Superlehrer, Superschule, supergeil - Dirk-Christian Stötzer - E-Book

Superlehrer, Superschule, supergeil E-Book

Dirk-Christian Stötzer

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  • Herausgeber: Goldmann
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Werden die Falschen Lehrer? Was macht einen guten Lehrer überhaupt aus? Und steht es um unsere Schulen wirklich so schlecht, wie immer behauptet wird? Dirk Stötzer sagt, wie es wirklich ist. Schließlich weiß er am besten, wovon er spricht: Mit über 30-jähriger Berufserfahrung kennt er den Lehrberuf von allen Seiten. In seinem mitreißenden Plädoyer zeigt er, was alles richtig läuft an unseren Schulen, aber auch was wir besser machen können. Stötzer macht Werbung für seinen Beruf und macht klar, dass dies nur für diejenigen ein Traumjob ist, die ganz in ihm aufgehen. Ein positiver Appell an Eltern, werdende Lehrer, Lehrer und die gesamte Gesellschaft

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Buch

Werden die Falschen Lehrer? Was macht einen guten Lehrer überhaupt aus? Und steht es um unsere Schulen wirklich so schlecht, wie immer behauptet wird? Dirk Stötzer sagt, wie es wirklich ist. Schließlich weiß er am besten, wovon er spricht: Mit über dreißigjähriger Berufserfahrung kennt er den Lehrberuf von allen Seiten. In seinem mitreißenden Plädoyer zeigt er, was alles richtig läuft an unseren Schulen, aber auch was wir besser machen können. Stötzer macht Werbung für seinen Beruf und macht klar, dass dies nur für diejenigen ein Traumjob ist, die ganz in ihm aufgehen. Ein positiver Appell an Eltern, (werdende) Lehrer und die gesamte Gesellschaft.

Autoren

Dirk Stötzer, geb. 1948, hat sein Leben der Schule verschrieben. Er lehrte dreißig Jahre am Friedrich-Ebert-Gymnasium in Wilmersdorf, zuletzt als Schulleiter, um dann in die Schulaufsicht zu wechseln. Als Beschwerdemanager setzte er sich die letzten fünf Jahre vor seinem Ruhestand noch einmal intensiv mit Eltern, Lehrkräften und Schulleitungen auseinander. Den Eintritt in seine Pension feierte er mit dem YouTube-Clip »Superlehrer«.

Beate Stoffers, geb. 1968, studierte Politikwissenschaften und arbeitet seit zwanzig Jahren in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Die Mutter dreier schulpflichtiger Kinder ist seit 2010 Pressesprecherin für den Bereich Schule in der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft.

Dirk Stötzerund Beate Stoffers

Superlehrer, Superschule, supergeil

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1. Auflage

Originalausgabe September 2015

Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

© 2015 der Originalausgabe

Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Umschlaggestaltung: Uno Werbeagentur, München

Umschlagmotiv (Tafelstruktur): FinePic®, München

Umschlagfotos (Rückseite + Autorenfoto): © Erik Weiss

Redaktion: Hendrik Heisterberg

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

KW · Herstellung: AM

ISBN 978-3-641-15446-2V002

www.goldmann-verlag.de

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Prolog

»Wie war dein Tag?«

Wie mein Tag war? Kurz gesagt: »Gut. Also wirklich gut!«

Der Tag war so aufregend wie der letzte und vorletzte und vorvorletzte. Und was der morgige Tag bringen wird, weiß ich nur bedingt. Sicher ist aber, dass immer – wirklich immer! – etwas Unvorhergesehenes, etwas Überraschendes passiert. Heute zum Beispiel habe ich:

zwanzig Mädchen und Jungen beigebracht, auf meine Zeichen zu achten und dabei die richtigen Noten zu singen (Das klang am Ende nach Musik!),die Augen fünf junger Menschen zum Leuchten gebracht, als sie nach mehreren Anläufen die Grundlagen der Differentialrechnung verstanden,einen Arm verbunden,einen Krankenwagen gerufen,Streit geschlichtet,mit einem meiner besten Freunde zweimal 15 Minuten lang Kaffee getrunken (schwarz ohne Zucker),viele Blätter kopiert,beim Rauf- und Runterlaufen der Treppen und Flure wohl drei Kilometer zurückgelegt,als Ältester der Mannschaft im Tor gestanden, mir die Knie aufgescheuert und vier Torschüsse abgewehrt.

Ganz klar, ich habe den besten Beruf der Welt, ich habe meinen Traumjob: ICH BIN LEHRER! IN BERLIN! Vor 41 Jahren fing ich an, es folgten 30 Jahre als Lehrer, zwei als Schulleiter, dann Schulaufsicht und bis heute (sechs Wochen vor meinem Ruhestand) Beschwerdemanager der Bildungsverwaltung. Nebenbei sitze ich an einer Info-Hotline zum Lehrerberuf in Berlin.

Ich kenne die Schule von der Pike auf – wie auch viele andere Lehrer, denn der Lehrer (übrigens auch der klagende) bleibt im Großen und Ganzen seinem Beruf treu. Und ich liebe diesen Beruf, auch wie viele andere. Nur, und das ist vielleicht anders: Ich bekenne mich auch öffentlich dazu. Das finden nicht alle Lehrer gut, deshalb sei jeder vorgewarnt: Dieses Buch ist keine Litanei über die Widrigkeiten des Lehrerdaseins. Auch nicht über das Martyrium der permanent überlasteten Lehrkraft.

In meinem Buch werde ich stattdessen Werbung für diesen Beruf machen! Ich werde über meine Erfahrungen im Lehrerberuf berichten, aber auch klar sagen, dass dies nur ein Traumjob für diejenigen ist, die ganz in ihm aufgehen. Und das sind glücklicherweise ziemlich viele.

Über das Sozialverhalten der Schüler werde ich mich ebenso wenig beschweren wie über volle Klassenzimmer. Wasserflecken an Decken, alte Turnhallen oder dreckige Toiletten – über nichts von alldem werde ich mich beklagen und auch keine besseren Rahmenbedingungen fordern, werde weder mehr Geld noch Entlastungen verlangen.

Ich finde: Wir Lehrer haben genügend Ferien. Da müssen wir in der übrigen Zeit zweifellos etwas mehr arbeiten. Sehen wir die Ferien als ein Sahnehäubchen auf unserem schönen Beruf!

Ich werde – zumindest ein wenig – über schlecht gelaunte Kollegen herziehen, ich werde nach Zusammenhängen zwischen Bezahlung und Unterrichtsqualität suchen (und Sie, liebe Leserin und lieber Leser, können sich wahrscheinlich schon denken, dass ich keinen Zusammenhang feststellen werde). Ich werde über den guten, den überzeugten Lehrer schreiben, über seine Teamfähigkeit, seine Zuneigung zu den Kindern und seinen Spaß am Unterricht.

Und ich werde über Eltern und Medien schreiben, die die Schule ständig begleiten oder unter Beobachtung stellen. Bitte, liebe Eltern: Helfen Sie uns nur, wenn wir darum bitten, und schenken Sie uns wie Ihrem Kinderarzt Vertrauen. Kein Arzt würde Ihnen bei der Blinddarm-OP Ihres Kindes erlauben mitzusprechen oder vielleicht sogar mitzuschneiden. Und er würde Sie auch niemals fragen, ob die Nadelstärke die richtige ist und der Faden lang genug.

Über diejenigen Pressevertreter werde ich sprechen, die Einzelfälle dankbar aufgreifen und Themen anheizen, Befürchtungen schüren und Debatten entfachen. Ich halte das für nicht seriös und wenig hilfreich, weder für uns Lehrer noch für die Schule.

Bei aller Ernsthaftigkeit des Themas habe ich mich bemüht, die Lage des Lehrers nicht verbissen zu sehen, damit das Lesen dieses Buches auch Spaß macht. Zugunsten der besseren Lesbarkeit verzichte ich überwiegend auf die politisch korrekte gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlecht. Mit »zehn Lehrern« könnten also durchaus neun Lehrerinnen und ein Lehrer gemeint sein, und mit »dreißig Schülern« neunundzwanzig Schülerinnen und ein Schüler.

Also lautet ein Beschluss:

dass der Mensch was lernen muss.

Nicht allein das Abc

bringt den Menschen in die Höh,

nicht allein im Schreiben, Lesen

übt sich ein vernünftig Wesen;

nicht allein in Rechnungssachen

soll der Mensch sich Mühe machen;

sondern auch der Weisheit Lehren

muss man mit Vergnügen hören.

Dass dies mit Verstand geschah

war Herr Lehrer Lämpel da.

Wilhelm Busch

Aller Anfang ist schwer

Montagmorgen, 8.00 Uhr. Als frischgebackener Referendar werde ich gleich zum ersten Mal in meinem Leben den Musikraum meiner neuen Schule betreten. Ich bin 25 Jahre alt, ambitioniert und endlich Lehrer!

Unter meinem Arm klemmen alle Unterlagen, mit größter Sorgfalt vorbereitet. Nichts soll dem Zufall überlassen bleiben. Ein wenig aufgeregt bin ich schon, freue mich aber auf meine erste Stunde, die ich ganz allein geplant habe, in die mir keiner mehr hineinredet und die ich natürlich auch ohne Unterstützung durchstehen muss. Ich bin gespannt auf meine Schüler, auf ihre Ideen und Vorschläge.

»Mit dieser neunten Klasse werden sie bestimmt viel Spaß haben«, hat der Schulleiter gesagt und dabei süffisant gelächelt. Schön! Es fühlt sich nach Geburtstag an.

Ich atme tief durch, straffe meinen zu dieser Zeit noch schlankeren Körper, drücke die Klinke und trete erwartungsvoll in den Raum.

Der große Auftritt

Die 9b ist augenscheinlich eine kleine Klasse. Ich überschlage mit einem Blick die Klassengröße, zähle fünfzehn Schüler – das heißt: fast nur Schülerinnen. Der überwiegende Teil der Jungen scheint wohl noch nicht ausgeschlafen zu haben. Die Mädchen stehen in Grüppchen an der hinteren Wand, lachen und unterhalten sich lebhaft. Einige hantieren mit kleinen Schminkspiegeln vor ihren noch kindlichen Gesichtern und ziehen Augenbrauen oder Lippen nach. Fast alle haben lange Haare. Und sie sehen nicht nach einem Schultag aus – eher nach Strandurlaub. Ich sehe sehr, sehr kurze Hosen und Röcke, die man ebenso gut weglassen könnte, weil sie sowieso nichts bedecken. Es bleibt mir eine Menge Zeit, sie zu beobachten. Oder besser gesagt: viel zu viel Zeit, denn niemand, wirklich niemand nimmt Notiz von mir. Respektsperson? Lehrer Lämpel mit erhobenem Zeigefinger? Keine Rede.

Ich stelle meine Tasche auf das Pult, lege möglichst geräusch- und schwungvoll meine Unterlagen ab und räuspere mich. Mit erstauntem Blick drehen sich einige der Mädchen zu mir um. Da geht die Tür auf, zwei Jungen kommen herein, nicken mir freundlich grinsend zu und setzen sich. Ich hole Luft, da öffnet sich schon wieder die Tür, und das Gleiche wiederholt sich. Die Klasse füllt sich langsam. Immerhin!

Aber wann soll ich bei den ständigen Störungen endlich loslegen? Die Begrüßungen, die Unruhe, die verstohlenen Blicke zwischen Jungen und Mädchen, das Gekicher – all das raubt unfassbar viel Zeit. Nach fünfzehn Minuten stehe ich vor fünfundzwanzig Schülern. Dabei bleibt es dann auch.

Ich recke mich noch ein wenig, um auf meine vollen 179 Zentimeter zu kommen. Das ist der große, entscheidende Moment für meinen Lehrerauftritt! Jedenfalls denke ich das – tatsächlich habe ich ihn längst verpasst.

Betont langsam wie ein Bühnenmagier öffne ich meine Tasche und zaubere – anstelle eines weißen Kaninchens – ein nagelneues UHER Report 4400 hervor. Das topmoderne Tonbandgerät habe ich mir extra für diese erste Stunde gekauft. Stolz stelle ich es auf den Tisch, und augenblicklich ist Ruhe. Innerlich triumphierend beginne ich nach einem Stromanschluss zu suchen.

»In diesem Raum haben wir gar keine Steckdosen«, ruft ein Mädchen mit Brille und streng geflochtenen Zöpfen.

Keine Steckdosen? Es gibt Klassenzimmer ohne Steckdosen? »Das ist aber wirklich schade …« Meine Stimme kommt dürftig, wenn nicht sogar dünn rüber, ständig muss ich hüsteln, mich räuspern und schaffe es nicht, still zu stehen, geschweige denn zu sitzen. Ich fange an zu schwitzen, über meiner Oberlippe bildet sich ein dünner feuchter Film. Nun gut, Plan B muss her, zur Not muss ich die Opernpartien am Klavier vorspielen. Murmeln und Kichern setzen ein. Die kurze Aufmerksamkeit, die mein silbernes Gerät erregt hat, ist schon wieder weg. Wenigstens sitzen die Schüler jetzt und nennen mir ihre Namen: Anne, Sophie, Markus, Bashir – ich kann sie mir in meiner Aufregung sowieso nicht merken, nicke aber jedes Mal äußerst ernst dazu und vermerke im Klassenbuch, wer fehlt und wer nicht. So viele fehlen gar nicht, insgesamt nur drei.

Die Schüler sind freundlich und interessiert, die Mädchen vor allem an ihrem Äußeren. Ständig sind sie mit ihren Frisuren beschäftigt, drehen einzelne Strähnen um ihre Zeigefinger. »Hört auf, eure Haare zu melken«, würde ich am liebsten sagen – aber so cool bin ich nicht, schon gar nicht an meinem ersten Tag.

Die Jungen kauen auf ihren Bleistiften herum und sehen mich nicht an, was mich ehrlich irritiert: Bin ich so unansehnlich, habe ich etwas im Gesicht, das vielleicht nicht dahin gehört, Marmelade oder Zahnpasta im Bart?

Hamster, Bienen, Vibratoren

Dann fangen sie an, mich auszufragen. »Sind Sie neu an der Schule?« – »Wie alt sind Sie?« – »Warum wollen Sie Lehrer werden?«

Damit überhaupt nicht erst Zweifel aufkommen, antworte ich mit fester Stimme: »Ich bin Lehrer!« Dass ich mich noch in der Ausbildung befinde, verschweige ich.

»Haben Sie keinen besseren Beruf gefunden?« – »Haben Sie ein Haustier?« – »Haben Sie eine Freundin?«.

Der letzten Frage weiche ich aus, weil ich zu diesem Zeitpunkt Single bin und nicht als Versager dastehen möchte. Dafür erzähle ich ausführlich von meinen drei verstorbenen Hamstern – der eine kam im Müllschlucker abhanden, der andere suchte beim täglichen Freigang das Weite, und der dritte verschwand spurlos in unserer Wohnung.

Später lerne ich: Erzähle nie von deinen Hobbys, zumindest nicht am Anfang, falle nie auf ihre Ablenkungsmanöver herein. Trotzdem: Sie hören mir zu. Ich versuche also mit aller Kraft, das Gespräch auf mein geplantes Thema zu lenken.

»Nun wollen wir aber mit dem Musikunterricht beginnen«, erkläre ich feierlich. »Ich habe euch eine Textstelle aus dem Libretto von »Carmen« abgezogen, da geht es um Liebe und Verrat.« Weiter komme ich nicht.

»Was ist ein Libretto?«, ruft Markus rein.

»Ein alter Vibrator!« Bashir hat die Lacher auf seiner Seite. Und aus irgendeinem Grund muss ich mitlachen. Das tut gut! Die Anspannung fällt ein wenig von mir ab, also nehme ich den Faden auf. Ich erzähle, dass die schöne, machthungrige Königin Kleopatra auch eine ideenreiche Frau gewesen sein soll, die sich eine mit Bienen gefüllte Papyrustüte bastelte. Wahrscheinlich war das der erste Vibrator der Welt. Und damit habe ich sie alle – kein Gezuppel mehr an den Haaren, kein Gekaue an den Bleistiften, keine Fragen zu Hamstern oder Freundinnen.

Als ich den Unterschied zum Libretto erklären will, klingelt es. Die Stunde ist zu Ende. Nicht zu fassen! Ich konnte gerade einmal den Namen der Oper erwähnen, ansonsten lief überhaupt nichts wie geplant. Ich bleibe auf meinen Kopien und der Tonbandaufnahme sitzen, einschließlich der vorbereiteten Hausarbeiten.

Es beginnt ein Gewusel wie in einem Bienenstock, Stühle werden gerückt, Taschen gepackt, Getränkedosen geöffnet. Mit lautem Lachen und Schnattern schlendern die Schüler aus dem Klassenraum. Gerannt wird hier nicht, es sind betont langsame, aber dennoch geräuschvolle Bewegungen, halb Schlurfen, halb Schlürfen.

Dann stehe ich allein in der Klasse. Ein bisschen in Trance, ein bisschen im Zweifel. Den ersten Tag, die erste Stunde hatte ich mir anders vorgestellt. Fast wie bei der ersten großen Liebe: erst große Aufregung und dann die Enttäuschung, weil doch alles anders kommt als gedacht. Aber was ist da nur schiefgelaufen? Ich will doch ein Lehrer sein, der seine Schüler packt, der sie begeistert, der Themen vermitteln kann und alle auf seiner Seite hat! Und den man nicht nur über Freundinnen und Haustiere ausfragt, sondern dem man auch zuhört.

Kollege Meier kommt mir auf dem Flur entgegen. »Ziemlicher Sprung ins kalte Wasser, oder?« Dann sieht er mein Gesicht und klopft mir freundschaftlich auf die Schulter. »Das machen wir doch alle mal durch«, versucht er mich zu trösten, »nun mal nicht gleich aufgeben. Bei den meisten dauert das Auftauchen eben länger als das Eintauchen!«

Das ist nicht gerade hilfreich. Ich habe mich stundenlang umsonst auf diese eine Stunde vorbereitet, ich habe nicht überprüft, wo es im Unterrichtsraum einen Stromanschluss gibt, die Schüler haben mich kaum wahrgenommen und erst zugehört, als ich von Hamstern und experimenteller Masturbation erzählte. Ich brauche jetzt Mitgefühl, Zuspruch und Unterstützung.

Gibt es den Superlehrer?

Abends sitze ich mit anderen Referendaren zusammen, also all jenen Freunden, die sich den gleichen Beruf wie ich ausgesucht haben und noch ähnlich orientierungslos sind. Anne, Wolfgang, Petra, Thomas und Marianne, alle zwischen 25 und 30 Jahre alt. Wir tauschen unsere ersten Unterrichtserfahrungen aus. Glücklicherweise sind die meisten so ehrlich und berichten von ähnlichen Erlebnissen. Wir stellen uns viele Fragen: Mit welchen Tricks packt man eine Klasse? Wie steuert man sie und lässt trotzdem Kreativität zu? Was macht überhaupt einen guten Lehrer aus? Wird man als solcher geboren und findet dann seine Berufung? Oder ist es Charisma und eine besondere Aura, die einen umgibt wie einen Heiligenschein? Oder nur Methodik und erlerntes Handwerkszeug? Oder alles zusammen? Und dann kommt zum ersten Mal die eine, die bedeutende, die wichtige Frage auf: Gibt es den Superlehrer? Wenn ja, wer ist es und wie ist er? (Es kann natürlich auch eine Sie sein, das ist hoffentlich klar.)

Es wird spät, und wir beginnen, uns gegenseitig von den Lehrern zu erzählen, die uns etwas bedeutet oder die uns Steine in den Weg gelegt haben. Wir erinnern uns an unsere Lieblingslehrer und an diejenigen, die wir abgrundtief gehasst haben. Schwarz oder Weiß – keine bleibenden Eindrücke dazwischen.

Anne erzählt von ihrem Lieblingslehrer, in den sie auch noch verliebt war. »Nur darum habe ich mich angestrengt, damit er mich bemerkt und stolz auf mich ist. Und seinetwegen bin ich auch jeden Morgen zeitig aufgestanden, um mir die Haare zu waschen und zu föhnen, mich zu schminken und nett anzuziehen. Oh Gott, wie ich aussah! Und pünktlich war ich natürlich auch nur, wenn wir die erste Stunde bei ihm hatten.« Dass Anne in ihren Lehrer verliebt war, nehmen wir ihr sofort ab – bei dem entrückten Blick.

Mundgeruch, Sadisten und Horrorstorys

Aber es muss nicht gleich die große Liebe sein – auch Wissen kann attraktiv machen. Wolfgang betont, dass er als Teenager sehr wohl auch Kompetenz geschätzt hat. »Wir mochten unseren Klassenlehrer sehr gern«, erzählt er, »aber leider hatte er Mundgeruch und stank fürchterlich nach Zigaretten. Deswegen hatten wir alle Sorge, er könne zu uns an den Tisch kommen. Leider tat er das wegen seiner Kurzsichtigkeit ziemlich oft – außer man stellte keine Nachfragen und arbeitete gut mit.«

Natürlich möchte keiner von uns, dass sich die Schüler vor einem ekeln.

Und so erzählt an diesem Abend jeder seine Geschichte: Der eine freute sich auf die durchsichtigen Blusen seiner Musiklehrerin, der andere erzählt von der täglichen Angst, nicht die richtige Antwort parat zu haben und mit dem Gesicht zur Wand in die Klassenzimmerecke gestellt zu werden. Erst wenn alle Ecken besetzt waren, durfte sich der Erste wieder setzen, um den Stehplatz für den nächsten Störer oder vermeintlichen Versager frei zu machen. Und immer wieder: Berichte über sadistische Sportlehrerinnen und -lehrer, die nicht akzeptieren wollten, dass ein kleines Kind beim Basketballspiel nicht ganz so erfolgreich sein würde wie ein großes. Oder dass ein dickes Kind kein so guter Reckturner wie ein durchtrainiertes werden konnte.

Thomas schildert explosive Experimente, die sein Lieblingslehrer in der Nachmittagszeit mit seinen besonders interessierten Schülern im Chemielabor durchführte. Der Witz war: Bei dem Lieblingslehrer handelte es sich nicht um den Chemie-, sondern um den Musiklehrer. So endete der eine oder andere Versuch nicht mit dem gewünschten Erfolg, sondern im Desaster. Als einmal die ganze Schule nach Buttersäure stank, hielt die Schülergruppe dicht – der Lehrer flog nicht auf.

Eine andere Erzählung bleibt mir besonders im Gedächtnis: Sie handelt von einem Musiklehrer, der eine Percussion-Gruppe gründete, in die er ausnahmslos die Außenseiter der Klassen aufnahm. Diese Gruppe wurde so gut, dass sie durch die ganze Stadt tourte und plötzlich jeder Schüler mitmachen wollte. Jetzt galt es als cool, dabei zu sein.

»Ein Superlehrer braucht Humor. Er muss nicht die ganze Zeit Witze reißen, aber er muss Spaß am Unterricht haben, so dass es den Kindern auch Spaß macht.«

Fritz, 10 Jahre

Passend zum Ende des Abends erzählt uns Marianne von einer Horrorgeschichte, die ihre Klassenlehrerin um Mitternacht, bewaffnet mit einer Taschenlampe, auf ihrer ersten Klassenfahrt vorlas und die bei ihr bis heute nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat: Dreißig Zehnjährige kuschelten sich auf sechs Betten eng aneinander, um von einer Puppe zu hören, die jede Nacht erwachte und auf ihrem Weg durch die Kinderzimmer der Stadt eine Blutspur hinterließ. »Wir liebten diese Lehrerin, weil sie so packend erzählen konnte und uns Grusel und Gänsehaut bescherte.« Wie nach einem geheimen Schwur und trotz zahlreicher Albträume weihte keines der Kinder die Eltern ein.

So schön all diese Geschichten sind, unsere Frage nach dem Superlehrer beantworten sie nicht. Erstaunlich ist aber: Wir selbst mochten unsere Lieblingslehrer nicht nur – bei ihnen haben wir auch (mit Ausnahme des chemiebegeisterten Musiklehrers) besonders viel gelernt. Und trotzdem bezogen sich die Erzählungen überwiegend auf die Beziehungsebene zwischen Lehrern und Schülern – und zum großen Teil auf Bereiche, die nicht unmittelbar zum Unterricht gehören.

MERKE: Lieblingslehrer ≠ Superlehrer

An diesem Abend lerne ich eine wichtige Lektion: Ein Lieblingslehrer ist nicht zwangsläufig ein Superlehrer, der Wissen am effektivsten vermittelt. Ein Superlehrer kann aber im besten Fall auch ein Lieblingslehrer sein.

Suche: Gebrauchsanweisung für meine Klasse

Als ich im Bett liege und an meinen kommenden zweiten Arbeitstag denke, passiert es: Ich freue mich auf meine Klasse. Da sitzen Jugendliche in ihrer wichtigsten Entwicklungsphase vor mir, und ich darf mit ihnen arbeiten. Ich finde sie alle großartig, ich spüre große Zuneigung, völlig unkritisch und unvoreingenommen wie es mir später nur bei zwei Frauen passieren wird. Meine Befürchtung, die Unterrichtssituation nicht in den Griff zu bekommen, hat sich für den Moment verflüchtigt. Ich stelle mir nur die Frage, was ich tun kann, damit niemand, möglichst niemand auf der Strecke bleibt.

Ich frage mich, ob sich diese eine, die erfolgreiche Lehrerpersönlichkeit erlernen lässt. Die kommenden Wochen werden mir zeigen: Sollte das überhaupt möglich sein, dann braucht es Zeit und geht bei aller Liebe und Willensstärke nicht so schnell, wie man sich das wünscht.

Denn in der 9b bleibt es dabei – die Klasse lässt sich von mir nicht in Musik unterrichten. Markus ruft bewusst provokante Fragen in den Raum, Bashir gibt schreiend komische Antworten darauf. Wie bei einem Tennisspiel reißt es meinen Kopf hin und her, ohne dass es mir gelingt, endlich als Schiedsrichter aufzutreten, das ganze Spiel in den Blick zu nehmen und in meinem Sinne zu steuern. Zumindest nicht mehr bei dieser Klasse.

»Ich wünsche mir einen Lehrer, der kinderlieb und freundlich ist. Er sollte aber, wenn die Schüler zu viel Quatsch machen, auch mal streng werden.«

Timo, 11 Jahre

Erfreulich ist allerdings, dass die Schüler und ich in den nächsten Monaten ein enges Verhältnis entwickeln. Wir diskutieren über Themen, die sie interessieren, und unternehmen Ausflüge wie etwa zu diversen Eishockeyspielen. Denn Eishockey ist die große Leidenschaft aller. Dort, vor Ort im Stadion, wird dann auch gemeinsam gesungen, laut und fröhlich, und das – sage ich mir mit äußerst schlechtem Gewissen – ist eben meine besonders praxisorientierte Form des Musikunterrichts.

Die Frage, was man verändern müsste, lässt mich nicht los, begleitet mich von Stunde zu Stunde, von Woche zu Woche. Was unternimmt man als Junglehrer in solch einer Situation? Mit allen Eltern oder Schülern Einzelgespräche führen? Sich den Kollegen offenbaren?

Ratlos frage ich meinen Seminarleiter. Sein ultimativer Ratschlag: Hospitanz! Das klingt nach Zauberformel, das könnte die Lösung für meine Hilflosigkeit sein! Aber wie trifft er die Klasse an, als er zum Hospitieren kommt? Natürlich, wie soll es anders sein, in einer wunderbar ruhigen und konzentrierten Arbeitsatmosphäre. Die Schüler stehen an diesem Tag hinter mir, hören mir aufmerksam zu und beteiligen sich, weil sie glauben, ich hätte eine Prüfung abzulegen. Denn offen war ich mit ihnen nicht. Ich habe ihnen nicht gesagt, dass ich Hilfe von außen benötige, um endlich unterrichten zu können. Und Markus? Kommt in der anschließenden Pause zu mir und entschuldigt sich, dass sie mich kurz hätten hängen lassen, als sie selbst nicht weiterwussten. Eben ein Superschüler mit einem verlässlichen Charakter, wenn es darauf ankommt. Mit sehr eigenen Interessengebieten, die sich mit meinen Unterrichtsthemen bedauerlicherweise nicht decken. Aber was will man mehr?

Nun ja, ich wünsche mir Kontinuität, und dafür wünsche ich mir eine Anleitung, eine Gebrauchsanweisung. In der nachfolgenden Stunde, als ich die Klasse wieder ganz für mich habe, ist der schöne Zauber vorbei – und alles beim Alten.

MERKE: Schlüsselmoment – der erste Eindruck

Damit lerne ich meine zweite Lektion: Die ersten Minuten in einer neuen Klasse sind äußerst prägend und entscheidend für die zukünftige Zusammenarbeit zwischen Lehrern und Schülern. Ist das Schiff erst einmal von der falschen Strömung erfasst, kann der beste Steuermann das Ruder nicht mehr herumreißen.

Und gleich eine dritte Regel hinterher: In einer neuen Klasse weiß man nicht, was einen in der ersten Stunde erwartet. In der zweiten Stunde weiß man es – aber leider hat man meist nur eine Chance, seine Stellung vor der Klasse zu klären.

Mein Erlebnis mit der 9b ist nun schon über vierzig Jahre her. Ich werde diese ersten Stunden nie vergessen, denn dieser Klasse habe ich es zu verdanken, dass ich nicht nur intensiv Methoden erlernt habe, um einen Haufen Flöhe zu dirigieren, sondern mich auch bis heute mit der Frage der Lehrerpersönlichkeit, mit dem Superlehrer, auseinandersetze.

Der Mensch möchte gemocht werden oder will zumindest Anerkennung erfahren. Das ist eine Grundannahme, der sicherlich die meisten zustimmen können. Vergesst darum nicht: Auch Lehrer sind Menschen. Und wenn es nicht der Schüler ist, dann vielleicht die Schulleitung, vielleicht sind es auch die Kollegen oder sogar die Eltern, von denen er sich Unterstützung oder ein Lob erhofft. Manche streben nach der ersehnten Anerkennung, indem sie sich in Berufsverbänden für bessere Arbeitsbedingungen engagieren. Andere können diese am Ende nur im privaten Umfeld erleben.

Ich gebe offen zu – ich wollte gemocht werden. Ich wollte aber auch Lehrer und damit ein wenig Besserwisser sein dürfen. Freundlicher ausgedrückt: Ich wollte anderen etwas beibringen und dafür hin und wieder etwas Anerkennung finden. Ich denke, so geht es vielen von uns, und das ist völlig legitim.

Trial and error – den pädagogischen Weg finden

Mein Lernprozess war schmerzhaft. Die Praxiserfahrung der ersten Wochen dämpfte zunächst mein Selbstvertrauen, das für Lehrerpersönlichkeiten so ultimativ wichtig ist. Doch nach dieser Erfahrung wurde mir schnell klar: Schüler merken sofort, was für ein Lehrertypus in die Klasse kommt. Als ich Siebtklässler war und innerhalb kurzer Zeit der dritte Lateinlehrer unsere Klasse betrat, schauten wir uns wortlos an und wussten: Den schaffen wir nicht. Und so war es auch. Schüler haben ein äußerst feinsinniges Gespür für Wesen und Charakter eines Lehrers, der die Klasse betritt.

Persönlichkeit, Charisma, Ausstrahlung – wie man es auch nennt: Wichtig ist, dass der erste Eindruck den Erwartungen einer Klassengemeinschaft an den Lehrer in irgendeiner Form gerecht wird. Und das lässt sich nicht an den Hochschulen oder in den Fachseminaren im Referendariat lernen. Auch wenn dies immer wieder gefordert wird. Denn von vielen Seiten wird beklagt, angehende Lehrkräfte würden nur unzureichend auf ihren Beruf vorbereitet. Eine Studie mit dem schönen Titel »Lehre(r) in Zeiten der Bildungspanik« befragte Lehrkräfte sämtlicher Schulformen: Haben Sie sich durch Studium und Ausbildung ausreichend auf den Schulalltag vorbereitet gefühlt? Nein, klagte die Mehrheit. Das wundert uns nicht wirklich, denn das trifft durchaus zu. Aber ist das anders zu erwarten?

»Ein guter Lehrer sollte die Klasse im Griff haben.«

Anna, 13 Jahre

Machen wir uns nichts vor, das Hochschulstudium kann auf spezielle Unterrichtssituationen nur theoretisch vorbereiten. Keine Ausbildung, kein Studienfach verhilft zukünftigen Lehrern zur Persönlichkeit oder Ausstrahlung eines Superlehrers. Das ist auch in anderen Berufen nicht anders! Welcher junge Zahnarzt hat schon ein zusätzliches fachbezogenes Psychologiestudium absolviert, um in seinem Berufsstart hinreichend souverän und klug mit den Ängsten seiner Patienten umgehen zu können? Und welcher Zahnmediziner wurde im Studium auf den unglaublichen Mundgeruch vorbereitet, der ihm von so manchen Patienten auf dem Zahnarztstuhl entgegenschlägt? Sicherlich kaum einer. Das zu ertragen muss er auch erst lernen.

Wenn also der stark pubertierende Leon oder die zickige Vanessa die Klasse so richtig zum Kochen bringen – dann muss jeder Lehrer ausprobieren, welche Hilfsmittel am besten funktionieren. Und zwar ohne die Schüler dabei merken zu lassen, dass man seinen pädagogischen Weg erst finden muss. Für Eltern mag das so klingen, als wären ihre Kinder Versuchskaninchen für Unterrichtsmethoden und Erziehungsmaßnahmen. Am Anfang ist das auch so – und es ist gar nicht schlimm!

MERKE: Die Mischung macht’s

Darum nun die vierte Lektion: Jede Klasse benötigt ihr ganz eigenes Verhältnis zu ihren Lehrern. Welches es ist, das lässt sich nur erspüren und nicht nach Schema F erlernen. Nicht für jeden Schüler ist der gleiche Lehrertypus gleich gut – für den einen ist es der strenge, für den anderen der umsorgende Lehrer. Eine gesunde Mischung macht’s.

Kann jeder Lehrer sein, der das besondere Gespür hat, wie er in einer Klasse auftreten muss? Auch wenn er den Beruf nicht von Grund auf erlernt hat? In dieser Frage haben natürlich insbesondere die meisten Lehrer ihre Zweifel. Vielleicht auch ganz begründet? Oder ist es vielleicht nur ein Ausdruck der Besitzstandswahrung? Gerade in Zeiten des Lehrermangels bemühen sich einige Bundesländer, auf berufsfremde Personen mit Interesse für den Lehrerberuf zurückzugreifen.

Superjob zu vergeben

Es ist genau 9.00 Uhr. Zusammen mit fünf Kolleginnen und Kollegen sitze ich in einem kargen, weiß getünchten Raum. Neonoberlicht, grauer Teppich, Blick in den Hinterhof der Senatsverwaltung für Bildung in Berlin. Vor uns sechs Telefone für die Hotline mit dem Namen »Lehrer werden«. Die Stadt braucht 2000 frische Pädagogen für ihre Schulen – fertig ausgebildet oder als Referendare. Aus eigenen Universitäten hat Berlin zu wenig, nämlich nur 1000 Lehramtsabsolventen auf den Markt gebracht. Und diese wollen mitnichten gleich an die Schulen, sondern schauen sich auch in anderen Berufen um, gehen ins Ausland oder in eine andere Stadt. Einige Lehrerinitiativen beschwören darum das Schreckgespenst Abwanderung. Ist Berlin für Lehrer etwa unattraktiv? Liegt es daran, dass hier Lehrer nicht verbeamtet werden?

Sind Beamte die besseren Lehrer?

Will ernsthaft irgendjemand die These vertreten, ein verbeamteter Lehrer sei ein besserer Lehrer als ein angestellter oder umgekehrt?

Vor gut hundert Jahren hat Kurt Tucholsky eine böse These aufgestellt, weshalb Menschen Beamte werden wollen: Nicht etwa, weil sie den Staat bejahen oder sich unbedingt in den Dienst des öffentlichen Wohls stellen wollen – nein: Sie werden Beamte, um versorgt zu sein, um so unabhängig und verantwortungslos wie möglich zu arbeiten, und um regelmäßig ein sicheres Gehalt zu beziehen.1 Lange Zeit war jeder Lehrer ein Beamter – also ein Staatsdiener, der nicht mit Streik für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen durfte und dienstliche Anweisungen strikt zu befolgen hatte. Berlin hat sich – ganz auf der Linie seines scharfzüngigen Sohnes Tucholsky und im Gegensatz zu allen anderen Bundesländern – dagegen entschieden, Lehrer zu verbeamten. Diese Nicht-Verbeamtung birgt jedoch eine Gefahr – nämlich dass im Schulbereich gestreikt wird und damit noch mehr Unterricht ausfällt als ohnehin schon. Wer also Streiks ausschließen will, der hat keine Wahl. Viele Bundesländer haben das verstanden, verbeamten ihre Lehrer weiterhin oder kehren zur Verbeamtung von Lehrkräften zurück – zumindest wird politisch so argumentiert.

Beamter, ja oder nein – kommt es überhaupt darauf an? Viel wichtiger für den modernen Lehrer sollte doch sein, bei allem Wissen um die Vergangenheit den Zeitgeist in den Blick zu nehmen, um die Nähe zum Schüler herzustellen. Ich bin Lehrer geworden, weil ich mit Kindern und Jugendlichen arbeiten will, sie bilden und zu selbstbewussten Persönlichkeiten entwickeln möchte. Das beste Motiv, Lehrer zu werden, ist die Liebe zu den Schülern und der Wunsch, sie auf die Schwierigkeiten im Leben vorzubereiten: Was mache ich mit meinem Wissen? Wie setze ich es um, und wie bildet es meine Persönlichkeit? Das sind die Fragen, für die ein Lehrer seinen Schülern Hilfestellungen bieten muss – und zwar unabhängig von einem Beamtenstatus. Doch noch können sich die Bundesländer in dieser Frage leider nicht auf eine einheitliche Linie einigen und konkurrieren mit vermeintlich besseren Bedingungen um die vermeintlich besten Lehrer.

… Lehrer kann ich auch!

Zurück nach Berlin: Bei den Einstellungsverfahren in der Hauptstadt waren Zweifel angebracht, ob sich alle ausgebildeten Lehrer für den Angestelltenstatus begeistern lassen würden. Die Stadt fürchtete ein Lehrermangel-Drama und überlegte sich Folgendes: Warum größere Klassen oder vielleicht sogar Mehrarbeit riskieren, wenn es scharenweise Menschen gibt, für die der Lehrerberuf eine interessante berufliche Alternative wäre? Geboren war das Projekt »Jeder kann Lehrer werden« – auch bekannt als »Quereinstieg«. Es folgte der empörte Aufschrei vieler Eltern, Lehrer, Schulleitungen und sogar mancher Schüler, die sich Sorgen um ihre Ausbildung machen: »Das kann ja wohl nicht wahr sein, das geht doch zulasten der Unterrichtsqualität!«

Immerhin: Noch kann in Deutschland niemand Lehrer werden, der nicht mindestens ein unterrichtsrelevantes Fach an einer Hochschule studiert hat. Und überall in Deutschland müssen auch Quereinsteiger eine zusätzliche Ausbildung absolvieren – zwar nicht bevor sie im Unterricht eingesetzt werden, aber zumindest zeitgleich. Das nimmt uns doch sofort die Sorgen um unsere Kinder … oder etwa nicht?

Tatsächlich wollen viele Menschen Lehrer werden. Aber sie haben keine Vorstellung davon, wie sie diesen Berufswunsch realisieren sollen. Deshalb sitze ich in den letzten Wochen vor meinem Ruhestand in diesem schlichten Raum und beantworte von 9.00 bis 16.00 Uhr Fragen rund um den Lehrerberuf. Zwischendurch schaut ein Fotograf oder eine Journalistin zu uns herein. Sie fotografieren uns und hören zu, wie wir telefonieren. Es ist ein bisschen wie im Zoo.

»Meine Klassenlehrerin ist die ideale Mischung aus Toleranz, Strenge und Humor.«

Louis, 11 Jahre

»Guten Morgen, hier informiert die Senatsbildungsverwaltung über das Auswahlverfahren für den Lehrerberuf an allen Berliner Schularten. Was kann ich für Sie tun?« Mit diesen und ähnlichen Worten melden wir uns am Telefon, das ununterbrochen klingelt. In den nächsten Wochen mehr als 8000-mal.

Wir – das ist eine Gruppe alter Hasen, bestehend aus ehemaligen Schulleitern, Schulaufsichtsbeamten und einer Kollegin, die jahrelang im Landeselternausschuss tätig war und um die Sorgen der Eltern weiß. Wir glauben zu wissen, worauf es ankommt. Und wir haben eine Liste vor uns liegen, auf der genau steht, welche Studienanteile anrechenbar sind und was nachstudiert werden könnte bzw. müsste.

»In welchem Beruf haben Sie in den letzten Jahren Erfahrungen gesammelt?«

»Ich bin seit zehn Jahren Metzger, da muss ich jeden Tag um 4.00 Uhr raus, dann mit dem Chef zum Großhandel, um die besten Stücke rauszusuchen, ich weiß ja, was unsere Kunden so wollen. Anschließend geht es zum Laden, da wird tranchiert und vorbereitet. Und ab 9.00 Uhr stehe ich im Verkauf, meistens bis 18.00 Uhr.«

»Und jetzt möchten Sie Lehrer werden?«

»Warum nicht? Ich will endlich ausschlafen und auch mehr Geld verdienen. Mathe und Deutsch kann ich gut, da helfe ich meiner Tochter bei den Hausaufgaben. Das, was die da in der Grundschule machen, das kann ich auch!«

Bei dieser Argumentation verschlägt es einem fast die Sprache – falscher kann man die Herausforderungen an den Lehrerberuf kaum einschätzen. Gut, bei der Metzgerausbildung lässt sich eine gewisse Nähe zum Umgang mit Tieren ausmachen – steht im Rahmenlehrplan für die Klassenstufen 2 und 3 –, vielleicht auch zum Thema »Gesunde Ernährung«, das in der 5. Klasse gelehrt werden muss. Aber beim besten Willen: Nein. Ich kann kein Berliner Unterrichtsfach erkennen, welches sich auch nur annähernd mit der Metzgertätigkeit deckt.

»Es tut mir leid, aber Sie haben wirklich keine Chancen – jedenfalls nicht, solange Sie nicht mindestens ein Schulfach studiert haben.«

Der Metzger ist enttäuscht.

Meine Kollegen müssen in vielen Fällen ähnliche Ablehnungen erteilen. Natürlich hat der Meeresforscher auch Biologie studiert, der Journalist vielleicht neben Publizistik auch Germanistik, der Architekt besitzt in jedem Fall Kenntnisse in Geometrie und Statik. Damit wir einem Interessenten Hoffnung machen können, zu den Auswahlverfahren eingeladen zu werden, muss er aber Unterrichtsfächer der Berliner Schule studiert haben. Und der Bewerber sollte darüber hinaus (so wünschen sich das zumindest die Schulen) nicht nur einmal, sondern mehrmals, am besten sogar kontinuierlich mit Kindern gearbeitet haben – als Fußballtrainer, Chor- oder Orchesterleiter, als Ehrenamtlicher in einem Jugendclub oder einer Jugendvereinigung wie zum Beispiel den Pfadfindern. Wer hat das schon?

Es ist ein mühsames Unterfangen. Über 3300 Bewerbungen williger Quereinsteiger treffen in den folgenden Wochen ein. Trotz unserer telefonischen Beratung sind immer noch viele Schauspieler, Soziologen, Mediziner und Theaterwissenschaftler dabei. Bei aller Kreativität, mit der wir ihre Ausbildungen interpretieren, haben sie doch definitiv keins der Schulfächer studiert.

Schule – ein attraktiver Arbeitsplatz

Erfreulich am gewaltigen Interesse der potenziellen Quereinsteiger: Die Frage nach dem Beamtenstatus kommt nur selten, spielt also ganz offensichtlich kaum eine Rolle. Manche fragen uns aber nach der Entlohnung. Und wir merken an den Reaktionen: Die meisten Berufe werden sehr viel schlechter bezahlt. Andere erkundigen sich auch nach unterrichtsfreien Zeiten, einige haben dabei die langen Schulferien im Auge. Wir klären auf: Nein, es handelt es sich nicht um dreizehn Wochen Urlaub, sondern lediglich um unterrichtsfreie Zeit. Da wird keineswegs nur der Überstundenberg aus arbeitsreichen Wochenenden abgebummelt, sondern auch der Unterricht vor- oder nachbereitet. Trotz Dementi kenne ich natürlich viele Lehrer – mich eingeschlossen –, die in den sechswöchigen Sommerferien auch mal sechs Wochen lang verreisen. Warum auch nicht? Hat man sich schließlich verdient und ist als Auszeit am Stück doch etwas Wunderbares! Dazu sollte jeder Lehrer ganz selbstbewusst stehen.

Nach den Ferien habe ich mich jedes Mal wieder auf den Trubel in der Schule gefreut, das Hin und Her der Schüler im Schulgebäude, ihr Lachen und Rumkrakeelen. Eltern, die schon zu Beginn des Schuljahres die Noten für das Abschlusszeugnis besprechen wollen. Kollegen, die Urlaubsgeschichten zum Besten geben, über andere Kollegen lästern, viele Kaffeepausen, einen neuen Stundenplan, den man grundsätzlich erst einmal in Frage stellt, um dann doch recht zufrieden zu sein.

Und endlich wieder die eigene Klasse treffen! Den riesigen Entwicklungssprung zu sehen, den Dreizehn- und Vierzehnjährige innerhalb von sechs Wochen machen. Man erkennt sie kaum wieder. Umgekehrt erkennen sie zwar noch ihren alten Lehrer, die Struktur und den Ablauf eines Schulalltages haben sie jedoch völlig vergessen. Bis man den unkonzentrierten Haufen wieder sortiert und einen roten Faden – besser: ein Seil – gespannt hat, an dem sich alle entlanghangeln können, stehen schon fast die Herbstferien vor der Tür.

Obwohl wir natürlich alle die vielen freien Tage lieben, kenne ich viele Kollegen, die meine Entzugserscheinungen am Ende der Ferien teilen. Schule, da ist halt was los!

Ein erfüllender Job

Während meiner Beratungstätigkeit erscheint in einer großen deutschen Wochenzeitschrift unter der Rubrik »Plan B« ein kleiner Artikel mit der schlichten, aber wirkungsvollen Überschrift »Lehrerin«. Darin beschreibt die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, dass auch sie gern Lehrerin geworden wäre und das Verlangen nach diesem Berufswunsch weiterhin spüre: »Irgendwie gibt es diese Sehnsucht noch immer. Kinder und Jugendliche dabei zu begleiten, wie sie lernen und leben, wie sie diejenigen werden, die sie sein wollen – das ist eine großartige Vorstellung. Ich finde es spannend mitzuerleben, wie sie eigene Werte entwickeln; ich würde sie fragen, was sie von sich erwarten – und ihnen helfen, ihre Neigungen zu entdecken.«2

»Der Beruf lebt eindeutig von seiner lebendigen Vielseitigkeit.«

Inga K., Grundschullehrerin

Wie romantisch! Und Frau Göring-Eckardt ist mit ihrem Verlangen nicht allein. Wir sechs von der Hotline haben den Eindruck, dass viele Menschen diese innere Sehnsucht nach dem Lehrerdasein plötzlich stärker spüren als in den Jahren zuvor. Liegt es vielleicht an den Inhalten der anderen Berufe? Irgendwann stellt sich jeder die Sinnfrage und überprüft entsprechend das eigene Leben und Tun. Vorstellbar, dass der direkte Kontakt mit Kindern und Jugendlichen erfüllender als die eigene Tätigkeit erscheint.