Synthetische Bindemittel für Beschichtungssysteme - Ulrich Poth - E-Book

Synthetische Bindemittel für Beschichtungssysteme E-Book

Ulrich Poth

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Beschreibung

Das Buch bietet eine praxisnahe Zusammenfassung der synthetischen Bindemittel. Dabei werden die wesentlichen chemischen Grundlagen, Hauptanwendungsgebiete und Applikationstechniken aufgezeigt. Die anschauliche Vermittlung von Struktur-Wirkungsbeziehungen sowie zahlreiche Formulierungshilfen machen das Werk zu einem unverzichtbaren Fachbuch für die Praxis.

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Ulrich Poth

Synthetische Bindemittel für Beschichtungssysteme

Umschlagsbild: adimas – fotolia.com

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Ulrich Poth

Synthetische Bindemittel für Beschichtungssysteme

Hannover: Vincentz Network, 2016

FARBE UND LACK // BIBLIOTHEK

ISBN 3-86630-611-3

ISBN 978-3-86630-611-0

© 2016 Vincentz Network GmbH & Co. KG, Hannover

Vincentz Network, P.O. Box 6247, 30062 Hannover, Germany

Das Werk einschließlich seiner Einzelbeiträge aus Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urhebergesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar.

Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Gebrauchtnamen, Warenzeichen und Handelsnamen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass solche Namen ohne weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um geschützte, eingetragene Warenzeichen.

Das Verlagsverzeichnis schickt Ihnen gern:

Vincentz Network, Plathnerstr. 4c, 30175 Hannover, Germany

Tel. +49 511 9910-033, Fax +49 511 9910-029

E-mail: [email protected], www.farbeundlack.de

Satz: Siegfried Urbich, Mediendesign, Celle, Germany

ISBN 3-86630-611-3

ISBN 978-3-86630-611-0

eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net

FARBE UND LACK // BIBLIOTHEK

Ulrich Poth

Synthetische Bindemittel für Beschichtungssysteme

FARBEUNDLACK // BIBLIOTHEK

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Auf ein Wort

Seit über einhundert Jahren sind synthetisch hergestellte Bindemittel technisch verfügbar. In diesem Buch werden synthetisch hergestellte Bindemittel für lösemittelhaltige, wässrige und lösemittelfreie Beschichtungssysteme behandelt. Bindemittel aus Naturstoffen und ihre direkten Modifikationen sind an anderer Stelle [1] beschrieben.

Die verschiedenen Bindemittel werden nach ihrem chemischen Aufbau bzw. ihres Reaktionsverhaltens gruppiert. Bei den einzelnen Bindemittelgruppen wird auf deren historische Entwicklung eingegangen und es ist sinnvoll, die Rohstoffe und die Herstellverfahren der Bindemittelgruppen zu beleuchten. Dadurch begründen sich viele Eigenschaften dieser Bindemittel. Die beschriebenen Eigenschaften der Bindemittelgruppen beziehen sich auf deren Anwendungen in Beschichtungsmitteln, d.h. besonders für Lacksysteme und auch für ähnliche Applikationen. Die Beispiele der Handelsprodukte bilden eine Auswahl und sind keinesfalls vollständig. Es gibt inzwischen viele Neugruppierungen der Handelsprodukte durch Konsolidierung der Produktpaletten und durch Umgliederungen der Hersteller.

Das vorliegende Buch wendet sich an alle, die Interesse an technischen Informationen über synthetische Bindemittel haben und die mit der Herstellung von Rohstoffen für Bindemittel, der Entwicklung und der Synthese von Bindemitteln, der Formulierung und Produktion von Beschichtungsmitteln sowie deren Applikation befasst sind. Die Informationen über die Synthese der Bindemittel bildet eine Übersicht, zur detaillierteren Information darüber wird auf speziellere Literatur verwiesen.

Mit diesem Buch werden sowohl Studierende als auch solche Personen angesprochen, die in der Entwicklung, Produktion, Produktprüfung, des Vertriebs und der Applikation tätig sind.

Münster im Oktober 2015

Ulrich Poth

[email protected]

Inhaltsverzeichnis

Synthetische Bindemittel – eine Einführung

1Polykondensationsbindemittel

1.1Allgemeines

1.1.1Begriffsbestimmung

1.1.2Bindemittelgruppen

1.2Polyester

1.2.1Definitionen

1.2.2Reaktionen beim Aufbau von Polyestern

1.2.3Gesättigte Polyester

1.2.3.1Entwicklung der gesättigten Polyester

1.2.3.2Bausteine gesättigter Polyester

1.2.3.3Strukturen und Größen von Molekülen gesättigter Polyester

1.2.3.4Herstellverfahren

1.2.3.5Gruppen gesättigter Polyester

1.2.3.6Hochmolekulare lineare Polyester

1.2.3.7Polyester als Weichharze

1.2.3.8Polyestersegmente

1.2.3.9Polyester-Hartharze

1.2.3.10OH-Polyester

1.2.3.11Polyester für Pulverlacke

1.2.3.12Selbstvernetzende Polyester

1.2.4Ungesättigte Polyester

1.2.4.1Entwicklung der ungesättigten Polyester – ein geschichtlicher Rückblick

1.2.4.2Bausteine

1.2.4.3Comonomere

1.2.4.4Aufbau ungesättigter Polyester

1.2.4.5Vernetzung ungesättigter Polyester

1.2.4.6Gruppen der ungesättigten Polyester

1.2.4.7Nichtmodifizierte UP-Harze – Wachspolyester

1.2.4.8Glanzpolyester

1.2.4.9UV-Vernetzung von ungesättigten Polyestern

1.2.4.10Sonstige ungesättigte Polyester

1.2.5Alkydharze

1.2.5.1Entwicklung der Alkydharze – ein geschichtlicher Rückblick

1.2.5.2Bausteine

1.2.5.3Aufbau und Herstellung der Alkydharze

1.2.5.4Größe und Struktur von Alkydharzen

1.2.5.5Einteilung der Alkydharze

1.2.5.6Oxidativ vernetzende Alkydharze

1.2.5.7Fremdvernetzende Alkydharze

1.2.6Spezielle Polyestersysteme

1.2.6.1Polycarbonate

1.2.6.2Polycaprolactone

1.2.6.3Polyester aus Dienaddukten

1.3Polyamide

1.3.1Entwicklung der Polyamide – ein geschichtlicher Rückblick

1.3.2Bausteine

1.3.3Herstellung

1.3.4Höhermolekulare Polyamide

1.3.5Polyamide auf der Basis von Dimerfettsäuren

1.3.6Polyamidoamine als Vernetzer für Epoxidharze

1.4Polykondensationsbindemittel mit heterocyclischen Strukturelementen

1.4.1Polyesterimide

1.4.2Polyimide

1.4.3Polyamidimide

1.4.4Polyhydantoine

1.4.5Ungesättigte Imide

1.5Aminoharze

1.5.1Begriffsbestimmungen

1.5.2Entwicklung der Aminoharze – ein geschichtlicher Rückblick

1.5.3Bausteine

1.5.3.1Amide

1.5.3.2Carbonylverbindungen: Eigenschaften und Anwendungen

1.5.3.3Veretherungsalkohole

1.5.4Aufbau der Aminoharze

1.5.4.1Additionsreaktionen

1.5.4.2Aufbaureaktionen

1.5.4.3Veretherungsreaktionen

1.5.4.4Herstellprozess

1.5.5Harnstoffharze

1.5.6Melaminharze

1.5.6.1Teilveretherte, relativ höher molekulare Melaminharze

1.5.6.2Hochveretherte, niedrigmolekulare Melaminharze

1.5.6.3NH-Gruppen enthaltende Melaminharze

1.5.7Benzoguanaminharze

1.5.8Carbamatharze

1.5.9Sulfonamidharze

1.5.10Glycolurilharze

1.6Phenolharze

1.6.1Entwicklung der Phenolharze – ein Blick in die Geschichte

1.6.2Bausteine

1.6.3Aufbau der Phenolharze

1.6.3.1Methylolierung

1.6.3.2Kondensationsreaktionen

1.6.3.3Veretherungsreaktionen

1.6.3.4Größe und Strukturen von Phenolharzen

1.6.4Gruppierungen

1.6.5Novolake

1.6.6Resole für lösemittelhaltige Lacke

1.6.7Resole für wässrige Beschichtungsmittel

1.6.8Ölreaktive Phenolharze

1.6.9Harzsäuremodifizierte Phenolharze

1.6.10Terpen-Phenolharze

1.7Furanharze

1.8Ketonharze

1.9Benzolkohlenwasserstoff-Formaldehyd-Harze

1.10Siloxane

1.10.1Begriffsbestimmungen

1.10.2Grundprodukte

1.10.3Intermediates

1.10.4Polysiloxane

1.10.4.1Silikonöle

1.10.4.2Silikonharze

1.10.4.3Silikonkautschuk

1.10.5Silikonmodifizierte Bindemittel

1.10.5.1Silikonpolyester

1.10.5.2Polysiloxane als Segmentbausteine für andere Bindemittel

1.10.6Oberflächenbehandlung von Partikeln

1.10.6.1Hydrophobierung

1.10.6.2Behandlung von Nanopartikeln

1.11Titanate

1.12Organische Polysulfide

1.13Literatur

2Polyadditionsbindemittel

2.1Allgemeines

2.1.1Additionsreaktionen

2.1.2Bindemittelgruppen

2.2Polyisocyanatbindemittel

2.2.1Entwicklung der Polyisocyanatbindemittel

2.2.2Bausteine der Polyisocyanatbindemittel

2.2.2.1Isocyanate für Beschichtungsstoffe

2.2.2.2Herstellung der Polyisocyanate

2.2.2.3Eigenschaften der Polyisocyanate

2.2.2.4Reaktionspartner von Polyisocyanaten

2.2.3Polyurethane

2.2.3.1Herstellung von Polyurethanen

2.2.3.2Physikalisch filmbildende Polyurethane

2.2.3.3Wässrige Polyurethan-Dispersionen

2.2.3.4Bindemittel aus Polyurethan-Präpolymeren

2.2.4Polyisocyanate mit freien Isocyanatgruppen als Vernetzer

2.2.4.1Oligomerisierung von Diisocyanaten

2.2.4.2Berechnung von Vernetzungsverhältnissen

2.2.4.3Katalyse der Urethanbildung

2.2.4.4Eliminierung von Wasser

2.2.4.5Partnerbindemittel

2.2.4.6Vernetzer für lösemittelhaltige und lösemittelfreie Systeme

2.2.4.7Vernetzer für wässrige Beschichtungssysteme

2.2.5Verkappte Polyisocyanate

2.2.5.1Verkappungsmittel und ihre Eigenschaften

2.2.5.2Verkappte Polyisocyanate für lösemittelhaltige Systeme

2.2.5.3Verkappte Polyisocyanate für wässrige Beschichtungsmittel

2.2.5.4Vergleich der verkappten Polyisocyanate mit anderen Vernetzern

2.3Epoxidbindemittel

2.3.1Entwicklung der Epoxidbindemittel

2.3.2Die Epoxidgruppe

2.3.3Herstellung der Epoxide

2.3.4Gruppen der Epoxidverbindungen für Beschichtungsmittel

2.3.5Glycidether von Polyphenolen

2.3.5.1Bausteine

2.3.5.2Herstellung der aromatischen Glycidether – Epoxidharze

2.3.5.3Kennzahlen der Epoxidharze

2.3.5.4Epoxidharze für Zweikomponentenbeschichtungen

2.3.5.5Epoxidharze für lösemittelhaltige Einbrennlacke

2.3.5.6Epoxidharze für wässrige Lacksysteme

2.3.5.7Epoxidharze für Pulverlacke

2.3.5.8Phenoxyharze

2.3.5.9Epoxidharzester

2.3.6Glycidether als reaktive Verdünner

2.3.7Cycloaliphatische Epoxide

2.3.8Epoxidharze mit Polydithioetherformalen

2.3.9Epoxidierte Öle und Fettsäureester

2.3.10Glycidester

2.3.10.1Glycidester von Monocarbonsäuren

2.3.10.2Ungesättigte Glycidester

2.3.10.3Glycidester von Polycarbonsäuren

2.3.11Triglycidylisocyanurat

2.4Polyether

2.4.1Bausteine für Polyether

2.4.2Bildung von Polyethern

2.4.3Polyethylenglykole

2.4.4Polypropylenglykole

2.4.5Polytetrahydrofurane

2.4.6Polyether als Bestandteile anderer Lackrohstoffe

2.5Literatur

3Polymerisationsbindemittel

3.1Allgemeines

3.1.1Definitionen

3.1.2Radikalische Kettenpolymerisation

3.1.3Polymerisationsverfahren

3.1.3.1Substanzpolymerisation

3.1.3.2Suspensionspolymerisation

3.1.3.3Lösungspolymerisation

3.1.3.4Emulsionspolymerisation

3.1.4Bindemittelgruppen

3.2Acrylatharze

3.2.1Definitionen

3.2.2Polyacrylatharze

3.2.2.1Entwicklung der Polyacrylatharze

3.2.2.2Rohstoffe

3.2.2.3Einflussgrößen des Herstellverfahrens

3.2.2.4Physikalisch filmbildende Polyacrylatharze

3.2.2.5Vernetzende Polyacrylatharze für lösemittelhaltige Beschichtungsmittel

3.2.2.6Vernetzende Polyacrylatharze für wässrige Beschichtungsmittel

3.2.2.7Vernetzende Polyacrylatharze für Pulverlacke

3.2.3Reaktionsfähige Acrylatharze

3.2.3.1Vernetzung mit UV-licht

3.2.3.2Rohstoffe

3.2.3.3Applikation

3.2.3.4Eigenschaften und Anwendungen reaktiver Acrylatharze

3.3Polyolefine

3.3.1Polyethylen und seine Modifikationen

3.3.1.1Herstellung und Eigenschaften von Polyethylen

3.3.1.2Anwendung von Polyethylen

3.3.1.3Modifikationen von Polyethylen

3.3.1.4Copolymere von Polyethylen

3.3.2Polypropylen

3.3.3Polyisobutylen

3.3.4Polybutadien und seine Copolymere

3.3.4.1Herstellung von Polybutadien

3.3.4.2Eigenschaften der Polybutadiene

3.3.4.3Copolymere des Butadiens

3.3.4.4Polybutadien-Modifikationen

3.3.5Polyisopren und seine Modifikationen

3.4Polyvinylbindemittel

3.4.1Polyvinylchloride

3.4.1.1Herstellung von Polyvinylchlorid

3.4.1.2Eigenschaften und Verwendung von Polyvinylchlorid

3.4.1.3Nachchloriertes Polyvinylchlorid

3.4.1.4Polyvinylchlorid-Copolymere

3.4.2Andere halogenierte Polyolefine

3.4.2.1Polyvinylidenchlorid

3.4.2.2Polyvinylidenfluorid

3.4.2.3Polytetrafluorethylen

3.4.3Polyvinylester

3.4.3.1Herstellung der Polyvinylester

3.4.3.2Polyvinylester für lösemittelhaltige Beschichtungsmittel

3.4.4Polyvinylalkohole

3.4.5Polyvinylacetale

3.4.5.1Polyvinylformale

3.4.5.2Polyvinylbutyrale

3.4.6Polyvinylether

3.5Polystyrol

3.5.1Herstellung von Polystyrol

3.5.2Eigenschaften von Polystyrol

3.5.3Copolymere des Styrols

3.5.4Styrol-Butadien-Dispersionen

3.6Kohlenwasserstoffharze

3.6.1Cumaron-Inden-Harze

3.6.2Sonstige Kohlenwasserstoffharze

3.7Literatur

Autor

Danksagung

Index

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Synthetische Bindemittel – eine Einführung

Als unsere Vorfahren vor über 30.000 Jahren damit begannen vor allem ihre Jagdtiere an die Wände von Höhlen zu malen, waren sie schon darauf bedacht, diese Kunstwerke zu erhalten. Es wird angenommen, dass die verwendeten Farbkörper (Erdfarben mit Eisenoxiden, Kalk und Holzkohle) mit Tierblut, Eiklar und Pflanzensäften (vielleicht auch schon mit Baumharzen) angepastet und dann aufgetragen wurden. Die Farbkörper wurden von solchen Materialien gebunden und die Kunstwerke haben sich tatsächlich über sehr lange Zeiten erhalten.

Die Vorstellung, dass Farbkörper (Pigmente) für eine beständige Applikation benetzt und gebunden werden müssen, führte in unserem Sprachraum zu der Bezeichnung Bindemittel (engl.: binder) für die verwendeten Substanzen.

In der Antike gab es als Bindemittel vor allem Löschkalk, Bitumen, sogenannte trocknende Öle und Baumharze (Naturharze). Im Mittelalter wurden Beschichtungsmittel auf Basis verschiedener Öllacktechniken (Standöle, Firnisse) entwickelt. Dann richtete sich das Augenmerk nicht nur auf dekorative bzw. künstlerische Effekte und auf die Beständigkeit, sondern auch noch auf den Schutz verschiedener Untergründe (Substrate: Holz, Metall).

In der Neuzeit wurden sogenannte Ölverkochungen mit Bernstein oder mit aus Asien und Afrika importierten Kopalen (recentfossile Baumharze) hergestellt. Der dann aufkommende Begriff Lack leitet sich von dem Sanskrit-Wort ‚laksha‘ für das Zahlwort für ‚hunderttausend‘ ab. Damit war die Vielzahl der Schildläuse gemeint, deren Sekret von den Zweigen, die sie befallen hatten, als Schellack [2] gewonnen wird. Schellack wurde vor allem als Bindemittel für Polituren auf Holz verwendet. Das Wort Lack hat in der deutschen Sprache heute eine verallgemeinernde Bedeutung, nahezu vergleichbar mit dem Begriff Beschichtungsmittel (engl.: coating).

Als mit der beginnenden Industrialisierung die Nachfrage nach Beschichtungsmitteln stieg und natürliche Rohstoffe des Imports – auch wegen kriegerischer Auseinandersetzungen – knapp wurden, begann die Suche nach Ersatzstoffen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde versucht, durch die dann ebenfalls aufstrebende wissenschaftliche und technische Chemie, Substanzen zu finden, die vor allem die Naturharze ersetzen konnten. 1902 wurde das erste sogenannte künstliche Harz[3](Kunstharz) großtechnisch hergestellt.

Bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurden dann alle der heute verfügbaren Rohstoffklassen synthetisiert.

Was ist ein synthetisches Bindemittel?

Der Begriff Kunstharz ist aktuell noch gebräuchlich, weil es sich bei den hier beschriebenen Produkten nicht nur um harzartige Substanzen handelt, wird die Bezeichnung synthetische Bindemittel gewählt.

Wie sind synthetische Bindemittel zu charakterisieren?

Substrate werden mehr oder weniger dick beschichtet. Die Schichten werden als Filme bezeichnet. Das Wort Film wurde am Ende des 19. Jahrhunderts aus dem Englischen übernommen, dort bedeutet es dünne Haut oder Überzug, und ist mit dem Wort ‚Fell‘ verwandt. Filme von Beschichtungsstoffen bestehen immer aus Bindemitteln; sie enthalten ggf. Pigmente und pigmentähnliche Füllstoffe, dazu nichtflüchtige Additive, die meistens nur sehr kleine Mengenanteile ausmachen. Größere additive Zusätze sind z.B. Weichmacher.

Die Bindemittel sind dabei die eigentlichen Träger der Filmbildung. Bei der Synthese von Bindemitteln waren die Naturharze das Vorbild. Harze sind im physikalischen Sinne keine Festkörper, denn sie bestehen aus ungeordneten Molekülen, wie Flüssigkeiten, die praktisch nicht untereinander beweglich sind. Es handelt sich eigentlich um Flüssigkeiten mit sehr hohen Viskositäten oder um erstarrte Schmelzen. Werden organische Substanzen nach der Größe ihrer Moleküle und nach deren Fähigkeit sich zueinander zu ordnen sortiert, dann gehören die Moleküle von Harzen zu dem Bereich mit ziemlich großen Molekülen, die aber untereinander ein nur geringes Assoziationsverhalten zeigen. Daher gehören die Moleküle der synthetischen Bindemittel, zumindest aber die der Filme daraus, zu den Polymeren. Polymere entstehen durch chemische Verknüpfung kleiner Moleküle, der Monomere bzw. der Bausteine, zu größeren Molekülen.

Unabhängig von ihren stofflichen Bestandteilen werden Polymere durch die Größe und Struktur ihrer Moleküle charakterisiert. Weil die Synthese von Polymeren – mit wenigen Ausnahmen – statistischen Regeln folgt (im Unterschied zu vielen Biosynthesen), entstehen Gemische unterschiedlich großer Moleküle – eine molare Größenverteilung. Für die Größe der Polymermoleküle werden daher Mittelwerte angegeben. Die Bildung des Mittelwerts über die Anzahl der unterschiedlich großen Moleküle ergibt das Zahlenmittel der Molmassen (Mn, average number molecular weight). Der Mittelwert bezogen auf die Massen der unterschiedlich großen Polymermoleküle wird als Massenmittel der Molmassen (Mw, average weight molecular weight) bezeichnet. Da die Massen der größeren Moleküle für die Mittelwertberechnung viel größere Anteile beitragen als ihre Anzahl, sind die Massenmittel der Molmassen stets höher als die Zahlenmittel. Der Quotient aus dem Massenmittel und dem Zahlenmittel wird als Dispersität (DM) bezeichnet. Die Dispersität ist ein Maß für die Größe der Uneinheitlichkeit (Molmassenverteilung) der Polymere. Die Formel 0.1 stellt die Zusammenhänge dar.

Formel 0.1: Mittelwerte der Molmassen und Dispersität

Molmassen und Molmassenverteilungen von Polymeren werden mit der Gel-Permeations-Chromatographie [4] (GPC) bestimmt. Dabei passiert eine sehr verdünnte Lösung des Polymeren (meistens in Tetrahydrofuran) eine Chromatographie-Säule, die ein poriges Gel enthält. Die Verweilzeit der gelösten Polymermoleküle in den Poren der Säule ist abhängig von ihrer Größe. Kleine Moleküle retendieren länger in den Poren des Säulenmaterials als große. Gemessen wird die Konzentration der Lösung über die Zeit am Ende der Säule, meistens über den Brechungsindex (RI). Die Elutionszeiten werden häufig mit denen von Polystyrolstandards verglichen. Die Ergebnisse stellen also Äquivalente zu den hydrodynamischen Volumen gelöster Polystyrole mit unterschiedlicher Molmasse und enger Molmassenverteilung dar. Sie können daher von der wahren Größe abweichen, wenn Polymermoleküle anders strukturiert sind und andere Wechselwirkungen als das Polystyrol mit dem Säulenmaterial eingehen.

Wenn Polymere aus Monomeren aufgebaut werden, die zwei reaktionsfähige Gruppen enthalten, entstehen lineare Polymermoleküle. Wenn mindestens ein Teil der Monomere mehr als zwei reaktionsfähige Gruppen enthalten, entstehen verzweigte Polymermoleküle. Wenn wachsende verzweigte Polymerketten mehr als einmal miteinander verknüpfen, entstehen vernetzte Polymermoleküle. Vernetzte Polymere sind nicht mehr löslich oder schmelzbar, d.h. sie können nicht mehr verarbeitet werden.

Des Weiteren wird die Beweglichkeit der Polymermoleküle bestimmt, denn die molekulare Beweglichkeit ist die Ursache für die Eigenschaften Härte und Flexibilität von Filmen der Beschichtungsmittel. Die molekulare Beweglichkeit ist stark abhängig von der Temperatur. Bei niedrigen Temperaturen ist die Beweglichkeit der Polymermoleküle sehr klein, sie setzen einer verformenden Kraft einen großen Widerstand entgegen. Dieser Zustand wird mit dem von anorganischen Gläsern verglichen und als Glaszustand bezeichnet. Bei höheren Temperaturen, die für jedes Polymer unterschiedlich sind, werden Teile der Moleküle durch mechanische Einwirkungen untereinander beweglich. Bei Aufhebung des mechanischen Einflusses kehren die Molekülteile aber in ihre alte Lage zurück. Dieser Temperaturbereich wird als elastischer Zustand bezeichnet. Bei noch höheren Temperaturen ist die Beweglichkeit der Moleküle so groß, dass sie unter mechanischem Einfluss nicht mehr zusammenhalten, d.h. nicht mehr in ihre alte Lage zurückkehren. Das ist der Bereich des plastischen Zustands der Polymere, der in eine Schmelze übergeht. Das beschriebene Verhalten lässt sich mit der dynamisch-mechanischen Thermoanalyse[5] (DMTA) untersuchen. Anhand von Filmstreifen aus den zu charakterisierenden Polymeren, die einer periodischen Dehnung ausgesetzt werden, wird der Widerstand und die Rückstellung der Probe über einen größeren Temperaturbereich gemessen. Gemessen werden die Elastizitätsmoduli [6] in Pascal (Pa), der gleichen Dimension eines Drucks. Der Speichermodul, das ist der elastische Teil des Schubmoduls (Rückstellenergie) ist im Glasbereich ziemlich hoch (z.T. über 106 Pa). Bei einer bestimmten Temperatur sinkt der Wert über mehrere Zehnerpotenzen, die Probe erreicht den elastischen Zustand. Bei noch höheren Temperaturen beginnt das Polymer zu schmelzen und wird ‚normalen‘ Viskositätsmessungen zugänglich. Die Darstellung der Werte des Speichermoduls eines Polymeren über die Temperatur ist in der Abbildung 0.1 dargestellt.

Abbildung 0.1: Werte des Speichermoduls eines Polymeren in Abhängigkeit von der Temperatur

Der Wendepunkt in der Stufe zwischen Glaszustand und elastischem Zustand der Kurve des Speichermoduls in Abhängigkeit von der Temperatur wird als Glasübergangstemperatur definiert. Die Lage der Glasübergangstemperatur eines Polymeren beschreibt dessen Eigenschaften. Hohe Speichermoduli im Glaszustand und hohe Glasübergangstemperaturen bedeuten hohe Härte und Beständigkeit (hohe Diffusionsdichte, geringere Quellbarkeit). Niedrigere Speichermoduli und niedrige Glasübergangstemperaturen bedeuten hohe Flexibilität aber auch leichtere Quellbarkeit.

Die Glasübergangstemperaturen spielen vor allem eine Rolle bei der Einschätzung der Eigenschaften von Monomeren für Polyacrylatharze (siehe Abschnitt 3.2.2.1.1).

Polymere und Lösemittel

Polymere im Glaszustand sind natürlich nicht zu verarbeiten (Lackherstellung, Applikation). Sie müssen daher zunächst in einen verarbeitungsfähigen Zustand überführt werden. Verarbeitungsfähig sind Lösungen und Dispersionen der Polymere. In besonderen Fällen sind es auch Aerosole (Pulverlacke).

Eine Lösung eines Polymers entsteht, wenn die Moleküle eines Polymers mit den Molekülen eines organischen Lösemittels physikalisch interagieren und dabei ihren Molekülverbund mindestens zum Teil aufgeben. Die Lösemittelmoleküle lagern sich an die Polymermoleküle an, fluten den Molekülverbund auf und bilden sogenannte Solvate, die fast wie schwache Komplexbindungen aufgebaut sind. Die Solvate werden von freien Lösemittelanteilen getragen und sind darin beweglich. Eine Lösung wirkt daher wie eine homogene Flüssigkeit. Es gelingt den Lösemitteln aber nicht, Lösungen einzelner Polymermoleküle zu bilden. Es sind – vor allem bei den für die Lackformulierung üblichen Konzentrationen – mehr oder weniger große Knäule mehrerer Polymermoleküle in einer Polymerlösung. Dieser Zustand wird als kolloidale Lösung bezeichnet. Die Abbildung 0.2 zeigt die modellhafte Vorstellung der Struktur der Teilchen solcher Polymerlösungen.

Abbildung 0.2: Modell der Struktur der Teilchen von Polymerlösungen

Die Art des zu verwendenden Lösemittels hängt von dessen Wechselwirkung mit dem Polymeren ab. Schon Paracelsus[7] (* ~1493, † 24. 09. 1541 in Salzburg) formulierte den Satz: „Similia similibus solventur“ (‚Gleiches löst sich im Gleichen‘). Es wurde mehrfach versucht auf die Frage: ‚Was bedeutet gleich?‘ Antworten zu geben. Es wurden sowohl zu den Lösemitteln als auch für die zu lösenden Polymere sogenannte Löslichkeitsparameter definiert. Der Amerikaner Joel Henry Hildebrand[8] (* 16. 11. 1881, † 30. 04. 1983) beschäftigte sich schon 1929 mit der Löslichkeit von Nichtelektrolyten. Es postulierte, dass es einen Zusammenhang geben muss zwischen der Verdampfungsenthalpie und dem Assoziationsverhalten von Molekülen, das auch als Maß für das Löseverhalten gilt. Er definierte den Hildebrand-Löslichkeitsparameter δ als Quadratwurzel aus dem Quotient der Verdampfungsenthalpie (∆Hev) vermindert um das Produkt aus der Gaskonstanten und der Temperatur (R · T) über dem Molvolumen (VM). Daraus entwickelte der Amerikaner Charles Medom Hansen[9] (* 1938) die komplexen Hansen-Löslichkeitsparameter, die aus drei Teilparametern bestehen, die räumliche Koordinaten bilden, dem Parameter dd, der die Dispersionsenergie der Moleküle; dp der die Polarität der Moleküle; und dh der die Energie von Wasserstoffbrückenbindungen darstellt. Gute Lösemittel für ein Polymer sind die, die möglichst ähnliche Koordinaten haben, wie das zu lösende Polymer. Die Zusammenhänge sind in der Formel 0.2 dargestellt.

Formel 0.2: Löslichkeitsparameter nach Hildebrand und Hansen

Die wichtigste Kenngröße von Polymerlösungen ist die Viskosität. Die dynamische Viskosität [10] (η) ist der Quotient aus der Schubspannung (τ) und der Änderung der Schergeschwindigkeit (γ, Schergefälle). Die Schubspannung ist die Kraft (F, mit horizontalem Vektor) pro Fläche (A). Das Schergefälle (γ) ist die differentielle Änderung der Geschwindigkeit (dv) der Scherung über die Schichtdicke (dh). Diese Zusammenhänge sind in der Formel 0.3 dargestellt

Formel 0.3: Definitionen der Viskosität

Gute Lösemittel – im physikalischen Sinne, die so auch als Resultate der Bestimmung der Löslichkeitsparameter definiert sind – sind die, deren Moleküle eine große Wechselwirkung mit den Bindemittelmolekülen eingehen. Die dabei entstehende Lösung besteht aus einer vergleichsweise größeren Anzahl von größeren durch Lösemittelmoleküle aufgefluteten Molekülknäulen (Solvate); die Viskosität ist daher vergleichsweise hoch.

Aus lacktechnischen Aspekten gibt es weitere Anforderungen an Lösemittel für Polymere. Sie haben Einfluss auf die Benetzung von Pigmenten und Substraten und die Verdunstungsgeschwindigkeit der Lösemittel muss zu den Applikationsbedingungen passen um gleichmäßige Filmbildung und optimalen Verlauf zu garantieren. Polymerlösungen bzw. die Lacke daraus enthalten meistens Mischungen verschiedener Lösemittel. Die Anzahl der lacktechnisch gebräuchlichen Lösemittel ist nicht so groß, dass eine gezielte Auswahl ohne eine Berechnung des Löseverhaltens getroffen werden kann. Nur die Einordnung nach der Polarität und der Verdunstungsgeschwindigkeit spielen eine Rolle.

Viele Lösemittel, die in der chemischen Technologie verwendet werden wie Petrolether, Diethylether, Tetrahydrofuran, Methanol, Ethanol, Aceton, Benzol oder Toluol werden nicht für Beschichtungsmittel verwendet. Gebräuchlich sind – geordnet nach fallender Polarität – mittlere bis höhere aliphatische Kohlenwasserstoffe (Lackbenzine), cycloaliphatische Kohlenwasserstoffe (hydrierte Aromaten), mittlere und höhere aromatische Kohlenwasserstoffe (Solventnaphta), Carbonsäureester, Glykoletherester, Glykolether, mittlere bis höhere Alkohole. Weil unpolare Lösemittel die Oberflächenspannung der Lösungen erniedrigen, was sich positiv auf die Benetzung und den Verlauf auswirkt, werden sie bevorzugt. Natürlich müssen dann auch die Bindemittel relativ unpolar sein.

Einige Lösemittel sind kennzeichnungspflichtig. Einige – in der Vergangenheit gebräuchlichen – Lösemittel werden inzwischen nicht mehr verwendet, weil sie gesundheitsschädlich oder umweltschädlich sind: Chlorkohlenwasserstoffe, Terpenkohlenwasserstoffe, Nitroverbindungen, niedrige Ethylenglykolether. Auch Ketone werden schon wegen ihres Geruchs kaum für Beschichtungsmittel verwendet. Einige Lösemittel, die z.T. auch kritisch beurteilt sind, werden in speziellen Fällen verwendet: Kresole, Dimethylformamid, N-Alkylpyrrolidone, Diethylcarbonat.

Formel 0.4: Grenzviskosität und viskositätsbezogene Molmasse

Wasser als Löse- und Dispersionsmittel [13]

Prinzipiell lassen sich alle synthetischen Bindemittel auch in eine wässrige Phase überführen; es bedarf dazu spezieller Modifikationen. Es gibt zwei unterschiedliche Methoden, Polymere in einer wässrigen Phase stabil zu verteilen. Die erste Methode ist die Dotierung von Bindemittelmolekülen mit hydrophilen Gruppen. Es können ionische Gruppen (Anionen und Kationen) und sterisch wirkende Gruppen sein. Die ionisch und sterisch wirkenden Gruppen assoziieren mit Wassermolekülen und tragen damit die Polymermoleküle in der wässrigen Phase.

Die zweite Methode ist die Herstellung wässriger Dispersionen und Emulsionen unter der Verwendung von Tensiden.

Ionische Stabilisierung wässriger Bindemittellösungen

Anionische Trägergruppen sind vor allem Carboxylate, Sulfate, Sulfonate und Phosphate. Die Partner-Kationen sind Alkalimetallionen oder Ionen aus Aminen oder Ammoniak. Kationische Trägergruppen sind Ammoniumverbindungen und deren Partner sind vor allem flüchtige organische Säureanionen. Die ionischen Trägergruppen der wässrigen Polymere sind meistens schwächere Säuren bzw. Basen als ihre Partner-Ionen. Die Äquivalenzpunkte [14] (bei gleichen molaren Anteilen der ionischen Trägergruppen und der Neutralisationsmittel) liegen daher bei anionisch stabilisierten Bindemitteln über dem pH-Wert von 7 und bei kationisch stabilisierten Bindemitteln bei pH-Werten unter 7. Für die Herstellung stabiler wässriger Verteilungen der ionisch stabilisierten Bindemittel ist es oft nicht notwendig, äquivalente Mengen an Neutralisationsmittel zu verwenden, zumal die Trägergruppen nur zum Teil verfügbar sein können.

Der molare Anteil an Neutralisationsmittel bezogen auf die Molzahl der Trägergruppen wird als Neutralisationsgrad bezeichnet. Stabile wässrige Verteilungen können schon bei Neutralisationsgraden von 0,6 bis 0,8 erreicht werden. Die ionisch stabilisierten Bindemittel bilden in Wasser kolloidale Teilchen mit den ionischen Trägergruppen an der Oberfläche der Teilchen. Die Gegenionen sind in der wässrigen Phase frei beweglich. Die Größe der Teilchen und ihre Aufflutung werden von der Art des Neutralisationsmittels und vom Neutralisierungsgrad beeinflusst. Zu einer Verbesserung der Aufflutung der Polymermoleküle in den Teilchen können Anteile organischer Lösemittel verwendet werden, die weitgehend wassermischbar sind. Die werden als Colösemittel bezeichnet. Ansonsten ist die Struktur der kolloidalen Teilchen in wässriger Phase mit denen in organischen Lösungen vergleichbar. Die Abbildung 0.3 vergleicht modellhaft die Struktur einer organischen kolloidalen Lösung mit der Struktur einer anionisch stabilisierten, wässrigen kolloidalen Lösung.

Die Größe der Molmasse der Polymere und die Assoziationsneigung der Moleküle beeinflusst ebenfalls die Größe der kolloidalen Teilchen. Die Viskosität ionisch stabilisierter wässriger Lösungen wird von der Größe der kolloidalen Teilchen, und damit von der Molmasse und der molekularen Assoziation des Polymeren, vom Typ und Anteil (Neutralisationsgrad) des Neutralisationsmittels, vom Typ und Anteil des Colösemittels, von der Teilchenwechselwirkung und natürlich von der Konzentration und der Temperatur beeinflusst.

Abbildung 0.3: Vergleich der Struktur einer organischen kolloidalen Lösung mit der Struktur einer anionisch stabilisierten, wässrigen kolloidalen Lösung

Die Viskosität bei gegebener Konzentration und Temperatur ist umso höher, je größer die Teilchen, ihre Wechselwirkung untereinander und die Aufflutung dieser Teilchen sind. Viele der ionisch stabilisierten wässrigen Bindemittellösungen zeigen beim Verdünnen mit Wasser ein anormales Verhalten. Während die Viskosität organisch kolloidal gelöster Bindemittel mit fallendem Festkörper (nfA) in einer typischen Abklingkurve abfällt, kann die Viskosität wässrig kolloidal gelöster Bindemittel beim Verdünnen mit Wasser zuerst zu einem Maximum ansteigen, um dann bei weiterem Verdünnen steil abzufallen. Diese

Abbildung 0.4: Viskositätsverhalten organischer und wässriger Bindemittellösungen

Anomalie wird als ‚Wasserberg‘ [15] der Viskosität bezeichnet. Auf Basis der hier gemachten Beobachtungen liegt der Grund für dieses Verhaltens darin, dass die kolloidal gelösten Teilchen zunächst weiter aufgeflutet werden, um dann – bei einer bestimmten Konzentration – zu kontrahieren und kleine dichte Teilchen zu bilden, die fast denen von Dispersionen gleichen. Abbildung 0.4 zeigt das unterschiedliche Viskositätsverhalten bei Verdünnen einer organischen kolloidalen Lösung eines Bindemittels und einer wässrigen kolloidalen Lösung.

Der ‚Wasserberg‘ erfordert besonderen Aufwand an Rührenergie bei der Herstellung der wässrigen Lacksysteme und beim Verdünnen. Lage und Ausmaß des ‚Wasserbergs‘ wird durch die Art des Bindemittels, durch den Neutralisationsgrad, die Art und Menge des Colösemittels, durch das Kombinationsbindemittel (Vernetzer) und die Pigmentierung beeinflusst.

Sterische Stabilisierung wässriger Bindemittellösungen

Die sterische Stabilisierung von Bindemitteln besteht vor allem in der Dotierung der Polymere mit Polyethylenglykolketten (Polyether) als Seitenketten oder Endgruppen. Die Polyethylenglykolketten bilden Assoziate mit den Wassermolekülen und sind dadurch Träger für die Bindemittel in der wässrigen Phase. Die Größe der so stabilisierten Teilchen hängt von der Größe der Polyetherketten und deren Mengenanteil ab.

Wässrige Emulsionen und Dispersionen

Die zweite Möglichkeit, Polymere in eine wässrige Phase zu überführen, ist die Bildung von Emulsionen oder Dispersionen. Eine Emulsion entsteht durch die feine Verteilung von flüssigen Bindemitteln in wässriger Phase. Eine Dispersion besteht aus der feinen Verteilung fester Bindemittel – d.h. von Polymeren, die höhere Erweichungstemperaturen als die Umgebungstemperatur haben – in wässriger Phase.

Zur Stabilisierung der Teilchen von Emulsionen und Dispersionen werden Tenside (Emulgatoren) verwendet. Diese Tenside bestehen aus amphiphilen Molekülen, d.h. aus Molekülen, die sowohl einen hydrophilen als auch einen mehr oder weniger oleophilen Teil enthalten. Die Tenside bilden eine Hülle für die Bindemittelteilchen. Der oleophile Molekülteil orientiert sich zu den Polymermolekülen des Teilchens, der hydrophile Molekülteil orientiert sich zur Wasserphase, bildet Assoziate mit den Wassermolekülen, die dann das Polymerteilchen in der Wasserphase tragen.

Die Größe der Dispersionsteilchen wird durch die Menge an Tensid beeinflusst – je größer die Menge ist, desto kleiner sind die Dispersionsteilchen. Der wichtigste Unterschied zwischen wässriger, kolloidaler Lösung und Dispersion bzw. Emulsion besteht darin, dass die Polymerknäule der wässrigen Lösungen aufgeflutet sind, die Tenside der Dispersion aber eine Hülle (Barriere) bilden und das Innere der Teilchen nur Polymermolekülknäule enthält.

Abbildung 0.5: Vergleich der Teilchenstruktur in organisch kolloidaler Lösung, wässrig kolloidaler Lösung und wässrige Dispersion

Als Tenside werden ionische Verbindungen verwendet, wie die Alkali- oder Ammonium-Salze längerkettiger Carbonsäuren, Alkyl(aryl)sulfate, Sulphonate, Phosphate (anionisch), bzw. Ammoniumionen (kationisch). Es gibt auch nichtionische Tenside, die polare Molekülteile enthalten wie Polyalkohole und Polyether, und unpolare Molekülteile wie längere Alkylketten oder auch aromatische Reste. Es gibt auch Kombinationen solcher molekularer Bausteine, z.B. Ammoniumsalze ethoxylierter Alkylsulfate. Die Abbildung 0.5 zeigt modellhaft den Unterschied zwischen organischer, kolloidaler Lösung, wässriger kolloidaler Lösung und wässriger Dispersion. Die Teilchen können durchaus die gleiche Größenordnung haben.

Auch wässrige Dispersionen zeigen ein anderes Viskositätsverhalten als organische kolloidale Lösungen. Die Viskosität von Dispersionen wird nicht von der Molmasse der Bindemittel beeinflusst, sondern von der Anzahl der Teilchen und von deren Wechselwirkungen untereinander. Während bei hohem Festkörper (nfA) die Teilchenwechselwirkungen zu ziemlich hohen Viskositäten führen, fallen die Wechselwirkungen ab einem spezifischen Festkörper deutlich ab. Derartige wässrige Dispersionen besitzen dann ziemlich niedrige Viskositäten. Die Abbildung 0.6 zeigt die Viskositätskurve beim Verdünnen einer wässrigen Dispersion im Vergleich zur Kurve der Verdünnung einer organischen kolloidalen Lösung.

Abbildung 0.6: Vergleich der Viskosität wässriger Bindemittel-Dispersionen mit organisch kolloidal gelöstem Bindemittel beim Verdünnen

Aufgrund dieses Verdünnungsverhaltens werden für wässrige Beschichtungsmittel auf der Basis solcher Bindemittel-Dispersionen bestimmte Rheologiemittel (z.B. Verdicker) als Additive verwendet.

Nichtwässrige Dispersionen

Neben den wässrigen Dispersionen gibt es auch Polymerdispersionen in organischen Lösemitteln. Bevorzugt werden relativ polare Bindemittel (Polyacrylatharze, Polyvinylchlorid), die in unpolaren Lösemitteln (aliphatische Kohlenwasserstoffe) dispergiert sind. Zur Stabilisierung solcher Dispersionen werden geeignete Tenside verwendet. Die polaren Molekülteile der hier verwendeten Tenside assoziieren mit den Polymeren, die unpolaren Molekülteile ordnen sich zur äußeren Phase. Die nichtwässrigen Dispersionen in Lösemitteln werden als Organosole oder im anglo-amerikanischen Sprachbereich als NAD (non aqueous dispersions) bezeichnet. Es gibt auch Polymerdispersionen in Weichmachern, die als Plastisole bezeichnet werden (siehe Abschnitt 3.4.1.2).

Physikalische Filmbildung

Nach der Applikation müssen Löse- oder Dispergiermittel für die Filmbildung entfernt werden. Lösemittel haben die Eigenschaft zu verdunsten. Verdunstung bedeutet, dass Lösemittel weit unter ihrem Siedepunkt aus einer Flüssigkeit verdampfen. Lösemittel und Lösungen enthalten unterschiedlich bewegliche Moleküle, d.h. mit unterschiedlicher kinetischer Energie. Einige energiereiche Moleküle können daher aus der Oberfläche der Flüssigkeit in den Raum darüber diffundieren; sie erzeugen einen Dampfdruck[16]. Wenn der Raum über einer Flüssigkeit eine bestimmte Menge Lösemittelmoleküle enthält, können die auch wieder von der Flüssigkeit aufgenommen werden – es entsteht ein Gleichgewicht. Der Partialdruck der Lösemittelmoleküle wird dann als Sättigungsdampfdruck bezeichnet. Wenn der Raum über einer Flüssigkeitsschicht sehr groß ist (unendliche Größe anstrebend) und wenn die Temperatur der Flüssigkeit – ihr mittlerer Energiegehalt – durch den Kontakt zu einem Substrat aufrechterhalten bleibt, werden in einer Abklingfunktion über die Zeit praktisch alle Lösemittelmoleküle verdampfen, bevor der Sättigungsdampfdruck erreicht wird. Aufgrund der Wechselwirkung zwischen Polymer und Lösemittel können einzelne Lösemittelmoleküle retendieren. Auf diese Weise bilden sich in Filmen aus Lösungen nahezu lösemittelfreie Polymerschichten. Der Vorgang wird als physikalische Trocknung bezeichnet.

Es ist zu beachten, dass in Lösungen – wegen der Wechselwirkung zwischen Polymermolekülen und Lösemittelmolekülen – der Dampfdruck der Lösemittel meistens geringer ist als der des reinen Lösemittels. Dabei verdunsten die – im physikalischen Sinne – guten Lösemittel viel langsamer im Vergleich zu ihrer Verdunstung als reines Lösemittel als die weniger gut mit dem Polymer wechselwirkenden Lösemittel.

Die relativ große Oberfläche von Lackfilmen ist die erste günstige Voraussetzung für eine effektive physikalische Trocknung. Des Weiteren sollte ein ausreichend hohes Umluftvolumen für eine vollständige Verdunstung gewählt werden. Die für die Verdunstung notwendige Energie (Wärme) resultiert meistens vom Substrat und aus der Umgebungstemperatur. Die Verdunstung wird zeitlich forciert durch höhere Temperaturen – d.h. bei Einbrennvorgängen. Aber auch dabei ist für die Einbrennöfen eine ausreichende Umluftmenge für eine optimale Filmbildung notwendig. Für Einbrennlacke werden Lösemittel mit einem niedrigeren Dampfdruck gewählt, denn ein zu schnelles Verdampfen der Lösemittel kann zu Filmstörungen (so genannte Kocher) führen.

Der Zustand der organischen Lösung ist ideal für die Bildung homogener Filme. Denn bei der Verdunstung der Lösemittel bleibt ein Gleichgewicht zwischen freien und Solvat-Lösemittelmolekülen erhalten, die Kolloidteilchen nähern sich dabei und können optimal verschmelzen, bevor das gesamte Lösemittel verdunstet ist.

Besonderheiten des Lösemittels Wasser

Wasser als Löse- bzw. Dispersionsmittel hat ganz besondere Eigenschaften im Vergleich zu gebräuchlichen organischen Lösemitteln. Die Tabelle 0.1 benennt physikalische Eigenschaften von Wasser im Vergleich zu gebräuchlichen organischen Lösemitteln.

Hervorzuheben sind – bezogen auf die niedrige Molmasse des Wassers – die vergleichsweise hohe Siedetemperatur, die hohe Verdunstungszahl, die hohe Verdampfungsenthalpie und die sehr hohe Oberflächenspannung. Diese Eigenschaften resultieren aus dem hohen Assoziationsvermögen der polaren Wassermoleküle. Diese speziellen Eigenschaften des Wassers können bei der Applikation wässriger Beschichtungsmittel zu Filmfehlern führen. Beschichtungsmittel mit hohen Oberflächenspannungen benetzen die meisten Substrate relativ schlecht. Für wässrige Systeme werden daher Netzmittel als Additive verwendet. Allerdings unterstützen einige Bindemittel – z.B. die anionisch stabilisierten Polymere – das Benetzungsverhalten. Es kann bei der physikalischen Trocknung wässriger Systeme vor allem zur Retention von Wasser kommen. Die daraus resultierenden Filmstörungen sind vor allem Kocher, Blasen oder sogenannte Nadelstiche.

Tabelle 0.1: Vergleich physikalischer Eigenschaften von Wasser mit denen gebräuchlicher organischer Lösemittel

Beim Verdampfen des Wassers aus ionisch stabilisierten Bindemitteln wässriger Beschichtungsmittel bilden sich die Ausgangsprodukte der Ionen, die Säuren und Basen zurück. Die Neutralisationsmittel sollen dann verdampfen, bzw. die Filmbildungsbedingungen sind so gewählt, dass sie verdampfen. Es ist dabei zu bedenken, dass Ionen selber nicht flüchtig sind, sondern nur die freien Amine bzw. Säuren. Für das Verdampfen der Neutralisationsmittel spielt daher nicht nur deren Dampfdruck eine Rolle, sondern auch ihre Basenstärke bzw. Säurestärke, die die Stabilität der Ionen beeinflussen. Die verbleibenden Säuren bzw. Basen der Dotierung der Bindemittelmoleküle sind deutlich geringer hydrophil als ihre Ionen. Ionisch stabilisierte Bindemittel haben daher schon nach der physikalischen Trocknung eine relativ gute Wasserbeständigkeit.

Dagegen behalten die sterisch stabilisierten Bindemittel auch nach der physikalischen Trocknung ihre Hydrophilie, was für die Beständigkeit der Filme daraus ein Nachteil sein kann.

Filmbildung wässriger Dispersionen

Weil die molekulare Wechselwirkung zwischen Polymeren in Dispersionen und Wasser geringer ist als zwischen Polymeren und Lösemitteln organischer kolloidaler Lösungen, ist der Dampfdruck, d.h. die Verdunstungsgeschwindigkeit des Dispersionsmittels, ziemlich identisch mit dem des reinen Wassers. Aber, wie vorab beschrieben, hat Wasser einen vergleichsweise geringen Dampfdruck.

Beim Verdunsten des Wassers nähern sich die Polymerteilchen der Dispersionen bis zu einer relativ dichten Kugelpackung. Aufgrund der Kapillarkräfte der Teilchen können diese randlich untereinander verschmelzen. Im Idealfall könnten die Teilchen eine Wabenstruktur aus regelmäßigen Hexagondodekaedern aufbauen und damit einen geschlossenen Film. Das geschieht nur dann, wenn die Applikationstemperaturen für die Filmbildung dieser Dispersionen deutlich höher liegen als die Glasübergangstemperaturen der Polymermoleküle.

Abbildung 0.7: Filmbildung wässriger Dispersionen

Ein weiteres Hemmnis für ein optimales Zusammenfließen von Dispersionsteilchen ist auch die Hülle aus Tensiden, die dabei erst überwunden werden muss.

Diffusionsoffene Filmbildung

Diese Struktur eines nicht geschlossenen Filmes hat aber für bestimmte Anwendungen auch Vorteile. So ermöglichen solche Filme auf mineralischen Untergründen an Bauten (Wand- und Fassadenfarben) einen optimalen Austausch der Feuchtigkeit, der zwischen Mauerwerk und Raumluft oder Außenluft oft sehr unterschiedlich sowie wechselhaft sein kann. Es wird gesagt: „Der Anstrich kann atmen“. So wird verhindert, dass zwischen Substrat und Beschichtungsfilm Feuchtigkeit kondensieren kann, was zu Blasen und Enthaftungen führen würde. Diese Eigenschaft von Wand- und Fassadenfarben wird durch die Pigmentierung unterstützt. Solche Formulierungen enthalten sehr hohe Pigmentanteile, z.T. über der kritischen Pigmentvolumenkonzentration [17], so dass besonders porige Filme entstehen.

Diffusionsdichte Filmbildung

Für andere Anwendungen wird dagegen die Bildung geschlossener, diffusionsdichter Filme aus Dispersionen angestrebt. Es gibt dazu unterschiedliche Methoden, die Bildung geschlossener Filme aus wässrigen Dispersionen zu unterstützen.

So können Dispersionsfarben spezielle Lösemittel enthalten, die nicht unbedingt wasserverträglich sein müssen, die jedoch geeignet sind, bei der Verdunstung des Wassers, die Dispersionsteilchen randlich anzulösen und damit besser zu verschmelzen. Diese Produkte werden als Koaleszenzmittel bezeichnet. Andere Maßnahmen werden bei der Beschreibung der Bindemittel angesprochen (siehe Abschnitte 3.2.2.4.2 und 3.4.3.3)

Im Unterschied zu den Dispersionen fließen die Bindemittel von Emulsionen nach der Verdunstung des Wassers effektiv zusammen und bilden geschlossene Filme. Beständige Filme entstehen daraus aber nur durch Vernetzung.

Organosole und vor allem Plastisole werden vor allem für Einbrennlacke verwendet. Dabei werden dann Dispersionsmittel (Lösemittel und Weichmacher) gewählt, die bei diesen höheren Temperaturen zu echten Lösern werden und die Polymere gelieren, wonach ein homogener Film entsteht.

Chemische Filmbildung

In der Vergangenheit zielte die Entwicklung von Bindemitteln meistens auf die Synthese möglichst hochpolymerer Produkte. Solchen Produkten wurden – nach physikalischer Filmbildung – optimale Beständigkeiten und ein Optimum von Härte und Flexibilität zugesprochen. Relativ spät (1940er Jahre) wurden gezielt Vernetzungsverfahren für Beschichtungsmittel eingeführt (Urethane) bzw. noch später (1950er Jahre) als solche erkannt (Alkydharz/Aminoharz-Kombinationen). Dabei werden die sehr hochmolekularen Polymere (Molmassen ~ > 106 g/mol) erst nach der Applikation erzeugt. Ausgangsmaterialien für diese chemische Filmbildung sind verzweigte Polymere bzw. Verbindungen mit mehr als zwei reaktionsfähigen sogenannten funktionellen Gruppen. Daraus entstehen bei der Filmbildung vernetzte Großmoleküle. Der Vorgang wird daher als Vernetzung bezeichnet. Die chemische Filmbildung aus lösemittelhaltigen Systemen, Dispersionen und Emulsionen ist immer mit einer physikalischen Filmbildung (Trocknung) gekoppelt.

Die konventionelle Vorstellung – die hier vertreten wird – zum Vorgang der Vernetzung ist, dass die Ausgangsmoleküle zunächst zu größeren baumartigen Strukturen wachsen, bis dann zwischen solchen Großmolekülen und auch innerhalb deren Struktur mehrere Verknüpfungen entstehen, die schließlich ein molekulares Netzwerk aufbauen. Dabei scheint eine molekulare Verschlaufung ziemlich unwahrscheinlich.

Für die Vernetzung nach der Applikation werden meistens mindestens zwei Bindemittelkomponenten mit verschiedenen funktionellen Gruppen, die miteinander reagieren können, ausgewählt. Die massenmäßige Überschusskomponente wird meistens als Bindemittel im eigentlichen Sinne bezeichnet, denn die wird mit den Pigmenten, Füllstoffen und den meisten Additiven zusammen gebracht. Die massenmäßig kleinere Komponente, die auch fast immer niedrigere Molmassen hat, wird als Vernetzer bezeichnet. Die Abbildung 0.8 zeigt eine Modellvorstellung zum Vorgang der Vernetzung.

Abbildung 0.8: Modellvorstellung zum Vorgang der Vernetzung

Bei einigen der Kombinationen werden stöchiometrische Mischungsverhältnisse errechnet, vor allem dann, wenn die Vernetzungsreaktionen ziemlich eindeutig sind. Für komplexere Vorgänge werden optimale Mischungsverhältnisse meistens empirisch bestimmt, besonders deshalb, weil dabei die Filmbildungsbedingungen eine Rolle spielen. Es ist allerdings immer damit zu rechnen, dass nicht alle funktionellen Gruppen zur Reaktion kommen.

Einige dieser Kombinationen können bereits bei Raumtemperatur miteinander reagieren. Solche Kombinationen können dann nur getrennt ausgeliefert und werden erst kurz vor der Applikation gemischt. Diese Produkte werden als Zweikomponentenlacke bezeichnet. Nach der Mischung sind sie nur eine begrenzte Zeit applikationsfähig. Diese Zeit wird als ‚Potlife‘ bezeichnet.

Viele der vernetzenden Lacksysteme enthalten Kombinationen, die erst bei höheren Temperaturen oder nach Zugabe von Initiatoren bzw. Katalysatoren untereinander reagieren. Sie können daher fertig gemischt hergestellt, gelagert und ausgeliefert werden. Obwohl solche Produkte meistens mehr als eine Bindemittelkomponente enthalten, werden sie – bezogen auf ihren Lieferzustand – als Einkomponentenlacke bezeichnet.

Es gibt auch Bindemittel, die unter bestimmten Bedingungen mit sich selbst vernetzen und dann wirklich nur aus einer Bindemittelkomponente bestehen.

Die Art der funktionellen Gruppen wird bei den einzelnen Bindemittelgruppen beschrieben. Besonders wichtig sind: Hydroxylgruppen, Methylol- und Methylolethergruppen, Isocyanatgruppen, Epoxidgruppen, Aminogruppen, Doppelbindungen und Carboxylgruppen. Für eine optimale Vernetzung gibt es von den Herstellern vieler Bindemittel Angaben zum Gehalt an funktionellen Gruppen, die meistens massenbezogen sind, z.B. OH-Zahl, Säurezahl, Aminzahl, Epoxidwert.

Der Grad der Vernetzung in einem Film wird über verschiedene indirekte Verfahren bestimmt. Die gebräuchlichste, sehr einfache Methode ist die Bestimmung der Lösemittelbeständigkeit, indem ein mit Methylethylketon getränkter Wattebausch auf der Filmoberfläche hin- und her gerieben wird. Bestimmt wird die Anzahl der Doppelhübe des Reibens bis der Film erste Zerstörungen zeigt. Über 100 Doppelhübe gelten als Maß für eine optimale Vernetzung. Das Verfahren ist natürlich sehr subjektiv und auch die unterschiedliche Quellfähigkeit der vernetzten Filmmatrix beeinflusst das Ergebnis.

Ein anderes Verfahren besteht in der Elution der Filme mit einem Lösemittel, wobei dann der Mengenanteil an noch löslichen Bindemittelbestandteilen als Maß für die Vollständigkeit der Vernetzung gesehen wird – der natürlich möglichst klein sein sollte.

Hier wird die dynamisch-mechanische Thermoanalyse (DMTA, siehe Seite 16) bevorzugt. Die Kurve der Werte des Speichermoduls über der Temperatur eines vernetzten Bindemittelsystems sieht anders aus als die eines nichtvernetzten Polymers (Thermoplast). Die Stufe des Übergangs vom Glaszustand in den elastischen Zustand startet meistens bei der gleichen Temperatur wie beim unvernetzten Polymer, sie ist aber deutlich flacher, das Plateau des elastischen Zustands liegt bei deutlich höheren Werten für den Speichermodul. Die weitere Erhöhung der Temperatur ergibt keinen plastischen Zustand, sondern lediglich eine Zersetzung bei noch höheren Temperaturen. Vernetzte Polymere sind nicht mehr schmelzbar. Der Wendepunkt der Kurve des Speichermoduls über der Temperatur liegt bei der flacheren Stufe natürlich höher als bei der steilen Stufe des Thermoplastens. Der Unterschied der dadurch höher anzusetzenden Glasübergangstemperatur wird üblicherweise als Maß für die Vernetzung definiert. Hier wird aber vor allem die Lage des deutlich höheren Niveaus des Speichermoduls im elastischen Zustand als Maß für den Vernetzungsgrad angesehen. Die Abbildung 0.9 zeigt den Unterschied der Kurve des Speichermoduls über der Temperatur eines vernetzten Polymers im Vergleich zum unvernetzten.

Abbildung 0.9: Speichermodul eines vernetzten Polymers im Vergleich zum unvernetzten

In der Literatur wird die Vernetzung von Dispersionen beschrieben [18], auch über die, die bei Umgebungstemperatur Filme bilden (Bautenlacke). Es ist aber festzustellen, dass extern zugegebene Vernetzer allenfalls nur in die Randzonen der Dispersionspartikel diffundieren und dort reagieren können. Damit werden zwar bereits einige Filmeigenschaften verbessert (Reißdehnung), aber eine homogene Vernetzung der Partikel ist sehr unwahrscheinlich.

Von Bindemitteln beeinflusste Filmeigenschaften

Der Typ des Bindemittels wirkt sich bereits auf das Verhalten bei der Herstellung der Beschichtungsmittel und der Applikation aus. Bestimmte Bindemittel – das sind vor allem die unpolaren Bindemittel – ergeben eine besonders gute Pigmentbenetzung – vor allem bei der Dispersion anorganischer Pigmente. Andere Bindemittel – mit einem tensidartigen Aufbau – benetzen viele organische Pigmente sehr gut. Es gibt Bindemittel, die enthalten gezielt sogenannte pigmentaffine Gruppen. Sie werden dann als spezielle Dispergierbindemittel verwendet.

Unpolare Bindemittel in Lacksystemen bzw. ihre Lösungen haben meistens eine vergleichbar niedrige Oberflächenspannung, was sich positiv auf die Benetzung (Spreitung) und den Verlauf bei der Applikation auswirkt.

Wie vorab beschrieben, beeinflusst auch die Vernetzungsgeschwindigkeit die Qualität des zu bildenden Lackfilms. Zu hohe Reaktionsgeschwindigkeiten – vor allem bei Kondensationsreaktionen – können Einschlüsse (Kocher) ergeben, vor allem aber einen gestörten Verlauf (Apfelsinenschalenstruktur).

Die relativ dünnen Lackfilme sollen die Substrate gegen mechanische Einflüsse schützen. Dazu müssen sie eine optimale Kombination von Härte und Flexibilität haben. Einige Lackfilme müssen auch nach der Applikation gemeinsam mit dem Substrat Verformungen aushalten (Kunststoffe, Bleche aus dem Coil Coating- und Can Coating-Verfahren, elektrische Leiter). Die müssen dann besonders flexibel sein.

Hier wird als Flexibilität eines Lackfilms die Summe aus Plastizität und Elastizität verstanden. Plastizität beinhaltet den Grad der Verformbarkeit eines Polymeren durch einen mechanischen Einfluss, ohne eine Rückstellung der Form, wenn der mechanische Einfluss aufgehoben wird. Elastizität ist die Verformbarkeit eines Polymers durch einen mechanischen Einfluss, wobei dann das Polymere in die ursprüngliche Form zurückkehrt, wenn der mechanische Einfluss aufgehoben wird. Die Flexibilität von Lackfilmen wird durch genormte Biegevorgänge (am konischen Dorn [19]) oder durch Verformung des beschichteten Substrat durch eine eindringende Kugelkalotte (Erichsen-Tiefung [20], Kugelschlag [21]) bestimmt. Gemessen wird der Dorndurchmesser bzw. die Eindringtiefe bis der Lackfilm noch keine Verletzung zeigt.

Plastizität beruht auf der freien Beweglichkeit von Molekülsegmenten in Polymeren, ein Maß dafür ist der Verlustmodul der DMTA. Plastizität generierende Bausteine für Polymere sind vor allem längere aliphatische Ketten und Polyetherketten.

Elastizität resultiert aus dem mechanisch beeinflussbaren Assoziationsverhalten der Molekülsegmente und aus der Vernetzung. Ein Maß dafür ist der Speichermodul der DMTA.

Ein Pendant zur Flexibilität ist die Härte eines Films. Die Härte eines Polymeren beruht auf einem bereits anfänglichen Widerstand der Moleküle gegen einen mechanischen Einfluss. Die Ursache sind vor allem unbewegliche Molekülsegmente sowie auch beständige Assoziate. Härte generierende Bausteine sind vor allem aromatische und heterocyclische Verbindungen. Außerdem kann auch die Vernetzung zur Härte beitragen. Verbindungen die hart sind und einen geringen molekularen Zusammenhalt haben, sind spröde. Das bedeutet, dass sie durch mechanische Einflüsse ihren stofflichen Zusammenhalt verlieren.

Alle Lackfilme enthalten sowohl plastische als auch elastische Anteile der Flexibilität, allerdings in unterschiedlicher Größe der Anteile. Einen wichtigen Beitrag leistet vor allem die Vernetzung: Die Vernetzung bringt sowohl für plastische als auch spröde Verbindungen elastische Anteile ein. Dabei nähern sich die Eigenschaften trotz der verschiedenen Ausgangsmaterialien an. Es ist davon auszugehen, dass reale Polymerfilme nicht ideal vernetzt sein können. Die Abbildung 0.10 stellt modellhaft eine schematische Darstellung der hier beschriebenen Zusammenhänge zur Diskussion.

Es wird verbreitet angenommen, dass auch Filme mit hoher Netzwerkdichte spröde sind. Dafür wurde hier nach einer Begründung gesucht, zumal Systeme bekannt sind, die trotz nachweislich hoher Netzwerkdichte und hohen Anteilen an ‚harten‘ Bausteinen sehr flexibel sind, wie beispielsweise UV-Klarlacke, selbstvernetzende Polyester und Polyesterimide für Drahtlacke. Sicher lassen sich durch einfache mechanische Einflüsse – wie bei der Prüfung der Flexibilität – keine Atombindungen der Polymere zerstören, was eine Sprödigkeit hochvernetzter Filme erklären würde.

Abbildung 0.10: Zusammenhänge der unterschiedlichen Filmeigenschaften

Es muss daher neben der Vernetzungsdichte noch eine weitere Einflussgröße geben, auf die das unterschiedliche Verhalten zurückzuführen ist. Hier wird postuliert, dass die Größe der Ausdehnung der wirklich kovalent gebundenen molekularen Netzwerke entscheidend auf das Flexibilitätsverhalten von Filmen Einfluss nimmt. Größer ausgedehnte molekulare Netzwerke sollten dann bei gleicher Netzwerkdichte deutlich flexibler (elastischer) sein als geringer ausgedehnte, die – bei mechanischer Beeinflussung – an ihren Rändern – wo sie nur noch physikalisch untereinander verbunden sind – leichter auseinanderbrechen könnten. Dazu werden die Werte des Speichermoduls über die Temperatur (DMTA) für vernetzte Filme im elastischen Zustand weniger als Maß für die Netzwerkdichte, sondern als Maß für die Größe der wirklich kovalent gebundenen Netzwerke gesehen. Die oben genannten Beispiele hochvernetzter und trotzdem sehr flexibler Filme zeigen sehr hohe Werte für das Plateau des elastischen Zustands. Wodurch entstehen unterschiedlich große Anteile wirklich kovalent verbundener molekularer Netzwerke? Die meisten Filme mit sehr dichten Netzwerken entstehen aus hochverzweigten, reaktiven Komponenten. Es wird angenommen, dass bei deren Vernetzungsreaktion die Beweglichkeit der wachsenden Moleküle relativ schnell gering wird, bevor größere baumartige Strukturen entstehen können, und dass dann weitere Wachstumsreaktionen zum Erliegen kommen. Wenn aber die ‚Querverbindungen‘ erst sehr langsam zunehmen, wie bei den selbstvernetzenden Polyestern, oder wenn eine effektive Vernetzung auch noch bereits aufgebaute Netzwerkbereiche untereinander verbinden kann, wie bei der UV-Vernetzung, können Filme entstehen, die sowohl eine hohe Netzwerkdichte als auch eine größere Ausdehnung der kovalent verbundenen molekularen Netzwerke enthalten. Solche Filme sind natürlich ideal bezogen auf ihre Flexibilität und Beständigkeit. Meistens muss ein Kompromiss eingegangen werden. Geringer verzweigte Bindemittel bauen bei der Vernetzung erst dann ‚Querverbindungen‘ auf, wenn zunächst schon größere baumartige Strukturen entstanden sind. Die resultierenden kovalent verbundenen molekularen Netzwerke sind dann zwar ausgedehnter aber von geringerer Vernetzungsdichte.

Bisher gibt es keine Möglichkeit, die Ausdehnung wirklich kovalent verknüpfter Moleküle in Filmen direkt zu bestimmen, so dass nur eine indirekte Interpretation möglich ist. Filme unterschiedlichster Flexibilität erweisen sich gegenüber den darauf zielenden, verschiedensten Analysenmethoden (z.B. Lichtstreuung, Schallfortpflanzung, fluoreszierende Endgruppen) als völlig homogen.

Auch die Haftung von Filmen wird von den Eigenschaften der Bindemittel beeinflusst. Haftung ist der Zusammenhalt einer Filmschicht mit der Oberfläche eines Substrats oder einer bereits applizierten Filmschicht (Zwischenhaftung). Die Effektivität der Haftung wird durch Prüfmethoden bestimmt, bei denen versucht wird, die Filmschicht – meistens nach einer bewussten Verletzung des Films – vom Untergrund abzuziehen. Es gibt dabei verschiedene Abschälprüfungen und Abziehprüfungen mit Stempelklebern [22]. Die gebräuchlichste Methode ist der sogenannte Gitterschnitt [23]. Dabei wird eine Filmschicht mit einem Schneidegerät mit sechs parallelen Schneidemessern im Abstand von 1, 2 oder 3 mm (je nach Schichtdicke) kreuz und quer bis auf den Untergrund angeschnitten, so dass ein Feld mit 25 kleinen Quadraten entsteht. Dann wird mit Hilfe eines Klebebands versucht, diese kleinen Filmflächen abzuziehen. Als Maß für die Haftung wird die Anzahl der abgezogenen Quadrate bestimmt.

Erweiterte Haftungsprüfungen sind die, bei denen Lackschichten durch das Aufprallen metallischer oder anderer harter Prüfkörper belastet werden und die Schadensbilder (Abplatzungen) beurteilt werden. Dazu gehören die verschiedenen Steinschlagprüfungen. Es gibt die Multischlagprüfung [24] bei denen viele Prüfkörper (Stahlpartikel, Kugeln, Schotter) mit Pressluft auf die Lackschicht geschossen werden, die Einzelschlagprüfung mit einem geführtem Prüfkörper [25] und die Einzelschlagprüfung mit einem frei fliegendem Prüfkörper [26] (Kugelschuss).

Abbildung 0.11: Einfluss von Filmstrukturen auf die Haftung

Eine der Voraussetzungen für eine gute Haftung ist eine gute Benetzung, die Assoziationseffekte zwischen Beschichtungsmittel und Substrat beinhaltet. Es besteht die Vorstellung, dass auch die Haftung aus molekularen Wechselwirkungen zwischen Polymerfilm und Substrat besteht, wobei es Anteile von Dispersionskräften, polare Wechselwirkungen und individuelle Wechselwirkungen wie die von Wasserstoffbrückenbindungen, Carbonylgruppen und Aminogruppen gibt. Die Größe der Haftung sollte dann von der Anzahl solcher Assoziationsgruppen pro Fläche abhängen. Aber auch die Flexibilität des Polymers steht damit im Zusammenhang, denn eine elastische Reaktion kann zumindest einen Teil einer abscherend wirkenden Kraft kompensieren. Darum haften vernetzte Polymere mit ausgedehnteren kovalent gebundenen molekularen Netzwerke besser als die mit nur geringen Ausdehnungen. Das gilt schon allein deshalb, weil ausgedehntere Netzwerke viel mehr Assoziationsmöglichkeiten mit dem Substrat aber auch untereinander haben können. Noch bessere Haftung wird erreicht, wenn dazu die Netzbögen der vernetzten Polymere sehr beweglich sind. In der Abbildung 0.11 wird versucht, die verschiedenen Bedingungen modellhaft zu veranschaulichen.

Eine besondere Aufgabe für Beschichtungen auf Metallen ist der Korrosionsschutz. Außer den Edelmetallen reagieren alle Metalloberflächen mit dem Sauerstoff der Luft und bilden mit der Zeit eine Oxidschicht. Korrosion entsteht dann, wenn die Oxidschicht weiter wachsen kann. Einige Metalle bilden geschlossene Oxidschichten, die mit dem Kristallgitter der Metalle verbunden sind und zunächst eine weitere Korrosion verhindern. Das ist z.B. bei Zink und Aluminium der Fall, aber nicht bei Eisen und vielen Stählen (nicht bei den sogenannten Edelstählen). Auf Eisen und vielen Stählen schreitet die Korrosion vor allem dann weiter fort, wenn Feuchtigkeit einbezogen ist. Es bilden sich dann in kondensierten Wassertropfen auf der Oberfläche sogenannte Lokalelemente, die letztlich zu einem Fortschreiten der oxidativen Umsetzung des Metalls zu Rost führen. Rost besteht aus einer Mischung von Eisenoxiden und basischen Eisencarbonaten. Diese Korrosion wird verhindert, indem Filmschichten auf der Oberfläche der Metalle, diese vom Einfluss von Luft und Feuchtigkeit abschirmen. Es gibt zwar keine Lackfilme, die gegenüber Luft und Wasserdampf völlig undurchlässig sind, aber es gibt deutliche Unterschiede. Es ist vor allem sehr wichtig, dass eingetretene Feuchtigkeit nicht zwischen Substrat und Lackfilm kondensieren kann, damit ist dann zumindest die Bildung der beschriebenen Lokalelemente unterbunden.

Einen guten Korrosionsschutz erreichen Filme, die eine intensive Wechselwirkung mit der Metalloberfläche haben und vergleichsweise diffusionsdicht sind. Es gibt dazu auch Pigmente die den Korrosionsschutz unterstützen.

Die Effektivität des Korrosionsschutzes von Beschichtungen wird in Klimakammern und über Salzsprühteste [27] bestimmt. Dabei wird der Beschichtungsfilm bewusst durch einen Schnitt verletzt, und es wird nach der Belastung beurteilt wie weit eine Korrosion ausgehend von diesem Schnitt fortgeschritten ist (Breite der Unterrostung).

Eine weitere Maßnahme gegen die Korrosion besteht in der Vorbehandlung von Metalloberflächen [28]. Früher wurden dafür Chromate als Korrosionsschutzpigmente verwendet, die aber aufgrund ihrer Toxizität (Chrom-VI-Verbindungen sind karzinogen) nicht mehr eingesetzt werden. Stähle werden heute meistens mit sauren Zinkphosphaten behandelt, die noch zusätzlich bestimmte Metallkationen enthalten. Die Wirkung der Vorbehandlungen beruht darauf, dass dabei eine geschlossene Schicht von Mischkristallen an der Oberfläche des Stahls entsteht, die darüber hinaus zu den Bindemitteln der ersten Filmschicht vermittelnd wirkt (Haftung).

Für Lackfilme mit vernetzten Polymeren werden verschiedene Beständigkeiten gefordert.

Die Filme sollten gegen Lösemittel und Chemikalien beständig sein, neben Säuren und Laugen gehören dazu auch Reinigungsmittel und Lebensmittelinhaltsstoffe sowie Umwelteinflüsse. So werden Automobillacke auf ihre Beständigkeit gegen Baumharz (als Simulation der Ausscheidungen von Blattschildläusen) und Pankreatin (als Simulation der Beeinträchtigung durch Vogelkot) und gegen Superbenzin, Batteriesäure und Bremsflüssigkeit geprüft. Eine Beeinträchtigung durch die genannten Substanzen beginnt stets mit einer Quellung des Films; erst dann können auch noch chemische Zersetzungen folgen. Daher ist eine der Voraussetzung für die Beständigkeit von Lackfilmen eine hohe Diffusionsdichte. Hohe Diffusionsdichten resultieren aus hohen Glasübergangstemperaturen und hohen Vernetzungsdichten. Weil die Beweglichkeit von Filmmolekülen signifikant von der Temperatur abhängig ist, wird die Beständigkeit auch bei höheren Temperaturen untersucht. Geprüft wird die Chemikalienbeständigkeit z.B. auf einer beschichteten Platte, die jeweils eine Tropfenreihe der Prüfchemikalien enthält in einem Gradientenofen [29] (Temperaturbereich z.B. 40 bis 90 °C). Bestimmt wird dann die maximale Temperatur, bei der die jeweilige Prüfchemikalie noch keine Beeinträchtigung ergeben hat.

Das zweite Feld der geforderten Beständigkeiten enthält die Wärmebeständigkeit, die Lichtbeständigkeit und die Wetterbeständigkeit.

Besondere Wärmebeständigkeit wird für Beschichtungen gefordert, die für Öfen, Heizungen, Motoren, Auspuffanlagen und Elektroartikel (Drahtlacke) verwendet werden. Sie werden durch Vergleich lacktechnischer Eigenschaften vor und nach einer Wärmebelastung geprüft. Dauerwärmebeständigkeiten werden durch Extrapolation der Beständigkeitszeiten bei noch höheren Temperaturen ermittelt. Die Schädigung durch höhere Temperaturen ist verbunden mit dem Einfluss des Luftsauerstoffs. Es sind also letztlich Oxidationsvorgänge. Polymere aus aromatischen und vor allem heterocyclischen Bausteinen sind vergleichsweise wärmebeständiger als die aus aliphatischen und cycloaliphatischen. Es gibt auch Additive für eine bessere Wärmebeständigkeit. Auch die meisten Einbrennlacke werden deshalb auf ihre Wärmebeständigkeit geprüft, weil es bei Einbrennvorgängen zu Ofenstopps kommen kann (Überbrennen). Schadensbilder bei zu geringer Wärmebeständigkeit sind Vergilbung und Versprödung (durch oxidativen Abbau der Filme).

Für hochwertige Beschichtungen werden Beständigkeiten über lange Bewitterungszeiten garantiert (z.B. 10 Jahre für Automobillacke). Es gibt viele verschiedene Ansätze, solche langen Belastungszeiten durch Simulationen zu verkürzen, wofür ganze Serien an Geräten für die Kurzbewitterung [30] verfügbar sind. Weiterhin werden reale Langzeittests immer noch durchgeführt. Das geschieht an Orten, die besondere Wetterbedingungen haben, meistens eine ganzjährig hohe UV-Strahlung und hohe Luftfeuchtigkeit. Bekannte Plätze für Bewitterungstests sind die Küste Floridas, die Wüste von Arizona (USA), Allunga in Nordaustralien, Okinawa (Ryūkyū-Inseln, Japan) und La Bahia (Brasilien).

Meistens sind die komplexen Eigenschaftsanforderungen an Beschichtungssysteme nicht mit einer Schicht zu erreichen. Hochwertige Lacksysteme bestehen daher aus mehreren Schichten. Dabei sind den einzelnen Schichten bestimmte Funktionen zuzuordnen. Die erste Schicht auf einem Substrat ist die Grundierung. Grundierungen haben die Aufgabe, vor Korrosion zu schützen und Haftung der Gesamtschicht auf dem Substrat sicherzustellen. Eine zweite Schicht ist der Füller, der zu ausreichend hohen Schichtdicken beitragen, die Strukturen des Untergrunds abdecken und für eine mechanische Beständigkeit der gesamten Beschichtung Sorge tragen soll. Ein Decklack ergibt die gewünschten Farbeindrücke und soll beständig sein gegen mechanische Einflüsse, gegen Chemikalien und gegen Bewitterung. Basislacke wurden für die Automobillackierung entwickelt, um bestimmte Effekte zu erzeugen (Metalleffekt). Basislacke benötigen Klarlacke als Schutz gegen mechanische Einwirkungen und gegen Chemikalien und Bewitterung. Bei der Automobillackierung werden inzwischen fast alle Farbtöne mit Klarlacken überschichtet. Klarlacke gibt es natürlich auch in anderen Anwendungsfeldern, z.B. bei der Holzlackierung. Weil mehrschichtige Lackierverfahren sehr kostspielig sind, gibt es den Aspekt einzelne Schichten (z.B. den Füller) einzusparen, oder zumindest einzelne Einbrennprozesse bei Industrielacken. Dazu gehört z. B. das sogenannte integrierte Lackierkonzept bei der Automobilserienlackierung [31] bei dem mehrere Schichten nacheinander appliziert werden (sogenanntes Nass-in-Nass-Verfahren) und dann erst gemeinsam eingebrannt werden. Für einige Anwendungen wird sogar nur eine Schicht benötigt, um die geforderten Eigenschaften zu erfüllen. Zu solchen Einschichtlacken gehören z.B. Pulverlacke für Haushaltsgeräte, Metallmöbel und Maschinenteile. Auch Wandfarben sind meist nur einschichtig.