Tatort Gasometer - Markus Alferi - E-Book

Tatort Gasometer E-Book

Markus Alferi

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  • Herausgeber: Klartext
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Einst größter Gasspeicher Europas, heute Ausstellungshalle und Veranstaltungszentrum: Der Gasometer Oberhausen ist ein Wahrzeichen des Ruhrgebiets und hat eine überaus wechselvolle Geschichte. Und der Stahlkoloss regt die Phantasie an, wie die Krimigeschichten in diesem Buch belegen. Viele Autorinnen und Autoren haben sich an einem Krimiwettbewerb der WAZ beteiligt, die spektakulärsten Verbrechen und Mordfälle sind jetzt nachzulesen.

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Seitenzahl: 89

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Ähnliche


Andreas Tyrock (Hg.)Tatort Gasometer

ANDREAS TYROCK (HG.)

TATORTGASOMETER

KRIMINALGESCHICHTEN

Impressum

1. Auflage September 2015

Umschlaggestaltung: Angelika Hannig-Wirth, EssenSatz und Gestaltung: Kathrin Butt, EssenTitelbild: Thomas MachoczekFotos im Innenteil: Kathrin Butt, Essen© Klartext Verlag, Essen 2015ISBN 978-3-8375-1508-4ISBN ePUB 978-3-8375-1540-4

Alle Rechte der Verbreitung, einschließlich der Bearbeitung für Film, Funk und Fernsehen, CD-ROM, der Übersetzung, Fotokopie und des auszugsweisen Nachdrucks und Gebrauchs im In- und Ausland sind geschützt.

www.klartext-verlag.de

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

INHALT

Vorwort(Andreas Tyrock)

Rache ist Blutdurst(Markus Alferi)

Das zweite Gesicht(Thomas Beneke)

Ruhrpottliebe(Petra Brumshagen)

Wetterleuchten(Werner Drewitz)

Plan B(Birgit Ebbert)

Glück ist ein launisches Wesen(Kirsten Engelhardt)

Das Rattennest(Ulrike Engels-Koran)

Omma hat dat so gewollt(Marco Fileccia)

Firmenfeier mit Absturz(Alexandra Leicht)

Der schöne Schein(Sarah Meyer-Dietrich)

Ebene acht(Astrid Plötner)

Der Schrei des Fotografen(Manfred Vollmer)

Zum Wettbewerb

Autorenverzeichnis

ANDREAS TYROCK

VORWORT

Auch das ist eine Form des Strukturwandels im Revier: Nirgends sonst in Deutschland blüht die Krimischreiber-Szene schon so lange und vielfältig wie im Ruhrgebiet. Und zwar nicht nur unter den Profis, sondern auch unter den Lesern der WAZ. An dem Kurzkrimi-Wettbewerb „Tatort Gasometer“, den die WAZ gemeinsam mit dem Klartext Verlag und dem Gasometer in Oberhausen ins Leben gerufen hat, beteiligten sich junge wie alte Leser – mit Geschichten, die eine enorme Bandbreite von Phantasie und kriminalistischem Gespür erkennen lassen – ganz zu schweigen von einem offensichtlich großen Potenzial an krimineller Energie.

Es sind historische Kurzkrimis darunter aus den Jahren 1927 bis 1929, als der Gasometer für die Gutehoffnungshütte in eine Höhe von 117,5 Metern wuchs. Es gibt kuriose Geschichten von heimlichen Urnen-Ausschüttungen und bösen Verbrecher-Überlistungen bis hin zu solchen von Künstlern, die alles, aber auch alles unternehmen, um im Gasometer ausstellen zu dürfen. So spiegelt sich die Karriere des Gasometers als höchste Ausstellungshalle Europas in den Kurzkrimis wider ebenso wie sein Umbau 1993/94 und einzelne Ausstellungen wie „Der Schöne Schein“. Gehörnte Ehemänner, seltsame Privatdetektive und Rentnerinnen mit extrem langen Fingern – „Tatort Gasometer“ versammelt die gesamte Bandbreite des täglichen Ruhrgebiet-Lebens im Allgemeinen und des kriminellen Miteinanders im Besonderen.

Verbrechen lohnen sich vielleicht nicht – darüber zu schreiben lohnt sich aber schon. Das werden am Ende nicht nur die mit Preisgeldern belohnten Gewinner unseres Kurzkrimi-Wettbewerbs gedacht haben, sondern alle WAZ-Leser, deren Kriminalgeschichten in diesem Sammelband abgedruckt sind. Dies ist eine Auszeichnung, über die sich jeder der Autoren freuen dürfte. Sie können stolz auf das sein, was sie geleistet haben.

MARKUS ALFERI

RACHE IST BLUTDURST

Die Erste?“ „Nein, Herr Oberkommissar Faust, während meiner Ausbildung an der preußischen Polizeiakademie in Berlin habe ich in Pathologieseminaren diverse Leichen begutachten können.“

Kommissar Walter Pieper hockte am Boden der Baustelle für den neuen Scheibengasbehälter und betrachtete den Leichnam. Der süffisante Unterton in der Frage seines älteren Kollegen Hugo Faust war ihm nicht entgangen. Aus den Augenwinkeln konnte Pieper sein spöttisches Lächeln erkennen. Er schenkte ihm keine weitere Beachtung und widmete sich wieder dem Grund ihres Besuchs auf dem Gelände der Gutehoffnungshütte.

Der linke Arm des tot aufgefundenen jungen Mannes war in unnatürlichem Winkel auf dem Rücken verdreht, die übrigen Gliedmaßen waren weit ausgestreckt. Er lag auf dem Bauch.

„Wie hieß er?“

„Kobinski. Karl Kobinski. Tagelöhner.“

„Wissen Sie sonst noch etwas über ihn? Hat er sich anderweitig noch etwas dazuverdient?“

Der Bauleiter beäugte den im Sand liegenden Körper aus gebührendem Abstand. Seine Petroleumlampe erhellte die Szenerie in dem ansonsten dunklen Stahlzylinder. „Sie meinen wegen der zwei toten Zuhälter auf Zeche Osterfeld? Kann sein, weiß ich aber nicht. Ich habe mit solchen Leuten nichts zu tun.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust.

„War er allein auf dem Gerüst?“

„Ja, hier ist um diese Zeit kein Arbeiter mehr. Ich kam auch nur zufällig vorbei, weil ich meine Pläne vergessen hatte. Da hab ich ihn gefunden. Weiß der Teufel, was er hier noch zu suchen hatte.“ Der dickliche Bauleiter blickte fragend den neben ihm stehenden Faust an, der mit einem Achselzucken antwortete.

Pieper hob vorsichtig den Kopf der Leiche an. Ein blutiger, von Sehnen und zerrissener Haut zusammengehaltener Brei aus Fleisch und Knochenstücken. „Er muss aus großer Höhe gefallen sein. Die Knochen in seinem Gesicht und wahrscheinlich auch die in seinem Körper sind regelrecht explodiert.“ Kommissar Pieper legte Kobinskis Kopf zurück in den Staub. Er stand auf und schaute die eingerüsteten, scheinbar endlos in den Himmel emporragenden Wände entlang nach oben.

„Wie hoch wird der Gasometer eigentlich?“

„120 Meter“, erklärte der Bauleiter stolz.

„Wie hoch ist er jetzt?“

„Ungefähr hundert Meter.“

„Können wir hinauf?“

Faust und der Bauleiter wirkten unangenehm überrascht.

„Und was machen wir dort oben?“, fasste der Bauleiter diese Überraschung in Worte.

„Entschuldigen Sie bitte den jugendlichen Tatendrang, Herr Gräfen“, Faust drehte sich zum Bauleiter um, „aber Herr Kommissar Pieper kommt frisch von der Akademie und will sich wohl beweisen.“

Zu Pieper gerichtet sprach er mit herablassender Stimme: „Wir haben es hier mit einem Unfall zu tun, mein werter Kollege. Er ist das Gerüst hinuntergestürzt. Allenfalls war es Selbstmord.“

„Es war kein Selbstmord und auch kein Unfall. Sehen Sie sich den Ärmel seiner Jacke an. Er ist abgerissen. Das zeugt von einem Kampf. Er muss sich gewehrt haben. Gewehrt dagegen, vom Gerüst gestoßen zu werden.“

„Wenn Sie doch schon wissen, dass er hinunter gestoßen wurde, warum wollen Sie dann hinauf?“

„Daktolyskopie.“

„Was ist das? Wieder so ein neumodischer Kram?“

„Neu ist dieses Verfahren in der Tat. Die Fingerkuppen eines jeden Menschen unterscheiden sich anhand der Linien auf seiner Haut. Sobald jemand etwas berührt, hinterlässt er darauf einen Fettabdruck dieser Linien. Solche Fingerabdrücke möchte ich oben auf dem Gerüst suchen. Da sie bei jedem Menschen einzigartig sind, können sie uns zum Mörder führen.“

Triumphierend zog Pieper einen Pinsel und ein Puderdöschen aus seiner Manteltasche.

„Das ist doch Hokuspokus. Wir klettern doch jetzt nicht da hoch, nur damit Sie ein paar Fettabdrücke suchen können!“

Faust lachte höhnisch.

Kommissar Pieper blieb ruhig.

„Sie wollen nicht auf dieses Gerüst. In Ordnung. Aber beantworten Sie mir doch wenigstens die Frage, woher Sie und der Bauleiter sich kennen.“

Das Lachen verstummte. Die beiden Herren schauten Pieper verblüfft an. Bevor sie irgendetwas erwidern konnten, fuhr Pieper fort.

„Sie haben den Bauleiter eben mit Namen Gräfen angesprochen. Er hat sich uns aber, seit wir auf dem Hüttengelände eingetroffen sind, nicht namentlich vorgestellt.“

„Jaja, wir kennen uns flüchtig. Oberhausen ist nicht Berlin. Hier läuft man sich schon mal über den Weg.“

Faust nahm ein Taschentuch aus seiner Hemdtasche und tupfte sich Schweißperlen von der Stirn. Bauleiter Gräfen trat nervös von einem Fuß auf den anderen.

„Sie hielten es nicht für nötig, mir gegenüber ihre Bekanntschaft zu erwähnen“, fuhr Pieper fort, „und Sie möchten nicht, dass ich eine Daktolyskopie durchführe. Befürchten Sie etwa, dass ich dort oben Ihre Fingerabdrücke finde?“

„Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst!“, schrie Faust, sein Kopf nahm eine dunkelrote Farbe an. „Das lasse ich mir nicht bieten! Ich werde eine Dienstaufsichtsbeschwerde wegen Verleumdung gegen Sie einreichen. Sie unterstellen mir ein Kapitalverbrechen. Da ist mir auch egal, ob Ihr Vater der Polizeipräsident von Potsdam ist. Und überhaupt, wie soll ich etwas damit zu tun haben? Er ist doch eben erst gestorben. Da waren wir zusammen auf der Wache.“

„Falsch. Kobinskis Blut ist geronnen. Er muss schon länger hier liegen. Außerdem konnte Herr Gräfen uns sofort mitteilen, um wen es sich bei dem Toten handelt. Haben Sie sich sein Gesicht angesehen? Den würde nicht mal mehr seine eigene Mutter erkennen. Woher wusste der Bauleiter dann, wer hier liegt?“

Pieper lächelte und fuhr fort: „Sie und Herr Gräfen haben kurz nach Schichtende Kobinski auf dem Gerüst aufgehalten und ihn hinunter gestoßen. Dann sind Sie zum Revier gegangen und Herr Gräfen nach Hause. Herr Gräfen ist dann absprachegemäß nach Stunden hierher zurückgekehrt und hat uns benachrichtigt.“

„Pieper, hören Sie“, Faust sprach jetzt ganz ruhig, „Kobinski war ein kleiner Lude. Hat uns hin und wieder ein Flittchen aus der Eisenheimsiedlung zugeführt. Was soll’s, wir sind schließlich Männer. Aber nach den Morden auf Osterfeld hat er Angst bekommen, wollte auspacken. Damit hätte er uns ruiniert. Die Welt ist nicht schlechter ohne ihn. Kommen Sie Pieper, stecken Sie den Pinsel ein und belassen Sie es beim Selbstmord. Wir wollen doch alle keine Probleme wegen dieses Kerls.“ Faust deutete auf den zerschmetterten Kobinski. Bauleiter Gräfen grinste.

„Was für Flittchen?“

Faust und Gräfen schauten Pieper verdutzt an.

„Sie sprachen von irgendwelchen Flittchen, die Kobinski Ihnen zugeführt hat. Wen genau meinen Sie?“

„Sie wissen schon“, Faust grinste Pieper schmierig lächelnd an, „irgendwelche jungen Proletarierweiber, die sich ein bisschen was dazuverdienen wollen. Wenn Sie Lust haben, mache ich Sie mit ein paar von denen bekannt. Aber zuerst sollten wir dieses Missverständnis hier vergessen.“ Faust und Gräfen blickten Pieper erwartungsfroh an.

„Ich vergesse nicht“, enttäuschte er sie sogleich.

Unvermittelt griff Faust in die Innentasche seines Mantels. Ein großer Revolver blitzte hervor. Doch bevor er zielen konnte, warf Pieper die Tuschedose auf ihn. Er traf Faust im Gesicht. Eine große Wolke schwarzen Staubs breitete sich über ihm aus. Hustend ließ er den Revolver fallen.

Plötzlich machte Gräfen einen Satz auf Pieper zu. Im Affekt streckte Pieper den Pinsel aus. Er traf Gräfen an der Kehle. Röchelnd fiel er zu Boden.

Dann fielen Schüsse. Faust, der wieder zu Atem gekommen war, hatte seinen Revolver aufgehoben und feuerte wild ins Dunkel. Aber er traf nicht. Als die Trommel leer war, hob Walter Pieper die neben Gräfen liegende Lampe auf. Der Bauleiter röchelte nicht mehr.

Pieper trat auf Faust zu.

„Pieper, bitte! Ich habe Familie.“

Schützend hielt er seine fleischigen Hände zwischen sich und Pieper und wich zurück, während dieser langsam auf ihn zutrat.

„Ich hatte auch Familie. Eine Schwester, Helene.“

Faust verstand nicht.

„Ich werde Ihnen auf die Sprünge helfen“, fuhr Pieper fort, während er Faust immer weiter zurückdrängte, „sie war eines dieser Flittchen, wie Sie sie nennen. Sie wollte ihr Glück im Ruhrgebiet suchen, ist aber an den falschen Mann geraten. Kobinski.“

„Was? Ich wusste ja nicht … ich habe sicher nicht …“, stammelte Faust.

„Meine Schwester konnte die Schändungen irgendwann nicht mehr ertragen. Sie nahm sich das Leben. Vorher schrieb sie meinen Eltern und mir einen Abschiedsbrief, in dem sie uns von ihrem Leid berichtete. Mein Vater sorgte sofort dafür, dass ich hierher versetzt wurde, um Karl Kobinski zu finden. Sie sind mir wohl zuvorgekommen.“

„Die toten Zuhälter. Das waren Sie!“

Faust stolperte im Rückwärtsgehen über eine am Boden liegende Holzlatte und fiel. Kommissar Walter Pieper trat direkt über ihn.

„Immerhin kann ich noch einige ihrer Peiniger zur Rechenschaft ziehen. Rache ist Blutdurst.“ Pieper zog seinen Revolver.