Sturreganz: Historischer Roman - Jakob Wassermann - E-Book

Sturreganz: Historischer Roman E-Book

Jakob Wassermann

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Beschreibung

Dieses eBook wurde mit einem funktionalen Layout erstellt und sorgfältig formatiert. Die Ausgabe ist mit interaktiven Inhalt und Begleitinformationen versehen, einfach zu navigieren und gut gegliedert. Aus dem Buch: "Sachverständige sind der Meinung, daß vier Millionen siebenmalhunderttausend Taler für jene Zeit eine gewaltige Summe vorstellten, und bis zu dieser furchteinflößenden Ziffer war das Schuldenthermometer nach und nach gestiegen. Das lawinenhafte Anschwellen zu stauen, sahen auch die geriebensten Köpfe keinen Weg, und alle Arten von Finanzoperationen bewiesen bloß, daß der Hydra immer neue Köpfe wuchsen." Jakob Wassermann (1873-1934) war ein deutsch-jüdischer Schriftsteller. Er zählte zu den produktivsten und populärsten Erzählern seiner Zeit.

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Jakob Wassermann

Sturreganz: Historischer Roman

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- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung [email protected]   2017 OK Publishing

Inhaltsverzeichnis

Die Bedrängnis
Was zur Abhilfe geschah
Episode
Chronica
Maßregeln eines Philanthropen
Die Bürger und ihre Stadt
Jahrmarkt
Unterm Mond
Fingerling
Die Beiden
Höflichkeit wird Grausen
Zwist
Die Ohren des Herrn Marchese
Ein Gespräch als Ausklang

Die Bedrängnis

Inhaltsverzeichnis

Es gab in der Zeit zwischen dem Siebenjährigen und dem bayrischen Erbfolge- oder Kartoffel-Krieg einen souveränen deutschen Herrn, der nach einer etwa zwanzigjährigen Regierung die nicht eben geringe, aber immerhin noch erträgliche Schuldenlast, die er von seinem Vorfahr übernommen, derart in die Höhe gebracht hatte (während sonst alles jämmerlich bergab ging), daß ihm schließlich kein ruhiger Tag und keine freundliche Stunde mehr beschieden war.

Dieser unglückselige Fürst war der Markgraf Alexander von Ansbach und Bayreuth, aus uraltem Geschlecht, wie man weiß, in der Blüte des Mannesalters, stattlich, gesund, in kinderloser Ehe vermählt mit einer Koburgerin, einem beklagenswerten Weib nebenbei, und Geliebter der ebenso großartigen als kostspieligen Damen Lady Craven und Mademoiselle Hyppolite Clairon.

Sachverständige sind der Meinung, daß vier Millionen siebenmalhunderttausend Taler für jene Zeit eine gewaltige Summe vorstellten, und bis zu dieser furchteinflößenden Ziffer war das Schuldenthermometer nach und nach gestiegen. Das lawinenhafte Anschwellen zu stauen, sahen auch die geriebensten Köpfe keinen Weg, und alle Arten von Finanzoperationen bewiesen bloß, daß der Hydra immer neue Köpfe wuchsen. Zu dem einfachen Mittel, den Haus- und Hofhalt zu beschränken und in der Verwaltung zu sparen, hätte nur ein Ignorant raten können, der nicht in Betracht zog, daß die Verschwender und Bankrottierer sich dadurch über Wasser halten, daß sie ihre Schulden mit ihren Schulden zahlen und daß ein glänzendes Firmenschild die Dummen und Gierigen noch anlockt, auch wenn der Kassenschrank so leer ist wie ein Bethaus um Mitternacht.

Wer hätte es auch wagen dürfen und wem wäre es in den Sinn gekommen, einem von seiner göttlichen Erwähltheit und seinen geheiligten Machtbefugnissen durchdrungenen Dynasten zu einer Verminderung des Etats und bescheidenerer Führung zuzureden? Das wäre vermessenstes Rebellentum gewesen, beispiellos und strafwürdig. Wie dem wracken Schiff der irdischen Regierung zu helfen sei, das ausfindig zu machen, mußte man in Demut der himmlischen Regierung überlassen und hatte nur dafür zu sorgen, daß der Untertan ohne aufzumucken seine Pflicht tue und seine Steuern entrichte.

Die Kanzlei- und Geheimen Räte grübelten und meditierten daher vergeblich über den heiklen Punkt. Worauf war zu verzichten? Was hätte abgeschafft werden sollen? Der Markgraf war leidenschaftlicher Jäger. Namentlich stand die ansbachische Falknerei von altersher in hohem Ansehen, und für die standesgemäße und sonach äußerst zu respektierende Passion des Fürsten wurden besoldet: ein Obristfalkenmeister, zwei Falkenjunker, ein Falkenpage, ein Falkensekretär, ein Falkenkanzellist, ein Reihermeister, ein Krähenmeister, ein Milanenmeister, vier Meisterknechte, vierzehn Falkonierknechte, zwei Reiherwärter und siebzehn Falkenjungen. Diese waren notwendig, man sage nichts; jeder hatte sein Amt, seine Obliegenheiten, seine Sporteln, seine zu Recht bestehenden Zulagen, und auf Abzug oder Wandlung zu dringen hieß sich verdienter Ungnade aussetzen. Keine Möglichkeit.

Dann war da der Hof mit einhundertfünf Kammerherren, zwanzig Hofjunkern, zwanzig Kammerjunkern, zwölf unbetitelten Kammerdienern und fünf betitelten; mit hundertzwölf Husaren, denen ein Generalleutnant vorstand, zweihundert Gardes du Corps, denen ebenfalls ein Generalleutnant vorstand, einem Generalmajor, Generaladjutanten, Obristen, Obristleutnant, von den Kapitänen und niedrigen Chargen zu schweigen, und außerdem noch fünfhundert Mann Infanterie, junge, hübsche, gut exerzierte, wohl angezogene Leute, für die sogar am obern Tor eine eigene Kaserne gebaut war. Sollte man sie für entbehrlich erklären? Soldaten entbehrlich, Alpha und Omega der Repräsentation, der Legitimität, der Hoch- und Ebenbürtigkeit, der diplomatischen und politischen Aktionsfreiheit? Es wäre Landesverrat gewesen, Frevel am Ehrwürdigsten, Gefährdung des Staates, Entfesselung dämonischer Kräfte, die im Dunkeln schliefen.

Dann war da das Theater mit Komödianten und Komödiantinnen, Sängern und Sängerinnen, Tänzern und Tänzerinnen, mit Musikdirektor, Kapellmeister, Konzertmeister, Aufwärtern, Logenschließern, Inspektoren, Zettelanklebern. Dann war da der Tiergarten, der allerdings an exotischen Bestien bloß zwei altersschwache Affen, ein melancholisches Känguruh und ein lahmgeschossenes Zebra beherbergte, sonst aber an Seltsamkeiten einen Hirsch mit zusammengewachsenen Geweih-Enden, eine Sau mit fünf Beinen und eine Natter mit zwei Schwänzen aufwies; ferner die Stuterei mit fünfhundert Pferden, die Ställe mit gehauenen Steinen ausgelegt, Krippen und Geräte aus Metall, blitzblank alles, wie kaum eine menschliche Behausung im Lande.

Nicht eine Uniform, nicht ein Roß, kein Türhüter, kein Koch, kein Gärtner, kein Läufer, kein Kutscher war zu missen. Das Zeremoniell forderte einen jeden zu seiner Zeit, die allerhöchste Notdurft mußte zu jeder Frist des Geringsten versichert sein. Für jeden war Wohnung, Kleidung, Nahrung und die seinem Rang angemessenen Diäten zu beschaffen. Die Einkünfte des Landes reichten nicht hin; die bei Nürnberger und Frankfurter Juden aufgenommenen Darlehen reichten nicht hin. Anleihegesuche bei benachbarten, befreundeten, verschwägerten Herren hatten keinen Erfolg mehr. Den Rechnungsräten stand der Verstand still. Sie wurden von Gläubigern bedrängt. Es kamen Sendschreiben von Advokaten, Wucherern, Lieferanten; Mahnungen der Gemeinden um zugesagte Unterstützung, Invalidengelder, Beamtengehälter. Die Bürgermeister wurden vorstellig. Die Landgendarmen liefen auf Stiefeln ohne Sohlen. Schäden an öffentlichen Gebäuden konnten nicht behoben werden. Das im Umlauf befindliche Münzgeld wurde in beängstigender Weise spärlich. Die markgräfliche Auszahlungskanzlei blieb den größten Teil der Woche über geschlossen; nur am Montag- und Donnerstagvormittag sah man einige besorgt aussehende Funktionäre verstohlen hinter den eisernen Fenstergittern huschen.

Von den verantwortlichen Würdenträgern getraute sich nur selten einer, dem Markgrafen ungeschminkten Bericht zu geben. Sie schickten ihre Akten, sie schickten ihre Listen: verzweifelte Gegenüberstellungen von Soll und Haben. Der Markgraf saß davor und studierte sie. Er seufzte und hatte ein gewichtiges Kopfnicken; oder die Stirnadern schwollen, und in seiner Kehle entstand ein grimmiges Gurgeln, wie wenn ein Vulkan unterirdisch grollt. Bisweilen ließ er den Hofrat Schlemmerbach holen und beehrte ihn mit dem Anblick eines hochfürstlichen Wutanfalls. Schlemmerbach nagte bleich an seiner Lippe und wartete, bis ihm der obligate Fußtritt verabreicht wurde, eine gnädige Vertraulichkeit, die aber weder ihm noch dem Lande aus der Klemme half.

Der Markgraf sagte, er sei von Einfaltspinseln und Lotterbuben umgeben. Er war kein Menschenhasser, im Gegenteil; er huldigte in seinen Ideen der damals üblichen Philanthropie, die ihm nicht erlaubt hätte, von der Menschheit im allgemeinen anders als in Ausdrücken der Andacht und Rührung zu sprechen, doch was die Einzelnen betraf, die Alltäglichen, das klebrige Gewürm, den Soundso und Soundso, den Justizamtmann und den Hofjuwelier, den Kommerzdirektor und den Leibmedikus, den Superintendenten und den Kreiskommissarius, mit denen war es ein Elend und ein Unsegen, und wenn sie ihm bloß vor Augen kamen, verzog sich schon ekelnd sein Mund.

Es mußte Rat geschaffen werden. Unnütz, von nicht entdeckten Goldbergwerken zu träumen, von Wünschelruten und vom Stein der Weisen. Unnütz, mit verfinstertem Gemüt durch die hohen Säle zu schreiten. Unnütz das Denken und Murren, die Drangsal mußte ein Ende haben. Seht zu, ihr Schranzen und Schleppenhalter!

Was zur Abhilfe geschah

Inhaltsverzeichnis

Es wurde zunächst unter lärmenden Verkündigungen das genuesische Lotto eingeführt. Bewährtes Schröpfmittel anderswo, hier versagte es. Erstens war die allgemeine Verarmung zu weit fortgeschritten, zweitens war das Mißtrauen zu groß. Kam hinzu, daß der Hauptprämieneinnehmer eines Tages mit dem Monatserlös, einer erheblichen Summe, auf Nimmerwiedersehen verschwand.

Sonach ward im Staatsrat beschlossen, die Grafschaft Sayn-Altenkirchen zu verpachten. Dem Pächter sollte verstattet werden, ein Stück des dazugehörigen Westerwaldes zu schlagen. Nach umständlichen Verhandlungen wurde das Projekt durchgeführt. Fünfzigtausend rheinische Gulden: eine Maus im Magen eines Mastodonts.

Hierauf wurde veräußert: das Gut Ringstetten im Tauberkreis; Schloß Villingen bei Weißenburg samt Gärten, Äckern, Wiesen; ein halbes Dutzend Höfe im Mainkreis; das Fischereiprivileg in der Rezat; das Jagdrecht im Altmühlgrund: Brocken, um einen gähnenden Schlund zu stopfen.

Herr Stein zu Altenstein, Hofmarschall, riet untertänigst zur Verauktionierung einiger der wertvollen Gemälde im Schloß. Besaß man doch die Medea des Vanloo; bewundertes Meisterwerk. Den blutigen Dolch in der Hand, den Blick voll Wut und Verzweiflung, mit dem feuerspeienden Ungeheuer hinter dem von Drachen gezogenen Wagen, hing sie im Schlafzimmer des Markgrafen, seltsames Ergötzen für die hohe Siesta, entschuldbar vielleicht durch eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dieser Medea und der zu allen Tageszeiten tragisch gestimmten Mademoiselle Clairon, von Schmeichlern ausfindig und zum Gegenstand scharmanter Huldigungen gemacht. Man besaß schöne Stücke von Salvatore Rosa und den berühmten Zentauren aus Bronze, Geschenk des weiland Königs von Polen.

Zu diesem Vorschlag schüttelte der Markgraf finster den Kopf. Abgesehen davon, daß man Kunstwerke nicht ohne Schmälerung des fürstlichen Ansehens unter den Hammer bringen konnte, waren es Embleme, farbige Tapeten des auserlesenen Daseins, Bestätigung sublimer Führung, Ahnengut. Herr Stein zu Altenstein wurde bei den Einladungen zum nächsten Galadiner übergangen.

Minder glimpfliche Behandlung erfuhr der Rat des Herrn von Seckendorf, Landoberjägermeisters; er deutete an, wenn Ihre Gnaden Lady Craven sich großmütig bereit fände, einen Teil ihres kostbaren, aus dem markgräflichen Schatz ihr zugewandten Schmucks für das Wohl des Staates zu opfern, könne man davon erklecklichen Zufluß in den leeren Säckel erhoffen. Trauriges Gefasel; der Markgraf brauste auf. Herr von Bibra, Obristhofmeister, und Marchese Pescanelli, die Günstlinge der Lady, konnten ihre Entrüstung nicht unterdrücken. Der Landoberjägermeister wurde für sechs Monate vom Hof verbannt.

Nun schritt man in der Verzweiflung dazu, neue Abgaben auszuschreiben. Den Mut zu Einwänden hatte niemand, obwohl es klar am Tage lag, daß das Volk schon die alten nicht mehr tragen konnte; ohnehin stockte die Arbeit; wollte der Landmann leben, nur kärglich leben, so mußte er jeden Fleck des Bodens nutzen, in aufreibender Fron der ermatteten Erde ihr Letztes abringen; Salz, Zucker, Gewürz, alles fremde Produkt, alle einheimische Hervorbringung, mobiles und immobiles Eigentum waren über das Erdenkliche und Vernünftige hinaus besteuert und belastet. Die blutpresserische Daumenschraube tat schließlich auch nur die Wirkung, daß die Amtsschreiber für den Verbrauch von Tinte und Papier und die Gerichtsvollzieher für ihre Henkergänge mehr aufrechneten, als mancher Gewerbetreibende von rechtswegen zu zahlen hatte.

In dieser Not wurde der Marchese Pescanelli zum Retter.

Fragt nicht nach Wiege und Heimat des Mannes. Sie waren unerforschlich. Lästermäuler und Neidlinge nannten ihn einen dunklen Quidam, in die Welt gesetzt von einem noch dunkleren und geadelt vom heiligen Geist. Doch hatte er die Strahlen der Gunstsonne auf sich zu lenken gewußt, und das Mittel hierzu war so simpel wie erprobt: er war niemals anderer Meinung als irgendein im Rang über ihm Stehender, und den ununterbrochenen Feuereifer der Zustimmung und Bekräftigung gegen die Allvermögenden kann man sich daher leicht vorstellen. Er war der Jasager des Markgrafen, er war der Jasager der Lady; er hatte einen ganzen Schwanz von unbedeutenderen Jasagern um sich gebildet und war sozusagen deren ermächtigte Zunge. Als Anerkennung für verschwiegene Dienste hatte ihm der Markgraf die oberste Leitung des Balletts übertragen, ein seinen Talenten angemessenes Amt, in welchem er durch die ingeniösesten Reformen den Beifall seines Herrn erwarb. So hatte er unter anderm eine Drill- und Zuchtanstalt für Tanzelevinnen begründet, eine durchtriebene Sache. Es wurden darin elternlose junge Mädchen und solche, deren sich die Erzeuger gegen das Versprechen dauernder Versorgung entledigen wollten, bis zum kindlichen Alter herab aufgenommen und für das spätere Vergnügen des Fürsten erzogen. Nicht bloß für das Vergnügen seiner Augen. Der weitblickende Marchese sagte sich, daß auch die bezauberndsten ausländischen Favoritinnen mit den Jahren Rost ansetzen, und daß eine billige Venus aus Wunsiedel oder Gunzenhausen einer anspruchsvollen und runzlig werdenden aus Großbritannien am Ende vorzuziehen sei.