Tanz im Park - Paul Lascaux - E-Book

Tanz im Park E-Book

Paul Lascaux

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  • Herausgeber: 110th
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

"Tanz im Park" versammelt kriminelle Geschichten voller Gegensätze. Nibelungengold und Röstigraben, Beruf und Berufung, Gott und Teufel. Die Titel drücken bereits die Spannung aus, die den Erzählungen zu Grunde liegt. Gleichzeitig eröffnet sich ein Kosmos von menschlichen Unzulänglichkeiten, der in dem Maß an krimineller Energie mündet, das für eine finale Lebensgestaltung notwendig ist. "Ein Paradigma der Krimikurzform", hat es der amerikanische Herausgeber Ed Gorman genannt.

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Seitenzahl: 143

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Tanz im Park

 

von

Paul Lascaux

Impressum

Cover: Karsten Sturm, Chichili Agency

EPUB ISBN 978-3-95865-580-5

MOBI ISBN 978-3-95865-581-2

© 110th / Chichili Agency 2015

Urheberrechtshinweis:

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors oder der beteiligten Agentur „Chichili Agency“ reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

KURZINHALT

"Tanz im Park" versammelt kriminelle Geschichten voller Gegensätze. Nibelungengold und Röstigraben, Beruf und Berufung, Gott und Teufel. Die Titel drücken bereits die Spannung aus, die den Erzählungen zu Grunde liegt. Gleichzeitig eröffnet sich ein Kosmos von menschlichen Unzulänglichkeiten, der in dem Maß an krimineller Energie mündet, das für eine finale Lebensgestaltung notwendig ist. "Ein Paradigma der Krimikurzform", hat es der amerikanische Herausgeber Ed Gorman genannt.

KURZVITA

Paul Ott / Paul Lascaux Geboren 1955, lebt in Bern. In den letzten 30 Jahren veröffentlichte er neben zahllosen journalistischen Arbeiten vor allem Kriminalromane und kriminelle Geschichten. In der neuen kulinarischen Krimiserie spielen der Detektiv Heinrich Müller und seine Partnerin Nicole Himmel die Hauptrollen. Letzte Veröffentlichungen: Paul Lascaux: ›Mordswein‹ (2011), ›Gnadenbrot‹ (2010), ›Feuerwasser‹ (2009), ›Wursthimmel‹ (2008), ›Salztränen‹ (2008). Paul Ott: ›Mord im Alpenglühen: Der Schweizer Kriminalroman. Geschichte und Gegenwart‹ (2005).

Das Brandopfer

Der Brand

Die alten Leute ärgerten Bernhard Spring, Störfahnder der Berner Kantonspolizei. Besonders an diesem frühen Herbstmorgen summten sie wie die Fliegen um ihn herum; sie waren alle schon wach, hatten aber noch nichts zu tun. Die Geschäfte öffneten erst später, die Waschmaschinen liefen bereits, der Staubsauger konnte noch nicht eingeschaltet werden, wenn man keinen Streit mit den Nachbarn provozieren wollte. Also standen sie hier in Springs Traum herum und gingen dem Polizisten auf die Nerven.

Es war allerdings eher ein Alptraum als ein Traum, was den Fahnder hier erwartete. Die verkohlten, rauchenden Trümmer der Familiengartensiedlung, abgefackelte Pneustreifen und ölgetränkte, glühende Eisenbahnschwellen trugen zur Kakophonie der Gerüche bei. Was sich früher wohlgeordnet präsentiert hatte, zerfiel langsam zu einem nassen Aschehaufen, der in seinem schmutzigen Grau mit der Farbenpracht des Herbstwaldes kontrastierte.

Die leichte Bise zerrte einen unangenehm süßlichen Geruch über das Gelände. Spring ahnte, was es war, bevor er etwas zu sehen bekam. Aber der schmucklose Zinksarg wurde von den Leuten der Rechtsmedizin bereits weggetragen, so dass der Anblick dem Störfahnder erspart blieb. Bernhard Spring galt zwar als Künstler im Umgang mit Leichen, zudem war er der Herrscher über das Kriminalmuseum, in dem die Geschichte der Verbrechen dokumentiert wird, dennoch machten ihn Tote sentimental und störten die geordnete Logik seiner Gedanken.

„Brandstiftung", sagte der Feuerwehrkommandant, ohne dass ihn jemand gefragt hätte. „Wir haben drei verschiedene Feuerherde, die sich in Windrichtung ausgebreitet haben. Wir können von Glück reden, dass die Siedlung nebenan verschont geblieben ist."

Spring schaute zu den gesichtslosen, mehrstöckigen Wohnhäusern hinüber und fragte sich, ob man hier wirklich von Glück reden konnte. Dann fiel sein Blick auf eine Gruppe von Alten, die sich der Unglücksstelle näherte. Sie bewegte sich wie ein Vogelschwarm, der von einem Leittier in V-Formation in den Süden geführt wurde.

Der Fahnder wandte sich mit einem fragenden Glitzern in den Augen zum Rechtsmediziner Dr. Peter Raduner.

„Was schaust du mich so an?", fragte dieser. „Erwart bloß keine voreiligen Aussagen von mir."

„Voreilig bitte nicht, aber so viel du eben weißt", entgegnete Spring.

Raduner seufzte. „Es dürfte sich um einen älteren Mann handeln, in den frühen Siebzigern. Das schließe ich aus den halb verkohlten Fotos, die wir an den Brettern der Hütte gefunden haben, in der er lag. Auf den ersten Blick stimmt diese Erkenntnis mit dem Körper überein. Aber es könnte sich auch sonst jemand im Schrebergartenhäuschen aufgehalten haben."

„Dann werden wir schnell rausfinden, wie der Mann heißt", meinte Spring. „War es denn wirklich nötig, die ganze Siedlung abzufackeln, wenn man nur diesen einen Menschen umbringen wollte?"

Spring hatte mehr zu sich selbst gesprochen, aber der Feuerwehrkommandant nahm seinen Gedanken auf: „Falls mit dem Feuer eine unnatürliche Todesursache vertuscht werden sollte, ist es natürlich besser, eine möglichst große Hitze zu erzeugen." Er kam beinahe ins Schwärmen: „Wenn du nur diese kleine Hütte anzündest, entwickelt das ziemlich feuchte Holz nicht genug Wärme, um einen Körper vollständig zu verkohlen. Wir hätten also zu viele Anhaltspunkte für einen Mord gehabt. Nur in der Masse entsteht genügend Hitze. Es ist dieser dialektische Schritt, der mich an die marxistische Theorie erinnert, nachdem an einem bestimmten Punkt Quantität in Qualität umschlägt, das heißt der Körper..."

„Wir wissen, was das heißt", seufzte Spring, dem nicht nach ideologischer Brandbekämpfung zu Mute war.

Dann fiel sein Blick wieder auf die alten Leutchen, die in ihrem eigensinnigen Rhythmus auf dem Weg zum Brandherd einen ungelenken Tanz aufführten, die Bewegungen eckig und stoßend, das Gespräch ein unverständliches Gemurmel im Raum, die verzweifelte Gestik ein Zeichen der Ekstase von zu kurz Gekommenen.

Bernhard Spring schauderte. Er fragte sich, ob er früher oder später auch so werden, auch zu ihnen gehören würde.

Dann erreichte die Gruppe seinen Standort. Es wurde deutlich, dass eine hagere Frau mit einem lächerlich verrutschten Hut die Anführerin war, die einzige, die jetzt das Wort ergreifen durfte.

„Sind Sie der Polizist, der dafür verantwortlich ist?" Ihr knochiger Finger zeigte auf die verbrannten Holzhütten und den geschwärzten Rosenkohl.

„Ja, also", räusperte sich Spring, „nicht eigentlich verantwortlich, aber zuständig zur hoffentlich schnellen Aufklärung, bei der Sie mir bestimmt behilflich sein können."

„Sie haben Alois weggetragen! Wo kommt er hin?", hakte sie nach.

„Wer ist Alois?", fragte der Fahnder.

„Das tut nichts zur Sache", giftelte die Dame, „ich stelle hier die Fragen!"

„Aber Margot", mischte sich einer von hinten ein, „das ist ein Polizist!"

„Er soll sich anständig anziehen, damit man das auch erkennt", gab sie zurück, indem sie sich zum Sprecher umdrehte.

Bernhard Spring benutzte den Augenblick, um sich vom Gekeife der Alten und vom Ort des Geschehens abzuwenden. Hier gab es ohnehin nichts mehr zu tun, das die Untersuchungstruppe nicht auch allein hätte erledigen können. Nach ein paar Schritten fand sich der Fahnder am Uferweg entlang der Aare wieder, der aus der Stadt Bern hierher führte.

„Ein Keltenweg war es bestimmt nicht", dachte Spring und träumte sich in einen Fall zurück, von dem ihm Ariane Beer erzählt hatte.

Als ob es noch Zeichen und Wunder gäbe, erblickte der Polizist auf dem Uferweg eine Frau, die ihm entgegen joggte, Schritt für Schritt eine neblige Atemwolke vor sich her stoßend. Sie verlangsamte ihren Trab, als sie die rauchenden Trümmer sah, und blieb schließlich vor dem Eingangstor zur Familiengartensiedlung stehen.

Spring bewunderte den Trainingsanzug, in dem er sie nicht erkannt hätte. Aber er studierte das ihm bestens vertraute Profil im diesigen Morgenlicht, bevor er mit einem kurzen Pfiff auf sich aufmerksam machte und Ariane zu sich winkte.

„Was ist denn hier los?", fragte sie den Polizisten, nachdem sie ihn zur Begrüßung auf die Wangen geküsst hatte.

„Genau das, was du siehst: ein abgebrannter Schrebergarten."

„Da war wohl jemand zu faul zum Aufräumen", lachte sie.

„Dann hätte er wenigstens die Leute warnen können", entgegnete Spring.

„Tote?", fragte Ariane, und die Fröhlichkeit war abrupt aus ihrem Gesicht gewichen.

„Eine verkohlte Leiche, eine Horde verrückt gewordener Alter und ziemlich viel nasse Holzkohle", meinte er.

Ariane spürte die vom Wasser herauf kriechende Kälte. „Du wirst wohl keine Zeit für lange Erklärungen haben. Wenn es bloß keine neuen Kelten oder Sekten im Internet sind! Von denen habe ich für den Rest meines Lebens genug", meinte sie.

Spring überhörte die Anspielungen auf die letzten beiden von Ariane gelösten Fälle und versprach: „Ich halte dich auf dem Laufenden."

„Ich komm heut´ Abend bei dir vorbei!", hörte er noch, bevor Ariane ihre Trainingsrunde fortsetzte.

Der Kater

Bernhard Spring zeigte vom leicht erhöhten Balkon auf die Tigerkatze, die eben durch den Garten strich, mit einem kräftigen Satz zum Flieder sprang und dort die Krallen wetzte.

„Das ist Brunello. Er hilft mir bei den Ermittlungen."

„Du besitzt eine Katze?", fragte Ariane Beer, während sie die Schmetterlingszeichnung und das dunkelbraune Kreuz auf dem Rücken des Tieres bewunderte.

„Eigentlich nicht, er besitzt eher mich", entgegnete Spring, „das ist mein Gastkater. Aber ich werde ihn adoptieren, wenn er noch länger bleibt."

Ariane lachte. „Ich hab doch im Wohnzimmer einen Korb und einen Futternapf gesehen!"

„Das Mitleid ist manchmal stärker als jede Vernunft... und meine Liebe zu dem Vieh!" Er seufzte. „Aber kompliziert genug ist der Kater. Er liegt lieber auf dem abgewetzten Kissen draußen auf dem Balkon als im Wohnzimmer. Ich kann es ihm nicht verdenken. Als ich die Kassenquittung aus dem Supermarkt genauer angeschaut hatte, stand dort, ich hätte einen Hundekorb und ein Hundekissen gekauft."

„Und das hält den Kater davon ab, dort reinzusteigen?"

„Ja. Aber gleichzeitig hat es mich auf eine Idee gebracht."

Arianes Neugier erwachte. „Sie hat etwas mit dem Brand zu tun?"

„Nicht direkt. Aber du weißt, dass Polizeiarbeit wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen ist. Bloß, wenn du nicht mal weißt, wo der Heuhaufen steht..."

„Na gut, schieß los."

Der Störfahnder fuhr fort: „Wenn du ein bisschen länger hier sitzt, wirst du sehen, dass es im Quartier viel zu viele Katzen gibt. Deshalb hab ich diesen Streuner hier, der irgendwo entlaufen ist, aufgenommen und kein anderes Tier angeschafft. Ich sitze also seit dem Sommer hier auf meinem Balkon und gucke der Katzenparade zu."

„Ich hätte ihnen allen einen Namen gegeben", meinte Ariane, „den einer Persönlichkeit aus der Renaissance."

Bernhard erwiderte: „Sie hören aber nicht auf diese Namen, weil die meisten davon zu lang sind. Eine jede Katze folgt ihren Wegen, ganz bestimmten Pfaden, von denen sie sich nicht einmal abbringen lässt, wenn eine Rivalin im Weg steht. So hab ich sie unterscheiden gelernt."

„Und Brunello?"

„War eines Tages einfach da und ist geblieben. Am Anfang wusste ich nicht, ob es ihm hier gefällt und er nachts zu Hause zu fressen bekommt. Als ich aber meinen Abfallsack immer wieder aufgeschlitzt fand, begann ich den kleinen Kerl zu füttern. Darauf entfernte er sich kaum mehr einen Schritt aus meinem Garten. Nur stellte ich fest, dass er an bestimmten Tagen keinen Hunger hatte und das Fressen stehen ließ."

„Er wird sich auswärts verköstigt haben", entgegnete Ariane.

„Ja, aber nicht nur das. Eines Tages trug er ein Halsband mit einer plombierten Kapsel, die ich nicht öffnen konnte. Ich dachte natürlich, dass die wahren Besitzer die Katze gekennzeichnet hätten."

Ariane Beer meinte: „Das macht aber wenig Sinn, wenn man die Kapsel nicht öffnen und den Namen nicht lesen kann."

„Genau. Und als ich näher hinschaute, bemerkte ich, dass plötzlich viele Katzen ein solches Halsband trugen und dass es offensichtlich für sie neu war, weil sie versuchten, es mit wütendem Krallen über den Kopf abzustreifen. Zwei Tage später waren die Halsbänder wieder weg."

„Bei allen? Auch bei Brunello?"

„Ja. Also hab ich versucht, meinem Kater zu folgen, und habe dabei Frau Bergmann kennen gelernt, die morgens um fünf alle Katzen im Quartier, die den Weg zu ihrem Nähatelier finden, mit frischer Leber füttert."

„Und Frau Jägisberg, von der du mir schon erzählt hast."

„Genau", fuhr Bernhard fort, „die war aber nur sporadisch im Park des Altersheims mit ihrer Trockenfutterration. Nun versuchte ich herauszufinden, ob die Abwesenheiten meines Katers und seine Fressunlust mit diesem Füttern übereinstimmten. Aber es dauerte mehrere Wochen, bis ich die Logik des ganzen zeitlichen Ablaufs für mich aufgezeichnet hatte."

„Ich glaube", erwiderte Ariane, „es gibt in jedem Quartier ältere Frauen, die Katzen füttern und den Besitzern der Tiere damit auf die Nerven gehen."

„Richtig. Aber gibt es auch in jedem Quartier Frauen, die den Katzen Halsbänder anziehen? Brunello kam nämlich bald darauf wieder mit so einem Ding nach Hause. Diesmal hab ich das Siegel an der Kapsel mit einer Zange aufgebrochen und den Metallbehälter aufgeschraubt."

„Und?", fragte Ariane gespannt, „was war drin?"

„Ein zusammengefalteter Zettel mit einer Adresse."

„Das war ja wohl zu erwarten", sagte sie etwas enttäuscht.

„Ein Straßenname und eine Nummer", ergänzte Spring

„Kein Name?"

„Weder Name noch Telefonnummer!"

„Seltsam! Aber du bist doch sicher zu diesem Ort hingefahren?", fragte Ariane Beer.

„Ja", erwiderte der Störfahnder, nun wieder ganz Polizist. „Es war die Adresse der Schrebergartenhütte, in der wir den alten Mann gefunden haben."

Der Diebstahl

Feuchte Nebelschwaden erwiesen sich am nächsten Morgen als segensreich. Bernhard Spring untersuchte das Tor einer Lagerhalle in der Nähe des Güterbahnhofs. Hundert Jahre Wind und Wetter hatten das Holz schwarzbraun gegerbt, und über alles legte sich der rostrote Staub unzähliger Züge, die sich an den Schienen gerieben hatten.

Die wenigen Lastwagen, die jetzt schon unterwegs waren, respektierten den Kordon aus rot-weißem Plastikband, den die Polizei um das Gelände gelegt hatte. Wie dunkle Ungetüme tauchten sie aus der weißen Brühe auf und in ihr wieder unter.

„Ausgerechnet hier!", dachte Spring, rief den Polizisten zu sich, der offenbar die ganze Nacht draußen verbracht hatte, jedenfalls war er bleich und zitterte vor Kälte.

„Wie konnte das passieren?", fragte Spring. „Wir observieren diese Lagerhalle doch schon seit drei Wochen!"

„Ich weiß es nicht", jammerte der junge Mann, „ich stand die ganze Nacht dort drüben an der Einfahrt, zusammen mit meinem Kollegen."

„Was heißt das?", fragte der Störfahnder. „Ihr habt im Wagen gesessen, Kaffee getrunken und Karten gespielt?" Sein Ton war bissiger geworden, als er es beabsichtigte.

„Nein. Nun gut, natürlich haben wir auch Kaffee getrunken, sonst wäre das ja nicht auszuhalten. Aber jede halbe Stunde haben wir unsere Runde gedreht. Um alle Lagerhäuser herum."

„Und nichts bemerkt?"

„Nein. Das heißt..."

„Was denn?"

„So gegen vier mussten wir zwei Damen vom Gelände weisen."

„Zwei Damen... gegen vier?", Spring verlor langsam die Geduld.

„Sie wissen schon, vom horizontalen Gewerbe. Sie hielten sich illegal hier auf. Da haben wir sie entfernt."

„Entfernt", wiederholte Spring, „helfen Sie mir ein bisschen, meine Deutschkenntnisse sind etwas beschränkt. Was verstehen Sie unter entfernt?"

Dem jungen Polizisten war die Befragung sichtlich peinlich, doch er bemühte sich um Korrektheit: „Da die beiden nicht freiwillig gehen wollten, haben wir sie in Handschellen gelegt, ins Auto gesetzt und irgendwo hingefahren."

„Irgendwo?" Der Fahnder zischte wie eine Schlange.

„Na ja, zu ihnen nach Hause. Nach Wabern."

Spring mochte eine leichte Gesichtsröte, wenn sie ein junges Mädchen trug. Aber bei einem Polizisten hatte sie nichts Gutes zu bedeuten. „Und wie lange dauerte diese nächtliche Ausfahrt?", fragte er eher zynisch als wütend.

„Alles inbegriffen?", fragte einer, der keine Karriere mehr machen würde.

„Alles inbegriffen", bestätigte sein Henker.

„Wir waren um halb sechs wieder da", antwortete der Polizist, „und damit Sie nicht fragen müssen: Das Tor stand offen."

Hundert Jahre Eisenbahngeschichte legten ihren Rost über dieses haarsträubende Geständnis. Eine tiefe Depression erfasste Bernhard Spring. Er überließ die Feinarbeit den Spezialisten und begab sich auf einen Rundgang zum nebelverhangenen Bremgartenfriedhof, durch den er schon lange nicht mehr spaziert war. Er erinnerte sich an die Jahre seiner Jugend, als er öfter hierher kam, die älteren Grabsteine bewunderte, von reichen Familien natürlich, aber immerhin eine Abwechslung zum Stiefmütterchen-Erika-Einerlei der Urnengrabsiedlungen, in denen wahrscheinlich auch die zu Asche Gewordenen Tag und Nacht Sitcoms anschauten.

Dann fand er ihn wieder, den unbehauenen Stein - oder war es ein Findling? - mit den von Grünspan überzogenen Buchstaben „Michael Bakunin, 1814 - 1876" und der Inschrift „Rappelez-vous de celui qui sacrifia tout pour la liberté de son pays". Nur die Patronenhülsen, die er vor Jahrzehnten hier niedergelegt hatte, waren verschwunden. Es blieben schöne Gedanken, die anarchistischen Ideen der Jugend.

Heute herrschte nicht die revolutionäre selbstbestimmte Ordnung, sondern das nackte Chaos. Daran dachte er, als er wieder zur Lagerhalle zurück fand. Inzwischen war der Schaden aufgenommen, hatte man die Verluste beziffert. Es war der fünfte Einbruch dieser Art in den letzten sechs Monaten, eine lange Serie also, die Spring endlich durchbrechen wollte. Das Diebesgut in den vorherigen Fällen war meist kleinformatig, gut zu transportieren, aber ausgesucht und sehr wertvoll. Woher die Diebe ihre Informationen hatten, blieb ungeklärt, sie wussten jedoch besonders gut Bescheid.

Auch diesmal traf es einen Container, in dem sich ausgelagerte Haushaltsgegenstände befanden, eine Wohnung, die geräumt wurde, weil irgendjemand in ein Altersheim ziehen musste.

„Etwas irritiert mich diesmal beim Vorgehen der Diebe", erklärte der untersuchende Spezialist. „Die Türe wurde nicht mit einem Schlüssel oder Dietrich geöffnet, sondern mit brachialer Gewalt aufgebrochen, ebenso der Container. Die Spuren sind überdeutlich."

„Worauf lässt das schließen?", fragte Spring.

„Ich denke, dies war ein fingierter Einbruch. Entweder wurde das Diebesgut schon früher weggeschafft oder, was als gestohlen gemeldet wurde, war gar nie im Container drin."

„Versicherungsbetrug also?", fasste Spring zusammen.

„Vielleicht, möglich aber auch, dass jemand einen früheren Diebstahl vertuschen und so die zeitliche Reihenfolge durcheinander bringen wollte."

„Warum das denn?"

„Der Besitzer war heute Morgen überraschend schnell zur Stelle und wusste sofort und ziemlich genau Bescheid über die verschwundenen Gegenstände."

Der Fahnder ließ den Bestohlenen, einen pensionierten Mann, zu sich kommen und noch einmal seine Verluste aufzählen.

Der Mann seufzte, wirkte darüber hinaus aber seltsam regungslos, als er sagte: „Es waren einige wertvolle Sachen drin, die ich im Lauf meines Lebens gesammelt hatte. Das Wichtigste sind zwei Bleistiftzeichnungen von Paul Klee."

Spring hörte nicht mehr weiter zu, den Rest konnte er später im Bericht nachlesen. Zeichnungen von Paul Klee. Das letzte Mal waren es Originalmanuskripte von Friedrich Glauser. Beim Einbruch davor fehlten geheime Architekturpläne für die expo.02, und ein anderes Mal war es eine Landkarte aus dem 16. Jahrhundert. Alles Sammlerstücke, die nur für einen kleinen Kreis von Menschen wertvoll waren. Für diesen aber außerordentlich wertvoll.