Su-Su, der Scheidungsgrund - Gert Rothberg - E-Book

Su-Su, der Scheidungsgrund E-Book

Gert Rothberg

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. Dr. Anja Frey, die ärztliche Betreuerin der Kinder von Sophienlust, konnte ihr Töchterchen Filzchen kaum bändigen. Die Kleine, die eigentlich Felicitas hieß, auf ihren Kosenamen aber sehr stolz war, durfte mit ihrer Mutter von Wildmoos nach Stuttgart fahren. Filzchen musste oft zurückstehen, weil ihre Eltern beide Mediziner waren. Meistens hielt sie sich dafür dadurch schadlos, dass sie zu den Kindern von Sophienlust, ging und mit ihnen spielte. Aber mit der Mutter zu verreisen, das war doch einmal etwas ganz anderes. Zudem sollte sie auch noch ein dreijähriges Mädchen kennenlernen, das den sonderbaren Namen Su-Su trug und aus Vietnam stammte. Zwar wusste Filzchen nicht, wo das war, aber ihre Eltern hatten ihr von dem tragischen Schicksal so vieler Kinder aus diesem fernen Land erzählt. Auch Anja Frey dachte während der Fahrt an die kleine Su-Su und an deren Adoptivmutter Änne Schäfer. Diese kannte sie aus der Zeit, als sie selbst in einem Krankenhaus in Hannover gearbeitet hatte. Änne, die damals noch Birken geheißen hatte, war dort Krankenschwester gewesen, und Anja hatten sich gut mit ihr verstanden. Änne war später auf dem Lazarettschiff Cap Anamur im Fernen Osten gewesen und hatte dort viel Elend gesehen. Als ihr Dienst zu Ende gewesen war, hatte sie die kleine Su-Su nach Hause mitgebracht, deren Eltern, wie sie genau gewusst hatte, ums Leben gekommen waren. Schwester Änne war damals nach Hannover zurückgekehrt, aber inzwischen war sie mit Karl Schäfer, einem Arzneimittelvertreter, verheiratet und lebte in Stuttgart. Von dort hatte sie sich jetzt gemeldet. Es war für Dr. Anja Frey eine besondere Freude, Änne nun besuchen zu können. Dafür hatte sie sich gern einen Tag freigenommen. Sie wusste ja, dass ihr Mann Stefan sie vertrat. Auch dann, wenn im Kinderheim Sophienlust ein Arzt gebraucht werden sollte.

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Seitenzahl: 140

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Sophienlust Extra – 79 –Su-Su, der Scheidungsgrund

Gert Rothberg

Dr. Anja Frey, die ärztliche Betreuerin der Kinder von Sophienlust, konnte ihr Töchterchen Filzchen kaum bändigen. Die Kleine, die eigentlich Felicitas hieß, auf ihren Kosenamen aber sehr stolz war, durfte mit ihrer Mutter von Wildmoos nach Stuttgart fahren.

Filzchen musste oft zurückstehen, weil ihre Eltern beide Mediziner waren. Meistens hielt sie sich dafür dadurch schadlos, dass sie zu den Kindern von Sophienlust, ging und mit ihnen spielte. Aber mit der Mutter zu verreisen, das war doch einmal etwas ganz anderes. Zudem sollte sie auch noch ein dreijähriges Mädchen kennenlernen, das den sonderbaren Namen Su-Su trug und aus Vietnam stammte. Zwar wusste Filzchen nicht, wo das war, aber ihre Eltern hatten ihr von dem tragischen Schicksal so vieler Kinder aus diesem fernen Land erzählt.

Auch Anja Frey dachte während der Fahrt an die kleine Su-Su und an deren Adoptivmutter Änne Schäfer. Diese kannte sie aus der Zeit, als sie selbst in einem Krankenhaus in Hannover gearbeitet hatte. Änne, die damals noch Birken geheißen hatte, war dort Krankenschwester gewesen, und Anja hatten sich gut mit ihr verstanden.

Änne war später auf dem Lazarettschiff Cap Anamur im Fernen Osten gewesen und hatte dort viel Elend gesehen. Als ihr Dienst zu Ende gewesen war, hatte sie die kleine Su-Su nach Hause mitgebracht, deren Eltern, wie sie genau gewusst hatte, ums Leben gekommen waren. Schwester Änne war damals nach Hannover zurückgekehrt, aber inzwischen war sie mit Karl Schäfer, einem Arzneimittelvertreter, verheiratet und lebte in Stuttgart. Von dort hatte sie sich jetzt gemeldet.

Es war für Dr. Anja Frey eine besondere Freude, Änne nun besuchen zu können. Dafür hatte sie sich gern einen Tag freigenommen. Sie wusste ja, dass ihr Mann Stefan sie vertrat.

Auch dann, wenn im Kinderheim Sophienlust ein Arzt gebraucht werden sollte.

Änne Schäfer erwartete ihren Besuch schon. Sie war eine mittelgroße, zarte Frau, der man nicht zugetraut hätte, dass sie einen so schweren Dienst wie auf dem Lazarettschiff hinter sich hatte.

Braunes kurz geschnittenes Haar umrahmte ein hübsches Gesicht mit blaugrauen Augen.

Filzchen vergaß, Änne Schäfer die Hand zu geben. Sie lief gleich auf das niedliche kleine Mädchen mit den schwarzen Haaren und den dunklen Augen zu, das ein Püppchen liebevoll an die Wange drückte.

»Bist du lieb, Su-Su«, sagte Filzchen begeistert. Dann erinnerte sie sich, dass sie Änne Schäfer die Hand geben musste. Sie machte auch gleich einen artigen Knicks dazu.

Änne und Anja Frey hatten sich umarmt. »Wie lang haben wir uns nicht mehr gesehen, Änne«, sagte die junge Ärztin.

»Ja, und inzwischen hat jede von uns ein Kind.« Dass beide Mädchen keine leiblichen Kinder waren, erwähnte Änne nicht. Aber sie wusste, dass Anja Frey sich gern des mutterlosen Filzchens angenommen hatte, dessen Stiefmutter sie durch ihre Heirat geworden war.

Su-Su sprach zwar wenig, aber sie konnte schon recht gut Deutsch. Filzchen und ihre Mutter bewunderten sie dafür.

Änne Schäfer führte ihre Besucher ins Wohnzimmer und sagte: »Ja, Su-Su ist mein ganzes Glück. Ich möchte sie nie mehr missen.«

»Hast du sie reibungslos adoptieren können?«, fragte Anja Frey, während sich Filzchen mit dem kleinen Mädchen schon in eine Spielecke zurückzog.

»Reibungslos?«, fragte Änne und strich sich über das Haar. »Die Behörden haben mir keine Schwierigkeiten gemacht, weil erwiesen ist, dass Su-Sus Eltern umgekommen sind und dass die Kleine keine näheren Verwandten hat. Aber es gab eine andere Schwierigkeit …« Sie zögerte.

»Welche?«, fragte Anja Frey.

Änne stand auf. »Komm, wir gehen ins Nebenzimmer. Die Kinder sind jetzt beschäftigt. Sicher freut sich Su-Su, einmal jemanden zum Spielen zu haben. Leider gibt es in diesem Haus keine Kinder, die im Alter zu ihr passen würden. So muss ich auf den Spielplatz mit ihr gehen, damit sie zu ihrem Recht kommt.«

Änne rückte Stühle zurecht. »Magst du eine Tasse Kaffee?«, fragte sie. »Ich habe welchen in der Kaffeemaschine.«

»Ja, gern«, sagte Anja Frey. Sie spürte, dass Änne irgendwie bedrückt war und wohl über etwas Besonderes mit ihr sprechen wollte.

So war es auch. Änne erzählte, dass sie ihren Mann erst nach ihrer Rückkehr aus dem Fernen Osten kennengelernt hatte – zu einer Zeit, als die Adoption bereits lief.

»Ich meinte, mich mit ihm besonders gut zu verstehen. Er bemühte sich sehr um mich, aber er wollte Su-Su nicht. Das waren die Schwierigkeiten, von denen ich vorhin sprach.«

»Aber dann muss er mit dem Kind schließlich doch noch einverstanden gewesen sein, sonst wärt ihr entweder nicht verheiratet, oder du hättest dich von Su-Su getrennt«, warf Anja Frey ein.

»Ja, Karl war schließlich mit der Adoption einverstanden, aber er hat sich bis heute noch nicht mit Su-Su abgefunden.« Änne war sehr betrübt und kämpfte mit den Tränen. »Du weißt gar nicht, wie sehr es mich belastet, dass mein Mann nicht das geringste Interesse für Su-Su hat. Er ist stets die ganze Woche unterwegs und meistens nur Samstag und Sonntag zu Hause. Dann verlangt er von mir, dass ich mich nur ihm widme. Su-Su lässt er links liegen. Dabei wollte ich doch, dass sie Mutter und Vater bekommt.«

»Wie lange bist du schon verheiratet?«, fragte die junge Ärztin.

»Seit einem reichlichen Jahr. Ich hätte auf diese Heirat verzichten sollen.« Nun zeigte sich ein bitterer Zug in Ännes Gesicht. »Mit meinen dreißig Jahren hätte ich noch warten können, bis ich einen Mann gefunden hätte, der auch Su-Su gemocht hätte.«

»Du bist unglücklich, Änne?«, fragte Anja Frey erschrocken.

Änne senkte den Kopf. »Es ist jedenfalls in meiner Ehe nichts so gekommen, wie ich es erwartet hatte. Ich war in meinem Beruf zufriedener.«

»Das solltest du nicht sagen, Änne«, wollte Anja Frey die Freundin trösten. »Du hast doch auch jetzt eine große Aufgabe. Einem elternlosen Kind in einer für ihn fremden Welt Mutter sein zu können, bedeutet doch sehr viel.«

»Das stimmt«, gab Änne zu, »aber es bedrückt mich eben, dass zwischen meinem Mann und mir nicht alles in Ordnung ist. Ich habe ihn vor der Heirat zu wenig geprüft. Nicht nur, dass er mir wegen Su-Su immer neue Schwierigkeiten macht, er ist auch in seinem sonstigen Wesen sehr oberflächlich. Zuerst sprach er von der großen Liebe und davon, dass er mich brauche. Jetzt ist von all dem nicht mehr viel übrig geblieben. Ich beneide dich, Anja, denn du kannst mit deinem Mann jeden Tag beisammen sein. Bist du glücklich geworden?«

»Ja.« Anja Frey wagte das kaum auszusprechen, um die Freundin nicht noch mehr an ihre Sorgen zu erinnern. »Ich verstehe, dass du Su-Su so sehr liebst. Mir ergeht es mit Filzchen nicht anders. Ich könnte mir das Leben ohne sie nicht mehr vorstellen.«

Die Kinder unterbrachen dieses Gespräch. Sie kamen ins Zimmer, und nun befassten sich die beiden Frauen mit ihnen.

Die beiden Erwachsenen hatten keine Gelegenheit mehr, allein miteinander zu sprechen. So fuhr Anja Frey am späten Nachmittag niedergedrückt nach Wildmoos zurück. Sie machte sich die Sorgen ihrer Freundin zu eigen. Das fremde kleine Mädchen tat ihr leid, weil es nicht auch einen liebevollen Vater bekommen hatte.

Änne Schäfer wollte in der nächsten Zeit zu Anja Frey kommen. Anja hatte sie gleich für mehrere Tage eingeladen und Su-Su erzählt, dass sie in Sophienlust viele liebe Kinder kennenlernen würde.

Am nächsten Tag erzählte die junge Ärztin Denise von Schoenecker, welche Sorge ihre Freundin belastete.

Denise war sehr nachdenklich »Wie soll das in Zukunft für die kleine Su-Su besser werden, wenn es schon jetzt solche Schwierigkeiten gibt?«, fragte sie. »Was Sie mir da erzählt haben, Anja, ist wieder nur ein Beweis dafür, welche Komplikationen eine Adoption mit sich bringen kann. Jeder sollte sich diesen Schritt im Interesse des Kindes besonders gut überlegen. Noch kann sich die kleine Su-Su durch die Liebe ihrer Pflegemutter geborgen fühlen, aber wird diese die Schwierigkeiten mit ihrem Mann immer durchstehen können? Eines Tages könnte sie die Schuld dafür auch bei dem kleinen Mädchen suchen.«

»Nein, bestimmt nicht.« Anja Frey schüttelte energisch den Kopf. »Ich kenne Änne sehr gut und spüre, dass sie ihr Pflegekind von ganzem Herzen liebt. Ich glaube, sie würde eher ihren Mann aufgeben als Su-Su.«

»Hoffentlich gerät sie nie in diesen Zwiespalt«, meinte Denise. »Das wäre furchtbar für sie, denn sicherlich hat sie doch ihren Mann aus Liebe geheiratet.«

»Das nehme ich auch an«, sagte Anja Frey. Sie beendete dieses Gespräch, weil sie noch einige Krankenbesuche machen musste.

*

Dr. Anja Freys Sorgen um ihre Freundin wären noch größer gewesen, wenn sie das Leben des Sechsunddreißigjährigen Karl Schäfer gekannt hätte. Er hatte schon vor seiner Ehe Abenteuer gesucht. Sein Beruf, durch den er fast immer unterwegs war, gab ihm auch genug Gelegenheit dazu. Er liebte es nicht, die Abende in den Hotels, in denen er übernachtete, allein zu verbringen. Bei seinem guten Aussehen und seinem Elan fand er auch leicht weibliche Gesellschaft. Selbst jetzt, seit er verheiratet war, lebte er nicht anders. Das Gewissen gegenüber seiner Frau quälte ihn nicht. Im Gegenteil, ihr blindes Vertrauen amüsierte ihn oft.

Karl freute sich auch nicht auf die Wochenenden, die er mit seiner Frau verbringen konnte. Seine Verliebtheit war schnell der Gleichgültigkeit gewichen. Nun fragte er sich, warum er sich überhaupt hatte Fesseln anlegen lassen. Wenn schon, dachte er, dann hätte es bei einer ganz anderen Frau sein müssen. Änne kam ihm bieder vor, weil er es sonst meistens mit leichtfertigen Mädchen zu tun hatte. Zudem störte ihn die kleine Su-Su.

Ihretwegen gab es fast an jedem Wochenende Streit. Karl Schäfer konnte nicht verwinden, dass er sich bei Änne nicht durchgesetzt hatte. Er war nie für Kinder gewesen und mokierte sich darüber, dass Änne mehrere Kinder haben wollte.

Sie aber glaubte, er würde leichter zu Su-Su finden, wenn sie wenigstens noch ein leibliches Kind hätten.

Davon sprach Änne auch, nachdem sie Anja Frey und Filzchen besucht hatte. Sie glaubte noch immer, die Misere ihrer noch so jungen Ehe beheben zu können.

Ihr Mann lachte sie nur aus. »Meinst du wirklich, ich habe geheiratet, um mich mit Kindern herumzuschlagen? Fast das ganze Leben liegt noch vor mir. Ich will es genießen.«

»Aber das kann man doch auch mit Kindern«, sagte Änne. »Sie machen viel Freude. Das Leben kommt einem dann nicht sinnlos vor.«

Karl sah Änne an, als sei es ihm unmöglich, ihren Gedankengängen zu folgen. »Wir haben doch zu schnell geheiratet«, erwiderte er. »Hätte ich damals durchschaut, dass du das Heimchen am Herd und die besorgte Mutter einer Schar von Kindern spielen willst, hätte ich die Hände von dir gelassen.«

So rücksichtslose Worte trafen Änne zutiefst, aber noch immer wollte sie nicht aufgeben, sondern für ein besseres Klima in ihrer Ehe sorgen. Obwohl es sie belastete, dass sie sich während der Anwesenheit ihres Mannes nicht so viel um Su-Su kümmern konnte wie sonst, widmete sie sich ihm ganz.

Doch auch das stimmte Karl nicht entgegenkommender. Am Samstagabend bildete er sich ein, in eine Diskothek gehen zu müssen.

Änne sah ihn fast erschrocken an. »Über dieses Alter sind wir doch wohl hinaus.«

»Du vielleicht, ich aber nicht«, gab Karl zurück. »Ich fühle mich unter diesen jungen und übermütigen Menschen wohl. Es kann mir nicht laut genug zugehen. Aber ich weiß schon, es geht dir wieder einmal um dein Herzblatt. Du willst es nicht allein lassen.«

»Auch das«, gab Änne zu. »Su-Su könnte sich ängstigen, wenn sie aufwacht und niemand da ist.«

»Wusste ich es doch!« Karl wurde immer giftiger. »Hätte ich doch nur nie diese Eselei begangen und mein Einverständnis zu der Adoption gegeben. Du hast mich weichgemacht – und ich habe die Folgen zu tragen. Nun sind wir mit diesem fremden Kind belastet.«

»Für mich ist es kein fremdes Kind mehr«, warf Änne ein. Inzwischen war auch sie erregt. »Wir haben doch gemeinsam die Verantwortung für dieses Waisenkind übernommen. Ich bitte dich, denke manchmal daran.«

»Ich habe keine Verantwortung übernommen. Die kannst du ganz allein tragen. Wenn sich jemand nicht zum Vater eignet, dann bin ich es. Dieses Kind wird mich noch aus dem Haus treiben.«

Änne erschrak. »Das solltest du mir nicht androhen, Karl. Bitte, lass uns nicht schon wieder streiten. Wir haben doch nur die Wochenenden für uns.«

»Ja, eben. Daran solltest du des Öfteren denken. Ich jedenfalls werde mir heute ein Vergnügen gönnen. Ich bleibe auch nicht über den Sonntag, sondern fahre gleich wieder weg. Es gibt noch Plätze, auf denen ich mich so amüsieren kann, wie es mir gefällt.«

Ännes Versuch, ihren Mann zu halten, scheiterte. Er machte seine Drohung wahr und fuhr wieder weg, obwohl das bis zum Montagmorgen Zeit gehabt hätte.

Die junge Frau blieb verzweifelt zurück. Zum ersten Mal kam ihr der Verdacht, dass Karl ihr nicht mehr treu war. Sie wusste nicht, wie das zwischen ihnen weitergehen sollte. Su-Su war sicher nicht der einzige Grund, dass ihr Mann nur Streit mit ihr suchte. Wahrscheinlich waren sie zu verschiedene Naturen, um sich besser vertragen zu können.

Mit diesen bitteren Gedanken blieb Änne allein. Ihr einziger Trost war die kleine Su-Su.

*

Karl Schäfer war nach Ulm gefahren. Dort gab es ein Mädchen, mit dem er sich schon oft getroffen hatte. Selma Bartels war von seiner Art. Sie wollte kein Vergnügen auslassen, und es hatte sie bis jetzt auch nicht gestört, dass Karl Schäfer verheiratet war. Sie kannte seine Klagen wegen der kleinen Su-Su und verstand ihn. Ihr wäre es auch niemals eingefallen, sich eines Waisenkindes anzunehmen.

Karl Schäfer verbrachte das ganze Wochenende mit der erst vierundzwanzigjährigen Selma. Mit keinem Gedanken kehrte er zu seiner Frau zurück. Im Gegenteil. Selma gefiel ihm so gut, dass er zum ersten Mal an eine Trennung von Änne dachte. Warum sollte er für sie und das fremde Kind Geld verdienen, wenn in Selma das lockende Leben vor ihm stand?

Karl verbrachte auch das nächste Wochenende wieder mit Selma. Sie war Laborantin und hatte eine eigene Wohnung, in der auch für ihn Platz war.

Als er das zu ihr sagte, lachte sie in sich hinein. Ihr gefiel dieser lebenslustige Mann. Auch sie machte sich keine Gewissensbisse darüber, dass sie seiner Frau weh tat. Sie ermunterte Karl noch, sich von Änne zu trennen.

*

Nachdem Änne mit Su-Su einige Tage bei Dr. Anja Frey gewesen war, kam Karl am Wochenende wieder einmal nach Hause. Er war inzwischen mit Selma übereingekommen, zu ihr zu ziehen und seine Zelte in Stuttgart abzubrechen.

Änne wagte es nicht, ihn zu fragen, wo er die letzten beiden Wochenenden verbracht hatte, aber man sah ihr an, wie unglücklich sie war.

»Hast du mich gar nichts zu fragen?« Karl machte ein herausforderndes Gesicht. »Wie ich dich kenne, hast du dir doch den Kopf darüber zerbrochen, warum ich weggeblieben bin.«

»Natürlich habe ich das getan. Ich war sehr traurig, Karl«, antwortete Änne. »So sollte es zwischen uns nicht weitergehen.«

»Dieser Meinung bin ich auch.« Karl warf sich in einen Sessel, streckte die Beine von sich und zündete sich eine Zigarette an. Er schien gar nicht aufgeregt zu sein. »Und weil ich gleichfalls dieser Meinung bin, werde ich meine Sachen packen und ausziehen.«

Änne wurde blass. »Das kann nicht dein Ernst sein, Karl. Wir sind erst ein reichliches Jahr verheiratet.«

»Aber das hat mir gezeigt, dass es sinnlos ist, diese Ehe fortzusetzen. Gib doch zu, dass wir uns eigentlich gar nichts zu sagen haben. Du hast deinen Fimmel mit Su-Su, und dem kannst du dich ganz hingeben, wenn du mit meinem Kommen gar nicht mehr zu rechnen brauchst.«

»Steckt eine andere Frau dahinter?«, fragte Änne. Sie hatte sich noch immer nicht gefasst.

»Ja, ich liebe eine andere.«

»So schnell können sich doch deine Gefühle nicht gewandelt haben, Karl.« Änne hatte das Gefühl, um ihre Ehe kämpfen zu müssen.

»Ich war in dich verliebt. Es kam mir interessant vor, dass du eine Zeit lang so weit weg warst und so viel erlebt hast. Verliebt zu sein und lieben ist eben zweierlei.«

»Und jetzt liebst du?«, fragte Änne. Sie hatte beide Hände auf die Brust gedrückt und spürte darunter ihr Herz laut schlagen.

»Ja, diese Liebe wird von Dauer sein. Ich werde eine Frau haben, die sich nicht für ein fremdes Kind aufopfert, die ihren Mann nicht vernachlässigt.«

»Das habe ich nicht getan, Karl. Nein, das kannst du mir wirklich nicht vorwerfen«, verteidigte sich Änne. »Sobald du im Haus warst, hatte ich Zeit für dich. Ich habe es dir immer gemütlich gemacht und …«

Karl wischte mit der Hand durch die Luft. »Ja, so gemütlich, als ob wir ein altes Ehepaar wären. Ich aber habe mir unser Leben anders vorgestellt. Ich wollte zusammen mit meiner Frau frei sein und nicht auf ein Kind Rücksicht nehmen müssen. Selma ist so frei. Zudem ist sie zwölf Jahre jünger als ich. Einer wird den anderen mitreißen, sodass wir nicht im grauen Alltag ersticken werden.«

»Selma?«, fragte Änne. »Ist das die Laborantin aus dem Ulmer Krankenhaus, von der du einmal erzählt hast?«

»Ja, Selma Bartels. Genau die ist es.« Karl hatte kein Empfinden dafür, wie sehr er seiner Frau weh tat.

»Dann ist das sicher nicht ein neues Verhältnis«, meinte Änne.