Tatort Oberpfalz (eBook) - Eckert Horst - E-Book

Tatort Oberpfalz (eBook) E-Book

Eckert Horst

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Beschreibung

Nach dem großartigen Erfolg der Tatort Franken-Reihe rückt nun die Nachbarregion ins Visier. In Tatort Oberpfalz geben sich renommierte Krimiautoren die Klinke in die Hand und beleuchten in zehn kurzen Kriminalgeschichten voller geistreicher, witziger Einfälle, spannender Höhepunkte und überraschender Wendungen das vermeintliche Idyll zwischen Fichtelgebirge und Regensburg und von Neumarkt bis zur tschechischen Grenze von seiner gefährlichen Seite. Mörderische Spannung und jede Menge Oberpfälzer Lebensart sind also garantiert

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Vollständige eBook-Ausgabe der im ars vivendi verlag erschienenen Originalausgabe (1. Auflage September 2013)

© 2021 by ars vivendi verlag GmbH & Co. KG, Bauhof 1, 90556 Cadolzburg

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar.

www.arsvivendi.com

Lektorat: Stefan Naguschewski

Covergestaltung: © Nina Gottlieb

Datenkonvertierung eBook: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach

eISBN 978-3-8691-3279-2

Tatort Oberpfalz

Inhalt

Hilde ArtmeierAb in die Südsee

Markéta ČekanováDer letzte Gerechte

Norman DankerlGrab ohne Leiche

Horst EckertDrei Taschen für Mama

Lotte KinskoferBauernopfer

Raimund A. MaderWolfsfieber

Petra NackeHumankapital

Sonja SilberhornKalt ist’s

Max StadlerZurück …

Elmar TannertMord verjährt nie

Die Autoren

Hilde Artmeier

Ab in die Südsee

»Denk einfach an die Kohle, Kleine«, grunzt Pjotr und kramt Mütze und Strumpf aus dem Handschuhfach. »Ansonsten alles okay?«

Nichts ist okay. Vor allem, wenn ich die Ausbuchtung in der Brusttasche seiner schwarzen Jacke richtig deute. Aber ich nicke nur.

Draußen ist alles ruhig. Klar, um drei Uhr morgens schlafen vermutlich die meisten Bewohner des einsam gelegenen Villenviertels am Stadtrand von Regensburg. Nur wir beide kauern hier im frischen Dunkel, horchen auf jedes noch so leise Geräusch, beobachten das Anwesen, in dem sich die langen dreißig Minuten, während derer wir schon hier sitzen, immer noch nichts gerührt hat. Und trotz der kühlen Nachtluft schwitzen wir.

Das heißt, ich schwitze.

»Mach dir nicht in die Hosen«, raunt Pjotr mir gönnerhaft zu, tätschelt mir das Knie und zieht etwas Schweres, metallisch Glänzendes aus der Brusttasche. »Ist ja nicht das erste Mal, dass ich so was mache.«

»Lass bloß die Knarre hier!« Fast gleichzeitig drehe ich das Knie weg und schnappe nach Luft. »Verdammt, das war nicht ausgemacht!«

Er lacht nur, zwickt mich zum vermutlich zehnten Mal in den Oberschenkel, zieht sich den Strumpf übers Gesicht, öffnet lautlos die Wagentür. Wie ein Panther pirscht er durch die Nacht, schwarz und geschmeidig. Dann verschwindet er hinter der mannshohen Hecke.

Eigentlich ist mein Job kinderleicht. Nur warten, hieß es, Chauffeurin spielen, die Gegend beobachten. Doch als ich das Handy aus der Hosentasche ziehe und einschalte, merke ich, dass die Hände mir kaum gehorchen wollen. Was, wenn doch irgendein Nachbar nach einer zu langen Wirtshaustour nach Hause torkelt und mich erkennt? Was, wenn die Bullen ausgerechnet in dieser einsamen Gegend Streife fahren? Was, wenn dieser Idiot von Pjotr die alte Dame mit dem zauberhaften Lächeln über den Haufen knallt?

Ich kurble das Fenster auf der Fahrerseite herunter, blicke hinaus, atme die frische, nach Flieder duftende Nachtluft ein, lausche angestrengt. Nichts. Weder Schritte auf dem Asphalt noch der Motor eines sich nähernden Autos. Nur das Wasser plätschert kaum hörbar ans nahe Ufer, und in der Ferne blinken vereinzelt Lichter, irgendwo am anderen Donauufer. Hier in der Nähe der Fähre, die von Großprüfening, diesem äußersten Regensburger Stadtteil, jeden Sonntag nach Sinzing übersetzt, ist die Donau schmal und überschaubar. Wie in ganz Regensburg übrigens und völlig anders als weiter flussabwärts, bei Straubing etwa, wo der Strom beängstigend breit und grenzenlos ist und ich mich immer wieder so verloren fühle, dass mir beim bloßen Anblick das Atmen schwer fällt. Hier hingegen erfüllt mich der Fluss mit Ruhe.

In der Nacht wirkt er allerdings manchmal unheimlich. Wie ein glitzerndes, schwarzes Band fließt er jetzt unter der Mondsichel dahin, die mir dünn und zerbrechlich erscheint, während nur wenige Sterne am von Schleierwolken überzogenen Himmel funkeln. Fast kann man meinen, die Donau berge Geheimnisse – alte, düstere, gefährliche …

Seufzend mache ich das Fenster wieder zu. Meine Fantasie geht mit mir durch, und wieder einmal kommt meine lyrische Ader zum Vorschein. Beides ein Erbe meines Vaters, eines ebenso begabten wie erfolglosen Schriftstellers. Schon als Kind habe ich mir geschworen, es später zu mehr zu bringen als zu spärlichem Ruhm und drei, vier Gedichtbänden, die kaum jemand lesen will.

Vermutlich sitze ich auch aus diesem Grund hier. Aber wenigstens bin ich jetzt allein. Wenn man eine halbe Stunde lang so eng aufeinander hockt wie ich gerade noch mit diesem Pjotr, wie soll man sich da dessen ständig fummelnde Finger vom Leibe halten? Der hat sich nicht im Griff. Hoffentlich klappt zumindest das in der Villa.

Wieder denke ich an den versuchten Kunstdiebstahl in der Ostdeutschen Galerie vor vier, fünf Monaten. Stand ja groß in der Zeitung. Geklaut wurde nichts, dafür hat man den Nachtwächter erschossen, der im Museum den Alarm ausgelöst hatte. Pjotr hat sich zwar nur in Andeutungen ergangen, aber mir ist klar, dass er dahintersteckt. Die arme Witwe, jetzt steht sie da mit den drei Kindern. Das Älteste ist erst sieben. Warum habe ich mich nur auf diesen Mist hier eingelassen?

Sechs Wochen ist das jetzt her. Da hab ich Pjotr zum ersten Mal getroffen. In Grace Kellys Villa, da hinter der Hecke. So nenne ich meine Chefin insgeheim. Vor vierzig Jahren, als die Baronin Angelina von Birkengrund jung, frisch verheiratet und vermutlich noch umwerfender war als in ihren reifen Jahren, muss sie wirklich wie die Hollywood-Schauspielerin und spätere Fürstin Gracia von Monaco ausgesehen haben. Ich weiß noch, wie ich als Kind Grace Kelly in dem Film Über den Dächern von Nizza bewunderte. Sie und die glitzernden Steine an Hals und Handgelenken, auf die der Meisterdieb John Robie alias Cary Grant aus war. Aber auch er konnte sich nicht entscheiden, was ihm besser gefiel: Der Schmuck oder die blonde Frau, die ihn trug.

Doch ich schweife ab. Also, zu Baronin Angelinas Siebzigstem war alles geladen, was Rang und Namen hat. Wie hatte ich gewienert, geschrubbt und gebürstet, damit die abgetretenen Parkettböden und zerschlissenen Teppiche halbwegs vorzeigbar aussahen. Bis auf die paar Antiquitäten in der renovierungsbedürftigen Villa und den alten Bentley hat die Chefin ja nichts vorzuweisen. Okay, auch noch eine begabte Köchin, die für Kost und Logis arbeitet, das Segelboot im Yachthafen von Sinzing und den jahrhundertealten Familienschmuck, den die Baronin wie alles andere von ihrem verstorbenen Mann geerbt hat. Außerdem ihre unzähligen Bekannten, von denen nicht jeder so standesgemäß ist, wie er vorgibt.

Auch Pjotr Huber tanzte an. Sein Vater war der angesehenste Antiquitätenhändler weit und breit, ein knallharter Geschäftsmann mit guten Manieren. Vor zwei Jahren ist er überraschend gestorben, und seither leitet Pjotr das Geschäft in der Kreuzgasse. Mehr schlecht als recht, wie man hört. Lieber treibt er sich überall dort herum, wo es etwas umsonst gibt. Spielt den Charmeur, prahlt mit vergangenen Erfolgen, versucht ständig, meiner Chefin das Meissener Porzellan abzuluchsen. Nicht mal bedankt hat er sich, als ich ihm nach dem fünfgängigen Menü Hut und Mantel reichte.

Zwei Tage später stand er dann plötzlich vor meiner Mansardenwohnung in der Benzstraße, eine Flasche überraschend teuren Whisky in der Hand. Anfangs hatte ich Angst, dass er mich zuerst abfüllen und dann flachlegen wollte. Aber ich vertrage einiges, und den Whisky wollte ich mir natürlich nicht entgehen lassen. Und außerdem war er aus einem anderen Grund gekommen.

Nach dem ersten Glas erfuhr ich, dass er seinen Namen hasste und es seiner Mutter, einer Konzertpianistin aus dem Spessart mit einer Vorliebe für Tschaikowski, immer noch verübelte, ihren einzigen Sohn nicht als Thomas oder Stefan ins Leben geschickt zu haben. Ausgerechnet »Pjotr« musste es sein. Aber es gibt schlimmere Schicksale.

Antiquitätenhandel sei ein hartes Geschäft, hörte ich beim dritten Glas. Vor allem, wenn man lieber das Spielcasino in Bad Füssing besucht, hätte ich fast gesagt. Das weiß ich von Baronin Angelinas Köchin.

Natürlich müsse man vorbauen, meinte Pjotr beim vierten Einschenken. Für die Zukunft. Jeder müsse das, so sexy Ex-Knacki-Bräute wie ich genauso wie Einzelunternehmer mit nicht mehr ganz so florierendem Laden.

»Da kommst du nie rein«, urteilte ich nach dem fünften Zuprosten. »Die Alarmanlage ist bombensicher. Die hat die Chefin von einem Verehrer gekriegt, für ’nen Spottpreis.«

»Jede Alarmanlage kann einen Kurzen haben«, spöttelte Pjotr.

»Dann bin ich meinen Job los. Und wo kriege ich einen neuen her?«

So eine gutherzige Seele wie die Baronin findet man selten. Die pfeift auf Lebensläufe. Juwelenraub und Trickbetrügerei – wie amüsant, meinte sie nur, als ich ihr beim ersten Freigang über die Straße half. Nur mit der Pünktlichkeit nimmt sie’s furchtbar genau. Und von einer Lohnerhöhung will sie grundsätzlich nichts hören. Ein Grund mehr, meine eigenen Pläne zu schmieden.

»Nach diesem Coup brauchst du keinen Job mehr. Da sonnst du dich für den Rest deines Lebens in der Südsee, Kleine.«

»Bei Zwanzig zu Achtzig reicht mein Anteil grad mal für den Flug.« Ich guckte ihn schief an. Judith heiße ich. Ist es so schwer, sich das zu merken?

»Weniger Risiko, weniger Kohle.«

Ein schlagkräftiges Argument. Davon versuchte ich am nächsten Tag auch meinen Benny zu überzeugen. Schließlich kann man auch am Gardasee Urlaub machen oder am Lago di Trasimeno. Benny fing natürlich an zu stänkern. Er muss ja immer ans Meer, am besten nach Hawaii. Aber ich greife vor.

Zunächst tüftelten Pjotr und ich den Plan aus. Klang ganz einfach: Jeden Mittwoch übernachtet Baronin Angelinas Köchin bei ihrer Tante. Der Tresor ist im ersten Stock. Zweite Tür links, am Sekretär vorbei, hinter dem Ölschinken, auf dem Segelschiffe und Delphine durch ein azurblaues Meer gleiten. Einmal hab ich die Chefin überrascht, als sie vor dem geöffneten Safe in Jugenderinnerungen schwelgte. Rubine, Smaragde, Saphire, ein Riesendiamant aus Indien, das Diadem offenbar ein Geschenk von irgendeinem florentinischen Fürsten aus dem Hause der Medici, sechzehntes Jahrhundert. Wenn ich richtig rechnete, war sie damals schon verheiratet. Bei meiner Bemerkung lächelte sie nur versonnen, aber jedenfalls stand auf der Versicherungspolice im Sekretär was von einer Million.

Ob ich vielleicht die Zahlenkombination gesehen hätte, fragte Pjotr ungewohnt freundlich.

Klar hatte ich. Die Kopie des Zettels, auf dem meine Arbeitgeberin die paar Nummern notiert hatte, steckte in meiner Hosentasche. Doch ich ließ ihn schmoren.

Nach zwanzig Minuten Herumgenörgle ging er zumindest ein wenig rauf mit den Prozenten, und ich zeigte ihm die Kopie des Zettels. Alte Damen sind vergesslich, das weiß jeder. Zwischendurch kam mir dieser böse, kleine Verdacht, dass er nur deshalb auf Vierzig-Sechzig einging, weil er mich am Ende doch übers Ohr hauen wollte. Aber wie sollte er das Ding ohne mich drehen? Und mein Benny will nun mal unbedingt vier Monate unbezahlten Urlaub.

Deshalb sitze ich jetzt hier und warte. Neun Minuten sind schon rum. Was passiert bloß da drin? Wenn der Blödmann die Knarre benutzt, dann sind wir geliefert. Am Ende muss ich noch ran und mit aufräumen helfen. Ich kann kein Blut sehen. Konnte ich nie. Hab immer sauber gearbeitet, darauf geachtet, dass alles auf meine Weise gelaufen ist. Und die Flecken im Kofferraum kriegt man ohnehin so schwer wieder raus. Du alte Zimperliese, hat mir mein Benny erst neulich wieder gesagt, dauernd brauchst du eine Extratour – und zu gutmütig bist du sowieso. Eigentlich hat er mich eher angegiftet. In letzter Zeit streiten wir ständig. Und zwar nicht nur wegen des Urlaubs auf Hawaii. Manchmal denke ich, er hat eine Andere.

Wieder ein Blick auf die Uhr. Zwölf Minuten. Wie lange dauert das denn noch? Wer hat eigentlich behauptet, dass die Zeit fliegt? Wenn man wartet, angespannt, atemlos, dann scheint sie nicht in die Gänge zu kommen. Also denke ich an das Knistern der Scheine, die ich bald in Händen halten werde, an die Sonne am Strand und die Nächte mit Benny. Nach einigem Hin und Her haben wir uns schließlich auf das Mittelmeer geeinigt. Wenn ich es mir lange genug einrede, halte ich es irgendwann sicherlich für einen extrabreiten Fluss. Wo es doch im Unterschied zur Donau sogar an fast allen Seiten von Land umgeben ist.

Ein Surren zerreißt die Stille.

Wie in Trance greife ich nach dem Handy. »Ja?«

»Komm rein!«

Ich ziehe die Handschuhe über. Dann steige ich aus dem Wagen, schleiche in den Garten, die Terrassenstufen hinauf, leise, ganz leise, durch die angelehnte Glastür, den nachtdunklen Salon, über die Treppe in die erste Etage.

Die zweite Tür links steht offen, ein kleines, schummeriges Licht zeigt mir den Weg, mein Herz klopft eine Spur zu laut. Das Ölbild ist zur Seite geklappt, der Tresor geöffnet. Überall glimmert und glitzert es. Auf dem Boden vor dem Sekretär liegt eine zusammengekrümmte Gestalt. Blut klebt auf dem Perserteppich, überall sind hässliche rote Flecken. Mir wird speiübel.

»Da rüber«, raunt mir mein Gegenüber zu, das wie ein Schatten im Dunkeln lauert und krampfhaft etwas in beiden Händen festhält.

Widerwillig packe ich die schlaffen Arme, ziehe den Körper zu der angewiesenen Stelle, gehe in die Knie, taste nach dem Puls. Kaum mehr spürbar. In höchstens fünf Minuten ist alles vorbei. Aber da sitze ich schon lange wieder im Wagen und bin aus dem Schlamassel raus. Ein schneller Blick zu den Fenstern. Alles zu. Die Holzläden lassen keinen Schein nach draußen und keine neugierigen Blicke ins Innere. Schon bin ich beim Safe, stecke die Juwelen in Pjotrs Beutel, der zu Boden gefallen ist, schiebe ihn mir unter den Pullover.

»Und wie läuft das noch mal mit dem Geld?«, frage ich sicherheitshalber.

Im gleichen Moment merke ich, dass plötzlich auch an meinen Handschuhen Blut klebt. So ein Mist …

»So wie mit dem Schmuck«, sagt Baronin Angelina mit dieser sanft perlenden Stimme, die mich wie ihr Lächeln von Anfang an verführt hat. »Sobald du ihn gegen Bares eingetauscht hast, wird alles geteilt. In ein paar Wochen hat die Versicherung mir den Schaden sicherlich ersetzt.«

Entspannt lässt sie das Handy in die Tasche ihres getigerten Morgenmantels gleiten, den ich nie zuvor gesehen habe, und stellt mit der anderen Hand die Statue aus Carrara-Marmor auf den Sekretär. Botticellis badende Venus, auch sie ist voller Blut. Mit einer eleganten, erstaunlich schnellen Bewegung hebt meine Chefin dann den Revolver auf, der Pjotr bei dem Schlag auf den Hinterkopf aus der Hand gefallen sein muss. Ihre siebzig Jahre sieht man der Baronin wirklich nicht an.

»Also Fifty-fifty?«, hake ich nach und wische mir verstohlen die Hände an der Hose ab.

Sie muss ja nicht wissen, wie mein eigener Plan aussieht. Sobald die Hälfte des Geldes von der Versicherung auf meinem Nummernkonto liegt, steige ich mit Benny und den Juwelen in den nächsten Flieger.

»Was sonst?« Grace Kellys gealtertes, aber immer noch engelsgleiches Gesicht leuchtet mir im dämmerigen Lichtschein schemenhaft entgegen. »Und jetzt geh! Wenn ich die Alarmanlage wieder anschalte, dauert es keine zehn Minuten, bis es hier vor Polizisten wimmelt.«

»Die werden Augen machen, wenn ihnen der lange gesuchte Raubmörder aus der Ostdeutschen Galerie in den Schoß fällt.«

Wieder wische ich mir über die Hose. Aber das verdammte Blut geht einfach nicht ab. Inzwischen ist mir so schlecht, dass ich mich sogar am Sekretär festhalten muss. Die Chefin mustert mich aufmerksam.

»Kompliment, ein wirklich gezielter Schlag«, lenke ich ab. Doch meine Stimme klingt matt und allzu zart.

»Ich wusste schon bei meinem Mann, wo ich zuschlagen muss«, entgegnet die Chefin lässig. »Seit zehn Jahren liegt er jetzt draußen in der Donau. Und nun verschwinde endlich!«

Also hat der Fluss doch ein dunkles Geheimnis, denke ich, als ich benommen zur Tür gehe. Und wenn bloß die Bullen nicht gleich an mich denken. Bei meiner Vorgeschichte …

»Ich werde der Polizei natürlich erzählen, dass der zweite Einbrecher ein Mann gewesen ist«, höre ich die Stimme der Baronin hinter mir. »Groß war er, schlank, mit wunderschönen blauen Augen und langem schwarzem Haar. So richtig zum Verlieben.«

Sofort bleibe ich stehen. Das klingt doch ganz nach meinem Benny. Ich wusste gar nicht, dass die Chefin ihn kennt …

Und plötzlich steht er vor mir, wie aus dem Nichts ist er aufgetaucht. Ich kneife die Augen zusammen. Aber er ist es wirklich. Hinter mir höre ich das leise, höhnische Lachen der Baronin. Mit einem unverschämten Grinsen streckt Benny die Hand aus.

»Gib mir den Schmuck, Judith«, sagt er in einem Tonfall, als würde er mich an die Abflugzeit des Fliegers erinnern.

Dabei weiß ich mit einem Mal genau, dass er ihn weder mit mir besteigen noch ans Mittelmeer fahren wird. Verdammte Südsee …

Doch noch bevor ich etwas sagen kann, sehe ich aus den Augenwinkeln etwas Schweres, metallisch Glänzendes schräg hinter mir. Ich drehe den Kopf. Im selben Moment höre ich ein leises Klicken und in der nächsten Sekunde kracht es schon.

Markéta Čekanová

Der letzte Gerechte

Aus dem Tschechischen von Elmar Tannert

Im Sibyllenbad herrschte erstickende Schwüle. Der kühlste Ort der zweistündigen Anwendung hatte fünfunddreißig Grad, wenn man von ihrem Ende im kalten Schwimmbecken absah. Aber die zwei Männer hätten ihre erhitzten Gemüter nicht einmal dann abkühlen können, wenn mitten im orientalischen Bad eine Eislaufbahn gewesen wäre.

»Ich hab genug für dich getan!«, schrie der grau melierte, fast 60-Jährige, an dessen Statur man Wohlstand und Bewegungsmangel ablesen konnte. »Es gibt eben Grenzen, die man einfach nicht überschreitet. Gerade jetzt, wo sie den Holzbach aus Regensburg wegen der Zuwendungen untersuchen. Und Margit würde die Sache auch nicht durchstehen«, schnaubte er.

»Deine Cousine in der Landesregierung! Dein Trumpf! Aber ich will dir mal was sagen, Günter. Das Ass, das du da hast, ist gleichzeitig deine Achillesferse. Und einmal wird es dir das Genick brechen!« Der feingliedrige jüngere Mann fuhr mit dem Zeigefinger durch die glühend heiße Luft, als wollte er sein Gegenüber erstechen, der sich daraufhin wütend umdrehte und das Bad verließ, ohne das Ende der Prozedur abzuwarten. Der Empfangschef rief ihm zu, er solle sich Tee nehmen und sich in den Ruheraum begeben, doch der Grauhaarige stapfte mit finsterer Miene zur Garderobe.

Polizeidienststellen sind überall auf der Welt unwirtliche Orte, die auch durch Osterschmuck nicht schöner werden. Sabrina stand vor der Tafel, an der die Fotografien fünf toter Männer hingen. Man hatte sie in Tschechien gefunden, nicht weit von der Grenze, ohne Papiere und ohne Auto. Brutal erschlagen. Zwei waren aus Regensburg, einer aus Mitterteich. Die Identität der beiden übrigen war noch immer ungeklärt. Alle fünf hatten kurz vor ihrem Tod Geschlechtsverkehr gehabt. Ansonsten gab es keine Gemeinsamkeiten.

Kaffeeduft stieg ihr in die Nase. Sie drehte sich um und erblickte ihren Chef mit einer großen Tasse in der einen und einem Stück Gugelhupf in der anderen Hand.

»Der trauliche Familienherd«, lächelte sie ironisch.

»Mir wird er allmählich zu heiß. Im September ist meine Tochter zum Studieren nach England, und seitdem hat es meine Frau hingekriegt, mir zwölf Kilo mehr auf die Rippen zu schaffen. Ich werde bald aussehen wie ihr Lieblingsserienheld, der Bulle von Tölz.« Mit einer Handbewegung deutete er eine fettleibige Gestalt an.

»Da hast du aber Glück gehabt, dass du den Fasching und das Schlachtfest überlebt hast. Wahrscheinlich hattest du das Schlachtgewicht noch nicht erreicht«, grinste sie, und der Kriminaloberinspektor von Tirschenreuth warf ein angebissenes Stück Gugelhupf nach ihr.

Günter Brunner lehnte sich bequem in den weichen Sitz seines Mercedes und trat aufs Gaspedal. Die Landschaft zog am Fenster vorbei, Wälder wechselten sich mit Feldern ab, Teiche mit Dörfern. Im Norden schimmerten die letzten Schneereste, in südlicher Richtung grünte das erste junge Gras. Der grau melierte Geschäftsmann rückte seine Brille zurecht, schaltete einen Gang zurück, und der Wagen nahm mit Schwung die Kurve über die Anhöhe. Unten bei der Kreuzung sah er sie: ein schlankes Mädchen in engen Jeans und einer Lederjacke bis zur Taille. Er lächelte und hielt direkt neben ihr an. Als sie sich zum Wagenfenster beugte, ließ ihn ihr Gesichtsausdruck nicht eine Sekunde im Zweifel, dass es ihr nicht um eine Mitfahrgelegenheit ging.

»Und, wie sieht’s aus? Scheidung überstanden?«, ließ sich Kapitán Borůvka vernehmen, kaum dass Major Suda zur Tür hereingekommen war.

»Ich hätte sie gleich nach der Hochzeit umbringen sollen, dann hätte ich die Strafe jetzt schon abgesessen«, winkte Suda ab, warf seine Jacke auf den Kleiderständer und steuerte sein Büro an. Dann drehte er sich um. »Sie ist überhaupt nicht erschienen, weil sie angeblich ihre Papiere verloren hat«, fügte er hinzu und fragte: »Habt wenigstens ihr hier bessere Nachrichten für mich?«

Borůvka erhob sich. »Wenn du auf besseren Nachrichten bestehst, haben wir leider überhaupt keine.«

Suda wurde aufmerksam.

»Aus dem Labor haben wir Neuigkeiten über den letzten Toten aus dem Wald bei der Grenze. Alles genauso wie bei den fünf Opfern vor ihm. Direkt vor seinem Tod hatte er Geschlechtsverkehr. Ansonsten nichts Besonderes, nichts, woran man ihn identifizieren könnte.« Borůvka übergab seinem Vorgesetzten eine Mappe mit ein paar Blättern.

»Na, fajn. Da werden wir ja ganz prächtige Ostern haben«, sagte Suda, nachdem er den Text überflogen hatte.

»Das ist nicht dein Ernst. Magda und ich, wir wollten …«, versuchte der noch nicht fünfunddreißigjährige Kapitán einzuwenden.

»Nimm dir ein Beispiel an mir: Halt dir die Frauen vom Leib. Pack dir Sachen für drei Tage ein und schnapp dir ein Fahrrad. Am Nachmittag fahren wir. Eine Kombination aus Ermittlung und körperlicher Ertüchtigung.« Suda warf die Mappe auf Borůvka Schreibtisch und schloss sich in seinem Büro ein.

»Gibt es nicht einen Paragrafen, der Folter am Arbeitsplatz verbietet?«, ächzte der Kapitán und schickte sich an, seine Freundin anzurufen.

Auf dem Weg zur Kappl trat eine etwa dreißigjährige Schwarzhaarige von fülliger Gestalt in die Pedale. Vor dem Rundbau mit den drei Türmen sprang sie vom Fahrrad, lehnte es an einen Baum, atmete die Frühlingsluft ein und ließ den Blick über die erwachende Landschaft schweifen. Sie öffnete sich ihr zu Füßen in verlockende, grenzenlose Weite. Doch kaum war die Frau in ihren Gedanken versunken, näherten sich, etwas außer Atem, zwei Männer. Sie sprachen Tschechisch.

»Kostel Nejsvětější Trojice. Die Dreifaltigkeitskirche des Baumeisters Georg Dientzenhofer. Sie gilt als der bemerkenswerteste Sakralbau in Deutschland. Überall in ihr tritt die Zahl Drei auf.« Borůvka sprach wie ein Fremdenführer.

»Hast du ein Lexikon verschluckt?«, erkundigte sich Suda.

»Tschuldigung, Chef.«

Suda gab ihm einen freundschaftlichen Stoß und trat zur geöffneten Kirchentür. Innen befand sich keine Menschenseele. Doch alles war offen, in der Büchse klimperten Münzen, von den Sockeln blickten mitleidsvoll Heilige herab, und der Altar funkelte golden.

»Kannst du dir bei uns so eine offene Kirche vorstellen? Da wäre bald nicht einmal mehr eine Bank übrig«, seufzte Major Suda.