Tattoohexe - Dominic Mertins - E-Book

Tattoohexe E-Book

Dominic Mertins

0,0

  • Herausgeber: tredition
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2024
Beschreibung

Wenn ihr die Macht hättet, anderen magische Fähigkeiten zu verleihen, würdet ihr sie nutzen? Für Inka kommt diese Frage zu spät, denn erst nach zehn Jahren des Tätowierens stellt sich heraus, dass sie genau diese Gabe besitzt. Ihre Tattoos verleihen dem Träger magische Kräfte. Nach einer unschönen Offenbarung ihrer Gabe fasst sie den Entschluss, sich um diesen Schlamassel zu kümmern. Unzählige Kunden mit magischen Motiven. - Und die Tattoohexe steckt mittendrin. Zusammen mit ihrer Katze Schnursula und ihren Freunden begibt sie sich auf die Jagd nach ihren Motiven und den vermeintlich bösen Trägern. Doch was ist eigentlich gut? Und was ist böse? Wer hat ein magisches Tattoo verdient und wer nicht? Wie entscheidet ihr?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 515

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Dominic Mertins

TATTOO

HEXE

Impressum

© 2023 Dominic Mertins

Website: www.dominic-mertins.de

Coverdesign von: Florin Sayer-Gabor, www.100covers4you.com

Korrektorat von: Vanessa Tews

Illustrationen von: Sabine »Wölfi« Wolfmeier

Satz & Layout von: Sternschmiede Buchdesign

Grafiken der Kapitelzierden von pexels.com

gestaltet mit Canva.com

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: Dominic Mertins c/o Block Services, Stuttgarter Str. 106, 70736 Fellbach, Germany.

Dieses Buch widme ich mir.

Um mich immer daran zu erinnern, dass Selbstliebe mich auffangen wird, wenn andere mich wieder an mir zweifeln lassen wollen.

Um es mit Inkas Worten zu sagen...

... FUCK YOU! –

Ich stehe auch ein weiteres Mal wieder auf!

Inhalt

Content Notes

Ein ganz normaler Tag

Ein äußerst verrückter Tag

Schnursula

Familienrezepte

Recherche

Pappsatt

Was ist GUT und was ist BÖSE?

Halt stop

Wikingerbibliothekar

Naschkatze

Organisiert statt impulsiv

Home Sweet Home

Die Wahrheit befreit

Buße tun

Puppenspieler

Das Spiel mit den Gefühlen

Vampire

Familienfeier

Menschliches Känguru

Viel zu langsam

Fabian

Frühwarnsystem

Stöbern in fremden Sachen

Showdown

Danksagung

Werbung

Content Notes

Liebe Leserinnen und Leser,

bevor ihr in diese Geschichte versinkt, möchte ich euch darauf hinweisen, dass in den Seiten dieses Buches ein paar Themen verwoben sind, die unangenehm zu lesen oder im schlimmsten Fall sogar triggernd sind.

Es gibt Szenen, die ein Thema beiläufig erwähnen, aber auch Passagen, die explizit darauf eingehen.

Meine Geschichte umfasst:

- Alkoholismus / Alkoholsucht / missbräuchlicher Umgang mit Alkohol

- Toxische Beziehungen / missbräuchliches Verhalten in dieser

- Mobbing / insbesondere Bodyshaming / Essstörungen

- Toxische Familienverhältnisse

- Gewalt / Verstümmelungen

- sexualisierte Gewalt und explizite Übergriffigkeit

- Tierquälerei

- Mord / Morddrohungen / Suizid bzw. erweiterter Suizid

- Sexismus

Der Fokus meiner Geschichte liegt nicht auf Spice. Es gibt aber explizite Sexszenen, mit denen du rechnen musst. Diese sind so platziert, dass man im Zweifel einfach springen kann.

Mir liegt es fern, dich zu triggern! Wenn du an dieser Stelle das Gefühl hast, dass mein Buch eine Herausforderung für dich werden könnte, dann leg es bitte weg.

Sollte es auf den Seiten dazu kommen, dass meine Worte ein Unbehagen in dir auslösen, dann tut es mir leid.

Für all diese triggernden Themen gibt es Beratungsstellen, die dir weiterhelfen können. Bitte zögere nicht und nimm Beratungsangebote an, wenn du das Gefühl hast, dass du sie brauchst.

Ein ganz normaler Tag

Ich verzog das Gesicht zu einer grimmigen Grimasse. Schmerz durchzuckte meinen Kiefer, der durch das Zusammenpressen der Zähne erzeugt wurde. Ein Knirschen drang zwischen den Lippen hervor. So leise, dass ich es zwar bemerkte, es am anderen Ende der Leitung aber nicht zu hören war.

»Ich werde sehen, was ich einrichten kann«, murmelte ich ins Handy und hatte Schwierigkeiten, den verspannten Mund überhaupt auseinander zu bekommen. Der Mann, mit dem ich telefonierte, war mein Bruder Kilian.

Nachdem ich ihn in den letzten drei Tagen genau sieben Mal weggedrückt hatte, war es an der Zeit, endlich dranzugehen und mit ihm zu sprechen. Ein Anruf vom Zahnarzt oder Finanzamt wäre mir lieber gewesen, so gerne hatte ich Kilian.

»Ist das Mindeste.« Seine Worte erzeugten in meinem Kopf ein Bild davon, wie er sich die Nase rümpfte. Den eingebildeten Gesichtsausdruck sah ich deutlich vor mir, obwohl das halbe Land uns trennte. »Ist ja wohl nicht zu viel verlangt, sich ab und an bei seiner Familie blicken zu lassen.«

Doch, das war es! Es kostete mich jedes Mal aufs Neue eine Menge Überwindung.

Ich hatte keine schönen Erinnerungen an meine Kindheit. Nicht eine einzige. Selbst Ausflüge in den Zoo waren damals eine Tortur. Ein Familienbesuch wirbelte jedes Mal die Zeit auf, die ich am liebsten vergessen wollte. Wenn meine Familie eins schaffte, dann, dass ich mir immer wie eine Versagerin in ihrer Gegenwart vorkam.

Bevor ich nur ansatzweise antworten konnte, hatte Kilian das Gespräch beendet. Ein leises ›Piep‹ drang an mein Ohr und signalisierte das Ende des Telefonats.

»Tschüss. Dir auch noch einen schönen Tag«, murmelte ich ins Telefon, auch wenn mir klar war, dass Kilian die Worte nicht mehr hörte.

Grimmig stopfte ich das Handy wieder in die Hosentasche der schwarzen Jeans und lief zum Kühlschrank, um mein Mittagessen daraus herauszufischen. Das dumpfe Grollen, das tief aus dem Magen hervorkam, verdeutlichte meinen Hunger. Heute hatte ich mir eine abgepackte Fertig-Currywurst gegönnt.

»Hätte schlimmer kommen können«, redete ich vor mich hin, während das Surren der Mikrowelle den Mitarbeiterraum erfüllte, und damit meinte ich nicht das dekadente Tagesmenü, sondern den Anruf von Kilian. »Besser Kilian, als Steffi.«

Steffi war meine Schwester. Ich mochte weder sie noch Kilian. Stünde ich vor der Wahl, einen von ihnen retten zu müssen, würde ich beide die Klippe hinunterfallen lassen und das mit einem Grinsen auf den Lippen. Müsste ich mich zwingend entscheiden, würde Steffi in den Abgrund stürzen.

Für den ein oder anderen mögen das harte Worte sein, doch wer die beiden kannte, der wusste, dass meine grausigen Gedanken gerechtfertigt waren.

Hastig schlang ich das Mittagessen hinunter und verbrannte mir den Rachen. Ich röchelte und stieß heiße Atemluft dabei aus. Der Schmerz hinderte mich aber nicht daran, so schnell zu essen.

Der nächste Kunde war schon fast an der Reihe und würde jeden Moment durch die Tür kommen. Ich hatte für den vorherigen Termin mehr Zeit gebraucht als vorher vermutet, weshalb es jetzt nur umso stressiger für mich wurde.

Ich schaltete meinen Laptop an. Er erzeugte beim Hochfahren ein surrendes Geräusch. Der kleine Ventilator im Inneren drehte sich so rasant, noch einen Tick schneller und das ganze Gerät wäre wie ein Hubschrauber in die Luft gestiegen.

Nachdem der Rechner hochgefahren war, entspannte er sich. Die Lautstärke wurde angenehmer. Ich klickte in den Ordnern umher, fand die Tattoovorlage und verband meinen Laptop mit dem WLAN des Thermodruckers, um sie auszudrucken.

In der Tasche war nicht nur der Laptop verstaut. In einem extra Fach verbargen sich darüber hinaus Einwilligungserklärungen. Ich stach kein Tattoo, ohne mir vorher eins von ihnen ausfüllen zu lassen. Wer in der Szene aktiv ist weiß, wie wichtig das war.

Neben der Blanko-Zettel lagen dort einige ausgefüllte Dokumente der letzten Male. Ich nahm mir gedanklich vor, sie heute Abend endlich einzuscannen, um sie digital in meinem Archiv abzulegen, war mir allerdings sicher, es auch dieses Mal wieder aufzuschieben. Ich würde jetzt nicht sagen, dass Organisation nicht eine Stärke von mir war, das war sie durchaus. Ich schob sowas einfach nur gerne auf.

Eine entfernte Bekannte, bei der ich im Laden mal als Gasttätowiererin unterwegs war, wurde von einem ihrer Kunden, mal auf Teufel komm raus verklagt. Der Vorfall hatte sie fast um ihre ganze Existenz gebracht und auch ihr guter Ruf hatte darunter ordentlich gelitten. Klagen sprachen sich in der Szene verdammt schnell herum.

Der Grund für die Klage war banal. Das Motiv war tadellos gestochen und es gefiel dem Kunden sogar. Er hatte auch keine allergische Reaktion auf die Farbe. Im Nachgang empfand er den Preis als zu hoch. Und da Dreistigkeit oftmals zieht, hatte er versucht mit einer Klage an sein Geld zu kommen und zusätzlich auf einen Batzen Schmerzensgeld gesetzt.

Um mich gegen etwaige Dinge abzusichern, bestand ich darauf, eine Einverständniserklärung unterschreiben zu lassen. Ich wollte mich auf meinen Job konzentrieren und mir keine Gedanken über Klagen und Gerichtstermine machen und wenn man es formaljuristisch betrachtete, war ein Tattoo nun mal eine Körperverletzung.

Ein »Quaaack« signalisierte mir, dass jemand zur Tür hereinkam. Es fehlte nicht mehr viel und mein Temperament würde die Oberhand gewinnen. Ich stand kurz davor diesen verdammten Bewegungsmelder gegen die Wand zu schmeißen.

Ich hatte schon in einer Menge Studios als Gasttätowiererin gearbeitet. Immer wieder überraschten mich die Konzepte der einzelnen Läden. Einige meiner Kollegen tobten sich nicht nur künstlerisch auf der Haut aus, sondern auch auf den Wänden.

Es war kein Wunder, dass die Läden von kreativen Menschen, kreativ gestaltet waren. Dieses Studio setzte allem, was ich schon gesehen hatte, die Krone auf. Es stand unter dem Motto Frösche.

Die Räumlichkeiten waren neongrün gestrichen, was ich durchaus verkraftete. Um ehrlich zu sein, fand ich die Farbe sogar total genial. Ich liebte es knallig, weshalb meine eigenen Tattoos überwiegend farbig waren. Auch die Haare trug ich meistens bunt. Aktuell erstrahlten sie in einem hellen Türkis.

Die Wandfarbe war das Eine. Darüber hinaus zierten hunderte Figürchen die Regale an den Wänden. Egal wo man hier stand, zahlreiche kleine Augen verfolgten einen auf Schritt und Tritt. Es erinnerte fast an ein skurriles Museum. Bemerkenswert war, dass die vielen Ausstellungsstücke nicht staubig waren.

Ein Bewegungsmelder in Froschform, der jeden Kunden mit einem blechernen »Quaaack« begrüßte, rundete das Erscheinungsbild des Studios ab. Und genau dieses Ding kratzte dermaßen an meinen Nerven, dass ich es am liebsten in seine Einzelteile zerlegt hätte. Während der Sprechzeiten war es besonders schlimm und da das Studio gut besucht war, kam der kleine Kerl kaum aus dem Quaken heraus.

Ich schaute um die Ecke und sah meinen nächsten Termin samt Begleitung. »Komme sofort«, flötete ich ihnen entgegen und griff nach dem Ausdruck. »Setzt euch«, bot ich ihm und seiner Begleitung an und deutete auf die kleine Sitzecke.

Es war nicht unüblich, dass die Kunden nicht alleine kamen. Beim ersten Tattoo waren die meisten Menschen so aufgeregt, dass sie sich seelische Unterstützung mitbrachten. Ich selbst fand das vollkommen in Ordnung und an sich war es auch eine gute Werbung für einen Künstler. Die Leute hatten so die Möglichkeit, mir über die Schulter zu schauen und Fragen zu stellen.

Ich setzte mich zu den beiden und zeigte ihnen die Vorlage auf dem Laptop. »Ist es das, was du dir vorgestellt hast?«

Er nickte. »Und so sieht es dann auch auf meinem Arm aus?« Seine Stimme klang, als könne er es nicht glauben.

»Das ist der Plan«, grinste ich ihn an. »Die Farben werden nicht ganz so kräftig werden und mit der Zeit etwas verblassen, aber das Motiv an sich werde ich genau so treffen wie auf der Vorlage.«

»Das sieht echt cool aus«, flüsterte seine Begleitung und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

»Hast du noch Fragen?«

Er schüttelte den Kopf und ich reichte ihm das Einwilligungsformular. Ich erklärte ihm den Prozess und nachdem er unterschrieben hatte, führte ich ihn zu meinem Arbeitsplatz. Seine Begleitung bekam einen Stuhl neben seiner Liege.

Das heutige Motiv war aufwändig, aber keine Herausforderung. Er hatte sich drei Krähen gewünscht, die wie ein kleines Rudel aufeinander hockten. Aufwändig war es den Realismus zu tätowieren, das Motiv an sich hatte ich schnell vorbereitet gehabt. Es steckte recht wenig Hirnschmalz darin, denn Stockfotos von Krähen gab es im Netz genug, sowas zeichnete ich nicht selbst vor.

Ich fing an.

Dafür, dass es das erste Tattoo meines Kunden war, hielt er gut durch. Die Körperstelle, die ich tätowierte, war bei den meisten nicht sonderlich schmerzempfindlich. Der Oberarm war gut gepolstert, weh tat es an den Stellen, wo die Haut recht dünn auf den Knochen lag.

Ein leises Kichern drang an mein Ohr. Ich sah auf. »Habt ihr was gesagt?« Die beiden schauten mich verdutzt an und schüttelten den Kopf. »Komisch. Ich dachte, ich hätte etwas gehört.«

Nach gut zwei Stunden legte ich die Tattoomaschine auf die Ablage. Ich stand auf, zog die schwarzen Handschuhe aus und schmiss sie in den Abfalleimer. Während ich zu meiner Wasserflasche lief, die hinter der Theke stand, ließ ich die Fingerknöchel knacken.

Heute schmerzten sie nicht so wie sonst, obwohl ich sie schon einige Stunden belastete. Es war eine Berufskrankheit und ich kannte keinen Tätowierer, der nicht irgendwelche Probleme mit seinen Gelenken hatte. Der stetige Druck, aber auch die krumme Haltung beim Tätowieren selbst waren nicht hilfreich für eine gesunde Körperhaltung.

Das Motiv beschäftigte mich weitere drei Stunden. Farbe unter die Haut zu bringen war aufwändig und zeitfressend. Manche Tattoos stach man in mehreren Sitzungen, doch dieses bekam ich in einer fertig.

Da es das erste Tattoo meines Kunden war, nahm ich mir die Zeit, um ihn über die Pflege seines Kunstwerks zu informieren. Nach dem Stechen war es wichtig, sich daran zu halten, damit die Farbe ordentlich unter der Haut blieb. Den alten Hasen im Geschäft erzählte ich darüber schon nichts mehr.

»War nett, euch kennengelernt zu haben«, verabschiedete ich die beiden und winkte ihnen zum Abschied zu.

Es stand nur noch Aufräumen auf dem Plan und dann hatte ich endlich Feierabend. Zwanzig Minuten später saß ich im Auto und freute mich auf mein kuscheliges Bett.

Die Fahrt zum Stellplatz für meinen Wohnwagen dauerte nicht lange, ich hatte dieses Mal einen hervorragenden Parkplatz in der Nähe des Studios gefunden. Er war ausgelegt für Camper, der komplette Platz voll von Zelten und anderen Wohnmobilen. Es war nicht unüblich, dass man hier abends zusammen an einem Lagerfeuer saß und Gitarrenklängen lauschte.

Neben dem festen Stromanschluss gab es hier saubere Sanitäranlagen und warme Duschen. Das war für meinen Lebensstil ein gewisser Luxus. Oftmals stand ich mit dem Wagen auch einfach an Autobahnraststätten, wo es so etwas nicht oder nur in verdreckter Form gab.

Ich war eine reisende Tätowiererin und der Wohnwagen meine Alternative für Hotels und Gästezimmer.

Nachdem ich geparkt hatte, stieg ich aus und schlenderte auf den Eingang meines Zuhauses zu.

»Was ist das denn für ein hässliches Outfit?«

Die Stimme drang eindeutig aus dem Inneren des Wohnwagens. Ich stockte. War jemand bei mir eingebrochen? Schon wieder?

Vorsichtig kontrollierte ich die Tür, doch sie zeigte keine Anzeichen eines Einbruchs. Hatte man die eingebaute Katzenklappe genutzt? Vor meinem inneren Auge blitzte eine verhüllte Gestalt auf, die mit einem langen Draht die Türklinke durch die Klappe öffnete.

Schwachsinn, Inka. Es war abgeschlossen. Da kriegt man die Tür so nicht auf.

»Verdammt ist dieser Fummel hässlich.« Ein Kichern untermauerte die Aussage. Die Stimme klang so leise und dumpf durch die Plastiktür, dass ich nicht sagen konnte, ob es eine Person war oder zwei. Anhand der Stimmfarbe erkannte ich kein Geschlecht.

Stand da jemand bei mir zuhause und durchwühlte etwa meine Klamotten? War er auf der Suche nach Geld oder hatte ich es hier mit einem Perversen zu tun? Da ich mit dem Wohnwagen recht minimalistisch unterwegs war, besaß ich gefühlt nur drei Outfits, die es sich anzuschauen lohnte.

Wer auch immer im Inneren war, jetzt war Schluss. Hektisch drehte ich den Schlüssel im Schlüsselloch und riss die Tür auf. Das Überraschungsmoment war mir sicher, sofern das Klappern meines alten Autos mich nicht schon längst verraten hatte.

Statt den Schlüsselbund wie gewöhnlich in die Tasche zu stecken hielt ich den Schlüssel fest zwischen Zeige- und Mittelfinger, sodass die Spitze dazwischen hervorstach. Ich war bereit, einen Faustschlag zu platzieren und mithilfe der Schlüsselspitze würde definitiv Blut dabei fließen. Für den letzten Einbrecher, den ich bei mir erwischt hatte, hatte die Polizei im Anschluss sogar einen Rettungswagen gerufen.

Mit einem Ruck sprang ich ins Innere und schaute mich angriffslustig um. Das Positive an meinem Lebensstil war, dass es schnell ging, sich einen Überblick zu verschaffen. Es gab kaum Versteckmöglichkeiten. Der Nachteil an der Sache war, dass es genau eine Möglichkeit gab, von hier zu verschwinden, und ich stand mittendrin. Niemand war in der Lage sich durch die kleinen und engen Fenster zu quetschen.

»Miau«, mauzte Schnursula. Sie saß auf dem Tisch, einen halben Meter von mir entfernt. Außer ihr war keiner zu sehen.

Sehen wir bitte mal davon ab, dass der Name meiner Katze von einem lustigen Facebook Meme stammt. Darüber unterhalten wir uns irgendwann mal.

»Ist hier jemand?«, flüsterte ich ihr zu und fand mich im nächsten Augenblick total dämlich. Was erwartete ich? Eine Antwort? »Ich habe Stimmen gehört«, versuchte ich noch zu erklären.

»Miau«, kam von ihr zurück.

Ich unterhielt mich öfter mit meiner Katze und Schnursula hatte sich mittlerweile angewöhnt, mir stets mit einem ›miau‹ zu antworten, wenn ich sie ansprach.

Sie zeigte kein Anzeichen, dass hier jemand eingestiegen war. Ich entspannte mich etwas, schloss die Tür und steckte den Schlüssel von innen ins Türschloss.

»Wobei ... Dich würde bestimmt nicht interessieren, wenn hier jemand ...«

Adrenalin.

Da war es wieder.

Kampfbereit wirbelte ich herum, denn eine fremde Stimme erreichte mein Ohr und wurde dabei immer intensiver. Sie schrie mich an und war so laut, dass ich einen Moment brauchte, um zu verstehen, was sie sagte.

»Melody. Bist du dir ganz sicher, dass Kevin dein perfektes Match ist?«

»Was?«

Es stand niemand neben mir. Die Stimme klang aus dem Fernseher, der schräg an der Wand befestigt war. Ich erkannte das Logo einer Datingshow.

»Wie?«, brachte ich nur hervor und ließ meinen Blick auf der Suche nach der Fernbedienung durch den Wohnwagen schweifen.

Ich fand sie unter Schnursulas Pfote, die unbeholfen auf der Taste für die Lautstärke stand.

»Du verdammtes Vieh«, motzte ich sie an und griff danach. Meine Stimme war kaum zu hören, so laut schallte es aus den Boxen. Ich richtete sie auf das Fernsehgerät, stellte den Krach auf eine akzeptable Lautstärke ein, um mich beim nächsten Einschalten nicht zu erschrecken und schaltete das Gerät dann aus.

»Miau«, ertönte es aus dem Mund meiner Katze.

»Das gefällt dir, was?« Dem Blick nach zu urteilen, gefiel es ihr eindeutig. Wenn ich mich nicht täuschte, war in ihrem Gesicht sogar ein Grinsen zu erkennen. »Ich brauche erstmal einen Drink.« Ein Einbruch brachte mich nicht vollkommen aus der Fassung. Etwas Adrenalin war aber schon durch meinen Körper gerauscht.

Ich öffnete den Küchenschrank, griff nach der Whiskyflasche, aber hielt inne, als meine Finger sie berührten.

»Planänderung«, murmelte ich, ließ die Flasche los und schloss die Schranktür. »Wir ziehen weiter.«

Ich hatte niemanden in meinem Zuhause ertappt, aber fühlte mich trotzdem unwohl bei dem Gedanken, hier eine weitere Nacht zu stehen. Ich hatte vor erst morgen weiterzuziehen, doch der Drang jetzt aufzubrechen war stärker.

Von Schnursula erntete ich ein genervtes »Miau«, denn meine Aufbruchstimmung bedeutete, dass sie in die Transportbox musste, die sie abgrundtief hasste. Die Katze durfte nicht im Wohnwagen bleiben, während ich fuhr.

***

Mein frühzeitiger Aufbruch hatte durchaus etwas Positives. Ich gewann einen ganzen Tag Zeit, um Dinge zu erledigen, die ich schon viel zu lange aufgeschoben hatte.

Bevor ich mit dem Alltag loslegte, parkte ich den Wohnwagen nochmal um, denn jetzt, da die Sonne schien, fiel mir auf, dass ich in der Nacht unter dem Schatten eines Baumes geparkt hatte. Die beiden Solarpaneele auf dem Dach bekamen kaum Sonnenschein ab.

Auf diesem Parkplatz gab es keinen Stromanschluss. Die Paneele und der Akku im Inneren des Wohnwagens halfen mir dabei, nachts ein paar Lampen einzuschalten. Selbst das Handy war ich in der Lage aufzuladen.

Den Tag verbrachte ich damit, Rechnungen zu bezahlen, meinen Steuerfritzen mit Abrechnungen zu füttern und machte endlich einen Abstecher in einen Waschsalon. Die dreckigen Klamotten türmten sich schon und im Inneren des kleinen Wohnwagens fing es dadurch an muffig zu riechen.

Normalerweise gab ich meine Wäsche regelmäßig in Wäschereien ab, die diese wuschen, bügelten und ordentlich zusammenlegten. Es war ein Luxus, den ich mir gerne gönnte. Es gab nichts Herrlicheres als seine Nase in frisch gewaschene und gefaltete Wäsche zu drücken.

Saubere Klamotten verstaute ich in Plastikboxen mit Rollen, die unter dem Bett lagerten. Wenn es etwas nicht gab in einem Wohnwagen, dann war es genügend Platz. Einen großen Kleiderschrank zählte ich nicht zu meinem Besitz.

Ich besaß zwar einen Akku im Inneren des Wohnwagens, der mit den Solarpaneelen zusammenarbeitete, eine Waschmaschine hielt dem aber nicht stand. Mal davon abgesehen, dass ich überhaupt nicht wusste, wo ich ein solches Monstrum unterbringen sollte.

Heute hatte ich einen Salon gefunden, in dem man altbacken selber waschen musste. Der kleine Raum platzte fast vor lauter Waschmaschinen und Trockner, die sich in ihm tummelten. Es herrschte reger Betrieb und die Lautstärke war entsprechend hoch.

Ich setzte mich auf einen der Stühle und versank in mein Tablet und bereitete ein paar Tattoos vor, während die Maschinen sich drehten. Die Geräuschkulisse störte mich nicht, ganz im Gegenteil. Ich fühlte mich entspannt und dieses Gefühl blieb den Rest des Tages an mir haften.

Ein äußerst verrückter Tag

Wie sagt man so schön: ›Kunst liegt im Auge des Betrachters‹. Erst die Masse erklärt ein Gemälde zu einem Meisterstück. – Bullshit, wenn ihr mich fragt! Der Künstler selbst entscheidet über den Wert seines Werks!

Es sind nicht die Farben, die ein Kunstwerk ausmachen. Nicht die Pinselführung. Erst recht sind es nicht die Menschen, die es in einem Museum angaffen oder gar horrende Summen dafür ausgeben.

Versteht mich nicht falsch, ich würde nicht nein sagen, wenn man für ein Tattoo von mir Millionen zahlen würde. Den wahren Wert würde diese Bezahlung dennoch nicht beziffern. Geld macht aus dem größten Rotz kein Meisterwerk.

Es ist der kreative Prozess hinter dem Werk. Das Herzblut, das in ein Gemälde hineingesteckt wird und der Schweiß, der dabei vergossen wird. Die Konzentration, die beim Kreieren beansprucht wird und die Magie, die buchstäblich entfesselt wird und in das Endprodukt fließt.

Jede Art von Genialität strahlt pure Magie aus. Diese kann teuer sein, muss es aber nicht.

Nicht alles, was ein Künstler kreiert, ist gleich eine Glanzleistung. Das ist nicht schlimm, denn das muss es nicht sein. Ich selbst lege es nicht mal darauf an. Die Kunst ist für mich ein Ventil, die Kreativität, die in mir schlummert, zum Ausdruck zu bringen. Manchmal war es ein Meisterwerk, ein anderes Mal nicht besser als eine Kritzelei oder ein reines Abpausen einer vorhandenen Zeichnung.

Das Tätowieren war beruhigend. Oftmals fühlte ich mich bei meiner Arbeit sogar im Einklang mit mir selbst. Wer konnte das schon von sich behaupten, wenn es um den Job ging.

»Das ist wieder mal ein Meisterwerk von dir«, riss der Kunde mich aus meinen Gedanken. Der Moment der inneren Ruhe, in die ich geflüchtet war, verblasste und wurde unterbrochen durch die Realität, die sich mir jetzt aufdrängte.

Sein leuchtender Blick glitt über seinen Unterarm, auf dem ich in den letzten Zügen des Tattoos war. Ein gewisser Stolz blitzte in seinen Augen auf. Wie ein kleines Kind, das nur darauf wartete, es jedem unter die Nase zu halten.

Es war gut gestochen. Ich stach immer sehr sorgfältig, aber ein Meisterwerk war es nicht. Ich hatte es nicht dazu auserkoren eines zu sein. Die Vorlage gab es überhaupt nicht her.

Der Kunde hatte sich ein Abbild von Professor X ausgesucht und war mit einer Vorlage des Comics in das Studio gekommen.

Freiraum mich zu entfalten gab es keinen, interpretieren durfte ich ebenfalls nicht. Eigene Ideen einarbeiten schon gar nicht. Es war ein einfaches Abmalen und ich kopierte nur die Arbeit eines anderen Künstlers.

»Ich bin schon gespannt, ob es die gewünschte Wirkung zeigt.« Er grinste geheimnisvoll und zwinkerte mir mit einem Auge zu. Es erinnerte mich an Onkel Jeff, der auf Geburtstagen immer versucht hatte, alle mit schlechten Zaubertricks zum Staunen zu bringen. Wie Onkel Jeff schaffte der Kunde es nicht, dass meine Neugierde entfacht wurde.

Ich bezweifelte, dass es irgendeine Wirkung bei Frauen zeigen würde. Was für eine Reaktion erwartete er überhaupt? Anerkennung? Neid? Jemanden damit aufzureißen? Ich kannte persönlich keine Frau, die bei einem Professor X Tattoo schwach wurde.

Ganz im Gegenteil.

»So, wir sind fertig«, lächelte ich ihn an und legte meine Tattoomaschine auf das kleine Tischchen neben mir. Ich fuhr mit einem Stück Küchenrolle über das Tattoo und reinigte es von überschüssiger Farbe.

Für einige Sekunden glänzte es im Licht, bevor die Wundflüssigkeit einen matten Film darüber legte. So leuchtend, wie frisch nach dem Stechen, würde es nie wieder aussehen. Die Zeit würde es verblassen lassen.

Ich verpackte es fein säuberlich in Frischhaltefolie, damit nichts an die offene Wunde gelang und die Stelle feucht und geschmeidig blieb. Die Folie fixierte ich zusätzlich mit Kreppband, sie sollte ja nicht verrutschen.

»Du weißt noch, wie man es pflegen muss?«, fragte ich ihn freundlich und er nickte. Es war das zweite Tattoo aus meiner Feder. Das Erste, das ich ihm gestochen hatte, fiel für mich in die Kategorie Meisterwerk.

Auf dem anderen Unterarm hatte ich die leicht dreckige Hand seines Großvaters gestochen. Die Haut war von der Sonne gebräunt und von der Erde und den Elementen gezeichnet. In ihr hielt er kleine Sämlinge.

Die Vorlage war ein altes verblichenes Foto, das vor zwanzig Jahren entstanden war. Mithilfe eines Computerprogramms hatte ich es restauriert, um den Entwurf zu perfektionieren. Es war knifflig, denn die Aufnahme hatte durch das Ausbleichen einige Details verloren.

Ich erinnerte mich an die Geschichte hinter dem Tattoo, die er mir beim Stechen erzählt hatte. Es war ein Wunder, immerhin hatten wir uns vor zwei Jahren das letzte Mal gesehen und bis heute gab es hunderte von weiteren Kunden.

Sein Großvater liebte seinen Schrebergarten und beschäftigte sich Stunden damit, neue Pflanzen auszusäen. Er verriet mir, dass es die Passion des Rentners war und dass man ihn bei Wind und Wetter draußen antraf. Sein Motto war, dass es schlechte Witterung nicht gab, sondern nur eine unpassende Klamottenwahl.

Das Bewundernswerte daran war, dass ihm so gut wie nie etwas einging, selbst wenn er mal tagelang vergaß, die Blumen zu gießen. Sogar Stöcker, die er nur in den Boden steckte, wuchsen an und wurden zu den schönsten Büschen.

Im Verlauf vieler Jahre hatte er aus einem Johannisbeerbusch eine ganze Riege herangezüchtet. Wie eine Familie standen sie in Reih und Glied, geordnet von groß nach klein.

Laut meinem Kunden erntete er die dicksten Tomaten, die saftigsten Äpfel und die aromatischsten Zucchini, was mich am meisten beeindruckte, weil ich fand, dass diese Dinger immer fade schmeckten. Zu gern hätte ich eine von ihnen probiert.

»Als ich gehört habe, dass du hier wieder Gasttätowiererin bist, hab ich direkt einen Termin ausgemacht«, berichtete er mir. »Ich war so zufrieden mit dem ersten und seiner Wirkung, da musste ich einfach wieder kommen.«

Bei seinem letzten Tattoo hatte er mich richtig beansprucht. Mir nur von der Idee dahinter erzählt und einfach machen lassen. Das Tätowieren versetzte mich regelrecht in Trance, als die Farbe von der Maschine in die Haut eindrang.

Er war so beeindruckt davon, dass er jetzt für ein Abziehbild zu mir kam. Wundervoll. Ich lächelte ihn weiter an, denn auch wenn mir das Werk selbst nicht gefiel, war es mein Job und ich war angewiesen auf ein Einkommen.

Es gab Tätowierer, die stachen nur Sachen, auf die sie Lust hatten. Sogar welche, die nur ihre eigenen Vorlagen unter die Haut brachten und nicht offen waren für Kundenwünsche. Ich war da eher kundenorientierter. Wenn die Idee zu den Stilen passte, die ich anbot, dann lehnte ich nur selten etwas ab. Wichtig war mir aber, dass ich keine Kunstwerke klaute. Eine Modellage von Stockfotos war okay, ein schon fertiges Tattoo kopierte ich nicht.

Ein Kunde hatte sich mal eine nackte, breitbeinige Frau von mir gewünscht, die auf einem LKW ritt. Ihr dürft jetzt raten, ob ich es gestochen habe oder nicht und ob ich ihr zusätzlich noch einen Cowboyhut aufgesetzt hatte.

Meine persönlichen Hassmotive, die ich trotzdem stach, waren Schriftzüge. Irgendwann hatte ich damit aufgehört sie zu zählen. Nach dem gefühlt Tausendsten ›La Familia‹ hatte ich die Schnauze voll. Für die Kunden steckte eine tiefe Bedeutung dahinter. Wer wäre ich, mich zu verweigern, diesen Wunsch zu verwirklichen?

»Deine Eltern müssen richtig stolz auf dich sein.« Er schaute verträumt auf seine neue Körperkunst. »So ein Talent«, schwärmte er. Fehlte nur, dass er mich am Kopf tätschelte, so hin und weg wirkte er.

»Nicht wirklich«, murmelte ich zur Antwort, doch er hörte überhaupt nicht zu, so fasziniert war er von seinem Bild.

Ich hielt mich selbst für gut in meinem Job, aber Stolz war nicht das Gefühl, das meine Eltern empfanden. Eher Scham. Eine Tätowiererin war nicht ansatzweise so vorzeigbar in ihren Augen wie ein Arzt oder eine Anwältin.

Ihnen gefiel der Job so überhaupt nicht. Tätowiererin war aus ihrer Sicht kein richtiger Beruf, immerhin gab es keine offizielle Ausbildung dafür. Sie waren der Meinung, ich ginge nur einem Hobby nach und Tätowierungen an sich, gehörten auf Straftäter. Ich selbst war von oben bis unten voll mit Farbe. Dass eines ihrer Kinder nicht studiert hatte, glich einem internen Familienskandal.

Als ich die Botschaft überbracht hatte, diesen Berufsweg einzuschlagen, übergab sich meine Mama vor Hysterie. Mitten am Wohnzimmertisch kam ihr die Kotze hoch, platschte auf die Holzplatte und tropfte langsam auf den Langflorteppich.

Meine Eltern lebten das typische Märchen. Vater Arzt, Mutter Lehrerin, ältester Sohn ebenfalls ein Doktor, die mittlere Tochter eine anerkannte Anwältin in einer großen Kanzlei und dann kam ich. Das schwarze Schaf. Wobei, das Bunte traf es hier besser. Meinen Lebensstil verglichen sie oft mit einem Lotta-Leben.

Ganz ehrlich ... damit hatten sie sogar Recht. Ich fuhr mit dem Auto, das ich liebevoll Rostli getauft hatte, und einem Wohnwagen durch die Weltgeschichte. Ich arbeitete als Gasttätowiererin in verschiedenen Studios und zog von Ort zu Ort.

Es war ein Wunder, dass meine alte Karre Rostli überhaupt in der Lage war einen Wohnwagen zu ziehen. Andererseits war dieses Auto gute deutsche Handwerkskunst und würde sicher noch Jahrzehnte machen, bevor es vollkommen auseinanderfiel.

Ich lebte von der Hand in den Mund, trank abends gerne mal nen Absacker, traf ungezwungen Männer und schuldete dabei niemandem Rechenschaft. Es gab nur mich und meine Entscheidungen.

Ab und an versuchte ich mich jämmerlich im Glücksspiel. Erst letzte Woche hatte ich die kompletten Tageseinnahmen am Pokertisch verzockt, weil ich mir sicher war, dass der Arsch, der mir gegenüber saß, nur bluffte.

Gegen eine ordentliche Kneipenschlägerei gab es auch nichts einzuwenden. Ich war verdammt taff und zeigte es jedem, der es darauf anlegte. Ich suchte dabei nicht aktiv nach Streit, geriet aber oft in die Lage, mich verteidigen zu müssen.

Selbst das Äußere war ein Statement meiner rebellischen Seele. Im Kleiderschrank, besser gesagt in den Rollkisten unter dem Bett, hatte ich mehr zerrissene Lederjacken und Bandshirts als Unterhosen. Der Kleidungsstil war eine perfekte Mischung aus Rock ›n‹ Roll und urbaner Coolness.

Konventionen? Nicht mit mir. Ich tanzte nach eigenen Regeln und beugte mich keinen Normen und Erwartungen anderer.

Da ich mit dem Wohnwagen unterwegs war, gab es nicht mal einen Vermieter, dem ich etwas schuldig war. Wenn überhaupt, bezahlte ich ab und an eine Pacht für einen Campingplatz. Waren diese voll, fand man mich auch an Raststätten und Parkstreifen. Einmal stand ich sogar auf einem Supermarktparkplatz, bis die Polizei, die der Besitzer gerufen hatte, mich verscheuchte.

Meine Freundin Jessica beneidete mich immer für meinen Mut. Mit dem Wohnwagen alleine auf dunklen Autobahnraststätten zu stehen, war in ihren Augen waghalsig. Sie versicherte mir oft, dass sie für kein Geld der Welt nur eine Nacht dort verbringen würde.

Okay, manchmal bedurfte es einer kleinen Recherche, welcher Parkplatz geeignet war. Nicht wegen einer angeblichen Gefahr. Überall konnte etwas passieren. Recherchen waren notwendig, weil gewisse Parkplätze von den Leuten zweckentfremdet wurden.

In den ersten Monaten meiner Reise war es durchaus vorgekommen, dass ich den falschen Stellplatz erwischt hatte. Kerle klopften an die Tür, weil sie dachten, ich wäre eine Nutte. Ich hatte nicht aufgepasst und mich bei den ansässigen Damen eingereiht.

Ein weiteres Mal hatte ich einen stadtbekannten Cruisingplatz erwischt und nachts hörte ich es in einer Tour klatschen. Beifall war es nicht, so viel kann ich euch sagen.

Ja, es war eindeutig ein Lotta-Leben, aber um ehrlich zu sein, gefiel es mir saugut. Ich genoss es in vollen Zügen, selbst wenn es für manch anderen keinen Sinn ergab.

Hätte ich für jedes »Inka, aus dir hätte so viel werden können« einen Euro bekommen, hätte ich bereits ausgesorgt.

»Schon cool, wenn der Name zum Beruf passt«, sagte der Kunde und riss mich damit wieder aus meinen Gedanken heraus. Er spielte mit einer von meinen Visitenkarten herum, die auf dem Tresen lagen. Ich hoffte darauf, dass er bald den Laden verließ, da wir mit der Sitzung fertig waren. »Als wäre es Schicksal, dass du Tätowiererin bist.«

Da hatte er Recht. Ein Schmunzeln überkam meine Lippen, als ich unwillkürlich in der Vergangenheit schwelgte. Mit dem Namen hatte ich immer gespielt, als es darum ging, mir ein Pseudonym für die Arbeit zuzulegen.

Während meiner kitschigen Disney-Emo-Phase hatte ich eine Zeit lang unter dem Namen Inkabel gearbeitet, als Hommage an die blonde Fee und den englischen Begriff für Tinte. Irgendwann wechselte ich dann zu Ink.A und blieb dabei.

Das neue Pseudonym, wenn man es überhaupt so nennen konnte, denn es kam meinem richtigen Namen viel zu nah, passte besser zu mir als die Andeutung an die kleine Fee von Peter Pan. Der entsprach ich absolut nicht.

Ich war alles andere als unauffällig. Mit den kurvigen Rundungen stimmte ich mit dem Bild einer zierlichen Frau überhaupt nicht überein. Ich hatte Hüften. Und auf die war ich stolz. Schokolade war meine Droge und die paar Pfunde, die sie mir einbrachte, nahm ich dankend in Kauf.

Meine Kodderschnauze glich der eines runtergerockten Bauarbeiters, statt einer Fee namens Inkabel. Mittlerweile hörte ich Punk, Metal und Rock, alles nichts, was eine kleine Fee so mochte. Ich liebte Horrorfilme, Disneyfilmen hatte ich abgeschworen. Wer brauchte schon einen rettenden Prinzen, wenn man selbst der Drache war.

Ink.A, die furchteinflößende Drachentätowiererin.

»Na dann, ich will dich nicht von deinem Feierabend abhalten.« Er grinste mich an, aber in seinen Augen sah ich die Enttäuschung aufblitzen, nicht auf seine Gespräche eingegangen zu sein.

Er kehrte auf dem Absatz um und ging durch die Tür.

Zapfenstreich.

Endlich.

Ich war die Letzte im Studio. Die anderen beiden waren schon seit einer halben Stunde weg.

Nachdem die Ruhe eingekehrt war, räumte ich meinen Arbeitsplatz auf. Die Sauberkeit im Studio war wichtig, um die Gesundheit der Kunden zu schützen. Wir arbeiteten mit Nadeln, die in die Haut eindrangen, was potentiell zu Infektionen führte, wenn wir nicht hygienisch waren. Unsere Reinlichkeit minimierte das Risiko davon, sowie von Hautirritationen und anderen Komplikationen.

Von der Gesundheit mal abgesehen, bescherte uns ein aufgeräumter Arbeitsplatz einen professionellen Eindruck. Man aß ja auch nicht in einem dreckigen Restaurant.

Die winzigen gelben Pöttchen, die an Fingerhüte erinnerten, aber die Reste der Tattoofarbe enthielten, schmiss ich in den Müll. Wiederverwenden stand nicht zur Debatte. So sehr ich es verabscheute diesen Plastikmüll zu produzieren, die Gesundheit der Kunden verlangte es.

Die kleinen Farbfläschchen, die aus meinem eigenen Besitz stammten, räumte ich in den umfunktionierten Make-up Rollkoffer. Ich hatte mir das Schmuckstück vor einigen Jahren zugelegt, um die Utensilien besser zu verstauen. Er bestand aus einem hochwertigen, strapazierfähigen Material, was gut war, da ich ständig mit ihm irgendwo vorstieß.

Nachdem der Rest entsorgt und weggestellt war, desinfizierte ich den Rollcontainer und schmiss den Saugroboter an. Während die kleine Maschine, die von den Kollegen übrigens ›Picobello‹ getauft wurde, ihren Dienst vollführte, verschwand ich aus der Tür.

Feierabend. Jetzt aber wirklich.

Ich drehte den Schlüssel im Schloss und verriegelte die Tür. Ein leises Klacken ertönte dabei.

Mein Auto stand etwas entfernt vom Laden auf einem größeren Parkplatz. Jeden Tag parkte ich da und ärgerte mich abends darüber, wie dunkel es war. Meistens nahm ich mir vor, am nächsten Tag woanders zu parken, um dann wieder dort zu landen.

Es war Sommer und es blieb lange hell, doch die Örtlichkeit verschluckte sämtliches Licht des Abends.

Der Parkplatz versteckte sich in der Dunkelheit, umgeben von hohen Bäumen, die im Zwielicht lauerten. Er erinnerte an einen schlechten Horrorfilm. Die schummrige Beleuchtung der Straßenlaternen flackerte und warf ein unregelmäßiges, düsteres Licht auf den Platz. Gespenstische Schatten tanzten um mich herum und die vielen kleinen, dreckigen Pfützen auf dem Boden ließen Reflexionen des Lichtscheins in der Luft schimmern.

Einzelne Fahrzeuge standen auf dem Parkplatz, aber sie wirkten einsam und verlassen. Ein Auto sah sogar so aus, als stünde es seit Jahren an diesem Ort.

»Reiß dich zusammen, Inka«, sprach ich mir Mut zu. Wie viele Kneipenschlägereien hatte ich schon aufgemischt und jetzt hatte ich Panik vor einem dunklen Parkplatz?

Ich war eine taffe Frau und hatte an unheimlicheren Orten mit dem Wohnwagen gestanden. Ich war in der Lage mich zu verteidigen, schaffte es aber nicht, diesen Urinstinkt tief in mir drin zu überwinden. Es war spät, dunkel und gruselig hier. Meine Schritte beschleunigten sich.

Das rhythmische Klackern der mit Schnallen und Nieten verzierten Stiefel auf dem Boden, unterstrich meine selbstbewusste Haltung. Sie verliehen einen Hauch von Unverwundbarkeit, obwohl ich innerlich riesigen Schiss hatte.

Hektisch kramte ich in der unordentlichen Handtasche nach dem Schlüssel für Rostli. In der Tasche gab es ein Sammelsurium von Dingen. Abgenutzte Kassenbons, Notizblöcke, halb verbrauchte Lippenstifte, selbst zwei volle Klopfer, doch der Schlüsselbund mit den farbenfrohen Anhängern war nicht zu finden.

»Du verdammtes Miststück«, kreischte eine Stimme hinter mir wutentbrannt auf.

Erschrocken drehte ich mich um und sah in das wutverzerrte Gesicht des Kunden von vorhin.

Er stand mir schon so nahe, ich hatte überhaupt nicht mitbekommen, dass er mich verfolgt hatte. Seine Schritte waren lautlos über den Steinboden geglitten. Im Gegensatz zu meinen klackernden Schuhen.

»Alles okay?«, fragte ich freundlich und versuchte die Situation mit etwas Charme zu besänftigen. Er packte mich grob an den Schultern und schüttelte gewaltsam an ihnen.

»Warum funktioniert es nicht? Es hat keine Wirkung.«, schrie er mich wieder an und wiederholte die Worte, die ich inhaltlich vorhin schon nicht verstanden hatte. Spucketröpfchen flogen mir ins Gesicht.

»Funktioniert was?«, schrie ich zurück und versuchte mich aus seinem schmerzenden Griff zu befreien. Seine kräftigen Hände ließen nicht los.

Ich schnappte nach seinen Handgelenken, doch er war zu stark. Verdammt.

»Ich habe so viel Geld dafür bezahlt, du Miststück.« Mit jedem Wort flog weitere Spucke aus seinem Mund und mir ins Gesicht. Neben der Panik breitete sich Ekel in mir aus.

»Du wusstest doch, worauf du dich einlässt.« Ich schaffte es endlich, mich zu befreien und stapfte hektisch drei Schritte zurück, um Abstand zwischen uns zu bekommen.

»Es funktioniert aber nicht«, wiederholte er erneut. Der Wahnsinn stand ihm in den Augen geschrieben und er fuchtelte mit den Händen durch die Luft. »Ich sollte Gedanken lesen können«, zeterte er. »Oder Dinge mit meinem Geist bewegen.«

»Was?«, schrie ich jetzt zurück. Die Stimme hallte über den sonst verlassenen Platz. »Das ist ein Tattoo, was erwartest du denn bitte?« Waren die Pferde mit ihm durchgegangen?

Das war typisch ich. Bedroht von einem Mann, abends auf einem dunklen Parkplatz und statt wegzurennen, wurde ich patzig. Durch sein Auftreten stand nicht mehr die düstere Atmosphäre im Vordergrund. Die vermeintliche Gefahr ging jetzt von etwas aus, das man sah und gegen das man sich wehren konnte. Durch das Adrenalin, das durch meinen Körper pumpte, verschwand die Angst sogar und Kampfeslust machte sich breit.

Dieser Kerl war eindeutig irre. Erwartete er wirklich, nur weil ich ihm einen X-Men tätowiert hatte, dass er jetzt zu einem Mutanten wurde? Wenn er darauf aus war, warum hatte er mir keine radioaktive Tinte mitgebracht?

»Das hier will ich«, antwortete er mit eiserner Stimme und irrem Blick. Seine Augen funkelten mich böse an.

Er hob seinen Arm mit dem alten Tattoo. Ich wusste nicht, wie mir geschah, denn die Luft fühlte sich plötzlich energiegeladen an. Es erinnerte an den Moment bei einem Gewitter, kurz bevor der erste Blitz krachend die Erde traf.

Zwischen meinen Füßen rumorte es und der Asphalt brach auf, als hätte er seit Stunden unter Hitze zu leiden. Wie ein kleines Erdbeben.

Ich erschrak und stieß einen spitzen Schrei aus, wich einen Schritt zurück und erwartete fast ein Senkloch, das mich verschlucken würde. Es war aber verrückter.

Aus den Rissen wuchsen Efeuranken heraus und peitschten um meine Füße. Wie in einem Horrorfilm wirkten sie, als hätten sie ein eigenes Leben oder wären besessen von einem bösen Geist.

Sie entwickelten sich so schnell, dass ich nicht in der Lage war zu fliehen. Sie wickelten sich um meine Füße und fixierten mich an Ort und Stelle. Mit dem Rücken gedrückt an ein parkendes Auto.

»Was zur Hölle«, schrie ich auf. Erschrocken riss ich den Mund auf. Die Augen weiteten sich und fühlten sich trocken an, da ich aus Panik vergaß zu blinzeln. Ich traute mich nicht, sie nur eine Sekunde zu schließen.

»Genau das will ich«, sagte er wütend. Die Ranken um meine Füße zogen sich immer fester zusammen. Es schmerzte. Sie schnitten in die Haut. Ich war mir sicher, unter der Jeans würden sich rote Striemen bilden.

»Hör auf damit«, schrie ich ihn an. Meine Stimme klang schmerzerfüllt.

»Dann verleih dem neuen Tattoo auch Macht«, forderte er mich auf. Er hielt mir seinen Arm entgegen. Er zitterte vor Wut.

»Hast du die Folie etwa schon abgemacht?«, stöhnte ich und knallte mir instinktiv die Hand vor die Stirn. Das war wieder so typisch. Folie direkt abnehmen, aber sich dann beschweren, wenn es sich entzündet. Wir verpackten unsere Kunden nach dem Tätowieren ja nicht ohne Grund.

Bist du bescheuert Inka? Ist das dein größtes Problem?

Die Stimme im Kopf hatte Recht. Hier geschah etwas vollkommen Unmögliches, doch mein aufgewühltes Hirn sah einfach über die Tatsache hinweg, dass magische Pflanzen mich in ihrem Griff hielten. Ich rappelte mich zusammen.

Fokus auf die Situation, nicht auf die schlampige Tattoopflege.

Wenn ich jetzt nicht aufpasste, würde ich mich nie wieder über schlecht gepflegte Tattoos ärgern.

War das möglich? War er in der Lage, die Pflanzen zu kontrollieren? Wegen des Tattoos?

War er in der Erwartung zu mir gekommen, dass ihm sein heutiges Kunstwerk ebenfalls Fähigkeiten verlieh? Das klang so surreal. Es war nicht zu leugnen, dass irgendetwas diese Ranken kontrollierte. Aber das Tattoo?

Panik stieg in mir auf. Ich wusste nicht, warum der Arsch in der Lage war, Pflanzen zu kontrollieren. Ich war mir nicht sicher, ob es eine Folge meiner Tätowierung war. Selbst wenn hatte ich keine Ahnung wieso. Wie sollte ich einen solchen Effekt also jetzt hervorbringen, wo er es verlangte?

War es die Farbe? War sie radioaktiv? Radioaktivität kam mir als einzige Erklärung in den Sinn, immerhin war sie in Comics oft der Grund der Superkräfte.

Schwachsinn. Warum sollte die Farbe bitte radioaktiv sein?

Mein Unterarm brannte auf. Kein wirklicher Schmerz, es fühlte sich sogar recht angenehm an. Zentrum des Kribbelns war die Hexentätowierung, mit der ich mich selbst bedacht hatte.

Es war eine meiner ersten Tätowierungen. An der Stelle hatte ich das Handwerk geübt, was unter Tätowierern nicht unüblich war. Wir versahen uns eigentlich alle mit der eigenen Kunst.

Eine unbekannte Stimme drang mir ins Ohr, die nichts als Kauderwelsch von sich gab. »Kadlaseriopeteri« oder sowas in der Art.

Wie durch Zauberei zerfielen die Ranken, die meine Füße fesselten, zu Staub. Oder war es Asche? Ich war so außer mir, dass ich es nicht sagen konnte.

Erneut murmelte die Stimme einen unverständlichen Laut und der Typ segelte durch die Luft, als hätte ihn eine unsichtbare Kraft am Kragen gepackt und nach hinten gerissen. Er wurde gegen eines der parkenden Autos geschleudert und hinterließ in der Oberfläche eine Beule.

Der Typ rappelte sich wieder auf, ächzte dabei und lief schnellen Schrittes auf mich zu.

Erneut hob er den Arm und zielte mit seiner Hand in meine Richtung. Was erwartete mich jetzt? Weitere Ranken, die zupackten? Rasiermesserscharfe Blätter, die auf mein Gesicht zuflogen, oder etwas vollkommen anderes?

Mein Herz wummerte wie verrückt. Es fehlte nicht mehr viel und es würde einfach explodieren. Es hämmerte gegen den Brustkorb. Ich war mir nicht sicher, wann ich je eine solche Furcht verspürt hatte.

Reflexartig hob ich die Arme in die Luft und hielt sie dem Angreifer abwehrend entgegen. Egal, was er vorhatte, einen wirklichen Schutz boten sie mir nicht.

So lachhaft es auch wirkte, es war tief verankert in meinem Instinkt. Die Hände gehörten in dieser Situation vor das Gesicht. Die Handflächen hielt ich nach außen. Im Nachhinein betrachtet, rettete mir diese Eingebung den pummeligen Hintern. Hätte ich sie über dem Kopf zusammengeschlagen und mich fallen lassen, wäre ich Geschichte.

Ein weiteres Tattoo auf meiner Haut kribbelte. Der Drache auf dem Schlüsselbein, dessen Schwanz den Arm hinunter verlief, wurde warm. Das gesamte Kunstwerk strahlte eine angenehme Hitze aus, die immer intensiver, aber nicht schmerzhaft wurde.

Es geschah in Sekunden. Rotorangene Flammen züngelten aus dem Drachentattoo hervor und erfüllten mit einem lauten Knistern die Luft. Hitze stieg mir ins Gesicht, als würde ich vor einem Grill stehen und Würstchen wenden. Das Feuer schlängelte sich spiralförmig um meinen linken Arm und schoss über die Hand hinaus auf den Angreifer zu.

Ich war ein fleischgewordener Flammenwerfer, doch so schnell wie das Feuer aufgekommen war, verschwand es auch schon wieder. Eine kurze, aber intensive Stichflamme peitschte durch die Luft.

Das vom Feuer erzeugte Knistern verstummte und hinterließ einen schmerzerfüllten Schrei, der nicht von mir, sondern von dem Angreifer stammte. Die Härchen auf meinem Arm stellten sich auf, so schrill drang dieser Klang ans Ohr.

Genau wie ich hatte er die Hände schützend vors Gesicht gehalten, was dafür gesorgt hatte, dass sie das Feuer abbekommen hatten. Was mir den Arsch rettete, war sein Verderben. Schuldgefühle kamen in mir auf.

Er hat es nicht anders verdient, versuchte meine innere Stimme die Schuldgefühle im Keim zu ersticken.

Die Haut an seinen Händen und Armen war verbrannt und mit ihnen seine Tattoos. Er fiel auf die Knie und schrie wutverzerrt und schmerzerfüllt in die Nacht.

Der Geruch von angekokeltem Fleisch und geschmolzener Haut sickerte mir in die Nase und hinterließ das Gefühl von Übelkeit in mir. Ich hatte jemanden verletzt. Mit einem magischen Tattoo.

Statt über die Situation nachzudenken, nutzte ich die Gunst der Stunde und verschwand. Kehrte auf dem Absatz um und griff mit zitternden Händen nach dem Autoschlüssel in meiner Handtasche. Wie durch ein Wunder lag er auf dem ganzen Sammelsurium und nicht darunter.

Meine zitternden Finger drückten auf den Knopf für die Zentralverriegelung, öffnete hektisch die Tür und sprang regelrecht hinein.

Ich schaute nicht zurück, kam ihm nicht zur Hilfe, zur Hölle, sollte er doch krepieren, dieser Bastard.

Der Motor dröhnte auf und mit quietschenden Reifen ließ ich diese Situation hinter mir. Ich gab Gas und hatte tierisch Glück, dass auf meinem Weg kein Blitzer war. An das Tempolimit hielt ich mich nämlich nicht.

Ich wollte so schnell wie möglich nach Hause.

Während der ganzen Fahrt spürte ich mein Herz unaufhaltsam pochen. Die Stille ließ es gefühlt durch das Auto hallen.

Badum, Badum, Badum.

Schnursula

Verdammte Scheiße. Was war das?

Die Tür zu meinem Wohnwagen schwang zu. Die kleine, dünne Plastiktür fiel krachend ins Schloss und erzeugte dabei deutlich mehr Lärm als einer Tür aus Plastik anzusehen war.

Ich drückte mich mit meinem ganzen Gewicht gegen die Tür aus Angst, dass sich jemand von außen dagegen warf. So groß war die Furcht vor einem erneuten Angriff. Ich atmete tief ein und versuchte die Gedanken zu beruhigen.

Mit zitternden Händen drehte ich den Schlüssel im Schloss, in der Hoffnung, dadurch einen Hauch von Sicherheit zu verspüren, aber dafür war ich zu verängstigt. Es half nicht. Der wohlige Geruch nach zuhause umspielte meine Nase, doch war nicht so beruhigend wie sonst.

Der Wohnwagen war klein und überschaubar und fühlte sich an wie eine Decke, die mich eng umschlang. Während andere hier klaustrophobische Panik bekamen, liebte ich diese Enge. Normalerweise ummantelte mich diese Atmosphäre wie eine Rettungsdecke.

»Das kann doch nur ein Traum gewesen sein.« Ich sprach die Worte laut aus, musste sie hören, um sicherzustellen, nicht verrückt zu sein. War ich verrückt? Rankpflanzen, Feuerwirbel und brabbelnde Tattoohexen, ich war eindeutig neben der Spur.

Es hatte sich heute so viel absurdes Zeug abgespielt, ich brauchte meine Stimme jetzt im Ohr, nicht im Kopf. Das Aussprechen half mir, alles zu sortieren und neuen Gedanken Platz zu verschaffen. Ich hatte hier niemanden, an den ich mich klammern konnte, außer dem Klang meiner eigenen Stimme.

»Wie ist das nur möglich?« Wieder kam keine Antwort auf die Frage. Die Worte hallten durch den winzigen Raum.

Stille.

Nichts als Stille.

Plötzlich hörte ich ein unverständliches Gebrabbel. Wie vorhin. Kam das wirklich von meinem Hexentattoo? Panisch starrte ich auf den Unterarm, auf dem die schrullige alte Hexe abgebildet war und vor sich hin grinste.

Keine Veränderung zu vorher.

Was erwartete ich? Dass sie plötzlich über meinen Körper tanzte und mir die Zunge herausstreckte? Es war doch gut, dass es ein stinknormales Tattoomotiv war, oder nicht?

Und was erklärt dann diesen Überfall?

Ich setzte mich an den kleinen Tisch, ließ mich regelrecht auf die Polster fallen und lehnte die Ellenbogen auf die Tischplatte. Der Kopf sank in die Hände. Ich war fertig mit den Nerven.

Ob ich auf die Schnelle irgendwo ein paar Zigaretten oder nen Joint herbekam?

Wenn mich nicht alles täuschte, hatte ich eine alte Schachtel in einer der Küchenschubladen. Ein Jibbit wäre mir zwar lieber gewesen, den hatte ich aber nicht vorrätig.

Tränen kullerten mir aus den Augen und tropften auf die Tischplatte. Es bildete sich eine kleine Pfütze. Ich war nicht in der Lage es zu kontrollieren und heulte alles raus, was sich heute angestaut hatte.

Ein unkontrollierbares Zittern übermannte mich. Es war so stark, dass die Pfütze Tränenflüssigkeit auf dem Tisch mit erzitterte.

Wie lange hatte ich schon nicht mehr geweint? Es war Jahre her, doch dieser Angriff hatte sämtliche Dämme zum Überlaufen gebracht.

Ich war verwirrt und verstand nicht, was mit mir geschah. Ich hatte Angst, die nicht nur von meinem Angreifer herrührte. Ein Teil in mir hatte Panik vor sich selbst, immerhin war ich ein fleischgewordener Flammenwerfer.

Es war nicht das Körperliche, das mich fertig machte, auch wenn die Schlingpflanzen einige schmerzende Striemen hinterlassen hatten. Meine Psyche sorgte mich viel mehr. Diese unerklärlichen Dinge nagten an mir. Ich war alleine und hatte niemanden. Auf wen konnte ich mich denn noch verlassen, wenn nicht auf mich?

»Was betrübt dich, Schätzchen?«

Ich schrie, sprang auf und schaute mich panisch um.

Er ist mir gefolgt, war der erste Gedanke, der mir in den Sinn kam. Ich spürte ein Kribbeln auf der Haut. Das Drachentattoo wurde heiß, befeuert durch die Panik, die plötzlich aufflammte.

Mein Blick suchte den ganzen Wohnwagen ab, doch der Kerl war nicht zu sehen. Erst jetzt verarbeitete mein Hirn die Stimmlage und kam zu dem Entschluss, dass es keine männliche Stimme war, dafür klangen die Worte zu weich.

Ich war vollkommen alleine. Neben mir und Schnursula, die vom Bett aufgesprungen war und zu mir getapselt kam, sah ich niemanden.

Jetzt war es endgültig so weit und ich ein Fall für die Klapse. Zigaretten? Joint? Ich brauchte eine Zwangsjacke. Tabletten. Einen Psychiater. Ich befand mich inmitten eines ausgewachsenen Nervenzusammenbruchs.

Ich sah zu Schnursula. Was sie wohl dachte, was gerade mit mir los war? Zu gerne hätte ich mich ins Bett verkrochen und wie sie so oft unter der Decke versteckt. Eingekuschelt und abgeschottet von der Welt. Ich brauchte Ruhe. Einen kleinen Moment, in dem meine Gedanken mal nicht kreisten.

»Da will man mal nett sein und wird direkt angeschrien.« Die winzigen Lippen der Katze bewegten sich synchron zu den Worten. »Frechheit«, ertönte ihre Stimme schnippisch. »Einfach nur unhöflich Inka.«

Sprach die verdammte Katze etwa? Spielte mein Hirn mir einen Streich und ließ mich Dinge sehen, die nicht da waren? Schon wieder?

Ich fuhr mit den Fingern durch die Haare, erzeugte dabei einen Druck auf der Kopfhaut. Die Nägel stachen ins Fleisch und sanfter Schmerz durchzuckte mich, in der Hoffnung, dass dieses Gefühl die Wirklichkeit zurückbrachte.

Langsam sank ich wieder auf den Sitz.

»Was zur Hölle passiert hier mit mir?«, fragte ich panisch. Meine Stimme zitterte. Ich erkannte sie nicht wieder, noch nie klang meine eigene Stimme so gebrochen. Den Blick richtete ich weiter auf Schnursula. Das Herz pochte wie verrückt und obwohl ich mit den Augen gesehen hatte wie sich ihre Schnauze bewegte, verstand das Hirn es nicht.

Schlief ich etwa? Hatte ich die letzte Stunde geträumt? War ich im Tattoostudio bewusstlos zusammengebrochen und mein Kopf bildete sich jetzt all diese Sachen ein? Was war hier los?

Sie saß direkt vor mir und starrte mich mit ihren runden, goldfarbenen Äuglein an. Ein Schnurren ging von ihr aus, ihr Körper vibrierte dabei und ihre Nase zuckte zufrieden. Ihr schien es zu gefallen, dass ich als Nervenbündel vor ihr saß.

»Schnursula?«, fragte ich mit zitternder Stimme.

»Wer sonst?«, drang aus ihrer Schnauze. Sie zwinkerte dabei mit dem linken Auge. »Siehst du noch eine Katze hier, die mit dir spricht?« Schnursula schüttelte langsam den Kopf. »Inka, Inka, Inka. Falls du hier Geister wahrnimmst, sollten wir mit dir zu einem Therapeuten fahren.«

»Meine Katze spricht mit mir.« Tränenflüssigkeit sammelte sich wieder in den Augen, dabei hatte der Schock der unbekannten Stimme sie gerade verdrängt gehabt.

Der Überfall steckte mir in den Knochen. Er hatte Angst und Panik in mir ausgelöst und mir mein Sicherheitsgefühl entrissen, das ich jahrelang aufgebaut hatte. Ich fühlte mich schwach. Die selbstsichere und starke Inka war wie ausgelöscht. Zurückgeblieben war ein weinendes und zitterndes Häufchen Elend, das langsam den Verstand verlor.

Einen Angriff zu verarbeiten, war das eine. Hier zu sitzen und mit seiner Katze zu sprechen, das andere.

Was war Hirngespinst und was davon Realität? Ich fühlte mich nicht nur körperlich schwach, jetzt fühlte ich mich auch seelisch nicht stabil. Diese ganze Situation überforderte mich maßlos.

»Was geschieht nur mit mir?« Die Tränen der Verzweiflung und Überforderung strömten aus mir heraus wie eine Sturzflut. Ich schluchzte hysterisch und bekam kaum Luft. Die Nase setzte sich zu und mir blieb nichts anderes übrig, als durch den Mund zu atmen.

Meine Schultern bebten in einem verzweifelten Versuch die Schwere der Emotionen zu tragen, die sich in mir ausbreiteten. Die Welt schien zu verschwimmen, sie geriet ins Wanken und ein Strudel aus Gefühlen überwältigte mich.

Es war schwer zu beschreiben. Angst traf auf Verzweiflung. Wut auf Ungläubigkeit. Selbstbewusstsein auf mentales Chaos. Es drohte mich zu Fall zu bringen. Vor meinem inneren Auge tanzten kleine weiße Punkte.

»Also für normal halte ich dich generell nicht, aber ein Fall für das Irrenhaus bist du auch nicht«, versuchte sie mich aufzuheitern. Sie hob ihre Mundwinkel zu einem zögerlichen Lächeln.

»Ich unterhalte mich mit meiner verfickten Katze. Was, wenn nicht das, ist denn ein Thema für das Irrenhaus?«, schrie ich.

»Was dachtest du denn, was deine Tätowierung mit mir anstellt?«, fragte sie und ihre Stimme klang wie ein Gemisch aus Arroganz und Ungläubigkeit. Sie ließ ihre Ohren zucken. »Außerdem muss ich mich hier nicht von dir anschreien lassen.«

»Meine Tätowierung?« Ich verstand die Welt nicht mehr. Jetzt fing auch noch die Katze an auf den Tätowierungen herumzuhacken. Was hatten heute nur alle damit?

»Seit du mich tätowiert hast, bin ich in der Lage zu sprechen.« Sie leckte sich eine ihrer Pfoten an und putzte sich über eines ihrer Ohren, an dem besagtes Tattoo war.

Ich möchte vorab klarstellen, dass ich keine Tierquälerin bin und Schnursula nicht als Übungsobjekt genutzt hatte. Es gab einen triftigen Grund, warum sie unter meine Nadel gekommen war.

Als junges Kätzchen war sie mir im Tierheim aufgefallen und ich hatte sie aufgenommen. Ein Tierschutzverein hatte sie aus den Fängen eines skrupellosen Mistkerls gerettet, der ihr zwei Hakenkreuze auf den Ohren verpasst hatte.

Er war ein abartiger Kerl, der den stümperhaften Versuch einer Tätowierung nicht an sich selbst getestet hatte, sondern an einer armen, hilflosen Katze. Ich mochte mir nicht vorstellen, wie sie sich dabei gefühlt hatte.

Die nette Dame, die mir Schnursula vermittelt hatte, erzählte mir, dass er sie ›nackte Hitlerkatze‹ getauft hatte.

Von der Geschmacklosigkeit mal abgesehen, war es zudem schlecht und krakelig gestochen. Auf einem der Ohren zeigten die Striche sogar in die falsche Richtung. Ich war mir nicht mal sicher, ob er dafür eine Tattoomaschine verwendet hatte oder ganz altmodisch eine heiße Nadel. Alleine der Gedanke daran ließ mich vor Wut zittern.

Da Schnursula nicht kastriert war, hatte ich mit der netten Tierärztin vereinbart die Narkose zu nutzen, um das Tattoo mit einem Cover Up zu überdecken. Nichts Großes oder Aufwändiges natürlich. Es war keine Glanzleistung meinerseits eine Katze zu tätowieren, ich weiß.

Schnursula war eine Sphinx. Ihr Haarflaum bot einen direkten Blick auf ihre Haut und entsprechend bedeckte der Plüsch auf ihren Ohren kaum die obszönen Zeichnungen des Vorbesitzers.

An jeder anderen Stelle ihres Körpers wäre es egal gewesen, denn die Speckrollen, die sie zugelegt hatte, hätten die Motive verschluckt. Die Ohren allerdings waren stets präsent.

Wir können gerne darüber diskutieren, ob es angemessen war, aber auch einer kleinen Katze stand eine gewisse Würde zu. Die Nazisymbole gehörten mit dem Cover-Up der Vergangenheit an.

»Was hat das mit deinen Tattoos zu tun?«, fragte ich sie. Wie absurd es einfach war. Ich saß hier und unterhielt mich mit meiner Katze. Aber hey, wahnsinniger als besessene Efeuranken und Feuerwirbel war es nicht. Ich schien nicht tiefer in der manischen Phase zu rutschen, immerhin behielt sie einen konstanten Level.

Ich schaute mir ihre Tattoos an und erinnerte mich daran, als wäre es gestern gewesen.

Aus den Symbolen hatte ich vier kleine Quadrate gezaubert. Sie bildeten das Zentrum eines minimalistischen Mandalas. Eine Mischung aus Dotwork und Outlines. Während des Stechens hatte ich immer wieder darüber nachgedacht, wie hilfreich es für Tiere wäre, mit uns Menschen zu kommunizieren. Dieser Gedanke war plötzlich Realität.

Ich hatte mir ihre Ohren als eine Art Antenne vorgestellt und wenn ich die Tattoos jetzt so betrachtete, hatten sie Ähnlichkeit mit dem Inneren eines Computerchips. Feine Bahnen, die ein Netzwerk bildeten.

War das wirklich der Grund, warum sie in der Lage war zu sprechen?

»Du hast deine Tattoos jetzt seit fünf Jahren.« Ich riss die Augen auf und richtete den Blick auf Schnursula. »Warum sprichst du erst heute?«, wollte ich von ihr wissen.

Standen die Planeten günstig, dass die Farbe meiner Tattoos magisch aufgeladen wurden? Gab es ein unnatürliches Phänomen, von dem ich nichts wusste? Mal davon abgesehen, dass Esoterik mich so absolut nicht interessierte.

Da der Kunde behauptet hatte, schon länger die Kontrolle über die Pflanzen zu haben, schloss ich beide Ideen wieder aus.

»Ich spreche nicht erst seit heute.« Grinste sie mich etwa hämisch an? Mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Neulich, als ich dachte, hier wäre jemand eingebrochen, da war es Schnursula, die ich gehört hatte, zusätzlich zu den Geräuschen des TV Geräts. »Ich spreche erst seit heute mit DIR. Wenn man von den Nächten absieht, wo ich dir stundenlang die Marke meines Lieblingsfutters ins Ohr geflüstert habe.« Wieder schüttelte sie den Kopf. »Geholfen hat es leider nichts, immerhin kaufst du nur diesen Billigpappfraß.«

Was hatte sie?

Ich ignorierte die Frage in meinem Kopf, denn es interessierte mich mehr, warum sie erst heute mit der Sprache herausrückte.

»Du sprichst seit fünf Jahren und hast es nicht für nötig erachtet, dieses Geheimnis mit mir zu teilen?«

»Nö.« Gleichgültigkeit lag in ihrem Blick. »Hätte mein Leben nicht bereichert.« Sie kicherte. »Und so wie du gerade ausflippst, auf den Stress hatte ich keinen Bock.«

War das so ein typisches Katzending? Mochte Schnursula mich überhaupt?

»Lady Toffee meinte gerade, du könntest etwas Aufmunterung gebrauchen.«

»Wer?« Wer zur Hölle war Lady Toffee?

»Die Hexe auf deinem Unterarm.« Ihre kleine Stupsnase zuckte. »Ich unterhalte mich nachts gerne mit ihr.«

»Die gibt doch nur Gebrabbel von sich.« Was auch immer sie vorhin versucht hat mir zu verstehen zu geben, es klang noch irrer, als ich mich aktuell selbst fühlte.

Ich spürte den Hauch von Erleichterung. Schnursula brachte mit ihren Antworten und Erklärungen etwas Ordnung in mein Chaos. So absurd sich das anhörte, aber es war eine Erklärung für alles.

»Du nennst es Gebrabbel, ich nenne es monumentale Lebensweisheiten.« Ich war plemplem. Eindeutig durchgeknallt. Und meine Katze war es auch. »Was Lady Toffee schon alles durchmachen musste in ihrem Leben…«, fuhr Schnursula unbekümmert fort.

»Was denn?«, unterbrach ich sie. Meine Stimme überschlug sich. »Wir reden hier von einem Bild auf meinem Unterarm.«

»Ja eben«, schnaubte Schnursula. Ihre Schnurrhaare bebten. »Jeden Wisch nach dem Toilettengang bekommt sie mit.« Ihre kleinen Augen funkelten mich an. »Sie hat Dinge gesehen und gerochen, alleine bei dem Gedanken daran kommt mir ein Fellball hoch.« Sie imitierte Würgegeräusche.

Ich starrte auf die schwarzweiße Hexe auf meinem Unterarm, die keinen Mucks von sich gab und unbekümmert in die Leere schaute. Es war ein vollkommen normales Tattoo.

So unglaublich die Geschichte klang, eine gewisse Wahrheit war nicht ganz abwegig. Es war zumindest ein Hauch von Logik darin zu erkennen.

Ich wurde heute von magischen Efeuranken angegriffen, hatte mich mit Feuer gewehrt, eine schrullige, brabbelnde Hexe auf meinem Arm kam mir zur Hilfe und jetzt saß ich hier und führte ein Gespräch mit Schnursula. Alles stand im Zusammenhang mit den Tattoos.

»Du meinst also, meine Tätowierungen sind magisch?«, fragte ich die Katze. So langsam verstand ich die Theorie hinter der Sache, mal abgesehen davon, wie bescheuert das alles klang.

»Magie, Zauberei, vielleicht sind die Farben, die du benutzt auch einfach nur verseucht«, kicherte sie. »Jedenfalls haben sie eine gewisse Wirkung auf ihre Träger.«