Süßwasser - Akwaeke Emezi - E-Book

Süßwasser E-Book

Akwaeke Emezi

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Beschreibung

Akwaeke Emezi erkundet in ihrem von Kritik und Publikum gefeierten Debütroman SÜSSWASSER wie es ist, ein gespaltenes Ich zu haben. Und sie zeigt gleichzeitig, wie wir alle unsere verschiedenen Identitäten laufend konstruieren. Ein Buch von wilder Energie und schlangenartiger Eleganz - die Geburt einer neuen ungebändigten literarischen Stimme.

Ada wächst im Süden Nigerias auf. Sie ist ein sprunghaftes und schwieriges Kind und ein Quell steter Sorge für ihre Eltern. Adas verschiedene Ichs kommen immer wieder zum Vorschein und rücken vor allem nach ihrem Umzug in die USA immer stärker in den Vordergrund. Nach einem traumatischen Übergriff nimmt Adas Leben eine dunkle und gefährliche Wendung.

"SÜSSWASSER ist reine Perfektion: sexy, sinnlich, magisch, weise. Eines der umwerfendsten Debüts, die ich je gelesen habe." Taiye Selasi, GUARDIAN

"Außergewöhnlich und mutig, poetisch und verstörend." NEW YORK TIMES

"Eine ungeheuer kraftvolle und sehr besondere Einwanderungsgeschichte." Edwidge Danticat, NEW YORKER

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Seitenzahl: 314

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Inhalt

CoverInhaltÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungKapitel EinsKapitel ZweiKapitel DreiKapitel VierKapitel FünfASỤGHARAKapitel SechsKapitel SiebenKapitel AchtKapitel NeunKapitel ZehnKapitel ElfKapitel ZwölfỊLAGHACHỊKapitel DreizehnKapitel VierzehnKapitel FünfzehnKapitel SechzehnKapitel SiebzehnKapitel AchtzehnKapitel NeunzehnNZỌPỤTAKapitel ZwanzigKapitel EinundzwanzigKapitel ZweiundzwanzigDanksagung

Über dieses Buch

SÜSSWASSER ist ein außergewöhnlicher Debütroman, der einen einzigartigen Zustand erkundet: ein gespaltenes Ich zu haben. Ada wächst im Süden Nigerias auf. Sie ist ein sprunghaftes und schwieriges Kind und ein Quell steter Sorge für ihre Eltern. Adas verschiedene Ichs kommen immer wieder zum Vorschein und rücken vor allem nach dem Umzug in die USA immer stärker in den Vordergrund. Nach einem traumatischen Übergriff nimmt Adas Leben eine dunkle und gefährliche Wendung. »SÜSSWASSER ist reine Perfektion: sexy, sinnlich, magisch, weise. Eines der umwerfendsten Debüts, die ich je gelesen habe.« Taiye Selasi, GUARDIAN

Über die Autorin

Akwaeke Emezi ist eine igbo-tamilische Autorin und eine Künstlerin zwischen den Welten. Sie wuchs in Nigeria auf und absolvierte ihren Master in Verwaltungswissenschaften an der New York University. Im Jahr 2017 gewann sie den Commonwealth Short Story Prize für Afrika. Ihre Texte wurden unter anderem von Chimamanda Adichie ausgewählt und lektoriert und von vielen literarischen Magazinen veröffentlicht. Süßwasser ist ihr Debütroman.

http://www.akwaeke.com/

AKWAEKE EMEZI

SÜSSWASSER

Übersetzung aus dem Amerikanischen von Anabelle Assaf und Senthuran Varatharajah

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Dieser Titel ist auch als Hörbuch erschienen

  

Eichborn Verlag in der Bastei Lübbe AG

  

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Freshwater«

  

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2018 by Akwaeke Emezi

All rights reserved

  

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Umschlaggestaltung: Massimo Peter-Bille

eBook-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde

  

ISBN 978-3-7325-6045-5

  

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

 

Für die von uns,

die mit einem Fuß

auf der anderen Seite stehen.

Kapitel Eins

Ich habe viele Leben in diesem Körper gelebt.

Ich habe viele Leben gelebt, bevor sie mich indiesen Körper gesteckt haben.

Ich werde viele Leben leben, wenn sie michaus ihm herausholen.

Wir

Das erste Mal, als unsere Mutter uns holen kam, haben wir geschrien.

Wir waren zu dritt, und sie eine Schlange, aufgerollt auf den Badezimmerfliesen, wartend. Aber wir hatten die letzten fünf Jahre damit verbracht, unserem Körper zu glauben – wir dachten, unsere Mutter sei jemand anderes, ein dünner Mensch mit geschminkten Wangen und einer großen, dick beglasten Brille. Also haben wir geschrien. Die Grenzen sind nicht so klar, wenn man neu ist. Es gab eine Zeit, bevor wir einen Körper hatten, als er sich noch selbst erschuf, Zelle für Zelle in dieser dünnen Frau, als er sorgfältig Organe entwickelte, ein System. Wir zogen ein und aus, um zu sehen, wie es dem Fötus ging, rauschten pfeifend durch das Wasser, in dem er trieb, im Takt der Lieder, die die dünne Frau sang, katholische Loblieder ihrer Familie, deren Körper als Asche in den Mauern einer Kathedrale in Kuala Lumpur lagerten. Welch ein Vergnügen, den gesungenen Rhythmus der Musik zu stören, ihn um den Fötus zu wickeln, bis er vor Freude strampelte. Manchmal haben wir den dünnen Körper der Frau verlassen, um hinter ihr herzuschweben und das Haus zu erkunden, in dem sie wohnte, wir folgten ihr durch die muschelblauen Wände, wir schauten ihr dabei zu, wie sie Teig zu runden Formen knetete und unter ihren Händen Chapatis blubberten.

Sie war klein, mit dunklen Augen und dunklen Haaren, mit hellbrauner Haut, und ihr Name war Saachi. Sie war das sechste von acht Kindern, geboren am elften Tag des sechsten Monats, in Malakka, auf der anderen Seite des Indischen Ozeans. Später flog sie nach London und heiratete einen Mann namens Saul, in einem weißen Sari, der wie Schneegestöber aussah, mit Schleier und Blumen. Saul war ein forscher Mann mit verwegenem Lächeln und tiefbrauner Haut, mit dichten, kurz geschnittenen schwarzen Spulen auf dem Kopf. Er sang Jim Reeves in einem übertriebenen Bariton, sprach fließend Russisch und hatte Latein gelernt, und er tanzte Walzer. Es lagen zwölf Jahre zwischen ihnen, und dennoch, das Paar war schön, es passte gut zusammen, sie bewegten sich mit Anmut durch die graue Stadt.

Als unser Körper mit dem ihren verwoben war, waren sie bereits nach Nigeria gezogen, und Saul arbeitete für das Queen Elizabeth Hospital in Umuahia. Sie hatten schon einen kleinen Jungen, Chima, der drei Jahre zuvor in Aba zur Welt gekommen war, aber für dieses Baby (für uns), für dieses Baby war es wichtig, dass sie nach Umuahia zurückkehrten, wo Saul geboren worden war und sein Vater vor ihm und dessen vor ihm. Das Blut folgt den Wegen, fließt in die Erde, es ölt die Tore, lässt das Gebet Fleisch werden. Später würde es noch eine weitere Tochter geben, die in Aba zur Welt kam, und Saul würde beiden Mädchen in seinem Bariton vorsingen, ihnen zeigen, wie man den Walzer tanzt, und auf ihre Katzen aufpassen, als sie ihn verließen.

Doch bevor die Mädchen geboren wurden, wohnten sie (die dünne Frau und der forsche Mann) in einem großen Haus im Ärzteviertel, dem Ort mit dem Hibiskus draußen und dem Muschelblau drinnen. Saachi war Krankenpflegerin, eine pragmatische Frau, und so standen die Chancen bei den beiden gut, dass das Neugeborene leben würde. Wenn wir dieses Hauses müde wurden, flatterten und schwirrten wir umher, spielten auf dem Anwesen und beobachteten die Ranken der Yamswurzeln, wie sie nach oben krochen, zu den Stöcken, die sie stützten, wir beobachteten, wie die Maisgrannen ausdorrten, während sie reiften, wir beobachteten das Anschwellen der Mangos, und wie sie fleckenweise gelb wurden, bevor sie herabfielen. Saachi saß da und schaute Saul dabei zu, wie er zwei Eimer mit diesen Mangos füllte und sie zu ihr brachte. Sie aß sie ganz, die Haut, das feuchte Fleisch, bis ihre Zähne an den Kernen schabten, als wären sie trockene Knochen. Aus den Übrigen machte sie Mangomarmelade, Mangosaft, Mangoalles. Sie aß zehn bis zwanzig von ihnen, jeden Tag, dann einige von den großen Avocados, die sie um ihren Kern herum in Scheiben schnitt, um das weiche Fruchtfleisch zu löffeln, es zu verschlingen. Und so wurde unser Fötenkörper gefüttert, und wir besuchten ihn, und wenn wir ihrer Welt müde geworden waren, verließen wir sie und gingen in unsere. Damals, damals waren wir noch frei. Es war so einfach zu verschwinden, entlang der bitteren Kreideströme.

In diesen Queen-Elizabeth-Tagen fuhren sie Taxi mit einem Mann, der den Innenraum seines Autos mit dem Spruch Keine Abkürzung zum Erfolg zugeklebt hatte. Immer dieselben Worte, die dicker wurden durch die Schichten von übereinandergeklebten Stickern, einige blätterten ab, andere waren glänzend neu. Jeden Tag ließ Saachi ihren kleinen Jungen, Chima, mit seiner Nanny daheim zurück, und der Taxifahrer fuhr sie von ihrem Anwesen zu Sauls Klinik im Dorfzentrum. An diesem Morgen (dem Tag, an dem wir starben und geboren wurden) setzten während der Fahrt über die verschlungenen roten Straßen ihre Wehen ein. Der Fahrer wendete sofort, ihren gekeuchten Anweisungen folgend, und er brachte sie stattdessen zum Aloma Hospital. Als ihr Körper uns rief und sich selbst herauspresste, waren diese Sticker alles, worauf sich Saachi konzentrieren konnte, es wimmelte von ihnen, um die Sitze herum, sie erinnerten sie daran, dass es den kurzen Weg nicht gab.

In der Zwischenzeit wurden wir abgerissen, durch diese Tore gezerrt, über einen Fluss und durch die Hintertür des Schoßes der dünnen Frau in das sich kräuselnde Wasser gestoßen, in dem der kleine schlafende Körper trieb. Es war an der Zeit. Als der Fötus in ihrem Bauch wohnte, war uns Freiheit vergönnt gewesen, aber er würde jetzt allein sein, nicht mehr Fleisch in einem Haus, sondern ein Haus für sich, für sich selbst, und wir waren die, die darin leben sollten. Wir waren die warmen, dumpfen Schläge von zwei Herzen gewohnt, getrennt von Wänden aus Fleisch und Flüssigkeit, wir waren die Möglichkeit des Gehens, des Zurückkehrens gewohnt, an den Ort, von dem wir gekommen waren, frei, wie Geister es sein sollten. Herausgegriffen und in das trübe Bewusstsein eines kleinen Kopfes gesperrt werden? Wir weigerten uns. Das wäre Wahnsinn.

Der dünne Körper dieser Frau neigte zu schnellen Geburten. Der Junge, das erste Kind, war innerhalb einer Stunde zur Welt gekommen, und ein Jahr nach unserer Geburt würde das dritte Kind nur zwei Stunden benötigen. Wir, diese Mitte, hielten den Körper sechs Stunden lang fest, gegen das Ziehen. Keine Abkürzungen.

Es war der sechste Tag im sechsten Monat.

Irgendwann stachen die Ärzte eine Nadel in Saachis Körper und ernährten sie durch einen Tropf, unseren Widerstand mit Medikamenten bekämpfend, um den Körper hinauszuzwingen, der unserer wurde. Und so wurden wir durch diese fremdartige Geburt gefangen, durch diese fleischliche Abscheulichkeit, und sind hier gestrandet.

***

Wir kamen von irgendwoher – alles kommt von irgendwoher. Wenn dieser Übergang von Geist zu Fleisch beendet ist, sollten die Tore eigentlich wieder geschlossen werden. Das wäre barmherzig, alles andere grausam. Vielleicht hatten die Götter es vergessen; manchmal sind sie so zerstreut. Nicht aus Böswilligkeit – zumindest nicht für gewöhnlich. Aber am Ende sind sie Götter, und sie kümmern sich nicht um das, was mit Fleisch passiert, vor allem, weil es so langsam und langweilig ist, fremdartig und grob. Sie schenken ihm nicht viel Aufmerksamkeit, außer, wenn es gesammelt, organisiert und beseelt wird.

Als sie (unser Körper) sich in die Welt hinaus gekämpft hatte, glitschig und lauter als ein Dorf aus Stürmen, blieben die Tore offen. Wir hätten inzwischen in ihr verankert sein müssen, schlafend in ihren Membranen, mit ihrem Bewusstsein verbunden. Das wäre der sicherste Weg gewesen. Aber weil die Tore offen standen und nicht verschlossen waren gegen die Erinnerung, waren wir verwirrt. Wir waren beides gleichzeitig, alt und neugeboren. Wir waren sie, und doch nicht. Wir waren nicht bei Bewusstsein, aber wir waren am Leben – genau genommen bestand das Hauptproblem darin, dass wir ein deutlich unterscheidbares Wir waren, statt ganz und ausschließlich sie zu sein.

Hier war sie also: ein dickes Baby mit dichten, schwarzen Haaren. Und dort waren wir, Kleinkinder in dieser Welt, blind und hungrig, uns teilweise an ihr Fleisch klammernd, und den Rest von uns zogen wir in Strömen hinter uns her, durch die offenen Tore. Wir wollten immer glauben, dass es eine Leichtsinnigkeit der Götter gewesen war und keine absichtliche Nachlässigkeit. Aber was wir denken, spielt kaum eine Rolle, auch angesichts dessen nicht, was wir für sie sind: ihr Kind. Sie sind unergründlich – jeder, der bei Verstand ist, erkennt das –, und so zärtlich zu ihren eigenen Kindern wie zu euren. Vielleicht sind sie es zu uns sogar noch weniger, denn eure Kinder sind nur schwache Fleischsäcke mit einer zeitlich begrenzten Seele. Wir aber, auf der anderen Seite – ihre Kinder, Schlüpflinge, kleinen Götter, Ọgbanje –, wir können so viel mehr Schrecken ertragen. Nicht, dass es von Bedeutung wäre – es war klar, dass sie (das Baby) wahnsinnig werden würde.

Wir schliefen weiter, aber mit offenen Augen, immer noch eingerastet in ihren Körper und ihre Stimme, während sie heranwuchs, in diesen ersten langsamen Jahren, in denen alles und nichts geschieht. Sie war launisch, klug, eine schwankende Sonne. Brutal. Sie hat viel geschrien. Sie war pummelig und schön und wahnsinnig, wenn irgendjemand weise genug gewesen wäre, das zu sehen. Sie sagten, sie käme nach der Familie ihres Vaters, nach der Großmutter, die tot war, wegen ihrer dunklen Haut und ihren dichten Haaren. Aber Saul benannte sie nicht nach ihr, wie es vielleicht ein anderer Mann getan hätte. Jeder wusste, dass Menschen in neuen Körpern zurückkehrten; es passiert ständig. Nnamdi. Nnenna. Aber als er in das nasse Schwarz ihrer Augen sah, beging er – überraschenderweise, für einen blinden Mann, für einen modernen Mann – diesen Fehler nicht. Irgendwie wusste er, dass, was auch immer aus seinem Kind zurückschaute, nicht seine Mutter war, sondern irgendjemand, irgendetwas anderes.

Jeder drängte sich in die Luft um sie herum, kniff in ihre Wangen und das Fettgewebe, das darunterlag, und das eingezogen wurde, nicht von ihr, wie sie dachten, in Wirklichkeit waren wir es. Auch wenn wir schlafen, können wir nicht anders, als Menschen an uns zu ziehen. Sie ziehen uns auch an, aber immer nur einer zu seiner Zeit; wir sind sehr wählerisch. Saachi schaute den Besuchern zu, wie sie zu dem Baby strömten, und die Sorgen sprossen in ihr wie grüne Triebe. Das alles war neu. Chima war so leise, so friedlich gewesen, das genaue Gegenteil von Saachi selbst. Beunruhigt suchte sie nach einem Pottu, und sie fand eines, einen dunklen Kreis aus samtweichem Schwarz, ein tragbares drittes Auge, und sie brachte es auf der Stirn des Babys an, auf dieser glatten Fläche frischer Haut. Eine Sonne, um den bösen Blick abzuwehren und die Absichten böser Menschen zu vereiteln, die in einem liebevollen, sanften Ton zu einem Kind sprechen konnten und es im selben Atemzug verfluchen. Saachi war stets eine pragmatische Frau. Die Chancen standen gut, dass das Kind leben würde. Die Götter hatten immerhin verantwortungsbewusste Menschen gewählt, Menschen, die sie erbittert liebten, denn es sind schließlich diese ersten Jahre, in denen die Wahrscheinlichkeit am größten ist, sie zu verlieren. Und dennoch: Es konnte nicht aufwiegen, was mit den Toren passiert war.

Saul, der menschliche Vater, hatte die Geburt verpasst. Wir hatten ihm nie viel Aufmerksamkeit gewidmet, als wir frei waren – er interessierte uns nicht; er trug kein Gefäß oder Universum in seinem Körper. Er war unterwegs gewesen, um kistenweise Softdrinks für die Gäste zu kaufen, während seine Frau mit uns um verschiedene Arten der Befreiung rang. Saul war immer schon einer dieser Männer gewesen, die viel auf Status, Image und soziales Kapital gaben. Menschliche Dinge eben. Aber er ermöglichte ihren Namen, und erst später, als wir wach waren, wussten wir es und verstanden letzten Endes, warum er ausgewählt worden war. Viele Dinge beginnen mit einem Namen.

Nach der Geburt des Jungen, Chima, hatte Saul um eine Tochter gebeten, und als unser Körper eintraf, gab er ihm einen zweiten Namen, der »Gott antwortete« bedeutete. Er wollte damit sagen, die Götter antworteten. Er wollte damit sagen, dass er uns anrief und wir ihm antworteten. Er wusste nicht, was er damit sagen wollte. Menschen beten oft und vergessen dabei, was ihre Münder anrichten können, sie vergessen, dass jedes Ohr zuhört, dass, wenn du deine Wünsche an die Götter richtest, sie es persönlich nehmen können.

Die Kirche hatte sich geweigert, das Kind ohne diesen zweiten Namen zu taufen; sie hielten seinen ersten für unchristlich, heidnisch. Bei der Taufe war Saachi so dünn und knochig wie in London, Sauls Bauch hingegen war etwas rundlicher als früher, eine Wohlstandsrundung. Er trug einen weißen Anzug mit weißem Revers, eine weiße Krawatte lag auf einem schwarzen Hemd, und er stand da und schaute mit gefalteten Händen dem Priester dabei zu, wie er die Stirn des Babys salbte, das seine Frau in ihren Armen wiegte. Saachi spähte nach unten, durch ihre dicken Brillengläser hindurch, sie konzentrierte sich auf das Kind mit einer ruhigen Ernsthaftigkeit; ihr weißer Hut lag schwer auf ihren langen schwarzen Haaren, das samtweiche Kastanienbraun ihres Kleides streng auf den Schultern. Chima stand neben seinem Vater in olivfarbenem Khaki, klein, sein Kopf reichte nur bis zu Sauls Händen. Der Priester redete vor sich hin, und wir haben im Kind geschlafen, als der abgestandene Geschmack von Weihwasser durch ihre Stirn hindurch in unser Reich sickerte. Sie haben den Namen eines Mannes gerufen, immer wieder, irgendeinen Christus, einen anderen Gott. Das schale Wasser gab ihm ein Zeichen, und er drehte seinen Kopf, synchron mit uns.

Der Priester sprach weiter, während dieser Christus herüberkam, Grenzen zersprengend, einen schwarzen Ozean hinter sich herziehend. Er bewegte seine Hände schnell über dem Baby, Granatapfelwasser und Honig unter seinen Fingernägeln. Sie war eingeschlafen, während Saachi sie hielt, und bewegte sich etwas unter seiner Berührung, ihre Augenlider zuckten. Wir drehten uns um. Er neigte seinen Kopf, diesen Schaum aus schwarzen Locken, diese Nussschalenhaut, und trat zurück. Sie hatten sie ihm dargeboten, und er würde annehmen; er hatte nichts dagegen, das Kind zu lieben. Wasser tropfte in ihre Ohren, als der Priester ihren zweiten Namen sagte, die Antwort Gottes, den, den die Kirche verlangt hatte, weil sie nicht wusste, dass der erste Name mehr Gott, mehr Göttliches enthielt, als sie sich vorstellen konnte.

Saul hatte seinen älteren Bruder um Rat gefragt, als er den ersten Namen aussuchte. Dieser Bruder, ein Onkel, der starb, bevor wir uns an ihn erinnern konnten (eine Schande; wenn irgendjemand hätte wissen können, was mit den Toren zu tun war, dann er), hieß De Obinna; ein Lehrer, der zu den Dörfern im Landesinnern gereist war und die Dinge kannte, die dort praktiziert wurden. Sie sagten, er gehöre zur Kirche der Cherubim und Seraphim, und es scheint, als habe er das, als er starb. Aber er war auch ein Mann, der die Lieder und Tänze Uwummiris kannte, des Rituals, das im Wasser ertränkt wird. Alles Wasser ist miteinander verbunden. Alles Süßwasser kommt aus dem Mund einer Python. Als Saul so vernünftig gewesen war, das Kind nicht nach seiner Großmutter zu benennen, griff De Obinna ein und schlug den ersten Namen vor, den mit all dem Göttlichen darin. Jahre später sagte Saul dem Kind, der Name bedeute lediglich »wertvoll«, aber diese Übersetzung ist ungenau und unangemessen, sowohl richtig als auch unvollständig. Der Name bedeutete, im wahrsten Sinne des Wortes, das Ei einer Python.

Bevor eine durch Christus herbeigeführte Amnesie die Menschen heimsuchte, wusste man, dass die Python heilig, nicht einfach nur ein Reptil ist. Sie ist die Quelle der Strömung, die fleischliche Form der Göttin Ala, die die Erde selbst ist, Richterin und Mutter, die, die das Gesetz gibt. Auf ihren Lippen wurden die Menschen geboren, und dort verbringen sie ihr ganzes Leben. Ala trägt die ganze Unterwelt in ihrem Leib, die Toten heben und senken ihren Bauch, ein Halbmond über ihr. Es war verboten, ihre Python zu töten, und von ihrem Ei hieß es, man könne es nicht finden. Und sollte man es finden, so fügten sie hinzu, könne man es nicht berühren. Denn das Ei einer Python ist das Kind Alas, und das Kind Alas ist nicht für eure Hände bestimmt, und wird es auch nie sein.

Dies ist das Kind, um das Saul gebeten hat, das Fleisch des Gebets. Es ist besser, ihren ersten Namen nicht auszusprechen.

Wir nannten sie die Ada.

Also. Die Ada gehörte zu uns und zu Ala und zu Saachi, und als das Kind heranwuchs, kam eine Zeit, in der es sich nicht auf allen vieren bewegte, wie die meisten Babys es tun. Sie beschloss stattdessen, zu schlängeln, sich auf ihrem Bauch zu winden, auf den Boden zu drücken. Saachi betrachtete sie und fragte sich dabei, ohne einzuschreiten, ob sie zu dick sei, um richtig zu krabbeln, sie beobachtete ihre festen Speckrollen aus neuem Fleisch, wie sie über den Teppich glitten. »Das Kind kriecht wie eine Schlange«, sagte sie am Telefon zu ihrer Mutter, über den Indischen Ozean hinweg.

Zu dieser Zeit führte Saul eine kleine Klinik in den ehemaligen Dienstbotenquartieren des Mehrfamilienhauses, in dem sie wohnten, in der Ekenna Avenue, Nummer 17, aus Tausenden kleinen roten Ziegeln erbaut. Die Ada hatte in der Klinik eine Tetanusimpfung bekommen, nachdem ihr Bruder, Chima, ihrer gemeinsamen Schwester ein Stück Holz, in dem ein Nagel steckte, gegeben und gesagt hatte: »Schlag sie damit.« Wir dachten nicht, dass sie es tun würde, also haben wir uns keine Sorgen gemacht, aber er war der Erstgeborene, und sie überraschte uns. Wir bluteten stark, und Saul hat uns die Impfung selbst verabreicht, aber die Ada hat keine Narbe, also ist diese Erinnerung vielleicht nicht real. Wir warfen der kleinen Schwester nichts vor, da wir sie sehr gernhatten. Ihr Name war Añuli. Sie war die Letztgeborene, das Amen am Ende eines Gebets, so ein süßes Kind. Es gab eine Zeit, in der sie eine Sprache sprach, die niemand außer uns verstehen konnte, frisch von der anderen Seite wie sie war (aber unversehrt, nicht wie wir), also quatschten wir in dieser Sprache mit ihr und übersetzten für die Eltern unseres Körpers.

Frühmorgens, bevor Saul und Saachi wach waren, schlich die Ada (unser Körper) regelmäßig aus dem Apartment, um die Kinder der Nachbarn zu besuchen. Sie brachten ihr bei, wie man Milchpulver stiehlt und es mit der Zunge an die Decke der Mundhöhle klebt und sie dann in Stücken abschält, diese nach Babys riechende Süße. Nach ein paar Jahren zogen Saul und Saachi mit der Familie ein paar Häuser weiter, in die Nummer 3, die mehr Schlafzimmer und ein zusätzliches Badezimmer hatte. Letztlich wurde die Nummer 17 abgerissen, und jemand baute dort ein anderes Gebäude, ein Haus, das dem alten in nichts ähnelte, nirgends rote Ziegel.

Aber die roten Ziegel standen noch, als Saachi unserem Körper beibrachte, das Töpfchen zu benutzen, und zwar eines mit blauem Plastiksitz. Die Ada war vielleicht drei Jahre alt, die Hälfte von sechs, ungefähr. Sie lief ins Badezimmer, in dem das Töpfchen stand, und zog ihre Unterhose herunter, sie setzte sich vorsichtig hin, weil sie gut darin war. Sie war auch in anderen Dingen gut – Weinen, zum Beispiel, es gab ihr einen Sinn, füllte all diese kleinen Spalten der Leere aus. Als sie also aufschaute und die große Schlange sah, die auf den Fliesen gegenüber dem Töpfchen aufgerollt lag, war das Erste, was unser Körper tat, zu schreien. Die Python hob ihren Köpf und ein Stück ihres Körpers, der Rest kräuselte sich, Schuppen glitten behutsam übereinander. Sie blinzelte nicht. Durch ihre Augen hat Ala uns angesehen, und durch die Augen der Ada sahen wir sie an – wir alle sahen uns zum ersten Mal an.

Wir hatten einen guten Schrei: Er war laut und beanspruchte den Großteil unserer Lungen. Wir machten nur eine Pause, um Aufregung, Hitze, Luft für die nächste Runde in ihnen zu sammeln. Dieses Schreien war eines der ersten Dinge, die Saachi aufgefallen waren, als unser Körper ein Baby war. Es wurde ein Running Gag in der Familie: »Aiyoh, du hast so eine große Klappe!«

Da Chima so ein ruhiges Kind gewesen war, hatte niemand erwartet, dass die Ada so laut sein würde. Nachdem Saachi Chima gefüttert und gebadet hatte, konnte sie ihn im Laufstall lassen, und er würde einfach spielen, ruhig, allein. Als unser Körper sechs Monate alt war, nahm Saachi uns mit nach Malaysia, über den Indischen Ozean, wir flogen mit Pakistan Airlines, mit einem Zwischenstopp in Karachi. Die Crew gab ihr ein Kinderkörbchen, um uns hineinzulegen, aber wir weinten mit solch einer Kraft, dass Saachi der Ada irgendein Chloralhydrat gab, damit sie den Mund hielt.

Zurück in Aba starrte Chima gebannt auf uns, weil unser Körper jedes Mal schrie, wenn wir nicht das bekamen, was wir wollten. Es gibt Einschränkungen im Fleisch, die an sich keinen Sinn ergeben, Begrenzungen dieser Welt, die der Freiheit, die wir hatten, als wir uns zwischen den muschelblauen Wänden bewegen und in diesen Körper ein- und ausziehen konnten, wie wir wollten, diametral entgegenstehen. Diese Welt hätte sich biegen sollen – so hatte es vorher funktioniert, bevor unser Körper durch Muskelringe und -wände rutschte, bevor er ihre Augen öffnete, bevor er ihre Lungen mit dieser Welt füllte und unsere Ankunft hinausschrie. Wir schliefen weiter, und dennoch prägte unsere Anwesenheit den Körper der Ada und ihr Temperament. Sie riss alle Knöpfe aus den Kissen und malte auf Wände. Jeder hatte sich so sehr an diese Dummheiten und das Schreien gewöhnt, dass ihr, als die Ada die Schlange anstarrte und vor Angst erstarrt ihren Schrecken durch den Mund hinausschleuderte, keiner Aufmerksamkeit schenkte. »Sie will nur ihren Willen durchsetzen«, sagten sie, im Wohnzimmer zusammensitzend, Star Beer in Flaschen trinkend. Aber diesmal hörte sie nicht auf. Saul runzelte die Stirn und wechselte einen Blick mit seiner Frau, Sorge wanderte über ihre Gesichter. Er stand auf, um nach dem Kind zu sehen.

Nun, Saul war ein moderner Igbo-Mann. Sein Medizinstudium hatte er mit einem Stipendium in der Sowjetunion absolviert, danach verbrachte er viele Jahre in London. Er glaubte nicht an Hokuspokus, an irgendetwas, das behauptet hätte, eine Schlange könne etwas anderes als den Tod bedeuten. Als er die Ada sah, sein Baby, mit Tränen, die sein Gesicht hinunterliefen, heulend vor Schreck vor dieser Python, ergriff ihn eine alte Angst. Er schnappte sich seine Tochter und brachte sie weg, holte eine Machete, ging zurück und hackte die Python in Stücke. Ala (unsere Mutter) aufgelöst inmitten von zerbrochenen Schuppen und Teilen aus Fleisch; sie ging zurück, sie würde nicht wiederkommen. Saul war wütend. Es war ein Gefühl, das angenehm war, wie eingelaufene Hausschuhe. Er ging zurück ins Wohnzimmer, die Hand in blutiges Metall gehüllt, und brüllte die anderen im Haus an.

»Wenn das Kind weint, nehmt es nicht einfach so hin. Habt ihr verstanden?!« Die Ada lag zusammengekauert in Saachis Armen, zitternd.

Er hatte keine Ahnung, was er getan hatte.

Kapitel Zwei

Die Python wird alles vollständig verschlingen.

Wir

Das alles ist, letztendlich, eine Litanei des Wahnsinns – seiner Farben, der Geräusche, die er in bleiernen Nächten macht, seines Zirpens, wenn er hinter der Schulter des Morgens lauert. Stell dir die kurzen Episoden des Wahns vor, die in dir sind, nicht nur die, die erblühten, als du größer wurdest, zu sündigeren Versionen deiner selbst, sondern die, mit denen du geboren wurdest, versteckt hinter deiner Leber. Nimm uns, zum Beispiel.

Wir sind nicht allein gekommen. Mit einer Kraft wie der unseren haben wir andere Dinge mitgeschleppt – einen Pakt, Knochenteile, einen vulkanischen Stein, abgenutzten Baumwollsamt, einen Streifen menschlicher Haut, der alles zusammenhielt. Dieses zusammengesetzte Objekt wird Iyi-uwa genannt, der Eid der Welt. Es ist ein Versprechen, das wir gegeben haben, als wir frei waren und schwebend, bevor wir die Ada betraten. Der Eid sagt, dass wir zurückkommen werden, dass wir nicht in dieser Welt bleiben, dass wir treu sind, der anderen Seite gegenüber. Wenn Geister wie wir in Fleisch gesteckt werden, wird dieser Eid ein reales Objekt, eines, das als Brücke dient. Es ist für gewöhnlich vergraben oder versteckt, weil es der Weg zurück ist, wenn man versteht, dass dieses Tor der Tod ist. Die wenigen gescheiten Menschen sind immer auf der Suche nach dem Iyi-uwa, damit sie es ausgraben oder aus dem Fleisch ziehen können, an welchem geheimen Ort es auch gehütet worden sein mag, damit sie es zerstören können, damit der Körper ihres Kindes nicht sterben wird. Wenn Alas Leib die Unterwelt trägt, dann ist das Iyi-uwa die Abkürzung dorthin zurück. Wenn die menschlichen Eltern der Ada es finden und zerstören würden, könnten wir nie wieder nach Hause zurückkehren.

Wir waren nicht wie andere Ọgbanje. Wir versteckten es nicht unter einem Baum oder in einem Fluss oder im verworrenen Fundament von Sauls Dorfhaus. Nein, wir haben es besser versteckt. Wir nahmen es auseinander und verteilten es. Die Ada hatte ohnehin Knochen – wer würde schon die merkwürdigen darin verwobenen Fragmente bemerken? Den vulkanischen Stein haben wir in der Vertiefung ihres Bauchs versteckt, zwischen der Schleimhaut und den Muskelschichten. Wir wussten, dass er sie niederziehen würde, aber Ala trägt eine Welt toter Seelen in sich – was ist da schon ein einfacher Stein für ihr Kind? Wir legten den Baumwollsamt in die Wände ihrer Scheide, und wir spuckten auf die menschliche Haut, befeuchteten sie wie einen Bach. Sie wurde wellig und lebendig, dann dehnten wir sie von einem Schulterblatt zum anderen, legten sie über ihren Rücken und vernähten sie mit ihrer anderen Haut. Wir machten sie zu dem Eid. Um ihn zu zerstören, müssten sie sie zerstören. Um sie am Leben zu erhalten, würden sie sie zurückschicken müssen.

Wir machten sie uns zu eigen, in vielerlei Hinsicht, und dennoch waren wir überwältigend für das Kind. Auch wenn wir zusammengerollt und untätig in ihr lagen, konnte sie bereits die Beunruhigung, das Unbehagen spüren, die unsere bloße Anwesenheit verursachte. Wir schliefen so schlecht in diesen ersten zehn Jahren. Die Ada hatte wiederholt Albträume, erschreckende Träume, die sie wieder und wieder ins Bett ihrer Eltern trieben. In den tintenschwarzen Stunden des Morgens wachte sie auf, in kalten Angstschweiß gebadet, dann schlich sie auf Zehenspitzen in ihr Zimmer, die Tür öffnete sie knarzend, behutsam. Saul schlief immer auf der Seite des Betts, die am nächsten zur Tür lag, Saachi neben ihm, zum Fenster hin. Die Ada stand an ihrem Bett, mit Tränen auf dem Gesicht, sie umarmte das Kissen, bis einer von ihnen spürte, dass sie da war und aufwachte, um sie dort stumm schluchzend im Dunkeln zu finden, in ihrem roten Pyjama, mit dem weißgestreiften Oberteil.

»Was ist passiert?« Tausende Male.

»Ich hatte einen schlechten Traum.«

Armes Ding. Es war nicht ihr Fehler – sie wusste nicht, dass wir in ihr lebten, noch nicht. Wie ein Kind, das im Schlaf mit den Füßen strampelt, trafen wir ihren unwissenden Verstand, wir wälzten sie hin und her. Die Tore waren offen, und sie war die Brücke. Wir hatten keine Kontrolle; wir wurden immer in die Richtung unseres Zuhauses gezogen, und wenn sie nicht bei Bewusstsein war, glitten wir, dehnten wir uns mehr in diese Richtung.

Die Ada überraschte uns aber, als sie begann, unser Reich zu betreten. Es gab einen Albtraum, Atem, stoßweise, vor Angst, während wir umherwüteten, und dann, in einer Nacht, war sie plötzlich da, neben uns, sich im Traum umschauend, in dem Versuch, aus ihm hinauszukommen. Sie war sieben oder acht, und ihre Augen waren jung und berechnend – sie war brillant, noch bevor wir sie formten. Das war einer der Gründe, weshalb Saul Saachi geheiratet hatte; er sagte, er brauche eine intelligente Frau, die ihm geniale Kinder schenken würde.

In diesem Traum stellte die Ada sich einen Löffel vor. Es war seltsam, ein ganz normaler Esslöffel, vertikal schwebend. Aber er war aus Metall, und er war kalt, und diese Eigenschaften machten ihn real. Neben ihm war die ganze Galle, die wir geschaffen hatten, offensichtlich falsch. Sie schaute sich den Löffel an, erkannte, welchem Reich er angehörte (ihrem, nicht unserem), und wachte auf. Sie tat das immer wieder, sich aus dem Traum zu schnipsen. Am Ende brauchte sie den Löffel nicht mehr. Der Traum würde sich biegen, dunkler werden, und die Ada würde sich selbst daran erinnern, wo sie war, dass, ja, sie sich in einem Traum voller Schrecken befand, aber immer noch die Kraft hatte zu gehen. So würde sie sich durch die zähflüssigen Schichten des Bewusstseins herausziehen, bis sie wach war, vollständig, mit schmerzenden Rippennähten. Sie, unsere kleine Fleischansammlung, hatte ganz allein eine Brücke gebaut. Wir waren so stolz. Wir beobachteten sie von unserem Reich aus, zu jener Zeit, als wir noch nicht bereit waren aufzuwachen.

Und dann, eines Tages, war das Erwachen da.

Es war Dezember, während des Harmattans, als die Ada im Dorf war. Saul fuhr mit der Familie zu Weihnachten immer nach Umuecheọkụ, und danach verbrachte die Ada Neujahr mit ihrer besten Freundin Lisa in Umuawa. Lisas Familie war ein streitlustiger und lauter Klan, Menschen, die die Ada in ihren Armen hielten und sie küssten, vor dem Schlafengehen und nach dem Aufwachen. Die Ada war so viel Körperkontakt nicht gewohnt. Saul und Saachi neigten nicht dazu, jemanden zu halten, nicht so. Also liebte sie Lisas Familie, und sie waren es, die sie zur Maskenzeremonie mitnahmen, wo unser Erwachen stattfand.

Jene Nacht war schwarz wie samtweiche Tamarinde, so dicht, dass die Menschen näher beieinanderliefen, zusammengedrückt zu einem Pack, das sich Richtung Dorfplatz bewegte. Die Ada konnte die Musik schon hören, noch bevor sie die dröhnende Menge erreicht hatten. Die Leute um sie herum begannen, einer nach dem anderen, sich Hals- und Taschentücher über ihre Nasen und Münder zu binden, bevor sie sich in die Wolke aus Staub warfen, in der jeder tanzte und sich in die Musik stürzte, zu den Klängen der Ekwe und der Ogene.

Lisa gab ihr ein weißes Taschentuch, die Baumwolle fiel über ihre Finger wie der Flügel eines Reihers. Die Ada hielt am Rand inne, ihre Sandalen sanken kurz in den schweren, blassen Sand, und sie schaute zu. Der schnelle Beat der Ekwe ging hoch und runter, runter runter runter, hoch hoch, der Klang dicht und laut. Lisa tauchte in die Menge ein, ihre Augen gekräuselt vom Lachen, über dem roten Halstuch, das ihr Gesicht umhüllte. Die Ada spürte ihr Herz schwanken im Takt der Ogene. Sie band sich das Taschentuch um ihr Gesicht, und ihre Füße hoben sich, trugen sie in die tanzende Menge. Der Staub verwob sich mit der Luft, lag leicht auf ihrem Gesicht, schabte sanft an ihren Augen. Er atmete auf ihrer Haut. Um ihre Füße herum wirbelte Sand auf, und die Haut auf ihrem Rücken kribbelte.

Das Trommeln erschütterte alles, und die Menge teilte sich in wahnsinniger Hektik, als die Masken auf die Menschen stürzten, Peitschen krachen ließen und die Luft zerteilten. Das Rindsleder spross aus ihren Händen wie die Fontäne eines Brunnens. Um ihre Hüften waren Leinen gebunden, und ihre Führer schrien und zogen hinter ihnen daran, während die Maskierten die Menschen mit durchtriebener Freude peitschten. Die Musik sang Befehle in einer alten, weitervererbten Sprache. Sie wehte in unseren Schlaf, in unser ruheloses Dämmern; sie rief nach uns so deutlich wie Blut.

Habt ihr uns schon vergessen?

Wir flatterten. Die Stimme war vertraut, vielschichtig und zahlreich, wie Metall, das die Luft zerteilt. Der Boden pochte.

Wir haben keines eurer Versprechen vergessen, nwanne anyị.

Die Luft wurde rissig, als wir uns erinnerten. Es war der Klang unserer Brüderschwestern, der anderen Kinder unserer Mutter, jener, die nicht mit uns hierhergekommen waren. Ndị otu. Ọgbanje. Ihre weltlichen Masken wirbelten durch die Menschen, und sie rochen nach den Toren, wie saure Kreide. Maskenzeremonien laden Geister ein, sie geben ihnen Körper und Gesichter, und so waren sie hier, sie erkannten uns inmitten ihres Spiels.

Was macht ihr in diesem kleinen Mädchen?

Die Ada hob ihre Arme und drehte sich. Die Menge um sie herum löste sich plötzlich auf, und sie rannte mit ihr, kreischend, als eine Maske sich in ihre Richtung stürzte. Die Maske hielt an und stand da, sich sanft wiegend. Sie hatte ein großes Gesicht, in der Farbe von alten Knochen, und einen groben, roten Mund. Sie war mit violetten Stoffen behangen und balancierte einen geschnitzten Schmuck auf dem Kopf, bemalt in strahlenden Farben. Das Mondlicht ergoss sich über sie. Wir zitterten in unserem Schlaf, der Geschmack von sauberem Lehm durchfuhr uns. Unser Bruderschwester neigte seinen Kopf, und der Kopfschmuck hob sich in einem spitzen Winkel vom schwarzen Himmel ab. Es war gereizt.

Wacht auf!

Und durch den Klang seiner Stimme, tief in der Ada, tiefer als die Asche ihrer Knochen, wurden unsere Augen aufgerissen. Der Führer des Maskierten zerrte an dem Seil um dessen Hüfte, und er wandte sich ab. Die Ada blieb für einen Augenblick stehen, bis Lisa auftauchte, ihre Hände nahm und sie in einem Kreis herumwirbelte.

Sie alle gingen kurz nach Mitternacht, Lisas Cousins lachten und zerschmetterten Bierflaschen auf dem Boden, eine Gischt aus grünem Glas. Zurück im Haus nahm die Ada das Taschentuch ab und hielt es entfaltet hoch. Drei braune Flecken waren darauf, zwei für ihre Nasenlöcher, einer für ihren Mund. Wir wünschten, sie hätte es aufgehoben, aber so sind Menschen nun mal. Wichtige Dinge verfliegen im Augenblick, wenn es sich echt anfühlt und sie jung genug sind, um zu denken, dass dieses Gefühl bleiben wird. Später würde sich die Ada an diese Nacht mit einer ungewöhnlichen Klarheit erinnern, als einen der wenigen echten glücklichen Augenblicke ihrer Kindheit. Dieser Moment, als wir unsere Augen im Staub des Dorfplatzes öffneten und zum ersten Mal in beiden Reichen, in ihrem und in unserem, gleichzeitig wach waren, dieser Moment fühlte sich wie pure Helligkeit an. Wir alle waren eins, zusammen, in einem Gleichgewicht, für einen kurzen, samtweichen Moment, in einer Dorfnacht.

In den Jahren seither haben wir uns gefragt, was sie ohne uns wohl gewesen, ob sie trotzdem wahnsinnig geworden wäre. Was, wenn wir weitergeschlafen hätten? Was, wenn sie in jenen Jahren eingeschlossen geblieben wäre, in denen sie nur sich selbst gehörte? Schaut sie an, wie sie über das Gelände wirbelt, in Batikshorts und Baumwollshirt, ihre langen schwarzen Haare zu zwei Bögen geflochten, festgebunden mit farbenfrohen Haarbändern, ihre Zähne glänzend, einer ihrer Schlappen ruiniert. Wie eine wogende Sonne.

Der erste Wahnsinn war, dass wir geboren wurden, dass sie einen Gott in einen Sack aus Haut stopften.

Kapitel Drei

Was ist schon ein Kind, das keine Mutter hat?

Wir

Als wir diese Welt das erste Mal betraten, blieben wir, selbst nachdem sich unsere Augen im Dorf geöffnet hatten, benebelt von all dem Neuen. Wir waren sehr jung. Aber bald (eine Frage von Jahren für euch, aber nichts für uns) wurden wir zu Klarheit gezwungen, gezwungen vom Blut, das auf einer geteerten Straße vergossenen wurde, von der Zerteilung eines Knochens an drei Stellen und dem Auswandern einer Mutter.

Unsere Brüderschwestern besaßen schon immer die Grausamkeit, die unser Geburtsrecht ist. Sie haben ihre Bitterkeit gesammelt, haben sie eingefahren wie die Ernte eines Jahres; sie haben alles mit Wut zusammengebunden, mit alten Erinnerungen und mit ihrer Kleinlichkeit. Die Ada war noch nicht gestorben, der Eid noch nicht abgeleistet, und wir waren noch nicht wieder zu Hause. Sie schafften es nicht, uns zurückzuholen, sie waren zu weit weg, aber sie konnten andere Dinge tun, um ihren Anspruch auf uns zu erheben. Es gibt dafür eine Methode. Als Erstes muss man das Herz ernten und das Genick schwächen. Sorg dafür, dass die menschliche Mutter geht. So, das wussten sie, bricht man ein Kind.