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Bachelorarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Politik - Region: Ferner Osten, Note: 1,1, Ruhr-Universität Bochum (Faukultät für Ostasienwissenschaft), Sprache: Deutsch, Abstract: Die koreanische Geschichte des 20. Jahrhunderts ist ohne Zweifel eng mit der persönlichen und politischen Biographie von Syngman Rhee [Yi Sûng-man] (1875-1965) verknüpft. Nach vier Jahrzehnten japanischer Kolonialherrschaft und einer im Zuge des Zweiten Weltkrieges drei Jahre währenden Besatzungsperiode wurde der aus einer aristokratischen Familie stammende Rhee im August 1948 der erste Präsident der im Süden der Halbinsel gegründeten Republik Korea (Taehan min’guk). Seine bis 1960 andauernde Präsidentschaft war geprägt von außen- und innenpolitischen Krisensituationen. Keine zwei Jahre nach dem Amtsantritt von Rhee überfielen im Juni 1950 Truppen der nordkoreanischen Volksarmee (Chosôn inmin’gun) mit sowjetischer Unterstützung Südkorea, was den jungen Staat an den Rand des Untergangs brachte. Nur aufgrund militärischen Beistandes der Vereinten Nationen unter der Führung der Vereinigten Staaten konnte Südkorea von den Angreifern befreit werden und damit fortbestehen. Das Inland war zu Beginn der Amtszeit des erklärten Antikommunisten Syngman Rhee Schauplatz bürgerkriegsähnlicher Zustände. Vertreter linker und rechter Gruppen führten einen erbitterten Kampf um die politische Vormachtstellung in Südkorea, den die politische Rechte unter Rhee für sich entscheiden konnte. Die Präsidentschaftswahlen, in dessen Rahmen er in den Jahren 1952, 1956 und 1960 im Amt bestätigt wurde, sind bis heute Gegenstand heftiger Kontroversen hinsichtlich des Umgangs mit der Demokratie. Infolge eines zunehmend diktatorischen Regierungsstils und einer desaströsen wirtschaftlichen Lage des Landes verlor der anfänglich beliebte Präsident ab Mitte der 1950er Jahre mehr und mehr an Popularität bei der Bevölkerung. Im Zuge von erbitterten Protesten gegen den Ausgang der Wahlen im Jahr 1960 sah er sich gezwungen von seinem Amt zurückzutreten. Bis zu seinem Tod 1965 lebte Rhee im Exil auf Hawaii. Im Rahmen dieser Arbeit soll sich intensiv mit der historischen Figur Syngman Rhee auseinandergesetzt werden. Zunächst erfolgt eine Darstellung der zentralen biographischen Stationen bis 1945 von Rhee, der sich schon während seiner Jugend politisch engagierte und in der japanischen Kolonialherrschaft (1910-1945) über Korea als Exilant zu einem der wichtigsten Vertreter der koreanischen Unabhängigkeitsbewegung avancierte.
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Veröffentlichungsjahr: 2008
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Die koreanische Geschichte des 20. Jahrhunderts ist ohne Zweifel eng mit der persönlichen
und politischen Biographie von Syngman Rhee1[Yi Sǔng-man] (1875-1965) verknüpft. Nach vier Jahrzehnten japanischer Kolonialherrschaft und einer im Zuge des Zweiten Weltkrieges drei Jahre währenden Besatzungsperiode wurde der aus einer aristokratischen Familie stammende Rhee im August 1948 der erste Präsident der im Süden der Halbinsel gegründeten Republik Korea (Taehan min’guk). Seine bis 1960 andauernde Präsidentschaft war geprägt von außen- und innenpolitischen Krisensituationen. Keine zwei Jahre nach dem Amtsantritt von Rhee überfielen im Juni 1950 Truppen der nordkoreanischen Volksarmee (Chosǒn inmin’gun) mit sowjetischer Unterstützung Südkorea, was den jungen Staat an den Rand des Untergangs brachte. Nur aufgrund militärischen Beistandes der Vereinten Nationen unter der Führung der Vereinigten Staaten konnte Südkorea von den Angreifern befreit werden und damit fortbestehen. Das Inland war zu Beginn der Amtszeit des erklärten Antikommunisten Syngman Rhee Schauplatz bürgerkriegsähnlicher Zustände. Vertreter linker und rechter Gruppen führten einen erbitterten Kampf um die politische Vormachtstellung in Südkorea, den die politische Rechte unter Rhee für sich entscheiden konnte.
Die Präsidentschaftswahlen, in dessen Rahmen er in den Jahren 1952, 1956 und 1960 im Amt bestätigt wurde, sind bis heute Gegenstand heftiger Kontroversen hinsichtlich des Umgangs mit der Demokratie. Infolge eines zunehmend diktatorischen Regierungsstils und einer desaströsen wirtschaftlichen Lage des Landes verlor der anfänglich beliebte Präsident ab Mitte der 1950er Jahre mehr und mehr an Popularität bei der Bevölkerung. Im Zuge von erbitterten Protesten gegen den Ausgang der Wahlen im Jahr 1960 sah er sich gezwungen von seinem Amt zurückzutreten. Bis zu seinem Tod 1965 lebte Rhee im Exil auf Hawaii. Im Rahmen dieser Arbeit soll sich intensiv mit der historischen Figur Syngman Rhee auseinandergesetzt werden. Zunächst erfolgt eine Darstellung der zentralen biographischen Stationen bis 1945 von Rhee, der sich schon während seiner Jugend politisch engagierte und in der japanischen Kolonialherrschaft (1910-1945) über Korea als Exilant zu einem der wichtigsten Vertreter der koreanischen Unabhängigkeitsbewegung avancierte. Besonderes
1Diese durch die Voranstellung des Vornamens von der üblichen koreanischen Namensform abweichende Schreibweise wählte er selbst um das Jahr 1905 aus. Vgl. Oliver 1954, S.2. In englischsprachigen Publikationen ist diese Schreibung ferner die geläufigste. Seltener sind in der Literatur die Schreibweisen Rhee Syngman und Lee Seung-man anzutreffen. Sein in koreanischen Veröffentlichungen häufig auftretender Deckname (ho) lautet Unam.
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Gewicht liegt dabei auf der Einbettung der beschriebenen Ereignisse und Vorgänge in den jeweiligen historischen Kontext, die als Verständnisgrundlage dienen soll. Daran anknüpfend wird durch die gesonderte Betrachtung der insgesamt drei Amtsperioden von Rhee ausführlich auf sein politisches Handeln und Wirken im Süden Koreas von 1945 bis 1960 eingegangen. Basierend auf den vorangegangen Ausführungen folgt im dritten Teil eine komprimierte Darstellung der wesentlichen Trends in der Rezeption der historischen Persönlichkeit Syngman Rhee. Neben einer Kurzvorstellung des westlich- und koreanischsprachigen Bestandes an relevanter Literatur sollen darüber hinaus die Grundzüge der Bewertung Rhees skizziert werden. Insbesondere in Südkorea unterliegt das „Rhee-Bild“ seit dem Ende der 1980er Jahre einem zunehmenden Wandel.
In methodischer Hinsicht wird in dieser Arbeit für die Transkription koreanischer Namen und Begriffe das System nach McCune-Reisschauer verwendet. Aufgrund ihres Verbreitungsgrades bilden die Namen Syngman Rhee und Seoul Ausnahmen.
2.1. Kindheit und Jugend im Zuge weitreichender Veränderungen (1875-1896)
Syngman Rhee wurde am 26. März 1875 in Haeju, der Hauptstadt der damaligen Provinz
Hwanghae2, als jüngstes von insgesamt sechs Kindern von Yi Kyǒng-sǒn (1837-1912) und Kim Hae-gim (1833-1896) geboren. Rhee stammte in 16. Generation väterlicherseits von Prinz Yangnyǒng (1394-1462), einem Enkel des Gründers der Chosǒn-Dynastie, Yi Sǒng-
gye (1335-1418), ab.3
Yi Kyǒng-sǒn gehörte der aristokratischen Klasse deryangbanan. Trotz eines füryangban-Verhältnisseverhältnismäßig bescheidenen Wohlstandes widmete er sein Leben entsprechend dem Klassenhabitus der Gelehrsamkeit, wobei er ein besonderes Interesse für
die Erforschung der Genealogie der Familie hegte.4
2Infolge der Besatzung Koreas durch die USA und die UdSSR nach dem Ende der japanischen Kolonialzeit im Jahr 1945 wurde die seit Beginn der Chosǒn-Zeit (1392-1910) existierende historische Provinz Hwanghae aufgelöst. Das Provinzterritorium befindet sich fast ausschließlich nördlich des 38. Breitengrades, weshalb das Gebiet heutzutage größtenteils zu Nordkorea gehört. Während die wenigen südlich des 38. Breitengrades liegenden Gebiete zur heutigen südkoreanischen Provinz Kyǒnggi gehören, gliedert sich der im Norden liegende Teil in die 1954 geschaffenen Provinzen Nord-Hwanghae (Hwanghaepuk) und Süd-Hwanghae (Hwanghaenam). Die Geburtsstadt von Syngman Rhee, Haeju, ist heute Provinzhauptstadt von Süd-Hwanghae.
3Vgl. Chǒng 2005, S.51. Eine bis auf den Beginn der Chǒson-Dynastie zurückgehende Ahnentafel der Familie findet sich bei Chǒng 2005, S.54.
4Vgl. Oliver 1954, S.2f.
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Im Alter von zwei Jahren zog Rhee mit seiner Familie vom Land in die Hauptstadt Seoul5um.6Rhee wuchs in einem sehr bildungsorientierten Elternhaus auf, weshalb er vor allem durch seinen Vater schon im frühen Kindesalter mit Werken der klassischen chinesischen Literatur in Berührung kam. Er zeigte sich als ein begabtes Kind; und beherrschte angeblich
schon mit sechs Jahren die 1000 der geläufigsten chinesischen Schriftzeichen.7Gemäß den Traditionen der koreanischen Aristokratie absolvierte Syngman Rhee in einer
Dorfschule (sǒdang) von 1880 bis 1894 ein intensives Studium der chinesischen Klassiker.8Angefangen von seinem 14. Lebensjahr unternahm Rhee neben der Schule insgesamt sechs Versuche, die im jährlichen Turnus abgehaltene staatliche Beamtenprüfung zu bestehen. Er
scheiterte bei allen Anläufen.9
Die Kindheit und Jugend von Syngman Rhee war gekennzeichnet von tief greifenden Veränderungsprozessen in Korea. Im Zuge des in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Ostasien in Erscheinung tretenden Imperialismus der westlichen Großmächte und der ab 1868 durch die Meiji-Restauration (Meiji ishin) ausgelöste Modernisierungsbewegung im Nachbarland Japan, wurde eine Öffnung des seit dem 17. Jahrhunderts in weitgehender politischer und kultureller Isolation verharrenden Landes bedingt. In formaler Hinsicht begann die Öffnung Koreas mit einem infolge politischen Drucks am 27. Februar 1876 geschlossenen ungleichen Vertrages mit Japan, der die einseitige Gewährung von
Handelsprivilegien für Japan vorsah.10Im Folgenden wurden dem außenpolitisch schwachen Korea weitere ungleiche Verträge von den imperialistischen Westmächten aufgezwungen.11Der wachsenden politischen und kulturellen Bedeutung des Auslandes wurde in Korea zwiespältig begegnet. Zum einen wurden bis dahin unbekannte technische und geistige Konzepte des Westens und Japans, mit denen man zwangsläufig durch den verstärkten
5Das heutige Seoul trug bis ins Jahr 1910 den Namen Hansǒng. Während der japanischen Kolonialära von 1910 bis 1945 war die Stadt unter der Bezeichnung Kyǒngsǒng bekannt; nach dem zweiten Weltkrieg erfolgte die Umbenennung in den gegenwärtigen Namen. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird in dieser Arbeit ausschließlich der heutige Name verwendet.
6Vgl. Chǒng 2005, S.59.
7Vgl. Chǒng 2005, S.61.
8Vgl. Chǒng 2005, S.65.
9Vgl. Kim Robert 2000, S.603.
10Der Vereinbarung vorausgegangen war der Unyō-Vorfall im Jahr 1875, als das japanische Kriegsschiff Unyō im Gebiet der Insel Kanghwa absichtlich in koreanisches Hoheitsgewässer eindrang, um einen militärischen Zwischenfall zu provozieren, weshalb die später getroffenen Regelungen als „Vertrag von Kanghwa“ (kor.: Kanghwa-do choyak; jap.: Nicchō-shūkōjōki) bezeichnet werden. Der Vertrag beinhaltete unter anderem die vollständige Öffnung drei koreanischer Häfen (Inch’ǒn, Pusan, Wǒnsan) für japanische Handelsschiffe sowie die Möglichkeit zur Schaffung exterritorialer japanischer Siedlungen an der Küste Koreas. Vgl. Eckert et. al. 1990, S.200ff.