Summa Theologica, Band 4: Secundae Partis, Quaestiones 11 - 66 - Thomas von Aquin - E-Book

Summa Theologica, Band 4: Secundae Partis, Quaestiones 11 - 66 E-Book

Thomas von Aquin

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Beschreibung

Die Summa Theologica (übersetzt "Zusammenfassung der Theologie"), oft einfach als Summa bezeichnet, ist das bekannteste Werk von Thomas von Aquin (1225-1274), einem scholastischen Theologen und Kirchendoktor. Sie stellt ein Kompendium der wichtigsten theologischen Lehren der katholischen Kirche dar, das als Leitfaden für Theologiestudenten, Seminaristen und Laien dienen soll. Die Themen der "Summa", in denen die Argumentation für fast alle Inhalte der christlichen Theologie im Abendland dargelegt wird, folgen dem folgenden Zyklus: Gott, die Schöpfung, der Mensch, die Bestimmung des Menschen, Christus, die Sakramente und zurück zu Gott. Obwohl sie unvollendet ist, gehört die "Summa" nicht nur zu den Klassikern der Philosophiegeschichte, sondern ist eines der einflussreichsten Werke der abendländischen Literatur und bleibt Aquins vollkommenste Schrift, die Frucht seiner reifen Jahre, in der sich das Denken seines ganzen Lebens verdichtet. Der Autor zitiert immer wieder christliche, muslimische, hebräische und heidnische Quellen, darunter die Heilige Schrift, Aristoteles, Augustinus von Hippo, Avicenna, Averroes, Al-Ghazali, Boethius, Johannes von Damaskus, Paulus der Apostel, Pseudo-Dionysius, Maimonides, Anselm von Canterbury, Platon, Cicero und einige andere. Dies ist Band vier von zehn mit den Quaestiones 11 - 66 der Secundae Partis.

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Seitenzahl: 913

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Summa Theologica

 

Band 4

 

Quaestiones 11 – 66

(Prima Pars/ Secundae Partis)

 

THOMAS VON AQUIN

 

DIE SCHRIFTEN DER KIRCHENVÄTER

 

 

 

 

 

 

Summa Theologica, Band 4, Thomas von Aquin

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849663902

 

Cover Design: Basierend auf einem Werk von Andreas F. Borchert, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35892522

 

Der Text dieses Werkes wurde der "Bibliothek der Kirchenväter" entnommen, einem Projekt der Universität Fribourg/CH, die diese gemeinfreien Texte der Allgemeinheit zur Verfügung stellt. Die Bibliothek ist zu finden unter http://www.unifr.ch/bkv/index.htm.

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Quaestio 11. Über das Genießen als einen Willensakt. 2

Quaestio 12. Die Absicht. 24

Quaestio 13. Die Auswahl rücksichtlich dessen, was dem Zwecke dient. 30

Quaestio 14. Über den Ratschlag, welcher der Auswahl vorhergeht. 38

Quaestio 15. Über die Zustimmung als Willensakt betreffs des Zweckdienlichen. 46

Quaestio 16. Über den Willensakt, der „Gebrauch“ genannt wird, mit Rücksicht auf das Zweckdienliche. 51

Quaestio 17. Die vom Willen befohlenen Wahltätigkeiten. 56

Quaestio 18. Über den moralischen Charakter des Guten oder des Bösen in den menschlichen Handlungen. 82

Quaestio 19. Über die Güte und die Bosheit des innerlichen Willensaktes. 110

Quaestio 20. Über die Güte und die Bosheit der äußerlichen menschlichen Willigkeiten. 127

Quaestio 21. Über Einzelnes, was den menschlichen Handlungen, insoweit sie gut oder schlecht sind, folgt. 136

Quaestio 22. Über das Subjekt oder das die Leidenschaften tragende Prinzip. 143

Quaestio 23. Der Unterschied der Leidenschaften voneinander. 148

Quaestio 24. Das moralische Gute und das moralische Böse in den Leidenschaften der Seele. 156

Quaestio 25. Die Rangordnung der Leidenschaften untereinander. 162

Quaestio 26. Über die Leidenschaften im Besonderen. — Die Liebe. 169

Quaestio 27. Die Ursache der Liebe. 182

Quaestio 28. Die Wirkungen der Liebe. 188

Quaestio 29. Über den Hass. 197

Quaestio 30. Über die Begierlichkeit. 205

Quaestio 31. Über das Ergötzen an sich. 211

Quaestio 32. Die Ursache des Ergötzens. 223

Quaestio 33. Die Wirkungen des Ergötzens. 233

Quaestio 34. Der moralische Charakter der Ergötzlichkeiten. 239

Quaestio 35. Über den Schmerz oder die Traurigkeit an sich. 245

Quaestio 36. Über die Ursachen des Schmerzes oder der Trauer. 260

Quaestio 37. Die Wirkungen des Schmerzes. 266

Quaestio 38. Über die Heilmittel der Trauer oder des Schmerzes. 271

Quaestio 39. Über den moralischen Charakter der Trauer oder des Schmerzes. 276

Quaestio 40. Die Leidenschaften in der Abwehrkraft. 281

Quaestio 41. Die Furcht an und für sich ihrem Wesen nach. 290

Quaestio 42. Der Gegenstand der Furcht. 295

Quaestio 43. Die Ursache der Furcht. 302

Quaestio 44. Wirkungen der Furcht. 305

Quaestio 45. Die Kühnheit. 310

Quaestio 46. Der Zorn an sich. 315

Quaestio 47. Die wirkende Ursache des Zornes und die Heilmittel für denselben. 325

Quaestio 48. Die Wirkungen des Zornes. 330

6. Band. Zweite Abhandlung. Tugend und Laster, Gesetz und Gnade. 336

Quaestio 49. Über die Substanz der Zustände im allgemeinen. 336

Quaestio 50. Über den Sitz oder das Subjekt der Zustände. 347

Quaestio 51. Über die Ursache, welche die Zustände erzeugt. 359

Quaestio 52. Über das Erstarken der Gewohnheiten oder Zustände. 367

Quaestio 53. Die Minderung und das Vergehen der Zustände. 376

Quaestio 54. Über den Unterschied zwischen den Zuständen. 383

Quaestio 55. Über das Wesen der Tugenden. 390

Quaestio 56. Über den Sitz der Tugenden. 406

Quaestio 57. Die Tugenden in der Vernunft. 414

Quaestio 58. Der Unterschied zwischen den moralischen Tugenden und denen in der Vernunft. 424

Quaestio 59. Die Beziehung der moralischen Tugenden zu den Leidenschaften und ihre Unterscheidung voneinander demgemäß. 432

Quaestio 60. Der Unterschied der moralischen Tugenden voneinander. 439

Quaestio 61. Die Kardinaltugenden. 449

Quaestio 62. Die theologischen Tugenden. 457

Quaestio 63. Die Ursache der Tugenden. 463

Quaestio 64. Über die Mitte, welche die Tugenden einhalten. 470

Quaestio 65. Über die Verbindung der Tugenden untereinander. 476

Quaestio 66. Über das Verhältnis der Tugenden zu einander, was den Grad anbetrifft. 484

Summa Theologica, Band 4

Bibliographische Angaben:

Summe der Theologie / Die katholische Wahrheit oder die theologische Summa des Thomas von Aquin deutsch wiedergegeben durch Ceslaus Maria Schneider. Verlagsanstalt von G. J. Manz, Regensburg 1886-1892. [12 Bände] 1880

Vorwort des Herausgebers

Sehr geehrter Leser,

die "Summa Theologica" war in ihrer Gänze sicher das herausforderndste Werk innerhalb der Reihe "Die Schriften der Kirchenväter." Es gibt kaum eine Textvorlage, ganz speziell von dieser Schneider-Übersetzung, die diesen Begriff – "Vorlage" – verdient hätte.

Wir haben versucht, so viele Fehler wie möglich auszumerzen. Dennoch ist dieses Werk nicht perfekt, da ein komplettes Korrektorat schlicht nicht wirtschaftlich ist. Bitte sehen Sie uns nach, wenn Sie an der einen oder anderen Stelle über einen Fehler stolpern, insbesondere bei der Umsetzung von griechischen Buchstaben. Thomas von Aquinas war nicht perfekt, seine "Summa" mitnichten, wir sind es schon gar nicht. Wir glauben dennoch, dass das Preis-Leistungsverhältnis dieser Ausgabe stimmt und jeder interessierte Leser auf seine Kosten kommen wird.

Herzlich Grüße,

Ihr Jazzybee Verlag (Jürgen Beck)

 

 

Quaestio 11. Über das Genießen als einen Willensakt.

 

Überleitung.

 

Mihhi autem Deo adhaerere bonum est. Ps 72 . „Für mich aber ist es ein Gut, Gott anzuhängen.“ Dieser Ruf ist die Zusammenfassung der tief einschneidenden Lebensweisheit eines der prachtvollsten Psalmen. Die zwei großen Heereslager in der Menschheit liegen sich gegenüber. Bald das eine bald das andere zeichnet der begeisterte Sänger in den lebensvollsten Farben, über beiden thront der letzte Endzweck, die Fülle aller Güter, die wir hier nicht begreifen, sondern nur staunend ahnen können, um auszurufen: „Wie ist gut, Israel, Gott denen, deren Herz gerade ist!“ Er, unser Gott, ist der Endzweck aller; denn wer verlangt nicht nach der Fülle der Güter! Wer begehrt nicht endloses Wohl! Wie groß auch immer die Verschiedenheit sei unter den Menschen; — dass die einen Talent haben für eine besondere Kunst, die anderen für eine besondere Wissenschaft; — dass die einen reich sind, die anderen arm; die einen hoch, die anderen niedrig; — dass da ein Geist sich erhebt angetan, eine Welt zu beherrschen und nach sich zu ziehen; dort ein anderer gleichsam am Boden kriecht unfähig, sich selbst das tägliche Brot zu erwerben; — dass der Zorn oder die Trägheit, die Verschwendungsliebe oder der Geiz, die Tugend oder das Laster im Herzen thront; — all dies erlangt erst die im Menschen ihm eigene unberechenbare Kraft durch den Zug nach dem Endlosen, durch den allen Menschen gemeinsamen Endzweck. Je mehr Talent jemand hat, desto Höheres will er leisten; desto weniger ist er zufrieden; desto mehr treibt es ihn und treibt er sich selber immer weiter, immer weiter. Mehr Geld will der Geizige immerdar; der Zug nach dem Unendlichen, der Endzweck offenbart sich und treibt ihn weiter bei jedem bestimmten Punkte, den er erreicht. Den Durst nach Macht vergrößert beim stolzen Eroberer jeglicher neue Besitz und verbietet ihm, stille zu stehen. Die schmutzigsten Laster entnehmen beim Menschen ihren oft schaudererregenden Einfluss und ihre weit über ihre eigene Natur hinausgehende, derselben sogar nicht selten fremde Gewalt, dem Allgute, zu dessen Besitze den Menschen bereits seine Natur hinweist. Und sticht erst der Mensch seinen Bund mit der Tugend, die so recht unmittelbar „unter dem Schutze des Allerhöchsten“ steht, so entzündet jeder Tugendakt nur immer neue, weiter um sich greifende Flammen des Verlangens nach höherer Tugend. „Wie gut muss dieser Gott sein, Israel, Volk Gottes!“ Der da in die träge Natur selber, die von sich aus so sehr der Ruhe zueilt, solch verzehrende Kraft nach jeder Seite hin zu legen weiß; der da, sogar ohne dass er besessen wird, schon dem bloßen Verlangen nach Ihm, als dem Unendlichen, eine über alle andere Kraft erhabene Gewalt einzuflößen versteht. Und noch nicht einmal damit ist es genug! Auch ohne dass der Mensch diesen Gott selber kennt und Ihn sich vergegenwärtigt, ja selbst wenn er trotz seiner Kenntnis von Ihm abfällt, ist diese Güte eine so große, so allumfassende, so tief eingreifende, dass das Streben nach einem unbestimmten, dem Geiste selbst nicht klar bewussten Endlosen, zu unaufhörlichem wirksamen Streben anfeuert. Wer diesen Gott, den er kennt, und dessen Güte er nicht will, von sich zu entfernen sucht, der fällt wieder auf einer andern Seite in diese selbe Güte, freilich ihm selber unbewusst. Thomas drückt die Macht dieses Endzweckes, wie die Natur des Menschen denselben vorstellt, in den vorhergehenden Artikeln in überaus scharfer Weise aus. Es kommt darauf an, uns das Wesen desselben, insofern es in der Natur des Menschen niedergelegt ist, recht deutlich zu machen. Thomas ist mit seinen ernsten, kalten Ausdrücken die tiefste Grundlage der christlichen Mystik. „Insofern der Mensch den Zweck tatsächlich will, führt er sich selbst zurück vom Vermögen zu wollen zum tatsächlichen Wollen rücksichtlich des Zweckdienlichen.“ Diese Worte enthüllen eine ganze Welt von Bedürfnis; und da diese selben Worte so oft vorkommen, müssen sie eingehend erklärt werden. Was versteht Thomas unter dem „Zwecke“? Den letzten Endzweck; denn nur rücksichtlich dieses Endzweckes ist der Mensch nicht frei, den will er mit Notwendigkeit. Rücksichtlich aller der Dinge, quae sunt ad finem, rücksichtlich des gesamten Zweckdienlichen, ist der Mensch Herr seiner Wahl, ist er frei. Und was umgreift Thomas mit diesem Zweckdienlichen? Alle beschränkten Güter; Alles was wir sehen und hören, und was unser natürlicher Verstand als Seiendes erfasst. In welchem Verhältnisse zu einander also steht der Endzweck im einzelnen Akte zum Zweckdienlichen? Thomas spricht es ebenfalls deutlich aus. Wie das Prinzip zu den einzelnen Schlussfolgerungen, die in seinem (des Prinzips) Vermögen eingeschlossen sind, — wie die Kraft des Samenkornes zu den Blättern und Blüten am Baume; — wie das umfassende Vermögen, etwas zu sein, zu einer beschränkten Wirklichkeit. Vergegenwärtigen wir uns recht deutlich dieses Verhältnis. Hier liegt der spekulative Grund für den unumschränkten Ruf des Psalmisten: „Wie gut ist, Israel, Gott denen, die geraden Herzens sind;“ und zugleich die Quelle für die Erkenntnis, worin dieses „gerade Herz“ besteht. Im Samenkorne ist die maßgebende Kraft keineswegs der innere Kern an sich, nicht die ihn umgebende Haut, nicht die Farbe, nicht der Umfang; wederdies Alles noch etwas Einzelnes davon ist gleichbedeutend mit der Kraft selber. Denn sonst würde daraus allein und immer die Pflanze sprossen, während, damit dies geschehe, erst das Samenkorn in die Erde versenkt werden muss und selbst dann noch manches Andere notwendig ist, damit die Frucht erzielt werde. Ganz im Gegenteil fault in der Erde nach und nach das ganze Wirkliche, das Einzelne im Samenkorne; und „erst wenn dieses abgestorben ist,“ kann eine Frucht kommen. Es wird von dem Erdboden und von den anderen besonderen Einflüssen die an das Samenkorn gebundene Kraft erst losgelöst vom Einzelnen und fängt somit sich in dem Maße zu entfalten an, als sie von allen Einzelheiten der Existenz des Samenkornes eben entfernt wird. Diese Kraft ist nichts Anderes als ein auf eine bestimmte Seinsgattung gerichtetes Vermögen; die einzelne Wirklichkeit des Samenkornes ist nicht diese Kraft, sondern gibt ihr nur Gelegenheit, sich zu entfalten, erfasst und begriffen zu werden. , So etwa verhält es sich mit dem letzten Endzwecke und dem Zweckdienlichen. Letzteres ist das einzeln bestehende Wirkliche an und für sich betrachtet und heißt deshalb zweckdienlich, weil es dazu dient, das endlose Vermögen für alles Gute bemerkbar zu machen und ihm Gelegenheit zu geben, dass es seine an sich maßlos treibende Kraft offenbare. Bemerken wir hier die Feinheit, mit welcher Thomas in allen diesen Materien zu sprechen weiß. Abwechselnd und scheinbar unterschiedslos spricht er vom „Zwecke“ überhaupt und vom letzten Endzwecke. In jeder von beiden Formen behauptet er mit stets sich gleichbleibender Schärfe, mit Bezug darauf sei der Mensch nicht frei. Das Vermögen, worin der letzte Endzweck, soweit es auf die bloße Natur ankommt, für uns besteht, die Kraft, um alles Gute zu enthalten, ist nämlich an und für sich der letzte Endzweck seinem inneren Wesen nach. Ein solches Vermögen kann jedoch nicht für sich allein bestehen, ohne dass es in etwas Wirklichem seinen Träger hätte; wie eine bloße Kraft des Samenkornes nicht besteht, ohne dass sie von Kern, Haut, Farbe, Umfang in bestimmtesten Verhältnissen getragen würde. In diesem einzelnen Wirklichen nun, was dem allgemeinen Vermögen für das Gute zum Träger dient, ist natürlicher letzter Endzweck nicht dieses beschränkte Wirkliche, sondern das bonum commune, das allgemeine darin enthaltene Vermögen für das Gute; wie im Samenkorne nicht die Haut oder der Kern die Kraft ist, sondern das in den einzelnen bestimmten Verhältnissen eingeschlossene Vermögen, eine gewisse Gattung von Früchten hervorzubringen. Mag also Thomas von einem Zwecke im allgemeinen sprechen oder präzis vom letzten Endzwecke; — es ist dies ganz das gleiche; er meint immer das Nämliche. Woher kommt aber dieses Einzelne als Träger des allgemeinen Vermögens für das Gute? Ist gegenüber demselben der Wille frei oder nicht? Da ein reines Vermögen für etwas und noch weniger ein Vermögen für alles Gute nicht als solches für sich allein betrachtet existieren kann, so muss das Wirkliche, worin es erscheint und sich geltend macht, mit Rücksicht auf den freien Willen insoweit den Charakter des letzten Endzweckes annehmen; es muss diesem zu allererst dienen, dass er als letzter Endzweck erscheine; — und danach ist es notwendig gewollt und der Wille ist ihm gegenüber, soweit der letzte Endzweck mit seinem allumfassenden Vermögen für das Gute sich dadurch offenbart, nicht frei. Deshalb sagte oben Thomas, den man nicht zu „entwickeln“, sondern zu verstehen suchen sollte, „das Erste oder das Prinzip im Bereiche eines Seinskreises ist immer mit Notwendigkeit gegeben. Der Wille erstrebt mit Notwendigkeit nicht nur den letzten Endzweck für sich, sondern auch jenes Wohl, welches Gegenstand der übrigen menschlichen Vermögen ist, wie also das Wahre z. B. für die Vernunft, die Farbe für das Auge, das Sein, Leben etc. in der Weise, dass er für die Vernunft nichts Anderes verlangen kann als die Wahrheit, für das Auge nichts Anderes als die Farbe u. s. w.“ So nimmt bei Thomas das Prinzip im freien Akte immer schärfere Formen an. Die naturnotwendig und stets bestimmende Wesensform im freien Akte ist das Vermögen nach endlosem Gute hin; und diese Wesensform wird wieder notwendig getragen und zur Geltung gebracht gemäß dem Sein, das der Wille in der tatsächlichen Natur des Menschen hat und wonach er nach den in der außen liegenden Wirklichkeit befindlichen Gegenständen der menschlichen Vermögen und Fähigkeiten naturgemäß verlangt. Hat jemand zudem, um die Sache noch weiter zu verfolgen, kraft seiner individuellen Natur ein besonderes Talent für Malen z. B., für Musik u. dgl., was ja in je verschiedener Weise bei allen Menschen statthat, so ist auch diese Neigung zu ganz bestimmten Verhältnissen der Wirklichkeit eine aus der Natur entspringende und demnach notwendige. Aus all dieser Wirklichkeit aber fließt das Endlose in der Weise, dass es das endlose Verlangen im Willen stärkt. Mag die Grundlage für die Freiheit, welche mit der Natur eines einzelnen Menschen gegeben ist, auch nur das Studium der niedrigsten Pflanzen, Steine, ja nur einer einzigen Art derselben sein; es wird damit die Freiheit nicht beengt, sondern vielmehr tief begründet. Von dem natürlichen Verlangen, das Wesen auch nur eines Steines so recht zu durchdringen, beginnt die Kette, die nach und nach alle Kreaturen umschlingt, und alle Seinskreise endlos um den einen Stein regelt, damit sie dessen Sein zu offenbaren helfen. Und je weiter da der Geist in der Ausdehnung dieser Kette fortschreitet, desto lauter ruft er nach tieferer Durchdringung, nach mehr Kreaturen zu seiner Hilfe. Jede Kreatur wird so vermittelst der Natur eine Pforte zum Endlosen hin im freien Willen; und anstatt dass die Natur so aufgefasst der Freiheit Grenzen ziehe, verleiht sie derselben erst die Möglichkeit, das Endlose als ihr eigenstes Wesen offenbar zu machen. Denn gerade dieses Endlose im Verlangen des Willens, was da loslöst vom Einzelnen, bildet die treibende Kraft, von der in der eben erwähnten Stelle Thomas spricht: „Insofern der Wille tatsächlich den Zweck will, bestimmt er selber sein Vermögen, um zu wollen das Zweckdienliche.“ Der Wille ist von Natur auf etwas Wirkliches gerichtet; er ist von Natur ebenso auf etwas völlig Allgemeines gerichtet, was als solches von jeder beschränkten Wirklichkeit absieht; — das erste verdankt er seiner natürlichen Verbindung mit den menschlichen Fähigkeiten und Talenten und hier ruht die Verschiedenheit im Wollen bei den einzelnen Menschen, von denen jeder ein besonderes Talent oder doch einen besonderen Grad davon besitzt; das zweite verdankt er seinem eigensten Wesen und darin sind alle Menschen gleich. Nach diesen zwei von Natur gegebenen Momenten als dem Prinzip des Wollens „setzt der Mensch nun selber sein Willensvermögen über in die Tatsächlichkeit rücksichtlich dessen, was dem gewollten Zwecke dienen kann“. Dass der reich begabte Knabe die Musik will, dafür kann er nicht; und dass er diese Kunst endlos will, das bringt für ihn ebenfalls die Natur mit sich. Hier liegt das Prinzip; es ist die von der Natur gelegte Grundlage für sein freies Wirken. Auf dieser Grundlage, auf der sich in ihm das Verlangen nach allem Guten als der Wesenscharakter der Freiheit betätigen soll, sucht er nach Mitteln, die in seinem Vermögen liegen; er wählt. Er macht sein Willensvermögen, das nach dieser Seite hin kraft der Natur nur im Stande des Vermögens war, zu einem tatsächlichen, indem er bald den Lehrer hört, bald sich selbst übt, bald betreffende Musikschriften liest. Und siehe da! Die Kraft des Endlosen offenbart sich immer mehr. Jede dieser freien Wahlen vollzieht sich mit immer mehr Eifer; immer weiter wird der Gesichtskreis; immer brennender die Sehnsucht, um von allen Seiten her seinem Verlangen zu genügen. Und ist der Knabe alt geworden und hat er alle seine Zeitgenossen überragt; — er selbst ist um so unzufriedener mit sich, er sieht um so unergründlicher das Meer des Endlosen, sein Auge sucht nach Weiterem; — o dass es da schließlich suche, wo der Unendliche thront! Alles Endlose muss zu Ihm führen. Thomas deutet so schön auf diesen Abschluss hin. „Nach etwas Anderem hin ist der freie Wille ein tatsächlich wollender; und nach etwas Anderem ist er im Vermögen.“ Insoweit das Musiktalent — und dasselbe gilt natürlich von allen Gegenständen menschlicher Fähigkeiten — das Endlose offenbart, dem Verlangen nach allem Gute die Türe öffnet; insoweit ist es von der Natur, ist Zweck, ist mit Notwendigkeit gewollt und wird somit im betreffenden Menschen das Prinzip der davon abhängigen freien Bewegungen; insoweit ist der Wille ein tatsächlich wollender. Aber wird dieses gleiche Talent nach der anderen Seite hin betrachtet als auf einer niedrigen Stufe z. B. im Anfänger befindlich, so öffnet sich da das Vermögen für alle jene Dinge, welche zu seiner Vervollkommnung dienen können und es beginnt damit die freie Selbsttätigkeit. Immer ist so in dem Zwecke, den man will, von einer Seite her das Tatsächliche gegeben, wohin die Freiheit nicht sich richtet; — und von einer anderen Seite her wird das Vermögen dargetan, diesen Zweck durch beliebige Mittel zu erreichen. Insoweit jeder gewollte Zweck auf einzelne Verhältnisse hin gerichtet ist; insoweit ist das Vermögen als solches für einzelne Verhältnisse zu betätigen. Insofern er aber mit dem Allgemeinen verbunden erscheint, ist er tatsächlich vorhanden und wird gewollt. Vom selben Gegenstande fließt somit das Endlose und führt wieder zum Endlosen. Dies ist „das gerade Herz,“ das da nie abschließen möchte in der einzelnen Wirklichkeit; das sich nie von sich selber trennt, nie sich selber verliert, nie seiner eigenen Natur untreu wird; das da alle einzelnen Vermögen mit ihren verschiedenen Talenten nur benützt, um ins Endlose hinauszutreten, mag es auch nicht sich bewusst sein, wie der Unendliche in der Fülle seiner Natur beschaffen ist. Das „gerade Herz“ schließt aus von sich alles engherzige Haften an einem besonderen beschränkten Wesen, wie weit sich auch dieses Wesen erstrecken möchte. Es vereinigt das Einzelne, Beschränkte mit dem Allgemeinen, Endlosen; und je mehr es Einzelnes genießt, desto gerader liegt vor ihm die Straße zum Unendlichen. Das Verlangen nach dem Endlosen ist der Natur des Menschen eigen; in jedem freien Akte muss es hervortreten. „Ungerecht“ ist der Mensch, der da am Einzelnen und Beschränkten haften will und den seine eigene Natur von allen Schranken ruhelos forttreibt. Er trägt in sich selber den Zwiespalt und deshalb heißt der Sünder, wie auch immer die Sünde beschaffen sei, nach dem allgemeinen Sprachgebrauche der Schrift der „Ungerechte“, der „Recht-“ oder „Ruchlose“. Die Natur des Menschen empört sich in ihren Fundamenten beim Anblicke der Ungerechtigkeit, beim Leiden unter der Ungerechtigkeit. Und je mehr sie gewohnt ist, durch die Schranken der geschöpflichen Wirklichkeit hindurch zum Endlosen hinzustreben; desto größer wird ihr Schrecken, desto bitterer ist ihr Abscheu, wie es möglich sei, dem tiefsten Hange der eigensten Natur ins Angesicht zu schlagen. Deshalb fährt der Prophet, vor dessen erleuchteten Blicke so recht es stand, wie die Allgüte allein das Verlangen nach dem Endlosen, von welcher Seite her es auch immer komme, schließlich befriedigen kann, wie „Gott in unbeschränkter Weise gut ist für Israel, d. h. für jene, die geraden Herzens sind“; — deshalb fährt der Psalmist fort: „Meine Füße aber haben beinahe gestrauchelt; ausgeglitten beinahe wären meine Schritte, da ich eiferte wegen der Ruchlosen und sah den Frieden der Sünder.“ Wie kann, so will er sagen, der Sünder so ruhig freveln! Es dringt doch das Unendliche überall durch. Die Leidenschaft selber wird dem Trunkenbolde zur Qual; sie lässt ihn nicht ruhen, wenn er auch wollte; mit tausend und aber tausend Fäden zieht es ihn ohne Grenzen zum Glase. Seine Natur trägt den Drang zum Endlosen in sich; und was da in seine Natur tritt, das nimmt, mag der Mensch wollen oder nicht, teil an deren Eigentümlichkeit. Keine Nacht schläft jener blutige Tyrann, nachdem er die langersehnte Macht erhalten, in demselben Bette, wo er die vergangene geschlafen hat; niemand weiß, wo er die Nacht zubringt; ein schwer durchdringliches Panzerhemd deckt allen verborgen seine Glieder; bei keinem Menschen wagt er Freundschaft zu suchen; dem Worte keines Menschen traut er; mit Furcht isst er seine Speisen, mit Furcht legt er sich zu Bette, mit Furcht wacht er auf. Er täuscht sich elendiglich! Seine Sünde ist seine Qual. Ins Endlose will er seine Macht bewahren, ins Endlose sie vergrößern; und immerdar ist es etwas Endliches, was er hat. Das ist das Elend in diesem „Frieden der Ruchlosen“; der Wurm ist es in allen ihren Genüssen. „Nicht denken sie an ihren Tod; endlose Dauer wird sein nur in ihren Peinen.“ Hier erblicke, Christ, die erste Waffe zum Kampfe gegen die Sünde im Heerlager der Guten. „Denke du, wie schnell das Alles enden wird und wie Pein in Ewigkeit des Sünders Los sein wird.“ Dann werden deine Füße nicht mehr straucheln und deine Schritte nicht mehr ausgleiten wollen beim Anblicke der eitlen Freuden der Sünder. Die Leidenschaft verzehrt ihren Gegenstand; die Tugend veredelt ihn. Fehlt der Leidenschaft endgültig ihr Gegenstand, den sie ja selbst vernichtet, soweit es an ihr ist; dann bleibt im Menschen nur das endlose qualvolle Verlangen; — und nichts, um es zu befriedigen. Es bleibt ihm der brennende Wunsch nach allen Gütern und zwar sie zu genießen ohne Schranken und ohne Ende; — und was er genossen, woran er sich gefreut, das hat er selbst mit aller Macht verdorben. Sieh’ Christ, wie schnell es mit dem Körper zu Ende geht, wie kurz die Tafelfreuden währen, wie wenig eine Ehrenbezeigung befriedigt, wenn sie einmal wirklich da ist. Sieh’, wie ohnmächtig der Verlass auf das Wissen ist, wie alle Macht so leicht dahinwelkt im Herzen des Mächtigen selber gleich der Blume des Feldes, „die des Morgens aufsprosst und blüht, um des Abends bereits welk hinzufallen;“ — und du wirst nicht mehr verwirrt werden, wann dir die Sünder Alles zu haben scheinen und die Gerechten nichts. Ruhig wirst du die verschiedenen Ruchlosigkeiten oder gewissermaßen die eine Ruchlosigkeit auf ihren verschiedenen Stufen vor dir vorübergehen sehen können. „An der Arbeit der Menschen nehmen sie nicht teil: und mit den Menschen werden sie nicht gegeißelt werden.“ Und doch ist gesagt worden: „Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen.“ Eine gewisse Arbeit war auch im Paradiese; denn es steht geschrieben: „Er setzte den Menschen in das Paradies, damit er da arbeite und es behüte.“ Aber dies war keine Arbeit, die dem Menschen schwer fiel. Nichts bestand in ihm selber, was zur Trägheit hinneigte. Im Fluge gleichsam erreichte da der Mensch durch die Schranken des Zeitlichen hindurch das Unendliche und nahm es zu seiner Nahrung, damit er von seinem Innern aus imstande zu sein, die natürliche Ordnung, die der Schöpfer den Dingen eingeprägt, jenes Paradies, das der königliche Sänger mit den Worten beschreibt: „In deiner Anordnung bleibt es immer Tag: denn Alles dient dir,“ — um dieses Paradies zu behüten. Aber das ist anders geworden. Die Sünde hat Arbeit gebracht, mühevolle Arbeit. Und wer diese Arbeit nicht vollbringen will, der bietet der Ruchlosigkeit den kleinen Finger, auf dass sie bald die ganze Hand ergreife. Oben hatte Thomas diese geistige Trägheit beschrieben. Sowie jeder Mensch von Natur in seinem sinnlichen Teile den Beginn zu einem besonderen Talente besitzt, vermittelst dessen sich ihm die Pforte der Unendlichkeit öffnet, so hat er auch dementsprechend von Natur eine sinnliche Neigung, welche, richtig geleitet, mithilft, die Unendlichkeit schneller zu erreichen und das gegebene Talent zum Besten des ganzen Menschen zu verwenden. Überlässt sich aber der Mensch vorschnell dieser angeborenen sinnlichen Neigung und wartet er nicht die Stimme der Vernunft ab, auf dass sie gemäß der Richtschnur des erfassten Wesens, also gemäß dem allgemeinen Grunde das einzelne Wollen und Wirken richtig leite; lässt der Mensch seine Vernunft träge liegen und sucht er nicht einmal ihre Stimme zu vernehmen; — dann ist er nicht, wie der Psalmist sagt, „in der Arbeit der Menschen“, nämlich in jener Arbeit, welche allen Menschen gemeinsam ist und die darauf sich richtet, gegen das übermäßige Gewicht der sinnlichen Neigung selber die Sinne und mit ihnen die stofflichen Geschöpfe zum Unendlichen zu erheben, wie dieses in der Vernunft erscheint. Und Gott erzeigt ihnen dann nicht die Barmherzigkeit, in dieser Arbeit mitzuhelfen dadurch dass er die Geißel von Leid und Trübsal schwingt und so sie mehr und mehr von der Gefahr entfernt, der sinnlichen Neigung ohne Befragen der Vernunft zu folgen. Was den Sündern, wie Thomas sagt, gemäß der Verfassung ihres sinnlichen Teiles als Gut erscheint, das nehmen sie an und folgen dem. Beobachten wir hier den Anfang des Übels. Das Übel ist nicht eine Macht, die mit eigenen Kräften kämpft, wie die Tugend. Du erst, o Mensch, leihest der Sünde die Macht, mit der sie stark wird. Träg lässest du deine erhabene Vernunft liegen, das Werkzeug nämlich, um das deiner Natur eingeprägte Unendliche dir selber gegenwärtig und zu nutze zu machen. Die Leidenschaft kommt und beginnt bei dieser Trägheit. Sie ergreift als erste und entscheidendste Waffe deinen natürlichen Hang zum Unendlichen, der nun unter dieser Leitung dein Verderben wird. Was ein Gut nur scheint, dem laufest du nach mit der ganzen Kraft deiner von Gott verliehenen Natur; und das wahre einzige Gut, wozu die Vernunft den Weg zeigt, verachtest du. Die Trägheit, das Fallen des vernünftigen Willens ist der Beginn der bösen Leidenschaft. Im Menschen selber findet sie die Nahrung, um zu wachsen und stark zu werden; und durch Gottes Zulassung bleiben die Geißelschläge der Trübsal aus, welche die Fesseln brechen könnten, indem sie die Unzuverlässigkeit der äußeren Güter dartun. Es schließt sich deshalb alsbald an die Trägheit der Stolz an, welcher die Augen des Menschen schließt, nicht nur, damit sie nichts sehen, sondern zugleich, damit sie nun der Leidenschaft helfen. „Und deshalb hielt sie “fest der Stolz: bedeckt sind sie mit ihrer Ruchlosigkeit und Bosheit.“ Worin besteht dieser Stolz? Die Schrift drückt dies mit den Worten aus: „Über den Wolken will ich meinen Thron aufschlagen, und gleich will ich sein dem Höchsten.“ Der Höchste allein kann mit Recht sagen: „Alles habe ich getan um meiner selbst willen.“ Denn Er allein ist seiner Natur nach der Grund vom All der Geschöpfe; und das Heil dieser kann nur bestehen im Anschlüsse an ihren Grund. Der Mensch nun, in dem die Sünde ihren Thron aufschlägt, möchte vor sich selber ebenfalls diesen Ruhmesglanz. Nicht nach den allgemeinen Gründen, welche von außen her die Vernunft ihm vermittelt, will er sich richten; sondern seinen Willen allein und zwar nicht den Willen, der nach dem Ausdrucke des heiligen Thomas in der Vernunft ist, sondern denjenigen, der schweigend und träge der im sinnlichen Teile befindlichen Leidenschaft folgt; diesen Willen, der an einzelnen bloßen Erscheinungen der Dinge hängt, an solchen Einzelheiten, die in deren innerem Wesen keine Richtschnur haben und somit für den vernünftigen Menschen grundlos sind; — diesen Willen möchte er auf den Thron setzen; er soll herrschen über die zeitlichen Verhältnisse und in ihm will der Mensch seine schließliche Genugtuung finden. Natürlich gibt es da von der Natur der Dinge und des Menschen aus keine Rückkehr mehr: „Es hält ihn fest der Stolz; es umschließt und umhüllt seine Augen die eigene Ruchlosigkeit und Bosheit.“ Jetzt beginnt die Fruchtbarkeit der Leidenschaft. Aufgelöst in Selbstgefälligkeit, nur das eigene beschränkte Ich, das Ich nämlich nach seinem sinnlichen Teile als dem leitenden vor Augen, angefüllt vom Reichtum der eigenen Natur, verwirklicht der Mensch das Wort des Propheten: „Der Stolz ist der Anfang aller Bosheit.“ Diese Selbstgefälligkeit, in welcher der Sünder sich wiegt, vergleicht der königliche Sänger mit dem „Fette“: „Wie aus Fett bricht aus ihre Bosheit: sie haben sich überlassen der Neigung ihres Herzens.“ Jetzt fangen die Sünder an, auf die anderen stolz herabzusehen, in niemandem etwas Gutes zu finden wie in sich selbst, alle Menschen wie den Fußschemel der eigenen Herrlichkeit zu betrachten und die einen zu verfolgen, den anderen zu schmeicheln, je nachdem es das Bedürfnis verlangt. Neid, Hass, Verleumdungssucht, Ehrabschneiderei, Lüge, Fraß und Völlerei, alle jene tausendfachen Arme des Hochmutes brechen heraus, welche bestimmt sind, die gesamten Arten von Geschöpfen dem Belieben des Einzelnen dienstbar zu machen. Es zeigt sich hier wieder von neuem, wie die erste und Hauptwaffe des Sünders das Endlose in der Natur des Menschen selber ist; insofern es, missbraucht, immer weiter treibt in der Sünde. Besteht die Tugend darin, dass der Mensch insoweit begehrt als seine Vernunft den wirklichen Grund des Seins innerhalb der Dinge, deren allgemeines Wesen auffasst und danach den Willen bestimmt; so besteht die Macht der Sünde darin, dass der Mensch begehrt je nachdem den Sinnen das Einzelne, Wirkliche nur erscheint, was da an sich in den Dingen selbst keinerlei Grund hat. Der heilige Thomas hat oben einen Ausdruck gebraucht, der so recht das weite, ohne Ende weite Feld der Sünde enthüllt. „Das sinnliche Begehren ist der Vernunft unterworfen nicht wie der Sklave dem Herrn, sondern wie der freie Mann dem Regierenden; so also dass es auch gegen die Stimme der Vernunft tätig sein oder dieselbe gar nicht aufkommen lassen kann.“ Man nimmt solche Bilder des Aquinaten viel zu leicht; dieselben erklären bei weitem mehr als die abstrakten Auseinandersetzungen; oder vielmehr sie haben den Vorzug, den Geist an selbständiges Denken zu gewöhnen. Geht jemand gegen die Staatsgesetze an, so geschieht dies nicht gerade weil er gegen den im Staatswohle liegenden Grund und gegen die Bedürfnisse ankämpft, welche zur Aufstellung der betreffenden Gesetze geführt haben; sondern entweder weil die Anwendung der Gesetze auf einen bestimmten einzelnen Fall ihm als unrichtig vorkommt oder weil er meint, dieser einzelne bestimmte Fall sei im Gesetze nicht vorgesehen und müsste deshalb das letztere geändert werden. Ähnlich ist es hier. In jedem Dinge ist zweierlei zu unterscheiden: 1. die allgemeine Gattung, wonach also der Mensch z. B. Mensch ist; und 2. das einzeln Wirkliche, wonach ein Mensch z. B. groß oder klein, dumm oder weise ist. Für das Erstgenannte ist der Grund im Dinge selber; und diesen Grund erfasst die Vernunft und leitet danach. Für das Zweitgenannte besteht kein Grund im einzelnen Dinge selber, wie ja auch das einzelne Ding nicht den Grund dafür in sich hat, dass es Wirklichkeit besitzt, dass also es existiert vielmehr als viele tausende andere, die in der nämlichen Gattung auch existieren könnten. Für dieses einzeln Wirkliche als solches kann den ausreichenden Grund nur jenes Sein bilden, das seinem Wesen nach, also mit innerer Notwendigkeit, Einheit, Einzelheit, Wirklichkeit ist. Wo ist somit das Feld der Sünde? Da, wo das Einzelne, Wirkliche an sich beginnt, der Gegenstand für die Auffassung der Sinne; da, wo im Dinge selbst, dessen allgemeine Natur für unser Wirken die Richtschnur bildet, kein Grund mehr durchdringt; da, wo Gott allein den bestimmenden Grund in sich hat und nicht das allgemeine Wesen des Dinges; da, wo der Sinn grundlos seinen Gegenstand vorstellt. Es ist hier ein Unendliches vorhanden; aber für den Sünder ein Unendliches in seiner Einbildung. Er meint, er, seine Person, die alleinige Tatsache seines Entschlusses ohne allgemeinen Grund genüge, um sein Thun zu rechtfertigen. Soweit er für seine Sünde den Grund angeben kann, soweit ist es keine Sünde; er kann sie ja verantworten, er kann Rechenschaft davon geben. Die Sünde beginnt, wo in seiner Vernunft kein Grund mehr für das Einzelne vorhanden ist. Aber nach der anderen Seite ist dieses Unendliche, was den entscheidenden Grund für alle Einzelheiten in sich enthält, das Höchste, das Maßgebendste, es ist der allgemeine unendliche Grund für alle Wirklichkeit. Deshalb fährt der Psalmist fort, die Arroganz des Sünders zu schildern, bis die Höhe dieser Arroganz selber durch den Widerspruch mit der Wirklichkeit abstößt. Die rein sinnliche Auffassung der einzelnen wirklichen Erscheinung bestimmt gegen die Vernunft des Menschen; — denn sie will in sich den Grund für das schließliche einzelne Wirken besitzen, während die Vernunft durch die Auffassung des allgemeinen Wesens zum Endlosen führt und es ablehnt, den ausreichenden Grund für die einzelne Wirklichkeit aus den Dingen heraus schöpfen zu können. Der Sünder lehnt es ab, für das Endlose des Verlangens nach Gutem in sich den Abschluss im einen unendlichen, außen seinem Wesen nach befindlichen Gott zu finden, der allein der letzte maßgebende Grund aller einzelnen Wirklichkeit sein und deshalb allein das Endlose in der Vernunft füllen kann; — er vergnügt sich daran, einen Augenblick sich vorzustellen, er selber sei Gott; er überlässt sich als dem abschließenden Grunde des einzelnen Aktes ganz und gar der sinnlichen Neigung seines Herzens: „Gedacht haben sie und gesprochen Bosheit; auf die höchste Höhe sind sie gestiegen, im Erhabenen haben sie Ruchlosigkeit gesprochen. In den Himmel haben sie ihren Mund getragen: und ihre Zunge reichte hinüber auf die Erde.“ „Du sollst den Sabbat heiligen.“ Das war der Mund der Pharisäer; er war im Himmel, mitten im erhabenen Gesetze. Aber ihre Zunge war auf der Erde: „Dieser Mensch ist nicht von Gott, der den Sabbath nicht heiligt“ (Joh 9.); es war die Zunge des Neides, des Hasses, die vom Himmel her den Vorwand entnahm, um zu sprechen; „sie sprach im Erhabenen.“ „Siehe, in Sünden bin ich empfangen.“ Das war der Mund der Pharisäer; er war im Himmel, mitten in der ewigen Wahrheit. Aber die Zunge war auf Erden: „In Sünden bist du geboren ganz und gar, und du lehrst uns.“ „Gott ähnlich sein“; siehe da den Mund, mit dem die Schlange im Himmel war. Aber ihre Zunge war auf Erden: „Ihr werdet sein wie Gott und wissen das Gute und das Böse;“ während der Mund und zugleich die Zunge jenes im Himmel weilte, der da sprach: „Gott werden wir ähnlich sein, denn wir werden Ihn schauen wie Er ist.“ Dieser Widerspruch, der sich beim Sünder zeigt zwischen seinen Worten und seinen Taten, zwischen seinem Denken und seinem Reden, zwischen dem schrankenlosen Verlangen und der elend vergänglichen Wirklichkeit, die er tatsächlich liebt, hat bereits das Volk der Juden von den Pharisäern abwendig gemacht: „Das ganze Volk lauft Ihm nach,“ hatten sie selber gesagt. Dieser selbe Widerspruch entfernt noch immer vorurteilsfreie Herzen vom Sünder. Der Sünder ist allerdings nicht „in der Arbeit der Menschen“ um eines gottgefälligen, vernunftgemäßen Lebens, nicht um der wahren Unendlichkeit willen. Aber auch die Sünder „werden müde auf dem Wege der Bosheit, sie wandeln beschwerliche Pfade“. Sie dürfen nicht scheinen, was sie sind; sie müssen verbergen mit vieler Mühe für sie ihre innere Zunge, die der Hass, der Neid um irdischer Zwecke willen in Bewegung setzt; sie dürfen nur den Mund zeigen, der vom Himmel spricht, vom Guten überfließt. Und schließlich hilft ihnen doch alle diese ihre Arbeit nichts; ihre Mühe ist eitel. Ihre wahren unreinen Beweggründe werden nur allzu bald erkannt; und der Abscheu vor ihnen wird um so stärker und tiefer. Der Stolze wird mit seinen Manieren hinterrücks verspottet, den Schmähsüchtigen meidet man, der Unreine findet Verachtung. Sie selber allein bleiben am Ende umsponnen von ihrer Einbildung, umhüllt von ihrer Bosheit, festgehalten von ihrem Stolze. „Deshalb wird mein Volk sich hier bekehren: und volle Tage werden in ihm gefunden werden.“ Treffend sagt der Psalmist „mein Volk hier“ oder „dieses mein Volk“. Denn gerade darin ist der Unterschied zwischen Bösen und Guten, dass jene im bestimmten Falle, hier und jetzt nicht in Gott den vorderhand uns verborgenen Grund der einzelnen Erscheinungen in der Welt suchen und im voraus sich Ihm, dem Herrn, unterwerfen, sondern dass sie in sich selbst und in ihrem auf die Sinne gestützten Begehren als dem bestimmenden Grunde ausruhen; — die Guten aber in allen den verschiedenen Verhältnissen, in Leid und Freude, in Kreuz und Trost, auf Gott allein ihr Vertrauen setzen. In ihnen, in dem Volke der Auserwählten, wird „die Fülle der Zeiten“, wird Christus gefunden, der in den Herzen das Verlangen nach dem wahrhaften vollen Gute aufrecht hält und so zum „Tage“ der Vernunft, die das Endlose als den Weg zum Unendlichen in jedem Falle zeigt, hinzufügt das „Volle“ im Willen: „voll“ Trost jetzt im Glauben und in der Liebe, „voll“ einst der ewigen Herrlichkeit. Nun ist die Seele gerüstet, um der letzten Waffe der Sünder zu widerstehen. Es ist jene, unter der viele Seelen, die nicht hinreichend die geistige Rüstung angetan, schmählich zu Grunde gehen. „Und sie sagten: Wie weiß es Gott: und ist denn da oben Wissen? Siehe da die Sünder selber, und deren Herz von zeitlichen Begierden überfließt: sie haben Reichtümer erlangt. Und ich sprach: Also ohne Ursache habe ich mein Herz aufrecht gehalten: und unter den Unschuldigen habe ich meine Hände rein gewaschen. Und gegeißelt ward ich den ganzen Tag: und meine Züchtigung vollzog sich am frühen Morgen.“ Sollen denn am Ende die Sünder triumphieren? Sollen Sie im Wissen Gottes sein als ewigen Lohnes würdige? Oder gehören sie zu denen, von welchen es heißt: „Ich kenne euch nicht,“ nämlich ich billige euch nicht, ich bin nicht die erste Ursache eueres Thuns? Soll ihr Glück in dieser Zeit nur ein Bild sein für ihr Glück in der Ewigkeit? Soll es etwa gleichgültig sein, ob tugendhaft, ob gottlos? Wenn die Guten, die Alles Gott aufopfern, von Gott gegeißelt werden und die Sünder, die Gott, den Herrn, vergessen, mit Ruhm und Herrlichkeit gekrönt sind; — wenn Nero im Überfluss schwimmt, in Macht und Reichtum und in Befriedigung aller seiner Lüste, und Petrus und Paulus hungern und dürsten, von Kummer verzehrt werden, arm und verlassen durch die Welt gehen, um, nachdem sie mit Ketten beladen lange Zeit im Kerker geschmachtet, des Henkertodes zu sterben; — wo soll da der Mut herkommen, die Leidenschaft zu verachten und auf Gott allein, als den maßgebenden ersten Grund alles dessen was in der stofflichen Wirklichkeit geschieht, volles Vertrauen zu setzen! Der Prophet findet keine Antwort, er mag nach welcher Seite auch immer blicken: „Wenn ich sagte: Ich will es so darstellen: siehe, dahabe ich das Volk deiner Kinder verworfen. Ich erachtete nun, ich könnte es auf solche Weise mir klar machen: Arbeit und Mühe liegt vor mir.“ Dass eben der Prophet von keiner beschränkten Seite her eine Antwort auf seine Unruhe erhält; das ist die Antwort, die er gibt. Es gibt keinen Grund im Bereiche des Geschöpflichen, der hier endgültig bestimmend die Lösung böte. Das Endlose steht vor dem Geiste des Propheten. Wenn für die Behandlung der Guten und Bösen die Erde keinen Grund bietet, dann ist eben der entscheidende Grund aller einzelnen Wirklichkeit weder in den Dingen einzeln noch in ihrer Gesamtheit; er ist außerhalb. Können wir ihn sehen, ihn abschätzen, ihn durchdringen? „Bis ich eintrete in das Heiligtum Gottes: und einsehe in den letzten Dingen derselben.“ Geheimnisvolle Worte! Noch konnte der heilige Sänger kaum etwas ahnen, „Arbeit und Mühe war vor ihm,“ wie eine Mauer, welche den freien Blick aufhält. Und nun schwindet gleichsam von selbst diese Mauer; frei durchdringt das Auge; es mutmaßt nicht, „es erachtet nicht;“ es wird dem Geiste sogleich zuverlässigste Gewissheit. „Er sieht ein;“ das klarste Verständnis geht ihm auf. Wer hat dies vermittelt? „Greife zu den Waffen und zum Schilde: und stehe auf, mir zu helfen.“ (Ps 34 .) Jenen Schild, jenes Rüstzeug hat der Psalmist nun gefunden, vor dem „die Feinde zerstreut werden und zerfließen, wie Wachs vor Feuersglut hinschwindet.“ Gott ist seine Waffe geworden. „Er hat zu Gott gesagt: Sei du mein Schützer und meine Zuflucht: auf Ihn werde ich hoffen. Vom Fallstricke der Jäger hat Er mich befreit und vom Worte des Zornes. Mit seinen Schultern wird Er dich umschatten: und unter seinen Flügeln wirst du hoffen. Mit einem Schilde wird dich seine Wahrheit umgeben und die nächtliche Furcht wird dich nicht in Schrecken setzen… Mit deinen Augen wirst du einsehen: und die Vergeltung der Sünder wirst du schauen. Denn Du, o Herr, bist meine Hoffnung.“ (Ps 90 .) „Bis ich eintrete in das Heiligtum Gottes;“ d. h. bis ich mich ganz in Gottes heiligen Willen versenke. Da, wenn die Lichtfluten des unendlichen Gutes in meinem Herzen wallen und die Finsternisse endloser Nacht erhellen, da „wird der Lichtbringer aufblitzen in unseren Herzen und einsehen werden wir in den letzten Dingen der Gottlosen.“ Wie genau der heilige Geist die Worte abwägt! Wie tief das Auge des Engels der Schule sich versenkt hat in die Abgründe der Schrift! Ist denn in der Gewalt der Sünder die endgültige Entscheidung? Schließt ihre Sünde in dem, wozu sie führt, ein feststehendes Gut ein? Unmöglich! Die letzten Dinge sind außerhalb ihrer Macht. Soweit auch immer die Natur reicht, so weit reicht das Zweckdienliche. „Der Wille,“ hatte oben Thomas gesagt, „ist und bleibt nur ein gewisser Anfang, ein Prinzip… Vorher und zuerst in jedem Dinge ist das Sein selber, was da vermittelst der Natur ist und auf Grund dessen erst besteht das Wollen, was da ist vermittelst des Willens.“ Darin ist eingeschlossen der unabsehbare Irrtum der Sünde. Sie will in der Natur, in den natürlichen Gütern das Ende finden; und sie sind in Wirklichkeit nur der Anfang, sie sollen nur anregen, damit das Endgut der Wille suche. Was du auch immer siehst um dich herum und was du siehst in dir, all das soll nur „ein Zeichen sein zum Guten“. Aller einzelnen Naturen sollst du dich bedienen; denn von Natur hast du Verlangen nach der Fülle aller Güter. Die Natur überall soll dich so führen, dass nirgends, wohin der sterbliche Blick dringt, ein abschließendes Ende erscheine. „In den letzten Dingen der Sünder denke nach.“ Der Stolz ist nicht das „Letzte“ in der Handlung des Sünders. Andere bedienen sich des Stolzen zu ihren Zwecken. Das Vergnügen ist nicht das „Letzte“ im Thun des Schlemmers? Andere bedienen sich seiner Ausgaben, seiner leidenschaftlichen Neigung zu ihren Zwecken. Wie man ein Aas an die Falle steckt, um das Raubtier anzulocken, so bietet man dem Schlemmer ein Vergnügen; und man ist sicher, dass man ihn dann gebrauchen kann wie man will. Jeder Sünder ist ein Werkzeug, seine Sünde schließt das „Letzte“ nicht ein; dies erscheint schon hier auf Erden. Aber wie wird es erst erscheinen, wenn Gott selber kommen wird „zu richten die Sünder auf seinem heiligen Berge“! Nero diente mit seiner Wollust, mit seiner Grausamkeit zur Vermehrung des Strahlenglanzes der Tugenden des heiligen Petrus und Paulus. Alle Sünder dienen, um die Herrlichkeit der Heiligen zu vermehren. Bloß die natürlichen Güter wollten sie; und die Natur ist ja ihrem Wesen nach nur ein Prinzip, nur ein Anfang. Betrachten wir nur immer das „Letzte“; betrachten wir, wo der endgültige abschließende Ausschlag gegeben wird; und das Geheimnis wird sich lüften; wir werden „einsehen mit unseren Augen und schauen das wahre Ende der Sünder“. „Aber wegen der listigen Anschläge hast Du sie aufgestellt: herabgestürzt hast Du sie, als sie sich erheben wollten.“ O, dass wir einfältig würden wie die Tauben! Diese Einfalt, die zu Gott und immer in vollem Vertrauen ihre Zuflucht zu nehmen weiß, schließt ein die List der Schlange. In ihr ist die wahre allumfassende Wissenschaft. Wozu führen denn alle jene Ränke und Schlauheiten, mit denen der eine zur Gewalt, der andere zur Befriedigung seiner Rache, der dritte zu vielem Geldbesitze gelangt? Müht sich nicht unter dem Antriebe der Leidenschaft endlos der Sünder ab, um schließlich nie zum Ende zu kommen; wohl aber sehr oft zum eigenen vollen Bewusstsein, dass er für andere gearbeitet hat, der Geizige für seine Erben, der Gewalthaber für den Ruhm eines noch Mächtigeren, der Rachsüchtige für die Gelüste seiner Helfershelfer; dass sie gearbeitet haben, auf dass andere die Früchte ihrer Mühen genießen! Damit sichtbar werde, wozu menschliche List und Schlauheit führt und „somit die Weisheit gerechtfertigt erscheine vor ihren eigenen Kindern“; deshalb hat Gott die Sünder zugelassen. Er will ja niemanden zur Tugend zwingen. Mit eigenem Willen hat der Sünder die Stimme seiner Vernunft verachtet; mit eigenem Willen hat er in beschränkten Gütern der Natur nicht den Anfang, sondern den Abschluss seines Strebens gesetzt; mit eigenem Willen hat er in sich selbst, in grundlosen sinnlichen Begierden sein Wohlgefallen gefunden; weil er so wollte, hat er sich an der Vorstellung gefreut, die Tatsache, dass er nach etwas verlange, sei genügende Rechtfertigung für ein solches Verlangen! „Er hat sich erhoben in sich selbst“ und „gesprochen: es ist kein Gott“ — und kaum war der Akt vollendet, so stürzt er, wie die Schneelawine mit Elementargewalt von der Höhe herabrollt, hinab in die Tiefe des Unfriedens, des Streites mit sich selbst, der Verzweiflung. „Sowie se gemacht waren, um die trostlose Öde zu zeigen, sind sie urplötzlich gefallen: zu Grunde gegangen sind sie wegen ihrer Gottlosigkeit. Gleich dem Traumbilde derer, die des Morgens aufstehen: so hast du in Deiner Stadt ihr Bild zu nichts gemacht.“ Auch hier gibt Thomas so recht die vernunftgemäße Erklärung. Es ist ein tief einschneidendes Wort. „Die der Natur allein folgende Hinneigung geht auf die Sache selbst, wie sie im Bereiche des Stoffes wirkliches Sein hat; das sinnliche oder Vernünftige Begehren aber geht auf die Sache, insofern sie als Gut aufgefasst ist?“ Das Feuer strebt nach der Höhe; und es findet die Höhe, sowie sie da in der Natur besteht. Der Strom walzt seine Wasser naturnotwendig zum Meere; und diese finden das wirkliche Meer. Der Sinn aber begehrt gemäß dem Bilde, das vom Gegenstande in ihm ist. Der Wille strebt gemäß der Auffassung in der Vernunft. Beide suchen und finden nicht das Wirkliche, wie es besteht; ihre Auffassung suchen und finden sie. An ihrer Auffassung ergötzen sie sich. Der Gaumen will noch Süßigkeit, wenn auch der Magen sie nicht mehr aufnehmen kann. Im Ohre tönen noch die Zaubertöne der Musik, mögen diese auch in der Wirklichkeit längst verschwunden sein. „Der Teufel ist ein Maler,“ sagt einer der größeren Geistesmänner. Was der Wollüstige sieht, das besteht in der Wirklichkeit oft zum geringsten Teile. Er selbst malt sich seinen Gegenstand in sich aus und danach liebt er ihn. Ist diese seine Auffassung vorbei, so hasst er das Wirkliche am Gegenstande seiner Lust, trotzdem dieses dasselbe geblieben. Deshalb sagt der Psalm so ausdrücklich: „Ihr Bild hast du zu Nichts .gemacht.“ Wie Traumbilder sind die Gegenstände des sündhaften Begehrens. Hallt der Traum des Sinnenlebens fort oder wechseln im Innern diese Bilder, so möchte der Sünder die traurige Wirklichkeit zerreißen, die ihn vorher so angelockt hat; er möchte sich selber zerreißen, dass er so mit Blindheit geschlagen war; bis ihn eine neue Falle einfängt. Schon ist er ja in der Gewalt eines anderen Bildes und lauft diesem mit eben dem Eifer wie dem ersten nach; bis endlich der Traum des menschlichen Lebens vorbei ist und er „in der Stadt Gottes“ vor dem Tribunal des Ewigen erscheint, wo nur Wirklichkeit, nichts als reinste vernünftigste Wirklichkeit ist, wo keine Möglichkeit für eine täuschende Auffassung mehr besteht. Aber dies erkennt der Psalmist nicht allein, weil in seiner Vernunft das Licht Gottes leuchtet, weil er eingetreten ist in das Heiligtum Gottes und eingesehen hat in den letzten Dingen derselben; — die Wissenschaft, die von Gott kommt, ergreift das Herz, zerstört jene traumhaften Auffassungen der Sinne und setzt an die Stelle die nackte Wirklichkeit. „Weil entflammt ist mein Herz und meine Gebeine sind erschüttert: und zu nichts bin ich geworden und ich wusste es nicht.“ O seliges Zunichtewerden vor Gott! Das ist nicht das Nichts der Sünder; das ist das Nichts, kraft dessen die Tugend ihren endgültigen Wert in sich selber fühlt. Der Tugendakt schließt sein seliges Ende in sich ein; er hat in sich seinen Abschluss; er dient nie, er herrscht immer: „Der Weise herrscht über die Sterne.“ Der Tugendakt schließt ab mit dem ewigen Leben. Er hat das „Letzte“ in sich, weil er dem ersten Urgründe treu geblieben ist. Er brennt nach und nach aus das unreine Feuer im Herzen; er erschüttert heilsam die Sinne; er durchglüht Alles, was unter ihm ist, auf dass all dies dem Menschen allein und seinem endgültigen Besten diene. Warum? Weil er „die Arme ausbreitet nach oben“ und sagt: „Meine Seele ist vor dir wie wasserloses Erdreich;“ weil er „zu Nichts geworden ist in sich selbst vor dem Schöpfer.“ Nur Vermögen, endlos bestimmbares Vermögen will er bieten dem Urgute. Er will sein Ende nicht haben in den natürlichen Gütern, sondern erwartet es von da, wo Alles an erster Stelle beginnt und wohin Alles, mag es wollen oder nicht, mündet. „Und ich wusste es nicht!“ Wie der Psalmist nichts auslässt in diesem Kampfe des Guten gegen das Böse! Innerlich sind die Auffassungen der Vernunft und die Affekte des Willens. Unbewusst dem Menschen beginnen sie, unbewusst dem Menschen enden sie. „Dem aufgefassten Gute folgt der Wille.“ So aber wird jegliches Wesen aufgefasst, dass die Vernunft die Idee davon als reine Möglichkeit, als reines Vermögen um die entsprechende bestimmte Seinsstufe zu erkennen, innerhalb ihrer selbst einschließt. Vermittelst der Auffassung der Sinne erst wird dann diese an sich ganz und gar allgemeine innere Idee der erkennenden Vernunft gegenwärtig und nach Maßgabe der Anteilnahme der Sinne dem Menschen bewusst, so dass sie nun wirksam den Willen in seinem einzelnen Akte leiten kann. Folgt der Wille nun unter dem Anstoße des ersten Urgrundes treu der Vernunft, so kehrt der Akt wieder zurück in das reine Vernunftvermögen, „ist ja doch der Wille in der Vernunft;“ er wird nach Maßgabe der in der Vernunft allgemeinen Idee wieder reines endloses Vermögen, stärker zum Endlosen drängend, mit kräftigeren Fittichen über allem Beschränkten bleibend, mehr als je in allem Natürlichen nur einen etwelchen Anfang, ein Prinzip erblickend, im Ewigen aber das Ende. „Und der Mensch weiß nicht, ob er der Liebe oder des Hasses würdig ist.“ Dies ist eben das Wunderbare im freien Tugendakte, dass der Mensch da mit allem Eifer arbeitet; und sein Zweck im einzelnen, sein Sitz in der Seligkeit, der endgültige Wille Gottes ist ihm trotzdem unbekannt. Dies weist darauf hin, dass das erste Prinzip im Tugendakte Gott selber ist; und dass auf Grund seiner, nämlich Gottes, Kraft, also auf Grund von Gottes Allmacht der Tugendakt ein vollendeter wird „bis zum letzten hin“. Über das, was im Tugendakte die Hauptsache ist, über den Abschluss in Gott, der ihm unmittelbar folgt, sagt der Psalmist bezeichnend: Et nescivi. Was der Tugendakt nach unten leistet, wie er ausbrennt die sinnlichen Leidenschaften, wie er erschüttert „den Bauch, der am Boden hängt“, das weiß er. Aber kehrt dann diese Herrschertat zurück zum Endlosen in der Vernunft; da heißt es: „Zu Nichts bin ich geworden und ich wusste es nicht.“ Denn hier liegt der Grund für die Unterwürfigkeit des freien Willens unter Gott: „Wie ein Lasttier bin ich geworden.

 

Erster Artikel. Das Genießen ist eine Tätigkeit des Begehrungsvermögens.

 

a) Dem steht entgegen: I. Genießen heißt die Frucht ergreifen. Die Frucht des menschlichen Lebens aber, nämlich die ewige Seligkeit, ergreift der Verstand. (Vgl. Kap. 8, Art. 8.) Genießen also eignet dem Verstande zu. II. Die Frucht eines jeden Vermögens ist der Besitz des ihm entsprechenden Zweckes, also seine Vollendung; wie der Zweck des Auges ist das Sehen, des Ohres das Hören. Genießen also kommt jedem Vermögen zu. III. Genießen bedeutet ein gewisses Ergötzen. Das sinnliche Ergötzen aber gehört dem Sinne an, der sich an seinem Gegenstande ergötzt und ebenso gehört das vernünftige Ergötzen der Vernunft an. Genießen also eignet dem auffassenden Vermögen zu.

Auf der anderen Seite sagt Augustin (10. de Trin. 10 .): „Genießen will sagen einem Dinge anhängen, es lieben um dieses Dinges selber willen.“ Die Liebe aber ist eigen dem Begehrvermögen; also desgleichen das Genießen.

b) Ich antworte, Genießen habe zum Gegenstande die Frucht. Von Früchten aber sind uns am bekanntesten die sinnlich wahrnehmbaren. Was also da, im Bereiche des Sinnlich-Wahrnehmbaren, mit dem Ausdrucke „Frucht“ bezeichnet wird, das wird für die Bedeutung des letzteren maßgebend sein. Die sinnlich wahrnehmbare Frucht nun ist das, was an letzter Stelle vom Baume her erwartet wird und was eine gewisse Annehmlichkeit mit sich bringt. Also gehört das Genießen der Liebe an oder dem Ergötzen, was jemand hat an dem als schließliches Ergebnis Erwarteten, d. h. am Zwecke. Das Gute oder Ergötzliche aber und der Zweck ist Gegenstand des Begehrvermögens. Also ist Genießen eine Tätigkeit des Begehrvermögens.

c) I. Ein und dasselbe kann ganz wohl unter verschiedenen Gesichtspunkten verschiedenen Vermögen zugehören. Die Anschauung Gottes selber also, insoweit sie Anschauung ist, gehört der Vernunft an; insoweit sie aber ein Gut und der Zweck ist, erscheint sie als Gegenstand des Willens und somit ist Genießen eine Tätigkeit des Willens. Und diesen Zweck erreicht die Vernunft als das tätigseiende Vermögen, der Wille als das zum Zwecke hin bewegende und des erreichten Zweckes genießende Vermögen. II. Die Vollendung und der Zweck eines jeden anderen Vermögens ist eingeschlossen im Gegenstande des Begehrvermögens wie das Besondere, Einzelne im entsprechenden Allgemeinen. Insofern also die Vollendung und der Zweck eines jeden Vermögens ein gewisses Gut ist, so gehört dies dem Begehrvermögen an; deshalb bewegt das Begehrvermögen alle anderen Vermögen in deren entsprechender Zweckrichtung zu ihrer Vollendung hin und es selbst erreicht dadurch eben den Zweck, dass alle anderen Vermögen ihn erreichen. III. Im Ergötzen findet sich zweierlei: 1. Das Ergreifen des Zukömmlichen — und dies gehört dem auffassenden Vermögen an; 2. das Wohlgefallen in diesem Zukömmlichen — und das gehört dem Begehrvermögen an, in welchem der Grund des Ergötzens sich vollendet.

 

Zweiter Artikel. Das Genießen ist der vernünftigen Kreatur in vollendeter weise eigen, den Tieren in unvollendeter.

 

a) Dagegen scheinen die Menschen allein genießen zu können. Denn: I. Augustin (1. de doct. ch. 3 . et 22.) schreibt: „Wir sind Menschen, die wir genießen und gebrauchen.“ II. Das Genießen berücksichtigt nur den letzten Zweck, zu dem die Tiere nicht gelangen. III. Wie das sinnliche Begehrvermögen unter dem vernünftigen steht, so das rein natürliche unter dem sinnlichen. Gehört also das Genießen dem sinnlichen Begehrvermögen an, so könnte es in gleicher Weise auch der rein natürlichen Hinneigung angehören, was falsch ist. IV.

Auf der anderen Seite sagt Augustin (83. Qq. 30 .): „Es ist durchaus nicht absurd zu meinen, dass auch die Tiere sich am Genuss von Speise und dergleichen körperlichen Genüssen erfreuen.“

b) Ich antworte: Aus dem Vorgesagten ergibt sich, dass Genießen nicht die Tätigkeit jenes Vermögens ist, welches als das ausführende den Zweck erfasst, sondern jenes anderen, das diese Ausführung anbefiehlt. Denn das Genießen geht das Begehrungsvermögen an. In den aller Kenntnis ermangelnden Dingen nun wird wohl ein Vermögen oder eine Kraft gefunden, welche den vorliegenden Zweck als eine ausführende erreicht, wie das Schwere nach der Tiefe zu fällt. Ein Vermögen aber, welches befiehlt oder es auflegt, den Zweck zu erfassen, besteht nicht innerhalb dieser Dinge; ein solches ist vielmehr in einer höheren Natur, welche durch ihr Gebot die ganze betreffende Natur in ähnlicher Weise in Tätigkeit setzt oder bewegt, wie in den mit Erkenntniskraft ausgestatteten Wesen die Begehrkraft alle anderen Vermögen und Kräfte zu deren Tätigkeit hin bewegt. Also findet sich ein Genießen zuvörderst nur in den mit Erkenntniskraft ausgestatteten Wesen, wenn auch die erkenntnislosen Wesen zu ihrem Zwecke ebenfalls gelangen. Die Erkenntnis des Zweckes aber ist eine doppelte: eine vollkommene, die nicht nur erkennt das, was ein Gut oder was Zweck ist, sondern auch den allgemeinen Grund dafür, dass etwas ein Gut oder Zweck sei; — und eine solche Kenntnis ist nur der vernünftigen Kreatur eigen. Dann gibt es eine unvollkommene Kenntnis, welche nur auf ein besonderes, beschränktes Gut sich richtet; — und eine solche Kenntnis ist auch den Tieren eigen, in denen zugleich die begehrenden Kräfte nicht mit Freiheit befehlen, sondern kraft natürlichen Antriebes oder Instinktes zu dem hinbewegt werden, was sie erfassen. Ein vollkommenes Genießen kommt daher nur der vernünftigen Kreatur zu; ein unvollkommenes auch den Tieren.

c) I und IV erledigen sich gemäß dem vollkommenen und unvollkommenen Genießen; in I spricht Augustin vom ersten; in IV vom unvollkommenen, weshalb da auch steht: „es ist nicht adeo absurdum,“ nämlich von den Tieren das Genießen auszusagen, wie es absurd wäre, ihnen ein „Gebrauchen“, ein uti, ein Beziehen des einen Dinges zum anderen wie des Mittels zum Zwecke zuzuschreiben. II. Genießen braucht nicht so im allgemeinen immer den letzten Zweck zu betreffen; sondern das, was von einem jeden Wesen als letzter Zweck betrachtet wird. III. Die sinnliche Begehrkraft folgt einer gewissen Kenntnis; nicht aber die rein natürliche Hinneigung, zumal in den der Erkenntnis baren Dingen.

 

Dritter Artikel. Gegenstand des Genießens im eigentlichen Sinne ist nur der letzte Endzweck.

 

a) Dagegen heißt es bereits: I. Ad Philem. 20.: „Also, Bruder, ich werde deiner Gegenwart genießen im Herrn.“ Offenbar hat Paulus aber seinen letzten Zweck nicht in einem Menschen gefunden. Also ist nicht der letzte Endzweck allein Gegenstand des Genießens. II. Gal 5. steht: „Die Früchte des Geistes sind: Liebe, Freude etc.“ Früchte aber sind Gegenstand des Genießens; also ist dies nicht der letzte Zweck allein. III. Es genießt jemand auch seines eigenen Genusses; da der Willensakt sich auch zu sich selbst zurückwendet, und ich wollen kann dass ich will, lieben kann dass ich liebe. Zudem sagt Augustin (10. de Trin. 10 .): „Der Wille ist es, vermittelst dessen wir genießen.“ Auf der anderen Seite sagt der nämliche Augustin (l. c. 11.): „Jener genießt nicht im eigentlichen Sinne, der das, was er als Gegenstand seines Willens ansieht, um etwas Anderem willen begehrt.“ Nur aber der letzte Endzweck wird wegen seiner selbst begehrt.

b) Ich antworte, zur Natur einer Frucht gehöre zweierlei: 1. dass sie das „Letzte“ sei und 3. dass sie das Begehren durch ihre Annehmlichkeit beruhige. Nun kann etwas unter allen Umständen und nach allen Seiten hin das letzte sein, insofern es nämlich auf etwas Anderes nicht bezogen wird; — oder es kann für eine Reihe von Dingen das letzte sein, also nur unter einer gewissen Voraussetzung. Was nach allen Seiten hin als letzter Endzweck das letzte ist und endgültig mit seiner Annehmlichkeit das Begehren beruhigt, das wird im eigentlichen Sinne Frucht genannt und dem gilt recht eigentlich das Genießen. Was jedoch an sich gar nicht ergötzlich ist, sondern nur kraft der Beziehung zu anderem begehrt wird, wie der bittere Trunk kraft der Beziehung zur Gesundheit, das kann in keiner Weise als Frucht bezeichnet werden. Was aber in sich wohl ein gewisses Ergötzen bietet und so der Grund ist, dass etwas Vorhergehendes begehrt wird, das wird allerdings Frucht genannt, aber nur gewissermaßen und unter Voraussetzung; nicht in vollendeter Weise. Deshalb sagt Augustin (10. de Trin. 10 .): „Wir genießen der Güter, die wir kennen, in welchen der Wille sich ergötzend ausruht.“ Der Wille aber ruht endgültig nur aus im letzten Endzwecke; denn so lange er noch auf etwas wartet, ruht er nicht voll aus, mag er auch schon zu einer gewissen Vollendung gelangt sein. So ist ja auch in der Bewegung von Ort zu Ort das in der Mitte der betreffenden Raumgröße Liegende nach einer Seite hin Anfang und nach der anderen Seite hin Ende; es wird aber einfach und ohne weiteres als Ende nur das angesehen, worin geruht wird.

c) I. Augustin sagt zu dieser Stelle (1. de doct. ch. 33 .): „Hätte der Apostel nicht hinzugesetzt „im Herrn“, so würde es geschienen haben, als ob er in einem Menschen den Endzweck seiner Freude gefunden; so aber drückt er mit seinen Worten aus, wegen des Herrn, also im Herrn habe er seine Freude und somit betrachtet er den Herrn als seinen Zweck und erfreut sich des Philemon als des Mittels zu diesem Zwecke.“ II. Die Frucht steht zum hervorbringenden Baume im Verhältnisse wie die Wirkung zur Ursache; zum Genießenden aber wie das an letzter Stelle Erwartete und Ergötzliche. Die „Früchte des heiligen Geistes also“, die der Apostel da aufzählt, werden so genannt, weil sie vom heiligen Geiste in uns hervorgebracht sind; nicht weil wir derselben als des letzten Endzweckes genießen. Oder nach Ambrosius (I. Sent. dist. 1.) werden sie so genannt, weil sie wegen ihrer selbst begehrenswert sind; nicht als ob sie zur Seligkeit in keiner Beziehung ständen, sondern weil sie etwas Ergötzliches in sich selbst haben. III. Zweck wird genannt: 1. das betreffende Wesen selber; und 2. die Erreichung desselben. Es sind dies nicht zwei Zwecke, sondern der eine selbe Zweck, das eine Mal in sich betrachtet; und dann als einem anderen zugänglich. Gott an sich also ist der letzte Endzweck, wie ein Wesen, das gesucht wird; das Genießen ist letzter Endzweck, wie die Erreichung, der Besitz Gottes. Sowie also kein anderer Zweck ist: Gott und das Genießen Gottes; so ist es auch der gleiche Grund des Genießens sei es dass wir Gottes genießen, sei es dass wir des Genießens Gottes genießen.

 

Vierter Artikel. Das Verhältnis des Genießens zum Besitze des Zweckes.

 

 

a) Es scheint, nur des Zweckes, den man bereits erreicht hat, könne man genießen. Denn: I. Augustin sagt (10. de Trin. 11 .): „Genießen will sagen mit Freuden gebrauchen; und zwar die Sache selber, nicht bloß das Hoffen auf deren Besitz.“ Wird aber ein Wesen nicht besessen, so besteht keine Freude an diesem Wesen, sondern nur an der Hoffnung, es einst zu besitzen. Also ist da kein Genießen. II. Das Genießen hat zum Gegenstande nur den letzten Endzweck; denn dieser allein befriedigt das Begehren. Nur aber im Besitze desselben ist das Begehren ruhig. III. Genießen heißt die Frucht ergreifen. Also muss die Frucht, hier der Zweck, bereits besessen sein, ehe ein Genuss möglich ist. Auf der anderen Seite: „Genießen will sagen mit Liebe einem Wesen anhangen um dieses Wesens selber willen,“ so Augustin. (1. de doct. ch. 4 .) Das kann aber bereits geschehen, ehe dieses Wesen besessen wird. Also man kann des letzten Endzweckes genießen, auch wenn man selbigen noch nicht besitzt.

b) Ich antworte; Genießen schließt ein gewisses Verhältnis ein zwischen dem Willen und dem letzten Endzwecke, je nachdem der Wille etwas als den letzten Endzweck festhält. Festhalten aber als letzten Endzweck kann der Wille in zweifacher Weise: einmal vollkommen; wann der letzte Zweck nicht nur kraft der Absicht festgehalten wird, sondern auch in der Sache selber; — dann unvollkommen, wann er nur in der Absicht festgehalten wird. Danach berücksichtigt das vollkommene Genießen den besessenen Zweck; das unvollkommene die betreffende Absicht.

c) I. Augustin spricht vom vollkommenen Genießen. II. Das Ausruhen des Willens wird in doppelter Weise gehindert: einmal vom Gegenstande her, insofern derselbe nicht der letzte Endzweck ist, sondern zu etwas Anderem hingeordnet ist; dann vom verlangenden Willen her, insofern selbiger den Zweck noch nicht besitzt. Der Gegenstand nun verleiht dem Wirken seine bestimmte Gattung und Gestalt; vom Tätigseienden aber hängt ab die Art und Weise des Wirkens, ob sie nämlich je nach der Verfassung des Tätigseienden eine vollkommene sei oder eine unvollkommene. Und deshalb geht auf das, was nicht letzter Endzweck ist, das Genießen nur im uneigentlichen Sinne, es entfernt sich nämlich von jener Gattung des Wirkens, welche man „Genießen“ nennt. Auf den wahren letzten Zweck aber geht das eigentliche Genießen, auch wenn dieser Zweck nicht besessen wird; nur ist es dann in unvollkommener Weise von seiten des Wollenden auf den letzten Zweck gerichtet, weil der letzte Zweck dann in unvollkommener Weise festgehalten wird, nämlich in der Absicht nur. III. Der Zweck kann auch ergriffen und festgehalten werden vermittelst der Absicht.

 

Quaestio 12. Die Absicht.

 

Erster Artikel. Die Absicht ist wesentlich eine Tätigkeit des Willens.

 

a) Dementgegen scheint die Absicht oder gute Meinung vielmehr der Vernunft zuzugehören. Denn: I. Mt 6. heißt es: „Wenn dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Körper leuchten,“ wo nach Augustin (2. de serm. Dom. i n monte c. 13.) durch das „Auge“ die Absicht oder gute Meinung ausgedrückt ist. Da nun das Auge das Organ oder Werkzeug des Sehens ist, so bezeichnet es ein auffassendes Vermögen. Also ist die Absicht vielmehr der Akt eines auffassenden wie eines begehrenden Vermögens. II. Augustin sagt desgleichen a. a. O., dass die Absicht vom Herrn als „Licht“ bezeichnet wird, wo Er sagt: „Wenn das Licht, welches in dir ist, Finsternis ist…“ Der Ausdruck „Licht“ aber weist auf das Erkennen hin. III. Die Absicht drückt eine gewisse Hinordnung aus auf den Zweck. Ordnen aber gehört der Vernunft an. IV. Die Tätigkeit des Willens richtet sich auf den Zweck oder auf das Zweckdienliche. Im ersten Falle wird sie „Genießen“ genannt, im zweiten Falle „Auswahl“; von welchen beiden Beziehungen die Absicht sich unterscheidet. Also geht sie nicht vom Willen aus.

Auf der anderen Seite sagt Augustin (10. de Trin. 7 .): „Die Absicht, welche im Willen sich findet, verbindet den gesehenen Körper mit dem Sehen; und ebenso das geistige Bild, welches im Gedächtnisse sich findet mit der Schärfe des Geistes, der innerlich denkt.“