Du bist so schön, sogar der Tod erblasst - Akwaeke Emezi - E-Book

Du bist so schön, sogar der Tod erblasst E-Book

Akwaeke Emezi

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Beschreibung

Akwaeke Emezi erzählt die klassische Liebesgeschichte neu. „Ein ewiger Rausch aus Trauma, Lebenslust und ganz viel Sex.“ (Chidera Nitsche), „Ein Muss für unsere diverse, queere, vielfältige Generation.“ (Florian Valerius)

Fünf Jahre nach dem tragischen Tod ihrer großen Liebe ist Feyi Adekola bereit für Neues, für neue Körper und neue Erfahrungen. Doch schon die erste Begegnung mit einem Fremden stellt ihr Leben völlig auf den Kopf: Sie wird auf eine Privatinsel in der Karibik eingeladen, leckt Mangosaft von den Fingern des gastgebenden Starkochs und steht kurz vor dem langersehnten Durchbruch als Künstlerin. Ihre neue Beziehung scheint perfekt – wäre da nicht dieses überwältigende Verlangen nach der einen Person, die definitiv tabu ist. Akwaeke Emezi denkt die klassische Liebesgeschichte neu in diesem sinnlichen, opulenten Roman über eine junge Frau, die es wagt, sich allen Wunden zum Trotz erneut ins Leben zu stürzen.

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Das ist das Cover des Buches »Du bist so schön, sogar der Tod erblasst« von Akwaeke Emezi

Über das Buch

Akwaeke Emezi erzählt die klassische Liebesgeschichte neu. »Ein ewiger Rausch aus Trauma, Lebenslust und ganz viel Sex.« (Chidera Nitsche), »Ein Muss für unsere diverse, queere, vielfältige Generation.« (Florian Valerius)Fünf Jahre nach dem tragischen Tod ihrer großen Liebe ist Feyi Adekola bereit für Neues, für neue Körper und neue Erfahrungen. Doch schon die erste Begegnung mit einem Fremden stellt ihr Leben völlig auf den Kopf: Sie wird auf eine Privatinsel in der Karibik eingeladen, leckt Mangosaft von den Fingern des gastgebenden Starkochs und steht kurz vor dem langersehnten Durchbruch als Künstlerin. Ihre neue Beziehung scheint perfekt — wäre da nicht dieses überwältigende Verlangen nach der einen Person, die definitiv tabu ist. Akwaeke Emezi denkt die klassische Liebesgeschichte neu in diesem sinnlichen, opulenten Roman über eine junge Frau, die es wagt, sich allen Wunden zum Trotz erneut ins Leben zu stürzen.

Akwaeke Emezi

Du bist so schön, sogar der Tod erblasst

Roman

Aus dem Englischen von Anabelle Assaf

Hanser Berlin

Eins

Milan war Feyis erster Sex seit dem Unfall.

Sie trieben es im Badezimmer auf einer Privatparty zum Memorial Day, Feyis Proseccoglas kippte dabei ins Waschbecken, Milan fuhr mit seinen großen Händen unter ihre Oberschenkel, um sie auf den Waschtisch zu heben. Der Raum war mit gesprenkelten Fliesen gekachelt, vom Licht einer roten Glühbirne, die jemand unter die Decke geschraubt hatte, blutig getüncht, und in der Badewanne hing ein schwerer Stoffvorhang, bedruckt mit Monsterablättern. Milans Lippen an ihrer Kehle, warf Feyi den Kopf in den Nacken, dass sich ihre langen pinken Braids über die Armaturen ergossen und die Spitzen die trocknenden Bläschen ihres Drinks streiften.

»Soll ich langsamer machen?«, fragte Milan mit gepresster Stimme, gehetzt vor Lust. »Ich meine … wir sind uns ja eben erst begegnet.«

Er sagte das, als könnte es irgendeine Rolle spielen, als wäre es nicht ein Grund, schneller statt langsamer zu machen. Eine Stunde zuvor hatte Feyi ihn im Partygewühl auf dem Dach zum ersten Mal gesehen. Sie mochte, wie sein Blick ihrem Gang folgte, wie groß er war, wie breit. Ihre beste Freundin Joy hatte sich zu ihr gelehnt, ihren Arm ergriffen und »Uuuuh, guck dir diese Oberschenkel an!« geflüstert. »Scheiße Mann, was für Muskeln. Der soll sich mal umdrehen, damit ich den Arsch dazu sehen kann.«

Feyi hatte die Augen verdreht. »Gut, dass du keinen Schwanz hast. Du wärst unerträglich.«

»Wenn ich einen Schwanz hätte, würde mich sein Arsch erst recht interessieren«, antwortete Joy.

»Ich nehm’s zurück. Du bist auch so unerträglich.« Verstohlen warf Feyi einen weiteren Blick auf besagte Beine. »Außerdem könntest du auch einfach einen Strap-on benutzen.«

»Nee, das ist nicht dasselbe. Ich will ja spüren, wie er sich um mich zusammenzieht.« Zur Demonstration schloss Joy die Finger um ihren Daumen, und Feyi kämpfte so mit dem Lachen, dass die Braids über ihrem Schlüsselbein wippten. Milan sah in ihre Richtung, und als sich ihre Blicke trafen, lächelte er ihr übers Dach zu.

Feyi hatte bereits entschieden, wer sie an diesem Abend sein wollte, also starrte sie unverfroren zurück, ausgiebig seine Terrakotta-Haut und den dunklen kupferfarbenen Bart bewundernd. Als er daraufhin seinen Jungs zunickte und auf sie zukam, machte sich Joy mit einem Quieken davon und ließ sie beide allein. Feyi wollte Small Talk vermeiden — bloß keine unnötigen Worte —, weshalb sie ihm, sobald er nah genug war, mit dem Finger über die Hemdknöpfe strich.

»Du gefällst mir«, sagte sie, ehe er den Mund aufmachen konnte. »Allein hier?«

Kurz wirkte er überrascht, hatte sich aber schnell wieder im Griff. »Jap«, antwortete er und legte den Kopf schief, weiter ihren Blick haltend. »Du?«

Einen Moment lang hörte sie Reifenquietschen und das schrille Klirren von zersplitterndem Glas, sah zarte weiße Lilienblüten und einen dunklen Klumpen Erde, der in ihrer Hand zerfiel, dann wedelte sie all das beiseite wie Rauch.

»Single«, gab sie zurück und trat noch einen Schritt näher. Er roch nach Regen und Bergamotte. »Und, wie sagt man so schön? Offen für Neues.«

Feyi wusste, dass das aus einem weniger hübschen Mund abgedroschen geklungen hätte — sie wusste auch, wie sie ihre weinroten Lippen öffnen und Milan von unten durch ihre dichten schwarzen Wimpern ansehen musste, wie sie zahllose Anspielungen in ihre Stimme legen konnte. Es war ein Spiel, eine einfache Formel, und nichts Verwerfliches daran, die ihr gegebenen Reize entsprechend einzusetzen. Genauer betrachtet war das alles auch gar nicht wichtig. Er war auf andere Art schön, und das reichte Feyi.

Obwohl Joy und sie schon beim Brunch mit den Drinks angefangen hatten, war Feyi nur gerade beschwipst genug, um ihn und seinen Körper für ihren ersten Sprung zurück ins kalte Wasser auszuwählen. So, wie dieser fremde Terrakotta-Mann sie mit einer Hand auf ihrem Rücken einladend zu sich zog, schien er mit ihrem Plan einverstanden. Joy stand irgendwo an der Bar und war vermutlich mehr als entzückt, dass sie so zielstrebig ranging.

»Milan«, sagte der Fremde und verzog den breiten, köstlichen Mund zu einem amüsierten Lächeln.

Brauchen wir wirklich Namen?, dachte Feyi, lächelte aber zurück, die Finger gespreizt auf seiner Brust, unter der Handfläche seinen schnellen, regelmäßigen Herzschlag. »Feyi.«

Milan sah sich auf dem Dach um. »Wollen wir von hier verschwinden?«

Sehr gut. Er spielte perfekt mit, kein Zögern, keine falsche Schüchternheit.

»Aber nicht zu weit weg. Ich bin mit meiner Freundin hier.«

Er nickte und sah sie wieder an. Sie waren sich so nah, dass sie seinen Atem auf ihrer Haut spüren und die schwarzen Tupfer in seinen braunen Augen sehen konnte, während sein Blick über ihr Gesicht wanderte und an ihrem Mund hängen blieb. Seine nächsten Worte waren tiefer, leise und rau: »Nach unten?«

Feyi zog eine Augenbraue hoch, um zu kaschieren, dass sein Verlangen ihr eigenes entzündete wie ein Streichholz. Er wollte sie, heftig genug, um alle unnötigen Fragen wegzulassen. »Du bist lösungsorientiert. Das gefällt mir.«

Milan nahm ihre Hand, sie schoben sich an Leuten vorbei zur Treppe, bogen unten um eine Ecke, dann zog er sie mit sich in ein Bad. Während er hinter ihnen die Tür abschloss, begutachtete Feyi die Rückenmuskeln, die sich unter seinem Hemd abzeichneten, erst als er sich umdrehte, bemerkte sie seinen zurückhaltenden Blick.

»Also …«, sagte er und hielt inne, um ihr die Regie zu überlassen.

Es war süß. Und völlig unnötig. Feyi brauchte gar nicht weiter nachzudenken. Sie stellte ihr Glas neben das Waschbecken, zog sich die Bluse über den Kopf, kurz verfingen sich ihre pinken Braids im schwarzen Stoff, dann stand sie im dünnen Bralette vor ihm. Unter dem transparenten Stoff zeichneten sich zwei kleine Goldringe ab.

Der Fremde — Milan — sog die Luft ein, und in seinen Augen flackerte Verlangen. »Fuck, bist du schön«, raunte er, hielt sich aber immer noch zurück. »Deine Haut … sieht aus, als würde sie leuchten.«

Feyi lächelte, sagte nichts. Stattdessen trat sie an ihn heran, zog sein Gesicht zu sich, seinen Mund auf ihren, begegnete seiner suchenden Zunge mit ihrer. Er packte sie gierig, grub die Finger in ihre Haut und presste die Hüften an ihren Bauch, dass sie seine Härte spürte. Feyi fühlte sich wie ein Monster und eine Verräterin, aber das war okay, es musste sein.

Genau deshalb war sie hier.

*

Der Unfall war fünf Jahre her, eine gefühlte Ewigkeit und als wäre es gestern gewesen. Damals lebte Feyi in Cambridge, um die Ecke von ihren Eltern, aber danach konnte sie weder die Straßen noch das Autofahren oder den schmerz- und mitleidvollen Blick ihrer Mutter ertragen. Also war sie nach New York gezogen, denn selbst wenn sie ein Monster war, diese Stadt war es auch, prächtig und grell und immerwährend fraß sie Herzen, Zeit und Leben, als wäre es nichts. Feyi wollte untergehen im erbarmungslosen Krach eines Ortes, der so viel lauter war als sie, eines Ortes, an dem ihre Vergangenheit und ihr Schmerz im Getöse verschwanden. Hier konnte Feyi ihren Namen und ihr unversehrtes Gesicht behalten und trotzdem jemand anderes sein, jemand, der neu anfing, jemand ohne Gespenster. In New York interessierte sich niemand für die Herkunft der Traurigkeit, die hinter ihren Augen und in den Winkeln ihres Lächelns lag. Sie musste nicht mehr Auto fahren und konnte in der U-Bahn weinen, wo niemand hinsah, es niemanden interessierte, weil sie egal war, was sie ehrlich gesagt erleichterte.

Feyi bezog mit Joy, ihrer besten Freundin vom College, eine Wohnung in einem Brownstone, die sie mit dem Geld aus seiner Lebensversicherung bezahlte, ein makaberes Detail, das sie zu ignorieren versuchte. Jeder sagte, er hätte es so gewollt, aber sie war sich ziemlich sicher, dass er vor allem hätte leben wollen. Die meisten Leute kriegten nicht, was sie wollten. Feyi wollte das Geld nicht, brauchte aber den obszönen Scheck und vielleicht sogar die damit verbundenen Schuldgefühle. Sie waren wie eine notwendige Strafe, ein Ausgleich. Er war tot, und was tat sie? Sie lebte und machte Kunst. Wie taktlos.

Joy und sie lebten in einer sonnigen, grünen Straße, um die Ecke von Baba Yusufs Botánica und dem Trini-Laden, der zu den unmöglichsten Zeiten Double-Sandwiches verkaufte. Sie rauchten Joints auf ihrer Feuertreppe, und Joy überredete Feyi, sich die Haare pink zu färben. »Du wohnst jetzt in Brooklyn«, sagte sie. »Mach mal was Neues. Ist doch keine große Sache.«

In jenem ersten Sommer in NYC lag etwas in der Luft, das Feyi mitspielen ließ. Einen Block weiter mietete sie sich ein Atelier für die Arbeit. Groteskerweise konnte sie nichts, was sie malte oder kreierte, so verletzen, wie es ihr Leben getan hatte. Feyi hoffte, dass ihre Vergangenheit irgendwann verhallen würde wie ein alter Song, bis von ihrer Traurigkeit nichts bliebe außer einem diffusen Echo, ein kleiner Rest unter der Haut, der ihr eine unerklärliche und unwiderstehliche Melancholie verleihen würde, die manche Männer riechen konnten. Die wollten sie dann retten. Aber da würde Feyi schon wissen, dass es für Rettung zu spät war, und sich vor ihren Händen und hungrigen Mündern wegducken. Die Stadt gefiel Feyi als Wesen viel besser; ihr war egal, wer oder wie kaputt du warst, sie fraß jeden ohne Unterschied.

Als die Sommerhitze ihren Zenit in einer Wand feuchtschwüler Luft erreichte, fühlte sich Feyi dazu verführt, jemand Fremdes zu sein, plötzlich gab es nichts, was sie mehr wollte. Joy und sie mieteten ein Auto und fuhren an den Riis Beach, wo sie unter mehreren Schichten Kaffee- und Kokosnussöl oben ohne in der Sonne lagen, bis ihre Haut dunkelbraun und golden war. Aus einer Laune heraus rasierte sich Joy den Schädel und ließ sich je einen schwarzen Punkt auf die Unterlider tätowieren. Feyi piercte sich die Nippel und trug ihr kaugummifarbenes Haar von da an in langen Braids, die ihr bis zur Hüfte reichten. Sie ignorierten die Tagesnachrichten und bestellten stattdessen Edibles, dekorierten ihr Apartment mit neuen Pflanzen oder buken samstagabends selbst Pizza. Nichts hielt sie davon ab, zu sein, wer immer sie sein wollten.

»Glaubst du, wir haben ’ne Quarterlife-Crisis?«, hatte Joy sie einmal gefragt, während sie im Wohnzimmer einen Joint baute.

»Erstens sind wir dafür ein paar Jährchen zu alt«, hatte Feyi geantwortet, »und zweitens glaube ich, dass wir einfach nur geschnallt haben, wie man in einer Welt überlebt, die zugrunde geht … und dass es okay ist, zu leben.«

Joy hatte sie sanft lächelnd angeschaut und »Ich bin stolz auf dich« gesagt. »Ich weiß, dass dir das nicht so leicht über die Lippen kommt.«

Sie hatte nicht unrecht. Feyi fiel vieles schwer, aber jetzt, wo sie an einen Badezimmerspiegel gelehnt von Milan geküsst wurde, stellte sie fest, dass sie weniger Atemnot hatte als erwartet. Ein Monster und eine Verräterin wäre sie nur, wenn er noch leben würde, und das tat er nicht. Feyi fühlte sich zwar nach wie vor schuldig, aber auf ungewohnte Art, was Sinn ergab, da sie eine Fremde geworden war und es Zeit brauchte, sich in jemand Neues zu verwandeln. Wenn sie losließ und nur im Hier und Jetzt, ohne Vergangenheit existierte, ging es. Es machte sogar Spaß.

»Ich mein’s ernst«, keuchte Milan, der zwischen ihren verweifelten Küssen nach Luft rang, seine heißen Handflächen auf ihren Schenkeln. »Wir können jederzeit aufhören. Du musst es nur sagen.«

Die Wände vibrierten vom Bass, Feyi knöpfte seine Jeans auf und fuhr mit der Hand hinein. Milan hatte kleine Diamanten in den Ohren und sein Atem kam stoßweise, als er auf sie herabsah.

»Hör nicht auf«, flüsterte sie in seinen Mund, und als sie die Finger um seinen Penis schloss und ihn herausholte, sog Milan die Luft ein.

»Bist du sicher?«, fragte er, und Feyi hätte fast mit den Augen gerollt.

»So ein Gentleman«, spottete sie sanft, küsste ihn dann erneut, stieß mit der Zunge zwischen seine Zähne und packte fester zu. Das nannte sie mal einen Umfang.

Milan gab einen kehligen Laut von sich, schob ihren Rock bis zu den Hüften hoch, seine Hände hungrig auf ihrer Haut. Feyi hörte etwas reißen und lachte begeistert, als er ihren Spitzentanga hervorzog. Er warf die hauchfeinen Überreste weg und drang mit den Fingern in sie ein.

»Lass mich das wiedergutmachen«, sagte er und schob sie tiefer hinein.

Feyi stöhnte auf, bog den Rücken durch, und er lachte in ihren Mund, immer noch hart und pulsierend in ihrer Hand. Sie hatte ganz vergessen, wie sich das anfühlte — die Ekstase, wie die Lust beinahe Gestalt in ihr annahm, etwas Großes, Lautes und unglaublich Forderndes. Es fühlte sich überstürzt an, gefährlich, genau, wie sie es wollte, zu kurz, um darüber nachzudenken, zu schnell, zu hart, zu feucht, um sich an irgendwas oder irgendwen zu erinnern. Sie drückte seine Hand weg und holte seinen Schwanz näher. Hemmungslos.

»Warte«, sagte er. »Ich habe ein …«

Feyi schlang die Beine um seine Hüften. »Schon gut.«

Hemmungslos.

»Aber …«

»Sch. Hier.« Sie ließ ihn spüren, wie feucht sie war, und Milan fluchte heiser, als ihm die Vernunft entglitt.

»Oh, du bist böse«, flüsterte er und drang langsam in sie ein, fügte sich ihrem gemeinsamen Fehler. Sie schätzte das an ihm, wie er Entscheidungen traf und danach jede Unsicherheit fahren ließ.

Er drängte weiter vor, und Feyi glaubte, den Verstand zu verlieren, fortgetragen von schneidender Lust. Sie biss ihm in die Schulter, als er ganz in ihr versank, wimmerte, als er ihn quälend langsam wieder herauszog. Verdammt, es war ewig her, wie hatte sie das ausgehalten? Kein Wunder, dass Joy ihr andauernd riet, sie müsse sich dringend mal wieder flachlegen lassen.

»Schneller«, stöhnte sie, und Milan lachte leise.

»Sag bitte!«

»Oh, du Mistkerl.«

Er glitt ganz heraus, und Feyi wollte ihn plötzlich so schmerzhaft und rasend, dass ihr die Luft wegblieb. »Sag bitte«, befahl er mit spöttischem Lächeln. »Dann kriegst du alles, was du willst.«

Er durfte auf keinen Fall aufhören. Er begriff das nicht. In diesem Moment musste sie so viele Dinge gleichzeitig in Schach halten. »Bitte«, gab sie nach. »Bitte fick mich.«

Mit einem Schlag verschwand Milans Lächeln und etwas Dunkleres trat an seine Stelle, aber er gab Feyi, was sie wollte, drang wieder in sie ein, versank mit einem einzigen harten Stoß tief in ihr. Er schob die Arme unter ihre Knie, hob ihre Beine, spreizte sie, um noch tiefer in ihr zu verschwinden. Eine Hand auf ihrer Brust drehte er einen ihrer Nippelringe, und Feyi stöhnte aus tiefster Kehle.

»So?«, fragte er, sie schrie auf, und er hielt ihren Blick.

Feyi umschloss sachte mit einer Hand seinen Hals, berührte kaum seine Haut. Es war fast perfekt.

»Fester«, forderte sie mit brüchiger Stimme, und Milan gehorchte, der Druck seiner Hände schmerzhaft, ihr Rock um ihre Taille geknüllt, seine Jeans um seine Knöchel gewickelt. Sie trugen beide noch ihre Schuhe. Feyis Absätze zitterten über seinen Schultern in der Luft, und ihr war egal, wie laut sie war, ob sie jemand durch den Bass oder die Tür hören konnte — denn endlich war es da, dieses herrliche, blendend grelle Weiß, dieses glühende Nichts, und gleichzeitig war sie lebendig, so eindeutig lebendig und in seinen Armen, zwei Fremde außer Kontrolle, und jetzt kam sie, flehte ihn an, nicht aufzuhören, und Milan machte weiter, gab nur noch dunkle, hemmungslose Laute von sich. Er warnte sie keuchend, wollte ihn rausziehen, aber Feyi packte seine Hüften, hielt ihn tief in sich, führte die Lippen an sein Ohr. Männer waren simpel, mit bestimmten Codes konnte man sie knacken wie ungeschützte Rechner.

»Komm in mir«, flüsterte sie, ihre Stimme ein verruchter, seidiger Appell, als würde sie flehen, verzweifelt nach ihm, was sie in gewisser Weise auch war. Da sie sowieso schon verrückt und hemmungslos und menschlich waren, fluchte Milan, verzog das Gesicht wie von Sinnen und gehorchte ihr ein weiteres Mal, drang so tief in sie ein, wie er konnte, knurrte gegen den Spiegel, die Fliesen und sie, ihre Haut nass vom Schweiß und von einander. Feyi spürte den nächsten Orgasmus heranrollen, genoss ihn in all seiner verbotenen Fahrlässigkeit. Seinen Namen rief sie nicht, hatte ihn in dem Moment beinahe vergessen, aber als er sie küsste, küsste sie zurück, und für einen Moment legten sie still die Stirn aneinander, versuchten, zu Atem zu kommen, während sich um sie herum die Luft beruhigte.

»Tut mir leid«, keuchte Milan. »Das mache ich normalerweise nicht.« Er richtete sich auf, zog sich aus ihr zurück, griff hinter sich nach ein paar Taschentüchern und machte seine Hose zu, Feyi rutschte von der Ablage und brachte ihren Rock in Ordnung.

»Schon okay«, sagte sie und hob ihre Bluse auf.

»Ich hab die Beherrschung verloren. Das war falsch.« Mit ernstem Gesicht reichte er ihr einen Stapel Taschentücher. »Ich benutze eigentlich immer ein Kondom.«

Klar. Feyi glaubte ihm kein Wort; er hatte sich viel zu leicht überzeugen lassen. »Ich hab ’ne Spirale«, sagte sie, wo sie dieses Spiel schon spielten. »Sonst hätt ich … das auch nicht gemacht.«

Erleichterung erhellte sein Gesicht. »Oh, okay. Cool.«

Einen Moment lang schauten sie sich an, dann warf Feyi die Braids zurück. »Ich geh besser mal pinkeln«, sagte sie und genoss die unverblühmten Worte.

»Oh! Ja, klar.« Milan wandte sich in Richtung Tür, hielt inne, drehte sich noch mal um. »Wobei … Gibst du mir deine Nummer?«

Feyi zog eine Augenbraue hoch. »War’s so gut, ja?«

Milan lachte. »Im Ernst. Ich wollte deine Nummer, sobald ich dich auf dem Dach gesehen habe.«

»Und das willst du immer noch?«

Er runzelte die Stirn. »Warum denn nicht?«

Feyi zuckte die Schultern. »Keine Ahnung.« Sie streckte die Hand nach seinem Telefon aus, speicherte ihre Nummer ein. »Kannst mir ja schreiben.«

Milan lehnte sich zu ihr runter und gab ihr einen hauchzarten Kuss auf die Wange. »Ich ruf dich an«, sagte er, ging und zog die Badezimmertür hinter sich zu. Kurz schwappte Partymusik durch den Spalt, dann ebbte sie wieder ab.

Feyi zog den Rock hoch, setzte sich aufs Klo und hörte zu, wie ihr Urin aufs Wasser plätscherte, ein kleines Lächeln im Mundwinkel. Was zum Teufel war gerade passiert? Mit einem Seufzen wischte sie sein Sperma weg. Joy würde sie dafür umbringen, dass sie ihn ungeschützt gevögelt hatte, und Feyi konnte es nur schwer erklären. Sie hätte ihm einfach unmöglich dabei zusehen können, wie er in seine Hand oder auf ihren Rock oder Oberschenkel kam, mit dieser weißen Fontäne. Sie konnte den Anblick nicht ertragen, noch nicht, nicht so. Damit wäre die Nummer mit dem Fremden ins andere Extrem gekippt, irgendwie schäbig und verkrampft geworden. Die Nähe, aneinandergeschmiegt und intim, hatte sich besser angefühlt. Als bedeuteten sie sich was. Als wäre es was Schönes. Es war wichtig, dass das nicht aufhörte, denn solang sie sich in Milan und seiner Haut verlor, solang es nur seine Kraft gab, in ihr und an ihr, hart und schnell, alles andere vertreibend, solang gab es keine Geister.

Solang gab es keine Erinnerung an einen feingliedrigen Mann mit Mandelaugen und geflochtenen Locs, keine Erinnerung daran, wie er sich ganz langsam und sanft in ihr bewegte und wie seine Stimme klang, wenn er flüsterte, wie sehr er sie liebte. Feyi schüttelte den Kopf, zog ab, fischte ihren kaputten String vom Boden und warf ihn in den Müll. Sie trat hinaus auf den Flur und stieß direkt mit Joy zusammen, eine langbeinige Erscheinung in lila Pailletten.

»Da bist du ja! Wo hast du dich rumgetrieben? Wollen wir abhauen? Auf dem Dach haben sie das Koks ausgepackt, und mit dem Scheiß will ich nichts zu tun haben.«

Feyi verzog das Gesicht. »Ja, lass nach Hause gehen. Rufst du ein Uber?«

»Schon passiert, ist in sieben Minuten da.« Joy schielte über Feyis Schulter in das rötliche Badezimmer. »Moment mal. Warst du die ganze Zeit da drin? Mit ihm?«

Feyi lächelte. »Mich sollte doch endlich einer flachlegen.«

»Mein Baby!«, riss Joy sie in eine Umarmung und drückte sie fest an sich. »Oh ja, du duftest nach Sex. Ich bin so stolz auf dich!«

»Schon gut. Komm, lass uns bitte gehen.« Sie schlängelten sich durch die Partymeute zur Haustür und wurden rausgespült auf den Treppenabsatz.

Joy blieb stehen, zückte eine Schachtel Zigaretten und hielt sie Feyi hin. »Hast du ihm du weißt schon was gesagt?«

Feyi klappte ihr Feuerzeug auf, beugte sich über die flackernde Flamme in ihrer Hand. »Was meinst du?«

»Dass er der Erste war seit dem Unfall?«

Feyi funkelte Joy an. »Ich soll ihm gesagt haben, dass ich die letzten fünf Jahre keinen Sex hatte?« Sie nahm einen Zug, legte den Kopf in den Nacken, blies den Rauch in die Nachtluft. »Hältst du mich für bescheuert?«

Joy hob die Hände. »Hab ja nur gefragt.«

»Ist klar.« Seufzend sah Feyi auf die Straße. Zeit zu beichten. »Du wirst sauer sein.«

Joy zeigte mit dem Zeigefinger auf sie. »Siehst du? Ich wusste, das klang zu schön, um wahr zu sein. Was hast du angestellt? Und wenn’s richtig schlimm ist, sag’s schnell, bevor das Taxi da ist.«

Feyi stöhnte. Jetzt wurde es unangenehm. »Okay. Also …«

»Ich höre.«

»Wir haben quasi … also kein Kondom benutzt.«

Joy verschluckte sich am Zigarettenrauch. »Ihr habt was?«

Feyi lächelte halbherzig. »Na in der Hitze des Gefechts …«

Ihre beste Freundin zuckte mit keiner Wimper. »Hat er ihn wenigstens rausgezogen? Bitte, sag, dass er ihn rechtzeitig rausgezogen hat!«

Tja, scheiße. »Ich hab ’ne Spirale, weißt du doch. So schlimm ist das nun auch wieder nicht.«

»Bitte was? Bitch, hast du sie noch alle? Du hast ihn ohne rangelassen und er durfte auch noch abspritzen?«

Feyi senkte den Kopf, strich mit dem Fuß über den Boden. »Ja, ja, ich weiß.«

»Na, offensichtlich nicht.«

»Jetzt mach mal halblang. Es war schließlich mein erstes Mal seit du weißt schon.«

Sie kannte Joys Gesichtsausdruck — ihre beste Freundin schwankte zwischen Mitgefühl und dem Wunsch, ihr an die Kehle zu springen.

»Weißt du was?« Joy atmete tief durch und schloss die Augen. »Das ist mir zu viel, ich geh kurz in die Bodega. Du bleibst hier, und falls ein weißer Hyundai hält, sag dem Fahrer, er soll warten.«

»Ist das dein Ernst? Wir reden einfach nicht mehr drüber?«

»Oh, ganz im Gegenteil, Schätzchen. Zu Hause werden wir uns in Ruhe unterhalten, sobald mir nicht mehr danach ist, dich die Treppe hier runterzustoßen.« Sie kramte in ihrer Handtasche nach Bargeld und brummte: »Musstest du uns wirklich den schönen Abend versauen, indem du es mit dem nächstbesten Typen ohne Gummi treibst?«

Feyi zuckte die Schultern. »›Die Hitze des Gefechts‹ lässt du mir also nicht durchgehen?«

Joy warf ihr einen bösen Blick zu, Feyi unterdrückte ein Grinsen. Es fiel ihr schwer, reuig zu tun, wenn sie sich in Wahrheit großartig fühlte und jeder Gedanke an die Badszene kleine Nachbeben in ihr auslöste. Sie setzte sich auf die Treppe und rief Joy, die schon losgegangen war, hinterher: »Babe, bringst du mir Kaugummis mit?«

Aber Joy reckte, ohne sich umzudrehen, den Mittelfinger in die Luft und sagte: »Nope!«

Die Straßenlaternen reflektierten die lila Pailletten ihres Kleids, bis sie im Laden verschwand, und plötzlich war Feyi allein mit der leise aus dem Haus dringenden Musik und ihren wunden Schenkeln.

Es fühlte sich gar nicht so schlecht an auf der anderen Seite. Sie atmete tief durch, lehnte sich, die Ellbogen auf die Stufe über ihr gestützt, zurück und sah zum Himmel. Sterne waren über den Brownstones keine zu sehen, nur ein verschwommener Mond. Feyi spürte ihren Puls zwischen den Beinen, eine rhythmische Erinnerung an den Fremden mit den Diamant-Ohrsteckern und dem Bergamotteduft. Für eine verräterische Sekunde wollte sie Jonah davon erzählen, um sein samtiges Lachen zu hören. Er würde fragen, ob sie Spaß gehabt hatte. Feyi verscheuchte den Gedanken, indem sie die Ellbogen in die Steinstufe presste, bis es wehtat. Der Sommer fing gerade erst an, sie war am Leben und verdammt nah dran, die zu sein, die sie sein wollte — eine, die neu angefangen hatte, deren Leben nicht mehr Trauer trug, eine, die Milan so festgehalten hatte, als wollte er sich in ihr auflösen, als wäre sie in jenem grellroten Lichtschein unter seinen gierigen Händen tatsächlich aus Fleisch und Blut gewesen. Eine, die ihre Lust in einem kleinen Badezimmer einschloss und dann alles aus sich herausholte, ein aufgewühltes, schweißnasses lebendiges Etwas auf einer Badezimmerablage. Wenn sie heute Nacht geschafft hatte, konnte sie alles schaffen — den Rest eines Lebens zum Beispiel.

»Du packst das«, flüsterte sich Feyi mit brüchiger Stimme zu, während zwischen ihren Fingern die Zigarette runterbrannte und grau verglimmte. »Du packst das.«

Von der Party drang Musik heraus, und da war niemand, der ihr widersprach. Feyi drückte die Zigarette aus und wartete aufs Taxi.

Zwei

Den Unfall zu verheimlichen, fiel Feyi nicht schwer. Die Geschehnisse jener kalten Nacht lagen weit genug zurück, dass die wenigen Narben, die Feyi auf ihrem Körper davongetragen hatte, inzwischen unspektakulär aussahen — vereinzelte Inselchen wulstigen Gewebes, das wie Sterne ihr linkes Bein sprenkelte, eine hervorstehende gezackte Linie auf ihrer Handfläche, ein dauerhafter Striemen auf ihrem Unterarm, von dem Moment, als man sie aus dem Auto gezogen und über den Asphalt geschleift hatte. Als Milan wie angekündigt anrief und sie in seine Wohnung nach Bushwick einlud, überlegte Feyi, ihm davon zu erzählen, aber als er ihr mit strahlendem Lächeln die Tür öffnete, entschied sie sich dagegen. Er hätte dem Ganzen zu viel Bedeutung beigemessen, hätte geglaubt, vorsichtig mit ihr umgehen zu müssen. Feyi wollte nicht angefasst werden wie ein rohes Ei oder zusehen, wie sich Milan mit ungewollter Intimität herumschlug, wo er, mal ehrlich, nur zu einer schnellen Nummer Ja gesagt hatte.

Sie fühlte sich gut mit ihm, und das reichte erst mal — sein Körper über, unter, in ihrem, das reichte. Ein paar Wochen lang trafen sie sich regelmäßig, nichts Ernstes. Milan war süß, aber zurückhaltend. Er wollte sich nicht in ihre Gefühlswelt drängen, und Feyi war ihm dafür dankbar. Dass sie jemand berühren durfte, war schon ein großer Schritt — ihr Körper wurde real, in seinen Händen und Augen existierte er.

»Ich habe das Gefühl, ihn zu benutzen«, sagte sie Joy, während sie nach einem gemeinsamen Abendessen die Second Avenue hinunterschlenderten und die Stadt an jeder Ecke Leute ausspuckte.

Joy lachte. »Babe, ich glaube, das ist ihm egal. Dafür darf er mit dir ins Bett. Ich meine, hallo?«

»Wichtiger Punkt.« Feyi hüpfte über eine Pfütze. »Und er ist gut darin.«

Sie hatte verlässliche Orgasmen, sie kuschelten sogar, und trotzdem ging Feyi morgens immer nach Hause. Kein Frühstück, keine Dates. Klar und unkompliziert.

Joy sah sie an. »Freut mich, dass es so gut läuft. Du hast ein bisschen Spaß verdient.«

Feyi spürte einen Kloß im Hals. Nach dem Unfall war ihr Leben so düster gewesen, dass sie sich jahrelang taub gefühlt, keine Berührung ertragen hatte, und doch war sie jetzt hier, auf dem Weg, ihre neue Affäre und seine Kumpels zu treffen. Feyi hakte sich bei Joy unter und zog sie zu sich.

»Wie läuft’s eigentlich mit deiner Barkeeperin?«, fragte sie.

Joy ließ den Themenwechsel zu und steckte sich eine Zigarette an. »Hab rausgefunden, dass sie verheiratet ist. Ist das zu fassen?«

Feyi lachte. »Aber du gehst trotzdem weiter mit ihr ins Bett, oder?«

»Selbstverständlich.« Joy blies den Rauch aus. »Was interessiert mich irgendein Ehemann?«

Eines Tages würde Feyi ein ernstes Wörtchen mit Joy über ihr Heten-Faible reden müssen. Andererseits waren sie schon ewig befreundet, und Joy wusste selbst bestens um ihr Beuteschema und dessen verkorksten Ursprung. Jeder hatte das Recht, gewisse Verletzungen zu verdrängen. So wie Milan, der sich in Unbeschwertheit hüllte wie in eine Rüstung. Aber manchmal, wenn er glaubte, dass sie schlief, sah ihn Feyi mit bleierner Schwere in den Augen zur Decke starren. Sie tat dann so, als bemerke sie nichts; Feyis Inneres war wie eine Landkarte offener Wunden, sie hatte kein Bedürfnis, sich an seinen Kanten zu scheuern. Deshalb musste sie sich nicht schuldig fühlen. Sie hatte sehr lang an ihren eigenen Heilmethoden gefeilt, die endlich funktionierten — Joys lachendes Gesicht hinter einer Rauchwolke, die Umarmung ihres Lovers am Ende eines langen Abends, diese schlaflose Stadt, die genug Leben für sie bereithielt, um ihr früheres zu vergessen.

Also sagte sie nichts, als sie mit ihrer besten Freundin im Mondschein die Straße überquerte. Das war beinahe genug, musste genug sein, denn mehr hatten sie nicht.

*

In der Bar rührte Joy mit dem Strohhalm in ihrem Drink, ihre Augen funkelten wie der goldene Mesh-Stoff ihres Kleides. »Erst vögelst du ihn und dann seine Freunde«, schlug sie verschlagen grinsend vor. »Das ist in dieser Situation das einzig Vernünftige.«

Lachend reichte Feyi dem Barkeeper ihre Kreditkarte, um eine Rechnung aufzumachen. »Wir sind hier in der Öffentlichkeit, da muss ich mich schon ein bisschen zusammenreißen.«

Joy legte den rasierten Kopf schief, und auf ihrer honigfarbenen Haut spiegelten sich tausend kleine Lichter. »Wir sind zwar gerade erst angekommen, aber Feyi, hast du dir seine Kumpels mal angeguckt?«

Feyi warf die türkisen Braids über die Schulter und blickte zu Milan und seinen Jungs. Joy hatte recht — Milans Freunde sahen so umwerfend aus, es war absurd, und im Rudel grenzte ihre geballte Ausstrahlung an unverschämt.

»Scheiße, ich weiß«, kicherte Feyi. »Hätte ich auf der Party mal gewusst, was die Karte sonst noch hergibt … Wie können die nur alle so heiß sein, verdammt?«

»Was hängst du hier noch rum, wenn du längst im Sexexpress sitzen könntest? Alles einsteigen, bitte!«

Feyi verschluckte sich an ihrem Drink, und Joy kippte lachend einen Shot.

»Ich mein ja nur!«, knallte sie das Schnapsglas auf den Tresen. »Ihr seid schließlich kein Paar; seine Freunde sind nicht tabu oder so.«

Feyi verdrehte die Augen. »Baby, du weißt doch, wie sensibel Männer sind. Bro Code und der ganze Quatsch.«

Joy schnaubte und bestellte per Handzeichen den nächsten Shot. »Noch mal: Hast du die Kerle gesehen? Scheiß auf irgendeinen Code.«

Als Feyi erneut rüberschielte, sah einer der Männer im selben Moment vom Handy auf. Ihre Blicke trafen sich, und sie merkte, dass sie wieder starrte wie bei ihrem Kennenlernen mit Milan. Dieser hier war schlank, hatte glatte dunkelbraune Haut und trug einen legeren Anzug, den obersten Hemdknopf geöffnet. Anfangs war die Atmosphäre zwischen ihnen neutral; zwei Leute, deren Blicke sich verfingen, die ihr Äußeres scannten. Feyi fragte sich, wie sie bei solch einer Beurteilung abschnitt, wie sie in seinen Augen aussah. Der Typ saß mit offenem Jackett, entspannt an die Wand gelehnt, auf einem Barstuhl. Ein paar Sekunden verstrichen, ohne dass er den Blick abwandte. Ebenso wenig wie sie.

Die Luft zwischen ihnen vibrierte wie vor einer Wette, einer Herausforderung. Als er das Handy weglegte und sich, unverhohlenes Interesse im schmalen Gesicht, aufrichtete, fühlte sich Feyi plötzlich, als wäre sie in eine neue Bahn geraten, ohne diese genauer bestimmen zu können. Sie sah zu, wie er sich zu Milan beugte und ihm etwas zuflüsterte, während er sie weiter unverwandt anstarrte.

Joy bemerkte es ebenfalls und kreischte leise auf. »Oh Babe, da hat’s aber jemand auf dich abgesehen.«

»Halt die Klappe, verdammt«, zischte Feyi lächelnd und ohne den Mund zu bewegen, da Milan zu ihnen herübersah und sie zu sich winkte. Der Mann neben ihm hatte sie keinen Moment aus den Augen gelassen und bemühte sich nicht einmal, seine Neugier zu verbergen, die mit jedem Schritt, den Feyi auf ihn zukam, spürbarer wurde.

»Du bist geliefert«, flüsterte Joy, als sie rübergingen, das gleiche gefrorene Lächeln im Gesicht.

»Hey Babe«, sagte Milan, legte unbeschwert einen Arm um Feyi und küsste sie auf die Wange. »Das ist mein Kumpel Nasir. Nasir, das ist Feyi.«

Nasir lächelte schief, ließ kurz die weißen Zähne aufblitzen, und Feyi streckte ihm die Hand hin.

»Hi«, sagte sie. »Freut mich.«

Er ergriff ihre Hand, seine Haut war trocken und warm.

»Gleichfalls«, antwortete er, Blick und Hand ein wenig zu lang haltend. Milan bemerkte nichts.

»Du musst Joy sein«, sagte Milan und ließ von Feyi ab, um ihre Freundin zu begrüßen.

»Ja, hi … oh! Mit Umarmung, okay!«, sagte Joy und sah Feyi über seine Schulter mit großen Augen an.

»Aber sicher. Hab nur Gutes von dir gehört.«

»Dann hat sie definitiv untertrieben«, antwortete Joy, und alle lachten. Nun wurden auch die anderen vorgestellt — Grant, der Arzt, Tolu, der Finanztyp, Clint, der Architekt. Nasir war irgendeine Art Berater; er schien weniger scharf drauf, von seiner Arbeit zu erzählen, als die anderen. Tolu ließ nonstop unbeholfene Kommentare dazu fallen, wie viel Kohle er scheffelte und welche Reisen er unternahm, wobei er jedes Mal zu Joy schielte, die er offensichtlich beeindrucken wollte. Feyi unterdrückte ein Gähnen — wie sie es hasste, so zu tun, als interessierte sie das Geschwafel irgendwelcher Typen.

Nasir glitt neben sie. »Milan sagt, du bist Künstlerin?« Sein Parfum roch schwach nach Moschus, durchzogen von einer würzigen Note.

»Ja«, antwortete sie. Obwohl das schon seit Jahren der Wahrheit entsprach, fühlte sich die Jobbezeichnung immer noch seltsam an. »Ich mache Sachen.«

»So kann man’s auch nennen.« Nasir wandte ihr sein lächelndes Gesicht zu. »Ich sammle selbst ein bisschen Kunst. Zwar noch nicht lange, aber ich würde mir deine Arbeiten gern ansehen, wenn das für dich okay ist. Stellst du in nächster Zeit irgendwo aus?«

Er hatte dichte, glänzende schwarze Locken, und Feyi versuchte das gespannte Hemd über seiner Brust zu ignorieren.

»Gerade nicht. Ich war bei ein paar Gruppenschauen dabei und hatte letztes Jahr meine erste Einzelausstellung in Boston.«

»Kommst du daher?«

Feyi verzog das Gesicht. »Nicht wirklich. Meine Eltern unterrichten in Cambridge.«

»Na dann.« Nasir zog sein Portemonnaie aus der Tasche. »Vielleicht kann ich mal in deinem Atelier vorbeikommen?« Er reichte ihr seine Visitenkarte, und Feyi nahm sie, überrascht vom Gewicht des geprägten Papiers, zögerlich entgegen. Die Karte enthielt nur seinen Namen und eine Telefonnummer.

»Ach, du meinst das ernst«, sagte sie.

Er lachte. »Ich mache keine Scherze.«

Fuck, dachte sie, sogar sein Lachen war sexy. Um seine Augen bildeten sich kleine Fältchen, und Feyi musste sich daran erinnern, dass sie mit Milan hier war und nicht, um seine Jungs klarzumachen. Sie schob Nasirs Karte in ihre Handtasche. Seine Augen huschten an ihr vorbei, und plötzlich leuchtete sein Gesicht vor Freude dermaßen auf, dass es sich zu Feyis Erstaunen völlig veränderte. »Lorraine!«, rief er und widmete sein strahlendes Lächeln wieder Feyi. »Meine Schwester«, erklärte er. »Sie ist gerade erst gelandet.«

Eine kleine Frau mit makelloser Haut und langen blonden Sisterlocks warf sich in seine Arme, wobei ihre Reisetasche gegen Feyis Schulter schlug. Während sich die Geschwister lachend im Kreis drehten — beide mit demselben vollmundigen Grinsen — nutzte Feyi die Gelegenheit und stahl sich zu Joy, die sich an die Bar gerettet hatte und von dort aus mit schamloser Neugier die neu Eingetroffene musterte. Sanft stieß Feyi ihr den Ellbogen in die Seite. »Fang nicht gleich an zu sabbern«, sagte sie.

»Was kann ich dafür?«, sagte Joy. »Guck sie dir an! Meinst du, sie steht auf Frauen?«

»Als würd’s dich stören, wenn nicht.«

Joy zwinkerte. »Stimmt auch wieder. Mal schauen, ob ich sie auf ’nen Drink einladen darf.«

Lachend schüttelte Feyi den Kopf. »Dir ist nicht zu helfen.« Sie wusste, dass sich Joy sowieso von nichts abhalten ließe. »Viel Glück.«

»Pah! Als hätt ich das nötig.«

Mit wiegenden Schultern pirschte Joy sich an, und Feyi bahnte sich ihren Weg Richtung Dach, tippte unterwegs auf Arm oder Rücken der Umstehenden, um sich Entschuldigungen und Dankeschöns murmelnd an ihnen vorbeizuschieben, bis sie es endlich durch die Tür geschafft hatte. Draußen standen mehrere Grüppchen, in einer Ecke wurde geraucht, die meisten unterhielten sich. Vor ihnen lag ausgebreitet das Lichtermeer der Stadt. Feyi legte die Hände aufs kühle Eisengeländer, genoss mit geschlossenen Augen die Luft auf ihrer Haut, lauschte der Geräuschkulisse, dem DJ drinnen, den Gesprächen und der Musik um sie herum, den fernen Autos, so viele Stockwerke unter ihnen. Sie wollte noch einen Drink. Sie wollte mit Milan ins Taxi steigen und zu ihm nach Hause fahren, unter seiner Zunge kommen und abhauen, solang er schlief, um die Nacht in ihrem eigenen Bett zu verbringen, ohne seinen atmenden Körper neben ihr. Sie wollte sich vergessen.

»Was dagegen, wenn ich mich dazustelle?«

Seine Stimme war tief und überraschend nah an ihrem Ohr. Feyi hatte sich so erschrocken umgedreht, dass sie auf ihren Absätzen schwankte. Direkt vor ihr stand Milans Kumpel, schob ihr eine Hand hinter den Rücken und zog sie von der Brüstung weg, seine Finger auf ihrer nackten Haut. Einen Moment lang bereute Feyi ihr Outfit, wie wenig das Kleid bedeckte, wie sichtbar sie unter seiner Berührung eine Gänsehaut bekam. Sein Name war in ihrem Gedächtnis noch viel zu präsent, selbst sein Geruch, und er war nah, zu nah, was sie noch stärker aus dem Gleichgewicht brachte. Um nicht vollends auf ihn zu fallen, stützte sie sich mit einer Hand an seiner Brust ab.

»Du fasst mich an«, beschwerte sie sich.

Es war elektrisierend, kleine Stromstöße durchfuhren sie. Er strahlte Hitze aus, und Feyis verräterischer Körper reagierte mit erhöhtem Puls.

Nasir lächelte. »Erstens passe ich auf, dass du nicht vom Dach fällst«, antwortete er. »Und zweitens …« — er schaute demonstrativ zu der Hand auf seiner Brust und senkte ein wenig die Stimme — »fasst du mich an.«

Feyi fand ihr Gleichgewicht wieder und nahm die Hand weg. »Da, bitte«, sagte sie. »Kannst loslassen.« War ihm aufgefallen, wie schnell ihr Atem ging? Dass sich ihre Pupillen geweitet hatten?

Nasir nahm die Hand von ihrem Rücken, aber so, dass seine Fingerspitzen weiter ihre Wirbelsäule streiften. »Bist du sicher?«, sagte er leise, scherzhaft.

Feyi stockte der Atem. Seine Worte waren zu intim, zu ähnlich dem, was Milan bei jenem ersten Mal im Badezimmer gesagt hatte. Sie waren zu gewichtig, und Nasir sah sie aus gierigen Augen an. Plötzlich fühlte sich, was immer da zwischen ihnen war, zu schnell und gefährlich an, als stünde sie direkt am Rand einer Klippe, deren dunkle, unbekannte Abgründe nur darauf warteten, dass sie fiel. Sein Mund sah weich aus, die Zähne dahinter scharf. Feyi spürte es im Nacken — er machte Jagd auf sie. Der unbeirrte Blick vorhin an der Bar, dass er ihr aufs Dach gefolgt war, ihr unterm nächtlichen Stadthimmel auflauerte.

»Lass das«, sagte sie und machte reflexartig dicht. »Dafür kennen wir uns nicht gut genug.«

Sofort trat Nasir einen Schritt zurück, seine Hände verschwanden in seinen Hosentaschen. »Du hast recht. Das war … unangemessen.« Er senkte den Kopf, verzog den Mund. »Ich dachte, wir hätten da beide etwas gespürt, aber … vergiss es. Ich klinge wie ein Arschloch. Mein Fehler.«

Sie hatte nicht erwartet, dass er so plötzlich zurückrudern würde. Er sah regelrecht zerknirscht aus, als sei der Charmeur nur Fassade, und Feyi wusste nicht, was sie sagen sollte. »Du bist sehr … eindeutig«, bekam sie raus.

Lächelnd zuckte Nasir die Schultern. »Das wurde mir schon öfter gesagt.«

»Und außerdem: Wozu das Ganze?«

Er sah überrascht aus. »Wie bitte?«

Es war ihr einfach so herausgerutscht, aber jetzt machte Feyi weiter, nutzte den leichten Ärger wie einen Schild. Das fühlte sich besser an als die ganze Unsicherheit.

»Nee, mal im Ernst. Du flirtest mit mir, fasst mich an, als wolltest du was, aber wozu? Hast du vor, mich abzuschleppen, oder was?«

Nasir schien schockiert von ihrer direkten Art. Feyi fand seinen Anblick amüsant. Männer waren es einfach nicht gewohnt, dass man ihren Bullshit beim Namen nannte.

»Na los, sag schon, was soll das alles?«, drängte sie weiter. »Was willst du erreichen?«

Er legte sich die Hand vor den Mund und lachte unbeholfen. »Fuck, du willst es echt wissen.«

Feyi zuckte die Schultern. »Da hast du wohl nicht drüber nachgedacht, was? Einfach mal machen, nach dem Motto: Hey, ich schmeiß mich an die Frau ran, mit der Milan hier ist! Habt ihr Typen nicht irgendeinen Code oder so? Oder dachtest du dir, Milan hat bestimmt nichts dagegen zu teilen?«

Damit verschwand auch der letzte Rest Leichtigkeit zwischen ihnen.

»So hab ich das nicht gemeint«, sagte Nasir ernüchtert.

Feyi schlang die Arme um ihren Oberkörper, eine Schwere machte sich in ihr breit, gemischt mit echter Wut. »Wie hast du es dann gemeint, wenn du versuchst, die Frau rumzukriegen, die was mit deinem Kumpel hat?« Sie schüttelte den Kopf und wollte sich in Bewegung setzen. »Ich muss meine Freundin finden.«

»Feyi.«

Sie ignorierte ihn, schob sich mit einem Schulterrempeln an ihm vorbei. Nasir fasste nach ihrem Arm.

»Feyi!« Als er ihren zornigen Blick sah, der langsam von seiner Hand um ihren Arm zu seinem Gesicht wanderte, ließ er von ihr ab. »Hör bitte kurz zu. So ist das nicht.«

Es war ihr egal. Sie konnte gar nicht in Worte fassen, wie egal es ihr war. Vielleicht war das so ein Ding zwischen Milan und seinen Jungs, sich die Frauen weiterzureichen. Vielleicht standen sie auf Dreier oder Gangbangs. Feyi wollte nur noch Joy finden.

»Es wird langsam kalt.«

»Ich habe was gespürt.« Nasir lief ihr nach, mit loderndem Blick über seinen markanten Wangenknochen. »Ich versuche nicht, dich rumzukriegen. In dem Moment, in dem ich dich gesehen habe, habe ich etwas gespürt. Ich weiß nicht, was es war oder ist, aber so, wie du das darstellst, ist es nicht. Ich meine … ich liebe Milan, er ist wie mein Bruder! Ich schwöre, so was würde ich ihm nie antun.«

Feyi runzelte die Stirn. Die Augenbrauen zusammengezogen, die Stimme dringlich, redete er sich um Kopf und Kragen, und es machte sie neugierig. Da ihm offenbar wichtig war, was sie von ihm hielt, ließ sie ihn mit verschränkten Armen weiterreden.

»Ich weiß nur, dass ich dich gesehen habe und … Pass auf, gerade eben, da habe ich das nur gesagt, weil ich nicht aufhören wollte, dich zu berühren. Und weil ich nicht wollte, dass du aufhörst, mich zu berühren. Ich wollte nur …« Nasir fuhr sich über die Stirn und atmete aus. »Fuck, ich klinge echt bescheuert. Ich weiß auch nicht. Es tut mir leid.«

Feyi sah zu ihm hoch. Gott, selbst so bescheuert war er noch heiß. Sie wollte ihn näher. Sie wollte ihn ganz, ganz weit weg. Einen Moment lang überlegte sie, mit ihm aufs Klo zu verschwinden, um herauszufinden, ob er so verzweifelt vögelte, wie er redete. Vielleicht konnte das ihr Markenzeichen werden — eine Chimäre, die auf ihren nächtlichen Streifzügen durch die Stadt Männer in kleine Räume lockte und sich zu Willen machte. Nur für Augenblicke, nie lang genug, dass sie real wurde. Das konnte süchtig machen; es fühlte sich gut an, von diesen Männern begehrt zu werden. Es fühlte sich an wie Macht. Feyi wollte, dass Nasir seine langen Finger an ihr Gesicht legte und sie küsste, als wären sie nicht mit ihren Freunden da. Oder dass er sie küsste, weil sie mit seinem Freund schlief, dass er die Freundschaft bereitwillig zerstörte, weil er sie so sehr wollte. Nach Jahren der Taubheit turnte sie das tatsächlich an. Feyi mochte die Beweise von Begierde, Milans Leichtsinnigkeit in jenem Badezimmer, wie sich dieser Typ jetzt vor ihr zum Idioten machte.

Nur hatte er eben gesagt, dass er gar nicht mit ihr schlafen wollte, selbst wenn das nichts als eine tapfere Lüge war. Hier ging es nur um Lust, um blinde, stumpfsinnige Lust, die nichts damit zu tun hatte, wer sie war. Das Ganze war also nicht mal persönlich, egal, wie bedeutungsvoll er es klingen lassen wollte. Sie waren sich eben erst begegnet. Er kannte sie nicht; er hatte nur eine hübsche Frau mit türkisen Cornrows und Brombeermund gesehen, einen in schwarze Pailletten gegossenen Körper. Natürlich wollte er sie berühren und von ihr berührt werden. Natürlich wollte er sie vögeln, egal, was er behauptete. Dass er jetzt so sentimental tat, fand Feyi höchstens irritierend. Was Milan und sie hatten, war sicher und simpel und von Beginn an ehrlich gewesen, anders als dieses Schauspiel, mit dem Nasir seine Lust kaschierte.

»Was du da beschreibst, nennt man Anziehungskraft«, sagte sie schneidend. »Nicht mehr und nicht weniger. Es gibt tausend bessere Arten, damit umzugehen, als du es eben getan hast.« Sie schaute sich um und entdeckte Joy, die sich mit zwei Gläsern durch die tanzende Menge kämpfte. »Ich muss los.« Hätte sie es nicht besser gewusst, sie hätte ihn als bestürzt beschrieben — die Brauen eng zusammengezogen, der Blick besorgt. Ein bisschen tat er ihr leid, zumindest genug, um ihm kurz zuzulächeln, ein kleines Wegwerfgeschenk. »War nett, dich kennenzulernen, Nasir.«

Er zögerte, bevor er sich zu ihr neigte und sie schnell, flüchtig auf die Wange küsste — ein gewagter Abschiedshauch. »Ja, fand ich auch«, flüsterte er, seine Augen wanderten ein letztes Mal über ihren Körper, dann drehte er sich um und ging.

Feyi sah ihm hinterher, auf ihrer Haut verblasste die Berührung seiner Lippen, um sie herum dröhnte der Bass.

Drei

Zwei Wochen später trennte sich Feyi von Milan. Nicht wegen Nasir — oder nicht nur —, und es war auch keine richtige Trennung, schließlich waren sie nie wirklich zusammen gewesen. Aber schon seit einer Weile reichte es Feyi nicht mehr.

»Warum nur? Er ist doch so schön!«, heulte Joy beim Brunch. »So schlecht im Bett kann er doch nicht sein.«

»Er ist überhaupt nicht schlecht. Es war nur … es war gut. Nett.«

Joy verzog das Gesicht. »Uff, das will man über seine Sexskills hören. Nett.«

»Na ja … angenehm eben.«

»Oh Gott, hör bloß auf«, lachte Joy. »Du bringst mich echt um, und den Ruf dieses armen Typen gleich mit.« Sie winkte dem Kellner und bestellte eine neue Runde Mimosas, tippte dann mit den Acrylnägeln gegen ihr leeres Glas und sah Feyi an. »Was hättest du denn mehr von ihm gewollt? Eine Beziehung?«

»Nee, bloß nicht.« Feyi wischte sich die Mundwinkel ab und ließ seufzend die Serviette in ihren Schoß fallen. »Ich weiß auch nicht. Mehr … Bäm? Mehr Feuerwerk? Das erste Mal in dem Bad war der Hammer, aber je öfter wir Sex hatten, desto … braver wurde er.«

»Also immer dasselbe, mmh?«

»Ja genau, wie in einem Restaurant mit der immer gleichen Tageskarte.« Feyi schüttelte den Kopf. »Ich hab vorsichtig vorgeschlagen, dass wir mal was anderes ausprobieren könnten, aber dazu kam’s nie.«

»Also willst du mehr Leidenschaft?«

»Vielleicht. Aber die lässt halt irgendwann nach.«

»Also bitte.« Joy lehnte sich zurück, als der Kellner kam, um ihr nachzuschenken. »Ihr wart doch kein Ehepaar, das seit elf Jahren im sicheren Hafen monotonen Schnarchsex hat. Das gilt hier nicht.«

Feyi bedankte sich lächelnd beim Kellner und strich mit dem Finger über den kühlen Rand ihres Glases. »Ich hab mich bei ihm wohlgefühlt. Wie bei einem Freund.«

Als sie Milan gesagt hatte, dass sie keinen Sex mehr wollte, hatte ihn das nicht sonderlich gestört. Er hatte gefragt, ob sie weiter abhängen wollten, und zu ihrer eigenen Überraschung war Feyi gar nicht abgeneigt, sogar neugierig, wie das aussehen mochte ohne Sex.

»Verdammt«, grinste Joy. »Dann ist Milan in Wahrheit also ein Kuschelbär.«

»Scheiße. Ich wollte wohl einfach keinen Kuschelbären vögeln.«

Joy stellte ihren Mimosa ab. »Und tschüss, ab in die Ecke mit ihm!«

»Es tut mir ja leid!«, lachte Feyi. »Aber es stimmt.«

»Wenigstens hatte er einen guten Lauf.« Joy hob ihr Glas. »Auf Milan, Kuschelbär par excellence, stets für dich da, wenn dir nach Blümchensex mit Raubtierlatte ist.«

Feyi tat entrüstet, konnte ihre Belustigung aber nicht verbergen. »Das ist echt hart. Der Mann hat vielleicht Gefühle!«

»Als würde es dich kümmern. Prost, Bitch!«

Sie ließen laut die Gläser klirren.

»Auf Milan«, sagte Feyi.

Danach stellte Joy ihr Glas ab und kniff die Augen zusammen, das Thema Milan war abgehakt und sie dachte schon weiter. »Hast du dir überlegt, was als Nächstes kommt? Also, was du wirklich willst?«

»Vielleicht erst mal ’ne Pause von dem Ganzen«, antwortete Feyi. »Ich weiß nicht, ob ich direkt wieder so eng mit jemandem sein will.«

Joy ignorierte sie. »Ooooh, du brauchst einen richtig Perversen. Einen, der dir die Zehen lutscht und so. Deinen Daumen in seinem Arsch haben will. Jemand Scharfen.«

Feyi gab’s auf. »Manchmal mache ich mir Sorgen um dich.«

»Mach dir um dich selbst Sorgen. Immerhin hast du gerade dein Schwanzabo gecancelt.«

»Ich glaube, wir lassen das besser. Was gibt’s denn bei dir Neues?«

Feyi widmete sich ihren pochierten Eiern, während Joy von der verheirateten Frau erzählte, mit der sie sich trotz vehementen Abratens ihrer Therapeutin weiterhin traf, und welchen Kick ihr die Heimlichtuerei gab. Feyi machte die passenden Laute, aber in ihrem Hinterkopf pochte wie ein schmerzhafter Splitter Joys Frage, was sie wirklich wollte. Sie kannte die Antwort, und wenn sie ehrlich war, kannte sie sie schon seit jenem Abend in der Bar, nur wollte Feyi so nicht wollen. Sie wollte nicht an Nasirs unbeholfene Entschuldigungen denken oder daran, wie er sie angesehen hatte, als wollte er mehr als nur ihren Körper. Stattdessen hielt Feyi lieber an der Theorie fest, dass er