte, Sie wären in der …«, begann mein Gastgeber, während er die Kerze auf einen Stuhl stellte, weil es ihm unmöglich war, sie ruhig zu halten. »Wer hat Ihnen überhaupt dieses Zimmer gegeben?«, fuhr er fort, bohrte seine Fingernägel in die Handflächen und knirschte mit den Zähnen, um das krampfhafte Zucken seiner Kinnbacken zu unterdrücken. »Wer war es? Ich hätte beste Lust, den Betreffenden augenblicklich aus dem Haus zu jagen!«

»Es war Ihre Magd Zillah«, antwortete ich, während ich aus dem Bett sprang und eilig meine Kleider zusammensuchte. »Ich hätte nichts dagegen, wenn Sie es täten, Mr. Heathcliff; sie hat es reichlich verdient. Vermutlich wollte sie einen erneuten Beweis dafür, dass es in diesem Zimmer spukt, und das auf meine Kosten. Nun, das tut es – es wimmelt hier nur so von Geistern und Kobolden. Sie haben allen Grund, es verschlossen zu halten, das kann ich Ihnen sagen. Niemand wird Ihnen für ein Nickerchen in einer solchen Gespensterhöhle danken!«

»Wovon sprechen Sie?«, fragte Heathcliff. »Und was tun Sie da? Legen Sie sich wieder hin und schlafen Sie weiter, da Sie nun schon einmal hier sind. Aber schreien Sie um Himmels willen nicht noch einmal so grauenhaft. Das wäre nicht zu entschuldigen, es sei denn, Ihnen würde die Kehle durchgeschnitten.«

»Wäre die kleine Teufelin vorhin zum Fenster hereingekommen, hätte sie mich wahrscheinlich erwürgt!«, erwiderte ich. »Ich denke nicht daran, die Verfolgungen Ihrer gastfreundlichen Vorfahren noch einmal über mich ergehen zu lassen. War nicht Hochwürden Jabes Branderham mütterlicherseits mit Ihnen verwandt? Und dieses freche Gör, Catherine Linton, oder Earnshaw, oder wie immer sie auch hieß, sie muss ein Wechselbalg gewesen sein, das gottlose kleine Ding. Sie hat mir erzählt, dass sie seit zwanzig Jahren umherirre, ohne Ruhe zu finden: zweifellos nur eine gerechte Strafe für die Sünden, die sie auf Erden begangen hat.«

Kaum waren diese Worte heraus, da erinnerte ich mich an die Verknüpfung von Heathcliffs und Catherines Namen in dem Buch, die mir bis zu diesem Augenblick völlig entfallen war. Ich errötete über meine Taktlosigkeit, ließ mir aber sonst durch nichts anmerken, dass ich mir der Kränkung bewusst war, und fügte hastig hinzu: »Es war nämlich so, Sir, ich habe den ersten Teil der Nacht damit verbracht …« Hier hielt ich erneut inne, ich hatte gerade sagen wollen, »in jenen alten Büchern dort zu lesen«. Damit hätte ich aber verraten, dass ich sowohl ihren handschriftlichen als auch ihren gedruckten Inhalt kannte; darum fuhr ich, mich berichtigend, fort: »… immer wieder den Namen zu buchstabieren, der auf dem Fenstersims eingeritzt ist. Eine eintönige Beschäftigung, die mir helfen sollte einzuschlafen, wie Zählen oder …«

»Was soll das heißen, dass Sie so mit mir reden?«, donnerte Heathcliff in wilder Wut. »Wie – wie können Sie es wagen, unter meinem Dach! Allmächtiger! Er muss verrückt sein, dass er so spricht.« Und in seiner Raserei schlug er sich gegen die Stirn.

Ich wusste nicht, ob ich diese Sprache übelnehmen oder in meiner Erklärung fortfahren sollte; doch schien er mir so tief betroffen, dass ich Mitleid hatte und meine Träume weitererzählte. Ich beteuerte, den Namen »Catherine Linton« noch nie zuvor gehört zu haben; das wiederholte Lesen habe aber wohl in mir eine Vorstellung geweckt, die zum Leben erwachte, als ich meine Phantasie nicht mehr in der Gewalt hatte. Während ich sprach, zog Heathcliff sich allmählich in den Schutz des Bettes zurück, bis er schließlich, als er sich gesetzt hatte, fast dahinter verborgen war. Doch schloss ich aus seinen unregelmäßigen und abgehackten Atemzügen, dass er gegen einen leidenschaftlichen Gefühlsausbruch ankämpfte. Da ich ihn nicht merken lassen wollte, dass ich Zeuge seines inneren Kampfes war, setzte ich meine Toilette ziemlich geräuschvoll fort, sah auf meine Uhr und führte ein Selbstgespräch über die Länge der Nacht. »Noch nicht einmal drei Uhr! Ich hätte schwören können, es sei sechs. Die Zeit steht hier still. Wir müssen uns ja schon um acht zur Ruhe begeben haben.«

»Im Winter immer um neun, und um vier stehen wir auf«, sagte mein Gastgeber mit einem unterdrückten Stöhnen und wischte sich, wie ich an der Bewegung seines Armschattens zu erkennen meinte, eine Träne aus dem Auge. »Mr. Lockwood«, fügte er dann hinzu, »Sie können in mein Zimmer gehen; Sie würden zu so früher Stunde unten doch nur im Weg sein, und Ihr kindisches Geschrei hat meinen Schlaf ohnehin zum Teufel gejagt.«

»Meinen auch«, entgegnete ich. »Ich werde im Hof spazierengehen, bis es hell wird, und dann werde ich verschwinden. Und Sie brauchen nicht zu befürchten, dass ich mich Ihnen noch einmal aufdrängen werde. Ich bin jetzt endgültig davon geheilt, in der Gesellschaft anderer mein Vergnügen zu suchen, sei es auf dem Lande oder in der Stadt. Ein vernünftiger Mann sollte in sich selbst ausreichende Gesellschaft finden.«

»Äußerst angenehme Gesellschaft!«, murmelte Heathcliff. »Nehmen Sie die Kerze und gehen Sie, wohin Sie wollen. Ich komme gleich nach. Bleiben Sie aber vom Hof weg, die Hunde sind nicht angekettet, und vom ›Haus‹, dort hält Juno Wache … und … nein, Sie können sich nur auf der Treppe und in den Gängen aufhalten. Jetzt aber fort mit Ihnen! Ich komme in zwei Minuten.«

Ich gehorchte insofern, als ich das Zimmer verließ, dann aber blieb ich stehen, weil ich nicht wusste, wohin die engen Korridore führten, und wurde dadurch unfreiwillig Zeuge einer Anwandlung von Aberglauben aufseiten meines Gutsherrn, die der Vernunft, die ihm sonst eigen schien, zutiefst widersprach. Er stieg auf das Bett, riss den Fensterflügel mit Gewalt auf und brach, noch während er daran zerrte, in hemmungsloses Weinen aus. »Komm herein! Komm herein!«, schluchzte er. »Cathy, komm doch. Oh, bitte, nur einmal noch! Oh, mein Herzallerliebstes! erhör mich dieses eine Mal, Catherine, bitte!« Das Gespenst zeigte sich so launisch, wie Gespenster nun einmal sind, und gab kein Zeichen seiner Existenz, nur der Schnee und der Wind wirbelten wild herein, sogar bis zu der Stelle, wo ich stand, und bliesen das Licht aus.

Es lag so viel Pein in dem gequälten Aufschreien, das diese Raserei begleitete, dass mich mein Mitleid über das Unsinnige daran hinwegsehen ließ und ich mich entfernte. Ich war reichlich ungehalten, weil ich gelauscht hatte, und ärgerlich darüber, dass ich meinen lächerlichen Alptraum erzählt hatte, da er diesen unbeschreiblichen Schmerz ausgelöst hatte – warum dies so war, konnte ich mir allerdings nicht erklären. Ich stieg vorsichtig in die unteren Regionen hinab und landete in der Küche hinten, wo die Glut des Feuers, sorgfältig zusammengescharrt, es mir ermöglichte, meine Kerze wieder anzuzünden. Nichts rührte sich, außer einer graugetigerten Katze, die aus der Asche hervorgekrochen kam und mich mit einem kläglichen Miauen begrüßte.

Zwei halbkreisförmige Bänke umschlossen den Kamin fast zur Gänze; auf einer von ihnen streckte ich mich aus, die alte Katze sprang auf die andere. Wir waren beide eingenickt, ehe jemand in unseren Unterschlupf eindrang. Und dann war es Joseph, der geräuschvoll eine Holzleiter heruntergeklettert kam, die hinter einer Falltür unter dem Dach verschwand, vermutlich war das der Zugang zu seiner Bodenkammer. Er warf einen finsteren Blick auf die kleine Flamme, die ich auf dem Rost zu einem Flackern angefacht hatte, jagte die Katze von ihrem erhöhten Plätzchen und machte sich, sobald er sich auf dem frei gewordenen Sitz niedergelassen hatte, daran, eine dreizöllige Pfeife mit Tabak zu stopfen. Meine Anwesenheit in seinem Heiligtum betrachtete er offensichtlich als eine gar zu bodenlose Unverschämtheit, um mich auch nur eines einzigen Wortes zu würdigen. Schweigend steckte er die Pfeife zwischen die Lippen, verschränkte die Arme und paffte vor sich hin. Ich ließ ihn sein Pfeifchen ungestört genießen. Nachdem er das letzte Rauchwölkchen herausgesogen und einen tiefen Seufzer ausgestoßen hatte, stand er auf und entfernte sich ebenso mürrisch, wie er gekommen war.

Als Nächstes betraten leichtere Schritte den Raum, und ich öffnete schon den Mund, um »Guten Morgen« zu wünschen, schloss ihn jedoch wieder, ohne den Gruß auszusprechen, denn Hareton Earnshaw verrichtete sein Morgengebet sotto voce