Systemische Schulsozialarbeit - Annette Just - E-Book

Systemische Schulsozialarbeit E-Book

Annette Just

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Beschreibung

Schule und Jugendhilfe rücken zunehmend zusammen, immer mehr Schulen profitieren vom Einsatz von Schulsozialarbeitern und Sozialpädagogen vor Ort. Besonders in der Aufbauphase fehlt es vielerorts noch an stimmigen Konzepten für diese anspruchsvolle Form der Beratung. Die unterschiedlichen Anliegen und Settings – Einzelberatung, Familienberatung, Klassentraining – setzen ein reiches Repertoire an Techniken voraus. Die vielfältigen Aufgaben – Sozialtrainings, Suchtprävention, Konfliktberatung, Mobbinginterventionen, Lebensplanberatung – verlangen differenzierte Methoden. Der Umgang mit den sehr verschiedenen "Klienten" – Schülern, Lehrern, Eltern, Schulleitung – gelingt nur auf der Grundlage einer reflektierten Professionalität. Annette Just zeigt die Vorzüge systemischer Konzepte für die Schulsozialarbeit auf und erklärt sie anhand von konkreten Beispielen aus dem Schulalltag. Als erfahrene Praktikerin beschreibt sie detailliert Beratungsprozesse zu unterschiedlichen thematischen Anliegen und vermittelt dabei systemische Beratungsmethoden und Fragetechniken. Hinweise zur Evaluation sichern die eigene Arbeit ab und geben Ideen zur Frage "Was tue ich, wenn …".

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Seitenzahl: 302

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Systemische Soziale Arbeit

»Sozialarbeiterische Minimalethik: Steigere Alternativität!«

Peter Fuchs

Soziale Arbeit, als Einheit von Sozialarbeit und Sozialpädagogik, kann inzwischen als etablierte Profession und als aufstrebende Disziplin der Sozialwissenschaften gelten. Hinsichtlich der Profession lässt sich die Soziale Arbeit als systemische Praxis beschreiben und erklären sowie mit den vielfältigen Handlungsoptionen systemischer Methodik anreichern. In der Wissenschaft der Sozialen Arbeit sind Systemtheorie und Konstruktivismus als Paradigmen anerkannt.

Systemische und systemtheoretische Konzepte entsprechen den komplexen Aufgabenfeldern und Herausforderungen der Sozialen Arbeit in besonderer Weise. Sie erlauben es, einen Blick zu schulen und zu vertiefen, den die Soziale Arbeit seit jeher einzunehmen versucht: einzelne Menschen bei der Bewältigung ihrer alltäglichen Lebensführung nicht mit ihren Problemen zu verwechseln. Vielmehr geht es Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern in ihrer Unterstützungsarbeit darum, die sozialen Verhältnisse, die systemischen Kontexte einzublenden, die die Verhaltensweisen von Menschen, ihre Eigenschaften und Probleme herausfordern, verfestigen und auch lösen können. Die klassische These, dass der Mensch ein soziales Wesen ist, lässt sich mit der Systemtheorie nicht nur postulieren, sondern wissenschaftlich darstellen und methodisch so nutzen, dass überraschende Potenziale des Denkens und Handelns kreiert werden können.

Die Reihe Systemische Soziale Arbeit verfolgt das Ziel, die Potenziale und Grenzen der systemischen Sozialarbeitspraxis und Sozialarbeitstheorie auszuloten und weiterzuentwickeln. Dabei sollen das gesamte Spektrum der Sozialen Arbeit, ihre Vielschichtigkeit, ihre zahlreichen Arbeitsfelder und Rahmenbedingungen ausgeleuchtet und methodisch fundiert werden. Damit bieten die Bücher der Reihe praktizierenden Sozialarbeiterinnen und Sozialpädagogen sowie Studierenden und Lehrenden Perspektiven an, die den Möglichkeitsraum des Denkens und Handelns nachhaltig erweitern.

Heiko Kleve

Herausgeber der Reihe Systemische Soziale Arbeit

Annette Just

Systemische Schulsozialarbeit

Zweite Auflage, 2021

Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:

Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)

Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)

Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)

Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)

Dr. Barbara Heitger (Wien)

Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)

Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)

Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)

Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)

Dr. Roswita Königswieser (Wien)

Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)

Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)

Tom Levold (Köln)

Dr. Kurt Ludewig (Münster)

Dr. Burkhard Peter (München)

Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)

Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)

Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)

Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)

Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)

Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)

Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)

Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)

Jakob R. Schneider (München)

Prof. Dr. Jochen Schweitzer (Heidelberg)

Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)

Dr. Therese Steiner (Embrach)

Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin (Heidelberg)

Karsten Trebesch (Berlin)

Bernhard Trenkle (Rottweil)

Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)

Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)

Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)

Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)

Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)

Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)

Themenreihe »Systemische Soziale Arbeit«

hrsg. v. Heiko Kleve

Reihengestaltung: Uwe Göbel

Umschlagfoto: pixabay

Satz: Drißner-Design u. DTP, Meßstetten

Printed in Germany

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Zweite Auflage, 2021

ISBN 978-3-8497-0175-8 (Printausgabe)

ISBN 978-3-8497-8070-8 (ePUB)

© 2017, 2021 Carl-Auer-Systeme Verlag

und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg

Alle Rechte vorbehalten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Carl-Auer Verlag GmbH

Vangerowstraße 14 • 69115 Heidelberg

Tel. + 49 6221 6438-0 • Fax + 49 6221 6438-22

[email protected]

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Zum Aufbau des Buches

Teil I: Systemisches Denken in der Schulsozialarbeit

1Ausgangslage und Leitgedanken

1.1Schule

1.2Soziale Arbeit

1.3Schulsozialarbeit

Was Schulsozialarbeit ist und was sie kann

Fragen stellen, um Dinge zu klären

Wozu eine »neue« Sichtweise einnehmen?

Der etwas andere Blick auf Schule

2Nun das Ganze auf Systemisch

2.1Wie funktioniert ein System? Weiß das nicht jeder?

Handlungsperspektive 1 für die Schulsozialarbeit: Haltung des Wissens

2.2Was heißt denn hier »Autopoiese«?

Handlungsperspektive 2 für die Schulsozialarbeit: Respektvolle Neutralität

2.3System/Umwelt – gängige Begriffe?

Handlungsperspektive 3 für die Schulsozialarbeit: Kooperatives Nichtwissen

2.4Komplexität – und auch noch Differenz?

Handlungsperspektive 4 für die Schulsozialarbeit: Ressourcen- und Lösungsorientierung

2.5Beobachtung, Kommunikation – und auch noch Sinn?

Handlungsperspektive 5 für die Schulsozialarbeit: Kommunikation und Sprache

Zusammenfassung

3Bedeutung für die Schulsozialarbeit

3.1Den Platz im »System Schule« finden

3.2»Was tue ich, wenn …?«

3.3Eine systemische Haltung entwickeln

3.4Konfliktfelder als Einladung betrachten

3.5Umliegende Kontexte erfassen oder (er)finden

3.6Kooperatives Arbeiten beschreiben und reflektieren

3.7Vielfalt reduzieren, um Klarheit zu gewinnen

3.8Widersprüche erkennen

3.9Hürden als Chancen nutzen

Teil II: Systemisch handeln in der Schulsozialarbeit

4Einstieg in die systemische Beratung

4.1Was wir bisher geschafft haben

4.2Aller Anfang ist nicht schwer (Linda wird geärgert)

4.3Wenn andere etwas tun sollen (Stress in Klasse 7)

4.4Freiwilligkeit oder Zwangskontext (Jan und Mark)

4.5Wie zirkulär darf es sein? – Systemische Fragen und Techniken

Zirkuläre Fragen

Hypothetische Fragen

Skalierungsfragen

Lösungsorientierte Fragen

Sonstige Fragen

5Systemische Konzepte und Interventionen

5.1Grundlagen systemischer Beratung an Modellen

5.2Die Beispiele Max und Otto

Beispiel Max

Beispiel Otto

5.3Ressourcen (dynamisches Modell)

Der Blick auf die Beispiele nach dem dynamischen Ansatz

5.4Kommunikation (humanistisches Modell)

Der Blick auf die Beispiele nach dem humanistischen Ansatz

5.5Weitere Entwicklung

5.6Grenzen (strukturelles Modell)

Der Blick auf die Beispiele nach dem strukturellen Ansatz

5.7Hypothese, Zirkularität, Neutralität (strategisches Modell)

Der Blick auf die Beispiele nach dem strategischen Ansatz

5.8Weitere Entwicklung (konstruktivistische Ansätze)

5.9Kooperation (lösungsfokussiertes Modell)

Der Blick auf die Beispiele nach dem lösungsfokussierten Ansatz

5.10Erzählen, fantasieren, externalisieren (narratives Modell)

Der Blick auf die Beispiele nach dem narrativen Ansatz

5.11Fazit

Teil III: Beispiele aus der Praxis

6Der Schulsozialarbeiter als systemischer Berater

6.1Ein ganz normaler Tag?

Antworten von Schulsozialarbeitern und Schulsozialarbeiterinnen

6.2Systemische Beratung für Eltern – Leistungsproblem in der Grundschule (Schulsozialarbeiterin Edith K., 49 Jahre, berichtet)

6.3Systemische Familienberatung – Aggressives Verhalten eines Zwölfjährigen? (Schulsozialarbeiterin Helene H., 45 Jahre, berichtet)

6.4Systemische Einzel- und Familienberatung – Jugendliche nach der Trennung (nochmals: Schulsozialarbeiterin Helene H., 45 Jahre, berichtet)

Teil IV: Wirksamkeit und Fortschritt

7Systemische Evaluation

8Resümee

9Ausbildung für eine systemische Schulsozialarbeit

Literatur

Über die Autorin

Vorwort

Schulsozialarbeit findet nicht im luftleeren Raum statt. Ganz im Gegenteil, kaum eine andere Disziplin der Sozialen Arbeit ist in ein derart komplexes organisatorisches, institutionelles und systemisches Umfeld eingebunden. In diesem Sinne ist Schulsozialarbeit zu einem nicht unerheblichen Teil vor allem Schnittstellenarbeit zwischen Schülern und ihren Familien, Schulen und ihren komplexen staatlichen und juristischen Arrangements, Trägerorganisationen mit spezifischen Interessen und Jugendämtern. Schulsozialarbeiter vor Ort werden dadurch mit unterschiedlichen, teils gegensätzlichen Interessen, Motivationslagen und professionellen Aufträgen konfrontiert, deren Bearbeitung nicht nur fachwissenschaftliches Arbeiten, sondern in zunehmendem Maße auch systemische Basiskompetenzen voraussetzt. Schulsozialarbeit, verstanden als Arbeit mit komplexen Systemen und Netzwerken, befindet sich in einem andauernden Spannungsfeld von Unterschiedlichkeiten, die es zu differenzieren gilt. Das setzt zwingend eine systemische Haltung voraus, die durch Wertschätzung, Allparteilichkeit und ein vertieftes Verständnis der Motivationslagen der unterschiedlichen am »System Schule« beteiligten Akteure gekennzeichnet ist.

Diese Zusammenhänge erfordern von der Profession, aber auch von den Professionellen der Schulsozialarbeit ein erhebliches Maß an Kreativität, einen hohen Toleranzbereich sowie eine maximale Duldungskompetenz – insbesondere dann, wenn gutgemeinte Interventionen an Systemgrenzen umliegender Systeme zu scheitern drohen. Schulsozialarbeit ist in diesem Sinne einerseits eine unmögliche Profession, andererseits aber auch eine Ermöglichungsprofession, solange sie die Perspektive der netzwerkorientierten, auf Kooperation zielenden Arbeit nicht außer Acht lässt.

Im neoliberal geprägten wohlfahrtsstaatlichen Arrangement der gegenwärtigen Zeit wird Schulsozialarbeit vor allem dann als sinnstiftende Profession erlebt, wenn aufgrund zunehmender Komplexität der Problemlagen an Schulen bei gleichzeitig ökonomischer Mangelausstattung die eher pädagogisch-didaktisch ausgerichtete Expertise der Lehrkräfte an ihre Grenzen zu kommen droht. Alle am »System Schule« Beteiligten stehen unter – auch ökonomisch bedingtem – Handlungs- und Vollzugsdruck. Dazu tragen Kinder mit z. T. extremen Verhaltens- und Lernschwierigkeiten bei, Eltern in sozioökonomisch prekären Lebenssituationen, eine Marginalisierung durch Ausgrenzung wie auch rechtspopulistisches und rechtsextremes Gedankengut. Hinzu kommen in der Folge der Ratifizierung der Behindertenrechtskonvention genormte inklusive Bestrebungen: »Systemsprenger« sollen nun im gemeinsamen Unterricht integrativ beschult werden, die Zahl der Förderschulen sinkt. Mittelknappheit macht auch vor dem Handlungsfeld Schule nicht Halt und verschärft die Situation noch. Insofern stellt das Arbeitsfeld Schule an Sozialarbeiter hohe Herausforderungen:

•Sie sollen sich eine möglichst unparteiliche Haltung bewahren – was durch das doppelte Mandat Sozialer Arbeit erschwert wird.

•Sie brauchen Netzwerkkompetenz – was durch eine überkomplexe Diffusion von Interessen und Verantwortlichkeiten erschwert wird.

•Sie sollen eine systemische Haltung einnehmen – was durch den individualpädagogischen (Lehrer-)Blick auf den einzelnen Schüler erschwert wird.

Die eigentliche systemische Kunst besteht darin, nicht den kritischen Blick zu verlieren, sich nicht einer der involvierten Institutionen anzudienen und zugleich einen Kontext zu schaffen, in dem Lernen gelingen kann. In diesem Sinne ist auch Lernen ein systemisches Phänomen: Lernen von Schülern, Lernen von Lehrern, Lernen von Eltern und Sorgeberechtigten und allen weiteren komplementären Institutionen. Schulsozialarbeit ist dabei eben vor allem eines: eine unmögliche Ermöglichungsprofession. Sie ist nicht vorrangig dann gelungen, wenn sich der einzelne Schüler bildungs- und systemkonform verhält, sondern wenn Veränderungen auf allen Systemebenen unvermeidlich sind.

Annette Just gelingt es mit diesem Band, Leuchttürme zu errichten, Orientierungspunkte für gegenseitige Lernprozesse zu setzen und mit den Impulsen der Schulsozialarbeit koevolutionäre Lernprozesse anzustoßen. Nur so kann erfolgreiche Schulsozialarbeit gelingen.

Prof. Dr. Ingo Zimmermann

Olsberg, Februar 2017

Einleitung

Systemisches Denken in der Schulsozialarbeit ist für alle Beteiligten in der Schule nutzbringend und zugleich ein innovativer Ansatz für Schule selbst, wenn sie die Beziehungs- und Kommunikationsebenen konstruktiv beleben und fördern sowie Sinn herleiten möchte.

In der sozialen Arbeit findet die Zeit nach dem Studium und der fortgeschrittenen Praxis statt in unterschiedlichen Dienstleistungsbereichen wie Pflege- und Erziehungsdienst, Senioren- und Behindertenarbeit (betrifft Menschen mit Beeinträchtigung), in Altenpflege, Erwachsenenbildung, Verwaltung, in psychiatrischen Einrichtungen ebenso wie im Gesundheitswesen, in sozialen Diensten der Justiz und der Kommunen und – in der jüngeren Zeit – in der Schule als Schulsozialarbeit. Lüssi (2008, S. 75) sagt: »Der Sozialarbeiter kann optimale Sozialarbeit nur leisten, wenn er systemisch denkt und handelt.« Wenn von »Beratung« gesprochen wird, wovon in der sozialen Arbeit zum großen Teil auszugehen ist, ist auch die Frage danach zu stellen, was genau darunter verstanden wird. Im Kontext der Schulsozialarbeit findet sich der Leitgedanke »Beratung für Schüler, Lehrer und Eltern«. Nach welchem Konzept geht die Schulsozialarbeiterin vor, wenn sie »Klienten« in der Schule berät? Woran ist Qualität wie zu erkennen, und wie bindet sie theoretische Grundlagen, Kompetenzen und Kontextwissen in ihr spezifisches Arbeitsfeld ein? Wonach richtet sich die Reflexion ihrer Arbeit, und woran erkennt sie, ob sie gute Arbeit leistet? Und schließlich darf die Frage gestellt werden, nach welchen Gesichtspunkten die Schulsozialarbeit als »Kooperation Jugendhilfe und Schule« nicht nur unterschiedliche Aufgaben- und Konfliktfelder bedient, sondern ihre Position im »System Schule« benennt und spezifiziert. Wie ist ihr Auftrag formuliert, und wer sind ihre Auftraggeber?

Das Anliegen des Buches besteht darin, auf Fragen nach Theorien, Konzepten und Qualität, nach Auftrag, Klarheit und Beziehung, nach Kommunikation, Kooperation und Lösungsfindung näher einzugehen und sie an der systemischen Beratung in der schulsozialpädagogischen Praxis zu erklären.

Das Beispiel einer 15-jährigen Schülerin vermittelt insofern einen ersten Eindruck, als Lisa mit 13 Jahren die Schule verlässt, zwei Jahre durch Orte und Städte tingelt und regelmäßig mit ihrem Hund in die kommunale Einrichtung eines Mädchenkrisenhauses geht. Schlimmer hätte es nicht werden können, sagt sie, als Erinnerungen an Familie und Schulzeit das zum Teil selbstgefährdende Verhalten des Mädchens bestimmen und unerträgliche Ereignisse Anlass dafür waren, aus alldem auszusteigen. Wie andere Mädchen in der Einrichtung gehört auch Lisa zu den Schulverweigerinnen. Die Aufgabe der sozialpädagogischen Fachkräfte besteht darin, die Mädchen zu begleiten und zu beraten. Die Arbeit soll man niedrigschwellig ansetzen, um Vertrauen zu gewinnen. In der Beratung soll Lisa darin bestärkt werden, sich wegen ihres Drogenkonsums für eine unterstützende Maßnahme zu entscheiden. Sie soll dabei unterstützt werden, wieder auf einen gesunden Weg zu gelangen. Kontakte gibt es genug, nur Lisa soll auch »wollen«. Nach einem Gespräch mit einer Freundin findet sie von sich aus nach zwei Jahren den Weg zurück zur Schule. Nach anfänglicher Eingewöhnung sucht Lisa die Schulsozialarbeiterin auf, denn nicht immer schafft sie es, regelmäßig zur Schule zu gehen.

Will man einem »Fall« wie Lisa angemessen begegnen, ist Professionalität eine unbedingte Voraussetzung. Was bedeutet das?

Schulsozialarbeit ist heute eine politisch gewollte Erweiterung der Jugendhilfe. Schülerinnen wie Lisa sollen frühzeitig die Möglichkeit haben, sich beraten und begleiten zu lassen. In den Sozial- und Erziehungswissenschaften gewinnt die systemische Beratung zunehmend an Bedeutung, und systemische Beratungskonzepte werden in der Sozialen Arbeit vielerorts praktiziert. Es sind aber auch Unterscheidungen zu treffen.

Der Begriff »systemisch« wird häufig unreflektiert angewandt, und die Frage, was genau damit gemeint ist, wird oft mit der Erklärung, dass man ganzheitlich und in Systemen denke, für ausreichend beantwortet gehalten. Jedoch geht es eher um die Frage: »Wie gucke ich, und wie handele ich?«

Was ist denn eigentlich systemisch, und was ist ein Systemiker? Die Antwort auf die Frage an eine Schulsozialarbeiterin, wie sie ihren Beratungsansatz bezeichnen würde, lautete: »Ich bin Systemikerin.« Damit schien alles gesagt zu sein. Die Anschlussfrage, was genau sie damit meine, lautete: »Ich arbeite mit Systemen.« Wie man sich das vorstellen könne? »Ich berate, mache Mädchentrainings und unterstütze Theatergruppen mit der Klassenlehrerin.«

Solche oder ähnliche Aussagen lassen das Verständnis des Begriffs verschwimmen. Sie führen dazu, als systemisch alles zu bezeichnen, was individuell als Beratung oder Begleitung verstanden wird. Schnell lassen sie den Verdacht aufkommen, dass die Schulsozialarbeiterin selbst keine genauen Vorstellungen davon hat, was sie tut, wenn sie berät. Allein deshalb ist es wichtig, wesentliche theoretische Aspekte anzusprechen, die ein Verstehen in der Praxis erleichtern.

Es soll gezeigt werden, dass eine systemische Schulsozialarbeit mit einer wissenschaftlichen Theorie, einer klaren Haltung und einem fundierten Denk- und Beratungsansatz zu einem spezifischen Profil für die Schulsozialarbeit beiträgt. Für die Schulsozialarbeit soll der Anspruch erhoben werden, ihr Handeln theoretisch, konzeptionell und methodisch zu untermauern. Dies gilt sowohl in der Beratungsarbeit für Einzelne, Familien und Gruppen als auch für unterschiedliche Trainings wie Förderung von sozialem Lernen, Krisenintervention oder Unterstützung einer konstruktiven Streit- und Kommunikationskultur. Jedoch sollte die systemische Schulsozialarbeit sich nicht allein auf ein methodisches Können beschränken, sondern an der Entwicklung der Profession teilnehmen und bei der Formulierung ihrer Ziele mitwirken. Das mag als Herausforderung gelten, und gerade dazu möchte das Buch einen Beitrag leisten.

Zum Aufbau des Buches

Zunächst geht es in Teil I um einen jeweils eigenständigen wie auch gemeinsamen Kontext von Schule und Schulsozialarbeit, in dem beide Systeme mitgedacht werden. Zusammenhänge erklären sich, wenn wir sie metaperspektivisch betrachten. Es geht darum, einen Überblick über die vorhandenen Strukturen und einen Eindruck von systemischem Denken in komplexen Systemen zu gewinnen. Wozu soll es eigentlich systemisch sein? … Neben Methoden und Konzepten gehört die systemische Grundhaltung zur elementaren Ausrüstung gelingender Beratung. Sie wird mit systemtheoretischen Ansätzen untermauert, die für den praktischen Bereich relevant erscheinen. Es ist jedoch nicht von einem »fertigen Produkt« in Form einer Anleitung auszugehen, vielmehr wird es Anregungen für die Praxis und viele Fallbeispiele geben. Ebenso werden gängige systemische Begriffe erklärt und Handlungsperspektiven für ein Fundament systemischer Schulsozialarbeit zusammengeführt. Die eigene Haltung und Orientierung wird zur wichtigen Ressource. Damit gestaltet sich der Übergang zu Teil II, der sich mit der Eingebundenheit des Schulsozialarbeiters in Systemen beschäftigt. Der metaperspektivische Blick auf sich selbst ermöglicht ein anderes Sehen, führt zu Entwicklung in den eigenen Reihen. Die systemische Haltung zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch, taucht immer wieder auf, verfestigt sich und macht auch vor Interventionen nicht halt. Es wird um ausgewählte Beratungs- und Fragetechniken gehen, der Einsatz von Methoden wird an Fallbeispielen dargestellt. Sie führen zum methodischen Handeln, das an unterschiedlichen systemischen Modellen erprobt wird; auch auf den Ursprung dieser Modelle wird kurz eingegangen. Idealerweise wird der schulsozialpädagogische Kontext mit Geschichten von Max und Otto verbunden. Schließlich werden in Teil III die gewonnenen Erkenntnisse zusammengeführt und die Umsetzung einer systemisch-lösungsorientierten Beratung im schulsozialpädagogischen Alltag beschrieben. An Beispielen, die von Konfliktsituationen in der Schule, in Familien, unter Peers oder in Klassen bis hin zu gesundheitsgefährdendem Verhalten Einzelner reichen, werden systemische Methoden dargestellt und erläutert. Zuletzt geht es in Teil IV um beratende Funktionen in Form von Prozessverläufen und darum, Schulsozialarbeit intern wie extern an Ergebnissen zu präsentieren. Dazu werden Auswertungen bezüglich Beratungssituationen in quantitativer und qualitativer Form kurz erläutert.

Somit ist das Buch eine Einladung für Schulsozialarbeiter, die auf der Suche nach einer theoriegestützten Beratungsmethode sind, wie auch allgemein eine Einladung für alle Berater und Therapeuten, die mit Kindern, Jugendlichen und Familien arbeiten.

Aufgrund häufiger Nachfragen noch ein Wort zum Unterschied zwischen systemischer Beratung und Therapie: In der gängigen Literatur wird der Übergang als fließend beschrieben und jeweils die systemische Haltung in den Vordergrund gestellt. Beiden geht es um Gemeinsamkeiten im Rahmen von Veränderung, Erschließung neuer Perspektiven und darum, Lösungen mit dem Systemerleben zu verknüpfen. Beide arbeiten nach dem systemischen Ansatz und benutzen dieselben Methoden. Sie werden austauschbar verwandt, solange sie sich auf eine grundlegende Methode beziehen. Insofern geht es auch nicht um eine Therapie in der Schulsozialarbeit, sondern um das methodische Vorgehen in der Beratung.1

1Wenn in diesem Buch von »wir« die Rede ist, soll das Gemeinsame hervorgehoben werden, das Schulsozialarbeiter in ihrer Arbeit verbindet, denn viele unterschiedliche Erfahrungen aus der Praxis konnten hier dankenswerterweise einfließen. Wenn die maskuline Form überwiegend benutzt wird, hat dies nur mit der technischen Vereinfachung der Schreibweise zu tun.

Teil I: Systemisches Denken in der Schulsozialarbeit

1Ausgangslage und Leitgedanken

Eine Ausgangslage zu beschreiben bringt die Frage mit sich, wovon denn ausgegangen werden soll und welche Grundkenntnisse vorhanden sein sollten, wenn es wie hier darum geht, Schulsozialarbeit als eine am Anfang ihrer Entwicklung stehende Profession darzustellen. Das ist gar nicht so einfach. Aber gerade das macht es andererseits auch spannend: spannend für eine systemische Schulsozialarbeit, einen bisher weniger bedachten Gedanken in ihren Entwicklungsprozess einzubringen.

Sprechen wir zunächst vom zusammengesetzten Begriff »systemische Schulsozialarbeit«. Dazu verweilen wir kurz bei dem Wortpaar »Schule« und »Sozialarbeit«; es bezeichnet zwei eigenständige staatliche Systeme, die an einer Schnittstelle gemeinsam handeln sollen. Für unterschiedliche Denkstrukturen und Hierarchien, Berufsgruppen und Ansätze, die in Wechselwirkungen zueinander stehen, gelten für gelingende Kooperationen elementare Grundvoraussetzungen: Beziehung und Kommunikation. Auch wenn diese Begriffe allgemein bekannt sind, gehören sie auf besondere Weise in das systemische Vokabular.

1.1Schule