Tale of Magic: Die Legende der Magie 2 – Eine dunkle Verschwörung - Chris Colfer - E-Book
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Tale of Magic: Die Legende der Magie 2 – Eine dunkle Verschwörung E-Book

Chris Colfer

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Beschreibung

Das Böse gegen die gute Fee! Brystal hat als gute Fee die Welt gerettet. Doch neues Unheil deutet sich an, als eine mysteriöse Hexe an der Akademie auftaucht. Brystal gerät in den Mittelpunkt eines finsteren Komplotts, und ein jahrhundertealter Clan erstarkt zu Macht. Sein Ziel lautet, sämtliche Magie im Land für immer auszulöschen – und zuallererst haben ihre Widersacher es auf die gute Fee abgesehen …. Genau wie Chris Colfers Serie »Land of Stories. Das magische Land« standen auch die beiden Bände von »Tale of Magic. Die Legende der Magie« wochenlang auf der New York-Times Bestsellerliste. Colfers neue magische Serie besticht als Feuerwerk der Phantasie und mit einer mutigen Heldin, die sich gegen Ungerechtigkeit wehrt. Alle Bände der Serie »Tale of Magic. Die Legende der Magie«: Eine geheime Akademie (Band 1) Eine dunkle Verschwörung (Band 2) Presse zu Band 1: »Ein durch und durch erfüllendes Abenteuer, auch für Colfer-Neulinge.« Publisher's Weekly »Eingebettet in Magie und Märchen bietet Colfer den Lesern viele Denkanstöße über Identität und Akzeptanz. Mitreißend!« Booklist

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Seitenzahl: 375

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Chris Colfer

Tale of Magic: Die Legende der Magie 2 – Eine dunkle Verschwörung

Aus dem Amerikanischen von Naemi Schuhmacher

Mit Illustrationen von Brandon Dorman

FISCHER E-Books

Inhalt

[Widmung][Karte]Prolog Die Rückkehr der GerechtenKapitel 1 DammbruchKapitel 2 FreudeKapitel 3 Eine gerechte BekanntmachungKapitel 4 Ein verhextes AngebotKapitel 5 Herzenswärme in der KälteKapitel 6 Die Ravencrest-Schule für HexenkunstKapitel 7 Boshafte kleine KreaturKapitel 8 Verwünschungen und HexsprücheKapitel 9 Tränke und FlücheKapitel 10 Zum Tee mit dem PrinzenKapitel 11 Die AufnahmezeremonieKapitel 12 Das TreffenKapitel 13 Der Morgen danachKapitel 14 Die KapitulationKapitel 15 Die SchattenbestieKapitel 16 Die gerechte OffenbarungKapitel 17 Bekannte GesichterKapitel 18 Ein Pakt mit dem TodKapitel 19 Die Kraft des GeistesDankEine Leseprobe zuKapitel 1 Vorbeiziehende Gedanken

Allen Fachleuten, Fürsprechern und Vordenkern für mentale Gesundheit.

Danke, dass Ihr Euer Licht in die Welt tragt.

Und für die Menschen in systemrelevanten Berufen, die kürzlich das Wort »Heldentum« neu definiert haben.

PrologDie Rückkehr der Gerechten

Seinen Anfang nahm es im Dunkel der Nacht, als alle Welt schlief. Kaum war das Licht der Straßenlaternen im Südlichen Königreich erloschen, traten überall im Land Hunderte Männer – um genau zu sein 333 – exakt gleichzeitig aus ihren Häusern.

Dieser seltsame Vorgang war weder einstudiert noch geplant worden. Die Männer hatten sich untereinander nicht abgesprochen; sie kannten einander nicht einmal. Sie hatten verschiedene Vorgeschichten, kamen aus unterschiedlichen Dörfern und Familien – doch eines vereinte sie im Geheimen: das gemeinsame Streben nach einem finsteren Ziel. Und heute, nach langer Zeit der Stille, rief dieses Ziel sie erneut in Aktion.

Jeder der Männer trug einen makellosen silbernen Umhang, der im Mondlicht sanft schimmerte. Über dem Gesicht trugen sie dazu passende silberne Masken, die nur Schlitze für die Augen freiließen, und auf ihrer Brust prangte das Abbild eines Wolfskopfs – weiß und zähnefletschend. Sie wirkten nicht nur dank ihrer unheilverkündenden Kluft eher geisterhaft als menschlich: Es waren Jahrhunderte vergangen, seit die Bruderschaft der Gerechten zuletzt in Erscheinung getreten war.

Doch jetzt marschierten die Männer in die Dunkelheit, alle demselben Ziel entgegen. Ihre Reise bestritten sie zu Fuß, und ihre Schritte setzten sie so behutsam, dass sie nicht das leiseste Geräusch verursachten. Als sie ihre Städte und Dörfer weit hinter sich gelassen hatten und sicher sein konnten, dass niemand ihnen gefolgt war, entzündeten sie Fackeln, um ihren Weg zu beleuchten. Aber ihr Ziel lag weit abseits aller ausgetretenen Pfade und war auf keiner überlieferten Karte zu finden.

Auf ihrer Wanderschaft durch unbekanntes Terrain erklommen die Männer der Bruderschaft grasbewachsene Hügel, sie stapften über schlammige Felder und wateten durch seichte Bäche. Nie zuvor war einer von ihnen an ihrem Bestimmungsort gewesen oder hatte ihn mit eigenen Augen gesehen, aber die Wegbeschreibung war ihnen derart in Fleisch und Blut übergegangen, dass jeder Baum und jeder Fels, den sie passierten, so vertraut erschien wie eine Erinnerung.

Manche Männer mussten größere Entfernungen zurücklegen als andere, manche kamen schneller voran und manche langsamer, aber zwei Stunden nach Mitternacht erreichten die ersten der 333 ihr Ziel. Der Anblick, der sich ihnen bot, entsprach exakt ihren Vorstellungen.

Am südlichsten Punkt des Südlichen Königreichs, am Fuße eines schartigen Gebirges an der Küste zum Südmeer, lagen die uralten Ruinen einer längst vergessenen Festung. Aus der Ferne wirkte die Festung wie das Gerippe eines gigantischen Ungetüms, das an Land gespült worden war. Die steinernen Mauern waren zerklüftet und von gewaltigen Rissen durchzogen. Fünf zerbröckelnde Türme reckten sich in den Himmel wie die Finger der Hand eines Skeletts, und die scharfkantigen Felsen über der Zugbrücke wirkten wie Zähne im Mund eines Riesen. Seit sechshundert Jahren hatte keine Menschenseele die Burg betreten – selbst die Möwen, die in der nächtlichen Brise ihre Runden drehten, mieden sie. Der Bruderschaft jedoch war diese gespenstische Festung heilig. Sie war die Geburtsstätte ihres Clans, ein Tempel ihres Glaubens, und sie hatte den Brüdern als Hauptquartier gedient, als sie dem Königreich ihre Gerechte Philosophie auferlegt hatten.

Es war eine Zeit gekommen, in der die Bruderschaft ihre Gerechte Philosophie so tief verankert hatte, dass eine solche Operationsbasis nicht mehr vonnöten war. Die Brüder hatten ihre geliebte Festung aufgegeben, ihre Kluften abgelegt und waren aus dem Blickfeld verschwunden. Im Lauf der Zeit wurde ihre Existenz zum Gerücht, das Gerücht zu einer Legende, und die Legende geriet fast vollständig in Vergessenheit. Jahrhundertelang hielt sich Generation um Generation der Bruderschaft im Hintergrund und beobachtete still, wie ihre Vorväter das Südliche Königreich umgestaltet hatten – und damit auch den Rest der Welt.

Aber die Welt befand sich im Wandel. Und die Zeit der Stille war vorbei.

Früher an diesem Tag waren etliche silberne Flaggen mit dem Abbild eines weißen Wolfs in allen Städten und Dörfern des Südlichen Königreichs drapiert worden. Die Flaggen waren unauffällig, und die meisten Bürger hatten ihnen kaum Beachtung geschenkt, aber für diese 333 Männer bargen sie eine unmissverständliche Botschaft: Es ist an der Zeit, dass die Bruderschaft der Gerechten zurückkehrt. Und so holten die Männer spät in der Nacht, als ihre Frauen und Kinder schliefen, die Kluften aus den Verstecken, warfen sich ihre Umhänge über und setzen die Masken auf, um eilig die Wanderung zur Festung im Süden anzutreten.

Die ersten Ankömmlinge bezogen Posten auf der Zugbrücke und bewachten den Eingang. Die anderen Brüder, die nach und nach eintrafen, reihten sich hintereinander auf und rezitierten einer nach dem anderen eine alte Parole:

»Der Drei-Dreiunddreißig Macht ist unstreitig.«

Daraufhin wurde ihnen der Eintritt gewährt, und die Brüder versammelten sich in einem ausgedehnten Innenhof im Herzen der Festung. Schweigend nahmen die Männer ihre Plätze ein und warteten auf die Ankunft ihrer übrigen Mitbrüder. Neugierig beäugten sie einander – keiner von ihnen hatte je ein anderes Mitglied der Bruderschaft zu Gesicht bekommen. Die Männer fragten sich, ob sie eines der Augenpaare hinter den Masken um sie her kannten, aber sie wagten es nicht zu fragen. Die oberste Regel der Bruderschaft lautete, niemals die eigene Identität preiszugeben, insbesondere nicht gegenüber einem Mitbruder. In ihren Augen war der Schlüssel zu einer erfolgreichen Geheimgesellschaft die Geheimhaltung selbst.

Fünf Stunden nach Mitternacht waren schließlich alle 333 Männer anwesend. Als Symbol für die offizielle Rückkehr der Bruderschaft wurde auf dem höchsten Turm eine silberne Flagge mit dem Abbild eines weißen Wolfs gehisst. Kaum wehte die Flagge über der Festung, gab sich der Oberste Anführer der Bruderschaft zu erkennen, indem er sich eine Krone aus scharfen Metallzacken auf den Kopf setzte. Die Männer verneigten sich vor ihm, als dieser auf ein steinernes Podest stieg, wo alle 332 Augenpaare ihn sehen konnten.

»Willkommen, Brüder«, sprach der Oberste Anführer und breitete die Arme aus. »Welch ein prächtiger Anblick, euch alle hier versammelt zu sehen. Eine solche Zusammenkunft hat es seit über sechshundert Jahren nicht gegeben, und unsere Vorväter wären stolz, wenn sie wüssten, dass die Bruderschaft die Zeiten überdauert hat. Grundsätze und Pflichten der Bruderschaft wurden in den 333 besten Familien des Südlichen Königreichs seit Generationen vom Vater an den ältesten Sohn weitergegeben. Und am Sterbebett des Vaters schwor ein jeder von uns einen Eid, unsere gesamte Existenz – im Diesseits wie in einem möglichen Jenseits – der Verteidigung und der Erhaltung der Gerechten Philosophie zu verschreiben.«

Der Oberste Anführer machte eine Geste in Richtung der Menge, und voll Inbrunst sprachen die Brüder im Chor den Leitsatz der Gerechten Philosophie:

»Der Menschheit gebührt die Herrschaft, und den Männern die Herrschaft über die Menschheit.«

»So ist es«, bekräftigte ihr Anführer. »Unsere Philosophie ist keine bloße Meinung, sie ist die natürliche Ordnung der Dinge. Der Mensch ist die stärkste und weiseste aller Spezies, die je den Erdball bevölkerten. Es ist unsere Bestimmung zu herrschen, und unsere Herrschaft sichert das Überleben aller. Ohne Männer wie uns würde die Zivilisation untergehen und die Welt in den chaotischen und primitiven Zustand früherer Zeiten zurückfallen.

Seit Jahrtausenden hat diese Bruderschaft den Kampf gegen die dunklen und unnatürlichen Kräfte bestritten, welche die natürliche Ordnung bedrohen, und unsere Vorfahren haben unermüdlich dafür gearbeitet, die rechtmäßige Vorherrschaft der Menschheit zu sichern. Sie haben die Gesellschaften der Trolle, Kobolde, Elben, Zwerge und Oger zerrüttet und so einen Angriff der sprechenden Kreaturen gegen die Menschen verhindert. Sie haben den Frauen den Zugang zu Bildung und beruflichen Möglichkeiten verwehrt, um das schwache Geschlecht von der Macht fernzuhalten. Und, was am wichtigsten ist, unsere Vorfahren waren die Ersten, die den Krieg gegen die gotteslästerliche Magie wagten und die niederträchtigen Verfechter derselben in die Bedeutungslosigkeit geschickt haben.«

Die Brüder hoben die Fackeln hoch über ihre Köpfe und bejubelten die heldenhaften Taten ihrer Ahnen.

»Vor sechs Jahrhunderten gelang der Bruderschaft endlich ihre bislang größte Meisterleistung«, fuhr der Oberste Anführer fort. »Unsere Vorfahren ersannen einen ausgeklügelten Plan und setzten König Champion I. auf den Thron des Südlichen Königreichs. Dann umgaben sie den jungen König mit einem Rat aus Obersten Richtern, die unter Kontrolle der Bruderschaft standen. Und schon bald wurde die Gerechte Philosophie zur Grundlage des mächtigsten Königreichs der Welt. Die sprechenden Kreaturen wurden verbannt und ihrer Rechte beraubt, den Frauen wurde von Gesetzes wegen das Lesen von Büchern untersagt, Magie wurde zum Verbrechen erklärt und mit dem Tode bestraft. Für sechshundert großartige Jahre herrschten die Menschen unangefochten. Nun, da die Gerechte Philosophie fest verankert war, konnte sich die Bruderschaft langsam aus dem Scheinwerferlicht zurückziehen und ihre wohlverdiente Ruhe genießen.

Doch nichts währt ewig. Die Bruderschaft hat sich heute erneut versammelt, weil uns eine neue, bis dahin unvorstellbare Gefahr droht. Und diese Gefahr müssen wir umgehend vernichten.«

Der Oberste Anführer schnipste mit den Fingern, und zwei Mitbrüder eilten aus dem Innenhof. Zurück kamen sie mit einem großen Gemälde, das sie neben ihrem Anführer auf das steinerne Podest stellten. Darauf zu sehen war das Porträt einer schönen, jungen Frau mit leuchtend blauen Augen und hellbraunem Haar. Sie trug ein glitzerndes Gewand, und weiße Blumen waren in ihren langen Zopf geflochten. Obwohl ihr freundliches Lächeln selbst das kälteste Herz zu erwärmen vermochte, machte sich beim Anblick des Gemäldes Unruhe unter den Brüdern breit.

»Aber das ist doch nur ein Mädchen«, rief ein Mann aus den hinteren Reihen. »Was soll daran bedrohlich sein?«

»Das ist nicht irgendein Mädchen«, erwiderte ein Mann weiter vorne. »Das ist sie – oder nicht? Die Leute nennen sie die Gute Fee!«

»Lasst euch nicht täuschen, meine Brüder, diese junge Frau ist gefährlich«, warnte der Anführer. »Verborgen hinter den Blumen und dem netten Grinsen liegt die größte Gefahr, mit der die Bruderschaft je konfrontiert war. Während wir hier sprechen, zerstört dieses Mädchen – dieses Monster – all das, was unsere Vorfahren erarbeitet haben!«

Die Menge im Innenhof verfiel in nervöses Gemurmel, und ein weiterer Mann fühlte sich ermuntert, vorzutreten und sein Wort an die aufgeregten Mitbrüder zu richten.

»Ich habe eine Menge über diese Gute Fee herausfinden können«, verkündete er. »Ihr richtiger Name ist Brystal Evergreen, und sie ist eine Verbrecherin aus Chariot Hills! Letztes Jahr wurde sie wegen Frauenbildung und Ausübung von Magie festgenommen! Für ihre Verbrechen hätte sie zum Tode verurteilt werden müssen, aber ihr Vater, Richter Evergreen, hat seine Verbindungen genutzt, um ihr Urteil zu mildern. Sie wurde zu Schwerarbeit in der Heil- und Besserungsanstalt für geplagte junge Frauen verurteilt. Doch nach wenigen Wochen dort entkam Brystal Evergreen! Sie floh in den südöstlichen Dazwischenwald und schloss sich einem teuflischen Feenzirkel an. Seitdem lebt sie dort mit anderen Gottlosen und übt ihre sündige Magie.«

»Inzwischen hatte sie wohl mehr als genug Übung«, antwortete der Anführer zustimmend. »Erst kürzlich verhexte Brystal Evergreen König Champion XIV., damit er die Gesetze des Südlichen Königreichs ändert! Der Dazwischenwald wurde unter den sprechenden Kreaturen und den Feen aufgeteilt, um ihnen sichere Heimstätten zu schaffen! Frauen erhielten das Recht, zu lesen und sich zu bilden! Doch am schlimmsten ist, Brystal Evergreen hat durchgesetzt, dass Magie auf der ganzen Welt erlaubt wird!

Praktisch über Nacht wurde jede Spur der Gerechten Philosophie aus der Verfassung des Südlichen Königreichs getilgt!

Aber hier endet Brystal Evergreens Gewaltherrschaft nicht, meine Brüder. Inzwischen hat sie eine abscheuliche Schule für Magie eröffnet und alle Mitglieder der magischen Gemeinschaft eingeladen, sich dort niederzulassen und ihre unnatürlichen Fähigkeiten zu entwickeln. Wenn sie nicht unterrichtet, reist Brystal Evergreen mit einer bunten Schar von Unholden, bekannt als Rat der Feen durch die Königreiche. Sie haben die Aufmerksamkeit und die Achtung der Menschen gewonnen, indem sie behaupten, sie würden jenen in Not ›Hilfe‹ und ›Heilung‹ bringen, aber unsere Bruderschaft lässt sich nicht täuschen. Das Ziel der magischen Gemeinschaft bleibt heute dasselbe wie damals vor sechshundert Jahren: Mit ihrer Zauberei wollen sie aller Welt den Verstand vernebeln und die menschliche Rasse versklaven!«

Die Brüder brüllten so laut, dass die alte Festung erbebte.

»Oberster Anführer, ich fürchte, wir kommen zu spät«, rief ein Mann in der Menge. »Seit der Rat der Feen in Erscheinung getreten ist, hat die Öffentlichkeit die Magie lieb gewonnen. Ich habe gehört, wie die Menschen darüber sprechen, welche erstaunlichen Vorteile die Anerkennung der Magie hatte. Offenbar gibt es, dank der neuen Zaubertränke und Elixiere, die in den Apotheken verkauft werden, kaum noch Krankheiten und Gebrechen. Die Landwirtschaft gedeiht prächtig, weil Zauber die Ernte vor Frost und Schädlingen bewahren. Sie sagen sogar, dass die blühende Wirtschaft mit der zunehmenden Beliebtheit von verzauberten Gegenständen zu tun hat. Jeder Mann will eine selbstfahrende Kutsche, jede Frau einen selbstfegenden Besen und jedes Kind eine selbstschwingende Schaukel.«

»Auch die anderen Gesetzesänderungen werden positiv aufgenommen«, meinte ein anderer Mann. »Tatsächlich mögen die meisten Menschen im Südlichen Königreichs die neue Verfassung. Sie finden, die Aufhebung des Leseverbots für Frauen habe die Diskussionskultur an unseren Schulen gefördert, und Schüler beiderlei Geschlechts ermutigt, über den Tellerrand hinauszublicken. Auch die neuen Reiche im Dazwischenwald hätten die sprachbegabten Kreaturen zivilisiert und den Handel zwischen den Königreichen sicherer gemacht. Alles in allem glauben die Menschen, dass die Legalisierung von Magie ein neues Zeitalter des Wohlstands eingeläutet hat, und sie fragen sich, warum es erst jetzt dazu gekommen ist.«

»Ihr Wohlstand ist reine Fassade!«, rief der Oberste Anführer. »Eine Hortensie mag schön sein, ihr Duft betörend, aber sie ist und bleibt giftig! Wenn wir die Gerechte Philosophie nicht wiederherstellen, wird unsere Welt von innen heraus verfaulen! Zu viel Gerede lässt uns schwach werden, zu viel Gleichheit tötet den Unternehmergeist und zu viel Magie wird uns faul und dumm machen. Die magische Gemeinschaft wird die Herrschaft übernehmen, die natürliche Ordnung wird verfallen, und die Folge heißt Hölle auf Erden!«

»Aber wie sollen wir das bewerkstelligen?«, wollte ein Bruder wissen. »König Champion steht unter Brystal Evergreens Einfluss – und wir brauchen den König, um Gesetze zu erlassen.«

»Nicht unbedingt«, erwiderte der Anführer mit spöttischem Unterton. »Wir brauchen einen König, nicht den König.«

Neue Falten unter seiner Maske verrieten den Clansleuten, dass ihr Anführer lächelte.

»Nun also zu den guten Nachrichten«, sagte der Oberste Anführer. »König Champion XIV. ist achtundachtzig Jahre alt, und es wird nicht mehr lange dauern, bis ein neuer König auf dem Thron des Südlichen Königreichs sitzt. Und wie es das Schicksal will, fühlt sich der neue König unseren Zielen sehr verbunden. Er respektiert die natürliche Ordnung, er glaubt an die Gerechte Philosophie, und er lässt sich nicht von der falschen Barmherzigkeit der Feen hinters Licht führen. Der nächste König hat unter einer Bedingung eingewilligt, König Champions Verfassungsänderungen rückgängig zu machen: Er verlangt, dass wir ihn zum neuen Anführer unserer Bruderschaft ernennen und ihm, dem Gerechten König, dienen.«

Die Brüder konnten ihre Begeisterung nicht verbergen. Bis zum heutigen Tag hätten sie sich keine Welt vorstellen können, in der das Oberhaupt der Bruderschaft zugleich der König des Südlichen Königreichs war. Wenn sie mit Bedacht vorgingen, könnten sie auf diese Weise die Gerechte Philosophie auf Generationen im Staat verankern.

»Aber was ist mit der magischen Gemeinschaft?«, fragte ein Bruder. »Die Feen sind mächtiger und beliebter als je zuvor. Bestimmt würden sie gegen den neuen König aufbegehren oder ihn wie den alten König verhexen.«

»Dann müssen wir sie ausschalten, bevor der neue König den Thron besteigt«, erklärte der Oberste Anführer.

»Aber wie?«, fragte der Bruder.

»So, wie es der Bruderschaft vor sechshundert Jahren fast gelungen wäre, die magische Gemeinschaft vollständig zu vernichten. Und glaubt mir, meine Brüder, unsere Vorfahren trugen schärfere Waffen als bloße Philosophie.«

Er stieg von dem steinernen Podest und hob es an wie den Deckel einer riesigen Truhe. Zur großen Überraschung der Bruderschaft kam darunter ein gewaltiges Arsenal an Kanonen, Schwertern, Armbrüsten und Speeren zum Vorschein. Genügend, um eine Armee von tausend Mann auszurüsten. Doch es waren keine gewöhnlichen Waffen. Sie bestanden nicht aus Eisen oder Stahl, sondern Kanonenkugeln, Klingen und Pfeilspitzen waren aus einem roten Stein gefertigt, der glühte und flackerte, als sei ein Feuer darin eingeschlossen. Das purpurne Licht flutete den grauen Hof und zog die Brüder in seinen Bann.

»Es ist die Zeit gekommen, da die Bruderschaft der Gerechten aus dem Schatten tritt!«, verkündete der Anführer. »Wir müssen den Eid ehren, den wir unseren Vätern geschworen haben, und zuschlagen, ehe unser Feind sich auf den Angriff vorbereiten kann. Gemeinsam mit unserem neuen Gerechten König werden wir die natürliche Ordnung erhalten, die Gerechte Philosophie wiederherstellen und die magische Gemeinschaft ein für alle Mal ausrotten!«

Der Oberste Anführer griff sich eine geladene Armbrust aus dem Arsenal und gab drei Schuss auf das Porträt von Brystal Evergreen ab – einer traf ihren Kopf, zwei das Herz.

»Und wie bei jeder Schädlingsplage ist der erste Schritt, die Königin zu töten.«

Kapitel 1Dammbruch

Neben einer erfolgreichen Holzindustrie – und einer Handvoll Skandale rund um das Königshaus – war das Westliche Königreich insbesondere für den weithin berühmten Westdamm in der Hauptstadt Longworth bekannt. Der Damm, das Wahrzeichen der Stadt, war über dreihundert Meter hoch und aus mehr als fünf Millionen Steinblöcken erbaut worden, und er schützte Longworth vor einer Überflutung durch den Großen Westsee.

Der Damm war zweihundert Jahre alt, und seine Errichtung hatte siebzig Jahre gedauert. Als der Bau im Sommer 452 endlich abgeschlossen war, wurde ein Nationalfeiertag eingerichtet, um diese großartige Errungenschaft zu würdigen. Der bei der Bevölkerung allseits beliebte Dammtag war ein Höhepunkt im Jahreslauf. Die Erwachsenen mussten nicht zur Arbeit, die Kinder hatten schulfrei, und alle versammelten sich, um zu spielen, zu essen und ihr Glas auf den über der Hauptstadt thronenden Damm zu erheben.

Leider befürchtete man, dass der diesjährige Dammtag buchstäblich ins Wasser fiel. Nach einer Reihe unerwarteter Erdbeben hatte sich der Boden unter dem Westdamm gesenkt, was einen langen Riss im Bauwerk verursacht hatte. Durch den schmalen Spalt sprühte Wasser und hüllte Longworth in einen beständigen Nieselregen. Und es wurde nicht besser – der Riss brach immer weiter auf, und mit jedem Tag wurde die Stadt schlimmer durchnässt.

Es war eine sofortige Reparatur nötig, aber König Kriegsmund, der sparsame Herrscher des Westlichen Königreichs, zögerte, den Auftrag zu erteilen. Das Unterfangen wäre nicht nur kostspielig und zeitaufwendig, es war auch mit erheblichen Gefahren verbunden, und die gesamte Hauptstadt hätte während der Bauarbeiten geräumt werden müssen. Der König verbrachte viele schlaflose Nächte, rieb sich den kahlen Kopf, zwirbelte den buschigen Schnurrbart, und überlegte, ob sich nicht eine einfachere Lösung finden ließe.

Zum Glück für ihn (und seine sehr, sehr nassen Bürger) standen inzwischen neue Hilfsmittel zur Verfügung, und auf sie zurückzugreifen würde ihn nicht mehr kosten als ein wenig von seinem Stolz. Zunächst wies der König die Idee von sich, aber als er zusehen musste, wie der endlose Nieselregen die Straßen von Longworth allmählich in kleine Bäche verwandelte, wurde ihm klar, dass er keine Wahl hatte. Und so verlangte König Kriegsmund nach seinem edelsten Pergament und seiner schönsten Feder und schrieb einen Brief, in dem er um die eine Sache bat, nach der zu fragen ihm am schwersten fiel – Hilfe:

Verehrte Gute Fee,

 

im letzten Jahr verdienten Sie sich die tiefe Dankbarkeit der ganzen Welt für ihre mutigen Taten im Nördlichen Königreich. Weder ich noch meine Untertanen können Ihnen je vergelten, dass Sie die Schneekönigin in die Flucht geschlagen und die Welt vor dem Großen Schneesturm von 651 gerettet haben. Seitdem zeigten sich die Menschen von Ihrem Großmut fasziniert und inspiriert. Die Barmherzigkeit und Wohltätigkeit des Rats der Feen beim Bau von Waisenhäusern und Heimen, der Speisung der Armen und Heilung der Kranken hat unsere Herzen berührt.

Heute schreibe ich Ihnen in der Hoffnung, dass Sie diese Barmherzigkeit auch für das Westliche Königreich aufbringen können. Kürzlich erlitt der Westdamm in Longworth einen Schaden, der sofort behoben werden muss. Eine herkömmliche Reparatur würde mehrere Jahre in Anspruch nehmen und Tausende Bürger aus ihren Häusern vertreiben. Wenn Sie jedoch willens wären, uns Ihre Magie zu leihen, bliebe meinem Volk dieses Kümmernis erspart. Wenn Ihnen eine solch freundliche Geste möglich ist, wäre den Feen die ewige Dankbarkeit des Westlichen Königreichs sicher, und Sie würden die Feierlichkeiten am diesjährigen Dammtag retten.

Es ist kein Geheimnis, dass das Westliche Königreich, ebenso wie unsere Nachbarländer, ein schwieriges Verhältnis zur magischen Gemeinschaft hatte. Wir können die Unterdrückung und die Ungerechtigkeiten der Vergangenheit nicht ungeschehen machen, aber durch Ihre Freundlichkeit könnten wir den Beginn einer neuen und besseren Beziehung zwischen dem Westlichen Königreich und der magischen Gemeinschaft feiern.

Ich bete, dass Sie uns vergeben mögen und uns in der Stunde unserer Not helfen.

 

Untertänigst

 

Seine Exzellenz

König Kriegsmund, Herrscher des Westlichen Königreichs

Sich so in den Staub zu werfen hatte den König erschöpft. Sorgfältig faltete er den Brief, versah ihn mit seinem Siegel und übergab ihn seinem schnellsten Boten.

Am nächsten Morgen erreichte der Bote die Grenze zum Reich der Feen, aber er konnte einfach keinen Eingang entdecken. Eine gewaltige Hecke stand ihm im Weg und schirmte das Gebiet ab wie eine Wand aus Blättern. Die Hecke war zu hoch, um darüber zu klettern, und zu dicht, um darunter hindurchzukriechen, also wanderte der Bote an der Hecke entlang, bis er endlich einen Eingang fand.

Überrascht stellte er fest, dass hier bereits jede Menge Boten Schlange standen, und, gemessen an ihrer eleganten Aufmachung, brachten sie alle Nachrichten von bedeutenden Familien. Noch überraschender war allerdings der Wächter der Pforte: ein furchteinflößender Ritter auf einem riesigen dreiköpfigen Pferd. Der Ritter war doppelt so groß wie ein normaler Mann, und auf seinem Helm wuchs ein gewaltiges Geweih. Er brauchte kein Wort zu sagen, um eines klarzustellen – an ihm kam niemand vorbei.

Vor dem Ritter standen zwei Briefkästen, auf dem einen stand »Anfragen«, auf dem anderen »Dank«. Scheu trat ein Bote nach dem anderen vor und warf seine Nachricht in den dafür vorgesehenen Kasten, um anschließend so schnell wie möglich das Weite zu suchen. Der Bote von König Kriegsmund wartete, bis er an der Reihe war, warf mit zitternder Hand den Brief in den Briefkasten mit der Aufschrift »Anfragen« und eilte zurück ins Westliche Königreich.

Nur wenige Stunden nach Ablieferung des Briefes traf die Antwort ein. König Kriegsmund saß gerade beim Abendessen im Westschloss, als plötzlich ein Einhorn mit einem goldenen Umschlag im Maul in den Speisesaal stürmte. Zwei Dutzend Wachen, die es nicht geschafft hatten, das magische Geschöpf aufzuhalten, waren ihm auf den Fersen. Die Wachen jagten das Einhorn im Kreis um die Tafel – nach fünf Runden ließ das Tier den goldenen Umschlag in die Suppenschüssel des Königs fallen und verließ den Speisesaal, so schnell wie es gekommen war. Während die Wachen ihm hinterhereilten, trocknete König Kriegsmund den Umschlag mit seiner Serviette, schlitzte ihn mit dem Buttermesser auf und las die darin enthaltene Nachricht:

Verehrter König Kriegsmund,

ich habe Eure Anfrage an die Gute Fee weitergeleitet, und sie möchte Euch ihr tiefstes Mitgefühl für Eure Probleme mit dem Damm aussprechen. Sie, ebenso wie ich und der übrige Rat der Feen haben zugestimmt, Euch zu helfen. Wir werden am Dammtag zur Mittagsstunde eintreffen und den Schaden reparieren.

Bitte lasst uns wissen, falls es Änderungen, Probleme oder zusätzliche Informationen gibt. Danke und habt einen magischen Tag.

 

Hochachtungsvoll

Emerelda Stone, Direktorin für Korrespondenz der Guten Fee

 

P.S.: Entschuldigt, dass wir an Eurem Nationalfeiertag anreisen müssen. Der Rat der Feen ist im Augenblick sehr beschäftigt.

Die positive Antwort stimmte König Kriegsmund überglücklich, und er verbuchte sie als persönlichen Sieg. Er beschloss, dass der Besuch des Rats ein monumentales Fest werden sollte, und sofort befahl er seiner Dienerschaft, die Nachricht über das kommende Ereignis zu verbreiten. Triefende Banner und feuchte Fahnen wurden in der durchnässten Stadt gehisst. Am Fuß des Damms wurde eine Bühne errichtet, auf der König Kriegsmund dem Rat der Feen nach der Reparatur eine Gabe seiner Dankbarkeit überreichen würde, und davor eine Tribüne für die Zuschauer.

Derlei Vorkehrungen waren seit seiner Krönung nicht mehr getroffen worden – dennoch hatte man das öffentliche Interesse am Rat der Feen gewaltig unterschätzt.

Am Vorabend des Dammtags strömten Hunderttausende Bürger aus allen Ecken des Königreichs nach Longworth. Schon bei Sonnenaufgang quoll die Tribüne schier über, und überall in der Stadt, wo man einen Blick auf den Damm erhaschen konnte, bildeten sich Menschenmengen. Familien versammelten sich auf den Dächern ihrer Häuser, Ladenbesitzer kletterten auf die Dächer ihrer Geschäfte, und Mönche saßen rittlings auf ihren Kirchturmspitzen. Der aus dem Damm tretende Sprühregen durchweichte die Zuschauer in der ganzen Stadt; sie zitterten in der kühlen Morgenluft, doch die Aussicht auf Magie erwärmte ihre Herzen.

Die Feststimmung war einmalig. Schon jetzt hieß es »das Fest des Jahrzehnts«, oder »das Ereignis des Jahrhunderts« oder »ein Dammtag für die Geschichtsbücher«.

Doch selbst diese hochtrabenden Erwartungen sollten den tatsächlichen Geschehnissen dieses Tages nicht gerecht werden …

Am Morgen des Dammtags war Longworth so überfüllt, dass König Kriegsmund drei Stunden brauchte, um die kurze Entfernung zwischen Westschloss und Westdamm zu überwinden. Seine Kutsche kam in den von Menschenmassen verstopften Straßen kaum voran, und er erreichte den Damm gerade noch rechtzeitig. Als der König in seiner Privatloge auf der Tribüne Platz genommen hatte, trat der Moderator auf die Bühne und begrüßte die Massen.

»Halloooo, Westliches Königreich!«, rief er. »Es ist mir eine große Ehre, euch willkommen zu heißen zum wahrscheinlich besten Dammtag unseres Lebens!«

Die dröhnende Stimme des Moderators hallte durch die vollen Straßen, und die Bürger jubelten. Das Brüllen und Klatschen war so laut, dass es den Moderator beinahe umgehauen hätte.

»In wenigen Minuten trifft der Rat der Feen in Longworth ein, um den Schaden am Westdamm zu beheben. Ein solches Unterfangen würde normalerweise mehrere Jahre dauern, doch mit ein wenig magischer Hilfe wird der Damm augenblicklich und vor unseren Augen repariert! Das alles verdanken wir natürlich nur dem raschen Handeln unseres kühnen und brillanten König Kriegsmund – los, Eure Majestät, winkt der Menge zu!«

Der Herrscher stand auf und erhob die Hand in Richtung seiner ihm ergebenen Untertanen. Der höfliche Applaus erstarb bald, doch der König blieb stehen und sonnte sich in seinem Ruhm.

»Nun seid bereit«, fuhr der Moderator fort. »Denn jeden Augenblick könntet ihr Zeuge eines Spektakels werden, das garantiert all eure Sinne gefangen nimmt! Doch wie wird der Rat der Feen den Westdamm instand setzen, fragt ihr euch? Vielleicht werden sie ihn mit dem Feuer von tausend Fackeln richten! Vielleicht werden sie ihn mit einem Überzug aus funkelnden Diamanten versiegeln! Oder vielleicht lassen sie unzerstörbaren Efeu darüber wachsen! Wir werden es erst wissen, wenn es passiert! Aber es scheint, als wäre Pünktlichkeit Teil ihres Plans, denn hier kommen sie!«

In der Ferne über dem Westsee erschienen wie ein Regenbogen sechs farbenfrohe junge Menschen, die sich auf die Stadt zubewegten.

Angeführt wurde die Gruppe von einem elfjährigen Mädchen in einem Kleid ganz aus triefenden Honigwaben, deren orange leuchtendes Haar aufgetürmt wie ein Bienenstock war. Sie wurde von einem Schwarm lebender Hummeln durch die Luft getragen. Über dem Westdamm setzte der Schwarm sie ab und suchte Zuflucht in ihrem Haar. Dicht hinter ihr war ein gleichaltriges Mädchen, das auf einer einsamen Welle über den See glitt. Die Surferin trug einen saphirblauen Badeanzug, und anstelle von Haaren wallte Wasser über ihren Körper, das an ihren Knöcheln einfach verdampfte. Als ihre Welle den Westdamm erreichte, sprang sie ab und landete neben dem Hummelmädchen.

»Die eine ist kess wie eine Biene, die andere noch nasser als Longworth – ich bitte um Applaus für Mandarina Murmin und Skylene Lavendel!«, rief der Moderator.

Die ganze Hauptstadt brach in Jubelgeschrei für die ersten Mitglieder des Rats der Feen aus.

Mandarina und Skylene wollten ihren Augen kaum trauen – eine solche Menschenansammlung hatten sie noch nie gesehen.

»Gibt es hier irgendwas umsonst?«, frage Skylene ihre Freundin.

»Nein, ich glaube, die sind hier, um uns zu sehen«, erwiderte Mandarina.

Der Jubel schwoll noch an, als die nächsten beiden Feen eintrafen. Ein dreizehnjähriges Mädchen mit wunderschöner brauner Haut und schwarzen Locken segelte in einem edelsteinbesetzten Boot über den Großen Westsee. Gekleidet war sie in ein Gewand aus geflochtenen Edelsteinen, an den Füßen trug sie mit Diamanten gespickte Sandalen und auf dem Kopf ein funkelndes Diadem. Sie legte am Ufer des Sees an und gesellte sich zu Mandarina und Skylene auf den Damm. Ihr folgte ein zwölfjähriger Junge, der wie eine Rakete über den Himmel sauste, angetrieben von zwei feurigen Druckwellen, die aus seinen Füßen schossen. Sein Anzug schimmerte golden, und Flammen bedeckten seinen Kopf und seine Schultern. Das Feuer schwand, als er neben den Mädchen auf dem Westdamm landete.

»Sie ist so schön und taff wie ein Diamant, und er hat keine Angst, mit dem Feuer zu spielen – das sind Emerelda Stone und Xanthous Hayfield!«, verkündete der Moderator.

Wie zuvor Mandarina und Skylene waren Emerelda und Xanthous überwältigt von dem Meer aus Menschen vor ihnen. Die Flammen auf Xanthous’ Kopf züngelten wieder auf, und er versteckte sich hinter dem älteren Mädchen.

»Schaut euch nur all die Demonstranten an!«, jammerte er. »Sollten wir lieber wieder gehen?«

»Für Demonstranten wirken sie ein bisschen zu glücklich«, meinte Skylene.

»Weil es keine sind«, sagte Mandarina. »Seht doch mal, was auf den Schildern steht!«

Der Rat der Feen war mittlerweile daran gewöhnt, dass, wann immer sie in der Öffentlichkeit auftraten, Gruppen von Demonstranten ihrem Unmut Luft machten. Meist riefen ihnen die Protestierenden Beleidigungen zu und hielten Schilder hoch mit Botschaften wie Gott hasst Feen, Keine Macht der Magie oder Das Ende ist nah. Ihr Besuch in Longworth hatte solche Demonstranten allerdings nicht angelockt. Vielmehr lasen die Feen bei einem genaueren Blick in die Menge ausschließlich Freundliches wie Den Feen sei Dank, Magic Matters oder Alles nicht tragisch – sondern magisch!

»Oh«, machte Xanthous und beruhigte sich wieder. »Tut mir leid, ich vergesse immer, dass die Leute uns mittlerweile tatsächlich mögen. Alte Gewohnheiten wird man schwer wieder los.«

Emerelda grummelte und verschränkte die Arme. »König Kriegsmund hätte erwähnen sollen, dass wir Publikum haben. Das hätte ich mir denken können – Monarchen machen aus allem ein Spektakel.«

Plötzlich erfüllte lautes Geschnatter die Luft, und ein Schwarm ungehobelter Gänse trug das fünfte Mitglied des Rats herbei – eine pummelige Vierzehnjährige gekleidet in einen schwarzen Overall, dazu ein schwarzer Hut, ein Paar übergroße Schuhe und eine Halskette aus Kronkorken. Die Gänse ließen sie neben den anderen Feen auf den Damm fallen, und sie landete unsanft auf ihrem Hintern.

»Autsch!«, schrie sie die Vögel an. »Das nennt ihr eine Landung? Sogar der Einschlag von Meteoren ist sanfter!«

»Mit ihr ist nicht gut Federlesen – begrüßt Lucy Goose!«, rief der Moderator.

»Das spricht man GOO-SAY!«, korrigierte sie den Moderator lautstark. »Informieren Sie sich das nächste Mal besser, bevor Sie …«

Lucy klappte der Mund auf, und sie verlor den Faden, als ihr Blick auf die Zuschauer fiel.

»Volle Hütte! Seht euch nur diese Menge an! Das sind sogar noch mehr als damals, als wir die Brücke im Östlichen Königreich gebaut haben!«

»Ich würde sagen, das ganze Westliche Königreich ist da«, meinte Emerelda. »Vielleicht auch mehr als das.«

Lucy grinste von einem Ohr zum anderen, während sie ihren Blick über die Menschenmenge schweifen ließ. Als sie eine Gruppe von Kindern bemerkte, wurde sie ganz aufgeregt. Jedes der Kinder knuddelte eine Puppe, die einem der Mitglieder des Rats der Feen glich.

»Sie vermarkten uns!«, rief Lucy. »O Mann, es ist eine Schande, dass wir den ganzen Kram aus reiner Herzensgüte tun. Wenn wir Eintritt verlangen würden, könnten wir ein Vermögen machen.«

In Erwartung des sechsten und letzten Mitglieds des Rats der Feen verstummte Longworth. Gerade als die Bürger zu fürchten begannen, dass sie nicht kommen würde, schwebte ein hübsches fünfzehnjähriges Mädchen mit leuchtend blauen Augen und hellbraunem Haar in einer riesigen Seifenblase vom wolkenbedeckten Himmel herab. Sie trug einen glitzernden blauen Hosenanzug mit breiter Schleppe und dazu passenden Handschuhen, und in ihren langen Zopf waren weiße Blüten geflochten. Die Seifenblase landete sanft auf dem Damm neben den anderen Feen, und das Mädchen ließ sie mit ihrem kristallenen Zauberstab zerplatzen.

»Schneeköniginnen aufgepasst – unserem nächsten Gast seid ihr nicht gewachsen!«, verkündete der Moderator. »Sie ist die Barmherzigkeit in Person, sie wird als Göttin unter Menschen verehrt – bitte, Westliches Königreich, schenkt ihr ein warmes Willkommen: der einzig wahren Guuuten Feeeee!«

Die Menge jubelte so laut, dass der Westdamm unter den Füßen der Feen bebte. In den vorderen Rängen stimmten die Menschen einen Sprechgesang an, und bald stimmte die ganze Stadt mit ein.

»Gute Fee! Gute Fee! Gute Fee! Gute Fee!«

Die leidenschaftliche Begrüßung überwältigte Brystal Evergreen. Die vielen Menschen klatschten, hüpften oder weinten Freudentränen – und das alles ihretwegen. Sie hielten Bilder von ihr in die Luft und Schilder mit ihrem Namen darauf. Kleine Mädchen (und sogar einige erwachsene Männer) hatten sich als Gute Fee verkleidet und schwangen falsche Zauberstäbe.

Die Bewunderung, die das Westliche Königreich für sie aufbrachte, war eine große Ehre, doch aus einem Grund, den Brystal nicht einmal sich selbst erklären konnte, bescherte ihr all die Aufregung ein mulmiges Gefühl. Egal, wie begeistert die Menschen ihr zujubelten, Brystal fand nicht, dass sie ihre Anerkennung verdient hätte. Und trotz des herzlichen Empfangs konnte sie den Drang, einfach wieder zu verschwinden, kaum unterdrücken. Doch Brystal hatte eine Aufgabe zu erledigen. Darum zwang sie sich zu einem Lächeln und winkte verlegen in die Menge.

Die anderen Feen schienen die Aufmerksamkeit weit mehr zu genießen als Brystal, allen voran Lucy.

»Junge, Junge, die Leute lieben den Namen Gute Fee offenbar heiß und innig«, meinte Lucy. »Bist du nicht froh, dass ich dir einen Titel verliehen habe?«

»Ich habe dir gesagt, dass ich keinen Titel will«, erwiderte Brystal. »Es kommt mir eigenartig vor.«

»Na ja, meine Mutter hat immer gesagt, wenn dir schon jemand komische Namen gibt, dann doch wenigstens die eigene Familie«, meinte Lucy und tätschelte Brystal den Rücken. »Du solltest froh sein, dass sich Gute Fee durchgesetzt hat – wir wurden alle schon ganz anders genannt.«

»Entschuldige, Brystal«, unterbrach Emerelda. »Besser, wir beeilen uns. Um drei müssen wir eine Windmühle reparieren und um fünf einen Bauernhof enteisen. Außerdem haben die Leute da unten langsam schon Schaum vorm Mund.«

»Ganz deiner Meinung«, stimmte ihr Brystal zu. »Bringen wir die Sache hinter uns. Wir sollten nicht mehr Wirbel machen als nötig.«

Ohne weitere Zeit zu vergeuden, trat Brystal an den Rand des Damms. Sie zielte mit dem Zauberstab auf den Schaden unter ihr, und der gewaltige Riss wurde mit reinem Gold versiegelt. Als weitere Hilfestellung schwang Brystal ihren Zauberstab erneut und schickte einen mächtigen Wind durch die Stadt, der die Straßen, Geschäfte und Häuser trocknete. Ein paar Hüte flogen davon, und einige Menschen wehte die kräftige Brise sogar von den Beinen, doch als sie sich wieder aufrappelten, waren ihre Kleider staubtrocken.

Das alles geschah so schnell, dass die Leute eine Weile brauchten, um zu begreifen, was da alles vor sich ging. Doch dann war ihr Jubelsturm so gewaltig, dass es an ein Wunder grenzte, dass der Westdamm nicht erneut brach.

»Gut, alle sind zufrieden«, erklärte Brystal. »Jetzt können wir aufbrechen und …«

»Erstaunlich!«, brüllte der Moderator. »Mit einem Schlenker ihres Handgelenks hat die Gute Fee den Westdamm wiederhergestellt und Longworth vor einem Jahrzehnt des Regens bewahrt! Und nun wird der Rat der Feen zu König Kriegsmund auf die Bühne kommen, um ein Geschenk unserer Dankbarkeit zu empfangen!«

»Wie bitte?«, entfuhr es Emerelda.

Die Feen spähten nach unten, und entdeckten König Kriegsmund, einen goldenen Pokal in Händen, auf der Bühne. Mandarina und Skylene quietschten vor Freude.

»Sie geben uns einen Preis!«, rief Skylene. »Ich liebe Preise!«

»Können wir bleiben und ihn annehmen?«, bat Mandarina die anderen. »Bitte, bitte?«

»Auf gar keinen Fall«, erwiderte Emerelda. »Wenn König Kriegsmund uns einen Preis geben will, hätte er das vorher mit mir absprechen müssen. Die Leute sollen aus unserem Tun keinen Vorteil für sich herausschlagen.«

»Ach, entspann dich, Em«, stöhnte Mandarina. »Wir haben uns für ein bisschen Anerkennung den Hintern aufgerissen – und jetzt endlich haben wir sie! Wenn wir den Leuten nicht hin und wieder die Chance geben, uns zu bewundern, verlieren wir ihre Bewunderung womöglich wieder!«

»Ich glaube, da hat Mandarina nicht unrecht«, sagte Xanthous. »König Kriegsmund hat sich vielleicht nicht an die Regeln gehalten, aber das wissen die Leute nicht. Wenn sie nicht die Feier kriegen, die sie wollen, geben sie am Ende noch uns die Schuld. Und wir sollten ihnen keinen Grund liefern, uns wieder zu hassen.«

Emerelda verdrehte stöhnend die Augen, aber sie schob ihren Ärmel nach oben und warf einen Blick auf die smaragdene Sonnenuhr an ihrem Handgelenk.

»Na gut«, meinte sie. »Geben wir ihnen noch zwanzig Minuten – aber damit hat sich die Sache.«

Die Fee schnipste mit den Fingern, und eine lange Rutsche aus Edelsteinen erschien. Sie reichte vom Damm bis hinunter zur Bühne. Emerelda, Xanthous, Mandarina und Skylene glitten sanft nach unten und gesellten sich zu König Kriegsmund, doch Brystal zögerte. Ihr war aufgefallen, dass Lucy kein Wort gesagt hatte, seitdem der Schaden am Damm repariert war. Stattdessen stand sie stocksteif da und blickte mit zusammengekniffenen Augen in die Menge.

»Lucy, kommst du?«, fragte Brystal.

»Ja, gleich«, antwortete Lucy. »Ich denke nur nach.«

»Oh, oh«, machte Brystal. »Es muss was Ernstes sein, wenn du dafür die Gelegenheit verpasst, auf einer Bühne zu stehen.«

»Tun wir genug?«

Die plötzliche Frage verwirrte Brystal. »Hä?«

»Wir reparieren Dämme, bauen Brücken, helfen Menschen – aber ist das genug?«, murmelte Lucy. »All diese Leute sind gekommen, um etwas Spektakuläres zu sehen, und was haben wir ihnen gegeben? Eine kleine Versiegelung und ein bisschen Wind.«

»Ja«, sagte Brystal. »Wir haben ihnen genau das gegeben, was sie brauchen.«

»Schon, aber nicht das, was sie wollten«, erwiderte Lucy. »Wenn meine Auftritte mit der Goose-Truppe mich eines gelehrt haben, dann Verständnis für die Gefühle des Publikums. Falls diese Leute enttäuscht nach Hause gehen, und sei es nur ein klein wenig, dann werden sie wütend auf uns. Und es ist genau so, wie Xanthous gesagt hat, wir sollten den Leuten nicht den geringsten Grund geben, uns zu hassen. Wenn sie den Rat der Feen nicht mehr mögen, dann mögen sie bald überhaupt keine Feen mehr und zack! Die magische Gemeinschaft ist wieder da, wo sie angefangen hat. Ich glaube, es wäre schlauer, dranzubleiben und den Leuten eine Show zu liefern.«

Brystal ließ den Blick über die Stadt schweifen, während sie über Lucys Worte nachdachte. Es stimmte, die Leute hungerten nach mehr Magie – seit ihrer Ankunft klebten die Blicke der Menschen förmlich am Rat der Feen –, aber Brystal wollte dem nicht nachgeben. Sie und die anderen hatten hart gearbeitet, um an diesen Punkt zu kommen. Beim Gedanken daran, noch härter zu arbeiten, nur um ihren Ruf zu wahren, brach ihr der kalte Schweiß aus. Und Brystal wollte gerade einfach nicht nachdenken müssen – sie wollte nur fort von hier, fort von den Menschenmassen.

»Wir sind Wohltäter und keine Schauspieler, Lucy«, sagte sie. »Wenn die Leute jetzt eine Show von uns bekommen, dann wollen sie immer eine Show. Wo soll das enden? Es ist leichter, den Leuten zu gefallen und ihre Erwartungen zu erfüllen, wenn wir die Dinge einfach halten. Also lass uns jetzt diesen Preis abholen, ein paar Hände schütteln und weiterziehen.«

Brystal hüpfte auf die Rutsche, bevor Lucy widersprechen konnte, aber sie beide wussten, dass ihre Unterhaltung noch lange nicht vorbei war.

»Stellvertretend für das gesamte Westliche Königreich möchte ich der Guten Fee für ihren Großmut danken«, erklärte König Kriegsmund seinen Bürgern. »Als Zeichen unserer nie endenden Dankbarkeit und unserer unsterblichen Wertschätzung überreiche ich ihr hiermit die höchste Auszeichnung unseres Königreichs, den Dammpokal.«

Bevor König Kriegsmund Brystal die Trophäe überreichen konnte, schnappte Skylene den Pokal aus seiner Hand und drückte ihn an sich, als sei er ein Baby. Mandarina schob Brystal nach vorne und zwang sie so zu einer spontanen Rede.

»Ähm … also, zuerst möchte ich mich bedanken«, begann Brystal und zwang sich zu einem Lächeln. »Es ist immer eine große Freude, das Westliche Königreich zu besuchen. Der Rat der Feen fühlt sich geehrt, dass Sie uns einen so wichtigen Teil Ihres Landes anvertraut haben. Ich hoffe, dass die Menschen von nun an, wann immer sie den Damm betrachten, an das Potenzial denken, dass Magie zu bieten …«

Während Brystal weitersprach, musterte Lucy die Gesichter in der Menge. Die Leute sogen jedes Wort auf, das Brystal sagte, doch Lucy fürchtete, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie das Interesse verloren – die Leute wollten keine Geschichten über Magie hören, sie wollten Magie sehen! Wenn Brystal ihnen nicht die Show lieferte, nach der sie sich sehnten, musste es eben Lucy tun. Und es würde ihr nicht schwerfallen – immerhin war Ärger ihr Spezialgebiet.

Als sie sicher war, dass alle Augen auf Brystal gerichtet waren, schlich Lucy sich von der Bühne und huschte zum Westdamm. Sie rieb sich die Hände, legte dann die Handflächen auf das steinerne Wahrzeichen und beschwor ein klein wenig Magie.

»Das sollte die Sache ein bisschen aufpeppen«, murmelte sie.

Sofort platzten unter ihrer Hand Risse auf, die sich schnell nach allen Seiten ausbreiteten. Stück für Stück bröckelte der Stein, und durch die Öffnungen spritzte das Wasser des Westsees. Lucy hatte erwartet, dass etwas Seltsames passieren würde – so war es immer, wenn sie ihre Magie einsetzte –, aber sie hätte nie gedacht, dass der ganze Damm brechen würde! Schreiend rannte sie zurück zu ihren Freunden.

»… wenn wir Ihnen etwas hinterlassen, dann ist es hoffentlich eine neugewonnene Wertschätzung, nicht nur für den Rat der Feen, sondern für die Magie als solche«, erklärte Brystal, die mit ihrer Rede langsam zum Schluss kam. »Für die Zukunft wünsche ich mir ein so enges Verhältnis zwischen der Menschheit und der magischen Gemeinschaft, dass man sich kaum mehr vorstellen kann, dass es einst einen Konflikt zwischen uns gegeben hat. Denn am Ende des Tages wollen wir alle dasselbe …«

»Brystal!«, kreischte Lucy.

»Nicht jetzt, Lucy. Ich bin gleich fertig«, erwiderte Brystal, ohne hinzusehen.

»DER DAMM!«

»Lucy, was redest du, wir haben doch …«

»NEIN! SIEH DIR DEN DAMM AN! HINTER DIR!«

Die Feen sahen sich genau in dem Augenblick um, als der gesamte Westdamm einstürzte. In Gestalt einer Hunderte Meter hohen Flutwelle stürzte der Westsee auf Longworth zu.

»Lucy!«, keuchte Brystal. »Was hast du …«

»RENNT UM EUER LEBEN!«, schrie König Kriegsmund.

Panik brach in der Stadt aus. Schubsend und drängelnd versuchten die Menschen verzweifelt, den Wassermassen zu entkommen, doch die Straßen waren so überfüllt, dass es kein Entrinnen gab. Kurz bevor die Flutwelle ihre ersten Opfer fand, erwachte Brystal aus ihrer Erstarrung. Ein Sturm, so stark wie tausend Hurrikans, brach aus der Spitze ihres Zauberstabs und stoppte die Welle wie eine unsichtbare Wand. Brystal musste all ihre Kraft aufwenden, um den Zauberstab ruhig zu halten. Sie schaffte es, den Großteil des Wassers aufzuhalten, doch allein würde sie nicht lange durchhalten.

»Xanthous! Emerelda!«, rief Brystal über die Schulter. »Ihr beide seht zu, dass ihr das Wasser seitlich von meinem Schild stoppt! Skylene, du kümmerst dich darum, dass nichts oben drüber schwappt! Mandarina, bring die Menschen in Sicherheit!«

»Und was ist mit mir?«, fragte Lucy. »Was kann ich tun?«

Brystal warf ihr einen vernichtenden Blick zu. »Nichts«, fauchte sie. »Du hast schon genug getan!«

Hilflos musste Lucy mitansehen, wie der Rat der Feen Brystals Befehlen folgte. Xanthous nahm sich die linke Seite vor und nutzte sein Feuer, um das Wasser verdampfen zu lassen. Emerelda erschuf zu Brystals rechten eine smaragdene Wand, um das Wasser zu stoppen, doch die Welle war so mächtig, dass ihre Mauer immer wieder einstürzte, und Emerelda gezwungen war, sie ein ums andere Mal wieder aufzurichten. Skylene machte eine ausladende Handbewegung, und das Wasser, das über Brystals Schild spritzte, flog in hohem Bogen zurück in den See. Während ihre Freunde gegen die Welle ankämpften, schickte Mandarina ihre Hummeln in die panische Menschenmenge, wo der Schwarm Kinder und Alte aus dem Gedränge holte, bevor sie zertrampelt wurden.

Zwar hatten ihre Freunde in aller Eile eine funktionierende Barriere errichtet, doch Lucy war klar, dass sie das Wasser nicht ewig aufhalten konnten. Sie missachtete Brystals Anweisung, und ersann einen Plan, um ihnen zu helfen. Mit einem Pfiff rief Lucy ihre Gänse herbei, und die Vögel kamen heran und hoben sie in die Luft.

»Bringt mich zu dem Hügel neben dem See!«, gab sie den Befehl. »Und macht schnell!«

Sie taten wie geheißen und beförderten Lucy in aller Eile zum Hügel. Wieder landete die Fee unsanft auf dem Hintern, als die Gänse sie abwarfen, doch sie hatte keine Zeit zu schimpfen. Von hier oben hatte Lucy eine gute Sicht auf ihre Freunde und deren ermüdenden Kampf mit der Monsterwelle. Langsam aber sicher schob sich das Wasser immer näher an die Stadt heran.

»Oh, bitte, bitte, das muss einfach klappen«, betete Lucy.