Sunset City - Melissa Ginsburg - E-Book

Sunset City E-Book

Melissa Ginsburg

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  • Herausgeber: Polar Verlag
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Vor den Drogen war Danielle Reeves Charlotte Fords treueste und lebhafteste Freundin. Sie half Charlotte durch die Krankheit und den Tod ihrer Mutter und sprach offen über ihre eigene kaputte Familie. Die beiden Freundinnen waren unzertrennlich und schwelgten in Houstons schattigen Ecken. Aber dann ergriff die Sucht Besitz von Danielle und sie kam für vier Jahre ins Gefängnis. Nach ihrer Entlassung verbinden sie und Charlotte sich wieder. Charlotte hofft, dass dies ein Neuanfang für ihre Freundschaft ist. Doch dann taucht ein Detektiv in Charlottes Wohnung auf. Danielle wurde ermordet, zu Tode geprügelt. Von Trauer überwältigt, ist Charlotte entschlossen zu verstehen, wie die lebendigste Person, die sie je gekannt hat, so enden konnte. Charlottes Leben gerät aus den Fugen und sie taucht in die Schattenseiten der Stadt hinab, wo sie die Stripperinnen, Pornografen und Drogendealer trifft, die Danielle in den letzten Jahren umgaben. Ginsburgs Houston ist Teil eines weniger bekannten Südens, in dem Stadt und Land aufeinanderprallen. In dieser Schattenwelt verschwimmen Schuld und Mitgefühl. Doch je tiefer Charlotte in Danielles dunkle Welt eintaucht, desto weniger versteht sie. War Danielle ein glückloses Opfer oder Meistermanipulator? Wollte sie wirklich noch einmal von vorn anfangen oder war alles nur gespielt? Um die Wahrheit herauszufinden, muss Charlotte einen klaren Kopf bewahren und auf der Hut sein. Houston hat eine Art, sich von schlechten Angewohnheiten zu ernähren, und Charlotte will nicht von diesem Moloch geschluckt werden, als ein Opfer ihrer eigenen qualvollen Begierden.

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Sunset City

Aus dem Amerikanischen von Kathrin BielfeldtHerausgegeben von Jürgen Ruckh

Originaltitel: Sunset City

Copyright: © 2016 by Melissa Ginsburg

Deutsche Erstausgabe, 1. Auflage 2023

Aus dem Amerikanischen von Kathrin Bielfeldt

Mit einem Nachwort von Sonja Hartl

© 2023 Polar Verlag e.K., Stuttgart

www.polar-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) oder unter Verwendung elektronischer Systeme ohne schriftliche Genehmigung des Verlags verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Eva Weigl

Korrektorat: Andreas März

Umschlaggestaltung: Britta Kuhlmann

Coverfoto: © Cory /Adobe Stock

Autorenfoto: © Melissa Ginsburg

Satz/Layout: Martina Stolzmann

Gesetzt aus Adobe Garamond PostScript, InDesign

Druck und Bindung: Nørhaven, Agerlandsvej 3, 8800 Viborg, DK

Printed in Denmark 2023

ISBN: 978-3-948392-68-0

eISBN: 978-3-948392-69-7

Für Chris

Where are the arrows that have bandagesInstead of feathers at their ends

Wo sind die Pfeile, die am EndeVerbände haben statt Federn

BILL KNOTT

Inhalt

Kapitel Eins

Kapitel Zwei

Kapitel Drei

Kapitel Vier

Kapitel Fünf

Kapitel Sechs

Kapitel Sieben

Kapitel Acht

Kapitel Neun

Kapitel Zehn

Kapitel Elf

Kapitel Zwölf

Kapitel Dreizehn

Kapitel Vierzehn

Kapitel Fünfzehn

Danksagungen

Licht und Schatten

Kapitel Eins

Es hatte die ganze Nacht hindurch geregnet und jetzt stieg das Wasser rauschend und strudelnd über die Ufer des Grabens vor meinem Haus. Ganz Houston war auf einem befestigten Feuchtgebiet erbaut und ständig überflutet. Wegen des Sturms war der Himmel noch dunkel und die Straßenbeleuchtung schimmerte in der Morgendämmerung. Ich stieg in meine Gummistiefel und stapfte platschend zum Grillimbiss um die Ecke. Ich bestellte eine gebackene Kartoffel, gefüllt mit Butter, Sour-Cream, Speck und langsam geräucherter Rinderbrust, und kaufte mir dann nebenan im Getränkekiosk noch ein Bier. Auf dem Rückweg wurde es wärmer und die Feuchtigkeit lag schwer in der Luft.

Als ich mich meinem Gebäude näherte, bemerkte ich einen Typen auf meinem Treppenabsatz. Ich kannte ihn nicht. Vermutlich irrte er sich in der Tür.

»Wen suchen Sie?«, rief ich ihm zu.

»Charlotte Ford«, sagte der Mann.

Er stand unter dem Vordach meiner Haustür, zu drei Seiten von einem Vorhang aus Regen umgeben. Er hatte grobe, dunkle Gesichtszüge: tief liegende Augen, ein markantes Kinn und eine runde irische Nase, die sein Gesicht etwas weicher erscheinen ließ. Mir gefiel, wie er meinen Namen aussprach.

»Das bin ich«, sagte ich. »Kennen wir uns?«

»Nein.«

Er machte mir Platz, damit ich aus dem Regenguss herauskam. Wir standen dicht nebeneinander innerhalb der Wasserwände, während ich meinen Schlüssel herauskramte. Aus seinem Haar tropfte Regen auf seine Nase und er wischte ihn weg. Ich lächelte unvermittelt, weil er so nah stand und so gut aussah. Dann schaffte ich es, die Tür zu öffnen, schob sie mit dem Rücken auf und stellte mein Essen im Flur auf das Sideboard.

»Detective Ash«, sagte er. »HPD.«

Mir fielen sofort sämtliche Gesetze ein, die ich je gebrochen hatte, und ich versuchte einzuschätzen, in welcher Klemme ich steckte. Cops lösten bei mir immer eine Scheißangst aus – ein Reflex aus der Zeit, als ich gedealt hatte.

»Sie sind also Charlotte Ford?«, fragte er.

Ich nickte.

»Darf ich reinkommen?«, sagte er.

»Okay«, sagte ich, äußerlich ruhig.

Er trat ein und sah sich um. Von uns beiden tropfte Wasser auf den Boden. Ich brachte meine Einkaufstüten in die Küche und verstaute das Bier und das Essen im Kühlschrank. Der Detective folgte mir, lehnte sich gegen die Wand und beobachtete mich. Er nahm zu viel Raum ein. Ich fühlte mich eingeengt, wie gefangen. Ich schwitzte in meinem knallroten Regenmantel, dessen Baumwollfutter mit Einhörnern gemustert war.

»Kennen Sie Danielle Reeves?«, fragte er.

»Sicher kenne ich Danielle.«

Mir hätte klar sein sollen, dass es etwas mit ihr zu tun hatte. Danielle war meine älteste Freundin, der einzige Mensch auf der Welt, der verstand, woher ich kam. Ich hatte sie in den letzten Jahren kaum gesehen, doch das spielte keine Rolle. Ich war bereit, ihre Kaution zu stellen, für sie zu lügen, ihr ein Alibi zu geben – was immer sie brauchte. Sie war meine Freundin. Ich würde sie beschützen.

»Worum geht’s hier?«, fragte ich.

»Ich befürchte, ich habe schlechte Nachrichten«, sagte er. »Danielle Reeves ist tot.«

»Was?«, sagte ich.

»Danielle ist tot«, wiederholte der Detective.

»Tot?«

»Sie wurde ermordet«, sagte er und musterte mich eingehend. »Setzen wir uns.«

Wir gingen ins Wohnzimmer und ich setzte mich aufs Sofa. Er nahm den Sessel am Fenster. Der Schein der Straßenbeleuchtung ergoss sich um seine Gesichtskonturen.

»Sind Sie sicher?«, fragte ich.

»Ja.«

»Das ist doch Irrsinn. Ich habe kürzlich noch mit ihr gesprochen.«

»Wann war das?«

»Vor zwei Tagen. Sonntagabend. Wir haben uns auf einen Drink getroffen.«

»Und gestern?«

»Gestern, nein, da habe ich sie nicht gesehen. Ich habe Sonntag das letzte Mal mit ihr gesprochen.«

»Wo waren Sie gestern Abend?«

»Hier. Es hat geregnet. Ich bin nicht ausgegangen.«

»Kann das jemand bezeugen?«

Ich schüttelte den Kopf. Er schrieb etwas in ein Notizbuch. Mir fiel plötzlich auf, wie der Regen draußen auf die Autos prasselte. Ich suchte in der Tasche meines Regenmantels nach einer Zigarette. Wasser rann am Regenmantel herunter und durchfeuchtete das Polster. Ich zog ihn eigentlich immer an der Tür aus und hängte ihn an den Haken. Warum war das nicht passiert? Mir schwirrte der Kopf, verwirrt, wie die Strömung draußen im Gully – ich konnte keinen klaren Gedanken fassen.

Ich nahm einen tiefen Zug an der Zigarette. Der Rauch waberte um meinen Kopf und hing wegen der Feuchtigkeit schwer in der Luft.

Ash sagte: »Danielles Mutter erwähnte, dass Sie und Danielle alte Freundinnen seien.«

Als ich zu sprechen versuchte, war meine Kehle zugeschnürt und ich begann zu schluchzen. Bestürzt und neugierig zugleich beobachtete ich mich selbst. Ich begriff noch nicht mal die Situation, und doch fing ich hier vor einem Fremden an zu heulen. Nichts davon ergab einen Sinn. Mir fiel die Zigarette aus der Hand. Der Detective hob sie auf und drückte sie im Aschenbecher auf der Fensterbank aus. Ein Teil meines Hirns dachte, wie ich wohl aussehen musste: Kein Make-up, Schnodder und die schrecklichen Geräusche, die meiner Kehle entwichen. Das Ganze wurde mir mehr und mehr unangenehm, wodurch es noch schwieriger wurde, mich zusammenzureißen. Ich benötigte eine Weile, bis ich wieder normal atmen konnte.

Der Detective starrte mich an, wie man eine Skulptur ansieht, ohne sich zu kümmern, was in mir vorging. Was er über Danielle gesagt hatte, konnte einfach nicht wahr sein. Es ergab keinen Sinn. Sie hatte bereits all die Drogen und das Gefängnis überlebt. Endlich kam sie klar.

»Sie kann nicht tot sein«, sagte ich.

»Doch, sie ist es, Miss Ford.«

»Nicht ermordet. Das ist absurd. Wenn sie hätte sterben sollen, dann wäre das schon viel früher passiert.«

»Wie meinen Sie das?«, fragte der Detective.

»Vergessen Sie’s.«

Er schrieb wieder etwas in sein Notizbuch und sagte dann: »Erzählen Sie mir von dem Abend, an dem Sie sich mit Danielle getroffen haben.«

»Wir haben uns auf einen Drink verabredet.«

»Kam das häufiger vor?«

»Eigentlich nicht«, sagte ich. »Wir hatten irgendwie den Kontakt verloren.«

»Seit wann?«

Ich sah weg und schwieg. Es lag schon ein paar Jahre zurück, zwischen ihrer Drogenzeit und dem Gefängnis, aber darüber würde ich mit diesem Typen nicht reden.

»Als sie ins Gefängnis ging?«, fragte er.

Ich hasste es, dass er das über sie wusste. Ich sah sie aus seinem Blickwinkel – eine Stripperin, Drogenabhängige, Straftäterin. Ich konnte das Urteil in seinen Augen sehen, die Abfälligkeit.

»Das verstehen Sie nicht«, sagte ich.

»Was verstehe ich nicht?«, fragte er.

»Sie ist kein Junkie oder eine Stripper-Hure. Das ist Bullshit.«

»Miss Ford, entspannen Sie sich. Ich versuche doch nur …«

»Lassen Sie sie in Ruhe. Sie dürfen sie nicht verurteilen, nur weil sie im Gefängnis war – Sie wissen überhaupt nichts über sie!«

Ich hatte gar nicht aufstehen oder so laut werden wollen. Die Muskeln in meinen Beinen verkrampften sich und fingen an zu zittern. Ich hätte am liebsten irgendwo gegengetreten oder wäre gerannt und gerannt.

»Okay«, sagte der Detective und stand auch auf. Er sah nicht mehr freundlich aus. »Kommen Sie mit mir mit«, sagte er.

»Wohin? Warum?«

»Aufs Revier.«

»Nehmen Sie mich fest?«

»Nicht wenn ich nicht muss.«

Er nahm meinen Arm und schob mich zur Tür, wo er wartete, bis ich sie abgeschlossen hatte. Wir gingen zu seinem Wagen, einem grünen SUV, der mitten auf der Straße parkte, direkt neben dem tiefen Graben. Ich trat in eine Pfütze und mir lief Wasser in die Gummistiefel. Er öffnete die Beifahrertür und wartete, bis ich eingestiegen war. Dann fuhr er schweigend zu einer Ladenzeile an der Richmond und hielt auf einem Parkplatz voller Streifenwagen. Drinnen führte er mich an einer Gruppe uniformierter Polizisten und einem Raum voller Schreibtische vorbei. Eine Seite wurde von Bänken gesäumt. Ein schwarzer Junge, ungefähr fünfzehn Jahre alt, saß mit gefesselten Händen an dem einen Ende und blickte zu Boden, auf seine offenen Schuhe. Der ganze Ort knallte laut und hässlich gegen meine Augen. Der Detective führte mich in einen feuchtkalten, fensterlosen Raum mit einem Tisch, einem Stuhl und einer Kamera, montiert in einem Stahlkäfig. Lampen flimmerten von der Decke.

»Warten Sie hier«, sagte er.

Er ging und schloss die Tür hinter sich. Dem Schalensitz aus Plastik fehlte eine der Schrauben, die ihn mit dem Metallgestell verbanden, und der Sitz wackelte und bog sich, als ich mein Gewicht verlagerte. Die Wände bestanden aus grünen Betonblöcken, nur unterbrochen von der Tür und einem dunklen Spiegel gegenüber. Ich schaute kurz auf mein Spiegelbild – mein Gesicht blass und schmuddelig, mit nassen Haarsträhnen, die an meinem Gesicht klebten – und wandte dann den Blick ab. Ich dachte immerzu, dass ich nicht hier sein sollte. Das musste ein Versehen sein. Ich holte mein Handy heraus und versuchte, meinen Freund Michael anzurufen. Ich wünschte, ich wäre bei ihm in seinem gemütlichen Apartment oder wieder zu Hause oder sonst wo, egal. Aber es funktionierte nicht, ich hatte keinen Empfang.

An einem Riss im Betonboden sah man, wo das Fundament sich verzogen hatte. Feuchtigkeit sickerte herein, und mir fiel wieder ein, dass es draußen regnete. Die Deckenbeleuchtung summte, von irgendwo hörte man gedämpfte Stimmen und Telefongeklingel. Danielle konnte unmöglich tot sein. Sie war der lebendigste Mensch, den ich kannte.

Der Detective kam mit einem Stuhl und einer Aktenmappe herein.

»Ich habe kein Interesse daran, Ihre Freundin zu verurteilen. Ich treffe keine Annahmen über sie«, sagte er. »Da irren Sie sich.«

Er öffnete die Mappe und schob ein paar Fotos über den Tisch. Eines fiel zu Boden und ich bückte mich, um es aufzuheben. Er beobachtete mich, mit verschränkten Armen und wippendem Fuß.

»Niemand«, sagte er, »egal wer und was er oder sie getan hat, sollte so etwas durchmachen. Was Danielle zugestoßen ist, ist furchtbar. Ich versuche herauszufinden, wer sie umgebracht hat. Ich verurteile sie nicht. Ich bin auf der Suche nach Informationen.«

Ich betrachtete die Bilder in meiner Hand. Nichtssagende Formen und Farben, die sich zusammenfügten, und ich sah eine Person, und Blut. Sehr viel Blut. Mein Blick glitt fort und ich ließ das Foto fallen. Er gab mir ein weiteres, eine Nahaufnahme von Danielles Gesicht, aufgequollen und von braunen Flecken überzogen. Ich erkannte ihr Kinn, und ihren Arm im Vordergrund des Fotos, zerschrammt, fleckig, und die Finger zusammengekrümmt. Ein langer Nagel hing abgebrochen herunter, immer noch an einer Ecke mit Kleber am Nagelbett befestigt. Die Fotos waren in einem Hotelzimmer aufgenommen worden: eine Lampe, eine an der Wand festgeschraubte Meerlandschaft. An manchen Stellen verdeckte das braune Blut alles.

»Es war ein stumpfer Gegenstand«, sagte er. »Er war schwer.«

Das nächste Foto zeigte ihre Brust, eingedrückt und verformt. Ihre falschen Brüste saßen oben auf dem zerstörten Körper, waren intakt und standen in die falsche Richtung. Ihre Bluse war blutgetränkt.

»Gebrochene Rippen«, sagte er. »Die Knochensplitter haben ihre Lunge durchbohrt. Daran könnte sie gestorben sein oder an dem Blutverlust, das versuchen wir noch festzustellen. Einige der Verletzungen wurden post mortem zugefügt. Verstehen Sie, was das bedeutet, Miss Ford? Die Person, die das getan hat, hat weiter zugeschlagen, obwohl sie schon tot war.«

Ich schloss die Augen und versuchte zu atmen. In meinem Mund sammelte sich Speichel.

»Sie übergeben sich doch hier jetzt nicht, oder?«, sagte er.

Er schnappte sich den Papierkorb und stellte ihn neben mich. Ich packte die Tischkanten und stand auf. Ich musste raus, fort von diesen Bildern.

»Ich fühle mich nicht gut«, sagte ich, doch ich konnte mich selbst wegen des Rauschens in meinen Ohren nicht hören. Dann wurde alles weiß.

Als ich wieder zu mir kam, schien ich auf dem Boden zu liegen. Ich konnte nichts hören. Übelkeit kreiste durch meinen Körper. Der Detective ragte hoch über mir auf und ich sah, wie ihm ein uniformierter Polizist ein paar braune Papierhandtücher und ein Glas Wasser reichte. Mein Kopf tat weh. Mein Arm tat weh. Ich berührte meinen Kopf und meine Finger waren hinterher feucht.

»Ist nicht so schlimm, denke ich«, sagte der Detective zu dem anderen Cop. »Der Kopf blutet immer stark.« Er kniete sich neben mich und sagte meinen Namen. »Miss Ford? Charlotte? Sehen Sie meine Hand an. Folgen Sie meiner Hand mit den Augen.«

Seine Gesichtszüge waren unscharf und wurden von hinten durch die Deckenleuchten angestrahlt. Ich versuchte zu sprechen, doch es klang kratzig.

»Ich setze Sie jetzt aufrecht hin, okay?«, sagte er.

Der Detective hob mich an den Schultern an und versuchte gleichzeitig, meinen Kopf zu stützen. Er drückte die Papierhandtücher fest gegen meine Stirn, dorthin, wo es am meisten wehtat. Ich blinzelte, lehnte mich gegen ihn und versuchte, meinen Blick zu fokussieren. Er stützte mich an der Wand ab und richtete meine Beine gerade vor mir aus.

»Geh und hol eine Limonade«, sagte er dem anderen Typen. »Und einen Schokoriegel.«

Der Detective nahm ein paar saubere Papierhandtücher von dem Stapel neben ihm und ersetzte die blutigen. Es machte mir nichts aus, dort zu sitzen, während er sich um mich kümmerte. Solange ich diese Bilder nicht mehr ansehen musste.

»Das muss vermutlich nicht genäht werden«, sagte er.

Der andere Cop kam mit einem Hawaiian Punch und einer Tüte Cracker in Tierform. Der Detective knackte die Dose und hielt sie mir an die Lippen. »Kleine Schlucke, Charlotte. Gut. Alles in Ordnung, Sie schaffen das.«

Er nahm das Papiertuch von meiner Stirn und sagte: »Ihr Gesicht bekommt wieder etwas Farbe. Legen Sie einen Arm um meinen Hals. Ich denke, Sie können jetzt aufstehen. Fertig? Ich helfe Ihnen.«

Ich lehnte mich an ihn. Er roch nach Regen und Haut mit einem scharfen Aftershave darunter. Er half mir auf den Stuhl, nahm meine Hände und legte sie mir auf den Schoß.

»Sie haben sich beim Fallen am Tisch gestoßen«, sagte er. »Trinken Sie.«

Ich nahm noch einen Schluck Limo.

»Wir bringen Sie bald nach Hause, in Ordnung? Werden Sie oft ohnmächtig?«

»Nein.«

»Wenn Sie sich schwindlig fühlen, beugen Sie sich vor. Legen Sie Ihren Kopf zwischen die Knie. Und stehen Sie das nächste Mal nicht so schnell auf.«

»Okay«, sagte ich.

»Tut mir leid wegen der Fotos. Mit Ihnen jetzt alles wieder in Ordnung? Genug, um zu reden?«

Ich nickte.

»Okay. Sie haben Danielle in letzter Zeit nicht gesehen, bis auf Sonntag.«

»Ja.«

»Warum Sonntag?«

Ich holte tief und flatternd Luft und begann zu reden.

Kapitel Zwei

Detective Ash hörte zu, während ich ihm erzählte, was Sonntag passiert war. Danielles Mutter Sally hatte am Morgen angerufen und darauf bestanden, dass ich bei ihr im Büro vorbeikäme. Ich war überrascht, von ihr zu hören. Ich wusste noch nicht mal, dass sie meine Nummer hatte. Doch ich hörte das Drängen in ihrer Stimme und willigte ein, vorbeizukommen. Wahrscheinlich war ich neugierig. Das, und außerdem hatte ich nichts zu tun. Ich arbeite im Coffeeshop und es war mein freier Tag, den ich mit Michael verbringen wollte, doch er antwortete nicht auf meine SMS.

Außerdem war es immer schon schwer, Sally etwas abzuschlagen. Ich fuhr zu ihrem Bürogebäude, einem Glasturm, der in den Himmel Houstons ragte. Sally kam heraus und winkte. Sie trug offensichtlich maßgeschneiderte Shorts, flache Ballerinas und eine bedruckte Jerseybluse. Selbst in lockeren Klamotten wirkte sie einschüchternd und reich.

»Hi, Charlotte«, sagte sie. »Danke, dass du vorbeigekommen bist.«

»Klar«, sagte ich. In Sallys Nähe hatte ich mich schon immer unbehaglich gefühlt. »Kein Problem.«

Unsere Schritte hallten über die polierten Steinböden, als wir zu einer Reihe von Fahrstühlen gingen. Wir fuhren in ihr Stockwerk und sie führte mich durch eine Flügeltür, vorbei an einem Empfangstresen und zwei Ledersofas. An der Wand hingen eine Reihe von Fotos, auf denen die verschiedenen Stadien des Revitalisierungs-Projekts des Rice Hotels zu sehen waren. Vor Jahren war die Innenstadt nach siebzehn Uhr eine verlassene Einöde. Niemand glaubte, dass Menschen dort leben wollten oder am Abend dort hingehen würden. Sallys Firma war ein Wegbereiter, der die City veränderte, aufwertete und damit Millionen machte. Inzwischen schossen überall urbane Lofts empor, selbst in den Vorstädten.

Die Klimaanlage ließ meinen Schweiß vor Kälte erstarren und ich bekam Gänsehaut auf den Armen. Wir gingen den Flur hinunter zu ihrem Büro. Aus einem riesigen Fenster blickte man in das Atrium des Gebäudes, gefüllt mit blättrigen Pflanzen, Farnen und Paradiesvögeln. Sonnenlicht sickerte durch das Laub und fiel in Flecken auf die schicken Büromöbel. »Setz dich doch«, sagte sie und zeigte auf ein paar Polstersessel. Jede von uns ließ sich auf einem davon nieder.

»Wie geht es dir, Liebes?«, fragte sie. »Wie läuft die Schule?«

»Ich habe mir dieses Semester freigenommen«, sagte ich. »Mach eine Pause.«

»Ich wünschte, Danielle wäre aufs College gegangen«, sagte Sally. »Sie hat nie etwas auf die herkömmliche Art getan.«

»Ich schätze nicht, nein«, sagte ich.

»Wie geht es Danielle überhaupt?« Sie versuchte, locker zu klingen. Die Linien um ihre Augen und den Mund erschienen weicher.

»Gut, denke ich. Wir treffen uns nicht mehr oft.«

Sally nickte. »Ich habe sie nicht mehr gesehen, seit sie … gegangen ist«, sagte sie.

Ich ignorierte Sallys plumpen Euphemismus für das Wort Gefängnis. Mich überraschte nicht, dass Danielle sich von ihr ferngehalten hatte. Sally und sie hatten noch nie eine innige Beziehung gehabt.

»Charlotte, ich benötige ihre Telefonnummer.«

»Die hast du nicht?«, fragte ich überrascht.

»Sie hat sie gewechselt. Ich habe noch die alte, aus der Zeit, als sie noch in meiner Anrufliste stand. Wir haben seit Langem nicht mehr miteinander gesprochen.«

Ich jedoch wusste, wie ich Danielle kontaktieren konnte – wir waren uns ein paar Monate zuvor in einem Restaurant zufällig in die Arme gelaufen und hatten Telefonnummern getauscht. Doch wenn Danielle Sally aus dem Weg gehen wollte, würde ich mich da mit Sicherheit nicht einmischen. Ich runzelte die Stirn und blickte aus dem Fenster. Merkwürdig, all diese tropischen Pflanzen in einem Innenraum wachsen zu sehen. Es wirkte verkehrt herum.

»Charlotte, ich weiß, dass ich dich damit in eine missliche Lage bringe. Aber ich brauche wirklich deine Hilfe. Ich muss sie kontaktieren. Meine Tante ist gestorben.«

»Oh«, sagte ich, »das tut mir leid.«

»Na ja, sie war schon lange krank. Das Problem ist, dass sie Danielle etwas vererbt hat. Jetzt müssen die Nachlassanwälte mit ihr reden, Papierkram muss erledigt werden und sie ist nirgends aufzutreiben. Das ist etwas peinlich.«

Das Letzte sagte sie flüsternd und beugte sich dabei verschwörerisch vor.

»Bitte, hilf mir«, sagte sie. Während sie sprach, schob sie mir einen Umschlag zu.

»Was ist das?«, fragte ich.

»Mach ihn auf.«

In dem Umschlag war ein Stapel Hundertdollarscheine. Ich zählte zweimal nach – eintausend Dollar.

»Ich weiß, dass du es gebrauchen kannst«, sagte Sally. »Ich brauche nur ihre Telefonnummer. Bitte.«

So viel Geld konnte ich unmöglich ausschlagen. Ich suchte in meinem Handy nach Danielles Nummer und las sie Sally vor.

»Perfekt, Liebes, ich danke dir sehr. Ich werde sie heute Abend anrufen, sowie ich hier fertig bin.«

»Danke«, sagte ich. »Für das Geld.«

Sie stand auf. »Ach, Liebes. Es war so schön, dich wiederzusehen. Du wirst hübscher und hübscher. Findest du selbst raus?«

»Ja, klar«, sagte ich.

Sie nahm mich zum Abschied kurz in den Arm, erstickte mich wieder mit ihrem teuren Parfum und ihrer Aura aus Reichtum und Macht. Ich eilte an den glatten Steinwänden der Lobby vorbei hinaus auf den Parkplatz mit seinen sauber gezogenen, schrägen, parallelen Linien. Ich saß eine Minute lang in meinem heißen Wagen und ließ meine Haut auftauen, bevor ich den Zündschlüssel drehte. Mir war schwindlig vor Hitze und dem Geld in meiner Tasche.

Ich schrieb Danielle sofort eine Nachricht. Charlotte hier. Muss dich treffen. Wichtig. Drink? Sie schrieb mir zurück und wir verabredeten uns für achtzehn Uhr in einer neuen Bar namens Mockingbird.

Als ich später zu der Bar fuhr, die eine Ecke einer Ladenzeile auf der Westheimer einnahm, neben einer Reinigung, einem Leerstand mit zerbrochenen Scheiben und einem Buchprüfer namens Tax Mex herrschte dichter Verkehr. Drinnen ignorierte ich die billigen Specials und bestellte einen Maker’s auf Eis; denn ich war reich. Als ich bei meinem zweiten Drink angekommen war, traf Danielle endlich ein. Sie sah wunderschön aus, wie immer, aber auf eine schräge, puppenhafte Weise: langes, gesträhntes Haar und zu viel Make-up. Ihre Titten wirkten größer und fake.

»Charlotte, wow«, sagte sie. »Schön, dich zu sehen.« Sie umarmte mich halb und küsste die Luft neben meiner Wange.

»Du siehst großartig aus«, sagte ich.

»Danke. Du auch.«

Sie bestellte einen Pfirsich-Martini beim Barkeeper und ich nahm noch einen Whiskey.

»Also, was ist los?«, fragte sie.

»Werd jetzt nicht sauer.«

»Oh-oh, Charlotte, was ist?«

»Deine Mom hat mir tausend Dollar für deine Telefonnummer bezahlt«, sagte ich.

»Was?«

»Ja.« Ich gab ihr Sallys Umschlag. »Hier ist deine Hälfte.«

Sie öffnete den Umschlag und blätterte durch die Geldscheine. »Du hast ihr meine Nummer gegeben?«, sagte sie.

»Ja. Weil sie mir tausend Dollar gegeben hat.«

»Will sie, dass ich das hier habe?«

»Sie weiß es gar nicht.«

Danielle sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Warum gibst du es mir dann?«

»Ich dachte, schlimmstenfalls kannst du damit ein neues Handy kaufen. Es fühlte sich komisch an, es zu behalten und dich nicht zu warnen.«

»Danke.«

»Geschenktes Geld, oder? Warum nicht.«

Sie legte den Umschlag auf die Bar und stellte ihr Getränk mitten darauf. Ein klebriger, rosafarbener Rand durchfeuchtete das Papier.

»Scheiß Sally«, sagte sie.

»Ich weiß.«

»Sie ist irre.«

»Ich weiß«, sagte ich. »Ich hätte ihr deine Nummer für viel weniger gegeben.«

»Klappe«, sagte Danielle und lachte.

»Hat sie dich schon angerufen?«

»Nein. Was will sie?«

»Sie will dir erzählen, dass deine Großtante gestorben ist.«

»Aunt Baby? Gott, wir haben sie immer besucht, als ich noch klein war. Sie hat draußen in Tomball gewohnt.«

»Sie hat dir in ihrem Testament etwas hinterlassen. Du musst zu einem Anwalt und die Papiere unterschreiben, vermute ich.«

»Gott, Sally und ihre Anwälte? Schlimmer geht’s nicht.«

»Tut mir leid wegen deiner Tante.«

Danielle zuckte mit den Achseln. »Ich erinnere mich kaum an sie. Aber es ist trotzdem traurig. Wie auch immer. Echt schön, dich zu sehen. Was hast du all die Zeit so gemacht? Komisch, dass wir uns nicht schon früher über den Weg gelaufen sind.«

»Vermutlich, weil ich viel in meiner Gegend bleibe. Ich arbeite bei Common Grounds auf der Shepherd. Der Coffeeshop.«

»Oh, den kenne ich. Da bin ich aber noch nie gewesen. Also, was noch? Bist du mit jemandem zusammen?«

Ich lachte. »Du denkst immer nur an Jungs«, sagte ich. »Aber, ja, ich habe einen Freund. Er spielt in einer Band, er ist nett und wir sind seit ungefähr einem Jahr zusammen.«

»Ist es was Ernstes?«

»Ich weiß nicht, vielleicht. Irgendwie schon ernst, ja. Wie ist es mit dir? Was hast du so gemacht?«

Ihre Hände ruhten auf der Kante der Theke. Ich hatte ihre Anmut ganz vergessen, ihre perfekte Haltung. Ihre Handgelenke waren zart und voller Sommersprossen.

»Ich komme ganz gut klar. Genau genommen recht gut. Es ist wirklich schön, dich zu sehen. So kann ich mich auch endlich für deine Briefe bedanken.«

Ich hatte ihr Briefe ins Gefängnis geschickt, aber nie eine Antwort erhalten.

»Ich hatte mich gefragt, ob sie überhaupt angekommen sind«, sagte ich.

»Sind sie. Das war echt nett von dir. Die haben mich aufgeheitert.«

»War es schlimm dort?«, fragte ich. »Mir tut das so leid, dass du das alles durchmachen musstest.«

»Ja, war es. Ich will nicht darüber reden. Aber auf die eine oder andere Art war es auch gut. Ich bin jetzt clean. Schon seit fast drei Jahren.«

»Das ist super. Das freut mich wirklich«, sagte ich.

»Ich wollte dir zurückschreiben«, sagte sie. »War verboten. Sie haben einen echt unter Druck gesetzt, zu allen Leuten den Kontakt abzubrechen, mit denen man Drogen genommen hat. Damit es einfacher wird, loszukommen.«

»Ist schon okay«, sagte ich. »Ich meine, was auch immer hilft, oder?«

»Ja.«

Wir nippten eine Minute an unseren Drinks.

»Also, was hast du noch so gemacht?«, fragte ich. »Seit deiner Entlassung.«

»Das Erste, was ich gemacht habe, war eine Diät. Ich bin da drinnen fett geworden.«

»Bist du nicht. Das glaube ich nicht.«

»Doch, das stimmt!«, sagte Danielle. »Sie haben uns jeden verfickten Tag Kartoffelbrei gegeben. Ich habe ungefähr fünf Pfund zugenommen.«

»Oh, nein. Fünf Pfund.« Ich verdrehte die Augen.

»Charlotte, hör zu: Ich bin froh, dass du mir die SMS geschickt hast.«

»Ja, ist doch klar. Ging doch nicht anders, oder?«

»Nein, ich meine, du hast mir gefehlt. So richtig. Ich weiß, dass ich’s verbockt hab.«

»Nicht weniger als ich«, sagte ich verlegen. »Du hattest Pech und wurdest geschnappt. Ich habe dich auch vermisst.«

»Du bist so süß«, sagte sie und legte einen Arm um mich.

»Wir haben zusammen eine Menge Scheiß durchgemacht. Ich bin froh, dass du jetzt klarkommst.«

»Ich auch«, sagte sie und drehte sich, um mir einen Kuss auf die Wange zu geben.

Ein schlankes, dunkelhaariges Mädchen kam von hinten auf uns zu. Sie hatte ungefähr unser Alter, Mitte zwanzig, und war hübsch. Ihre Lippen waren zu einem halben Lächeln verzogen.

»Ahhh, ihr beiden seid ja süß«, sagte das Mädchen.

»Audrey, hey«, sagte Danielle und ließ mich los. »Charlotte, das ist meine Freundin Audrey.«

Ich war von der Unterbrechung gleichzeitig irritiert und erleichtert.

»Hi«, sagte ich. »Nett, dich kennenzulernen.«

»Ganz meinerseits«, sagte Audrey.

»Charlotte ist meine längste und beste Freundin«, sagte Danielle. »Wir haben uns seit einer Ewigkeit nicht gesehen. Da gibt’s ’ne Menge aufzuholen.«

»Wir wär’s mit einem Drink?«, fragte Audrey. »Noch eine Runde?«

»Klar«, sagte Danielle.

Audrey bestellte Whiskey, genau wie ich. Der Barkeeper brachte uns unsere Getränke und schwappte Danielles Martini über, als er ihn abstellte.

Danielle wandte sich an mich. »Hast du das von Joey gehört?«, fragte sie.

»Nein«, sagte ich.

»Er sitzt hinter Gittern. Im Westen. New Mexico, glaube ich.«

»Wer ist Joey?«, fragte Audrey.

»Mein damaliger Freund«, sagte Danielle. »Wenn wir gevögelt haben, dann haben wir immer versucht, zur gleichen Zeit zu kommen, und genau in der Sekunde haben wir uns gegenseitig einen Schuss gesetzt. Ich dachte, wir würden mal heiraten. So etwas hatte ich noch nie mit irgendwem sonst.«

»Das ist durchgeknallt«, sagte Audrey. »Du bist durchgeknallt.«

»Ich habe ihn geliebt«, sagte Danielle. »Scheiße, ich habe ihn geliebt. Wir waren so verliebt, das war echt verrückt.«

»Meinst du das ernst?«, sagte Audrey. »Ja, das ist echt scheißverrückt.«

»Wir waren scheißromantisch«, sagte Danielle. Sie rieb über eine Stelle auf ihrer French Manicure. Inzwischen hatte sie eindeutig einen im Tee. Und sie trug ein bisschen dick auf. Ich konnte nicht sagen, ob sie versuchte, mich zu beeindrucken oder Audrey. Vielleicht uns beide.

»Sag mal«, fragte ich, »woher kennt ihr beide euch eigentlich?«

»Von der Arbeit«, sagte Audrey.

»Sag’s ihr nicht«, sagte Danielle zu Audrey.

»Sag mir nicht was?«, fragte ich.

»Ja, sag ihr was nicht?«, meinte Audrey.

»Du rastest bestimmt aus«, sagte Danielle zu mir.

»Nein, wird sie nicht«, meinte Audrey. »Du bist ja paranoid.«

»Gut«, sagte Danielle. »Also, da ist dieser Typ namens Brandon, der arbeitet bei diesem Kabelsender, Mediasource. Er ist Filmemacher und er macht Programme und so Zeug. Wir arbeiten mit ihm an Privatprojekten. Wir sind Models.«

»Sie macht so ein Getue darum«, sagte Audrey. »Wir sind keine Models, aber die nennen es Modelling. Es ist für eine Pornoseite. Videos.«

»Ihr seid Pornostars?«

»Wir sind keine Stars«, erwiderte Danielle.

»Das ist deine Meinung«, sagte Audrey.

Sie warf die Haare nach hinten, spitzte die Lippen und bog ihren Körper in einer Pin-up-Pose zurück. Ich lachte.

»Wow«, sagte ich. »Wie läuft das? Ihr vögelt Leute und dabei gibt’s ’ne Kamera?«

»Siehst du?«, sagte Danielle zu Audrey. »Sie rastet aus.«

»Ich raste überhaupt nicht aus«, sagte ich.

Und das tat ich nicht. Ich war noch nicht mal überrascht.

»Wie ist das so?«, fragte ich Audrey.

»Es ist ein Job. Arbeit. Man muss ständig warten, aufhören und wieder anfangen. Die Typen brauchen ewig. Oder das Viagra lässt nach.«

»Genau«, sagte Danielle. »Und, egal was ist, man muss immer perfekt aussehen.«

»Man muss versuchen, nicht gelangweilt zu wirken«, sagte Audrey. »Selbst wenn es echt langweilig ist. Zumindest meist.«

»Es ist einfacher als Tanzen«, sagte Danielle. »Zumindest wird man immer bezahlt.«

»Außerdem ist Brandon nett«, sagte Audrey.

»Stimmt, er ist nicht so ein Idiot, wie man meinen würde«, sagte Danielle. »Er dreht auch Arthouse-Filme. Er ist super talentiert.«

»Du solltest zu seinem Filmabend kommen«, sagte Audrey. »Er zeigt nächste Woche einen seiner experimentellen Filme. Es gibt einen Empfang. Freibier.«

»Hört sich cool an«, sagte ich. »Wie heißt die Website?«

»Könnten wir bitte über etwas anderes reden?«, sagte Danielle.

»Ach, komm«, sagte ich.

»SweetDreamz«, sagte Audrey. »Mit einem Z. SweetDreamz.net.«

»Das ist ein blöder Name«, meinte Danielle.

»Na und?«, erwiderte Audrey.

»Das gucke ich mir definitiv an, wenn ich nach Hause komme«, sagte ich neckend.

»Ach, komm, lass es«, sagte Danielle.

»Meine Güte«, sagte ich. »Ich mache Witze. Ich mache nur Witze. Werd ich nicht.«

»Das solltest du aber«, sagte Audrey.

Danielle verdrehte die Augen. »Schluss jetzt. Wir müssen gehen. Wir treffen uns mit Leuten zum Abendessen.«

Ich fragte mich, warum sie vor der Unterhaltung weglief und entschied, sie bei unserem nächsten Treffen noch mal auf den Job anzusprechen.

»Also, war schön, dich zu sehen«, sagte ich.

»Ja, fand ich auch«, sagte Danielle. »Das hat Spaß gemacht. Sehen wir uns bei dem Filmabend?«

»Klar«, sagte ich. »Schreib mir, wo und wann.«

Audrey erhob sich und lächelte.

»Tschüss«, sagte sie. »War nett, dich kennenzulernen.«

Danielle stand auf und schwang den Riemen ihrer Handtasche über die Schulter. Den Umschlag mit dem Geld ließ sie auf dem Tresen liegen.

»Hey, du vergisst das hier«, sagte ich und nahm ihn auf. Er war von dem Kondenswasser des Glases ganz nass.

»Behalt es«, sagte sie.

»Nein. Das ist doch irre.«

»Ich brauche es nicht. Und von der will ich sowieso nichts.«

Ich erkannte den abfälligen Ton, den sie für Sally reserviert hatte. Und wusste nur zu gut, dass es besser war, das Thema fallen zu lassen. Ich nickte, steckte den Umschlag in meine Handtasche und winkte ihr zum Abschied zu. Zumindest hatte ich es versucht. Nicht, dass es mir etwas ausmachte, die Kohle zu behalten. Danielle war schon immer komisch, was Geld anging. Vermutlich ist das so, wenn man reich aufwächst.

Auf dem feuchtkalten Polizeirevier stellte Detective Ash mir nun Fragen. Solange ich redete, schien er zufrieden zu sein und ich musste nicht an diese Fotos in der Mappe denken. Solange ich redete, schien Danielle am Leben zu sein.

»Was hat sie in diesem Motelzimmer gemacht?«, fragte Ash.

»Das weiß ich nicht.«

»Hatte sie einen festen Freund?«

»Sie hat niemanden erwähnt.«

»Wen hat sie in dem Motel getroffen?«

»Das weiß ich nicht«, sagte ich. »Ich habe Ihnen alles erzählt, was sie gesagt hat.«

»Ist sie auf den Strich gegangen?«, fragte er.

»Was?«, sagte ich.

Er sah mich mit seinem geduldigen, steten Blick an, seltsam vertraut.

»Das weiß ich nicht«, antwortete ich.

»Hat sie so etwas schon mal gemacht?«

»So die Richtung«, sagte ich.

»Erzählen Sie mir davon.«

»Das ist schon Jahre her«, sagte ich. »Wir waren ungefähr neunzehn.«

»Okay.«